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Josie-Marie Streck
Projekt NEST bei Bangalore, Indien
23.01.2017, Bericht 2
Nun bin ich schon fünf Monate in meinem Projekt, dem Kinderdorf NEST in Indien. Je länger ich hier
bin, desto mehr merke ich, wie tiefgehender die Beziehungen zu den Menschen, mit denen ich
zusammenlebe, werden. Mit meinen Mitfreiwilligen verstehe ich mich sehr gut. Man könnte
meinen, dass wir uns vielleicht öfters streiten, weil wir auf einem Zimmer leben, aber das ist gar
nicht der Fall. Durch meine Entsendeorganisation „die Franziskanerinnen Salzkotten“ haben wir eine
gute Vorbereitung bekommen, was Reflexion eines Ereignisses angeht. Genau das hilft auch, wenn
man Unklarheiten mit seinen Zimmerbewohnern hat. Ich spreche das ganz offen an und es ergibt
sich ein richtig gutes Gespräch darauf und ich bekomme mehr Klarheit und Klärung von Fragen.
Generell fehlt es uns an Gesprächsstoff nie, denn es passiert immer so viel hier!
Im November hatten wir den NEST-Home-Day, der sehr schön war. Es kamen ungefähr dreihundert
Menschen, denen ein Programm von den NEST-Kindern geboten wurden. Die Vorbereitungen für
das Programm waren sehr lang und es war den Fathers auch sehr wichtig, dass es an Perfektion
heranreicht. Die Leute, die kamen, sind nämlich finanzielle Unterstützer des NESTes.
Aufgrunddessen konnte ich gut verstehen, warum das Programm möglichst gut sein sollte, um auch
einen sehr guten Eindruck bei den Sponsoren zu hinterlassen, sodass sie hoffentlich weiter für das
NEST spenden.
Zuerst fand die Messe statt, die mit vielen Liedern von einem Chor begleitet wurde. Auch ich nahm
an den Übungsstunden des Chores teil, spielte Geige und Gitarre. Nach der Messe, begann dann das
einstudierte Programm, welches aus vielen traditionellen und modernen Tänzen, Reden und einem
kleinem lustigen Schauspiel, bestand.
Außerdem wurde auch die Akrobatiknummer und das Lied,
welches ich mit meinen beiden Mitfreiwilligen den Kindern
beigebracht haben, aufgeführt. Die Proben für die Akroba-
tikaufführung waren am Anfang echt ein Vergnügen, aber je
länger die Proben andauerten, desto langweiliger wurde es
für die Kinder und verloren sie die Motivation. Einem Tag vor
dem NEST-HOME-Day, hatte ich aber doch etwas Bauch-
schmerzen vor der Aufführung. Letztendlich hat aber alles gut geklappt, worüber ich sehr froh bin.
Abbildung 1: Endbild von dem Akrobatikprogramm
Nach diesem großen Tag, standen aber schon für mich, Kim und Franzi die Vorbereitungen für Sankt
Martin an. Es mussten schließlich die Laternen der Kinder gebastelt werden, das Schauspiel musste
geschrieben und geprobt werden, sowie auch die Sankt Martins-Lieder. So gestalteten wir also
wunderschöne Laternen mit den Kindern aus zwei Papptellern und einem Stock, zum Tragen. An
dem Abend, als es dann endlich soweit war, waren die Kinder selber total fasziniert, wie schön doch
die Laternen mit der Kerze innen drin aussehen und leuchten. Mit einem klassischen Sankt Martins-
Umzug machten wir uns auf zu den TEJAS (eine katholische Theologieschule). Auf dem Weg spielte
ich wieder einmal Gitarre und begleitete die Lieder. Als wir angekommen waren, führten wir das
Sankt Martins-Stück auf, was ein voller Erfolg war. Franzi spielte Sankt Martin, ich war der arme
Mann. Kim war die Erzählerin der Geschichte. Nach dem Stück gab es kleine Zuckerbrötchen, die wir
an dem Tag noch backten und so klang der Abend richtig schön aus.
Nach diesem beiden großen Tagen, ging dann aber erst einmal der normale NEST-Alltag weiter. So
konnten wir aber an unserem freien Tagen, gut rauskommen. So sind wir nach Bangalore gefahren
und haben uns mit zwei weiteren deutschen Freiwilligen getroffen, die wir auf dem Indien-Seminar
in Deutschland noch kennengelernt hatten. Es war das erste Mal, dass wir nach Bangalore gefahren
sind und ich habe deutlich bemerkt, dass diese Stadt schon sehr den Städten, die ich aus
Deutschland kenne, ähnelt. Sie ist eine ganz klar westlich orientierte Stadt. Es gibt unzählige
Shoppingmalls, saubere und besser asphalitierte Straßen, als in Kengeri und auch der Kleidungsstil
entspricht viel mehr dem „Westler“. In Kengeri tragen fast alle Frauen, Churidari oder Sarees. In
Bangalore hingegen sieht man viel mehr Mädchen, die Jeans und ein T-Shirt tragen. Außerdem
entsprechen die Preise in Shoppingmalls dem westlichen Standard, da besonders auch in diesen
viele westliche Marken angeboten werden. Essen ist aber auch teurer, als wenn man es auf der
Straße kaufen würde. Zuerst war es ungewohnt für mich in
Kengeri in diese kleinen Shops zu gehen und nach allem, dem
Verkäufer hinter der Theke, fragen zu müssen, was man
gerne haben möchte. Von Deutschland kannte ich das nur,
dass ich in einen Laden ging und ich mir selber alles nehmen
konnte, was ich wollte. Inzwischen finde ich aber die Art von
Einkaufen in Kengeri viel schöner, weil ich so viel mehr mit
dem Verkäufer/innen ins Gespräch komme und das macht
echt richtig Spaß. Einmal wollten wir passende Bangles
(Armreifen) für unsere neugekauften Kleider kaufen. So Abbildung 2: Wir, beim Shoppen von Bangles (Armreifen)
haben wir den Verkäuferinnen gleich die Farbe unsers Kleides gezeigt und sie hat uns so viele
unterschiedliche Armreifen, die alle gut gepasst hätten, gezeigt. Zwischendurch fragte ich immer,
was sie denn am Schönsten findet und so diskutierte und überlegte man gemeinsam. Diese
Atmosphäre, die zwischen dem Verkäufer und dem Käufer entsteht, habe ich in Deutschland und
auch hier in den Shoppingmalls, noch nie so erlebt.
Anfang Dezember ging es dann auch schon wieder in die Vorbereitungen für Weihnachten.
Zuerst stand ein Wettbewerb an von verschiedenen Weihnachtschören. So organisierten zwei
Brothers von den TEJAS drei
unterschiedliche Lieder, die mit unseren
Kindern gesungen wurden. Auch ich hatte
meinen Part mit der Gitarre und einer
zweiten Stimme. Am 11.12. fand der
Wettbewerb im NEST dann endlich statt.
Leider lief es nicht so gut, wie in den
Proben, aufgrund von technischen
Problemen. Der Tag war für mich sehr
aufregend, weil ich nicht so richtig
einschätzen konnte, inwiefern es den
Kindern wichtig war, zu gewinnen. Wir konnten keinen der ersten drei Plätze errreichen, aber unsere
Kids waren darüber nicht wirklich traurig.
Drei Tage später haben uns die Fathers gefragt, ob wir nicht Lust hätten, zu einer Veranstaltung der
Christ University zu gehen. Dort waren auch viele Chöre, sowie einige Bands, die auf einer sehr
großen Bühne aufgetreten sind. Es waren bestimmt über 1000 Gäste dort, die den Weihnachts-
liedern lauschten. Es war eine ganz besondere Atmosphäre, die mir sehr gut gefallen hat.
Wie jedes Jahr organisieren die Freiwilligen das Krippenspiel und so machten wir uns auch an die
Arbeit. Kim kannte ein schönes Krippenspiel aus ihrer Kirche in Deutschland und das wurde dann
von Kim und Franzi übersetzt. Ich hingegen beschäftigte mich mit den Weihnachtsliedern, die
zwischendurch in dem Krippenspiel gesungen werden sollten. Mein Aufgabe war nämlich, den
Weihnachtschor zu leiten. So habe ich fast jeden Tag mit dem kleinen Chor mit großem Spaß eine
halbe Stunde geprobt. Die Kinder hatten richtig Freude beim Singen, strahlten und klatschten mit,
Abbildung 3: Weihnachtssingen, der Wettbewerb zwischen versch. Chören
sodass es manchmal gar nicht so einfach war, zu sagen, dass die Probe zuende ist. Von der
Akrobatiknummer für den NEST-Home-Day hatten wir die Erfahrung gemacht, dass die Kinder oft
erst gar nicht zu den Übungsstunden gekommen oder, wenn sie kamen, schnell wieder weggelauf-
en, sind. Das war echt nicht so einfach, aber diese Proben mit meinem Chor, haben mich echt
positiv überrascht.
Am 23.12. wurde das Krippenspiel zum ersten Mal
vor der ganzen Schule aufgeführt. Das war ein
guter Auftritt, aber am Heiligabend, war meiner
Meinung nach, die zweite Aufführung noch besser.
Allgemein ist der Heiligabend gar nicht ruhig oder
besinnlich abgelaufen, wie ich das so
typischerweise von Deutschland kenne. Zuerst gab
es hier auch die Messe, wo ich spontan dann in
der Band vorne mitsingen sollte. Nach der Messe
wurde die Krippe, die ein Father mit den Kindern drei Wochen vorher, zusammen gestaltet hat,
bestaunt. Es wurde das Jesuskind gebracht und jeder durfte es auf den Kopf küssen. Danach wurde
es in die Krippe gelegt. So langsam machte sich aber auch der Hunger breit, sodass dann auch so
allmählich jeder Richtung Küche gegangen ist und ein sehr leckeres Essen genießen konnte.
Zwischendurch wurde schon immer laute Musik abgespielt, aber nach dem Weihnachtsessen wurde
die Lautstärke nochmal um einiges aufgedreht und es erinnerte mich an eine richtig große Party. Die
Kinder tanzten, eine Polonäse entstand und zusätzlich wurden noch einige Pauken geschlagen. So
war alles sehr laut und bunt. Die Kinder haben natürlich noch ihre Geschenke erhalten. Auch wir
Mitarbeiter hatten spät am Abend noch eine nette Runde, indem wir zusammen gequatscht,
gelacht und ein paar Snacks gegessen haben.
Den Tag danach habe ich mit den Eltern von Kim und Franzi, die über Weihnachten kamen, in
Bangalore verbracht. An dem Abend hatten wir noch
eine kleine deutsche Weihnachtsfeier mit Bescherung.
Jeder von uns hat mindestens eine Kerze geschenkt
bekommen und so war unser Zimmer mit Kerzenlicht
erfüllt. Es war ein ganz gemütlicher Abend! Es war mein
erstes Weihnachten ohne meine Eltern. Natürlich war
ich ein bisschen traurig, aber dieser Weihnachts-abend
am 25.12. war für mich doch wirklich einer von der ganzAbbildung 5: deutsche kleine Bescherungs- feier
Abbildung 4: Krippenspiel
wertvollen und schönen Art. Ich hab den „Heiligabend“ noch nie mit so vielen Menschen um mich
herum gefeiert, aber die Liebe füreinander war, in unserm für so viele Menschen dann doch etwas
kleinen Raum, unglaublich zu spüren. So habe ich mich total getragen gefühlt und auch gar nicht
mehr alleine. Es war ein besonderer Abend, den ich nicht missen möchte.
An dem Tag nach Weihnachten sind auch fast alle Kinder nach Hause zu ihren Eltern oder ihren
Verwandten gegangen. So kehrte das erste Mal wirklich Ruhe in das NEST ein. Franzi und Kim sind
mit ihren Eltern nach Hampi und Mysore für einige Tage gefahren. So war ich für diese Zeit mit nur 5
Kindern, einem Father und drei Misses hier. Das war die entspannteste Zeit für mich, die ich bis jetzt
hier im NEST je verbracht habe. Die Zeit konnte ich mit Ausschlafen, dem Vorbereiten des Geburts-
tagsgeschenkes für meine Mama, mit intensiven Gesprächen, Spielen und Filmen mit den Kindern
zusammen, nutzen. Die paar Tage habe ich sehr genossen. Als dann Franzi und Kim zurück mit ihren
Eltern kamen, haben wir zusammen mit den Kindern Silvester verbringen können. Wir spielten
gemeinsam ein paar Spiele bis Mitternacht. Die Gemeinschaft war echt gut. Wir gingen aufs Dach
der Schule, um die Silvesterknaller zu betrachten, aber leider flogen nur so zwei, drei weiter
entfernt. Da fehlte mir dann doch die gewohnte deutsche, feierliche Stimmung.
Dafür ging es dann aber schon zwei Tage später
mit einem Inlandsflug nach Kerala – ganz in den
Süden von Indien. Dort ist das Klima tropisch und
die Luft ist drückend, schwül und warm. Dafür
war der Eindruck der Landschaft für mich wie ein
Dschungel, von dem man echt nur träumen kann.
Wo man nur hinsieht, man sieht überall Palmen
stehen. Wir waren am indischen Ozean und
natürlich auch drin baden. Die Temperaturen sind herrlich warm und die Wellen können richtig hoch
gehen. Wir hatten viel Spaß! Mit einem gut klimatisierten Bus haben wir auch die vielen hohen
Berge erklimmen können. Auf denen konnten wir
nämlich die Teeplantagen betrach-ten, die
wirklich wunderschön aussehen. Egal von
welcher Seite ich aus dem Bus schaute, konnte
ich die Teebüsche sehen. Es war eine „Tee-Idylle“.
In Kerala habe ich auch meinen ersten Saree
gekauft (das ist ein 5-Meter-langer Stoff, den Abbildung 7: Teeplantagen auf Munnar
Abbildung 6: Backwaters
man um sich herumwickelt), die klassische indische Kleidung, die man an besonderen Festen trägt.
So ein Fest stand auch vor unserer Tür. Auf dem Gelände des Kinderdorfes steht ja die Schule, wo ich
unterrichte und alle Eltern der Schüler kamen an dem „Annual Day“ zu uns, um diesen zu feiern. Die
Kinder haben viele, viele Tänze einstudiert, Reden, kurze Schauspielstücke und ein Lied, welches ich
mit der Gitarre begleitet habe. Insgesamt ging das ganze Programm fünf Stunden. Das war wirklich
lang, aber trotzdem richtig schön. Und das tolle war ja: Wir konnten endlich unsere neugekauften
Sarees anziehen.
Jetzt steht schon am 10. Februar das Zwischenseminar
an. Und ich kann gar nicht glauben, dass jetzt schon ein
halbes Jahr um sein soll. Wir haben inzwischen so viel
erlebt und wir werden wahrscheinlich in Zukunft noch
ganz vieles neues Entdecken und Erleben. Das ist total
spannend! All die genannten Erlebnisse, werde ich nie
mehr vergessen. Sie waren einfach einzigartig und es ist
wunderschön, dass ich Teil der NEST-Familie sein darf
und ich ihren Alltag und alle Feste miterleben kann. Abbildung 8: Franzi, Kim und ich in
Sarees am Annual Day