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Theorie & Praxis Shiatsu Journal 50/2007 9 Zur Weiterführung der Meridianreihe im Journal, die ja sehr großen Anklang gefunden hat, möchten wir Euch dieses Mal einen Orginaltext von Masunaga Sensei präsen- tieren, der die Beiträge zum Meridianverständnis in der Folge von Masunaga einleiten soll. Wir laden alle Praktiker- Innen und LehrerInnen ein, die mit diesem System arbeiten oder sich darauf beziehen, ihre Ideen und Erfahrungen dazu zu formulieren und hier zu veröffentlichen. Der folgende Text wurde von Maria Silvia Parolin nach Italien mitgebracht, sie beschreibt auch im Vorspann, wie es dazu kam. In Italien wird derzeit in der FIS eine Übersetzung wichtiger Masunaga Texte ins Italienische erarbeitet. In Deutschland hatten wir im Jahre 2000 in Berlin unser Shiatsu Symposium, wo Pauline Sasaki, Tetsuro Saito, Kazinori Sasaki, Ryokio Endo und Akinubo Kishi ihr Shiatsu in der Nachfolge Masunagas vorstellten. Dabei war das Verständnis der Meridiane zentral - und sehr unterschied- lich. Wir wünschen uns, dass mit weiteren Beiträgen und Diskussionen in den nächsten Ausgaben des Journals die- ses große Thema - was wir von Masunaga gelernt, über- nommen und weiterentwickelt haben - auf dem Hintergrund unserer eigenen Erfahrungen in Praxis und Lehre darge- stellt und diskutiert wird. Das Verständnis der Meridiane kann uns vielleicht be- sonders anschaulich die Entwicklung im Shiatsu in den letzten 20 Jahren aufzeigen. Kiko Masunaga zitiert ihren Mann aus ihren letzten Gesprächen im Postscriptum von „Shiatsu et Medicine Orientale“ - Artikel von Masunaga aus der Zeit von 1966-1980: ... Die Meridiane sind das menschliche Leben selbst, in ihnen wohnt das Leben. Ein Ungleichgewicht ist nicht schlecht; es ist der Grund, warum der Mensch agiert. Ohne Aktion gibt es kein Leben... Das Denken im Dualismus von Gut und Schlecht ist ein Irrtum... Das habe ich verstanden, als ich die Meridiane studiert habe... Vorwort von Maria Silvia Parolin Sesshin no Tebiki von Shizuto Masunaga ist genau das, was der Titel verspricht: ein „Handbuch“, fast ein Taschenbuch, für die schnelle und leicht zu verwendende „Bewertung durch die Palpierung“. Darin sind die Manifestationen der 120 möglichen kyo-jitsu-Kom- binationen der zwölf Meridiane gesammelt, systematisch geordnet und mit Hinweisen zu ihren Funktionen vervollständigt. Das Mate- rial ist mit leichten Abweichungen und in anderer Form schon in „Zen Shiatsu“ und „Meridian Dehnübungen“ erschienen, hier je- doch ist es neugeordnet und wird durch drei kleinere Schriften eingeleitet. Das Büchlein, das zum internen Gebrauch am Iokai-Institut ge- Diagnose Handbuch mit einem Vorwort von Maria Silvia Parolin von Shizuto Masunaga

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Page 1: Journal 50 real Belichter - shiatsu-gsd.de · Akupunktur und Moxa, was die Tastdiagnose (setsushin oder sesshin) - eine der vier diagnostischen Methoden in der chinesi- schen Medizin

Theorie & Praxis

Shiatsu Journal 50/2007 9

Zur Weiterführung der Meridianreihe im Journal, die jasehr großen Anklang gefunden hat, möchten wir Euchdieses Mal einen Orginaltext von Masunaga Sensei präsen-tieren, der die Beiträge zum Meridianverständnis in derFolge von Masunaga einleiten soll. Wir laden alle Praktiker-Innen und LehrerInnen ein, die mit diesem System arbeitenoder sich darauf beziehen, ihre Ideen und Erfahrungen dazuzu formulieren und hier zu veröffentlichen.

Der folgende Text wurde von Maria Silvia Parolin nachItalien mitgebracht, sie beschreibt auch im Vorspann, wie esdazu kam. In Italien wird derzeit in der FIS eine Übersetzungwichtiger Masunaga Texte ins Italienische erarbeitet. InDeutschland hatten wir im Jahre 2000 in Berlin unserShiatsu Symposium, wo Pauline Sasaki, Tetsuro Saito,Kazinori Sasaki, Ryokio Endo und Akinubo Kishi ihr Shiatsuin der Nachfolge Masunagas vorstellten. Dabei war dasVerständnis der Meridiane zentral - und sehr unterschied-lich.

Wir wünschen uns, dass mit weiteren Beiträgen undDiskussionen in den nächsten Ausgaben des Journals die-ses große Thema - was wir von Masunaga gelernt, über-nommen und weiterentwickelt haben - auf dem Hintergrundunserer eigenen Erfahrungen in Praxis und Lehre darge-stellt und diskutiert wird.

Das Verständnis der Meridiane kann uns vielleicht be-sonders anschaulich die Entwicklung im Shiatsu in denletzten 20 Jahren aufzeigen. Kiko Masunaga zitiert ihrenMann aus ihren letzten Gesprächen im Postscriptum von„Shiatsu et Medicine Orientale“ - Artikel von Masunaga ausder Zeit von 1966-1980:

... Die Meridiane sind das menschliche Leben selbst, inihnen wohnt das Leben. Ein Ungleichgewicht ist nichtschlecht; es ist der Grund, warum der Mensch agiert. OhneAktion gibt es kein Leben... Das Denken im Dualismus vonGut und Schlecht ist ein Irrtum... Das habe ich verstanden,als ich die Meridiane studiert habe...

Vorwort von Maria Silvia ParolinSesshin no Tebiki von Shizuto Masunaga ist genau das, was

der Titel verspricht: ein „Handbuch“, fast ein Taschenbuch, für dieschnelle und leicht zu verwendende „Bewertung durch diePalpierung“.Darin sind die Manifestationen der 120 möglichen kyo-jitsu-Kom-binationen der zwölf Meridiane gesammelt, systematisch geordnetund mit Hinweisen zu ihren Funktionen vervollständigt. Das Mate-rial ist mit leichten Abweichungen und in anderer Form schon in„Zen Shiatsu“ und „Meridian Dehnübungen“ erschienen, hier je-doch ist es neugeordnet und wird durch drei kleinere Schrifteneingeleitet.Das Büchlein, das zum internen Gebrauch am Iokai-Institut ge-

Diagnose Handbuch

mit einem Vorwort von Maria Silvia Parolin

vonShizuto Masunaga

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Pulsuntersuchung (Palpierung) gemeint sei, für die der klassischeAusdruck chhieh mo lautete. Und dieses enthalte eben als erstesZeichen setsu - „schneiden“.Wenn wir daran denken, dass Sima Qian im 1. Jh. v. Chr. einenAusdruck verwendete, der gewiss schon gebräuchlich war ... inwelche Zeit reichen dann unsere Wurzeln zurück?

Zhuangzi (ca. 365-290 v. Chr.), dessen Werk nach ihm ebenfalls als„Zhuangzi“ bezeichnet wird. Sein Hauptwerk Nan Hua Zhen Jing (Daswahre Buch vom südlichen Blütenland) gilt als das zweite wichtigste Buchdes Daoismus, in dem die daoistische Mystik voll entfaltet ist. (Anm. d. Ü.) Lu Gwei-Djen and Joseph Needham: Celestial Lancets. A History andRationale of Acupuncture and Moxa. Cambridge 1980.

Das Diagnose-Handbuch von Shizuto MasunagaViele der bisher entdeckten Meridiankarten sind nach imaginä-

ren Linien gezeichnet, die die Akupunktur- und Moxapunkte nachderen numerischer Anordnung verbinden, oder aber sie bilden die14 Meridiane als beinahe gerade Linien ab. Folglich müsste mansie eher „Linien der Punkte auf den Meridianen“ als „Meridian-linien“ nennen. Meiner Meinung nach jedenfalls wurde die wahreBeschaffenheit der Meridiane noch nicht beschrieben. Dennochhatte man keinerlei Probleme, die Akupunktur- und Moxapunkte zufinden, noch gab es Schwierigkeiten auf medizinischer Ebene.Nach der Erfahrung von Maruyama und Nagahama jedoch warendie Linien, die auf der Haut spürbar wurden, wenn man derReaktion auf die Akupunkturnadel folgte, in besonderen Fällengekrümmte Linien, bei denen der Verlauf der Meridiane eineunterschiedliche Dicke hatte. Diese Linien stimmen mit den bisdahin gezeichneten grob überein.

Das könnte an zwei Dingen liegen: Erstens konzentrieren sichAkupunktur und Moxa, was die Tastdiagnose (setsushin odersesshin) - eine der vier diagnostischen Methoden in der chinesi-schen Medizin - betrifft, auf die Pulsdiagnose, während die Diagno-sen an Hara, Rücken und anhand der Meridiane nur als Hilfs-diagnosen angewendet werden. Zweitens war das Augenmerksolcher Diagnosen immer auf die Meridianpunkte gerichtet, undman maß der Diagnose von kyo und jitsu in den Meridianen selbstkeine große Bedeutung bei.

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dacht war, hat während meiner dortigen Ausbildung meine Auf-merksamkeit erregt: Denn ich sah manchmal, dass die Lehrer nacheiner Behandlung darin nachschlugen, um eine ihrer Diagnosen zuüberprüfen. Es war vor allem das Vorwort, das mein Interesse fand,denn ich war - als Westlerin - auch für die theoretischen undhistorischen Aspekte von Masunagas Forschungsarbeit empfäng-lich. Denn nach einer anfänglichen, beglückenden und längerandauernden Versenkung in die Praxis begann ich tatsächlich, mirund anderen Fragen zu diesen Themen zu stellen.Die drei Einleitungen lieferten mir zum ersten Mal historischeHinweise zu den Etappen von Masunagas Forschung, die sich aufdie Meridiane am ganzen Körper bezog (und die nach Europa inForm von der bereits vollendeten Meridiankarte kam): 1970, 1974,1977.Mich faszinierte außerdem, wie Masunaga das Zeichen setsu vonsetsushin interpretierte, indem er das geläufige Zeichen mit demhomonymen Signifikant „schneiden“ ersetzte - genau das Zeichen,das im Begriff setsu-myaku enthalten ist und das wir mit „Puls-diagnose“ übersetzen. Dies war fast eine Erleuchtung - für mich,nicht nur aufgrund des kraftvollen Bildes, das in mir jenes Bild desMetzgers aus einem Kapitel des Zhuangzi in Erinnerung rief. DieseInterpretation legte einen Zusammenhang zwischen der grundle-genden Bedeutung der Palpierung im Shiatsu und ihrer zentralenStellung auch im Original der chinesischen Meridiantechniken -zwischen der Shiatsutechnik und der alten Technik der Puls-diagnose - nahe und bewies diesen Zusammenhang zugleich.Deshalb hat es mich sehr bewegt, als ich Jahre später bei derLektüre von Celestial Lancets von Lu Gwei-Djen und JosephNeedham in einer Fußnote, die chinesische Zeichen enthielt, dieBestätigung von Masunagas These fand, und zwar in Zusammen-hang mit einem Zitat eines Abschnitts aus dem Werk von SimaQian (dem großen Historiker der Han-Dynastie, 1. Jh. v. Chr.).Das Zitat betrifft einen Abschnitt in Dialogform zwischen demgroßen Arzt Pien Chhio und einem Erzieher des Hofes. Dieser sagtüber den legendären Yu Fu: „Eine einfache Untersuchung genügteihm, um die Krankheitsursache zu finden, wie wenn sie sich in denAkupunkturpunkten widerspiegeln würde.“Die Anmerkung von Needham besagt, es liege nahe, dass mit demin diesem Fall verwendeten Begriff (einfache Untersuchung) die

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Ein Spruch der alten chinesischen Medizinschule Toeki be-sagt: „Der Bauch ist der Ursprung des Lebens, deswegen stammtvon hier jede Krankheit. Um alle Krankheiten zu diagnostizieren,muss also der Bauch untersucht werden.“ Dieses Grundkonzeptder Bauchdiagnose, die eine japanische Besonderheit ist, hattekeinen großen Einfluss auf andere Meridianschulen. In die Diagno-se fand es keinen Eingang, ebensowenig wie die Tatsache, dassalle Meridiane nach den inneren Organen benannt sind und dassdie Punkte genannte Organe stimulieren und in der klinischenPraxis durchaus funktionieren.Todo, ein Vertreter des alten Stils, vertrat die These: „Zuerst denBauch machen, nicht zuerst die Diagnose machen.“ Diese Thesekann als mutige Interpretation des Shokanron betrachtet werden,aber sie müsste eine Deutung finden, die sich auf die Meridian-behandlung bezieht.

Zwei oder drei Methoden der Haradiagnose sind veröffentlichtworden - die wichtigsten Kriterien jedoch, um die Gültigkeit dieserDiagnosemethoden festzustellen, sind:

Wie leicht lässt sich ein Meridian in der Praxis von einemanderen unterscheiden?Inwieweit stimmt diese Diagnosemethode mit anderen Metho-den überein?Wie groß ist ihre therapeutische Wirksamkeit?Wie leicht lässt sie sich im Unterricht verbreiten?

Diese Meridiankarte ist auf der Basis einer mehrjährigen For-schungsarbeit des Autors erstellt worden. Hierfür wurden sowohlihre therapeutische Wirksamkeit als auch die Übereinstimmungvon Hara-, Rücken-, Meridian- und Pulsdiagnose in tausenden vonBehandlungen nach der Eröffnung des Iokai Shiatsu Kenkyusho,des Iokai-Shiatsu-Forschungszentrums, von Kurs- und Behandlungs-teilnehmern verifiziert. Natürlich wird sie Korrekturen erfahren, andie neuesten Forschungsergebnissen angepasst und dadurchimmer genauer werden.

Die Meridianverläufe, wie sie auf dieser Karte gezeichnet sind,sind von Therapeuten durch Ertasten bestätigt worden. Die Dickeder Meridiane ist in der Tat variabel, ebenso verändern sich ihreVerläufe und weichen voneinander ab. Auf der Karte habe ich siejedoch als einfache Linien beschrieben, um deren Verwendung

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leichter zu gestalten. Der Grund, warum diese Linien nicht immermit den traditionellen Meridianen übereinstimmen, ist, dass ich dermedizinischen Gültigkeit der Meridiandiagnose sowie der Behand-lung an der Körperoberfläche große Bedeutung beigemessenhabe. Wenn Sie also eine Diagnose durch Ertasten erstellen,indem Sie den Verläufen folgen, werden Sie das kyo-jitsu derMeridiane korrekt bestimmen und gleichzeitig die Wirksamkeit derBehandlungen vergrößern.

Um die Verwendung der Karte zu vereinfachen, sind dieOrgane, die zum selben Element gehören, in derselben Farbegezeichnet. Die Yin-Meridiane sind mit gestrichelten, die Yang-Meridiane mit durchgezogenen Linien dargestellt. Diese farblicheKennzeichnung gilt auch für die Hara- und Rückenzonen sowie fürdie Meridiandehnungen.

Auf den Karten der Hara- und Rückendiagnose habe ich jeweilsim weißen Bereich an Bauch und Rücken die Meridianlinienausgelassen; die Zonen der Yin-Meridiane habe ich schraffiertdargestellt, die der Yang-Meridiane mit dickeren Linien umrandet- auf diese Weise kann das kyo-jitsu der Meridiane an der Oberflä-che diagnostiziert werden.Dieselben Zonen können bei der Meridiantherapie behandeltwerden, wenn man ein Shiatsu ausübt, das das kyo tonisiert unddas jitsu verteilt.Da besonders die Bauchuntersuchung der Schlüssel für dieMeridiandiagnose ist und sie gleichzeitig einen wesentlichen Punktder Therapie darstellt, hoffe ich, dass eine korrekte Technik für dieDurchführung von Diagnose und Behandlung erlernt wird.

Die Diagnosemethode, bei der die Meridiane an den Extremi-täten gedehnt werden, wird wie folgt ausgeführt: Während Sie miteiner Hand einen Punkt als Angelpunkt fixieren (der Punkt ist miteinem gestrichelten Pfeil gekennzeichnet), dehnen Sie wie auf derAbbildung dargestellt die Extremität in Richtung des Pfeils, der alsdurchgezogene Linie gezeichnet ist. Auf diese Weise kommt derMeridian an die Oberfläche; so können Sie diesen Meridian, indemSie dem auf dem Meridian deutlich gewordenen kyo-jitsu folgen,mit einem tonisierenden oder sedierenden Shiatsu behandeln.Wenn Sie auf diesen Linien einen elastischen Widerstand wahr-nehmen oder wenn die Linien tatsächlich hervortreten, handelt essich um einen jitsu-Zustand. Wenn Ihnen jedoch der Meridian

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keinen Widerstand entgegenbringt und eingefallen ist oder wennan der Oberfläche die Kraft fehlt, aber der Meridian in der Tiefe hartist, handelt es sich um einen kyo-Zustand.Diese diagnostischen Techniken sind genauer als die traditionelleMeridiandiagnose; es gab sie im chinesischen System der vierDiagnosearten bisher nicht, sondern sie wurden mit dem Zielerfunden, das Do-in als zutreffende Diagnose nutzen zu können,die zugleich Behandlung ist.In den alten Texten maß man der Technikdes Ertastens auch im Rahmen einer Aku-punktur- oder Moxabehandlung eine beacht-liche Bedeutung bei. Beim sesshin werteteman nicht nur ausschließlich die Pulsdiagnoseaus, wie es heute geschieht.

Da aber die Tradition der alten Methodeanma nicht fortgesetzt wurde, kann man imheutigen anma die fernöstliche Technik derTastdiagnose nicht erlernen, da sie sich mitder westlichen Massage vermischt hat.Dadurch dass ich die Technik der Tast-diagnose, die im Shiatsu überlebt hat, wie-derbelebt habe, glaube ich, ein meridian-basiertes Diagnose- und Behandlungssystemwieder in Gebrauch gebracht zu haben, dasim traditionellen Shiatsu noch gar nicht exi-stierte. Deswegen bin ich davon überzeugt,dass es, wenn auch Akupunktur- undMoxatherapeuten auf diese diagnostischenTasttechniken unter Verwendung dieser Kartezurückgreifen würden, diesen gelingen wür-de, wahre fernöstliche Meridianbehandlungendurchzuführen. Warum diese Überzeugung?Bis jetzt wurde, um kyo und jitsu in denMeridianen festzustellen, die Technik ange-wandt, über die Körperoberfläche demMeridianverlauf folgend zu streichen. DieseTechnik ist falsch. Dank meiner Forschunghabe ich entdeckt, dass die Diagnose überdie Meridiane nichts anderes ist als eine derDiagnoseformen durch Ertasten, wie die Puls-und Rückendiagnose: D. h. man übt auf dieMeridiane einen statischen verlängertenDruck aus.

Das heißt: Das Zeichen setsu vonsetsushin bedeutet nicht „streichen“, son-dern „teilen, das Innere mit einem Messerschneiden, das unbeweglich aufgesetzt ist“.Diese Originalbedeutung des Zeichens hatsich in der Pulsdiagnosetechnik bewahrt. Beiden anderen Formen des sesshin (Rücken-, Hara-, Meridiandiagnose) wurde jedoch dasStreichen zur Diagnosetechnik. Die eigentli-che Bedeutung des sesshin wurde falschinterpretiert, und in der Folge wurde auch das Verständnis derMeridiane erschwert.Um eine korrekte Rücken-, Hara- und Meridiandiagnose zu ma-chen, benutzen Sie Ihre Finger wie bei der Pulsdiagnose, d. h.setzen Sie sie mit einem beständigen Druck auf, wie er in deraktuellen Shiatsutechnik üblich ist. Detaillierte Erklärungen undInformationen darüber, wie man diese Technik anwendet, könnenSie in anderen Schriften des Autors nachlesen.Ist einmal das kyo-jitsu der Meridiane mit dieser Methode festge-

stellt, möchte ich Ihnen deren Bedeutung auf einfache Weisevorstellen, um Ihnen verständlich zu machen, welche Art vonDiagnose Sie daraus ableiten und welche Therapie Sie anwendensollten.

Wenn man diese Untersuchung macht, ist es besser, nicht daskyo-jitsu in den Organen desselben Elements zu erheben, da man,was die Veränderung des kyo-jitsu am ganzen Körper betrifft, nur

sehr geringe Behandlungsergebnisseerzielt. Wenn ein Organ kyo oder jitsu ist,ist das - demselben Element zugehörige- andere sicherlich auch kyo oder jitsu imVergleich zu den Meridianen.Deshalb ist es besser, Kriterien für dieDefinition des kyo-jitsu festzulegen: Daskyo ist normalerweise Ursache der Krank-heit und hat nicht sichtbare Symptome,während das jitsu die oberflächlichenSymptome und die, von denen der Pati-ent berichtet, betrifft. Dies sollten Sie beider Verwendung des Handbuchs berück-sichtigen.(veröffentlicht 1970)

Die Entdeckung der zwölf Meri-diane am ganzen Körper

Vor vier Jahren habe ich eine Meridian-karte veröffentlicht, die so in den altenchinesischen Texten nicht vorkommt.Nach weiteren Forschungen lege ich Ih-nen diese überarbeitete und korrigierteAusgabe vor. Meiner Ansicht nach wirdsie im Vergleich zu der vorangehendennoch mehr Probleme für denjenigen, dersich mit Meridianen befasst, lösen. DieHauptfrage nämlich, die ich mir in Bezugauf die frühere Karte gestellt hatte, betrafdie drei Yang-Meridiane, die den sechsMeridianen am Bein hinzugefügt wurden.

In den alten Texten werden normaler-weise sechs Meridiane an den Armen,sechs an den Beinen beschrieben. Fastalle Akupunktur- und Moxapunkte befin-den sich auf diesen zwölf Meridianensowie auf dem Konzeptions- und demLenkergefäß, weshalb es keine Veran-lassung gab, nach weiteren Meridianenzu forschen.Manchmal wurden in der Therapie auchdie sechs besonderen Meridiane - zu-sätzlich zu Lenker- und Konzeptionsgefäß- verwendet. Da aber Punkte außerhalbder gewöhnlichen Meridiane nicht zuge-lassen waren, war die Karte, die auf den

14 Meridianen der alten Texte basierte, ausreichend.Es gibt auch Schulen, die Shiatsu für einen einfachen Druck auf

Punkte halten und die eine derartige Technik auch praktizieren. Willman jedoch eine manuelle Technik ausführen und gleichzeitig denMeridianen der fernöstlichen Tradition folgen, muss man so vorge-hen, dass man eher die kyo-jitsu-Punkte der Reihe nach behandelt,als dass man beliebigen Punkten auf den Meridianen folgt; d. h.man wendet die Tonisierung bzw. Sedierung an, indem man denMeridianen folgt - und entdeckt dabei auch noch wie von selbst die

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wirkungsvollen Tsubos. Nur drückt man nicht einfach die vorherbestimmten Zonen, sondern man übt einen Druck mit den Fingernaus und nimmt tatsächlich den Bereich, der reagiert, wahr.Das ist ein Shiatsu, das zugleich Diagnose und Therapie ist - undgenau das ist das Shiatsu, das mit der alten Tastdiagnose überein-stimmt.

Wenn man gleichzeitig die Technik der zweihändigen Behand-lung des yin-yang nach dem Iokai-Stil prakti-ziert, kann man das Fließen der Meridianezwischen den beiden Händen wahrnehmenund diese Wahrnehmung mit dem Patiententeilen. Auf diese Weise wurde nach und nachdie Existenz der zwölf Meridiane an denBeinen, den Armen und am Hals verifiziert.Wenn Krankheiten vorliegen, zeigen die Me-ridiane eine abnorme Resonanz. Bei derMehrheit der Patienten kann diese Reso-nanz im Shiatsu - wie bei der Akupunktur -verifiziert werden, in Sonderfällen aber nicht.Dass bei einem Patienten alle zwölf Meridia-ne zutage treten, ist sicherlich fast unmög-lich. In der Akupunktur und beim Moxa ist dersogenannte „normale Pulsschlag“ Ergebnisdes Tonisierens und Sedierens der kyosbzw. jitsus und zeigt einen Gesundheitszu-stand an. Im Shiatsu jedoch zeigt jede belie-bige gesunde Person, solange sie lebt, einegewisse Abweichung, und die ist bekannt alskyo-jitsu. In den alten Texten heißt es, dasseine Akupunktur- oder Moxabehandlung aufPunkten, in denen eine Abweichung durchShiatsu aufgelöst werden konnte, nicht not-wendig ist.Mit dem Meridian-Shiatsu können diese klei-nen Abweichungen als kyo-jitsu-Verände-rungen wahrgenommen werden, auch wennder Pulsschlag normal scheint, und zwarmittels der Meridian-Tastdiagnose an derKörperoberfläche.Auf diese Weise habe ich versucht, alle sechsMeridiane, die nach und nach näher be-stimmt wurden, mit sechs Farben auf derHaut eines nackten Modells korrekt darzu-stellen. An fünf Fällen habe ich die Gültigkeitdieser Karte in verschiedenen Zeitabständenüberprüft: Die neuen Meridiane wurden biszu ihrem Ende bestätigt, so dass ich be-schlossen habe, sie hier zu veröffentlichen.All diejenigen, die die Existenz der Meridianebezweifeln, die nicht in den alten Schriftenbeschrieben sind, sollten - das wäre meinWunsch - über zwei neue Therapieformennachdenken: die chinesische Ohrakupunk-tur und die amerikanische Fußreflexzonentherapie (eine Metho-de, die heilt, indem sie am Fuß alle Körperfunktionen diagnosti-ziert). Diese beiden Methoden heilen den ganzen Körper übereinen seiner Teile. Hier liegt genau dasselbe Prinzip wie bei derPulsdiagnose zugrunde, die eine Diagnose für den ganzen Körperüber die Arteria radialis an der lateralen Seite des Handgelenkserstellt. Bei der Sedierungsmethode, die wir Akupunktur und Moxanennen, war es nicht notwendig, die zwölf Meridiane am ganzenKörpers zu kennen, da die festgelegten Punkte genügten. Die

Technik der manuellen Behandlung, die diese zwölf Meridianeverwendet, hat beachtliche Resultate - auch medizinische - erzielt,die bis dahin fast undenkbar waren. Ich wünsche mir, dass anderedies ausprobieren und die Meridiane bestätigen. (Juli 1974)

Die Veröffentlichung der vervollständigten KarteSieben Jahre sind seit der Erstpublikation meiner Karte vergan-

gen. In der Zwischenzeit ist eine Neuauf-lage mit Verbesserungen erschienen, dieErgebnis der Mitarbeit zahlreicher Wis-senschaftler ist. In dieser Ausgabe habeich die Verläufe integriert, die die sechstraditionellen Meridiane der Arme mit demunteren Körperbereich verbinden; ichhabe den Querschnitt der Beine, Armeund des Halses sowie eine Meridiankarteder Fußsohle hinzugefügt. Es ist eineKarte, aus der Wissenschaftler einen gro-ßen Nutzen ziehen. Ich halte sie für voll-ständig.Seit der Veröffentlichung der Meridian-karte hat der Autor - aus Stolz und Ver-antwortung - weitere Meridianforschungbetrieben; daraus sind viele Artikel ent-standen, und das Studium der Meridian-beschaffenheit hat sich vertieft und wirdsich weiterhin vertiefen. Deshalb glaubeich nicht, dass die Klärung der Meridianebeendet ist. Was die Karte betrifft, so gibtes eine Grenze in der Darstellung. Fürden praktischen Gebrauch und das Ver-ständnis der Besonderheiten halte icheine gesonderte Schrift für nötig. Die vomAutor entworfene Karte für Diagnose undBehandlung ist vollständig mit dieser Aus-gabe realisiert worden. Der Autor hatnicht die Absicht, sie in Zukunft zu über-arbeiten. Das mögen andere tun. (Sep-tember 1977)

Die Meridianfunktionen

Lungen- und Dickdarmmeridian: Funk-tion der Aufspaltung und der Ausschei-dung

LungeDie Lunge erhält ki (Energie) von außen,das die Quelle der Lebensaktivität ist,und verwandelt es in menschliche Körper-energie. Sie hat die Funktion, sich an dieAußenwelt anzupassen. Diese Funktion

wird zu Lebensenergie, sie schützt vor äußeren Angriffen undscheidet schließlich die nichtnotwendigen Gase über die Ausat-mung aus.

DickdarmDer Dickdarm unterstützt die Funktion der Lunge. Er scheidet ausund beseitigt stagnierte Energie. Entsprechend dem Sprichwort„Dem, der nicht spricht, bläht sich der Bauch“ hat der Dickdarmeinen Bezug zu all dem, das das „Hinauswerfen“ betrifft.

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Theorie & Praxis

Milz- und Magenmeridian: Funktion der Verdauung undFermentierung (= enzymatische Prozesse)

MilzDie Milz ist mit der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) verbunden. Sielenkt die Aktivität der Drüsen, die mit der Verdauung zu tun haben(Speichel, Magensäfte, Galle, Darmsäfte), und der Sexualdrüsen(Brustdrüsen, Eierstöcke). Entsprechend dem Sprichwort „Zu vieldenken macht die Milz krank“ lösen geistige Erschöpfung undBewegungsmangel Probleme bei der Produktion der Verdauungs-säfte aus, und in der Folge vermindert sich die Verdauungs-fähigkeit.

MagenDer Magen ist ein allgemeiner Begriff für den Verdauungstrakt, dersich über den Magen selbst, die Mundhöhle, die Speiseröhre biszum Beginn des Dünndarms erstreckt. Er hat einen Bezug zurBildung der Körpertemperatur und der Bewegung des ganzenKörpers, die diese Funktion unterstützt, und darüber hinaus auchzur Aktivität der Sexualdrüsen. Von ihm hängen Appetit, Milchfluss,Funktion der Eierstöcke und Menstruation ab.

Herz- und Dünndarmmeridian: Funktion der Transformationund der Kontrolle

HerzDas Organ Herz hat mit dem Herz im Sinne von „Seele-Geist“ zutun. Es kontrolliert die Gefühle und wandelt äußere Reize um,indem es sie an das Innere anpasst. Es kontrolliert die Verteilungdes Blutes. Über das Gehirn und die fünf Sinnesorgane regiert esden ganzen Körper.

DünndarmDer Dünndarm verwandelt Speise in Nahrung; er regiert denganzen Körper, indem er den Nahrungsbrei absorbiert. Unsicher-heit, emotionale Aufregung, Schock, Ärger und großer Schmerzlösen einen Blutstau im Dünndarm aus. Dieses alte Blut hat einennegativen Einfluss auf den ganzen Körper.

Nieren- und Blasenmeridian: Energie der Vorfahren und Funk-tion der Reinigung

NiereDie Nieren geben dem ganzen Körper Energie, sie regulieren dieKörpersäfte und regieren die endokrinen Sekrete. Sie reinigen undscheiden Körpergifte und Säure aus, die die Fähigkeit, Stress zuwiderstehen, verringert. In der rechten Niere finden wir die Funk-tion der Nebennierendrüsen, in der linken Niere die Funktion, Urinzu produzieren.

BlaseDie Funktionen der Blase betreffen das Mittelhirn (das mit deninneren Sekreten der Nieren zusammenarbeitet), die Hypophyseund alle Organe der Harntraktes. Die letzteren haben einen Bezugzur Aktivität des autonomen (vegetativen) Nervensystems undauch zur Fortpflanzungsfunktion. Die Blase scheidet außerdemden Urin, das Endergebnis der Reinigung der Flüssigkeiten, aus.

Perikard- und Dreifacher-Erwärmer-Meridian: Kreislauf- undVerteidigungsfunktion

PerikardDer Perikard ist mit der Funktion des Kreislaufsystems verbunden,das das Herz unterstützt. Er betrifft das Kreislaufsystem (Arterien,Venen, Lymphgefäße), das sein Zentrum im Organ Herz, imHerzbeutel (Perikard) und in den Herzkranzgefäßen hat. Damitregiert er die Ernährung des ganzen Körpers. Hauptzirkulation.

Dreifacher ErwärmerDer Dreifache Erwärmer unterstützt den Dünndarm in seinenFunktionen; er verteilt die Lebensenergie des Meimon (Perikard)und lässt sie im ganzen Körper fließen. Er ist zuständig für dieVerteidigungsfunktion des Lymphsystems und der Serosa (glatteAuskleidung der Brust- und Bauchhöhle und des Herzbeutels). Derobere Erwärmer steht in Beziehung zum Brustkorb (Pleura, Brust-fell), der mittlere Erwärmer zum oberen Teil des Bauchfells und deruntere Erwärmer zum Bauchfell im Unterbauch und demMesenterium (Dünndarmgekröse). Äußere Zirkulation.

Leber- und Gallenblasenmeridian: Funktion des Speichernsund Verteilens

LeberDie Leber lagert die Nahrung ein, sichert die Energie für dieAktivität des ganzen Körpers und stellt die Verteigiungsfähigkeit(Widerstand) her. Sie arbeitet für den Erhalt der Lebensenergieüber die Lieferung, Aufspaltung und Entgiftung des Blutes.

GallenblaseDie Gallenblase herrscht über die Verteilung der Nährstoffe; siereguliert das energetische Gleichgewicht des ganzen Körpersüber die Aktivität der inneren Verdauungssekrete (Galle, Speichel,Gastrin aus den Magendrüsen, Sekretin, Insulin aus der Bauch-speicheldrüse und Darmenzyme etc.).

1Dabei handelt es sich um einen alten Text über die chinesischeKräutermedizin (250 n. Chr.).Er enthält eine Dokumentation über die Symptome und Behandlungenvon akuten Krankheiten, die hohes Fieber auslösen.2Masunaga bezieht sich auf seine Forschungen über alte Bücher,die Shiatsu, anma oder traditionelle fernöstliche Medizin zum Inhalt hatten.3 Die Meridiankarte ist in Europa seit Anfang der 1980er Jahre verbreitet

übersetzt von Maria Anna Söllner

Dr. Yoshio Nagahama (1915-1961) Arzt und Akupunkteur, der sich beson-ders dem Studium der fernöstlichen Medizin und der Meridiane gewidmethat; durch seine Erfahrungen mit der „Nadelresonanz“ bei der Erforschungder Meridiane wurde er berühmt. Er eröffnete eine eigene Klinik fürOrientalmedizin und verfasste verschiedene Werke, darunter „Studium derMeridiane“ und „Traktat der fernöstlichen Medizin“.

Dr. Masao Maruyama (1915-1975) Arzt, der sein Leben dem Studium derklassischen Texte des shin-kyu (jap. Bezeichnung für Akupunktur undMoxa) und der Toeki gewidmet hat. Ihm verdanken wir sehr viele Kommen-tare zu klassischen Traktaten sowie auch zahlreiche Artikel in verschiede-nen Zeitschriften.

ToekiSchule der Medizin, die mit Medikamenten, besonders mit Kräutern arbei-tet; sie geht auf die chinesische Schule Ri-shu zurück und hat als Grund-lage den Text des Nei Jing Suwen.