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Frankfurt University of Applied Sciences
Fachbereich 4: Soziale Arbeit und Gesundheit
Studiengang: Soziale Arbeit (B.A.)
Bachelor-Thesis
Hilfen für traumatisierte Kinder in Heimerziehung
und Pflegefamilie
Referentin: Prof. Dr. Maud Zitelmann
Korreferentin: Prof. Dr. Ute Zillig
Wintersemester 2016/2017
Vorgelegt von:
Klara Brendel
Abgabetermin: 18.01.2017
Mit freundlicher Genehmigung zur Veröffentlichung auf der
Homepage der Stiftung zum Wohl des Pflegekindes freigegeben.
Copyright (alle Rechte vorbehalten): Klara Brendel
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ............................................................................................................................ 1
2 Die kindliche Traumatisierung und ihre Folgen ................................................................. 3
2.1 Innerfamiliale Traumatisierung im kindlichen Erleben ............................................... 3
2.2 Folgen kindlicher Traumatisierung .............................................................................. 6
2.2.1 Reaktionen auf die Traumatisierung..................................................................... 7
2.2.2 Folgen für die Bindung ......................................................................................... 9
2.2.3 Folgen für die Entwicklung ................................................................................ 11
2.3 Bedürfnisse traumatisierter Kinder ............................................................................ 13
3 Traumapädagogik in der Heimerziehung .......................................................................... 16
3.1 Traumapädagogik als Fachdisziplin .......................................................................... 16
3.2 Die Pädagogik der Selbstbemächtigung nach Wilma Weiß ...................................... 17
3.3 Traumapädagogik im Verständnis von Marc Schmid ............................................... 20
4 Traumaverarbeitung in Pflegefamilien.............................................................................. 22
4.1 Die Integrationstheorie nach Monika Nienstedt und Arnim Westermann................. 23
4.2 Die Relevanz der Herkunftsfamilie nach Irmela Wiemann ....................................... 27
5 Übereinstimmung von Bedürfnissen und Hilfe ................................................................. 29
6 Hilfeplanung für traumatisierte Kinder ............................................................................. 34
7 Fazit ................................................................................................................................... 39
Literaturverzeichnis .................................................................................................................. 42
1
1 Einleitung
Kinder, die Einrichtungen der stationären Kinder- und Jugendhilfe oder der Pflegekinderhilfe
begegnen, werden nicht ohne Grund von ihrer Herkunftsfamilie getrennt und wachsen außer-
halb dieser auf. Etwa die Hälfte der Kinder, die in Pflegefamilien leben, musste in ihrer Her-
kunftsfamilie traumatische Erfahrungen machen. In der Heimerziehung liegt dieser Anteil laut
internationalen Studien noch höher.1 Die speziellen Anforderungen, die diese Kinder an das
Hilfesystem stellen, sind demnach ein relevantes Thema und erfordern fachöffentliche Auf-
merksamkeit. Diese nahm in den letzten Jahren zu, was sich durch eine Reihe aktueller Veröf-
fentlichungen zeigt.2 Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Hilfen, die Kindern mit
früher Traumatisierung in der Kinder- und Jugendhilfe zur Verfügung stehen. Es wird geprüft,
welche traumapädagogischen Ansätze vorliegen, wie die Kinder bei der Verarbeitung ihrer
traumatischen Erfahrungen bestmöglich unterstützt werden können und welche Vorausset-
zungen zu diesem Zweck erfüllt werden müssen.
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verständnis des Traumabegriffs orientiert sich an der
Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wonach ein traumatisches Erlebnis „ein
belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher
Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung her-
vorrufen würde“3 ist. In Abgrenzung zu dem medizinischen Begriff des „Traumas“ wird im
Folgenden der Begriff „Traumatisierung“ verwendet. Es wird im Rahmen dieser Arbeit auf
traumatische Erfahrungen im familialen Umfeld, die durch Bindungspersonen, meist die El-
tern, erfolgten und sich wiederholt über längere Zeit hinweg ereigneten eingegangen. In die-
sem Zusammenhang wird von komplexer Traumatisierung gesprochen. Als nähere Eingren-
zung ist auch der Begriff der kindlichen Entwicklungstraumatisierung geeignet, der die Aus-
wirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung beinhaltet.4
Zunächst werden die notwendigen Grundlagen dargestellt. Es wird aufgezeigt, wie die be-
troffenen Kinder das traumatisierende Umfeld in ihrer Herkunftsfamilie erleben, welcher Stra-
tegien sie sich bedienen, um die Situation überstehen zu können und welche Folgen sich dar-
aus ergeben. Zur besseren Übersicht werden die Folgen kindlicher Traumatisierung in Ab-
schnitt 2.2 in Reaktionen auf die Traumatisierung (2.2.1), Folgen für die Bindung (2.2.2) und
1 Vgl. Kindler u.a. 2010: 183f.; Schmid u.a. 2007: 332.
2 Vgl. z.B. Gahleitner u.a. (Hrsg.) 2014; Lang u.a. (Hrsg.) 2013; Weiß/Kessler/Gahleitner (Hrsg.) 2016.
3 Dilling/Freyberger 2014: 173.
4 Vgl. Garbe 2015: 30f..
2
Folgen für die Entwicklung (2.2.3) unterteilt. Die Grenzziehung zwischen den einzelnen Un-
terpunkten ist jedoch als fließend zu betrachten, da unmittelbare Reaktionen auf eine Trauma-
tisierung sowie Folgen für die Bindung sich beispielsweise auch auf die Entwicklung auswir-
ken können. In Abschnitt 2.3 werden die Bedürfnisse der Kinder erläutert, die sich aus den
beschriebenen Traumafolgen ergeben und die die Kinder in den Hilfeverlauf einbringen.
Im dritten Teil wird auf die Unterstützung der Traumaverarbeitung in der Heimerziehung ein-
gegangen. Die Fachdisziplin der Traumapädagogik wird vorgestellt und zwei unterschiedliche
Auslegungen traumapädagogischer Arbeit werden dargestellt. Dabei handelt es sich um die
reformpädagogisch beeinflusste Pädagogik der Selbstbemächtigung nach Wilma Weiß sowie
die verhaltenstherapeutisch orientierte Auslegung von Marc Schmid. Diese beiden Ansätze
und Autoren stehen exemplarisch für unterschiedliche Zugangsweisen im Feld der Traumapä-
dagogik. Eine umfassende Aufarbeitung aller Konzepte ist im Rahmen dieser Arbeit nicht
möglich. Die Pädagogik der Selbstbemächtigung wurde aufgrund der weiten Verbreitung in
der Literatur ausgewählt. Aus dieser und aus der Einschätzung anderer Autoren kann auf eine
gewisse Relevanz geschlossen werden.5 Die Ansichten Schmids sind aufgrund seines psychi-
atrischen Hintergrundes von Interesse, da sein Zugang, anders als der von Weiß, keinen päda-
gogischen Ursprung hat.
Abschnitt vier beschäftigt sich mit der Möglichkeit der Traumaverarbeitung in einer Pflege-
familie. Auf Einbezug von Literatur, die im Ausland veröffentlicht wurde, musste aufgrund
von Schwierigkeiten bei der Zugänglichkeit der Quellen leider verzichtet werden. Die Integra-
tionstheorie nach Monika Nienstedt und Arnim Westermann wurde aufgrund ihrer Präsenz in
der Fachliteratur ausgewählt. Sie wird erläutert und dem Blickwinkel auf Pflegefamilien von
Irmela Wiemann gegenübergestellt, welcher der Herkunftsfamilie eine große Relevanz ein-
räumt. Das Konzept Wiemanns ist jedoch in erster Linie nicht als traumapädagogisch zu ver-
stehen, der Ansatz richtet sich an Pflege- und Adoptivfamilien im Allgemeinen. Um die Ge-
genposition zu den Ansichten der Autoren Nienstedt und Westermann zu verdeutlichen, soll
dennoch darauf eingegangen werden.
Anschließend werden im fünften Abschnitt die dargestellten Konzepte für Heimerziehung und
Pflegefamilien vor dem Hintergrund der zuvor erarbeiteten Bedürfnisse von Kindern mit
Traumatisierung kritisch auf deren Erfüllung geprüft und verglichen, bevor in Abschnitt sechs
aus diesen Bedürfnissen und unter Berücksichtigung der dargestellten Konzepte der Kinder-
und Jugendhilfe Konsequenzen für die Hilfeplanung gezogen werden. Schließlich wird der
5 Vgl. z.B. Bausum 2016: 305; Kühn 2014: 21.
3
aus den vorherigen Ausführungen resultierende Forschungs- und Handlungsbedarf verdeut-
licht. Ziel der Arbeit ist es aufzuzeigen, von welchen Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe
Kinder mit Traumatisierung am besten profitieren können.
2 Die kindliche Traumatisierung und ihre Folgen
Kinder, die in ihrer Kindheit traumatisiert wurden, stellen durch ihre besonderen Bedürfnisse
eine Herausforderung für die Kinder- und Jugendhilfe dar. Um erfolgreiche pädagogische
Arbeit mit diesen Kindern zu ermöglichen, müssen mögliche Auswirkungen der Traumatisie-
rung bekannt sein. So kann verhindert werden, dass traumabedingtes Verhalten fehlgedeutet
und missverstanden wird, die Reaktionen ihres Umfeldes die Kinder in ihrem negativen
Selbst- und Weltbild bestätigen und traumatische Erfahrungen sich wiederholen.
2.1 Innerfamiliale Traumatisierung im kindlichen Erleben
Um den Bedarf von Kindern nach früher Traumatisierung und daran anschließend die ange-
messenen Hilfen einschätzen zu können, sollten zunächst die Erfahrungen der Kinder aus ih-
rer Perspektive betrachtet werden. Nur so ist ein Einfühlen in das Erleben des Kindes mög-
lich.
Wie jede traumatische Situation ist auch die interpersonelle Traumatisierung in der Kindheit,
die etwa durch Misshandlung, Vernachlässigung oder sexuellen Missbrauch erfolgt, für die
Kinder von Gefühlen der Hilf- und Schutzlosigkeit, von Ohnmacht und von Todesangst be-
stimmt.6 Die Bedrohung wird als so überwältigend erlebt, dass die wahrgenommenen Reize
das Verarbeitungsvermögen des Kindes überfordern. Das bewusste Denken setzt aus und der
Körper löst eine Notfallreaktion aus, die unbewusst abläuft und ausschließlich dem Überleben
des Kindes dient. Der Körper bereitet sich auf Kampf oder Flucht vor. Ist keine dieser beiden
Reaktionen möglich, um die überwältigende Situation zu beenden, wie dies bei Säuglingen
und kleinen Kindern der Fall ist, verfällt der Körper in einen apathischen Zustand.7
Traumatisierungen, deren Grund das Verhalten anderer Personen ist, unterscheiden sich von
Traumatisierungen, die nicht durch Menschen verursacht werden. Traumatisierungen, die
durch Naturkatastrophen oder Unfälle entstehen, haben oft weniger schwerwiegende Folgen
als interpersonelle Traumatisierungen, da die Möglichkeit besteht, durch andere Menschen
6 Vgl. Hantke/Görges 2012: 54.
7 Vgl. Hantke/Görges 2012: 58-62.
4
Hilfe zu erfahren.8 Die besondere Komplexität der Traumatisierung durch nahestehende Per-
sonen, insbesondere Bindungspersonen, ergibt sich dadurch, dass das Kind auf Schutz und
Sicherheit durch diese angewiesen ist, da es alleine nicht überlebensfähig ist. Die Bindungs-
person hat für das Kind die Funktion eines Zufluchtsortes. Bei Bedrohungen von außen würde
das Kind bei ihnen Schutz und Beistand suchen. Da die Bedrohung bei Gewalt oder Vernach-
lässigung innerhalb der Familie aber von eben diesen Personen ausgeht und sie als übermäch-
tig und potentiell lebensbedrohlich wahrgenommen werden, ist das Kind ohne Fluchtoption
ausgeliefert.9 Das Kind, für das seine direkte Umgebung und seine Bindungspersonen die
Repräsentation der Welt darstellen, lernt diese als gefährlich und schmerzhaft kennen und
kann nicht mit der Hilfe anderer rechnen.10
Dieses Verlassensein von jeglicher Schutzperson
ist für das Kind aufgrund seiner Unfähigkeit selbstständig zu überleben existenzgefährdend.11
Beckrath-Wilking bezeichnet es als „das gravierendste Trauma“ für ein Kind.12
Frühe, inner-
familiale Traumatisierung beinhaltet beinahe alle Kriterien, die Michaela Huber als Gründe
für eine erschwerte Verarbeitung der Traumatisierung nennt.13
Es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen bestimmten Situationen oder Erfahrungen
und einer darauffolgenden Traumatisierung, auch wenn manche Situationen über ein sehr
großes Traumatisierungspotential verfügen. Jeder Mensch reagiert anders auf Belastungen
und ob ein Ereignis traumatisierend wirkt hängt von den persönlichen Ressourcen des Be-
troffenen und Ressourcen der Umwelt ab, also beispielsweise davon, ob der Betroffene Hilfe
durch weitere anwesende Personen erhält14
. Bei den persönlichen Ressourcen von Kindern
spielen Alter und Entwicklungsstand eine wichtige Rolle. Sie verfügen über weniger solcher
Ressourcen als Erwachsene. Je jünger die Kinder sind, desto schneller nimmt eine Situation
existenzgefährdenden Charakter an.15
Hinzu kommt, dass Säuglinge und kleine Kinder noch
nicht über die Fähigkeit verfügen, Zeit einschätzen zu können. Im Kontext der Vernachlässi-
gung führen unerfüllte Bedürfnisse daher sehr schnell zu absoluter Verzweiflung.16
Die ent-
wicklungsabhängige Fähigkeit des Kindes, die Situation und deren Folgen abzuschätzen, kann
darüber entscheiden, ob eine Situation eine Traumatisierung darstellt oder nicht.17
Im direkten
8 Vgl. Hantke/Görges 2012: 100.
9 Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 43.
10 Vgl. Westermann 2006: 36.
11 Vgl. Westermann 2006: 36.
12 Beckrath-Wilking 2013: 101.
13 Vgl. Huber 2003: 75.
14 Vgl. Hantke/Görges 2012: 54f..
15 Vgl. Garbe 2015: 46.
16 Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 54.
17 Vgl. Krüger 2007: 20.
5
Umfeld der Kinder, das häufig von Gewalt und Einsamkeit geprägt ist, ist häufig nicht mit
Umweltressourcen zu rechnen.
Der oben beschriebene Widerspruch, dass von Personen die Schutz bieten sollen Gefahr aus-
geht und keine Fluchtmöglichkeit besteht, bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Psyche des
Kindes. Es ist gezwungen, Abwehrmechanismen zu entwickeln, um sich, wegen der beste-
henden Abhängigkeit von diesen, das Bild der Eltern als geeignete Pflege- und Bezugsperso-
nen bewahren zu können.18
Aggressionen, die sich gegen die Eltern als Angreifer richten,
können nicht zugelassen oder gezeigt werden, da das Kind sich dadurch enormen Gefahren
aussetzen würde. Um diesen Widerspruch zu bewältigen, wird die Aggression innerlich ab-
gewehrt. Es kommt zur sogenannten „Identifikation mit dem Aggressor“. Dieser Mechanis-
mus wurde bereits 1932 von dem Psychoanalytiker Sándor Ferenczi beschrieben.19
Anstatt
den Eltern Aggression und Ablehnung entgegenzubringen, stellt sich bei dem Kind das Ge-
fühl ein, es habe durch sein eigenes Handeln das Verhalten der Eltern provoziert. Dadurch
kann zum einen das Bild der Eltern als geeignete Bindungspersonen aufrechterhalten wer-
den20
, auf welches das Kind angewiesen ist, zum anderen entsteht dadurch bei dem Kind der
Eindruck, es habe durch sein Verhalten einen Einfluss auf die Situation. So wird eine Illusion
von teilweiser Kontrolle erzeugt, die der Ohnmacht entgegenwirkt. Auch die Hoffnung, durch
das eigene Verhalten eine positive Eltern-Kind-Interaktion zu erzielen bleibt bestehen.21
Auf
die Folgen, die dieser Abwehrmechanismus auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes
hat, wird in Abschnitt 2.2.3 eingegangen.
Neben inneren Mechanismen zur Bewältigung der Lebenssituation zeigen Kinder auch in ih-
rem Verhalten Strategien, um sich zu schützen. Da sie, wie bereits beschrieben, keine Mög-
lichkeit haben, ihrem traumatischen Umfeld zu entkommen, passen sie sich diesem an, um zu
überleben.22
Um Wut und Strafen der Eltern zu entkommen, bleibt den Kindern keine andere
Möglichkeit, als den oft altersunangemessenen Anforderungen der Eltern durch Überanpas-
sung ihres Verhaltens nachzukommen. Dadurch werden häufig die kindlichen Bedürfnisse
übergangen und die Autonomieentwicklung kann blockiert werden.23
Überanpassung kann im
Zusammenhang mit einer Angstbindung stehen24
, auf die in 2.2.2 eingegangen wird.
18
Vgl. Herman 2003: 135. 19
Vgl. Ferenczi 1985: 232f.. 20
Vgl. Beckrath-Wilking 2013: 104; Diouani-Streek 2015: 73. 21
Vgl. Beckrath-Wilking 2013: 104; Diouani-Streek 2015: 74. 22
Vgl. Hantke/Görges 2012: 97; Van der Kolk 2009: 78. 23
Nienstedt/Westermann 2007: 64. 24
Vgl. Cappenberg 2004: 84.
6
Für Kinder, die in einem traumatisierenden Umfeld aufwachsen, ist dies die einzige Welt, die
sie kennen. Sie lernen Beziehungen als nicht verlässlich und andere Menschen als bedrohlich
kennen. In einer solchen Umgebung können das Urvertrauen in die Welt und in Andere sowie
das Selbstvertrauen nicht oder nur unzureichend aufgebaut werden.25
Da positive Beziehungs-
erfahrungen fehlen, fehlt auch das Vertrauen in Beziehungen und in Menschen im Allgemei-
nen.26
Häufig entwickeln traumatisierte Kinder aufgrund ihrer Erfahrungen eine innere Ambi-
valenz zwischen dem Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Nähe und der Angst davor.27
Ihr
Selbsterleben ist meist geprägt von einem ständigen Gefühl der Bedrohung und des Kontroll-
verlustes, da überwältigende Situationen jederzeit auftreten können. Hinzu kommen häufig
das Gefühl der eigenen Wertlosigkeit sowie Schuld und Scham.28
Zusammenfassend ist das Leben von Kindern, die früh und wiederholt Traumatisierungen
durch ihre Bindungspersonen erfahren mussten, geprägt durch Ohnmacht, Einsamkeit und
eine ständige Existenzangst. Sie erfahren Beziehungen als bedrohlich und haben niemanden,
zu dem sie fliehen können. Um diese Situation ertragen zu können, müssen sie sich Abwehr-
und Anpassungsmechanismen bedienen, die ihr eigenes kindliches Selbst verletzen und ver-
leugnen. Nienstedt und Westermann schreiben, „Alle misshandelten Kinder erleben ihre El-
tern als potenzielle Mörder […]“29
. Die Welt in der sie aufwachsen und leben erleben sie als
schmerzhaft und gefährlich.
2.2 Folgen kindlicher Traumatisierung
Die Erfahrungen, die Kinder in oben beschriebenen Lebensumfeldern machen müssen, haben
weitreichende Auswirkung auf ihr zukünftiges Leben. Annette Streeck-Fischer formuliert es
wie folgt: „Bei einem Bindungstrauma ist – anders als im Erwachsenenalter – die gesamte
Persönlichkeit davon erfasst“30
. Sind Kinder über längere Zeit einem traumatischen Umfeld
ausgesetzt, werden die Symptome einer Traumatisierung zunehmend unspezifisch. Dieser
Trend setzt sich mit zunehmendem Alter der Kinder fort. Traumafolgen sind dann tief in der
Persönlichkeit verankert und oft nicht mehr als solche wahrzunehmen.31
Wird der traumati-
sche Hintergrund jedoch nicht erkannt, bietet eine bloße Behandlung der Symptome wenig
25
Vgl. Krüger 2007: 19. 26
Vgl. Baierl 2014a: 31; Scherwath/Friedrich 2016: 51. 27
Vgl. Garbe 2015: 34. 28
Vgl. Baierl 2014a: 31f.. 29
Nienstedt/Westermann 2007: 53. 30
Streeck-Fischer 2011: 460. 31
Vgl. Garbe 2015: 36.
7
Aussicht auf Erfolg.32
Die Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) spiegelt die
Vielzahl der Symptome nur unzureichend wider. Experten fordern daher die Einführung ent-
wicklungsspezifischer Diagnosekriterien. Erste Schritte auf diesem Weg wurden bereits un-
ternommen.33
2.2.1 Reaktionen auf die Traumatisierung
Einige Reaktionen und Verhaltensweisen von Kindern können als direkte Reaktion auf trau-
matische Erfahrungen oder als Versuch diese zu verarbeiten gesehen werden. Bis etwa zum
zehnten Lebensjahr versuchen Kinder oft traumatische Erlebnisse durch traumatisches Spiel
zu verarbeiten und zu lösen.34
Das Erlebte wird dabei immer wieder, beinahe ohne Variatio-
nen, durchgespielt.35
Wird von Therapeutinnen oder Therapeuten oder neuen Bezugspersonen
ein „helfendes Element“36
hinzugefügt, kann es zu einer Weiterentwicklung des Spiels und
somit zu einem Beitrag zur Verarbeitung der Traumatisierung kommen.
Weiterhin neigen viele traumatisierte Kinder dazu, traumatische Beziehungserfahrungen in
folgenden Beziehungen durch Übertragung zu reinszenieren. In Übertragungsbeziehungen
werden die neuen Bezugspersonen, wie Pflegeeltern oder Betreuer und Betreuerinnen in
Heimeinrichtungen, mit den vorherigen „verwechselt“37
. Unverarbeitete Situationen werden
in der Hoffnung auf Bewältigung und einen positiven Ausgang wiederholt hervorgerufen.38
Dies kann unbewusst dadurch geschehen, dass andere Menschen durch das Verhalten des
Kindes dahingehend beeinflusst werden, diesem gegenüber das Verhalten zu zeigen, welches
dieses aus vorherigen Beziehungen kennt. Die Interaktionspartner werden dann zum Beispiel
laut oder aggressiv.
Die Reinszenierung von Erlebtem kann noch einen weiteren Hintergrund außer dem Versuch
der Verarbeitung haben. Kinder, die aus einem Umfeld stammen, das durch Ohnmacht und
Kontrollverlust geprägt war, wenden oft Strategien an, um diesen Gefühlen entgegenzuwirken
und Kontrolle und Sicherheit wiederzuerlangen.39
Auch wenn die Erfahrungen, die sie in ih-
rem früheren Umfeld machen mussten, traumatisch und schmerzhaft waren, sind es doch be-
kannte Erfahrungen. Dieses Bekannte bietet in gewisser Weise Sicherheit.40
Entspricht das
32
Vgl. Garbe 2015: 38. 33
Vgl. z.B. Garbe 2015: 38f.; Herbst u.a. 2009; Streeck-Fischer 2011: 453f.; Van der Kolk 2000: 169. 34
Vgl. Garbe 2015: 25. 35
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 47. 36
Garbe 2015: 25. 37
Nienstedt/Westermann 2007: 103. 38
Vgl. Streeck-Fischer 2011: 458; Weiß 2011a: 65. 39
Vgl. Baierl 2014a: 38f.. 40
Vgl. Van der Kolk 2009: 578.
8
Verhalten des Interaktionspartners in Übertragungsbeziehungen den Erfahrungen und folglich
den Erwartungen des Kindes, erfährt dieses Berechenbarkeit und somit Sicherheit. Dies gilt
auch, wenn die daraus resultierende Situation sich für das Kind negativ auswirkt.41
Es ist also
von großer Relevanz, dass Menschen, die mit diesen Kindern arbeiten oder leben über das
entsprechende Wissen verfügen und sensibel auf Reinszenierungen achten, um die Kinder
nicht weiterhin in ihren negativen Beziehungserfahrungen zu bestätigen.
Eine Reaktion auf Traumatisierung, die unter Umständen weitreichende Auswirkungen auf
die Identität der Betroffenen und ihre Fähigkeit zur Alltagsbewältigung hat, ist die Dissoziati-
on. Bei diesem nicht bewusst steuerbaren Vorgang werden Erfahrungen einer traumatischen
Situation fragmentiert verarbeitet und gespeichert. Die Verbindung von Gedächtnis, Identität
und Wahrnehmung wird unterbrochen. Dadurch wird es möglich, überwältigende Situationen
zu überstehen, indem Körperempfindungen abgespalten werden. Es handelt sich also zunächst
um einen effektiven Schutzmechanismus der Psyche.42
Weiterhin ermöglicht Dissoziation die
gleichzeitige Existenz widersprüchlicher Gefühle, denen Kinder bei Traumatisierung durch
Bindungspersonen ausgesetzt sind.43
Im traumatischen Umfeld dient Dissoziation zwar er-
folgreich dem Schutz der Kinder, wird dieser Schutzmechanismus jedoch häufig durch trau-
matisierende Erfahrungen ausgelöst, kann er sich als gängige Form der Stressbewältigung
etablieren. Die Alltagsbewältigung der Betroffenen kann dadurch stark erschwert werden. Sie
leiden nach dissoziativen Zuständen häufig unter Teilamnesien und sind in belastenden Situa-
tionen nicht handlungsfähig.44
Nimmt das Auftreten von Dissoziationsmechanismen psycho-
pathologische Formen an, wird von einer dissoziativen Störung gesprochen.45
Auch die Erin-
nerung an traumatische Erfahrungen ist beeinträchtigt, wodurch die Identifikation von Erinne-
rungsreizen, sogenannten Triggern, und die Verarbeitung des Traumas erschwert wird.46
Zu-
sätzlich hat wiederholte Dissoziation Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung und das
Identitätsgefühl. Diese Personen erleben sich selbst nicht als Einheit, sie nehmen sich als un-
zusammenhängend und fragmentiert wahr.47
Eine ebenfalls den Alltag belastende Folge von Traumatisierung können sogenannte Flash-
backs sein. Durch Trigger kann das traumatisierende Ereignis wieder in das Bewusstsein der
Betroffenen gelangen. Diese Flashbacks werden nicht als Erinnerung erlebt, das Geschehene
41
Vgl. Baierl 2014a: 38f.. 42
Vgl. Friedrich 2014: 13-16. 43
Vgl. Sachsse/Sack 2011: 184. 44
Vgl. Schmid 2010: 44. 45
Vgl. Friedrich 2014: 30. 46
Vgl. Baierl 2014a: 34. 47
Vgl. Weiß 2011a: 49.
9
scheint in diesen Momenten vielmehr wieder gegenwärtig zu sein. Auch der Körper reagiert
so, als wären die Stressauslöser aktuell und real. In solchen Momenten können die Kinder
nicht zwischen Vergangenheit und Gegenwart unterscheiden, unter Umständen zeigen sie
Verhalten, das nicht auf die Gegenwart, sondern auf die Situation der Traumatisierung ausge-
richtet ist.48
Zusammenfassend kann Traumatisierung zu Reaktionen und Verhaltensweisen führen, die
zunächst unverständlich erscheinen, vor dem Hintergrund der Traumatisierung jedoch erklär-
bar werden. Das Wissen über diese Hintergründe ist daher unabdingbar in der Arbeit mit
traumatisierten Kindern.
2.2.2 Folgen für die Bindung
Werden die Personen, die dem Kind Schutz und Sicherheit vermitteln sollen, selbst zur Be-
drohung, wirkt sich dies auf die Qualität der Eltern-Kind-Bindung und das Bindungsverhalten
des Kindes aus. Die Folge von beängstigenden Bindungssituationen und ambivalentem Ver-
halten der Bindungsperson ist oftmals die Herausbildung eines desorganisierten Bindungs-
stils.49
Das Bindungsverhalten des Kindes schützt dieses nicht vor überwältigenden Situatio-
nen und bricht zusammen.50
Diese Kinder zeigen in bindungsaktivierenden Situationen kein
erkennbares Bindungsmuster, sondern widersprüchliches Verhalten sowie Anzeichen von
Angst vor der Bindungsperson oder dissoziative Zustände.51
Sie haben keine Möglichkeit,
eine Strategie zum Beziehungsaufbau zu entwickeln.52
Das Vorkommen des desorganisierten
Bindungsstils ist bei misshandelten Kindern im Vergleich zu Kindern ohne Misshandlungser-
fahrung deutlich erhöht. Während in einer Gruppe von Kindern ohne Misshandlungserfahrung
etwa 15% eine desorganisierte Bindung aufweisen, liegt dieser Prozentsatz bei misshandelten
Kindern bei über 80%.53
Das typische Bindungsverhalten wurde zu großen Teilen aufgegeben
oder konnte sich unter den Bedingungen, unter denen das Kind aufwuchs nicht entwickeln.
Auf potentielle neue Bindungspersonen, wie Pflegeeltern, kann das Bindungsverhalten irritie-
rend wirken.54
Für die Zukunft dieser Kinder bedeutet dies oft eine eingeschränkte Bindungs-
48
Vgl. Weiß 2011a: 63f.. 49
Vgl. Brisch 2012: 130; Köckeritz 2016: 358. 50
Vgl. Cappenberg 2004: 79f.. 51
Vgl. Huber 2003: 93; Köckeritz 2016: 357. 52
Vgl. Schmid 2008: 292. 53
Vgl. Dornes 2005: 106; Huber 2003: 95. 54
Vgl. Brisch 2006: 383.
10
fähigkeit.55
Außerdem sind durch das Fehlen einer sicheren Bindung als Basis das Explorati-
onsverhalten und die Autonomieentwicklung der Kinder beeinträchtigt.56
Neben der Herausbildung eines desorganisierten Bindungsstils sind auch Bindungsstörungen
mögliche Folgen einer Traumatisierung durch Bindungspersonen. Zwei dieser Bindungsstö-
rungen sind nach ICD-10 diagnostizierbar.57
Bei der Bindungsstörung mit Enthemmung zei-
gen Kinder undifferenziertes Bindungsverhalten jeglichen Personen, auch Fremden, gegen-
über. Diese Bindungsstörung ist insbesondere Folge emotionaler Vernachlässigung. Kinder
mit Gewalterfahrungen innerhalb der Bindungsbeziehung können gehemmtes und angstvolles
Verhalten in sozialen Kontakten, auch in der Interaktion mit der Bindungsperson, entwickeln.
In diesem Fall wird von einer reaktiven Bindungsstörung gesprochen.58
Insbesondere die Bin-
dungsstörung mit Enthemmung erweist sich auch nach der Trennung von der Herkunftsfami-
lie als sehr stabil.59
Der Bindungsforscher Karl-Heinz Brisch unterscheidet zwischen mehre-
ren verschiedenen Formen der Bindungsstörung. Gemeinsam haben sie, dass sie sich erheb-
lich von jeglichem anderen Bindungsverhalten, ob sicher oder unsicher, unterscheiden.60
Eine weitere, weniger offensichtliche Reaktion auf traumatische Erfahrungen in Bindungsbe-
ziehungen ist die Angstbindung an die Eltern.61
Diese ist durch Beobachtung kaum zu erken-
nen, da eine Überanpassung des Kindes stattfindet. Wie bereits beschrieben, werden aufgrund
der Abhängigkeit von der Bindungsperson Aggressionen verdrängt und das Kind ist durch
Angstabwehrmechanismen an diese gebunden. Im Verhalten des Kindes wird dies kaum deut-
lich. Außenstehende verkennen daher leicht dessen tatsächliche Lage und sehen eine schüt-
zenswerte Bindung.62
Für den effektiven Schutz des Kindes kann dies bei fehlendem Fach-
wissen innerhalb des Helfersystems verheerende Folgen haben.
Bindungserfahrungen, die in der frühen Kindheit gemacht werden, beeinflussen das gesamte
weitere Leben.63
Kinder, die traumatischen Bindungserfahrungen ausgesetzt waren, haben im
weiteren Verlauf ihrer Entwicklung häufig Probleme im Beziehungsaufbau zu neuen Bezugs-
personen, Gleichaltrigen oder Partnern. Wurden Beziehungen wiederholt als unzuverlässig
erlebt, fehlt die Bereitschaft sich weiter auf diese einzulassen.64
Da emotionale Nähe mit
55
Vgl. Weiß 2011a: 48. 56
Vgl. Dornes 2005: 109. 57
Vgl. Kindler u.a. 2010: 154. 58
Vgl. Borg-Laufs/Ruff 2014: 22; Brisch 2012: 132-134; Kindler u.a. 2010: 154-156. 59
Vgl. Kindler u.a. 2010: 156. 60
Vgl. Brisch 2012: 131. 61
Vgl. Niestroj 2005: 138. 62
Vgl. Cappenberg 2004: 83; Nienstedt/Westermann 2007: 222f.. 63
Vgl. Fegert 2006: 22. 64
Vgl. Garbe 2015: 47.
11
schmerzhaften Erfahrungen verbunden wird, wird diese abgewehrt, um erneuten Verletzungen
zu entgehen. Das Vertrauen in andere Menschen ist nachhaltig beschädigt oder zerstört.65
Ei-
ne zentrale Aufgabe bei der Unterstützung der Kinder besteht darin, dieses Vertrauen wieder-
herzustellen beziehungsweise dessen Aufbau zu ermöglichen.
2.2.3 Folgen für die Entwicklung
Traumatisierungen, die ihren Ursprung zu einem frühen Zeitpunkt im Leben eines Menschen
haben, haben weitreichenderer Folgen als solche, die einem Erwachsenen mit gefestigter Per-
sönlichkeit und stabilem Weltbild widerfahren.66
Frühe Traumatisierung zieht Konsequenzen
in fast allen Bereichen der kindlichen Entwicklung nach sich.67
Corinna Scherwath und Sibyl-
le Friedrich vergleichen die kindliche Entwicklung unter traumatischen Umständen anschau-
lich mit dem Versuch, während eines Unwetters ein Haus zu errichten. Alle Energie richtet
sich darauf, das Gebäude vor dem Einsturz zu bewahren und kann nicht auf weitere Konstruk-
tionsschritte verwendet werden.68
In einem traumatisierenden Milieu ist keine gesunde Selbstentwicklung möglich, da diese das
regulierende und wertschätzende Verhalten von Bindungspersonen voraussetzt.69
Fehlt dieses,
lernen die Kinder nicht ihre Emotionen zu regulieren, da sie zunächst auf adäquate Reaktio-
nen auf Gefühlsäußerungen und unterstützende Regulation der Bindungsperson angewiesen
sind.70
In ihrer weiteren Entwicklung äußert sich diese fehlende Fähigkeit zur Affektregulati-
on häufig durch unkontrolliertes und impulsives, teilweise aggressives Verhalten.71
Fehlende
positive Interaktion mit der Bindungsperson und frühe Traumatisierung durch diese wirken
sich ebenfalls stark auf die Entwicklung des Selbstbildes aus. Dieses ist von Erfahrungen der
eigenen Hilflosigkeit sowie verletzendem oder demütigendem Verhalten von Bezugspersonen
geprägt. Durch die „Identifikation mit dem Aggressor“ gibt das Kind sich häufig an diesem
Schicksal die Schuld und gelangt zu der Überzeugung, es sei wertlos und nicht liebenswert.
Ein stark negatives Selbstbild entwickelt und manifestiert sich. Dieses erweist sich in der Re-
gel als sehr stabil.72
Diese Kinder haben meist ein geringes Gefühl von Selbstwirksamkeit und
daher oft Probleme damit, sich für ihre Bedürfnisse einzusetzen.73
Ulrike Beckrath-Wilking
65
Vgl. Van der Kolk 2009: 578. 66
Vgl. Herman 2003: 135. 67
Vgl. Dornes 2005: 109. 68
Vgl. Scherwath/Friedrich 2016: 34. 69
Vgl. Garbe 2015: 86-94. 70
Vgl. Köckeritz 2016: 258f.; Schmid 2008: 291; Streeck-Fischer 2004: 100. 71
Vgl. Streeck-Fischer 2004: 100. 72
Vgl. Beckrath-Wilking 2013: 100f.; Scherwath/Friedrich 2016: 38f.; Van der Kolk 2009: 578. 73
Vgl. Schmid 2010: 43f.
12
schreibt zur fehlenden Möglichkeit der Kinder, positive Repräsentanzen von wertschätzenden
Beziehungen zu verinnerlichen: „Das Fundament einer gesunden Persönlichkeit fehlt“74
.
Bei anhaltender früher Traumatisierung kann es infolge wiederholter Dissoziation weiterhin
zu einem Verlust von Kohärenz im Erleben der eigenen Person kommen. Die Identität wird
dann nicht als Einheit, sondern als aufgespalten in unterschiedliche Ich-Zustände erlebt.75
Die
Identität ist zudem häufig nicht gefestigt, da sie sich unter Überanpassung an unangemessenen
Erwartungen entwickelte. Die Kinder reagieren dann hochsensibel auf Kritik und sind durch
Rückmeldungen ihrer Umwelt leicht zu beeinflussen, da diese Anpassungsleistung in der
Vergangenheit ihrem Schutz diente.76
Auch die Wahrnehmung und Achtung eigener Grenzen sowie der Grenzen anderer ist durch
frühe, ständige Überschreitung dieser beeinträchtigt. Erneute Grenzüberschreitungen sowohl
durch andere als auch durch die betroffene Person selbst werden daher wahrscheinlicher.77
Durch Flashbacks verschwimmen auch die Grenzen zwischen Gegenwart und Vergangenheit
sowie innerem Erleben und äußerer Realität. Diese Ebenen sind für die Betroffenen oft
schwer zu unterscheiden.78
Wird die Notfallreaktion des Gehirns, die in Situationen von extremer Belastung eintritt und
bewirkt, dass das Denken in den Hintergrund tritt und der Körper sich mit allen zur Verfü-
gung stehenden Ressourcen auf Kampf oder Flucht einstellt,79
früh und häufig im Leben eines
Kindes ausgelöst, kann sie sich, wie auch die Dissoziation, als gängige Reaktion auf Stress
etablieren und die weitere Gehirnentwicklung beeinflussen. Bereits geringe Belastungen akti-
vieren dann traumaspezifische Reaktionen.80
Es können keine alternativen Stressbewälti-
gungsreaktionen herausgebildet werden.81
Auf vermeintlich bedrohliche Reize wird folglich
nicht durch Abwägen verschiedener Reaktionsmöglichkeiten, sondern impulsiv und ungeplant
reagiert.82
Weitere mögliche Folgen für die Gehirnentwicklung sind defizitäre Entwicklungen
von vorausschauendem Denken, Reflexionsfähigkeit und Empathie.83
Auch die Konzentrati-
onsfähigkeit kann beeinträchtigt sein.84
74
Beckrath-Wilking 2013: 99. 75
Vgl. Streeck-Fischer 2014: 132. 76
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 72. 77
Vgl. Baierl 2014a: 32. 78
Vgl. Streeck-Fischer 2014: 139. 79
Vgl. Hantke/Görges 2012: 59f.. 80
Vgl. Besser 2011: 49. 81
Vgl. Köckeritz 2016: 359. 82
Vgl. Streeck-Fischer 2011: 460. 83
Vgl. Köckeritz 2016: 359. 84
Vgl. Streeck-Fischer 2011: 460.
13
Allgemein kann es in Reaktion auf traumatisierende Lebensbedingungen zur verzögerten oder
mangelhaften Bewältigung wichtiger Entwicklungsschritte kommen. Werden einzelne Ent-
wicklungsaufgaben nicht erfüllt, ist auch die angemessene Bewältigung nachfolgender er-
schwert oder nicht möglich.85
Werden beispielsweise Anzeichen der Autonomieentwicklung,
wie die Erkundung der Umwelt und Äußerungen des Widerstandes, bestraft und dadurch un-
terbunden, kann keine Autonomieentwicklung stattfinden.86
Auch der Ausdruck von Gefühlen
wie Wut wird mit Gewalterfahrungen verbunden und daher unterdrückt. Viele dieser Kinder
verfügen nicht über die Fähigkeit, ihre eigenen Gefühle differenziert wahrzunehmen und adä-
quat zu äußern.87
2.3 Bedürfnisse traumatisierter Kinder
Die oben erläuterten Folgen interpersoneller Traumatisierung in Bindungsbeziehungen ma-
chen deutlich, dass diese Kinder eine besondere Unterstützung bei der Verarbeitung des Er-
lebten und ihrer weiteren Entwicklung benötigen. Doch wie genau sehen diese Bedürfnisse
aus? Grundsätzlich ist es das Ziel, die Kinder mit den Erfahrungen und Lebensbedingungen
auszustatten, die sie in ihrem Leben bisher nicht erleben durften und negativen Erfahrungen
positive Erfahrungen zur Korrektur entgegen zu setzen.
Zunächst ist die Grundvoraussetzung, um den betroffenen Kindern helfen zu können, ihnen
einen sogenannten „sicheren Ort“ zur Verfügung zu stellen. Dieser Begriff bezeichnet ur-
sprünglich einen inneren „sicheren Ort“ der Person, da er einer Imaginationsübung der Trau-
matherapie entstammt.88
In der Traumapädagogik wurde dieser Begriff jedoch auch auf einen
äußeren „sicheren Ort“ übertragen. An einem solchen Ort müssen die Kinder den Bezugsper-
sonen vertrauen können, sich vor weiteren Misshandlungen und Übergriffen geschützt fühlen
und sich der Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse sicher sein.89
In solch einem Umfeld ist
eine Auseinandersetzung mit der Traumatisierung möglich, ohne dass die Gefahr einer Wie-
derholung besteht. Reinszenierungen müssen als solche erkannt werden und dürfen nicht zu
erneuten Verletzungen führen .90
Bei der Beantwortung der Frage, was nötig ist, damit sie sich
85
Vgl. Egle 2005: 83; Pynoos/Steinberg/Goenjian 2000: 277f.; Scherwath/Friedrich 2016: 36. 86
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 73. 87
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 75. 88
Vgl. Reddemann 2016: 57-59. 89
Vgl. Baierl 2014b: 73; Streeck-Fischer 2011: 464. 90
Vgl. Van der Kolk 2009: 583f..
14
wirklich sicher fühlen können, sollten die Kinder einbezogen werden. Eine Kontaktaufnahme
seitens früherer Täter darf nicht möglich sein.91
Neben einem sicheren Ort müssen insbesondere auch sichere Beziehungen geschaffen wer-
den. Die positiven Bindungs- und Beziehungserfahrungen, die den Kindern elementar fehlen,
müssen mit neuen Bezugspersonen nachgeholt werden, um vorherige Erfahrungen zu korri-
gieren.92
Diese neuen Beziehungen sollten sich durch Kontinuität und Berechenbarkeit aus-
zeichnen.93
Erklärt die Bezugsperson dem Kind ihr Verhalten und macht sie ihr Handeln
transparent, trägt dies weiter zum Sicherheitsgefühl des Kindes bei.94
Kinder, die in ihrer
Vergangenheit keine Zuneigung ihrer selbst wegen erfahren haben, haben das Bedürfnis, be-
dingungslos angenommen und in ihren Gefühlen und ihrem Verhalten verstanden zu werden.
Auch nach Affektdurchbrüchen und Kränkungen müssen sie von ihrer Bezugsperson Warm-
herzigkeit und Verlässlichkeit erleben.95
Michaela Huber weist darauf hin, dass das emotiona-
le Alter bei Traumatisierung häufig nicht dem tatsächlichen chronologischen Alter der Kinder
entspricht. Die Interaktion sollte sich immer am emotionalen Alter orientieren. Dementspre-
chend ergibt sich eventuell das Bedürfnis umsorgt zu werden und Zuneigung auch auf körper-
licher Ebene beispielsweise durch Umarmungen oder Kuscheln zu erfahren. Zeigen Kinder
ein solches Bedürfnis, sollte auch dem nachgekommen werden.96
Im Gegensatz zu tatsächli-
chen Entwicklungsverzögerungen und Abweichungen zwischen chronologischem und emoti-
onalem Alter der Kinder kann Regression laut Monika Nienstedt und Arnim Westermann
auch bewusst stattfinden. Der scheinbare Rückschritt auf frühere Entwicklungsstufen dient
dann dem Aufbau von nahen, persönlichen Beziehungen. Regression ermöglicht es, dass
durch neue Bezugspersonen ehemals unbefriedigt gebliebene Bedürfnisse nachträglich befrie-
digt werden können.97
Das Umsorgen der Kinder kann also als grundlegender Aspekt einer
korrigierenden Beziehung gesehen werden. Nach Traumatisierung in Bindungsbeziehungen
sollte dem Kind zwischenmenschliche Nähe jedoch keinesfalls aufgedrängt werden. In einer
Heimeinrichtung kann das Kind zunächst Abstand zu den leiblichen Eltern gewinnen und sich
neu orientieren. Dadurch kann es ihm erleichtert werden, sich auf neue enge Beziehungen
einlassen zu können.98
91
Vgl. Baierl 2014b: 78. 92
Vgl. Garbe 2015: 40; Niestroj 2005: 142f.; Nienstedt/Westermann 2007: 78. 93
Vgl. Baierl 2014b: 78; Streeck-Fischer 2011: 465. 94
Vgl. Hantke/Görges 2012: 145f.. 95
Vgl. Garbe 2015: 40. 96
Vgl. Huber 2003: 106. 97
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 124-126. 98
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 28; Schmid 2010: 40.
15
Weiterhin sollten Situationen der Hilflosigkeit vermieden werden. Um der in der Vergangen-
heit schmerzlich erfahrenen Ohnmacht gegenzusteuern, sollten den Kindern in einem be-
grenzten Rahmen Entscheidungen überlassen werden, damit sie Kontrolle und Selbstwirk-
samkeit erfahren können. Auch wenn feste Regeln und Strukturen wichtig sind, um Sicherheit
zu bieten, hilft es den Kindern in bestimmten Situationen Wahlmöglichkeiten zu haben. Ist
eine Beteiligung der Kinder nicht möglich, müssen die Gründe für Entscheidungen für diese
nachvollziehbar sein.99
Baierl spricht in diesem Zusammenhang von „Muss-, Soll- oder Kann-
Regeln“ 100
. Eine weitere Erfahrung, die den Kindern fehlt, ist die Erfahrung eines positiven
Selbstbildes. Bekommen sie die Möglichkeit, Tätigkeiten, die ihnen Spaß bereiten, zu kon-
trollieren und zu ihrer eigenen Zufriedenheit abzuschließen, können sie Stolz und Freude
empfinden und sich langfristig auch größere Aufgaben zutrauen.101
Auch die Betonung von
Stärken und Begabungen der Kinder im Rahmen von Ressourcenorientierung trägt zur Ver-
besserung des Selbstbildes bei.102
Allgemein müssen neue, positive Lebenserfahrungen ge-
macht werden.103
Bei Entwicklungsschritten, die in der Herkunftsfamilie nicht bewältigt werden konnten benö-
tigen die Kinder Unterstützung. Die Wahrnehmung und der Ausdruck von Gefühlen und der
Umgang mit diesen müssen durch Koregulation begleitet und gefördert werden.104
Andere
Stressbewältigungsmechanismen als Kampf, Flucht oder Freeze-Reaktion müssen entwickelt
werden.105
Außerdem sollte das Neugierverhalten der Kinder gestärkt werden, damit sie sich
ihre Umwelt erschließen können.106
Auch das Körpergefühl kann häufig durch sportliche Ak-
tivitäten geschult werden, langfristig trägt dies zu einer Entspannung des Körpers bei und die
Kinder können zur Ruhe kommen.107
Positive und tragfähige Beziehungen sowie ein sicheres Umfeld stellen jedoch die unverzicht-
bare Grundlage dar, Kindern bei der Verarbeitung erlittener Traumatisierungen zu helfen. Auf
dieser Basis können die weiteren genannten Förderungen und Erfahrungen erfolgen, denn
„Beziehungsverletzungen können nur im Rahmen von Beziehungen geheilt werden“108
.
99
Vgl. Baierl 2014b: 77f.; Hantke/Görges 2012: 143-145. 100
Vgl. Baierl 2014b: 78. 101
Vgl. Baierl 2014b: 83; Garbe 2015: 40; Van der Kolk 2009: 583. 102
Vgl. Hantke/Görges 2012: 153f.; Huber 2003: 107. 103
Vgl. Streeck-Fischer 2011: 463f. 104
Vgl. Baierl 2014b: 80f.; Kindler u.a. 2010: 196; Scheurer-Englisch 2006: 81. 105
Vgl. Van der Kolk 2009: 583. 106
Vgl. Van der Kolk 2009: 584. 107
Vgl. Baierl 2014b: 81; Van der Kolk 2009: 583f.. 108
Scheurer-Englisch 2006: 82.
16
3 Traumapädagogik in der Heimerziehung
2015 lebten etwa 81.300 Kinder und Jugendliche in Deutschland in Einrichtungen der statio-
nären Kinder- und Jugendhilfe.109
Wie im ersten Abschnitt bereits gezeigt wurde, sind viele
dieser Kinder durch ihre vorherigen Erfahrungen belastet. Die Traumapädagogik mit ihren
unterschiedlichen Konzepten hat es sich zum Ziel gesetzt, diese Kinder und Jugendlichen bei
der Verarbeitung von traumatischen Erlebnissen und dem Umgang mit deren Folgen zu unter-
stützen. Die einzelnen Konzepte unterscheiden sich hinsichtlich ihrer disziplinären Bezüge
und Schwerpunktsetzungen.
3.1 Traumapädagogik als Fachdisziplin
Die stationäre Kinder- und Jugendhilfe reagierte Mitte der neunziger Jahre auf die pädagogi-
schen Herausforderungen im Umgang mit traumatisierten Kindern und deren spezielle Be-
dürfnisse, indem sie pädagogische Konzepte im Hinblick auf Traumatisierung entwickelte.
Die Traumapädagogik ist daher eine Fachrichtung, die sich direkt in der Praxis entwickelte.
Ihr Ziel ist es laut Wilma Weiß, die Bewältigungsstrategien der Kinder und Jugendlichen zu
verstehen und die Verarbeitung der Traumatisierung durch pädagogisches Handeln zu unter-
stützen.110
Traumapädagogik erfuhr mit der Zeit ein zunehmendes Interesse in der Fachöffent-
lichkeit, es kam zu einer fortlaufenden Weiterentwicklung und der Herausbildung unter-
schiedlicher Konzepte und Strömungen.111
Es ist wichtig, Traumapädagogik von Traumatherapie abzugrenzen, da es sich bei Traumapä-
dagogik um eine Unterstützung im Alltag handelt.112
Traumakonfrontation sollte dagegen nur
im therapeutischen Kontext stattfinden.113
Die Pädagoginnen und Pädagogen spielen jedoch
im Hilfesystem für Kinder mit Traumatisierung eine Rolle, die nicht unterschätz werden darf,
da sie im alltäglichen Leben der Kinder stets präsent sind.114
Traumapädagogik und Trauma-
therapie sollten sich daher gegenseitig unterstützen und ergänzen.115
Die Traumapädagogik
bedient sich unterschiedlicher Bezugsdisziplinen. Erkenntnisse aus der Neurobiologie, der
Psychotraumatologie sowie Psychoanalyse und Bindungsforschung leisten neben anderen
unverzichtbare Beiträge.116
Da die Traumapädagogik sich in ständiger Entwicklung befindet
109
Vgl. Statistisches Bundesamt 2016. 110
Vgl. Kühn 2014: 19; Weiß 2016a: 20. 111
Vgl. Frey 2014: 12; Kühn 2014: 19; Weiß 2016a: 20. 112
Vgl. Kühn 2014: 19; Weiß 2016a: 20. 113
Vgl. Biberacher 2013: 287. 114
Vgl. Biberacher 2013: 287; Kühn 2014: 22; Weiß 2016a: 21. 115
Vgl. Biberacher 2013: 287. 116
Vgl. Kühn 2011: 27; Weiß 2013b: 35.
17
und eine Vielzahl von Autoren mit unterschiedlichen Bezugsdisziplinen sich an dieser Ent-
wicklung beteiligen, kann von einer einheitlichen Traumapädagogik nicht die Rede sein. Un-
terschiedliche Konzepte setzen unterschiedliche Akzente. Dennoch gibt es einen Kern
traumapädagogischer Grundannahmen und Leitgedanken, die 2011 von der Bundesarbeitsge-
meinschaft Traumapädagogik (BAG Traumapädagogik) in einem Positionspapier zu trauma-
pädagogischen Standards zusammengefasst wurden. Einer dieser Grundsätze ist zunächst die
Annahme eines sogenannten „guten Grundes“ für das Verhalten der Kinder. Der Psychoana-
lytiker Bruno Bettelheim legte diese Haltung nahe, indem er schrieb: „Wenn wir also von der
Überzeugung ausgehen, daß unser Kind für sein Verhalten gute Gründe hatte, können wir
annehmen, daß es […] seiner Ansicht nach nur so reagieren konnte“117
. Diese Haltung soll
helfen, Verständnis für die oft unangemessen erscheinenden Verhaltensweisen der Kinder zu
entwickeln. Außerdem zählen zu den traumapädagogischen Grundsätzen die bedingungslose
Wertschätzung den Kindern gegenüber, die Partizipation an Entscheidungsprozessen sowie
Transparenz und die Förderung von Spaß und Freude.118
Zentraler Aspekt der Traumapäda-
gogik ist die Haltung der Fachkräfte gegenüber den Kindern und Jugendlichen, die diese
Grundsätze beinhaltet.119
Jacob Bausum fasst das Wesen der Traumapädagogik als Fachdisziplin treffend zusammen:
„Traumapädagogik ist eine Vielzahl unterschiedlicher Konzepte für die Arbeit mit Kindern
und Jugendlichen in allen pädagogischen Handlungsfeldern. Traumapädagogik ist also vor
allem die Idee einer pädagogischen Haltung und die Idee einer pädagogischen Bewegung“120
.
Einige Konzepte zur traumapädagogischen Arbeit gelten in der Fachliteratur als besonders
relevant, unter anderem die Pädagogik der Selbstbemächtigung nach Wilma Weiß.121
Einen
anderen Ansatz dagegen vertritt Marc Schmid. Diese beiden Auffassungen von Traumapäda-
gogik unterscheiden sich durch unterschiedliche Hintergründe und unterschiedlich motivierte
Zielsetzungen.
3.2 Die Pädagogik der Selbstbemächtigung nach Wilma Weiß
Das Konzept der Pädagogik der Selbstbemächtigung wurde von Wilma Weiß entwickelt und
ist in der Fachliteratur anhand zahlreicher Veröffentlichungen weit verbreitet.122
Hintergrund
117
Bettelheim 1987: 113. 118
Vgl. Arbeitsgruppe Traumapädagogische Standards in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe 2013: 87-89. 119
Vgl. Baierl u.a. 2014: 60; Gahleitner 2013: 47; Schmid 2016: 81f.. 120
Bausum 2016: 305. 121
Vgl. Bausum 2016: 305; Kühn 2014: 21; Weiß 2016a: 23. 122
Vgl. Weiß 2016b; Weiß 2016c; Weiß 2013a; Weiß 2011a: 120-139; Weiß 2011b.
18
dieses Konzeptes ist die Reformpädagogik, die sich Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte.
Die Reformpädagogik wandte sich gegen die in den Schulen herrschende autoritäre und ge-
waltsame Erziehung.123
Ziel der Reformpädagogik war es, das Kind als Subjekt zu betrachten
und es in der Entwicklung von Selbstvertrauen und Individualität zu fördern.124
Es handelt
sich also bei dem Konzept der Selbstbemächtigung um einen Ansatz zur Unterstützung der
Traumaverarbeitung mit eindeutig pädagogischem Blickwinkel. Der reformpädagogische
Grundgedanke, das Kind vom Objekt zum Subjekt zu machen, ist auch Grundgedanke der
Pädagogik der Selbstbemächtigung wie im Folgenden deutlich wird.125
Grundlage des Konzeptes der Selbstbemächtigung ist, dass die Kinder in ihrer Vergangenheit
Objekte des Handelns Erwachsener waren und sich selbst nicht als handlungsfähig und
selbstwirksam erleben konnten. Ziel der Pädagogik der Selbstbemächtigung ist es, die Kinder
dabei zu begleiten, selbst Subjekt ihres Handelns zu werden und Kontrolle über ihr Leben zu
erlangen. Sie sollen von der ohnmächtigen Objektrolle in die Rolle eines selbstwirksamen
Subjekts versetzt werden.126
Emanzipation ist demnach Kernbestandteil.127
Diesen Grundsatz
beschreibt auch Judith Herman als zentrales Element der Traumatherapie.128
Herman bezieht
sich jedoch in erster Linie auf die Arbeit mit Erwachsenen. Laut Weiß sollen traumatische
Erfahrungen und Erwartungen korrigiert und die Autonomie der Heranwachsenden gefördert
werden.129
Weiß beschreibt Selbstbemächtigung als „das immer währende Ringen um ein
soweit als möglich selbstbestimmtes Leben“130
. Durch die oben erläuterten Folgen komplexer
kindlicher Traumatisierung sind jedoch gerade die Erfahrungen einer solchen Selbstwirksam-
keit erschwert. Durch traumatische Erwartungen besteht kein Vertrauen in die Welt oder in
die eigene Person. Zukunftserwartungen sind negativ geprägt und unangemessene soziale
Reaktionen, die durch Defizite in der Stressverarbeitung hervorgerufen werden, erschweren
die soziale Teilhabe der Kinder.131
Um diese Beeinträchtigungen zu kompensieren und trotz
dieser Selbstwirksamkeitserfahrungen zu ermöglichen, sollen die Kinder die Unterstützung
und Begleitung der Pädagoginnen und Pädagogen erhalten. Diese Unterstützung findet bei-
123
Vgl. Rothdeutsch-Granzer/Weiß 2016: 33. 124
Vgl. Rothdeutsch-Granzer/Weiß 2016: 34; Weiß 2013a: 36. 125
Auf die gesellschaftliche Ebene der Selbstbemächtigung, die Weiß insbesondere in neueren Veröffentlichun-
gen betont (vgl. Weiß 2016b: 94f.; Weiß 2016c: 300) wird hier nicht eingegangen. 126
Vgl. Weiß 2016b: 93. 127
Vgl. Weiß 2016c: 298. 128
Vgl. Herman 2003: 184. 129
Vgl. Weiß 2011a: 120f. 130
Weiß 2016b: 95. 131
Vgl. Weiß 2016b: 94.
19
spielsweise durch Sport und Bewegungsübungen oder der gemeinsamen Entwicklung und
Dokumentation von Strategien zur Affektregulation statt.132
Zentraler Bestandteil ist die Psychoedukation. Durch das von Fachkräften zur Verfügung ge-
stellte und an den Entwicklungsstand der Kinder angepasste Wissen über Gründe und Hinter-
gründe ihrer Gefühle und ihres Verhaltens sollen die Kinder von Schuld und Scham entlastet
werden.133
Die Psychoedukation umfasst Bereiche wie das Übertragungsgeschehen in Bezie-
hungen, Grundlagen der Bindungsforschung und die elementare Funktionsweise des Gehirns
einschließlich der durch Traumatisierung hervorgerufenen Veränderungen der Stressbewälti-
gung.134
Durch das Verstehen von Verhalten, das seinen Ursprung in traumatischen Erfahrun-
gen hat, soll eine Überprüfung stattfinden, ob das Aufrechterhalten des Verhaltens in der neu-
en Umgebung noch sinnvoll ist und schließlich eine Veränderung möglich werden.135
Weiß betont jedoch, nicht nur die Fachkräfte verfügten über Wissen zum Thema Traumatisie-
rung. Durch ihre Erfahrungen und die Strategien, die die Betroffenen selbst entwickelten, um
mit diesen umzugehen, seien auch sie als „Expert/innen für herausfordernde Lebenssituatio-
nen“136
zu sehen.137
Auch diese Haltung, Fachkraft und Kind können gegenseitig voneinander
lernen, hat ihren Ursprung in der Reformpädagogik.138
Die Bewältigungs- und Anpassungs-
leistungen der Kinder sollen dementsprechend als angemessene Reaktionen auf das ehemalige
traumatische Umfeld anerkannt und gewürdigt werden. Diese wertschätzende Haltung soll als
die bereits erläuterte Annahme des „guten Grundes“ auch den Kindern vermittelt werden. Da
diese spüren, dass ihre Coping-Strategien den Alltag stören, wirkt sich dieses Bewusstsein auf
ihr ohnehin meist beeinträchtigtes Selbstwertgefühl aus.139
Suchen Pädagoginnen und Päda-
gogen mit ihnen gemeinsam nach dem „guten Grund“ hinter dem Verhalten, fördert dies die
Selbstakzeptanz der Kinder.140
Wie oben beschrieben soll durch Verstehen Veränderung mög-
lich werden. Die Würde der Kinder zu achten, ihr Leid anzuerkennen und ihre Überlebensleis-
tungen wertzuschätzen sind weitere wichtige Aspekte der Traumapädagogik nach Weiß.141
Um ein solches Konzept einer selbstbemächtigenden Pädagogik umsetzten zu können, sind
laut Weiß Fachkräfte notwendig, die über entsprechendes Wissen über Traumafolgen verfü-
132
Vgl. Weiß 2016c: 269f.. 133
Vgl. Weiß 2016b:100; Weiß 2016c: 148. 134
Vgl. Weiß 2016c: 291f.. 135
Vgl. Weiß 2011a: 123f.; Weiß 2016c: 292f.. 136
Weiß 2016b: 99. 137
Vgl. auch Weiß 2016c: 294. 138
Vgl. Rothdeutsch-Granzer/Weiß 2016: 37 139
Vgl. Weiß 2011a: 121. 140
Vgl. Weiß 2016c: 293. 141
Vgl. Weiß 2016b: 98; Weiß 2016c: 294.
20
gen und dem Verhalten der Kinder mit Wertschätzung begegnen.142
Um Selbstwirksamkeit
vermitteln zu können, müssen sie sich selbst im Kontext der Einrichtung als selbstwirksam
erleben und zur Selbstreflexion fähig sein. Die entsprechenden Voraussetzungen sind in der
Einrichtung zu schaffen.143
Diesem traumapädagogischen Ansatz liegt ein humanistisches Menschenbild zugrunde, das
dem Menschen prinzipiell die Fähigkeit zur Selbstbestimmung zuspricht. Den Kindern wird
grundsätzlich mit Wertschätzung begegnet und sie werden so angenommen wie sie sind. Sie
werden als gleichwertige Interaktionspartner anerkannt und entsprechend behandelt. Aufgabe
der Fachkräfte ist laut Weiß, die Heranwachsenden durch Begleitung bei der Traumaverarbei-
tung dabei zu unterstützen, sich von Abhängigkeiten zu befreien.144
Dem Konzept liegt keine
eigene Forschung zugrunde, es stützt sich neben Bezügen aus der Reformpädagogik auf, von
Erkenntnissen der Psychotraumatologie abgeleitete, korrigierende Elemente. So sollen die
Erfahrungen, die den Kindern ermöglicht werden, Erfahrungen aus traumatischen Situationen
entgegenwirken.145
Ob dies ,in der von Weiß beschriebenen Form, den Kindern tatsächlich
hilft, wird nicht belegt. Trotz fehlender wissenschaftlicher Evaluation scheint das Konzept der
Selbstbemächtigung als traumapädagogische Methode anerkannt.146
3.3 Traumapädagogik im Verständnis von Marc Schmid
Einen anderen Zugang zur Traumapädagogik verfolgt Marc Schmid. Der Diplompsychologe
ist in der Kinder- und Jugendpsychiatrie tätig. Er fordert eine enge Kooperation zwischen der
Kinder- und Jugendhilfe und der Kinder- und Jugendpsychiatrie.147
Durch Anlehnung seines
Verständnisses von Traumapädagogik an die Dialektisch Behaviorale Therapie, eine Methode
der Verhaltenstherapie, lässt sich sein verhaltenstherapeutisch beeinflusster Blickwinkel er-
kennen. Das Ziel seines Ansatzes ist es, „die kinder- und jugendpsychiatrische Symptomatik
zu reduzieren“148
und ein gesellschaftlich akzeptiertes Verhalten der Kinder zu erreichen.149
Eine wissenschaftliche Grundlage für dieses Konzept besteht in Grundzügen. Die Wirksam-
keit der Dialektisch Behavioralen Therapie, auf die Schmid sich beruft,150
ist wissenschaftlich
142
Vgl. Weiß 2011b: 180. 143
Vgl. Weiß 2013a: 154. 144
Vgl. Weiß 2013a: 146. 145
Vgl. Weiß 2011a: 134. 146
Vgl. z.B. Bausum 2016: 305; Kühn 2014: 21. 147
Vgl. Schmid 2010: 58; Schmid 2009: 6; Schmid 2008: 303; Schmid/Goldbeck 2010: 470;
Schmid/Goldbeck/Fegert 2006: 369. 148
Schmid 2009: 8. 149
Vgl. Schmid 2009: 9f.. 150
Vgl. Schmid 2008: 303.
21
nachgewiesen, in erster Linie jedoch auf Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung be-
zogen.151
Auch die Wirksamkeit bei Komorbidität mit Posttraumatischer Belastungsstörung
ist bestätigt.152
Die Übertragbarkeit auf Kinder in Einrichtungen der stationären Kinder- und
Jugendhilfe, die unter komplexer Entwicklungstraumatisierung leiden ist jedoch fraglich, da
es sich um einen anderen Kontext und kein therapeutisches Setting, sondern den Alltag der
Mädchen und Jungen handelt. Schmid u.a. legen diesen Transfer dennoch nahe.153
Grundgedanke seiner traumapädagogischen Auffassung, die er 2010 ausführlich in einem
Konzept beschreibt,154
ist es, die Fähigkeiten und Kompetenzen, die die Kinder in ihrer Her-
kunftsfamilie aufgrund traumatischer Bedingungen nicht entwickeln konnten, im pädagogi-
schen Alltag gezielt zu schulen und die defizitäre Entwicklung so nachträglich aufzuholen.155
Laut Schmid gilt es insbesondere die Selbstregulation zu verbessern, das Auftreten von disso-
ziativen Zuständen zu verringern, die Wahrnehmung des eigenen Körpers zu schulen und die
sozialen Kompetenzen weiterzuentwickeln. Außerdem sollen die Kinder lernen, mit Stress
angemessen umzugehen.156
Diese Förderung soll im Alltag der Wohngruppe fest verankert
sein und konsequent durchgeführt werden.157
Schmid vertritt eine strukturierte und formali-
sierte Form der Unterstützung. Teilweise werden Beobachtungsbögen oder Protokolle ge-
nutzt, etwa um die Emotionen, die im Laufe eines Tages auftreten, festzuhalten oder die eige-
ne Aggressivität auf einer Skala einzuordnen.158
Die Förderung, die er vorschlägt, sieht
Schmid in ihren Grundzügen in der Heimerziehung bereits verbreitet, er fordert jedoch diese
Förderung von Kompetenzen in den Mittelpunkt zu stellen und zu intensivieren.159
Dieser
Ansatz ist dem Skilltraining der Dialektisch Behavioralen Therapie sehr ähnlich, in dem in
einer Gruppe soziale Fertigkeiten, der Umgang mit Stress und Gefühlen sowie Achtsamkeit
gefördert und trainiert werden.160
Auch die Stabilisierungsphase der Traumatherapie zielt auf
das Erlernen von Strategien zur Regulation von Affekten und Impulsen und die Kontrolle von
Dissoziation ab.161
Schmid selbst nennt die Dialektisch Behaviorale Therapie und die Trau-
matherapie als Bezugspunkte seiner traumapädagogischen Auffassung.162
151
Vgl. Burmeister u.a. 2014: 242. 152
Vgl. Burmeister u.a. 2014: 254. 153
Vgl. Schmid u.a. 2007: 342. 154
Vgl. Schmid 2010: 49-54. 155
Vgl. Schmid 2010: 47; Schmid 2008: 304; Schmid/Goldbeck 2010: 470. 156
Vgl. Schmid 2008: 303. 157
Zu beispielhaften Methoden zur Förderung der Kompetenzen siehe Schmid u.a. 2007: 349. 158
Vgl. Schmid 2010: 52. 159
Vgl. Schmid 2010: 53. 160
Vgl. Burmeister u.a. 2014:243. 161
Vgl. Dittmar 2013: 108. 162
Vgl. Schmid 2008: 303.
22
Neben der Schulung der genannten Fähigkeiten betont Schmid auch die Notwendigkeit von
korrigierenden Beziehungserfahrungen.163
Ebenso wie die Förderung der oben genannten
Kompetenzen sollen auch diese zwischenmenschlichen Erfahrungen strukturiert und konse-
quent herbeigeführt werden. Jedes Kind soll einmal wöchentlich zu einem festgelegten Zeit-
punkt exklusive Zeit mit dem entsprechenden Bezugsbetreuer oder der Bezugsbetreuerin ver-
bringen. Diese Zeit soll dem Kind Freude bereiten und den Rahmen dafür bieten, Resilienz-
faktoren des Kindes zu fördern. Die Förderung der Resilienzfaktoren ist von der Fachkraft im
Vorfeld zu planen und gezielt zu initiieren.164
Die Beziehung, die mit dem Kind eingegangen
wird, kann daher als Instrument zur weiteren Förderung des jungen Menschen gesehen wer-
den. Die Intensität dieser Beziehung beschreibt Schmid als idealerweise emotional besetzt,
aber dennoch distanziert genug, um zu jedem Zeitpunkt Professionalität und Reflexion zu
ermöglichen. Mit „professionellen hoffnungsvollen Bindungen“165
soll verhindert werden,
dass zu enge Bindungen entstehen, die potentiell weitere belastende Bindungsabbrüche für
das Kind darstellen können, wie sie eventuell in der Herkunftsfamilie oder vorangegangenen
Hilfen erlebt werden mussten.166
Das Prinzip der hoffnungsvollen Bindungen stammt ur-
sprünglich von Angie Hart, die in dem Aufbau mehrerer guter Beziehungen zu betreuenden
Erwachsenen eine Chance für Kinder ohne primäre Bindungspersonen sieht.167
4 Traumaverarbeitung in Pflegefamilien
Deutschlandweit lebten 2015 etwa 71.500 Kinder in Pflegefamilien.168
Anders als in der Hei-
merziehung, ist in Pflegefamilien bei Dauerhaftigkeit der Hilfe durch die Tatsache, dass nur
ein Kind mit schwerer psychischer Belastung in der Familie aufgenommen werden sollte169
,
eine andere Art von Beziehungsaufbau möglich. Auch für Kinder in Dauerpflegefamilien gibt
es Theorien, wie die Verarbeitung einer Traumatisierung unterstützt werden kann. Viele die-
ser Konzepte wurden im Ausland veröffentlicht.170
Als deutsche Veröffentlichung ist die Ar-
beit der Autoren Monika Nienstedt und Arnim Westermann vielfach rezipiert. In ihrer Integ-
rationstheorie beschreiben sie, wie eine die Traumaverarbeitung unterstützende Beziehung
aufgebaut und gestaltet werden kann. Veröffentlichungen zum traumasensiblen Umgang mit
163
Vgl. Schmid 2010: 46; Schmid 2008: 303. 164
Vgl. Schmid 2010: 53; Schmid u.a. 2007: 347. 165
Schmid 2010: 48f. 166
Vgl. Schmid 2010: 48f.; Schmid u.a. 2007. 167
Vgl. Hart 2006: 208. 168
Vgl. Statistisches Bundesamt 2016. 169
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 28, so auch Tenhumberg/Michelbrink 2006: 121 unter Berufung auf
Nienstedt/Westermann. 170
Vgl. Ford /Albert/Hawke 2009; Lieberman/Van Horn 2009; Saxe/Ellis/Kaplow 2006.
23
Kindern in Pflegefamilien liegen unter anderem auch von Bettina Bonus, die eine „heilende
Pädagogik zur Anstrengungsverweigerung“171
erläutert und Marc Schmid u.a. vor, die an-
satzweise eine Professionalisierung von Pflegeeltern durch Psychohygiene, Supervision und
stundenweise Unterstützung durch Fachkräfte nahelegen.172
Da die Integrationstheorie von
Nienstedt und Westermann in der Fachöffentlichkeit großen Anklang findet, soll diese näher
erläutert werden.
4.1 Die Integrationstheorie nach Monika Nienstedt und Arnim West-
ermann
Vor dem Hintergrund der Frage, wie Kinder mit traumatischen Erfahrungen diese in neuen
Beziehungen verarbeiten können, entwickelten Monika Nienstedt und Arnim Westermann
1980 die Integrationstheorie.173
In ihren Grundzügen ist diese Theorie demnach schon über 35
Jahre alt. Das Buch „Pflegekinder und ihre Entwicklungschancen nach frühen traumatischen
Erfahrungen“174
, aus dem die folgende Darstellung der Integrationstheorie größtenteils ent-
nommen wurde, wurde jedoch 2007 weitgehend überarbeitet neu aufgelegt. Außerdem wer-
den die Autoren vielfach in der Fachliteratur zitiert.175
Die Aktualität der Inhalte ist demnach
noch immer gegeben.
Monika Nienstedt und Arnim Westermann vertreten die Ansicht, Traumaverarbeitung und die
Integration in eine neue Familie können nur gelingen, wenn diese Familie als Ersatzfamilie
gesehen und der Kontakt zur Herkunftsfamilie nicht aufrechterhalten wird. Es müsse deutlich
werden, dass das Kind sich von seiner Herkunftsfamilie löst und sich einer neuen Familie
zuwendet, um einen Schwebezustand der Kinder zwischen beiden Familien zu vermeiden.176
Die besondere Chance der Traumaverarbeitung ergebe sich in Pflegefamilien dadurch, dass
die familiale Umgebung den Übertragungen der Kinder viel Raum bietet177
und durch eine
„quasi therapeutische Beziehung“178
zu den Pflegeeltern traumatische Erfahrungen korrigiert
werden können.179
Ziel ist nicht, dass sich das Kind an eine neue Familie anpasst, sondern die
171
Bonus 2008: 220. 172
Vgl. Schmid u.a. 2014. 173
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 16f.. 174
Nienstedt/Westermann 2007. 175
Vgl. z.B.; Diouani-Streek 2015; Niestroj 2005; Nowacki 2007; Tenhumberg/Michelbrink 2006; Zitelmann
2016. 176
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 17; Ebd.: 28. 177
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 25. 178
Nienstedt/Westermann 2007: 103. 179
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 111.
24
Entwicklung einer neuen, individuellen Eltern-Kind-Beziehung.180
Grundlegend ist die An-
nahme, Beziehungen werden durch die Kinder aktiv gestaltet, indem diese ihre Bedürfnisse
äußern, die von der Bezugsperson erfüllt werden. Bei traumatisierten Kindern, die in eine
Pflegefamilie kommen, sind die Möglichkeiten, Bedürfnisse zu äußern jedoch zunächst meist
stark eingeschränkt oder nicht vorhanden.181
Die Integration der Kinder unterteilen die Autoren in drei Phasen, die sich jedoch überlagern
können.182
Die erste Phase ist typischerweise die der Anpassung. Kommt ein psychisch belas-
tetes Kind in eine Pflegefamilie, ist die Situation für das Kind meist mit ambivalenten Gefüh-
len verbunden, da einerseits die Hoffnung auf positive Beziehungserfahrungen besteht, ande-
rerseits jedoch die Angst vor erneuten Verletzungen vorherrscht.183
Um sich zu schützen, zei-
gen die Kinder in neuen, für sie nicht einschätzbaren Situation häufig überangepasstes Verhal-
ten und sind bemüht, sich unauffällig zu verhalten und Konflikte zu vermeiden. Es besteht die
Gefahr, dass diese Phase, in der die Kinder sich problemlos in ihr neues Umfeld einzufügen
scheinen, bereits als Integration fehlgedeutet wird. Durch erzieherisches Verhalten der Pfle-
geeltern oder Lob für die Anpassungsfähigkeit der Kinder kann der Druck entstehen, die
Überanpassung weiter aufrecht zu erhalten. Bekommen die Kinder nicht die Möglichkeit,
diese aufzugeben, ist Integration nicht möglich, da die Anpassung des Kindes rein oberfläch-
lich bleibt.184
Um zu erreichen, dass das Kind ausreichend Sicherheit gewinnt, um seine
schützende Überanpassung aufzugeben, dürfen die Pflegeeltern nicht versuchen, das Kind zu
beeinflussen. Vielmehr müssen sie sich von dem Kind beeinflussen lassen, sich „vom Kind an
die Hand nehmen lassen“185
, um ihm zu zeigen, dass es durch seine Bedürfnisse Einfluss auf
diese neue Beziehung hat und sich nicht erneut in eine überwältigende Abhängigkeit begibt.
Es ist für die meisten traumatisierten Kinder eine neue Erfahrung, die Personen, die zur Erfül-
lung ihrer Bedürfnisse fähig sind, beeinflussen zu können. Bekommen sie die Möglichkeit
diese Erfahrung nachzuholen, erleben sie Selbstwirksamkeit in Beziehungen und können die-
se zulassen.186
Der Versuch der Kinder, die Bezugspersonen zur eigenen Bedürfnisbefriedi-
gung zu bewegen, darf daher nicht als Machtkampf missverstanden und ausagiert werden.187
Haben die Kinder in ausreichender Form die Erfahrung gemacht, dass ihre Bedürfnisse wahr-
genommen und befriedigt werden, können sie die angstmotivierte Überanpassung aufgeben.
180
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 81f.. 181
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 83f.. 182
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 27. 183
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 86. 184
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 88f.; Nienstedt 2006: 57. 185
Nienstedt/Westermann 2007: 90. 186
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 90-92. 187
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 96.
25
Auf die Phase der Überanpassung folgt eine Phase, die laut Nienstedt und Westermann be-
sonders belastend für die Pflegeeltern ist und vermehrt mit dem Wunsch nach Beendigung des
Pflegeverhältnisses einhergeht.188
Es kommt zu der Reinszenierung traumatischer Erfahrun-
gen in Übertragungsbeziehungen. Die neuen Beziehungen werden durch Erfahrungen, die in
vorherigen Beziehungen gemacht wurden, überlagert. Die Kinder handeln vor dem Hinter-
grund vergangener Beziehungsmuster. Gerade dadurch ergibt sich die Möglichkeit einer wirk-
samen Korrektur traumatischer Erfahrungen.189
Der Kern der Traumaverarbeitung in der Pfle-
gefamilie besteht laut Nienstedt und Westermann darin, dass Pflegeeltern Übertragungsbezie-
hungen zulassen und nutzen können.190
Im Alltag können traumatische Erfahrungen, die in
einer bestimmten Situation gemacht wurden, durch eine andere Auflösung derselben Situation
korrigiert werden.191
Erfährt das Kind wiederholt und zuverlässig, dass die Pflegeeltern auf
bestimmte Situationen anders als die leiblichen Eltern, nicht mit Aggression, sondern mit
Wertschätzung, Verständnis und bedingungsloser Annahme reagieren, kann eine aufrichtige
Beziehung entstehen.192
Wissen über die Vergangenheit des Kindes hilft an dieser Stelle
Übertragungsreaktionen zu verstehen und einzuordnen. Andererseits können in Übertra-
gungsbeziehungen auch Erfahrungen der Kinder rekonstruiert werden.193
Bei der Wahrneh-
mung seiner Wünsche und seiner durch Übertragung aktualisierten Ängste und Wut kann das
Kind durch die Pflegeltern unterstützt werden, indem diese seine Affekte an dessen Stelle
formulieren und vermitteln, dass diese verständlich sind.194
Es hilft dem Kind außerdem, Wut
in der Übertragungsbeziehung den Pflegeeltern gegenüber ausagieren zu können.195
Auch das
Spiel mit erwachsenen Bezugspersonen nimmt in dieser Phase eine wichtige Rolle ein. Auf
der Spielebene können Affekte und Erfahrungen, die auf der Realitätsebene (noch) nicht ge-
zeigt werden können, erprobt werden.196
Schließlich kann es dem Kind durch die Unterstützung der Pflegeeltern und durch deren Be-
reitschaft, sich auf die Übertragungsbeziehung einzulassen gelingen, Abstand zu seiner Ver-
gangenheit zu erlangen und die Pflegeeltern, die die Bedürfnisse des Kindes befriedigen, von
den überwältigenden leiblichen Eltern zu unterscheiden.197
188
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 106. 189
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 103f.. 190
Vgl. Nienstedt 2006: 62. 191
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 111. 192
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 106. 193
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 108f.. 194
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 115. 195
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 118. 196
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 120. 197
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 121.
26
Ist dieser Punkt erreicht wird es möglich, dass das Kind die Pflegeeltern zu „seinen“ Eltern
macht. Dieser Aufbau einer neuen Eltern-Kind-Beziehung kann durch Regression, den in die-
sem Fall bewussten Rückschritt auf frühere Entwicklungsstufen, geschehen.198
Wie bereits
erwähnt können durch diese Wiederholung früherer Entwicklung ehemals unbefriedigt ge-
bliebene Bedürfnisse durch neue Bezugspersonen befriedigt werden. Die Eltern-Kind-
Beziehung wird mit den neuen Eltern von Beginn an durchlebt.199
Durch das Erfahren „leis-
tungsunabhängiger Anerkennung“ 200
kann so auch das Selbstwertgefühl der Kinder gestärkt
werden. Auf diese Regression folgen in der Regel auch die typischen Entwicklungsschritte
der Autonomieentwicklung.201
Nienstedt und Westermann sehen die Integration des Kindes in
der Pflegefamilie als gelungen an, wenn das Kind sich mit den Pflegeeltern identifiziert.202
Beide Autoren sind Diplompsychologen, die seit 1982 in ihrer gemeinsamen Praxis mit Pfle-
ge- und Adoptivkindern sowie mit Kindern, die in Heimeinrichtungen leben, arbeiten.203
Mit
Hilfe dieser beruflichen Erfahrung, aus ihren „Beobachtungen und Befunden“204
, entwickelten
die Autoren die Integrationstheorie. Demnach liegt zunächst keine wissenschaftliche Grund-
lage vor. Die Bestätigung sehen sie jedoch in Parallelen zu therapeutischen Abläufen bewie-
sen, die wissenschaftlich bestätigt seien.205
Dieser therapeutische Prozess wird von Judith
Herman mit den Phasen „Wiederherstellung von Sicherheit“ 206
, „Erinnern und Trauern“207
und „Wiederanknüpfung“208
beschrieben, die den von Nienstedt und Westermann beschriebe-
nen Phasen der Anpassung, der Wiederholung in Übertragungsbeziehungen und der Regressi-
on ähnlich sind. Weiterhin geben Nienstedt und Westermann an, ihre Erkenntnisse zur Integ-
rationstheorie bei mehr als 1000 Kindern, die sie behandelten, bestätigt gesehen zu haben.209
Dies genügt zunächst nicht wissenschaftlichen Ansprüchen, die Bestätigung der Integrations-
theorie ist mittlerweile jedoch auch auf wissenschaftlicher Basis vorangeschritten. Eine empi-
rische Studie aus dem Jahr 2007 untersuchte den Zusammenhang zwischen der gelungenen
Integration in eine Pflegefamilie und dem Auftreten der von Nienstedt und Westermann be-
schriebenen Phasen. Es zeigte sich ein besonderer Zusammenhang zwischen dem Auftreten
198
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 123. 199
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 125. 200
Nienstedt/Westermann 2007: 128. 201
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 127. 202
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 131. 203
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 415. 204
Nienstedt/Westermann 2007: 16. 205
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 27; Nienstedt 2006: 57. 206
Herman 2003: 215. 207
Herman 2003: 247. 208
Herman 2003: 279. 209
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 27.
27
der dritten Phase der Regression und einer gelungenen Integration. Keines der Pflegekinder,
die keine Regression durchlaufen hatten, konnte als integriert eingestuft werden.210
Die Wirksamkeit von Vermittlungsgrundsätzen für Pflegekinder, die Nienstedt und Wester-
mann in Anlehnung an die Integrationstheorie entwickelten, sehen sie unter anderem 2003
durch eine Studie zur Arbeit der Pflegekinderdienste in Hamm und Münster bestätigt.211
Die-
se Grundsätze sind die gute Vorbereitung und enge Begleitung der Pflegeeltern, eine fachlich
begründete Perspektivplanung, die zeitweise Unterbringung der Kinder in einer Heimeinrich-
tung, bevor sie in die Pflegefamilie aufgenommen werden, der Schutz vor Einfluss durch die
leiblichen Eltern und die separate Unterbringung von Geschwisterkindern.212
Tatsächlich
zeigten sich in der genannten Studie in den Verläufen der Pflegeverhältnisse Entwicklungs-
fortschritte der Kinder.213
Es irritiert jedoch, dass die durchschnittliche Hilfedauer lediglich
knapp fünf Jahre betrug, die Kinder demnach im Alter von etwa zehn Jahren die Pflegefamilie
verließen.214
Über Gründe und den folgenden Lebensmittelpunkt der Kinder gibt die Studie
keinen Aufschluss. Diese Daten sprechen nicht für eine tatsächliche Umsetzung der von
Nienstedt und Westermann erarbeiteten Grundsätze einer Pflegefamilie als dauerhafte Le-
bensform215
und lassen somit auch Zweifel an der Aussagekraft der Studie als Beleg für die
Wirksamkeit ihres Konzepts zu.
4.2 Die Relevanz der Herkunftsfamilie nach Irmela Wiemann
Die Ansichten von Nienstedt und Westermann spiegeln keinen fachöffentlichen Konsens
wieder. Irmela Wiemann beispielsweise sieht den Sinn von Pflegefamilien nicht darin, die
Herkunftsfamilie der Kinder zu ersetzen und den Lebensweg der Kinder von dieser zu tren-
nen.216
Ihre Auffassung ist herkunftsfamilienorientiert und systemisch. Obwohl Wiemann sich
nicht vorrangig auf Pflegekinder mit Traumatisierung bezieht, soll ihr Standpunkt erläutert
werden, da er sich bei unzureichendem Wissen über Traumatisierung und ihre Folgen auch
negativ auf die Hilfeplanung dieser Pflegekinder auswirken kann. Irmela Wiemann belegt den
Nutzen, den die Aufrechterhaltung der Zugehörigkeit zur Herkunftsfamilie den Kindern
bringt, nicht durch wissenschaftliche Forschung. Auf Grundlage der Bindungstheorie wird der
210
Vgl. Nowacki 2007: 191f.. 211
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 28. 212
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 28. 213
Vgl. ISS/LWL 2003: 35. 214
Vgl. ISS/LWL 2003: 72. 215
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 80. 216
Vgl. Wiemann 2008: 9.
28
universelle Schluss gezogen, der Abbruch von Bindungen sei grundsätzlich mit negativen
Folgen für das Kind verbunden.217
Die systemische Orientierung wird dadurch deutlich, dass Umgang mit den leiblichen Eltern
auch gegen den deutlichen Widerstand der Kinder durchgesetzt werden soll, da nicht davon
ausgegangen wird, dass diese sich tatsächlich von ihren Eltern abwenden.218
In jüngeren Ver-
öffentlichungen spricht sich Wiemann vor dem Hintergrund einer Traumatisierung jedoch,
zum Schutz des Kindes, deutlich gegen persönlichen Kontakt in Form von Umgang aus.219
Die Autorin geht davon aus, dass jeder Beziehungsabbruch, folglich auch die Trennung von
einer hochgradig traumatisierenden Herkunftsfamilie, für die Kinder eine schwere und lang-
fristige psychische Verletzung darstellt.220
Die Fremdplatzierung wird als „Katastrophe“221
für
das Kind bezeichnet. Dass dies auch die Beendigung katastrophaler Lebensbedingungen be-
deuten kann, scheint nicht gesehen zu werden. Im Widerspruch zu Nienstedt und Westermann
seien Kinder nur dann dazu bereit, in einer neuen Familie heimisch zu werden, wenn sie in-
nerlich Kontakt zu ihrer Vergangenheit halten können.222
Außerdem spricht sich Wiemann für
den Erhalt von Geschwisterbindungen aus.223
Den leiblichen Eltern räumt Wiemann eine kon-
stante Relevanz ein: „Die Herkunftsfamilie bleibt ein zentraler Teil des Lebens, auch wenn
das Kind bei Pflege- oder Adoptiveltern oder in einer Kinderdorffamilie lebt“224
. Sie spiele
eine wichtige Rolle für die Identität der Kinder.225
Um dem Kind die Situation zu erleichtern,
zwei Familien zu haben, sei eine Balance zwischen beiden Familien die Lösung. An dieser
Stelle vergleicht Wiemann Pflegekinder mit Scheidungskindern. Ähnlich wie diese die Klar-
heit bräuchten, beide Elternteile lieben zu dürfen, benötigten Pflegekinder die Erlaubnis des
Zugehörigkeitsgefühls zu zwei Familien.226
Wo Nienstedt und Westermann den „Schutz vor
konkurrierenden Beziehungsansprüchen“227
fordern, unterstützt Wiemann diese, indem sie in
ihrem Ratgeber für Pflege- und Adoptivfamilien schreibt es sei wichtig, dass die Kinder wis-
sen, ihre leiblichen Familien haben sie nicht vergessen. Dies könne durch Geschenke oder
Postkarten gezeigt werden.228
Obwohl sie den Wunsch der Kinder, nur eine Familie zu haben,
217
Vgl. Wiemann 2008: 3. 218
Vgl. Wiemann 1994: 140f.. 219
Vgl. Wiemann 2009: 150; Wiemann 2008: 8. 220
Vgl. Wiemann 2008: 3; Wiemann 1994: 160. 221
Wiemann 2008: 5. 222
Vgl. Wiemann 2008: 3. 223
Vgl. Wiemann 2009: 199-201; Wiemann 2008: 4f.; Wiemann 1994: 46f.. 224
Wiemann 2008: 6. 225
Vgl. Wiemann 2008: 6. 226
Vgl. Wiemann 2008: 6f.. 227
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 28. 228
Vgl. Wiemann 2009: 47.
29
anerkennt, wird dessen Erfüllung so entgegengewirkt.229
Gleichzeitig sollten die Pflegeeltern
dem Kind klar vermitteln, dass sie dessen Herkunftsfamilie nicht ersetzen können.230
Wie-
mann schreibt: „Herkunftseltern bleiben Eltern, allerdings solche, die Teilbereiche ihrer elter-
lichen Aufgaben abgegeben haben“231
. Das Pflegekind ist nach Standpunkt von Irmela Wie-
mann demnach ein Kind mit zwei Familien, das immer mit seinen leiblichen Eltern verbunden
bleibt.
Einen weiteren Beitrag zur Frage nach der Stellung der Herkunftsfamilie leistet Klaus Wolf.
Indem er eine ebenfalls systemisch ausgerichtete Herkunftsfamilien-Pflegefamilien-
Figuration beschreibt, kritisiert er sowohl das Konzept der Ersatzfamilie, mit der Zugehörig-
keit des Kindes zur Pflegefamilie, als auch das Konzept der Ergänzungsfamilie, mit der Zuge-
hörigkeit des Kindes zur Herkunftsfamilie, als zu total. Er betont die Vielfalt möglicher Kons-
tellationen und Beziehungen, die die Zugehörigkeit des Pflegekindes beeinflussen und zu sehr
unterschiedlichen Ergebnissen führen können.232
Seine Ausführungen beziehen sich jedoch,
ebenso wie die Wiemanns, nicht ausdrücklich auf Pflegekinder mit Traumatisierung. Sie kön-
nen daher nicht als eindeutige Gegenpositionen zu Nienstedt und Westermann gesehen wer-
den, die ihre Ansichten und Theorien explizit auf diese Pflegekinder beziehen.233
5 Übereinstimmung von Bedürfnissen und Hilfe
Wilma Weiß bezieht sich in ihrem Konzept der Selbstbemächtigung stark auf das Bedürfnis
traumatisierter Kinder nach Selbstwirksamkeit und Kontrolle. Dieses wird jedoch derart in
den Mittelpunkt gestellt, dass andere Bedürfnisse nachrangig behandelt werden und aus dem
Fokus geraten. Das Bedürfnis nach positiven Beziehungen ist zwar formal Bestandteil des
Konzepts,234
das Hinwirken auf Selbstbemächtigung und die Befreiung von Abhängigkeiten
scheint dem gegenüber jedoch überlegen zu sein. Weiß betont die Relevanz von Partizipation,
„weil sich dadurch die Gefahr einer erneuten Abhängigkeit von Bezugspersonen minimieren
lässt“235
. Die Abhängigkeit von Bezugspersonen als Gefahr zu betrachten, widerspricht der
Forderung nach korrigierenden Beziehungserfahrungen, die durch emotionale Öffnung und
Vertrauen in gewisser Weise immer Abhängigkeit bedeuten. Ebenso widerspricht dies der
229
Vgl. Wiemann 2008: 6. 230
Vgl. Wiemann 2008: 9. 231
Wiemann 2009: 41. 232
Vgl. Wolf 2015. 233
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 15. 234
Vgl. Weiß 2013a: 146f.. 235
Weiß 2011a: 135.
30
Warnung vor „zwanghafter Unabhängigkeit“236
, die Weiß an anderer Stelle ausspricht. Weiter
behauptet Weiß: „Die Anerkennung und Versorgung der eigenen Wunden wirkt sinnstiftend
und setzt Energie frei“237
. Kinder, die über lange Zeit in einem traumatisierenden Umfeld mit
ihren Bedürfnissen und ihren „Wunden“ alleine gelassen wurden, haben jedoch vielmehr das
Bedürfnis eben diese nicht mehr alleine versorgen zu müssen, sondern sich versorgen zu las-
sen.238
Anders als Weiß sehen Nienstedt und Westermann darin, dass die Kinder andere
Menschen dazu bewegen ihre Bedürfnisse zu erfüllen, eine wichtige Selbstwirksamkeitserfah-
rung.239
Sowohl die Betonung von Wertschätzung als auch die Unterstützung bei der Verbesserung
von Wahrnehmungs- und Selbststeuerungskompetenzen entsprechen den Bedürfnissen trau-
matisierter Kinder. Die Förderung findet jedoch durch den hohen Stellenwert von Psychoedu-
kation auf einer vorwiegend kognitiven Ebene statt. Weiß behauptet zwar wiederholt, die
Kinder würden die Erklärungen verstehen,240
da Belege fehlen scheint sich dies jedoch ledig-
lich auf Erfahrungen zu stützen.
Schmid bezieht sich dagegen stark auf das Bedürfnis der Kinder nach Struktur und Transpa-
renz, um Ohnmacht und Kontrollverlust zu kompensieren.241
Wertschätzung und das Ver-
ständnis für den „guten Grund“ der Kinder für ihr Verhalten werden von Schmid als Bestand-
teil einer traumapädagogischen Haltung erwähnt.242
Da das Ziel jedoch ist, störendes Verhal-
ten der Kinder zu beenden, kann von einer tatsächlich wertschätzenden Haltung, die die Kin-
der akzeptiert wie sie sind und sie versteht, keine Rede sein. Eben dieses Bedürfnis nach Ak-
zeptanz ist nach Entwicklungstraumatisierung laut Elke Garbe jedoch zentral.243
Das Ziel erneute Beziehungsabbrüche zu vermeiden ist im Interesse der Heranwachsenden.
Dies aber neben langfristiger Hilfeplanung244
dadurch zu erreichen, dass angebotene Bezie-
hungen in gewisser Weise distanziert bleiben und zu große Intensität vermieden wird, um die
Gefahr der Enttäuschung verringern,245
kann nicht unter einer korrigierenden Beziehungser-
fahrung, die den Bedürfnissen des Kindes entspricht verstanden werden. Einzelne positive
Erfahrungen in den Beziehungen zu unterschiedlichen Erwachsenen, wie Hart die „hoff-
236
Weiß 2011a: 112. 237
Weiß 2016b:101. 238
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 125f.. 239
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 124f.. 240
Vgl. Weiß 2016c: 291; Weiß 2013a: 148; Weiß 2011a: 125. 241
Vgl. Schmid 2010: 47; Schmid 2009: 8f.. 242
Vgl. Schmid 2016: 82; Schmid 2010: 46f.; Schmid 2009: 9. 243
Vgl. Garbe 2015: 40. 244
Vgl. Schmid 2010: 39; Schmid 2008: 303. 245
Vgl. Schmid 2010: 48f..
31
nungsvollen Bindungen“246
charakterisiert, sind zweifellos besser als jegliches Fehlen positi-
ver Beziehungserfahrungen, sie können jedoch nicht das Ziel der Kinder- und Jugendhilfe
sein. „Niemand würde dabei behaupten wollen, daß diese Bindungen wirklich ausreichend gut
sind, und niemand würde solche Bindungsbeziehungen als die einzigen für seine eigenen
Kinder wollen"247
, schreibt Hart. Beziehungen dienen bei Schmid als Instrument zur gezielten
Förderung von Resilienzfaktoren248
sowie als Möglichkeit der Steuerung249
und somit als wei-
tere Methode, die Anpassung der Kinder an gesellschaftliche Ansprüche voranzutreiben. Es
muss jedoch anerkannt werden, dass die Möglichkeiten intensiver Beziehungen in der Hei-
merziehung durch den institutionellen und professionellen Kontext eingeschränkt sind. In
Hinblick auf die Bereitstellung eines „sicheren Ortes“ entspricht das Konzept von Marc
Schmid den Bedürfnissen traumatisierter Kinder.250
Im Vergleich der Konzepte von Wilma Weiß und Marc Schmid fallen Parallelen auf. Sowohl
Schmid als auch Weiß legen Wert auf die Förderung von bei traumatisierten Kindern oft un-
zureichend entwickelten Kompetenzen in der Stressbewältigung, der Selbstregulation und der
Selbstwahrnehmung. Die Motivation die zu diesen scheinbar ähnlichen Zielen führt ist jedoch
unterschiedlich.
Weiß zielt darauf ab, den Kindern durch die Verbesserung dieser Kompetenzen die Kontrolle
über sich selbst wieder zu geben und durch diese neu erfahrene Kontrolle vergangene Ohn-
machtserfahrungen zu überwinden. Schmid dagegen sieht in den aufgrund der Traumatisie-
rung beeinträchtigten Bereichen Behinderungen bei der Verfolgung „langfristig geplanter
Verhaltensziele“251
, die darin bestehen, dass die Kinder ihr Verhalten dahingehend ändern,
dass sie in die Gesellschaft integriert werden können252
und „pädagogische Probleme“ 253
be-
hoben werden. Auffälligkeiten und Defizite im Verhalten und in der Persönlichkeitsentwick-
lung der Mädchen und Jungen sollen minimiert werden, um angemesseneres Verhalten her-
beizuführen.254
Die Motivation Schmids ist demnach ein verändertes, gesellschaftlich akzep-
tiertes Verhalten der Kinder und nicht deren subjektives Wohlergehen. Weiß dagegen will
diese bei der Entwicklung zu einer unabhängigen Persönlichkeit unterstützen.255
246
Hart 2006: 208. 247
Hart 2006: 208. 248
Vgl. Schmid 2010: 53. 249
Vgl. Schmid 2010: 40. 250
Vgl. Schmid 2010: 47; Schmid 2009: 8. 251
Schmid 2010: 44. 252
Vgl. Schmid 2009: 9f.. 253
Schmid 2010: 43. 254
Vgl. Schmid 2010: 44; Schmid/Goldbeck/Fegert 2006: 366. 255
Vgl. Weiß 2016b: 99.
32
Der psychologische Blickwinkel auf die Verarbeitung von Traumatisierung in einer Pflege-
familie von Nienstedt und Westermann stellt eindeutig Beziehungen in den Mittelpunkt und
sieht in ihnen das Potential eines annähernd therapeutischen Prozesses. Das in Abschnitt 2.3
genannte Bedürfnis nach Annahme und Verständnis ist zentral. Sicherheit und Berechenbar-
keit sollen, anders als bei Marc Schmid, nicht durch klare Strukturen und deren Transparenz
geschaffen werden, sondern im Gegenteil dadurch, dass den Kindern die Möglichkeit gegeben
wird, ihre Umgebung und ihre Bezugspersonen nach ihren Bedürfnissen zu beeinflussen. So
können die Kinder Selbstwirksamkeit erfahren. Natürlich muss beachtet werden, dass dies im
Rahmen einer Pflegefamilie, in der zwei Bezugspersonen einem Kind zur Verfügung stehen,
in anderer Weise möglich ist, als in einer Heimeinrichtung, in der mehrere Kinder mit beson-
derem Bedarf leben. Der „sichere Ort“ wird insbesondere durch die klare Trennung von der
Herkunftsfamilie gewahrt.256
Die gezielte Förderung bestimmter Fähigkeiten unterstützen die
Autoren nicht.257
Vielmehr sind sie der Ansicht, diese geschehe in Eltern-Kind-Beziehungen
ganz natürlich.258
Elke Garbe, die eine ähnliche Auffassung vertritt, formuliert es wie folgt:
„Sie [die Kinder] wollen angenommen und verstanden werden, damit sie den Entwicklungs-
faden wieder aufnehmen können“259
. Der Ansatz zur Traumaverarbeitung in der Pflegefamilie
nach Monika Nienstedt und Arnim Westermann beachtet demnach die Bedürfnisse traumati-
sierter Kinder, die in Abschnitt 2.3 dargestellt wurden.
In den Ausführungen der beiden Autoren werden Gegenpositionen zu den Ansichten sowohl
Schmids, als auch Weiß´ sehr deutlich. Im Widerspruch zu Weiß und in Bezug auf Psycho-
edukation schreiben sie: „[...] eine direkte Aufklärung des Kindes über diese Zusammenhänge
wird ihm nicht unmittelbar helfen, seine traumatischen, verletzenden Erfahrungen und die
daran gebundenen Gefühle und Vorstellungen zu verarbeiten und zu korrigieren“260
. Auch
Schmids Anspruch, die Kinder gezielt zu fördern und gleichzeitig korrigierende Beziehungen
zu ermöglichen, der in ähnlicher Weise auch von Wiemann vertreten wird,261
ist nach
Nienstedt und Westermann nicht zu erfüllen: „Alle Bemühungen, das Verhalten des Kindes in
eine bestimmte Richtung zu verändern oder bestimmte Fähigkeiten des Kindes zu fördern,
durch die es nur darin bestätigt wird, daß es selbst ohnmächtig und nicht in Ordnung ist, ste-
hen in unmittelbarem Widerspruch zu der Absicht, dem Kind zu ermöglichen, noch einmal
256
Ausführlich hierzu siehe Abschnitt 6. 257
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 92. 258
Vgl. Nienstedt/Westermann 2007: 80. 259
Garbe 2015: 40. 260
Nienstedt/Westermann 2007: 110. 261
Vgl. Wiemann 2009: 122.
33
neue, befriedigende Beziehungen zu entwickeln“262
. Die explizite Förderung defizitärer Ent-
wicklungen, die bei Schmid und Weiß zentral ist, spielt bei Nienstedt und Westermann keine
Rolle. Der Grund hierfür ist, dass das Ziel ein gänzlich anderes ist. Es geht nicht um ange-
messenes Sozialverhalten oder Selbstbemächtigung, sondern viel elementarer darum, dem
Kind eine neue Chance auf das Aufwachsen in einem wertschätzenden und haltgebenden Fa-
miliensystem zu geben, welche ihm in der Vergangenheit verwehrt blieb.
Der herkunftsfamilienorientierte Ansatz von Irmela Wiemann beachtet in seiner Betonung
von Bindungen nicht die oben erläuterten Besonderheiten, die sich bei traumatisierenden Bin-
dungserfahrungen ergeben, wie etwa Angstbindungen oder Bindungsstörungen. Nicht jede
Form von Bindung ist schützenswert. Zwar erscheint eine Angstbindung auf den ersten Blick
wie eine positive Eltern-Kind-Bindung, die um des Kindes Willen erhalten bleiben sollte.
Aufgabe von Fachkräften ist es jedoch, sich nicht von diesem ersten Eindruck täuschen zu
lassen, sondern sich in die Welt des Kindes mit seinen Abhängigkeiten hineinzuversetzen.
Irmela Wiemann betrachtet Familie und die Trennung dieser vor dem Hintergrund ihrer eige-
nen Sozialisation. Sie leitet in ihrem Ratgeber ein Kapitel zum Thema Trennungserfahrungen
von Pflegekindern mit den Worten „Denken wir zurück an unsere Kindheit. Erinnern wir uns
an Trennungen […]“263
ein. Die Sichtweise der Autorin entspricht aber mit sehr großer Wahr-
scheinlichkeit nicht der Sichtweise eines in seiner Herkunftsfamilie traumatisierten Kindes.
Da die Entscheidungen jedoch dessen Leben und Zukunft elementar betreffen, sollte das Erle-
ben des Kindes im Mittelpunkt stehen. Monika Nienstedt und Arnim Westermann gelingt
dieser Perspektivwechsel.264
Die daraus abgeleiteten Grundsätze befreien das Pflegekind von
den Verstrickungen und Abhängigkeiten in der Herkunftsfamilie und erlauben ihm neue El-
tern-Kind-Beziehungen einzugehen. Sie entsprechen durch das Einfühlen in das Kind und
aufgrund der gezeigten Übereinstimmung mit den Bedürfnissen traumatisierter Kinder besser
den Interessen des Kindes als der Ansatz von Irmela Wiemann. Dieser stellt die Kinder durch
die Betonung der Zugehörigkeit zu zwei Familien vor weitere innere Konflikte.265
Es zeigt sich, dass die Konzepte von Weiß, Schmid und Nienstedt und Westermann sich alle
an den Bedürfnissen traumatisierter Kinder orientieren, diese jedoch unterschiedlich gewich-
ten. Da Wiemann sich nicht ausdrücklich auf die Arbeit mit traumatisierten Kindern bezieht,
wird hier nicht weiter auf ihre Ansichten eingegangen. Dadurch, dass der Kern traumatischer
Erfahrungen mit Bindungspersonen im Gefühl des Ausgeliefertseins ohne schützende Bezie-
262
Nienstedt/Westermann 2007: 92; vgl. auch Nienstedt 2006: 58. 263
Vgl. Wiemann 1994: 160f.. 264
Vgl. z.B. Nienstedt 2006: 56; Nienstedt/Westermann 2007: 188-190; Westermann 2006. 265
Vgl. Wiemann 2008: 6f..
34
hungen besteht, kann der Kern der Verarbeitung dieser Erfahrungen im Aufbau solcher Be-
ziehungen gesehen werden. Demnach ist der Ansatz von Nienstedt und Westermann, der die-
sen Aspekt der Traumaverarbeitung hervorhebt, eine geeignete Hilfe. Schmid und Weiß rich-
ten ihre Konzepte auf Teilbereiche der Folgen von Traumatisierung, wie fehlende Selbstwirk-
samkeitserfahrungen oder Defizite in der Persönlichkeitsentwicklung aus. Den Kern aufrich-
tiger korrigierender Beziehungserfahrungen umfassen diese Konzepte nicht so intensiv wie
die Integrationstheorie. Zentrale Einschränkungen sind an dieser Stelle die Rahmenbedingun-
gen der Heimerziehung, wie Schichtarbeit und die Verantwortung der Betreuerinnen und Be-
treuer für mehrere belastete Kinder. Dies führt zu der Frage, welche Hilfeform für Kinder mit
komplexer Traumatisierung am besten geeignet ist und welche Konsequenzen die dargestell-
ten Erkenntnisse für die Hilfeplanung für traumatisierte Kinder haben sollten, um bestmögli-
che Unterstützung zu bieten.
6 Hilfeplanung für traumatisierte Kinder
Es ist gesetzlich festgelegt, dass das Jugendamt bei ernstzunehmenden Hinweisen auf eine
Kindeswohlgefährdung die Hilfen einzuleiten hat, die als „geeignet und notwendig“266
zur
Abwendung der Gefahr gesehen werden. Doch welche Hilfen sind geeignet und notwendig,
wenn ein Kind in seiner Herkunftsfamilie traumatisierenden Umständen und Beziehungen
ausgesetzt ist? Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Jedes Kind und jede Familie
ist anders, die Umstände und Hintergründe der familialen Situation variieren. Um dem Rech-
nung zu tragen, fordert das Gesetz die Einzelfallprüfung bei der Entscheidung über zu erbrin-
gende Hilfen.267
Dennoch lassen sich aus den Bedürfnissen traumatisierter Kinder einige
Grundsätze ableiten, die im Einzelfall zu überprüfen sind.
Eine Trennung von der Herkunftsfamilie durch Fremdplatzierung des Kindes ist in der Regel
notwendig, um die traumatischen Lebensbedingungen zu beenden und weitere erfolgreiche
Hilfen für das Kind zu ermöglichen.268
Ist die Entscheidung über eine Fremdplatzierung gefal-
len, stellt sich die Frage, welche Hilfe geeignet ist. Es muss entschieden werden, ob das Kind
seinen Lebensmittelpunkt in einer Heimeinrichtung oder in einer Pflegefamilie haben soll.
Das aus den vorherigen Erfahrungen resultierende Bedürfnis nach positiven Bindungserfah-
266
§8a Abs. 1 Satz 3 SGB VIII. 267
Vgl. §27 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII. 268
Vgl. Ertmer 2006: 125; Nienstedt/Westermann 2007: 78; Niestroj 2005: 140; Weiß 2011a: 99; Westermann
2004: 279.
35
rungen ist zentral.269
Die Möglichkeiten solche neuen, korrigierenden und stabilen Bindungen
aufzubauen sind in Pflegefamilien meist gut, da die Pflegeeltern große Teile ihrer Ressourcen
lediglich einem Kind zur Verfügung stellen können und dem Kind als konstante Bezugsper-
sonen dienen.270
In Einrichtungen der Heimerziehung sind die Bedingungen für korrigierende
Bindungserfahrungen dagegen meist schlechter, dies zeigt sich in der Bindungsrepräsentation
der Heranwachsenden.271
Roland Schleiffer untersuchte 2001 die Bindungsrepräsentation von
Jugendlichen in einer Einrichtung der Heimerziehung. Im Ergebnis waren nur 3% der Jugend-
lichen sicher gebunden, 55% verfügten über eine desorganisierte Bindungsrepräsentation.272
Die Aussagekraft der Studie wird jedoch dadurch eingeschränkt, dass alle Jugendlichen in der
selben Einrichtung lebten, es sich demnach um eine einrichtungsspezifische Problematik han-
deln könnte. In einer Studie aus dem Jahr 2007 wurde jedoch ebenfalls ein geringer Prozent-
satz sicher gebundener Heimkinder festgestellt, auch wenn dieser mit knapp 10% höher
war.273
Schleiffer sah in den Konzepten der Heimerziehung eine Verleugnung der Bindungs-
bedürfnisse und „Abhängigkeitsbedürfnisse“274
der Kinder und Jugendlichen. Dies lässt sich
auch aktuell in den erläuterten Konzepten der Heimerziehung erkennen, insbesondere durch
die Selbstbemächtigung Weiß´ wird ein „Abhängigkeitsbedürfnis“ ins Gegenteil verkehrt.
Schmid fordert „verführerische Beziehungsangebote der Kinder und Jugendlichen, die
zwangsläufig enttäuscht werden müssen, zu erkennen und zu regulieren“275
. Nienstedt und
Westermann betonen dagegen für traumatisierte Kinder in Pflegefamilien intensiv die Bezie-
hung zwischen Pflegeeltern und Kind. Kindler u.a. zeigen in einer Zusammenfassung mehre-
rer Studien zur Bindungsrepräsentation von Pflegekindern, dass die Gruppe der sicher gebun-
denen Kinder hier den größten Anteil darstellt.276
Die bereits erwähnte Studie aus dem Jahr
2007 stellt bei etwa 40% der Pflegekinder sichere Bindungen fest.277
Für die Zielsetzung kor-
rigierender Bindungserfahrungen ist für traumatisierte Kinder daher in der Regel die Unter-
bringung in einer Pflegefamilie geeignet. Die Interpretation der Studien ist jedoch unter Vor-
behalt zu sehen, da sich Alter und vorheriger Hilfeverlauf von Heim- und Pflegekindern häu-
fig unterscheiden278
und diese Faktoren ebenfalls einen Einfluss auf die Bindungsrepräsenta-
tion haben können. Ausnahmen für die Indikation einer Pflegefamilie können Kinder sein, die
269
Siehe Abschnitt 2.3. 270
Vgl. Kindler u.a. 2010: 136; Schmid u.a. 2014: 118. 271
Vgl. Kindler 2010: 305; Nowacki 2007: 174f. 272
Vgl. Schleiffer 2001: 118f.. 273
Vgl. Nowacki 2007: 165. 274
Schleiffer 2001: 275. 275
Schmid 2010: 48. 276
Vgl. Kindler u.a. 2010: 162. 277
Vgl. Nowacki 2007: 165. 278
Vgl. Schmid 2010: 40.
36
aufgrund schwerer Bindungsstörungen durch die Intensität der Beziehungen in dieser Lebens-
form überfordert wären. Für diese Kinder ist die Heimerziehung mit einem „Netz von profes-
sionellen hoffnungsvollen Bindungen“279
möglicherweise die geeignetere Hilfeform.280
So-
wohl Marc Schmid, als auch Monika Nienstedt und Arnim Westermann empfehlen jedoch,
die Kinder nicht direkt von der Herkunftsfamilie in die Pflegefamilie zu platzieren, sondern
einen zeitlich begrenzten Heimaufenthalt zwischenzuschalten. So können die Kinder stabili-
siert werden, Distanz zu ihren leiblichen Eltern gewinnen und die Anbahnung eines Pflege-
verhältnisses kann strukturiert und sorgfältig geplant erfolgen.281
Da sich korrigierende Bindungserfahrungen unter anderem durch Konstanz und Verlässlich-
keit auszeichnen,282
sollte das Pflegeverhältnis auf Dauer angelegt sein. Mériem Diouani-
Streek fasst anhand der Aufarbeitung mehrerer Studien zusammen, dass sich Diskontinuität
im Pflegeverhältnis negativ auf Verhaltensauffälligkeiten der Kinder auswirkt.283
Auch für die
Bindungsentwicklung sind derartige Hilfeverläufe schädlich.284
Diese Erkenntnisse bestätigen
die Notwendigkeit einer stabilen Dauerpflegefamilie. Eine gute Vorbereitung und enge Be-
gleitung dieser ist notwendig, um die Pflegeeltern auf die speziellen Verhaltensweisen und
Bedürfnisse traumatisierter Kinder vorzubereiten, Verständnis zu fördern und so Abbrüchen
vorzubeugen.285
Eine hohe Priorität für die Hilfeplanung sollte außerdem das Bedürfnis nach einem „sicheren
Ort“ haben. Damit Traumaverarbeitung gelingen kann, muss die Pflegefamilie ein solcher Ort
für das Kind sein. Nur in einem Umfeld, in dem das Kind sich sicher fühlt, ist es ihm möglich,
seine auf ein traumatisierendes Milieu ausgerichteten Verhaltensstrategien aufzugeben.286
Der
„sichere Ort“ bezieht sich nicht ausschließlich darauf, ob das Kind sich im Alltag mit der
Pflegefamilie und in seinen Beziehungen sicher fühlt, das Sicherheitsgefühl der Kinder wird
auch durch andere Faktoren beeinflusst. Besonders problematisch ist in diesem Zusammen-
hang der Umgang mit der ehemals traumatisierenden Herkunftsfamilie.287
Dieser fand nach
einer Studie aus dem Jahr 2012 bei etwa 53% der nach Inobhutnahme durch das Jugendamt in
279
Schmid 2010: 48f.. 280
Vgl. Schmid u.a. 2014: 126. 281
Vgl. Schmid 2010: 40; Nienstedt/Westermann 2007: 28. 282
Vgl. Streeck-Fischer 2011: 465; Baierl 2014b: 78; Weiß 2011a: 112. 283
Vgl. Diouani-Streek 2015: 164. 284
Vgl. Schmid u.a. 2014: 120. 285
Vgl. Helming u.a. 2010: 450; Nienstedt/Westermann 2007: 28; Schmid u.a. 2014: 119f.. 286
Vgl. Lang/Lang 2013: 109; Schmid 2010: 47. 287
Vgl. Köckeritz 2016: 365; Nienstedt/Westermann 2007: 28; Niestroj 2005: 144; Scheurer-Englisch 2006: 80;
Wiemann 2009: 150f..
37
einer Vollzeitpflegefamilie untergebrachten Kinder statt.288
Bei Betrachtung der Gründe für
die Inobhutnahme289
lassen sich bei vielen dieser Pflegekinder traumatische Erfahrungen mit
den leiblichen Eltern vermuten. Zunächst besteht durch Kontakt mit ehemaligen Tätern die
Gefahr einer Re-traumatisierung des Kindes.290
Außerdem entsteht bei Umgangskontakten
mit ehemals misshandelnden oder missbrauchenden Elternteilen für das Kind eine äußerst
verwirrende Situation. Die leidvollen Erfahrungen des Kindes scheinen nicht mit der aktuel-
len Situation des Kontaktes vereinbar, durch die das Leid des Kindes verleugnet wird. Dies
kann zur Entwicklung von Wahrnehmungsstörungen führen.291
Weiterhin stellt der Kontakt
mit den leiblichen Eltern die Sicherheit der Beziehungen in der Pflegefamilie in Frage.292
Monika Nienstedt verdeutlicht in einem Gutachten anschaulich das Erleben dieser Kontakte
eines traumatisierten Kindes.293
Der Umgang mit den leiblichen, als traumatisierend erlebten
Eltern, bedeutet für das Kind demnach eine große Belastung. Für die Hilfeplanung hat dies
zur Folge, dass der Umgang des Kindes mit den leiblichen Eltern kritisch geprüft und falls
notwendig ausgeschlossen werden sollte.
Teilweise wird kritisiert, §1684 BGB zur Umgangsregelung sei auf den Umgang von Schei-
dungskindern mit ihren getrennt lebenden Eltern ausgerichtet, nicht jedoch auf den Umgang
von Pflegekindern mit ihren leiblichen Eltern. Eine Übertragung sei aufgrund der unterschied-
lichen Hintergründe der Kinder problematisch.294
Bei Pflegekindern sei die gesetzliche Ver-
mutung aus §1626 Absatz 3 Satz 1 BGB, der Umgang mit beiden Elternteilen diene in der
Regel dem Kindeswohl, nicht ohne weiteres zutreffend.295
Auch die Kommentarliteratur be-
fasst sich in vielen Fällen vorrangig mit Trennungs- und Scheidungs-, nicht jedoch mit Pfle-
gekindern.296
Unabhängig von der Frage der Eignung der gesetzlichen Norm ist es möglich, den Umgang
der leiblichen Eltern mit dem Kind auszuschließen. Die leiblichen Eltern haben zwar zunächst
ein Recht auf Umgang,297
gefährdet dieser aber das Kindeswohl, kann er auch langfristig aus-
geschlossen werden.298
In einer möglichen Retraumatisierung kann eine solche Gefahr für das
288
Vgl. Remiorz 2012: 81. 289
Vgl. Remiorz 2012: 75f.. 290
Vgl. Baierl 2014c: 58; Himpel/Hüther 2004: 120f.; Wiemann 2009: 150f.. 291
Vgl. Ertmer 2006: 129; Niestroj 2005: 144f.; Wiemann 2009: 151. 292
Vgl. Himpel/Hüther 2004: 121; Nienstedt 2004: 147. 293
Vgl. Nienstedt 2004: 136-148. 294
Vgl. Heilmann 2014: 50; Salgo 2004: 19. 295
Vgl. Salgo 2004: 23. 296
Vgl. Rauscher 2008: 959ff.; Schlüter 2012: 291ff.; Schwab 2013: 363ff.. 297
Vgl. §1684 Abs. 1 BGB. 298
Vgl. §1684 Abs. 4 Satz 2 BGB
38
Kindeswohl gesehen werden ebenso wenn das Kind den Umgang konsequent ablehnt.299
Ins-
besondere bei Pflegekindern kann auch die sich negativ auswirkende Unsicherheit von Per-
spektiven und die Angst vor der Trennung von den Pflegeeltern zu einem Umgangsausschluss
führen.300
In der Praxis gilt der Umgangsausschluss jedoch als größtmöglicher Eingriff in das
Elternrecht und wird daher oft nur zurückhaltend angewendet. Umgangsausschluss mit einer
Dauer von mehr als einem Jahr wird laut Kommentarliteratur nur „in Ausnahmefällen“301
beschlossen. An anderer Stelle wird geschrieben, Umgangsausschluss sei nur unter „ganz au-
ßergewöhnlichen Umständen“302
zu beschließen. Der begleitete Umgang wird häufig als mil-
dere Form der Einschränkung gesehen,303
die oben genannten Belastungen für das Kind blei-
ben dadurch jedoch bestehen. Der gerichtliche Ausschluss des Umgangs ist daher in der Pra-
xis nicht immer unproblematisch. Auch wenn die leiblichen Eltern offiziell berechtigt sind,
persönlich Kontakt zu dem Kind zu halten, ist es unter Umständen jedoch auch außergericht-
lich möglich, diese dennoch davon zu überzeugen, darauf zu verzichten, um das Kind vor
Verunsicherung und Wiederbelebung des Traumas zu schützen.
Eine weitere Einschränkung des Sicherheitsgefühls des Pflegekindes kann die offene Perspek-
tive der Hilfe sein. Häufig steht die Rückführung der Kinder im Raum, wenn die leiblichen
Eltern Inhaber der elterlichen Sorge bleiben. Die Hilfepläne sind befristet. Die Möglichkeiten
den Kindern in diesem schwebenden Zustand überzeugend Sicherheit zu vermitteln, sind stark
eingeschränkt.304
Damit die Pflegefamilie für die Kinder einen sicheren Ort darstellen kann,
bedarf es folglich des Schutzes vor schädigenden Umgangskontakten sowie einer sicheren
Perspektive des Kindes in der Pflegefamilie. Außerdem muss das Kind auch vor Übergriffen
durch seine neuen Bezugspersonen geschützt sein.305
Werden die genannten Punkte bei der Hilfeplanung beachtet, bestehen für das Kind gute
Möglichkeiten, in einem geschützten Umfeld korrigierende Bindungserfahrungen zu machen
und die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten. Die in Abschnitt 4.1 erwähnten Vermitt-
lungsgrundsätze für Pflegekinder von Nienstedt und Westermann stimmen mit den hier dar-
gestellten Kriterien überein und bieten eine gute Orientierung.
299
Vgl. Gottschalk 2015: 270f.; Heilmann 2014: 53. 300
Vgl. OLG Celle 2013: Rn. 23.; Heilmann 2014: 52. 301
Gottschalk 2015: 266. 302
Rauscher 2008: 982. 303
Vgl. Gottschalk 2015: 266. 304
Vgl. Köckeritz 2016: 364f.; Schleiffer 2001: 86; Zitelmann 2016: 225. 305
Vgl. Zitelmann 2016: 225.
39
7 Fazit
Es wurde gezeigt, dass entwicklungstraumatisierte Kinder besondere Bedürfnisse und Interes-
sen haben, die sie nach der Trennung von ihrer Herkunftsfamilie in ihre neuen Beziehungen
und ihr neues Lebensumfeld einbringen. Diesen ist häufig nicht ohne weiteres zu entsprechen.
Die Praxis der Heimerziehung reagierte darauf mit der Entwicklung traumapädagogischer
Konzepte. Im Abgleich der beiden ausgewählten Ansätze mit den zuvor erarbeiteten Bedürf-
nissen der Kinder wurde deutlich, dass durchaus auf die speziellen Anforderungen eingegan-
gen wird. Durch die Betonung einzelner Aspekte geraten jedoch andere aus dem Blickfeld.
Eine ausreichende Entsprechung der speziellen Bedürfnisse und Interessen traumatisierter
Kinder kann weder bei Weiß, noch bei Schmid gesehen werden. Insbesondere die Ermögli-
chung korrigierender Bindungserfahrungen ist in der Heimerziehung problematisch.
Bessere Möglichkeiten bieten hier Pflegefamilien. Die Theorie der Integration richtet einen
besonderen Fokus auf den Aufbau einer neuen, positiven Eltern-Kind-Beziehung und ent-
spricht, insbesondere durch den geforderten Abstand zur Herkunftsfamilie, auch den weiteren,
durch die Traumatisierung hervorgerufenen, Bedürfnissen der Kinder.
In der Regel sind die Möglichkeiten der Traumaverarbeitung in Pflegefamilien besser als in
Heimeinrichtungen. Bedingung hierfür ist jedoch, dass bestimmte Voraussetzungen geschaf-
fen werden. Die dargestellten Besonderheiten traumatisierter Kinder können eine große Belas-
tung für die Pflegeeltern und das Pflegeverhältnis bedeuten. Da es sich bei Pflegeeltern in der
Regel nicht um Personen mit entsprechender Ausbildung handelt, ist beispielsweise Wissen
über Psychotraumatologie oder Übertragungsbeziehungen nicht vorauszusetzten. Um den
Erfolg der Hilfe zu gewährleisten, ist die Vermittlung dieses Wissens und eine enge und zu-
verlässige Begleitung der Pflegeeltern notwendig. Standards zur traumasensiblen Begleitung
von Pflegefamilien, ähnlich wie diese von der BAG-Traumapädagogik für die Heimerziehung
vorliegen, können zur Erfüllung dieser Bedingung beitragen.
Weiterhin muss die Pflegefamilie auch rechtlich zum „sicheren Ort“ werden, um dem Kind
langfristig Sicherheit zu vermitteln und Traumaverarbeitung zu begünstigen. Es darf nicht
möglich sein, dass Pflegekinder, nachdem sie Jahre in ihrer Pflegefamilie gelebt haben, zu
ihren leiblichen Eltern zurückkehren müssen, obwohl die Pflegeeltern zu ihren sozialen Eltern
geworden sind. Derzeit ist trotz bestehender rechtlicher Grundlagen durch das SGB VIII, in
dem die Möglichkeit geschaffen ist, die Pflegefamilie als dauerhaften Lebensmittelpunkt des
40
Kindes zu etablieren,306
in der Praxis die Sicherheit des Pflegekindes in der Pflegefamilie häu-
fig nicht gegeben.307
Eine Möglichkeit diese Sicherheit zu schaffen zeigt Maud Zitelmann auf,
indem sie ein Recht des Pflegekindes auf eine „Annahme als Pflegekind“308
fordert. Nach
Ablauf einer am Alter des Kindes orientierten Frist sollen die Pflegeltern einen Anspruch auf
die Übertragung der elterlichen Sorge erhalten.309
So kann aus der Pflegefamilie ein „sicherer
Ort“ für Kinder mit Traumatisierung werden. Wie das autobiographische Buch „Geschenkte
Wurzeln“ von Janine Kunze am Einzelfall zeigt, würden auch Pflegekinder ohne traumatische
Vorerfahrungen sehr von dieser Perspektivsicherheit profitieren.310
Weiterhin müssen Familienrichter und Familienrichterinnen, die über Umgangsregelungen
mit den leiblichen Eltern entscheiden, über entsprechendes außerjuristisches Wissen verfügen.
Sie müssen sich der besonderen Belastung, welche traumatisierte Kinder durch den Kontakt
zu ehemaligen Tätern erfahren, bewusst sein, um entsprechende Maßnahmen in Form von
Umgangsausschluss zum Schutz des Kindeswohls zu ergreifen. Dies ist ein weiterer notwen-
diger Schritt, um den Kindern glaubhaft Sicherheit vermitteln zu können.
Die dauerhafte Unterbringung traumatisierter Kinder in Einrichtungen der stationären Ju-
gendhilfe sollte idealerweise nur in begründeten Einzelfällen erfolgen, etwa wenn ausgeprägte
Bindungsstörungen vorliegen. In diesen Fällen können die Kinder von „hoffnungsvollen Bin-
dungen“, wie Hart sie beschreibt, profitieren.
Es fällt auf, dass die dargestellten traumapädagogischen Konzepte für Heimerziehung und
Pflegefamilien über keine oder lediglich ausschnittweise über wissenschaftliche Grundlagen
verfügen und empirisch nicht ausreichend gesichert sind. An dieser Stelle besteht For-
schungsbedarf, um festzustellen, von welchen der zahlreichen Ansätze die Kinder tatsächlich
profitieren. Auch wenn die Integrationstheorie Gegenstand einer bereits erwähnten Studie mit
vielversprechendem Ergebnis ist, ist die Anzahl der untersuchten Pflegeverhältnisse mit 27
recht gering. Zwar spricht das Ergebnis deutlich für die Bestätigung der Integrationstheorie,
eine größer angelegte Studie würde jedoch eine größere Aussagekraft ermöglichen.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass fachlich gut begleitete Pflegefamilien unter
den beschriebenen Voraussetzungen für Kinder mit Entwicklungstraumatisierung in der Regel
die besten Möglichkeiten bieten, um ihre Erfahrungen zu verarbeiten und Entwicklungsdefizi-
306
Vgl. §33 Satz 1 SGB VIII; §37 Abs.1 Satz 4 SGB VIII. 307
Vgl. Heilmann/Salgo 2014: 710. 308
Zitelmann 2014: 469. 309
Vgl. Zitelmann 2014: 427. 310
Vgl. Kunze 2013.
41
te zu kompensieren. Die Orientierung an der Integrationstheorie von Monika Nienstedt und
Arnim Westermann kann diesen Prozess zusätzlich unterstützen. Die gesetzlich festgelegte
Einzelfallprüfung ist jedoch bei der Hilfeplanung in jedem Fall vorzunehmen.
42
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Erklärung
Ich versichere, dass ich die Bachelor-Thesis ohne fremde Hilfe und ohne Benutzung anderer
als der angegebenen Quellen angefertigt habe und dass ich diese Arbeit weder in gleicher
noch in anderer Form einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt habe. Alle Ausführungen der
Arbeit, die wörtlich oder sinngemäß aus anderen Texten übernommen wurden, sind als solche
gekennzeichnet.
Oberursel, den 16.01.2017
(Klara Brendel)