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Nachdem nun die Marburger Studenten mit ihrer

ersten Ausgabe diese Zeitung ins Leben gerufen haben

; habenwir,eine studentische Tutorengruppe der

Allgcmeinmediz in aus Frankfurt, die Aufgabe über-

nonmcn, in Erhaltung dt.* r nun e in jährigen Tradition,

die Zweitausgabe des POH's zu verfassen.

Di e Idee von POM war einen Gedanken- und Er-

fahrungsaustausch zwischen all denjenigen zu

ermöglichen, die an patientenoricntierter

Medizin und Medizinerausbildung interessiert

sind. Wir haben versucht in diesem Heftchen möglichst

viele verschiedene Berichte zusammenzutragen.

Wir wünschen Euch viel Spaß beim Lesen und hoffen

daß ihr mit Euren vielfältigen Reakti onen und

- Leserbriefen positive und negative (natürlich....

\ auch!!!) Kritik uns ein Feed-Back und der

-i neuen Redaktion einen Ansporn zum Weiterarbeiten

4 gebt.

•;j Also, viel Soaß

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DIE ANAMNESEGRUPPE - studentische

in der MedizinerausbildungSelbsthilfe

Definit_ion; Anamnesegruppen sind themenbezogene

Selbsterfahrungsgruppen, in denen die Beziehung

zwischen Patient und Arzt exemplarisch in der für

beide grundlegenden Situation des ersten Kontaktes

(Anamneseerhebung) im Mittelpunkt steht.

Ziele und Inhalte: Es geht um eine bewußte Ausein-

andersetzung mit ärztlicher Einstellung und ärzt-

lichen Verhalten (sozial-affektives Lernen) mit dem

Ziel eines ärztlichen Handelns, das sich an den

Problemen des Patienten orientiert ("patienten-

orientierte Medizin"). Heben der körperlichen soll

auch die psychische und soziale Situation des Pa-

tienten erkannt und damit die individuelle Bedeut-

samkeit der Erkrankung in der Biographie des Pa-

tienten in das diagnostische und therapeutische

Vorgehen miteinbezogen werden ("ganzheitliche Medizin")

Ein weiteres Ziel ist das "Erlernen" von Team-

Arbeit als Grundlage patientenorientierten Arbeitens.

Struktur und Rahmen: Die Gruppe besteht aus max.

10 Teilnehmern (Medizinstudenten unterschiedlicher

Semester), einem Gruppenleiter und einem Co-Leiter.

Nach einem Einführungsteil (2x wöchentlich) trifft

sich die Gruppe ein Mal die Woche.

Zu Beginn jeder Gruppenstunde erhebt ein Gruppenmit-

glied bei einem Patienten, der an einer allgemein-

medizinischen Krankheit leidet, vor der Gruppe die

Anamnese. Technische Orientierung bietet dabei die

"biographische Anamneseerhebung11 (nach G.Engel).

Anschließend diskutiert die Gruppe anhand ihrer sub-

jektiven Wahrnehmungen, Phantasien und Gefühle

einerseits, sowie der gewonnenen Informationen an-

dererseits die Gesamtsituation des Patienten und

und versucht - Je nach Gruppenentwicklung -

daraus Handlungsweisur.gen für das weitere

Vorgehen abzuleiten.

Die Gruppenleiter sind selbst Studenten, die eine

Gruppe durchlaufen und anschließend ein spezielles

Training dafür absolviert haben. Außerdem treffen

sie sich wöchentlich zu einer Supervision.

Einordnung; Die Anamnesegruppen zeigen exemplarisch

die Möglichkeiten deiner praxisnahen und patienten-

orientierten Medizinerausbildung in Form einer

integrierten Vermittlung von Wissen, Fertigkeiten

sowie Einstellung und Verhalten. Da die deutschen

Medizinfakultäten zu sehr in ihrem Prinzip "Karriere

durch wissenschaftliche Forschung" gefangen sind

und dadurch Ausbildungsengagement uninteressant ist,

kann dies nur durch studentische Selbsthilfe

verwirklicht werden. Die Arbeit mit studentischen -•

Gruppenleitern ermöglicht dies.

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-¥• -

Anamnesegruppen in Aachen

Die Anamnesegruppen unterscheiden sich in mehreren Punkten

was deren Akzentuierung anbei an t, vom sog. "l! l m-Marburger

Modell":

l . Entere inst... tut ijn.el le Anb ir.riung ; hier: Hed . P^ycholopJ e )

2. Kürzerer Verlauf i l Semester) m i r de::, reduzierten An-

spruch für Pat ientenzentn ertes Hände l !i innerhalb und

außerhalb (Selbsthilfe; des off iziel len Ausbi IdungLs-

. Systems lediglich zu motivieren (Bausteinmode] J }

3. deshalb: Konzentration auf vorklinische Semester

4 . deutl ichere Abgrenzung von einem engeren psychosornat i sehen

Krankhe i tsverstandni s, rieshalb: Konzentration auf nicht-

intern i st i Gehe Abteilungen (Neurologie, Dernatiologie)

5. Akzentverlagerung weg von der sog. "biographi sehen

Anamnese" hin zu einer pat i e ritenbezogenen Gesprächsführung

Kurz zusammengefaßt verstehen wir in Aachen unsere Arbeit

mit Anamnesegruppen als eine, die - ausgehend von den Lehr-

angeboten der Hed. Psychologie - so frühzeitig wie möglich

fUr patientenzentriertes Arbeiten motivieren will. Diese

Gruppenarbeit läßt sich als themenzentrierte Selbsterfahrung

beschreiben, die mit der Methode der Selbsterfahrung das

Thema: 'patientenzentrierte GesprächsfUhrung' bearbeitet

mi t dem Ziel eine ganzhei tlichere Wahrnehmung des Patienten

und die Fähigkeit zu einer hilfreicheren Begegnung mit

dem Patienten (aber auch anderen Menschen) auf den Weg zu

bringen, die im Verlaufe des Studiums durch weitere Initiati-

ven entwickelt und vertieft werden sollte.

Sowe it unsere - ein wenig wirk]ichkei tsfremde - Ziel vor-

Stellung. Defacto sieht es so aus, daß seit drei Semestern

jeweils zwei Gruppen stattfinden (Hautklinik, Neurologie),

die Tutoren mittlerweile kos tnelos arbeiten müssen, Super-

vi sion von der Med. Psychologie an gebot er. und durchgeführt

wird, das Interesse an den Gruppen wächst, angesichts der

desolaten psychosuzialen Versorgung jedoch zu befürchten

ist, daß die erhoffte Ergänzung und Wei terentwicklung

allenfalls bei einigen wenigen inform von Selbsthilfe und

Privatinitiativen stattfinden wird. Zumal die finanzielle

Beschneidung und das offenkundige Schattendasein der Med.

Psychologie selbst um die Erhaltung der ohnehin schmalen

Ausgangsbas i s fürchten läßt.

S:nnhaft i^keit nur selten auftauchen. Was jedoch sowohl

bei Tutoren als auch Teilnehmern offenkundig wird, ist die

Notwendi gkei t, das elementare Angebot der Anamnesegruppen

problembezugen zu erwei tern und zu spezifizieren, d.h..

das a l l ge-;e : ne patientenzentrierte Modell an kl inische

Prob; er;si t u a t innen anzupassen .

Ariamnesegruppen in Marburg

In Marburg existierten bisher drei Formen von Anamnese-

gruppen:

1. die freiwilligen Anamnesegruppen

2. die AO-Pflicht-Anamnesegruppen

3. Ar.amnesegruppen, die nicht mit der Abteilung Psychosomatik

assoziiert sind

zu l.) Anfang Oktober fand ein 14-tägiges Tutorentraining

in Marburg statt. Daran nahmen auch zukunftige

Tutoren aus Heidelberg und Bonn teil. Zum Beginn des

Wintersemesters bildeten sich 4 freiwillige Anamnese-

gruppen mi t jeweils einem Tutorenpaar als Gruppen-

ieiter bei einer Gruppenstarke von 12 bzw. 13 Mi t-

gliedern, deren Arbeit über den Zeitraum von einem

Jahr geplant ist. Im Mittelpunkt der Gruppenarbeit

3 teh t das Gespräch eineu Gruppenmi tgliedes mit

eir.em Pat ienten vor und die anseht leßende Diskussion

i n der Gruppe . ]• u: ei <_• 'i u '„u r o n L,': die Mbglichkei t

/ f '. :ie r ;_:.::pe r v i s . •,'' T : n r.. Ch' e t wurde-n .

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zu 2.) Die AO-Pfli cht-Anamnesegruppen sind ein Bestandteil

der medizinischen Ausbildung im Fach Psyehosomatik und

werden von einem studentischen Tutor geleitet und

von einen Arzt der Abteilung Psychosomatik betreut.

Di« Gruppen setzen sich zusammen aus allen Studenten

eines Semesters. Anamnese- und Detreuungsgespräch

bilden eine Unterrichtseinheit. Den Tutoren stehen

eine Supervision und Selbsterfahrungswochenenden

zur Verfügung.

zu 3.) Bis zum Ende des letzten Semesters gab es z.B. eine

Anamnesegruppe, die ohne Tutor und in An]ehnung an

das Bai int-Korizept gearbeitet hat, sich aber nach

dreijähriger Tätigkeit weger, Ortswechsels, Examens-

vorbereitung, etc. aufgelbst hat. Im Augenblick sind,

soweit bekannt, keine derartigen Ariarnnesegruppen mehr

tätig.

In Main? gibt es zur Zeit. 4 Anamnesegruppen. Angefangen hatte

es im März 1982, als zwei von uns Studenten in Ascona beim

Balinttrcffen waren. .Port hörten sie vor, Anamneseßruppen

und kamen mit dem Wunsch nach Mainz zurück, ähnliches auf-

zubauen. Sie fragten Freunde und machten einen Anschlag an

der Ur. r. verKi t äL , and so traf sich ein Interessentenkreis

von 10 Studenten an einem Wochenende zur Vorberei tung.

U. Fgle und F. Wenzel aus Marburg kamen dazu, um die Gruppe

am Anfang zu unterstützen und - aus ihren zahl reichen Anamnese-

erfahrungen - zu leiten. Nach diesem Wochenende biIdete

sich die endgültige Gruppe, die aus zwei Vorklinikern, sieben

Klinikern sowie fünf Frauen und vier Männern bestand. Der

Tutor der Gruppe wurde dann U. Egle, der an der Mainzer Uni-

klinik eine Assistentenstelle angenommen hatte. Die Patienten

für die Anamnesegruppe bekamen wir über eine sehr aufge-

schlossene Oberärztin der zweiten medizinischen Klinik. Im

gesamten Zeitraum der Gruppenarbeit war die Zusammenarbeit

mit :h r problemlos, offen und von großem Interesse von

ihrer Sei tu her an der gesamten Arbei t gekennzeichnet.

Die Station zeigte kaum Interesse, behinderte die Arbei t

aber nicht. Wir trafen uns in der Gruppe einmal pro Woche

für zwei S tunden und arbei teten so ein Jahr zusammen. Die

Gruppe blieb in dem ganzen Jahr konstant.,. Nach diesem

Jahr hatten einige den Wunsch, weiter mit Gruppen zu

arbei ten. Andere wollten eher chronisch kranke Patienten

betreuen, dies scheiterte aber nicht zuletzt an organisa-

torischen Schwierigkeiten. So machten zum Schluß fünf von

uns als Anamnesegruppentutoren weiter, auf die Aushänge

an Uni und Klinik, die unter dem Thema "Studenten sprechen

mi t Kranken" knappe Informationen und ein erstes Treffen

enthielten, meldeten sich 35 Studenten. Wir ordneten die

Bewerber nach Ausbildungsstand und Geschlecht und bildeten

drei neue Gruppen zu Je 10 Studenten. Seit dem Sommer-

semester arbeiten diese drei Gruppen jeweils einmal pro

Woche 2 Stunden. Es war schwierig, Patienten zu bekommen.

Zwei Stationen konnten wir gewinnen an der Inneren Klinik,

eir.e Staitjn in der neurologischen Klinik. Insgesamt

sti.e,'jen wir' auf große vorbehalte gegenüber einer solchen

Gruppe. Zusätzlich zur Gruppenarbeit machen die Gruppen-

leiter einmal pro Woche mit U. Egle Supervision.

Im Oktober 1983 fand ein Tutorentraining für Gruppenleiter

in Mainz statt, an dem neben Studenten aus Ulm, Bonn, Zürich

auch die Mainzer Tutoren t e i ln ahme n.

Zum Beginn des WS 83/84 wurde noch eine vierte Anamnese-

gruppe gegründet, die aus 1U Studenten besteht. Die Gruppe

wird von einem Studenten geleitet, der auch Mitglied der

ersten Anamnesegruppe war. Wir merken, daß an der Mainzer.

Klinik die Anamnesegruppen bei Studenten und Ärzten bekannter

werden. Für die Zukunft hoffen wir, daß die Anamnesegruppen

an der Mainzer Klinik nicht mehr wegzudenken sind

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-8—Anamnesegruppen in Bonn

Angefangen hat's im März. '82 in Ascona (wo sonst?!}. Während

des Studenten-Nachmi t tag s auf dein Balint-Tref f en hörten wir

das erste Mal was über Anamnesegruppen und dann hat's sofort

gezündet. Tr; Bonn kommt die Psychosomätik und die patienten-

orientierte Medizin sowohl vom Lehrplan als auch von den

Lehrstuhl ei i her sehr seh l echt weg, Psychosomat i k wird von

einem Gastdozenten und ?. i /2 Assis gemacht (für 250 Studenten

pru Semester! ! ! ) und die inod. Psychologie muß ein Oberarzt

aus der Nervenklinik (der allerdings sehr engagiert ist)

nebenher machen. Dementsprechend groß war unser Bedürfnis

nach Anamnesegruppen (lechz!). Von offizieller Seite hatten

wir nichts zu erhoffen und waren so nur auf unsere Eigen-

initiative angewiesen. So fuhren wir erst mal zum Anamnese-

gruppentreffen nach Marburg, um die nötigen Informationen

über Ablauf und Voraussetzungen von Anamnesegruppen zu

kriegen. Außerdem konnten wir dort zum ersten Mal selber

an einer Gruppe teilnehmen. Mit neuem Schwung kehrten wir

nach Bonn zurück und drehten eine Runde über das Klinik-

gelände, uir. nach Patienten und Gruppenleitern zu fragen,

Denn wir konnten ja nicht auf studentische Tutoren zurück-

greifen, da es ja niemanden gab, der schon in einer' Gruppe

war. Die erst unüberwindlich scheinenden Schwierigkeiten

waren dann recht schnell beseitigt: wir bekamen Patienten

in der Inneren Klinik und als Gruppenleiter stellten sich

zwei Ärzte und ein Oberarzt aus der Inneren Klinik und oben

erwähnter Oberarzt aus der Nervenklinik zur Verfügung. So

konnten zum Wintersemester'82 die ersten vier Gruppen an-

fangen. Es waren noch viel mehr Interessenten da, aber mehr

war leider nicht möglich.

Diese Gruppen sind nun nach zwei Semestern erst mal zu

Ende. Im Laufe des Sommersemesters fand sich dann aus den

Teilnehmern dieser Gruppen eine Tutorengruppe zusammen. In

dieser Gruppe haben wir versucht, unser Tutorentrainjng

vorzubereiten und zu machen. Wir haben dann an einigen

Abenden Rollenspieie gemacht, in denen Tutoren die Situation

durchspielen konnten, vor der sie größte Angst hatten, z.B.

es sagt keiner aus der Gruppe was, einige wenige reden

die ganze Zeit, der Patient wird überfordert usw. Anfang

des Wintersemesters wollen wir noch zwei Wochenenden zu-

sammen verbringen und dann ab Ende Oktober mit den neuen

Gruppen, etwa sieben, diesmal mit Studentischen Tutoren,

anfangen. Wir fühlen uns zwar noch recht unsicher, zumal

unsere Vorbereitung im Vergleich zum Marburger Training

recht dünn ist. Zum Glück konnten wir jemand finden, der

die Supervision macht. Was dabei rausgekommen ist, könnt

Ihr dann '84 auf dem Marburger Treffen erfahren.

Ein großes Problem für uns ist, daß sich unsere Klinik von

Anfang an geweigert hat, Vorkliniker in die Gruppen zu

lassen und das bis jetzt immer noch tut. Dabei halten wir

es für sehr wichtig, daß gerade Vorkliniker in die Gruppen

gehen, da sie es bei ihrem trockenen Lehrstoff besonders

nötig haben und zumindest in den tieferen Semestern noch

nicht so medizinisch verbildet sind und so vielleicht noch

offener an die Patienten herangehen können. Das Bedürfnis

der Vorkliniker nach Gruppen war so groß, daß sich dort

gegen Semesterende eine eigene gebildet hat, die dann auch

Patienten in einem anderen Krankenhaus gekriegt hat. Wir

hoffen, unsere Klinikleitung bis zum Oktober überzeugen

zu können, damit wir mit dieser schwachsinnigen Trennung

zwischen Klinik und Vorklinik zumindest in den Anamnese-

gruppen erst mal Schluß machen können.

Kontaktadressen:

Volker Kb'llner, Köslinstr, 30, 5300 Bonn l

Axel Glasmacher, Oderstr. 39, 5300 Bonn l

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Heidelberger Anamnesegruppeji

l . Zur Geschichte

Die Heidelberger Anamnesegruppen entstanden 1979 aus einer

Eigeninitiative einiger Studenten, die von Ascona und Ulm

inspiriert, auch auf dieser Basis in einer Gruppe arbeiten

wollten. In Heidelberg, als einer Hochburg der Psychosornat ik,

war es dann verhältnismäßig einfach, einen Ohorarz t der

Medizinischer. Klinik zu finden, der sich als Gruppenleiter

zur Verfugung stellte. Diese erste Gruppe bildete den

Pool für die Gruppenleiter weiterer Generationen im nächsten

Jahr. Hinzu kam eine Supervision für die Gruppenleiter

unter der Mitarbeit von Dr. Petzold (jetzt Prof.) und der

Free-Clinic. Näheres über- diese erste Zeit könnt Ihr nach-

lesen in dem Buch:

"Patientenbezogene Medizin" lieft 4

Gustav-Fischer-Verlag 1982

2. Heute ...

..hat sich einiges geändert. Im Augenblick laufen gerade

4 Anamnesegruppen 2-semestrig, wobei in dem jetzigen WS

wieder eine neue dazukommen wird. Das Institut für medizi-

nische Psychologie hat sich unserer Idee angenommen und

stellt zwei Psychologen zur Supervision der studentischen

Tutoren. Diese findet wöchentlich statt.

Als weitere Hilfe für die Tutoren haben wir uns zu Beginn

des letzten Semesters eine HUtte im Odenwald gemietet, in

der wir ein sog. Wochendtutorentraining absolviert haben.

Solche Dinge finden in eigener Regie statt und werden nicht

von der Med. Psychologie betreut. Übrigens arbeiten die

Tutoren unentgeltlich. Es gibt auch keine weiteren Vor-

aussetzungen zu erfüllen, um eine Gruppe zu leiten außer,

daß man selbst ein Jahr lang an einer AG teilgenommen hat.

Die Ziele und Inhalte der Gruppen selbst sind sehr unter-

schiedlich. Jp-ier Tutor erarbeitet mit den Mitgliedern

die Zielt: der 'Jruppe. Dadurch entsteht ein Spektrum von

Selbsterl'ahrung bis hin zur reinen Gesprachsfuhrung m i t dem

Patienten. So entstehen z.B. Gruppen, die sich v.a. mit

Schwerstkranken auseinandersetzen oder andere beschäftigen

sich ;;:it den Thema "Tod". Allen gemeinsam ist jedoch, daß

die Lernprozesse möglichst über Einzelinterviews mit

Patienten oder Rollenspiele mit anschließendem Gespräch

i aufen.

Zusammengestellt werden die Grjppen zu Beginn des Semesters

auf einem großen Treffen, das von einigen Interessenten

organisiert wird. Dort; stellen sich die Tutoren vor und

jeder Tel inehmer kann schon eine Vorauswahl treffen welcher

Tu t u r u:id dessen Programm seinen Interessen an: ehesten

er.tsprieht, An diesem Troffen :-.ehn;pn Studenten aus allen

Sfr:t-otern teil .

'}. Kür die Zukunft . .

..sind wir in der Diskussion mit der Psychosomatischen

Medizin (Prof. Petzold) und der Med. Psychologie, um eine

bessere Vorwegbetreuung der Tutoren zu erreichen. Bislang

war es so, üaß mehr Interessenten für eine AG vorhanden

waren als Tutoren zur Verfügung standen. (Die Zahl der

Gruppenmi t>>;l ieder soll nicht größer als 10 sein plus 2

Tutoren). Die relativ zu geringe Anzahl von Tutoren hing

auch damit zusammen, daß einige ehemalige AG-Mitglieder

gern als Tutor weitermachen würden, sich aber nicht kompetent

genug fühlten. Insofern wünschen wir uns ein Tutoren-

training hier in Heidelberg nicht nur für die Betreuung

der jetzigen Tutoren, sondern auch im Hinblick auf die

nächste Tutoren-Generation.

Ich hoffe, daß ich einen ersten Eindruck von dem vermitteln

konnte, was bei uns so läuft.

Tschüß, Jürgen

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Ar.amnesegruppen in 'Jlm

In Ulm bestehen momentan 3 Anamnes^ruppen. Vier der

sechs Tutoren nahmen am Trainig in Mainz teil., die übrigen

zwei sind aus der alten Tutorengruppe. Die Gruppen mit je

10 Teilnehmern treffen sich über 2 Semester lang einmal

pro Woche für zwei Stunden. Die Mitglieder sind aus dem

ersten bis fünften Semester. Wöchentlich haben wir eine

zweistündige Supervision bei Prof. Herrmann und Frau

Simons (Dipl. Psych. ). Die Supervision lief regelmäßig

und unserer Meinung nach konstruktiv ab im Gegensatz zu

frUher. Obgleich wir aus zwei Tutorengenerationen bestehen

raufen wir uns zusammen. Unser Problem war, daß am

Anfang des Semesters 70 Studenten interessiert waren, wir

jedoch nur 30 aufnehmen konnten. Auf Grund dieses Tutoren-

mangels sind in letzter Zeit Bestrebungen entstanden,

Anamnesgruppen ohne Tutor zu gründen. Deshalb wollen wir

darauf hinarbeiten, daß im Wintersemester neue Tutoren

zu uns hinzukommen. Bei den neuentstandenen Gruppen

zeichnet sich für uns das alte Problemzwischen Theorie

und Praxis wieder ab. Die vier neuen Tutoren setzen sich

mit dem Training und ihrer Gruppe Auseinander:

- Prob lern der Di stanz dfr Tutoren ?M r Gruppe (Konzept t reut;)

- Gegensatz der Troibhau^atinosphärf? des Trainings zur

rauhen Wirklichkeit der Gruppe

- noch .keine Erfahrung herauszufühlen, was Gruppenprozeß

ist und was ganz eigene Probleme der Gruppe und der

Tutoren sind. z.B. Auseinandersetzung der Gruppe mit den

Tutoren.

- hohe Ansprüche der Tutoren bedingt durch das Training

Abgesehen von diesen P rb l einen macht's uns ganz einfach

Spaß uns selbst zu erfahren und d;e Gruppe zu erleben.

Anamnesegruppen in Zürich

Folgendermaßen kam es in Zürich zur B i l düng der ersten

Anamnesegruppe: Ein Student urd eine Studentin vom Fachverein

Medizin hatten den Wunsch, in Zürich eine Anamnesegruppe

anzubieten. Auf ihrer Suche, die Idee in die Tat umzusetzen,

trafen wir zueinander. Als Psyoholugin mit Interesse und

Zuneigung für Baiintarbei t, die ich in der Wei terbi ldüng

kennengelernt und erfahren habe, erwänr.te ich mich schnei l

für das Konzept und die Art und Weise des Lernens wie es

sich in der Anamnesegruppe-Arbei t versteht.

Ich besuchte das Maitreffen in Marburg und im Herbst machte

ich dort mit Medizinstudenten und -Studentinnen das

Tutorentraining während zweier Wochen mit. Ich gewann

darüber den Eindruck, daß ich den Start als Gruppenleiterin

In Zürich wagen könnte. Einen Co-Leiter (und Weggefährten)

hatte ich nicht.

Aber es gab Stefan und Antje, die beiden Medizinstudenten,

die alle übrigen Einsätze leisteten bis sich schlussendlich

eine Anamnesegruppe in einem Raum der Uni zusammenfinden

und etwas später den ersten Patienten empfangen konnte.

Wir begannen im Wintersemester '62 mit dreizehn in der Gruppe

und waren zu Ende des Somrnersemesters ' tf J noch acht plus

Gruppenleiterin. In der letzten Anamnesengruppenstunde

äußerte jed°r von uns einige Gedanken im Rückblick. Aus-

nahmslos fanden wir, die Arbeit habe uns etwas gebracht

in persönlicher und beruflicher Hinsicht. Es wurde von

vieler, geäußert, daß das Empfangene teils anders aussieht

als was sie erwartet haben und daß das Erlebte für sie

wertvoll sei. Ein Student und ein»-- Studentin aus der Gruppe

wollen nach de;;i Sommer er; t so he: :ler., ob sie als Co-Leiter

n,i c.-nachen würden, falls wieder eine Anamnesegruppe ange-

boten würde.

Esther

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Ich b e r i c h t e über die Gruppen, man könnte sie

auch Anamneseg ruppen nennen, die von uns, einer

Gruppe von 6 Tutoren im Inst i tut für Al lgemein-

medizin gelei tet uarden. V on anderen Anamnese-

gruppen an unserem Fachbereich haben uir nie

etuas gehör t . Schon in dar Ansiedelung bei der

AI Igerneinmedi z in wird eine unserer frankfurter

B.esonaerhe i ten deutl ich, die, uie einige andere

Bedingungen, nicht cnne L i n f l u ü auf unsere A r -

beit gebl ieben sind. Ich s t e l l e unsore A r b e i t

nicht zu le tz t deshalb zur D iskuss ion, um durch

ein Feed-hack von F_uch Lasern Anregungen zur HR

f l ex iondessen zu bekommen, was uir machen.

Vie l le icht schre ibt Ihr uns wirkl ich einmal,

uas Ihr für einen L indruck von u n s e r e m P r o j e k t

habt, uie es tuen v o r k o m m t , L-äs lucn g e f a l l t

und was nicht.

Uie es_an f ing ;

Als Student im 2. Semester ging ich zu einer

ein stündigen Veranstaltung, "Allgemeinmedizin für

Vorkliniker" genannt. Zunächst kam ich einfach,

weil es im Stundenplan aufgeführt war . Dort

saGen etua 3C Studenten in klassischer Frontal-

aitzordnung, vorne Dr. Jork, ein Patient und

ein Student. Vor dem Auftritt des Patienten

hatte Dr. 3ork allgemeine Themen, z.B. die 12

Basisfragen, L eitsymptome etc., angesprochen.

Aber nur das wenigste dauon hat mich interessiert,

Das 5pannende uar vielmehr die Begegnung mit dem

Patienten. Der schien ein Uesen aus einer anderen

Uelt, zumindest hatte ich desgleichen seit mei-

ner (probeuaisen) Aufnahme der Arztrolle noch

nicht erlebt. Gefährlich konnte es auch werden,

bedrohlich für micn, sodaG ich mich lieber in

eine hintere Reihe setzte (das versuch ten die

meisten anderen auch), konnte doch der Patient

z.B. auf eine ungeschickte Frage schweigend ins

Publikum blicken oder gar zurückfragen. G an z

alleingelassen aber brauchte sich der Inter-

vieuer nichtzu fühlen: Or. Jork legte ihm z.B.

die Hand auf die Schulter und forderte ihn auf,

den Patienten doch noch zu fragen, ob der Aus-

uurf ueiß oder gelb gewesen sei.

Heute sehe ich diese Veranstaltung, die es in

ähnlicher Farm noch gibt, rächt kritisch. Meine

*r i tk in Stichucrten: Exposition einzelner statt

Üruppenarbeit und -atmosphäre; Konsumentenhaltun g

beim "Publikum"; Überhäufung mit kognitivem Wissen

statt Bearbeitung dessen, uas emotional "mit

einem abgeht"; ;r reflektiertes Hätscheln der

Größenphantasie "Arzt", einer Suggestion, der man

im ersten oder zweiten Semester so hilflos gerne

erliegt. Trutz alladem habe ich noch deutlich

in Lrinnerung, üaO der Montag durcn diese Ver-

anstaltung für mich etwas de3anderes darstellte,

sicn durch etuas Spannend-An ziehendes von den

übrigen Wochentagen abhob.

Am Ende des Semesters fragte ür. Jork, wer In tsr-

esse habe, als Tutor einen ähnlichen Kurs zu

leiten. L~s meldeten sich 1G Studenten, darunter

ich, und begannen mit Dr. Jork unö Uerner Hellen-

kamp, einen in Gruppen arbeit schon erfahrenen

studentischen Hiwi, im US 80/81 den Versuch,

uns auf die Arbeit mit Studenten, die im SS 81

beginnen sollte, vor zubereiten.

Nun mag mancher Leser fragen, warum ich so ueit

aushole. Ich schildere die Historie deshalb so

ausführlich, um deutlicn zu machen, daß die

-sr* _r - " - .. •-= ? r-j -rc;ekts nicht in einer primär

•_'..., :-d" ;; =r" r •• : " i * i =; 11 ve liegt, soncern in einem

" 'S'., r IST,?-.; e i t e^ MS- ^raxisorientierten Aus-

:j : • "•""'•—-—"'•:-- • — •;.'-"- e i^ed i z in" , -äs der In s t i-

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tutsleiter, Or, Jcrk, aufzubauen begönne n hatte.

Das Institut für Allgemeinmedizin uar erst kür z zu-

vor als Stiftung der Kassen arztliche Verein igUHQ

gegründet uorden. Es bietet freiuillige Lehrver-

anstaltungen an (darunter unser Projekt)» die sich

als Angebot an jeweils einzelne Semester des vor-

kl in i sehen und klinischen Studiums richten. Der

einzige Pflichtkurs, und damit die formale Legi-

timation und Anbindung des Instituts ün den LJni-

betrieb ist der Kurs "Einführung in die Fragen

der allgemeinmedizinischen Praxis" im 7. Semester.

"Das Symptom als.Angebot des PatJ.enten"

So nennen wir unsere Veranstaltung und kenn-

zeichnen damit in Anlehnung an 3AL IN T unser

Krankheitsverstandnis, uie auch unsere Arbeits-

weise. (Siehe auch Beitrag uan Uerner Hellen-

kamp)

Uorum geht as_bei der_Arbeit in unseren Gruppen?

Uorrangig, meine ich, geht es darum, die Kon-

takt aufnähme mit dem Patienten zu üben und

sich probeweise mit der Rolle des professio-

nellen Helfers (Ziel: Arzt) zu identifizieren.

Seidas konnte man aber auch ohne Gruppe (und

diesen Einjand hören yir auch gelegentlich).

Die Gruppe aber bietet die Gelegenheit, Affekte,

Eindrücke und Beobachtungen auszutauschen und

zu bearbeiten,die aus der Kon takt aufnähme mit

dem Patienten entstehen. Daoei ist es die Auf-

gabe der Tutoren, in der Nachbesprechung dafür

zu sorgen, daß Emotionen geäußert und verglichen

uerden können, ohne daß es ein Richtig oder

Falsch gibt. Durch Sammeln und Strukturieren

regen die Tutoren die Gruppe an, sich ein

ganzheitliches Bi l d von dem Krankheits-Angebot

des Patienten 2u machen. Dazu gehört es auch,

zu klären und zu trennen, was Emotionen zum

Patienten, uas Beobachtungen und was Infcrma-

tionen aus dem Hund des Patienten sind. Hier-

bei werden auch Informationslücken, die das

Intervieu hinterlassen hat, umschrieben. Daru

gehört auch, zu klären, warum eine bestimmte

Frage nicht gestellt uerden konnte. Zugleich

spiegeln die Tutoren der Grupps: das Geschehen

in der Nachbesp rechung wiöer und beziehen es

auf das, uas Der Patient "dagelassen" hat.

Sie selbst halten eigene Emotion an und Eindrücke

bezüglich des Patienten zurück. Auch verstehen

sie sich nicht als Dozenten, die bestimmte

Inhalte vermitteln uollen, sondern lassen die

•Gruppe arbeiten und stellen dabei ihre Aufmerk-

samkeit zur Verfügung. Zusammenfassen d läßt

sich der Arbeitsgegenstand unserer Gruppen als

patientenzentrierte Selbsterfahrung beschreiben.

Die B e s on d e r JTS i t en un seres Projekts:

* Es richtet sich als freiwilliges Angebot

vor allem an Studenten des 1. vorklini-

schen Semesters

* Uir arbeiten über 1 Semester in (derzeit 3)

Gruppen mit je max. IQ Studenten und 2 Tutoren

* Die Patienten stammen aus Praxen niederge-

lassener Allgemeinärzte und werden im UU-Bus

in die Uni und zurück gebracht

* Uir 6 Tutaren fahren alle 2 Uochen zu einer

doppelstündigen Supervision

* Am Ende jeden Semesters machen uir eine

Projektsupervision mit Frau Krejci (Psycho-

analytikerin) aus Freiburg

* Unser Projekt ist die einzige vorklinische

Veranstaltung mit Patienten an der Uni

(einmal abgesehen von einer anderen, von

ftrzten durchgeführten freiwilligen V eran-

staltung des Instituts)* n s e r i11 r oj e * t üeinnültet als einziges in oer

-ll^eTieinmedizin studentische Tutarien

* Zugleich ist es CBS mit dem meisten persön-

l.icnen Engagement uno der intensivsten in-

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haltlichan Auseinander Satzung betriebene

im Bereich der AI Igemeinmedizin, das ich

kenne

Vom SS 81 bis US 82/B3 uar unser Projekt Teil

eines Forschungsmodells im Auftrag der Bund-

Ländar-Kommission für Bildungsplanung

Die Arbeitsbedingungen für Tutoren:

* Anfertigen eines Protokolls über jede Gruppen-

stunde

» gelegentliches Treffen mit dem Projektleiter

» Supervision

* Prajektsupervision

* Bezahlung

* Teilnahme am Tutorentraining

» Aufnahmekr iterien für neue Tutaren sind:

» Teilnahme an einer unsrer Gruppen

» Vorschlag durch einen Tutdr

* Teilnahme am Tutorentraining

Das Satting unserer Gruppen

Jede Gruppe trifft sich wöchentlich vormittags

für eine Doppelstunde und wird von 2 Tutoren ge-

leitet. Neben ihrer Funktion in der Nachbespre-

chung sorgen diese für den äußeren Rahmen in

ihrer Gruppe: Sie organisieren Patient und Raum

und stellen eine Sitzordnung im Kreis her, bei

der sie sich am besten gegenüber sitzen. Ein

Tutor holt den Patienten in die Gruppe, wo er ihm

auf dem Ueg kurz die Gruppe (als Erstsemester)

und das Vorhaben (Üben, mit Patienten zu sprechen)

erläutert. In der Gruppe stellt der Tutor den

Patienten mit Namen vor, der Interviewer steht

auf und begrüßt den Patienten. Von jetzt an halten

sich beide Tutoren zurück und greifen nur ein,

wenn es unumgänglich ist. So streben sie an, daß

der Interviewer sein Gespräch auch selbständig

beendet. Ueiß der Interviewer im Gespräch nicht

mehr weiter, so haben wir abgemacht, daß er der

Gruppe Gelegenheit zu Fragen an den Patienten

-19-

geben kann. Nach dem Interview begleitet ein Tutor

aen Patienten zurück zum V u- Bus, während der andere

die Nachbesprechung mit der Gruppe beginnt.

In den ersten Stunde am Semestefbeginn haben uir

noch keinen Patienten. Stattdessen beginnen uir

mit einem Kennen lernspiel und nähern uns. dem

Interviewe r- Patien t- Gesp räch zunächst im Rollen-

apiel. Nach und riacn sollen daran alle Gruppen-

mitglieder teilnehmen, sei es in der Rolle als

"Arzt "/"Interviewer", sei es als "Patient".

Dabei schildert der "Patient" eine selbst er-

lebte oder hautnah miter l eb t e Kr ankheit. Nach

5 - 7 Minuten brechen die Tutoren das Rollen-

spiel ab, damit das Material in der Machbesprechung

übsrscnaubar bleibt.

Daß unsere Gruppen aus Erstsemestern bestehen,

hat proj ekthistor ische Gründe. Da uir dies

aber nicht als nachteilig empfinden - ganz im

Gegtinteil: unsere Gruppenmitglieder haben noch

einen von Schuirnedi zin ueitgehend unverstellten

dlick - naben uir daran nie etwas geändert.

Dagegen erscheint mir immer deutlicher die Laufzeit

unserer Gruppen von _]_ Semester als zu kurz.

ulenn ich Berichte über die gruppendynamische

und inhaltliche Entwicklung von 2-semestrigen

«•namnesegruppen lese, verdichtet sich mein

Gefühl, auf halber Strecke stehen zu bleiben.

Uerbung - 5 t_ud_gn t en— Scnwun d - Uerjjindlichkeit

Bei einem Problem, dem Pli tgl ieder- Schwund in

unseren Gruppen sehen wir inzwischen klarer.

Es hat uns viele Semester lang beschäftigt

und zahlreiche, oft traumatische Erfahrungen

für uns Tutoren (im Sinne einer narzißtischen

- r jnx'„r. :_. } r •; tgeo r ach t , rjach habe ich fast das

-" c^""i ; e r, ; : ei^en .Turcnbruch zu erleben.

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-20-

Bisher hatten uir durch große Plakatuerbung

und mündliche Ankündigungen versucht, die Stu-

denten in unsere Gruppen einzuladen, aie mit

der Chemievorlesunq dergestalt konkurrieren,

daß sich die Studenten zuisehen unseren Grup-

pen und der Chemie entscheiden müssen (und das

im ersten Semester!). Nicht zuletzt durch diese

aufuendige Uerbung entstand bei manchen Studenten

der Eindruck, daß uir um jeden froh seien,

der käme. Nach unseren traumatischen Mitglieder-

Uerlusterlebnissen war dies ja auch nicht ganz un-

begründet. So forderte dieses System die Fluk-

tuation in unseren Gruppen.

Auf einen Rat unseres Supervisors Uli F.gle hin

haben uir nun unser Vorgehen geändert, uir

hängen jetzt zu Semesterbeginn nur beschaidane

Aushänge aus, die auf die begrenzte Teilnehmer-

zahl und unsere L inführungsveranataltung hinueisen,

Dort haben uir nach ein er kurzen Ansprache des

Institutsleiters erstmal s und mit gutem Erfolg

den marburger Uideofilm "Sprechen mit dem

Patienten" übar die Anamnesegruppen gezeigt

(in Ausschnitten). In dieser Veranstaltung haben

wir dann Listen umlaufen lassen, in die sich

die Interessenten ein trugen. Später haben uir

die durch Los gebildeten Gruppen ausgehängt.

Die spu'rbar stärkere Verbindlichkeit, mit der

unser Angebot seither aufgenommen uird, halte

ich aber nur zu einem Teil für die Folge der

organisatorischen Veränderungen. Sie ist mehr

als das Ergebnis eines Tricks. Vielmehr rührt

sie von der uachsenden Verbindlichkeit her, die

wir Tutoren dem Projekt entgegenbringen. Dazu

gehört, uie sehr uir selber hinter unserem

Angebot stehen können, und auch, daß uir uns

unsere gelegentlichen inneren Bedenken und

Zueifel gegenüber unserer Arbeit beuußter ge-

macht haben und so besser mit ihnen umgehen

können. Last but not l east trägt auch die ge-

wonnene Arbeitsfähigkeit als Tutorengruppe dazu

bei. Mir ist insbesondere an diesem Beispiel

deutlich geuorden, uie Probleme (z.S. Studenten-

schuund), die ganz klar durch uidrige organi-

satorische Umstände bedingt erschein en, oft

zumindest auch bei mir/bei uns persönlich uurzeln.

Supejry ision

... gab es bei uns.icht von Anfang an. Und auch

als uir dann in Aqidius Schneider («r zt) aus Marburg

einen Supervisor gefunden hatten, fuhren uir zu-

nächst unregelmäßig, ja, machten die fahrt nach Har-

aurg oft uon unserem "Supervisionsbedürfnis"

abhängig. Rückblickend erschein t mir dieser

Zustand sehr problematisch, haben uir doch später

oft genung erlebt, daß keiner von uns ein aktuelles

Problem zu haben schien vor ein er Superuisions-

stunde, die dann brisan t uurde. Seit bestimmt

2 Jähr an fahren uir Tutoren nun regelmäßig zur

Supervision, seit Agidius Ueggang aus Marburg

zu Ulrich Egle (Arzt) nach Mainz. Plitlerueile,

verteidigen uir auch unsere Supervision gegen

E insparungsbestrebungen als unabdingbare Ar-

beitbedingunQ. Ich glaube, daß uns die Grundhal-

tung, Reaktionen auf die Studentengruppe, in sbe-

sondere Aggressionen, dort zuar uahrzunehmen, aber

nicht auszuagieren, schon ein gutes Stuck ueit

in Fleisch und Blut übergegangen ist. Gerade auch

angesichts kränkender Erlebnisse, uie z.B. des

Uegbleibens eines Studenten, hat uns die Super-

v ision geholfen, nicht in schädlich Re-Aktionen

zu verfallen. So emp finden uir sie als unerläß-

lich, um 51orungsmomente, die auf unsere Ar-

beit einuirken, verstehen zu können und unbeein-

trächtigt unserer Funktion als Tutcr gerecht

7 ,. ercen . .. .^c1- -i-n-ien uir m an ehe Probleme mit

reu1 F r tner tu * rr n^.r in aer Supervisionsgruppe

•-.Lsren. -'.er; l : ej L; cr erleben uir die Superuision

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-22- - 2-3 -

als Flodell für unsere Gruppen und versuchen,

demSupervisor Denkansätze und Techniken abzu-

gucken, insbesondere zu beobachten, uie er

regelmäßig das in der Supervision Geschehende

auf den Patienten der Problern-5tunde zurückbe-

zieht.

Tutoren trainj.njj

Vor jedem Semester machen uir ein 3- bis 4-

tägiges Tutarentraining. Es dien t dazu uns neu/

erneut zu orientieren, worum es in unseren Grup-

pen gen t und methodische Grundlagen zu erar-

beiten. Es geht also um das Backgraund und

das Handuerkszeug für die Tutoren.

Uährend die neubeginnenden Tutoren (das sind

etwa 1 bis 'i pro bemester) sich mit der neuen

Rolle als Tutor auseinandersetzen und sich da-

bei auch an alten Tutoren orientieren können

(durch Identifizieren mit ihnen oder Absetzen

von ihnen), profitieren umgekehrt die alten

vom In fragestellen durch die neuen im Sinne

Reflexion bisheriger Arbeit. Zugleich konsti-

tuiert sich aus alten und neuen die Gruppe

der Tutoren, von deren Arbeitsfähigkeit .als

Gr_ypg_a viel für die Semtsterarbeit abhängt.

G an z unver ztcbthar finde ich Tutcrentrainer,

habe ich doch noch die Erfahrung eines zer-

mürbenden Trainings "aus eigener Kraft" in

Erinnerung. Uichtig erscheint mir zum einen

die Kompetenz des Trainers im Sinne einer

inhaltlichen Orientierung, die aus eigener

E rfahrung kommt. Zum anderen zählt er einfach

als unabhängige Person: Sie behält den Über-

blick, uenn es drunter und drüber geht und sieht

mit dem Blick des Neuhin zugekommenen vieles,

was uns nicht mehr auffällt. Sind mehrere

Trainer da, ist ihre Interaktion zugleich

Modell für die eines Tutorenpaares.

Zwei Arbeitsueisen aus dem Training mochte ich

•kurz herausstellen:

Arbeit auf der Basis eines Patienteriinteruieus:

Dieses Interuieu und die Nachbesprechung finden

im selben Setting statt, uie unsere Gruppen, uobai

die "Tutoren" ausgedeutet sind. Anschließend an die

Nachbesprechung folgt unter Leitung der Trainer

die Nach-Nachbesprechung; Uie uurdan die Tutoren

erlebt? Uie ging es ihnen? Uie knoperierten sie?

Welche Gefühle hatten die "Gruppenmitglieder",

uelche der "Interviewer"? Diese Form der Arbeit

uar mir immer besonders uertvoll, gab sie mir doch

einen oftmals ersten Einblick in die Zusammenarbeit

mit einem neuen Tutorpartner, gab uns also eine

Gelegenheit, noch vor dein Ernstfall Semesterbeginn

zu erahnen, uo die Probleme und uo die Chancen

unseres Tutoranpaares liegen. Darüoer hinaus

habe ich selten ein so unmittelbares Feedback

auf mein Tutoruerhalten bekommen.. Umgekehrt

konnte mir diese modellhafte Arbeit vermitteln,

uie es sich anfühlt, uenn ich als'Gruppenmitglied"

helfende Tutoren vermiete, oder sie als uohl tuend

strukturierend empfand, uo mir ein Durchblick

fehlte, oder ich sie angreifen mußte etc.

Als strukturierende Leiter in dar Nachbesprschung

gaben uiderum die Trainer ein Modell für Tutoren-

verhalten. Diese Arbeitsueise bildete den Kern

der Trainings mit marburger Tutoren aus der Psycho-

somatik als Trainern.

Jan Graat, ein Dozent der niederländischen Uni-

versität in Maastricht, der uns ebenfalls mehrfach

trainierte, setzte einen ueiteren Schuerpunkt in

der Arbeit mit Roll anspielen. Sc haben uir Probleme

dar Tutoren aus früheren Gruppen aufgegriffen

und ?un Ogenstand von Pollenspielen gemacht:

_as p a s s i e r t , uenn ein Patient mit, unheilbarer

*rar;*r.oit zum i n t e r v i e w Kämmt? „i e soll ich als

Tut er " 11 "icrutirjsn in aer Gruppe umgehen? Uas

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mache ich, uenn die Gruppe vom Ihema abzukommen

scneint? etc. Meist erhielten die Hollenspieler

getrennt eine kurze Vorgabe vom Trainer. Schon

nach 3 üi3 7nHinuten brach Jan das Rallenspiel

ab. Die Nachbesprechung konnte dann an konkretem

Erlebnis- und Vernal ten s-Pla ter ial festgemacht uer-

clen. Bei unserem letzten Training haben wir uns

zusätzlich Video-Auf Zeichnung zunutze gemacht.

Kritisch möchte ich zu unseren Trainings anmer-

ken, daß sie aufgrund des engen Zeitplans und

der kurzen Dauer oft zu gedrängt und belastend

empfunden uurden. Belastend auch, usil es ja um

Inhalte geht, die uns alle emotional stark berührt

haben, sadaß unsere Reaktionen uon Hochs t immung

über Tränen bis zu tiefer Erschöpfung reichten.

Zunehmend Defähigen uns die emotionalen Lernuor-

gange aber, die theoretischen H intergrün de von

Anamneaeerhebung, Gruppendynamik, Gesprächsführung

u.a. - also das kognitve Rüstzeug des Tutors -

systematisch zu erarbeiten.

XII. Internationales Balint-Treffen, Ascona29. März-1. April 1984

Psychologische Ausbildung des Arztes

Zwischen Leiden und Hoffen

Christian MarkuortInformationen und Gedankenaustausch zu Problemen

der Arzt-Patienten-Beziehung

r '9 •

Patronat:Gesellschaften für psychosomatische Medizin von

Frankreich, Österreich, Japan, Italien und der Schweiz;Deutsches Kollegium für Psychosomatische Medizin;

Internationale Balint-Vereinigung

Ehrenpräsidentschaft von Mrs. Enid Balint, London

Wissenschaftliche Leitung:Prof. Dr. med. B. Luban-PlozzaPiazza Fontana Pedrazzini

CH-6600Locarno

Unterkunftsreservierung:

VerkehrsvereinCH-6612 Ascona

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Psychosomotikich Humanmedizin der Philippi-Univeriitöt

Prof. Dr. med. W. SJiGffel

3550 MarWg/Lahn, den 2 0 . l S . 8'lKt>berl Kodi-SlioB« 7Tti.ion (O« :n istanno

-z?--

F O R D E R U N G H E Z 1 E H U H G S O R I E N T I E R T E H A U S B I L D U N G S A H S A T Z E :

P R E I S F'JR M E D I Z I N S T U D E N T E N : "ASCONESER MODELL"

E I N T ,

L l e b e A n a m n p s e g r u p p lc> r,

zum nächst jäh r i gen Maitreffen darf ich Sie bereits jetzt, auchim Namen der Marburger Tutoren und aller im Lande verstreutenUralt-Tutoren herzlich einladen. Das Treffen wird stattfinden:

Freitag, II. - Sonntag, 13.Mai 1984.

Bitte planen Sie dieses Treffen frühzeitig ein, da es erfahrungs-gemäß im Mai immer mehr Termine gibt, je naher dieser Wonnemo-nat ruckt !

Hie immer soll auch das nächste Haitreffen zu einem p e r s o n -liehen Treffen werden. Bei den Veranstaltungen wollen wirunmittelbar auf die Arbeit zurückgreifen. Wir planen, daß Tutarenverschiedener Orte Anamnesegruppen leiten. Dabei stellen dieGruppen praktisch den Innenkreis dar und die anderen Teilnehmerdes Maitreffens sind der Außenkreis. Anschließend wird das Vor-gehen diskutiert. Es sollen Schlußfolgerungen für das weitereVorgehen gezogen werden.

Bereits jetzt soll ab<?r auf zwei entscheidende Themen hingewiesenwerden, die für die Weiterentwicklung der Anamnese g ruppen vonentscheidender Bedeutung sind:

1. Die Supervision2. Das Training

Sie alle sind sehr herzlich eingeladen. Dabei spielt es keineRolle, ob Sie Tu t o r sind, w.^ren, werden wollen oder ganz einfachderzeit an einer An dm n eseg ruppe teilnehmen. Erfahrung in derM i t a r b e i t an einet An amne s e g r u p p e ist aber erwünscht.

Dam i t wir einigermaßen vernünftig planen können:Anmeldungen werden bereits: j t:L x t angenommen; spätestenss o l l t e n Sje sich aber bis zum 30.April 1984 angemeldethatten an folgende Anschrift:

Die Tutoren der Anamnesf-qruppenc /o Abteilung PS g c h os otnat i kHöbe r r. Koch 5fr. 7

3550 Marburg

Mit den Bai int-Treffen von Asccna soll u.a. das studen-

ti sehe Bemühun gefordert werden eine palienten- und be-

ziehungsorientierte Ausbildung zum Arzt aus neuen Ansätzen

weiter zu entwickeln. Mit einem - von der Firma Pharmaton

(Lugano) gestifteten - Pre_ls_ in der Hohe von 5.000 Sfr.

sollen die Arbeiten von Medizinstudenten ausgezeichnet

werden, die sich aufgrund persönlicher Erfahrung mit Aus-

biIdungsaspekten der Arzt-Patient-Beziehung befassen.

Das Deutsche Kollegium für Psychosomatisehe Medizin (DKPM),

die Gesellschaften für psychosomatische Medizin von Frank-

reich, Oesterreich, Italien und der Schweiz sowie die

Internationale Balint-Vereinigung benennen Beauftragte,

die zusammen mit studentischen Vertretern das Preisrichter-

kollegi um biIden.

Die Arbeiten werden nach folgenden Gesichtspunkten beurteilt

vl . Die vorgelegte Arbei t ist wesentlich zentriert auf eine

t je r s ein l i ehe Erfahrung innerhalb der Student-Patient-

Bez i ehung. (Kxposi Liun)

"J . Ji ese w i rd - allein oder in de r Gruppe - im Rahmen des

He?, iehunp.sne t zes zwischen dem Studenten, dem Pflege-

personal, der Hierarchie und den verschiedensten Insti-

tutionen erlebt und verarbeitet. (Reflexion)

3. Sie zeigt die Reflexion des U"ndL-r.1.1:n über solche Er-

fahrungen und ihren Fi nfluss auf ^ein berufl i ehes Erleben

und Handeln t. u f. (Aktion)

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4. Sie öffnet Wege, die hierfür nutwendigen Freiräume In

seiner Ausbildung zu schaffen. Der oft unterdruckte

Zugang zu den eigenen Gefühlen und Fantasien wird in

die Auseinandersetzung mit der ärztlichen Verantwortung

einbezogen (Progression)

5. Bereits eingereichte Diplomarbeiten und Dissertationen

werden wie bisher nicht berücksichtigt.

EjrisendeschlLiss: 33. Januar 1984.

D.ie Preisverleihung findet anlässlich des l?. Balint-

Treffens in Ascona am 30. Harz 1984 statt.

Je 8 Exemplare der Arbeit, jedes mit der genauen Adresse

der Einsender, sind zu richten an:

Prof.Dr.med. W. Schuffei. Leiter der Abteilung Psycho-

somatik der Universität, 0-3550 Marburg; und

Prof.Dr.med. B. Luban-Plozza, Piazza Fontana Pedrazzini,

CH-6600 Locarno.

ASCONESER PREISARBEIT 1983

von Marlan Wagner, Utrecht, Niederlande

Teilnehmende Observation einer Sterbensbegleitung

Einleitung

Ich bin eine Studentin in der Medizin fUrs dritte Jahr,

in Utrecht. An unserer Fakultät Ist es Brauch, daß man

im dritten Jahr eine wissenschaftliche Probezeit macht

und weil ich an Stcrbensbeglei tung interessiert bin,

wählte ich dieses Thema zu meinem Probezeitgegenstand.

Wei l dies das erste Mal war', daß dieses Thema gewählt

wurde habe ich selbst Form und Inhalt bestimmen dürfen.

Der Zweck dieser Probezeit war der Versuch eine Antwort

zu finden zu den folgenden Fragen:

1. Weiche sind die Wünsche und Erwartungen der Patienten

bezüglich der Sterbensbegleitung und wie schließt

::iar. im Krankenhaus daran an?

2. Hat das ja oder nein g laubig zu sein Einfluß auf die

SterbensbegJeitung und die Verarbei tung des annahenden

Sterbens?

Ich hatte die Hoffnung mitte l s teilnehmender Observation

eine Antwort zu diesen Fragen zu bekommen.

Die Probezeit dauerte sechs Wochen und fand statt auf

einer Abteilung für Innere Medizin eines Regionskranken-

hauses, in dem eine Arbei tsgruppe Sterbensbeglei tung

funktioniert. In der Abteilung für Innere Medizin führen

Ärzte, Pflegende, Sozialfürsorger und Seelsorger einmal

pro Woche Rucksprache Über die Patienten. Ich war an-

wesend bei Anamnese, Untersuchung, Behandlung, Besuch der

Ärzte in den Krankenzimmern und Patientenbesprechungen;

daneben führte ich Gespräche mit Patienten. Diese Probe-

zeit führte mich auch zum t-rsten Mal in meinem Studium

'•r. eir. Krankenhaus und dort hatte ich also auch meine

ers'_e:i Kontakte rr.il. Pa'.ienten.

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-30-

Folgender Bericht ist nicht mein offizieller Probezeit-

bericht, sondern die Beschreibung einer apeT- teilen

Erfahrung, die mich sehr beeindruckt hat.

In der dritten Woche meiner Probezeit lernte ich Frau A.

kennen. Ich hatte sie schon beim Arztbesuch in i hrem

Zimmer gesehen, aber noch nicht mit ihr gesprochen: sie

lag in einem Saale und dort hatte ich ni chts zu suchen.

Später wurde sie in ein Einzel z immer vcrl egt, in rierp

sie immer alleine am Fenster saß. Nachdem ich lange ge-

zögert hatte und manches Mal den Korridor auf und ab

gegangen war bin ich doch endlich in ihr Zimmer hinein-

gegangen, sagen wir "nur so wegen der Gemütlichkeit".

Ich sage "sagen wir", weil ich tatsächlich mit größter

Scheu hereinkam. Ich wußte via Gesprächen mit Pflegenden,

daß sie zlemlich einsam war und etwas plaudern oder ein

kleines Zeichen der Teilnahme schätzen würde. Aber ich

wußte auch, daß sie sterbenskrank war und daß sie, eigener

Bitte nach, keine Behandlung mehr bekam, nur entnahm

man ihr noch Blutproben.

Ich zögerte so lange, weil ich.noch nie in meinem Leben

mit einem Sterbenden Kontakt gehabt hatte und weil ich

keine Ahnung hatte was ich sagen sollte und möglicherweise

noch weniger wußte, was ich nicht sagen sollte. Aber ...

es lief alles hundertprozentig; Frau A. hatte selber

vieles zu erzählen. Sie plauderte frisch von der Leber

über Früher, über ihren Mann, der l 1/2 Jahre eher ge-

storben war und über ihre einzige Schwester, die einige

Jahre jünger war als sie. Sie erzählte mir auch, schon

während unserer ersten Begegnung, daß ihre Behandlung

nicht mehr fortgeführt wurde. Sie freute sich darüber,

daß Dr. B., der Staitons-Arzt, ihr versichert hatte, daß

nichts mehr unternommen we r den würde. Kurz und gut : ich

könnt ruhig bei ihr sitzen und ihr zuhören, es machte

ihr tatsächlich Spaß jemanden zu Besuch zu haben und ich

verabredete m 11 ihr, daß Ich nach dem Wocheneride (es war

Freitag) wieder zu ihr kommen würde.

-34 -

Erleichtert trat ich wieder hinaas: ich hatte keine

dummen Dinge gesagt und Frau A. hatte mich akzeptiert,

was für mich sehr wichtig war, denn in meinem Hiriterkopf

hatte doch die Idee gespielt, sie konnte es vielleicht

nicht angenehm finden, daß eine Fremde nur so wegen

der Gemütlichkeit bei ihr vorbei kommt.

Seit dieser ersten Begegnung ging ich tatsächlich regel-

mäßig bei ihr vorbei, erst einmal pro Tag, später zwei-

mal und mit der Zeit, immer öfter. Im Anfang redete sie

sehr viel über früher, über die Sorge die sie sich um

ihre Schwester machte und über alltagliche Angelegen-

heiten. Auch sprach sie über' ihr Sterben. Sie hatte in-

zwischen von den Ärzten vernommen, daß sie ein Karzinom

hatte und nicht mehr gesund werden wurde. Mit der Zeit

sprach sie immer mehr über ihr Sterben und Über Euthanasie.

Ich war nicht in der Lage mein passives Verhalten lange

durchzuhalten, denn sie fragte mich direkt nach meiner

Meinung diesbezüglich. In den Tagen nachdem sprach sie

eigentlich nur noch über Sterben und Euthanasie. Auf

meine Frage, ob sie außer mir noch mit anderen hierüber

sprach sagte sie nein. In diesen Tagen auch ging sie

sich sehr schnell an mich hängen; sie schaute tatsächlich

nach meinen Besuchen aus (ich kam immer morgens zu etwa

derselben Zeit). Auch behauptete sie, es sei eine Schickung

der Vorsehung, daß wir einander auf diesem für sie letzten

Stuckchen Wege hatten treffen müssen. Sie hielt viel auf

körperlichen Kontakt und so konnte es also- geschehen,

daß wir Hand in Hand am Tisch saßen, dann und wann sogar

hielten wir beide Hände. Wenn ich ganz offen sein soll

muß ich sagen, daß ich mich in dieser Si tuation sehr un-

hei m i seh fühl te . Es war immer Frau A., die die Initiative

ergriff und obschon ich es ihr nicht verweigerte habe ich

jedoch in dieser Zeit niemals aus eigener Initiative ihre

Hände gefaßt . Ich konnte d; e f.e Tu h", c? , die sie für mich

hat te und die mi t der Zeit immer stärker wurden nicht

erwidern und konnte F,ie auch nicht vorwenden. Wohl ver-

:r:-jjhte ich es auf zubri ngen {wenn wi r denn doch einmal Hände

h.iuilc:ij "ia I ihre Hand 7. u drücken, worauf sie dann angeblich

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-32.-

reagierte. Ich hoffte jedoch, ich würde in dieser Situation

nicht von vielen Leuten gesehen werden (und ich fühlte

mich si tzen, denn die Tür stand immer auf), Erst später

im Laufe ihrer Krankheit, als sie nicht mehr meine Hände

halten wo Ute, fing ich an dies zu schätzen, wel l ich

dann die Idee hatte, daß unser einziges Mittel zum Kontakt

abgeschnitten sei, denn sprechen konnte sie in dem Stadium

nicht mehr gut. Damals auch habe ich erst recht verstanden,

was alles man sich mittels Hände halten noch an Zuneigung

geben kann und einander zu "sagen" vermag. Als sie denn

auch später angab, daß sie wieder gerne meine Hände

halten würde war -es auch meinetwegen von Herzen aus ge-

meint wenn ich Ihre Hand faßte und tat ich das nicht mehr

nur weil ich wußte, daß sie es gerne hatte.

Während ihres Krankenhausaufenthaltes wurde Frau A. von

zwei Ärzten behandelt: im Anfang von Dr. C. und als dieser

in Ferien ging von Dr. D. Daneben war selbstverständlich

immder Dr. B,, der Stationsarzt, da. Daß ihre Behandlung

im Zeitlauf von Dr. D. übernommen wurde kam Frau A. sehr

gut gelegen. Sie sehnte sich noch immer nach Euthanasie

und hatte die Idee, Dr. C. lehnte dies vollends ab; also

setzte sie ihre ganze Hoffnung auf Dr. D. Mir erzählte sie,

warum sie Euthanasie wünschte (seit dem Tod ihres Mannes

hatte sie keine Lebenslust mehr, sie war einsam, sie wollte

nicht anderen zur Last fallen) und durch mich versuchte sie

zu erfahren, wie die verschiedenen Arzte der Euthanasie

gegenüber standen. Insbesondere die Meinung des Dr. B.

diesbetreffend war für sie sehr wichtig. Sie fragte mich

ob er es tun würde und in wi efern er diesbezüglich den

anderen Ärzten Verantwortung schuldig sei. Bis zum Tage

ihres Sterbens hat sie immer ihre ganze Hoffnung auf

Dr. B: gesetzt und glaubte, er würde ihr helfen.

Langsam aber sicher wurde ich zu ihrer Vertrauensperson.

Sie erzählte mir ihre Beschwerden und Bemerkungen, sie

teilte mit mir ihre Sorgen (zum Beispiel die über das

Entnehmen der Blutproben: sie hatte Angst, daß man ihr

-33. -

Blut zuführen wu'rde; sie merkte dies als lebensverlängernd

an). Sie hoffte offensichtlich, daß ich dies alles Dr. B.

überbringen würde und fragte mich dies dann und wann auch

di rekt. Dr. B. war wlrklich eine Hoffnung für sie.

Sie hielt es durch, meine Meinung für wichtig zu halten

und ich begann zu lernen, wie ich Jemandem, der tatsächlich

mir ganz fremd ist, etwas von mir selber geben kann.

Jedoch hatte ich mir dazu viel Mühe zu geben, denn ge-

wöhnlich behalte ich gerne meine Meinung fUr Mich; aber ich

begann einzusehen, daß, wollte ich zum wesentlichen Kontakt

mit jemandem geraten, ich es wagen sollte, etwas von mir

hinzugeben.

Mit ihrer Schwester sprach Frau A, nie über ihr Sterben

oder Über Euthanasie: ihre Schwester vermutete nicht ihre

Gedanken diesbetreffend. Sie wolIte auch nicht, daß ihre

Schwester bei ihrem Sterben anwesend sein würde, sie

wollte ihr soviel Leid ersparen wie möglich. Jedoch würde

sie es schätzen, wenn jemand dabei wäre und als ich fragte',

wer das denn sein sollte sagte sie: "Du, zum Beispiel".

Dieser Ausspruch von ihr hat bei mir eine Menge Angst und

Unsieherhe i t verursacht. Meinem Gefühl nach würde ich da-

durch sehr eng in dies a11es mi t einbezogen; in den Ge-

sprächen, die ich nachher mit ihr hatte spielte dieser

Ausspruch immer im Hintergrund mit und hat mir auch bei

al lern was ich sagte oder tat das Gefühl gegeben, daß ich

mi tmachte etwas zustande zu bringen (oder vielleicht gerade

das Entgegengesetzte) dem ich nicht gewachsen war. Bis

zu diesem Moment war ich in der Lage gewesen, alles ohne

Vorurteil überdenken und beurteilen zu können, aber seitdem

wußte ich bewußt oder unbewußt, daß ich mit im Spiel war

und rechnete ab da auch meine eigenen Gefühle mit. Ich

nehme an, daß mein Urteil deswegen doch eine Art eigene

Farbe bekommen hat und nicht mehr nur auf Frau A. bezogen

war; man ist ja in der Lage unbewußt Situationen, die man

nicht bewältigen kann, aus dem Wege zu gehen.

Ich dachte ich würde es kaum aufbringen, dabei zu sein wenn

sie "ordentlich" starb; wie ich mich benehmen würde wenn

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man mittels Euthanasie ihr Leben beenden würde konnte ich

nur ahnen.

Ab diesem Moment habe ich be i nahe ununterbrochen darüber

nachgedacht was man tun soll wenn jemand stirbt. Was soll

man sagen....? Was so 11 man tun... . ? Wenn Euthanasie gegeben

wird, wie verarbeite ich das selbst? Wie verantworte ich

das mir selber- gegenüber? Daß ich i n so fern als es in

rieiriem Ver::io>i,er: lag ihrer "Bitte" nachkommer, würde stand

für mich fest. Meinen: Gefühl nach war ich ihr gegenüber

dazu verpflichtet, we i i ich nie i hre Bi t le als unverbind l ich*

angemerkt hatte. Wenn sich einer in einer derartigen

Situation an dich wendet kannst du meiner Überzeugung nach

nichts anderes tun als diesem entgegenkommen und in diese

Bitte einwi 11 i p,en .

f. s ist m i r jedoch ganz kl a r, daß ich, als Frau A. tataach-

l i e h um Eu'hanaKie bat, ganz anders reagierte und nicht auf

i hre t! i ttc eing i rig . Auch we i ß ich , daß d i CG wi eder genau

so passierte als sie m:ch bat, Tabletten für sie mitzu-

nehmen : auch damals verweigerte ich. Erst sehr spät habe

ich den an de ren (Dr. D . , Dr. B . , Pfarrer E . ) e r 7. äh L t, daß

Frau A. wo11 te, daß ich dabei bin wenn sie stirbt und

vordem hat te ich Frau A. gefragt, ob sie das noch immer

wünschte; sie bejahte das.

Während einer unserer Gespräche fragte Frau A. mich, ob ich,

wenn ich Dr. D. alle ine traf, ihn fragen wolIte, ob er

mal mit ihr sprechen wird. Sie wollte ihm das nicht selber

sagen, weil wenn Dr. B. zu ihr kam immer andere dabei

waren: tatsächlich meinte sie die Oberschwester. Dr. B.

war hierzu bereit und danach war sie davon überzeugt, daß

Dr. B. ihr ohne Bedenken helfen würde. Später wUrde sie

noch hierauf zurückkommen.

Zehn Tage nach unserer ersten Begegnung fragte Frau A. Dr.D.

während se iner Visi te (also in jedermanns Beise in) , ob er ihr

helfen wollte (sie Meinte:Euthanasie geben). Dr. D. hat

ihr in diesem Moment nicht geantwortet, aber- kam zu dem

Beschluß, mit Dr. B,, Pfarrer F., der Oberschwester (und mir)

über die Bitte der Frau A. sprechen zu wollen. Dieses

Gespräch fand am nächsten Nachmittag statt und dauerte

mehr als l 1/2 Stunden. Bevor diesem Gespräch habe ich

bei mir selbst gebetet, daß die richtige Entscheidung

getroffen werden würde. Ob auch meine Meinung ins Gewicht

gefallen ist, weiß ich nicht; vielleicht ist sie. Es

war übrigens (?ine sonderbare Erfahrung mit fünf Menschen

über das Leben eines anderen Menschen zu entscheiden. In

einer erster. Runde gab jeder Anwesende (außer mir) seine

Meinung Frau A. betreffend. Hieraus zeigte sich, daß Frau A,

einerseits erkennbar angab sterben zu wollen, anderer-

seits in vielem unbewußt merken ließ, daß sie noch am

Leben interessiert war. Als Argumente zu ihrem Wunsch

sterben zu wollen hatte Frau A. ihre Einsamkeit und Aus-

sichtslosigkeit vorgebracht, 'unerträgliche Schmerzen hatte

sie nicht; sie möchte nur gerne auf eine menschenwürdige

Weise ihr Leben beenden.

Die Me i nung des Dr. D. war, er trüge als behandelnder

Arzt die Verantwortung. Er sagte, daß er diese auf sich

nehmen- wollte und erklärte sich bereit Frau A. zu helfen.

Wenn man ihr ihre Bitte verweigerte sagte er, sollte man

sehr gut wissen was man ihr statt dessen bieten könnte.

Ohne Zweifel würde sie eine Verweigerung wie "im Stich

gelassen werden" empfingen. In diesem Moment habe ich zum

ersten Mal während dieses Gespräches etwas hervorgebracht.

Ich hatte lange gezögert bevor ich etwas sagte und auch

in der ersten Runde hatte ich nicht die Chance ergriffen,

etwas beizutragen. Ich war in der Annahme, daß ich nur

als Zuhörerin diesem Gespräch beiwohnte und in dergleichen

Fällen werde ich nicht leicht etwas hervorbringen, es

sei denn, daß man mich dazu einlädt. Andererseits wußte

ich so vieles Frau A. betreffend und hatte ich soviel

Kontakt mit ihr, daß ich es wie eine Verpflichtung fühlte,

etwas zu sagen. So hatte ich die Überzeugung, daß man

ihr statt Euthanasie nichts bieten konnte. Sie wünschte

ihren Tod und was wir auch sonst antragen würden, es würde

fUr sie a 11 es unwtcht lg ü'.'irs, wie DOS l t, i v wir es auch dar-

srel l t er;.

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Es folgte dann eine zweite Runde, in der sich jeder

betreffend Euthanasie aussprach. Dr. D. und Pfarrer E.

waren dafür, Dr. B. war selber noch nicht so weit, die

Oberschwester war aus prinzipiellen Gründen dagegen und

ich sagte, ich würde es nicht selber tun können in ihrem

heutigen Zustand. Die endgült ige Entscheidung war also:

nein, keine Euthanasie, Ich muß zugeben, daß ich mich

über diese Entscheidung freute; aber nur weil ich den

Gedanken, sie in ihrem heut".gen Zustand töten zu lassen

nicht ertragen konnte. Aber ich fühlte und wußte auch,

daß wir angefangen hatten, sie im Stich zu lassen und

das war genau was wir heranfolgend taten. Sofort nach

dem Gespräch gingen wir, außer Pfarrer E. zur Frau A.

Dr. D. stand rechts vom Bett, Dr. B. und die Oberschwester

links und ich am Fußende. Dr. D. erzählte der Frau ganz

liebevoll und sehr vorsichtig, daß sie ihr nicht helfen

könnten, nicht schon jetzt. Er versicherte ihr, daß sie

alles Mögliche tun würden, um ihr Leiden einzuschränken,

aber daß sie in ihre Bitte nicht einwilligen konnten.

Es war danach tief erschütternd,ansehen und anhören zu

müssen, wie Frau A. immer wieder flehentlich betete,

doch sterben zu dürfen; immer wieder bat sie Dr. D.,

ihr doch um Gottes willen zu helfen; sie machte den

Vorschlag es selbst zu tun, damit Dr. D. sein Gewissen

nicht zu belasten brauchte. Dr. D. aber konnte nichts

anderes tun als wiederholen was er gesagt hatte; er sagte,

er hätte ihren Wunsch verstanden, aber konnte ihr nicht

helfen.

An der anderen Seite des Bettes hatte inzwischen Dr. B.

es sehr schwer. Er wurde abwechselnd rot und blaß und

putzte sich wi ederho 11 die Nase. Glücklicherweise konnte

Frau A. dies nicht sehen; sie lag mit dem Rücken ihm

zugekehrt und blickte nur auf Dr. D. Glücklicherweise''

Vielleicht hatte sie es gerade doch sehen sollen, wie

das alles jemanden traf. Auch Dr. D. hatte es schwer.

Frau A. hat dann angefangen, uns ein«n nach dem anderen

persönlich anzureden, wobei sie jeden beim Namen nannte

und gerade ins Gesicht blickte. Wie h i l f l o s man sich dann

fühlt

-3?--Als Dr. D. das Gespräch beendete gingen alle fort und

Frau A. biieb alleine zurück. Ich wäre gern bei ihr be-

blicben, doch mir fehlte der Hut. Es erschien ja auch so

schrecklich gemein: sie alleine gegen uns vier. Dr. B.

lief mehr oder weniger fluchend weg und weinte. Es war

ja auch tief angreifend, einen Menschen auf diese Weise

flehen und beten zu sehen, un doch, sterben zu dürfen.

Dr. B. wurde aber sofort wieder von den Pflegenden mit

Prob lernen konfrontiert; selbst in diesen Augenblicken

brachten sie es nicht fertig, sich für fünf Hinuten zu

gedul der.. Ich für mich habe es nicht weiter gebracht,

als hart mi t me inem Fuß auf den Boden zu stampfen (wie

ich meistens tue, wenn ich etwas nicht verdauen kann).

Nach etwa einer Viertelstunde bin ich denn doch wieder

zur Frau A. gegarigen. Sie war sehr still und sagte, sie

hätte all ihre Hoffnung verloren. Sie dachte, Dr. B.

hätte ihr sicher geholfen, hätte alleinig er die Ent-

scheidung treffen müssen. Sie dachte dies aufgrund des •

Gesprächs, welches sie früher in der Woche mit ihm ge-

führt hatte. Sie wollte auch von mir wissen, wer am meisten

gegen Euthanasie gewesen war und ob ich ihr geholfen

hätte, wäre ich Ärztin gewesen. Eigentlich war es gar

keine Frage: sie nahm ohne weiteres an, daß ich es dann

tun würde. Ich habe ihr darum ganz offen gesagt, daß ich

es nicht hätte tun können. Fast gleich danach fragte sie

mich, ob ich eine Tablette für sie mitnehmen wollte. Ich

habe dann nur mit dem Kopf geschüttelt. Nein "schütteln"

scheint nicht so schlimm zu sein wie nein sagen. Als sie

jedmanden zu Besuch bekam bin ich nach Hause gegangen.

Ai:i nächsten Tag war ich einige Maie bei Frau A. Über

S t erbe n öde:' £uthanasi e sprach sie nicht mehr; sie wollte

nur noch meine Hände halten. Sie erzählte mir, wie gern

sie mich hatte, fing an mich "Schätzchen" und "Liebling"

zu nennen und benahm sich mir gegenüber wie ein Mütterchen.

Als ich ging gab sie mir einen KUSS. Auf dieses Benehmen

der Frau A. reagi erte ich :-si '. Panik. Es war mir unmöglich,

dl j Gefühle , d; e Frau A. für :::ich hat. !e , zu erwidern. Das

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- 52-

zeigte sich am nächsten Tag auch in meinem Benehmen.

Ich kam ebenso oft wie an anderen Tagen zu ihr, aber

als sie zu mir sagte: "Schätzchen, achtes-t du wohl auf

Deine Zeit", machte ich einen dankbaren Gebrauch davon

und ging. Im Korridor lief ich seitdem auch sehr leise,

denn Frau A. kannte meinen Gang und da das Büro ihrem

Zimmer benachbart war, kam ich mehrere Male am Tag

bei ihr vorbei. Weil ich nicht mit ihren Gefühlen für

mich zurechtkam, sie nicht erwidern konnte und sie auch

nicht "spielen" wollte, versuchte ich extra Kontakte

zu vermeiden: ich wollte sie Ja auch nicht verletzen.

Später habe ich zwar dieses Benehmen bedauert, aber

damals konnte ich wirklich nicht anders.

Zum Glück war ich am nächsten Tag nicht mehr derartig

schlimm betroffen; es fiel mir leichter Frau A. entgegen

zu treten und ich kam besser mit ihren Gefühlen aus.

Diese zu erwidern vermochte ich jedoch auch dann noch

nicht.

Im Verlauf der Woche sagte Frau A. immer weniger. Ihr

Interesse an ihrer Umgebung verwischte sich immer mehr;

sie war sehr müde und es gelang mir immer weniger,

Kontakt mi t ihr aufzunehmen. Auch körperlich ging es

bergab mit ihr. Diese Abwärtslinie dauerte auch die nächste

Woche noch an und am Mittwoch erreichte sie einen Tief-

punkt. Sie interessierte sich für nichts mehr, zum mit-

einander reden hatte sie keine Lust mehr und auch Hand in

Hand sitzen lehnte sie ab. Sie wendete sich sogar wie ein

kleines Kind von mir ab und das hat mir schon weh getan.

In diesen Tagen habe ich mir viele Vorwürfe gemacht; ich

dachte , meine Reaktion auf ihre Gefühle se ien die Ursache

dafür, daß es ihr nicht gut ging. Und weil ich sie nicht

zu erreichen vermochte, blieb ich in dieser, Schuldgefühlen

stecken. Zum Glück habe ich nicht aufgehört sie zu besuchen,

Frau A. sagte zwar nichts und reagierte auf nichts

aber ich war bei ihr. Wahrscheinlich kam ich später an

diesem Mittwoch in einem günstigen Moment herein, denn

plötzlich sagte Frau A. mir, daß sie sich niedergeschlagen

-3?-

fühlte. Sie war nicht böse, aber so traurig, daß man ihr

keine Euthanasie geben konnte. Sie wollte ab da wieder

ein b i liehe n mi t einander reden, auch Hand in Hand sitzen

fand sie wieder schön und gottlob ging es ihr am nächsten

Tag viel besser. Ab diesem Tag faßte sie, so krank sie

auch war, ihre Sache mittels einer neuen Taktik an. Sie

fragte Dr. B. aufs Neue, ob er ihr helfen wollte und dies

hat sie ihn (wie sie mir erzählte) ab da jeden Tag gefragt,

Der Freitag dieser Woche war eigentlich der letzte Tag

meiner Probezeit, aber ich versprach Frau A., daß Ich nach

dem Wochenende wieder bei Ihr vorbei kommen würde. Mit

Dr. B. hatte ich verabredet, daß ich an festen Stunden

Frau A. besuchen und ihr dies auch erzählen würde. Aus

dieser Verabredung zur Regelmäßigkeit aber kam nicht

viel heraus, da es Frau A. doch schon ziemlich schlecht

ging. Montags ging ich zum ersten Mal nach meiner Probe-

zeit wieder zu Besuch zur Frau A. Sie war nicht leicht

anzusprechen, war sehr müde und freute sich nicht erkenn-

bar, daß ich da war. Wir hatten nicht viel Kontakt mit-

einander und ich muß sagen, daß ich ein wenig enttäuscht

war von ihrer Reaktion. Meine Enttäuschung wurde aber

mi t dadurch verursacht, daß ich, obschon ich in der

Ab teilung eine schöne Probezeit verbracht hatte, ich nicht

gerade von Herzen gern dorthin zurück ging.

Diens tags ging es Frau A. wieder viel besser; sie saß

aufrecht im Bett und war sehr mitteilsam. Sie redete

wieder über früher, über sich selber. Hie war dankbar,

daß ich da war und erzahlte mir, wie sie sich freute, als

ich hereinkam; daß es so hätte gehen mUssen, daß wir

einander auf diesem Stückchen Wege begegnet sind und wie

lieb sie mich fand. Glücklicherweise reagierte ich nun

viel besser als beim ersten Mal als sie mir dergleichen

Dinge sagte und machte nicht dieselben Fehler wie damals.

Sie war in den zwischenliegenden Tagen auch viel mehr

jemand für mich geworden, für den ich Gefühle hegte und

auch das machte es leichter für mich. Ich war nun auch so

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weit, daß ich in Ruhe und bequem mit ihr Hand in Hand

sitzen konnte. Sie erzählte noch, wie gern sie Dr. B.

hatte und daßsie empfand, er wollte ihr schon heifen,

aber war nicht dazu in der Lage. Deswegen hielt sie es

noch immer durch, um Euthanasie zu bitten. Ich bin in

dieser Woche noch öfter bei ihr gewesen, aber an ihrem

Zustand änderte sich nicht viel.

Am Samstag wurde ich von ei ner Pflegeri n des Kranken-

hauses angerufen, weil es Frau A. sehr schlecht ging

und sie wiederhol t nach Dr. B. fragte. Ich hatte als

ich meine Probezeit beendete meine Telefonnummer hinter-

lassen, so daß man mich anrufen konnte, wenn es Frau A.

schlechter ging (wie ich es ihr auch versprochen hatte).

Auch Frau A. wußte, daß sie mich immer anrufen lassen

konnte, wenn sie mich bei Pich wünschte. Ich habe denn

auch in der Woche, in der Frau A. starb, dieses Telefon

verwünscht. Obschon ich nur einmal angerufen wurde, hatte ich

ununterbrochen Angst, daß der Apparat läuten würde. Denn

das bedeutete für mich, daß ich wahrscheinlich aufgerufen

wurde, um zum ersten Mal in meinem Leben Jemanden sterben

zu sehen. Auch wußte ich noch immer nicht, auf welche

Weise das geschehen würde: F'rau A. bat dermaßen durch-

haltend um Euthanasie, daß ich dachte: vielleicht ent-

schließt man sich doch endgültig dafür. Zuletzt hatte ich

beinahe nicht mehr den Mut, das Telefon zu beantworten und

Überließ dies anderen. Ich wagte es auch nicht mehr aus-

zugehen, weil ich Angst hatte, ich würde gerade dann

angerufen und lief die Gefahr zu spät bei Frau A. einzu-

treffen. Aber am Samstag läutete es denn doch und ich ging

ins Krankenhaus.

Den ganzen weiteren Nachmittag und Abend habe ich bei

Frau A. verbracht. Es ging ihr sehr schlecht aber sie

freute sich sehr, daß Ich gekommen war und bei ihr bleiben

wurde. Wahrscheinlich wurde ihre Freude noch erhöht da-

durch, daß sie wußte, ich würde eigentlich erst am Montag

kommen; wenn ich also jetzt schon da war konnte es, dachte

sie für sich, nicht mehr so lanp.e dauern. Das Sprechen fiel

ihr schwer und manchmal konnte ich sie denn auch nicht

verstehen. Aber wir konnten einander die Hände halten,

dies war denn auch die einzige Möglichkeit zum Kontakt.

Ich habe mich während der ganzen Zeit schrecklich ohnmächtig

und gespannt gefühlt und war bange. Ich konnte so gut wie

nichts für sie tun, außer ihr helfen wenn sie trank, sie

ein wenig verlegen, ihr Kissen aufschütteln. Ich hatte

Angst, daß sie sterben würde während ich alleine mit ihr

da war und am liebsten wollte ich, daß Dr. B. den ganzen

Tag hinter meinem Rücken stand oder mindestens auf der

Station war, so daß ich die Idee behalten konnte, daß für

mich auch einer da war. Aber außer den Pflegenden war

niemand anwesend; also war ich tatsächlich mit ihr allein.

Bei jedem stockenden Atemzug erschrak ich und dachte: nun

wird's geschehen. Auch wenn sie wegdöste erschrak ich.

Während diesem ganzen Tag hindurch fürchtete ich mich

schrecklich davor, daß sie sterben wurde. Aber sie starb

nicht und abends um Zehn schickte sie mich heim. "Gehe

schon", sagte sie. "Es dauert noch". Im Laufe dieses Tages

hatte ich ein paar Male erfahren, daß sie Medizinen ver-

weigerte. Sie sollte Nozipan i.m. bekommen, aber jedesmal

wenn einer der Pflegenden ihr das geben wollte verweigerte

sie und sagte es sei nicht kräftig genug, Dr. B. hätte

ihr etwas stärkeres versprochen und sie wünsche ihn zu

sprechen. Aber Dr. B, war nicht da und auch nicht erreichbar.

Ich sah sie danach erst am Montag wieder. Sie sprach

schwer aber war nicht dösig. Sie begrüßte mich .sehr hoffnungs-

voll mit: "Geht's zu Ende?" Als .ich sagte ich glaubte es

nicht war sie sehr enttäuscht. Wie schrecklich hoffnungs-

voll ihre Frage auch klang! Dies hat mich später zu der

Einsicht gebracht, warum es so wichtig ist, daß man jemand

in dieser Situation immer zum selben Zeitpunkt besucht.

Auch nun konnte ich nicht viel für sie tun und weiterhin

verweigerte sie das Nozipan. Diesbetreffend war sie ganz

festentschlossen: sie wollte Dr. B. sprechen. Als die

Pflegerin h i nausging um \ hn zu suchen sagte Frau A., daß

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sie jeden Tag betete, daß Dr. B. ihr helfen würde und

daß seine Gedanken diesbetreffend sich schon geändert

hätten. Als die Pflegerin wieder da war haben wir noch

versucht sie ?.u überreden, das Nozipan duch zu akzeptieren,

aber sie hielt durch: sie fand die Injektion nicht stark

genug. Die Pflegerin mußte unverrichte ter Ding wleder

gehen.

Ich muß zugeben, daß ich viel Bewunderung habe für jemand,

der in solch einer abhängigen Situation durchhält für das

zu kämpfen, was er als sein Hecht betrachtet: Euthanasie.

Ich finde, daß es vun Mut und Au'dauer zeugt, daß sie

i'mrner aufs Neue Ihre Medizinen verweigerte und nach Dr. B.

fragte. Sie war davon überzeugt, daß er ihr doch noch

helfen würde. Dr. B. fühlte sich in dieser Situation der-

maßen unbequem, daß er zuletzt mit hochgehobenem Haupt

vorbei an ihrem Zimmer ging und absichtlich starr vor

sich hin blickte. In diesen letzten Tagen wußte ich nicht

mehr, was ich zu Frau A. sagen sollte. Jedes Mal, daß Ich

mich von ihr verabschiedete dachte ich: "Vielleicht habe

ich sie zum letzten Mal gesehen". Ich war jedoch auch

nicht in der Lage mich ordentlich von ihr zu verabschieden:

"Bis Morgen" paßte nicht, weil sie hoffte es gäbe für sie

kein "Morgen" mehr und auch "Auf Wiedersehen" war nicht

am Platze. Meistens ging ich also mit einem gemunkelten

"Guten Tag" hinaus.

Am nächsten Tag rief Dr. B. mich am Anfang des Abends an

und erzählte mir, daß Frau A. vorschieden war. Ich erschrak

doch noch sehr als ich dies vernahm und meine erste Reaktion

war "Wie unangenehm". Das paßte selbstverständlich gar nicht,

weil ich wußte, wie gerne Frau A. hatte sterben wo]len und

auch, daß dies zu jedem Augenblick hat geschehen können.

Ich war also doch nicht da gewesen, als sie starb. Ich

hatte zwar keine Schuld daran, aber trotzdem habe ich lange

das Gefühl gehabt, daß ich diesbetrefferid mein Versprechen

ihr gegenüber nicht eingelost hatte. Ich hatte mir sehr

bewußt ihr Sterben vorgestellt, gerade aus Angst davor.

Ich hatte unzahlbare Male versucht, mir vorzustellen, wie

es sein würde: das Sterben, meine Reaktion darauf und was

ich machen würde, wenn sie gestorben ist. Jedenfalls war

ich innerlich sehr damit beschäftigt gewesen und nun war

sie doch gestorben, als ich nicht dabei war. Es war eine

Art Antiklimax zu mir.

Im Krankenhaus war seit zwei Wochen ein dritter Internist.

Dieser hatte anderswo Erfahrung mit terminalen Patienten

gesammelt und war an meiner Probezeit interessiert. Er

wo l Ite darüber ein Gespräch in i t mir führen. Ein paar

Tage bevor meine Probezeit im Krankenhaus endete hatten

Ur. B. und ich ein Gespräch mit Dr. F. Dr. B. und ich

nahmen hieran Teil mit Frau A. im Hintergrund unserer

Gedanken, Dr. F. sprach im Allgemeinen. Wir haben u.a.

darUber gesprochen,auf welche Weise Euthanasie gegeben

werden soll. Dr. F. sagte, er gäbe zuweilen eine anlaufende

Dosis Morphin. Man könnte es aber auch auf einmal mittels^

einer Spritze erledigen. Meine Meinung war, hätte man sich

einmal zur Euthanasie entschieden, man es am besten auf

einmal tun könnte und das sagte ich auch. Als davon die

Rede war, wer es tun soll fanden wir endgültig alle, es

sollte jemand sein, der das Vertrauen des Patienten hat.

Dr. B. hatte Dr. F. mittlerweile von Frau A. erzählt und

von dem Gespräch, das wir sie betreffend hatten. Als ich

an der Reihe war erklärte ich, weswegen ich in Ihrem Fall

zuerst gegen Euthanasie gewesen war und später dafUr.

Meine Meinung hatte sich nämlich ziemlich schnell nach

diesem Gespräch über ihre Bitte um Euthanasie geändert.

Ich hatte erfahren, wie Frau A. ihr Interesse verlor und

immer mehr hilfsbedürftig wurde. Das was für sie als ein

menschenwürdiges Leben zählte hatte sie schon sehr schnell -

nicht mehr. Das einzige, womit wir ihr helfen hätten können,

war das, wonach sie fragte, Ein paar Tage später war es

eigentlich schon zu spät und sie hatte auf eine Weise leben

müssen, die sie nicht mehr als menschenwürdig betrachtete.

Ich hatte denn auch die Hoffnung, daß Dr. B. auf seine

Entscheidung zurückkommen würde und das war ja möglich,

weil er gesagt hatte: nicht nun, nicht in diesem Moment.

Auch Dr. B. selber dachte so, aber leider (für sie) kam

er nicht auf seine Entscheidung zurück. Danach sagte Dr. F.

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-V-V1-zu mir: "Na also, well du nun dafür bist, so gibst du

dieser Frau die Euthanasie, wenn man sich dafür entschließt."

Am Anfang des Gesprächs hatte ich noch behauptet, daß ich

selber für Euthanasie war aber es nicht selber tun konnte,

und na, nun wußte ich nichts zu sagen. In diesem Augen-

blick flog durch meinen Kopf der Gedanke: Hätte ich doch

nur das Morphin gewählt. Dem Gang des Gesprächs folgend

aber konnte Ich nicht davon laufen: ich konnte nichts

anderes tun als ja sagen und ich sagte auch ja. Zu Dr. B.

hatte ich früher mal gesagt: man soll niemals sich selbst

oder seine GefUhle gefährden in einer solchen Situation

und doch war das genau das, was ich nun mir selber zu-

mutete .Nachts träumte i ch vom Krankenhaus und redete noch als

ich erwachte: "Und trotzdem wurde ich ni emals wissentlich

jemanden töten, ach nein, ist ja nicht mehr in Frage,

ich habe ja gesagt".Mit dem Wiedergeben dieses Gesprächs habe ich eigentlich

die Absicht, klar z.u machen, daß man sehr leicht über

etwas entscheiden kann, das man nicht selber zu erledigen

hat. Wie sorgfältig man sich auch besinnt und redet, man

hat die Sicherheit, da(i man es nie selber auszuführen

braucht und für die Folgen vcrantwortl ich ist. Ich durfte

mitdenken über Euthanasie, aber brauchte es nicht selber

zu tun - die? kam sogar nicht einmal in Frage. Bei näherer

Überlegung hat das alles für mich leicht gemacht. Mittels

dieses Gesprächs mit Dr. F. wurde es mir klar, daß es

sehr wichtig ist, daß Rücksprache gehalten wird, z.B.

über ja oder nein Euthanasie, aber daß die Meinung des

behandelnden Arztes entscheidend sein soll. Dieser Arzt

soll hinter seiner Entscheidung stehen. Die Meinung der

Anderen ist schon wichtig (zum Beispiel die der Pflegenden)

aber sie darf nicht allein ausschlaggebend sein. Sie

brauchen die Entscheidung nicht durchzuführen und das

macht einen wesentlichen Unterschied.

Diese Probezeit hat mich geändert. Ich habe sehr zurück-

haltend diese Probezeit angefangen und ohne mein Zutun

wurde ich immer enger auf Frau A. bezogen. Als ich ihre

Bekanntschaft machte hatte ich gewiss nicht die Absicht,

sie in irgendeiner Weise zu begleiten, ich hatte sogar nie

daran gedacht. Zu Anfang der Probezeit, als die Idee vor-

gebracht wurde, es wäre vielleicht sinnvoll jemanden zu

begleiten, habe ich dies abgelehnt. Ich fand es nicht

zu verantworten, mich auf jemanden loszulassen; wer

hätte wissen können, welchen Schaden ich zufügen würde.

Heute weiß ich, daß niemand mich zu jemandem schicken

kann und daß ich nicht selber jemanden auswählen kann

um von mir begleitet zu werden. Es kann geschehen, daß

jemand mich wählt und wenn das geschehen ist kann ich

dies annehmen oder ablehnen.

Besonders für mein persönliches Leben hat mir diese Probe-

zeit sehr genützt. Ich habe viele Barrieren übergehen müssen,

die für andere nicht so erkennbar waren, aber für mich

schon.

Körperlicher Kontakt

Ich habe mir schon Mühe geben müssen, körperlichen Kontakt

schätzen zu lernen. Ich bin nicht jemand, der schnell

trostvoll einen Arm um die Schultern eines anderen legt.

Ich weiß schon, daß solch eine (menschliehe) Gebärde

manchmal viel Stütze gibt, aber meistens tue ich es nicht.

Ich kann stundenlang jemandem zuhören, ich werde alles

l i egen lassen, mit dem ich beschäftigt bin, aber ich berühre

jemanden nicht. Für mich ist berühren so etwas Persönliches,

daß ich dies auch nicht leicht tun werde, wenn ich keine

persönliche Bindung mit jemandem habe. Deswegen kann ich

auch nicht einem Fremden auf diese Weise begegnen. Wenn

ich es doch mache, wie im Anfang bei Frau A., weil ich

wußte, daß sie es gerne hatte, geht für mich etwas von

dem Wert einer solchen Gebärde verloren und außerdem hat

diese Gebärde dann nicht den Wert, den der andere ihr

beimißt. Ich werde aber nicht verweigern, wenn jemand

meine Hand faßt, denn jeder hat das Recht, auf seine

eigene Weise um Unterstützung zu fragen.

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Dies ist die Bedeutung, die körperlicher Kontakt fUr mich

hatte, als ich meine Probezeit anfing und die er noch

immer hat, aber da ist eine Dimension dazu gekommen.

Ich weiß heute nicht nur welche Bedeutung die Gebärde hat,

sondern habe diese auch selbst empfunden. Ich habe

empfunden, was körperlicher Kontakt sein kann. Jetzt

werde ich vielleicht in der Lage sein, spater in meinem

Beruf tröstend einen Arm um jemandes Schulter zu legen

oder Hand in Hand zu sitzen, ohne daß es ein spezielles

Band gibt zwischen dem anderen und mir aber denn doch

nicht mit dem Behalt des Wertes, den die Gebärde für

mich hat.

Umgehen mit Gefühlen

Das Band zwischen jemandem und mir wird nicht nur von

mir bestimmt, sondern auch von dem anderen und KO kann

es geschehen, daß das Band für den Anderen eine tiefere

Bedeutung hat als für mich. Das zeigte sich auch während

dieser Probezeit. Frau A. bekam immer mehr sehr spezielle

Gefühle fUr mich, die ich nicht beantworten konnte und

wollte. Ich ließ sie schon Über mich kommen, aber fing

nichts damit an. Meinerseits war da keine positive Reaktion,

wohl eine negative. Ich versuchte nämlich extra Kontakte

zu vermeiden. Je mehr sie mich lieb fand, desto mehr ver-

suchte ich sie von mir fern zu halten. Es war sehr lästig,

den Abstand zwischen uns zu vergrößern, wo sie den immer

zu verkleinern suchte. In dieser Probezeit habe ich

gelernt mit ihren und meinen eigenen Gefühlen auszukommen

und später konnte ich ihre Gefühle wohl bejahen.

i sc hen Theori e und P rax i s

Daß es einen großen Unterschied gibt zwischen der Theorie

und der Praxis zeigte sich in dieser Probezeit sehr klar.

Ich habe dies sehr deutlich empfunden in dem Gespräch

mit Dr. F. Erst dann realisierte ich für mich völlig,

was es für mich bedeutete, die Verantwortlichkeit einer

Entscheidung für Euthanasie tragen zu müssen und die Ent-

scheidung auch durchführen zu müssen.

Wenn wir während des Gesprächs über die Bitte der Frau A.

in diese Bitte nicht einwilligten, fühlte ich mich ebenso

verantwortlich wie die anderen. Als Dr. F. suggerierte,

ich werde die Euthanasie durchführen müssen, fühlte ich

diese Verantwortlichkeit wie eine Last und ich fand

keine Unterstützung in dem Gedanken, daß wir die Ent-

sche idüng alle zusammen getroffen hatten, denn ich würde

es tun müssen.

Bezogenhei t

In diesem selben Gespräch fiel es mir auch auf, daß Dr. F.

sehr uribezogt; n über Euthanasie sprach, während Dr. B.

und ich tags vorher noch das Gespräch Über die Bitte

der Frau A. gehabt hatten und emotionell hiermit noch

stets beschäftigt waren. Wir redeten denn auch von dieser

Situation heraus. Übrigens wußte Dr. F. am Anfang des

Gesprächs nicht, daß sich dies auf unserer Abteilung ab-

spielte. Ich konnte denn auch merken, daß das Gespräch

sich auf verschiedenen Niveaus bewegte. Dr. F. sprach

im Allgemeinen, wahrscheinlich ohne daß er eine spezielle

Person vor Augen hatte, während wir über Frau A. sprachen,

Verantwortlichkeit

Wahrscheinlich gibt es eine ähnliche Unterschiedlichkeit

der Ausgangspunkte, wenn da an einem Gespräch über Eutha-

nasie Menschen teilnehmen, die auf verschiedene Weise

darauf bezogen sind. Die Ärzte, die wissen, daß sie die

Euthanasie durchzuführen haben, werden anders denken als

z.B. die Pflegenden, die weder verantwortlich sind für

die Entscheidung, noch die Euthanasie durchzuführen haben,

Man kann als Gruppe die Entscheidung fällen und denken,

daß man gemeinsam die Verantwortung trägt, aber endgültig

ist es ein? einzige Person, die die Handlungen durchführen

muß.

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Man kann s i ch noch fragen, wer cruigül t ig die Entsehe i düng

ja oder nein Euthanasie treffen so 11 : der verantwortliche

Spezialist oder der Stationsarzt, Der Spezialarzt kennt

den Pati enten doch nicht so gut wie der Stationsarzt und

viel leicht sollte dieser denn auch das entscheidende Wort

sprechen,

Personliches Funktionieren

Während dieser Probezeit habe ich vieles gesehen und

gelernt. Am meisten hat mir die Erfahrung mit Frau A.

genützt und was ich hier geschrieben habe war nicht alles:

es gibt viel mehr. Ich habe gesehen, wie man nicht funk-

tionieren soll und wie man es gut tun kann. Ich würde

nie funktionieren wollen wie die Oberschwester, sie er-

schien mir kühl. Schon wirksam und selbstsicher, aber

sie strahlte keine Wärme aus. Ich konnte nicht merken,

daß Frau A. sie dauerte. So hatte sie zum Beispiel nicht

aus dem Mund der Frau A. selber gehört, daß diese Eutha-

nasie wollte. Sie ist dann zu Frau A. gegangen und ist

so lange dort geblieben, bis diese es ihr gesagt hatte.

Bevor sie ging hatte sie noch gesagt: "ich gehe nicht von

ihr weg, bevor sie es mir gesagt hat." Als Dr, D. nach

dem Gespräch über Frau A. fragte, wer ihr das Ergebnis

sagen würde sagte diese Oberschwester: "Ach, das mache

ich schon." Auch während des Gesprächs lebte sie anscheinend

wenig mit. Ich behaupte nicht, daß sie wirklich nichts

fühlte, aber eLi kam mir so vor und ich werde davor auf

der Hut sein, daß andere Menschen mich so erfahren.

Ich bin sehr verschlossen und werde meine Gedanken und

Gefühle nicht schnei l zeigen. Wenn Menschen mich verwunden

werden sie es mir nicht ansehen können, höchstens schließe

ich mich noch weiter ab. Wenn Menschen mir etwas bedeuten

zeige ich ihnen das auch nicht leicht, vielleicht doch

in kleinen Di ngen, denn in denen versuche ich es wohl zu

zeigen, aber sagen tue ich es nicht. Wenn ich meine

Schwachheiten nicht zeige bin ich auch nicht leicht zu

verwunden.

In dieser Probezeit habe ich gelernt, ich habe es gesehen

und empf.und.en, daß ich mich besser doch kennen lassen

soll. Denn dann komme ich den Menschen glaubwürdiger

vor und kann auch ich selbst sein ohne eine Mauer der

Unerüpfindlichkeit um mich, die ich innerlich eigentlichnicht habe,

Dies ist das Allerwichtigste, was ich in dieser Probezeit

gelernt habe. Es hat mein persönliches Leben beeinflußt

und hiermit sicher auch mein zukunftiges Handeln.

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- 5b-August 63

Als uir im Februar 83 in den Zirka l der damals mit

uns 8 Tutaren aufgenommen waren, hatten uir beide -

Lydia und Heiner - das 1 . Semester Bedizin hinter uns(A)

und einen 1. Kurs in patientenonentierter nedizin be-

sucht. Die Uaraussetzungen, die uir für unsere Tätigkeit

als Tutoren mit brachten »empfinden wir im Nachhinein als

gering.

Unser Einstieg in patientenoroentierte Medizin, um den

es hier geht, ist nach nicht abgeschlossen, dafür war

alles zu neu und zu schnall; insofern bietet der Bericht

auch noch keine abgeschlossene Reflektion über unsere

Erfahrungen. Die Erfahrungen, positive uie negative, ma-

chen uir ständig, also schildern uir sie für uns und

für etuaige Neuanfänger in patientsnorientierter Fledi-

Es ging uns um eine gemeinsame Aufarbeitung unseres 1.

Tutorensemesters, allerdings ohne daß uir die Unterschied-

lichkeit unserer Erfahrungen zwanghaft auf einen Nen-

ner zu bringen uersuchten: Daher die Torrn unseres Berichtes.

Die Aussagen sind mit den jeueiligen Namen verbunden. Zum

Schluß stellte sich jedoch heraus, daß die Reflektion der

Eindrücke gar nicht so unterschiedlich ausfiel, so daß

die Zuordnung der Namen beliebig uäre.

Lydia: Den Kurs, den ich im 1. Semester besuchte, war ei-

gentlich der einzige Kurs, der mir an dar Uni Spaß

•-0Dieser Kurs bietet für vor klinische Studenten die Plöglich-

keii eines 1. Kontakts mit Patienten und versteht sich als

Grundlagankurs in Hinblick auf Anamneseerhebung im Sinne pa-

tientenorientierter Medizin. Schwerpunkt ist die Beziehungs-

arbai t zwischen Student und Patient (siehe Bericht Christi an)

-S1-machte: In dem ganzen Uust von naturuissenschaft-

licher Theorie hatte ich hier das Gefühl auch

praktisch mit Medizin in Berührung zu kommen. An-

fänglich hatte ich allerdings einige Zweifel, zB

"der Patient uird ausgenutzt, die Umstände unter

denen das Patienteninteruieu stattfindet sind un-

realistisch und gestellt" und vor allem hatte ich

Hemmungen vor einer Gruppe ein Zueiergesprach zu

führen.

Heiner:Ich hatte am Anfang das Gefühl, daß der Patient

für die Gruppe hauptsachlich eine Alibifunktion

darstellte: man diskutierte über ihn und ließ

sich selbst und die Gruppe draußen. Es hat ganz

schön gedauert, bis auch eine persönliche Ausei-

nandersetzung mit dem Patienten erfolgte.

Lydia: Als ich dann von Oliver (mein Tutor in. 1. Semester)

gefragt uurde, ob ich Lust hätte selbn t Tutor zu

uerden, uar mir nicht klar, welche 2iale ich als

Tutor verfolgen sollte, außer der Organisation das

Kurses. Ich war noch zu sehr Student der Gruppe,

;ils daß ich die Uei terentuick lung der Gruppenarbeit

auf ein bestimmtes Ziel hin erkennen könnt«.

Heiner:3.i, daß die Zweifel und Unsicherheiten und die

Trage nach dem Sinn der Arbeit Stadinn und Pro-

zesse sind, in denen sich eine GruppH je nach Ent-

wicklungsstand befindet, uurde mir auch erst klar,

als ich als Tutor eine Gruppe erleben konnte. Über-

haupt: Ziele, Definitionen, Schemata (soueit sich

eine solche Arbeit überhaupt schematisieren läßt)

hatten wir als Studenten im Kurs nicht erarbeitet -

wohl zugunsten des emotionalen Lernprozesses. Als

"Emotionaler Lernprozeß" uird hier im Gegensatz zu "kog-

nitiven Lernprozeß" verstanden: Erfahrungen machen, sie

zu reflektieren und zu verwarten zB in Hinblick auf den

LJ~gc,~g ~it de.- Patienten, im Gegensatz dazu, sich im Lehr-

buch beschriebene Eingehensueisen auf den Patienten anzu-e ignen.

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T u t, o r Mjt mir dann die Theorie g t= <" e n; •_; z 3

^eicne j t a a i e n macht eine Cruape a u r c h , u i e ist

öas ^allEanytrstanüniS des T utors unG ue icnes \ter-

h ai ten leitet sich üddurcn a o. Jas alles Kam

erst im L auf e des Semesters, teils u on selbst,

teils clurcn aie Supervision una durch aas Tu-

toren traininq.

Lycia: ji r hatten hohe Erwartungen an das er st = Tu-

torentraining. Hier sollten endlic'i meine diffusen

Vorstellungen von neiner zukünftigen Arbeit

konkret werden. £3 war auch unser erster Kon-

takt mit der gesamten Tutorengruppe und ich war

gespannt auf die Aroeitsweise in dieser Gruppe,

nachdem mir die Arbeitsweise in der Studen-

tengruppe gerade vertraut geworden uar.

Heiner:Els ist schwierig über diese Training zu be-

richten. Damals befand sich die Tutorengruppe

in einem Umbruch: 3 alte Tutaren hatten aufge-

hört und uir platzten in einen Gruppenprozeß

hinein, der durch Probleme, Auseinandersetzungen

und Konflikte geprägt uar, die scnon Tradition

waren, deren Klärung aber für eine funktionierende

Tutorenqruppe wichtig erschien.

Für mich uar da erst mal i*li3trauen und Unver-

ständnia - hin und wieder- auch Aha-f.rlebnisüe,

uienn die Tradition lebendig wurde. Insgesamt

jedenfalls eine Situation, mit der ich nur schürf r

umgehen konnte, aber als persönliche Erfahrung

sehr wichtig für mich wurae.

Lydia: Im Grunde ging es um Kommunikation, uie gehe

ich mit Konflikten um, die in der Zusammenarbeit

•n einer Gruppe entstehen? Jie artikuliere ich

Cisfjhle, ohne aie dnaeren Lrupoenmi tq l i eder zu

ver letzen? Uie gehe ich mit meinen Ängsten und

Aggressionen umf inwieweit kann ich sie bei

anderen akzeptieren und verstehen?

Im Nachhinein uar es wichtig für mich, das

erste Tutorentraining im Zusammenhang mit pa-

tientanorientierter Plsdizin zu sehen. Auch hier

geht es um Gefühle und Emotionen, di.e der Patient

in seinem Gegenüber (sei es Student, sei es Arzt)

auslöst. Auch hier werden Ängste, Aggressionen und

Ohnmachtagefühle frei, die immer im Zusammen-

hang mit dem Patienten stehen. Diese Gefühle

bei mir selbst wahrnehmen zu können erfordert

die Auseinandersetzung und den Umgang damit.

Nur durch diese Selbstuahrnenmung kann ich sen-

sibler und erfahrener dafür werden, das zu ver-

stehen, uas in der Auseinandersetzung mit dam

Patienten passiert. Im weitesten Sinne auch

das zu verstehen, was immen mit Krankheit zu-

sammenhängt, nämlich die sozialen und psychi-

schen Ursachen und Folgen einer Krankheit und

deren Bedeutung für den Patienten.

Heiner: Und diese Salbstuahrnehmung kann nur irr einer

Gruppe erfolgen: Der Patient wird von Jedem

unterschiedlich wahrgenommen, erlebt und er-

fahren. Eine Ergänzung und Integration und da-

mi t eine Erweiterung der eigenen Uabrnehmung

kann nur im Austausch mit anderen erfolgen.

Eine solche Arbei t in einer Gruppe beuegt sich

Zwangs läufig auf der Grenze zwischen patienten-

Dezogener und reiner Selbsterfahrung (uobei

das letztere sowohl in der Studenten-, als

auch in der Tutorengruppe vermieden wird).

Lydia: Um auf das Tutorentraining zurückzukommen:

Zum Schluß hatte ich jedenfalls das Gefühl bei

auftretenden Schulerigkeiten jederzeit auch

einen Rückhalt in der Tutorengruppe zu haben.

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Das Uocnenande hatte bei mir ein unheimliches

Gruppenqefühl hinterlassen - aus diesem Gefühl

heraus lief dann auch maine erste Stunde in der

Studentengruppe to 11. Uir redeten über unsere

Erwartungen^ die die Gruppe und die Tutaren an

den Kurs stellten, machten spontan einige Rol-

lenspie le eines Student- Patient- Gesprächs.

Ich uar begeistert und führte es auf die Sicher-

heit zurück, die mir das Training gegeben hatte.

Heiner:Ich uar froh, als ich meine erste Stunde hinter

mir hatte. Alleine hätte ich da ziemlich hilf-

los dagestanden. So konnte ich mich auf Christian

(meinen Partner) verlassen. Aber im Laufe dar

Zeit wurde ich dann immer sicherer» die Grup-

pe lernte sich kennen und die Leute gingen

aufeinander ein. Am Anfang mußte ich mich auf

zu viele Dings auf einmal konzentrieren: Uas

lost der Patient in mir aus, uas lost er im

Interviewer aus, uie reagiert die Gruppe da-

rauf- daraus einen Zusammenhang herstellen

und rückbeziehen auf den Patienten und uia

bringe ich die Gruppe dazu , diesen Rückbezug

zu vollziehen?

Tür mich waren da am Anfang eine Menge von

Eindrücken und Empfindungen, die ich alle für

wichtig hielt, souohl was den Patienten, als

auch uas die Gruppe betrifft. Erst allmählich

lernte ich den überblick zu behalten und das

Geschehen einordnen zu können.

Zum Schluß uar es dann umgekehrt: Ich glaubte

relativ schnell ein Ziel gefunden zu haben im

Hinblick auf den'Patianten und fragte mich dann,

ob ich zu schematisch und lenkend eingegriffen

hatte, um dieses Ziel zu erreichen.

Lydia: Für mich wurde es im Laufe der Zeit immer

schwierige!) mich nicht als Gruppenmitglied zu

fühlen. Eigentlich stellte ich es mir so vor,

daO ich als Tutor ein Stück außerhalb der Grup-

pe stehe um die Wirkung der Patientensituation

auf die Gruppe besser erkennen zu können. Es

machte mir Schwierigkeiten Gefühle, die ein

Patientengesprach bei mir hervorrief, nicht

zu äuGern. Uann ich -sie aber äußerte, würde

ich dann nicht die Gruppe in eine Richtung

lenken, wo sie iinter Umständen gar nicht hin-

uollte?

Heine r:Zumal die Beziehung Gruppenmitglied - Tutor

auch so gestaltet sein kann, daß der eine

Vorbild für den anderen ist, in Bezug auf

die Art sich gegenüber der Gruppe oder dam

Patienten zu verhalten.

Lydia: Ein weiterer Punkt, der mir die Arbeit erschuar-

te, war das Problem, daß ich fast alle Grup-

penmitglieder auch außerhalb der Arbeitssitua-

tion der Gruppe sah. Da ich ja nur ein Se-

mester weiter uar, traf ich sie in Uorlesungen

und gemeinsamen AG*s. Es uurde immer schwieriger

für mich die Distanz zur Gruppe zu behalten,

die für meine Tutorrolle wichtig ist.

fall: In einer Stunde uurde es ganz extrem: Ein Pa-

tient mit einem "Loch im Kopf" nach einer Tumor-

operation, zudem ein Ausländer mit erheblichen

Sprachschuierigkeiten, sitzt während des In-

terviews verunsichert da und läßt die Gruppe

bedrückt zurück. In unserer Nachbesprechung

reden wir über AusländerProbleme und Schwierig-

keiten, die Patienten mit Ärzten haben.

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Dia Bedrücktheit kann nicht raus, unterschwellig kommt

es zur Agressivität.. Aber auch Karin ( meine Partnerin )

und ich bekommen diese Entwicklung nicht mit; wir sind

zu sehr in der Gruppe drin, als daß uir den Vardräng-

ungsmechanismus erkennen könnten. Prompt äußert am

Ende der Stunde ein Gruppenmitglied seine Unzufried-

enheit, stellt unsere ganze Arbeit in Frage und krit-

isiert, daß es solchen Patienten zugemutet uird, zu

uns zu kommen. Daß die Studentin den Patienten als Zu-

mutung empfand, eruahnt sie nicnt. Uir fühlen uns per-

sönlich als Tutoren angegriffen; die Ursache sahen uir

nicht in der Belastung, die der Patient für die Gruppe

darstellte, sondern ganz direkt in uns. Uir gehen in

Uerteidigungsposftion, da wir in dem Angriff des Crupp-

enmitglieds eine Konkurrenz vermuten.

Ohne Superuision hätte ich diese Situation nie über-

schauen können. Nur so schaffen uir es in der nächsten

Stunde, die Problematik aufzuarbeiten, die Gruppen-

situation als Spiegel der Patientensituation zu ver-

deutlichen. Uir gestalten dann die Nachbesprechung

nach dem Vorbild unserer Superviaion und die Student-

engruppe findet zur Klärung des Problems, allerdings

nicht ohne nochmals unsere Arbeitsweise zu kritisieren.

Eine Kritik, die uir einfach aushalten und plötzlich

ist die Spannung weg.

Lydia : Überhaupt diente mir die Supervision immer wieder dazu,

Probleme, die in der Gruppe oder in Bezug auf den

Patienten auftauchten, zu lösen. Die Ergebnisse uaren

jedesmal faszinierend.

Heiner: Für mich war die Auseinandersetzung mit theoretischen

Begriffen und Zusammenhängen während der Supervision

und des Trainings wichtig. Es vermittelte mir auch ein

Stück Sicherheit, als Tutor auf etuas zurückgreifen zu

können, immer uiederkehrende 'Uorgange einordnen

zu können: Zum Seispiel anhand von Rollen-

Spielen spielten uir typische Situationen

in Student - Patientenintevieus nach und lern-

ten damit auf zuei Ebenen umzugehen: einmal

die Ebene der gefühlsmäßigen Interaktion

und auf dar zweiten Ebene versuchten uir die

erlebten Gefühle in Reaktionen umzusetzen, so-

gohl w 33 die Auseinandersetzung mit dem Pa-

tienten betraf, als auch was die Verhaltens-

weise der Tutoren in den Gruppen angeht. Mit

Hilfe von Videokameras konnten uir auf non- verbale

Reaktionen während des Intervieus achten und

uir analysierten die aufgenommenen Rollen-

spiele und Interviews nach kommunikations-

theoretischen Zusammenhängen.

Lydia: In den Supervisionen bekamen uir quasi vor-

gespielt, uie uichtig es ist, einer'Gruppe

klare Strukturen zu geben, nach denen sie

themenbezogen arbeiten kann. Außerdem setzten

uir uns in diesem Zusammenhang auch mit der

Rolle des Tutors auseinander, zS inwieweit

er sich auf die Gruppe einlassen darf,.bzw

Distanz zur ihr halten muß,.

Heiner: Das klingt ziemlich abstrakt* Daß eine sol-

che Arbeit aber neben der emotionalen Ausei-

nandersetzung auch eine rationale Ebene beinhal-

ten muO, wurde uns sehr deutlich. Andererseits

forderte mich die emotionale Auseinandersetzung

mit dem Patienten oft so sehr, daß ich an-

fangs Schwierigkeiten hatte, der Arbeit

zB in Supervisionen zu folgen.

Fall; Uieder wurde ein problematischer Patient •

geschildert, der in der Studentengruppe

einiges an Emotionen ausgelöst hatte. Dieser

Patient hatte einen künstlichen Blasenausgang

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den er der Gruppe demonstrier te. L s tauchten

Assoziationen auf; Carzinom, anus praeter.

LJieder äußerte ein Student sein PliGfallen und

erhob generell den Uoruurf, daß man als Student

auf solch problematische Patienten nicht ein-wgehen könne.

In unserer Tutarengruppe spielte sich derselbe

Vorgang ab: anstatt sich auf die Angst, die der

Patient auslöst einzulassen fragte man sich,

uie man dem Voruurf des Studenten begegnen kön-

ne, damit er die Gruppenarbeit nicht ständig

behindere. Erst als der Superuisor dann dazu

aufrie f, sich den Patienten vorzustellen er-

innerte ich mich schlagartig, daG ich mir solche

Patienten eigentlich sehr gut vorstellen könnte:

Uä'hrend des Zivildienstes.im Krankenhaus hatte

ich eineinhalb Jahre lang Patienten mit künst-

lichen Ausgängen verbinden müssen. - Es hat

quasi den Rest der Stunde gedauert bis ich mich

an meine Gefühle erinnern konnte: daß ich Ckel

und inneren Uiderstand überwinden mußte und daß

ich das nur konnte,"indem ich mich innerlich

vollkommen davon distanzierte, die Gefühle ver-

drängte, bis sich die Handgriffe routinemäSig und

emotionslos abspieIten.

DaO ich mir dabei keinerlei Gedanken machte, uas

der Patient empfindet» uie er denn die Spannung

aushalten soll, nun mit einem künstlichen Ausgang

leben zu müssen und ihn gleichzeitig nicht

Sicher trifft dieses Argument für das Anfangsstadi um

einer solchen Gruppenarbeit zu. Die Gruppe, in der sich

dieser Fall abspielte, arbeitete jedoch schon das 2.

Semester zusammen.

dKzüa t L eren zu Kennen - und uie nun rr,ein

"auGrfl..ic- licher" Verüandsuechsei auf ihn

wirken mu^te - diese Gedanken beschäftigten

T.ich ois zum Lnde der Stunde.

i'ii r uurde auch beuuSt, da3 ich dieser» Ver-

drangungSTiechanismus a 1s urzt ständig ausge-

setzt sein uerde , uas u oh l auch die Ursache

für den Zynismus vieler Arzte sein muß und

für deren oft einseitige Fixierung auf natur-

uissenschaftlich - rationale Vorgänge. Gleich-

zeitig sah ich auch deutlich, uelche Möglich-

keiten 'patientenorientierte Medizin beinhal-

te t: nämlich die Möglichkeit der Auseinander-

setzung in einer Gruppe über solche Erfahrungen,

mit dam Ziel, dem Patienten gerechter zu uerden

und sich im Endeffekt mit seinem zukünftigem

Beruf als Arzt besser identifizieren zu können.

ja s unsere Arbeit in diesem Semester so spannend, aber

auch so schwierig machte, uar das Spannungsverhält-

nis zuischen Nationalität und Cmotionalität, welches

in jedem Bereich unserer Arbeit vorhanden uar, sei

es Tutorentraining, Studentengruppc, Tutarengruppe, usu,

•vUt beiaen Anteilen arbeiten zu können, uas patienten-

orientierte lledizin beinhaltet, sie zu integrieren

unc ueruert?n zu können, uar zum SchluO die erstaun-

lichste una wertvollste Erfahrung des Semesters.

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Subj ektive Eindrücke vom internationalen Baiint-

Treffen in Ascona vom 24.3•-27.3.1983

Ich fahre dieses Jahr zum 2. Mal zum Balint-Treffen nach

Ascona. In der Hoffnung auch dieses Jahr notivationsge-

stärkt nach diesen k Tagen wieder an unsere Uni zurück-

zukehren, begab ich mich zur Eröffnungsveranstaltung

auf den "Monte Verita". Zunächst benötigtes ich eine gan-

ze Zeit, bis ich einen Sitzplatz in einer der Nebenrau-

me ( mit Video-Monitoren ausgestattet} fand. Der Haupt-

saal seibst war bi u zum Bürsten KI i t Mensch«n gcfui i t.

Die ersten beiden Beiträge, konnte ich nur mit geteilt,er

Aufmerksamkeit verfolgen, da ein ständige K o n. :n e r. und Ge-

hen diu Konzentration auf das Besagte störte.

Der Vortrag von PD Dr. F. Cavalli " Der Tumorpati cnt

und dia Angst des Arztes" fesselte dann schließlich

meine Aufmerk sank ei t. So wie ich den Beitrag verstand,

lost die Di agnosc bösartiger Tumor beim Arzt gro ße

Angs t aus, und zwingt ihn an seinen üiger.en T o a zu

denken. Dies sei nun eine sehr unangenehme Vorstell-

ung, was wiederum beim Arzt eine Art von Abwehr dem

Tumor-Patienten gegenüber auslose. Die Schlußfolger-

ung von Herrn Cavalli war, daß sich jeder Arzt, der

sich in einer verantwortlichen Therapeutenfunktion

gegenüber des Tumor-Patienten befindet auch mit seiner

eigenen Angat vor einein Tumor und dem Tod beschäftigen

müsse, um seinen Anteil in der Arzt-Patient-Beziehung

und die daraus resultierenden Konsequenzen für den

Patienten besser registrieren zu können. Diese Schluß-

folgerung schien mir eine sehr einleuchtende. Nach

diesem Bei trag war eine kurze Diskussion mit an-

schließender Pause gedacht. Ich nutzte die Gelegen-

heit mir einen Sitzplatz im Hauptsaal zu ergattern.

Als ich endlich saß, war bereits die Diskussion be-

endet. Im anschließenden Teil waren weitere Bei-

trage vorgesehen. Die Eindrucke von diesem Ta^

blieben bis auf diese Beiträge nur schemenhaft, äs

bleibt ein Gefühl einer typi sehen Tagungsatmo Sphäre,

an der ich nicht persönlich Anteil genommen habe.

Ganz im Gegensatz dazu blieben mir die Ereignisse

und Erfahrungen der nächsten Tage in Erinnerung.

Für den nächsten Tag war ein Fall-Seminar in der Groß-

Gruppe und ein Erfahrungsaustausch jeweils unter den

Arzter, und unter den Studenten geplant. Ich schloß

mich einer Großgruppe an und wir gingen'in. ein Neben-

gebäude, in dessen Flur provsori seh ein paar Stühle

herbei genolt wurden, auf xlrund des Platzmangel s.

t i n Großteil der Teilnehmer saß auf dem Boden und

unse r Gruppor. l ei r. er ve r such te nun nacn dem Pri nzip

du^ Außen- und Innerikreises eine Art Arbeitsatmos-

phäro herzustellen. Es dauerte eine ganze Weile, bis

sich einige Teilnehmer bereiterklärten in den Innen-

krL=is zu gehen. Es folgte eine lange Schweigepause,

c; s sie i; ein Teilnehmer entschloß, ein Fall aus sei-

nes; Erf ah rungs DP. rei ch zu berichten.

Z f. r Kau ist ;nir rii cht m eh r gegenwär t, i g, i ch kann

mi c.i nur noch a r, den V o r t ragenden erinnern . Meine

judanken kreisten mehr um die Person des Erzählenden

als u::; dun vorgetragenen Fall. Dieser Allgemeinmedi-

zitier aus Berlin faszinierte mich, mit welch_ einer

Selbstverständlichkeit er vortrug, und welche Gestik

er gebrauchte. Ich fragte mich, welche Erfahrungen

dieser Mann schon gemacht haben E u ß t e . Auch ein Stück

Bewunderung steckte in diesen Überlegungen. Ich spür-

te in mi r den Wunsch, an diesen Erfahrungen teilneh-

men zu wollen. Vieil eicht erklärt das, weshalb i ch von

der eigentlichen Fall-Beschreibung nur wenig im Ge-

dächtni s behalten habe, aber dafür mehr das Gefühl

hier ein Teil Praxis- ein Teil Erfahrung zu sammeln

in meinem sonst so theoretischen Studium.

In der anschließenden Diskussion war der Arbeitsauf-

trag zunächst nur im Innenkreis zu diskutieren. Dieses

ließ sich aber nicht lange auf r-:->c:; t erhalten, weil zum

einen di e räural: ch si ch tbart- Trennung zwi sehen Innen-

'!<•,:•. Außer.k "ei s n:r-ht, gegeben war, und zum anderen

st'hfinbar e: r- großes Verlangen von verschiedenen Per-

:-or;L'r vnr h a t": den war, nicht länger so passiv am Ge-

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d i >= Redebeiträge, der sich hier austauschenden Ärzte-

schaft, Ich her tu Bei träge, die s i eh mit Zahlen, der

durch Heilpraktiker versorgten Patienten in der BRD

beschäftigter. , weiter Darstellungen der , ;wie mir

später erklärt wurde, r.cch nicht gültigen Abrech-

nungsziffern über therapeutische Gespräche in der

Allgemeiripraxi s. Ich verstand ni cht, was Abrechnung p -H

üi ffern und nie eventuelle - der flalintgruppen als

Zuaatzquali f ikati o r. ~i t de:1 ei^cn tli ehe n Bali ntarbei t

u n a der A r ;c t - F a t i o n t i: e ü i u n u r. fr zu tun hatten - oder

wollte ich ni cht vora tehen? ,; edenf all s hatte ich ni ch t

Mut genug , di esbezugi i er. Fragen zu stellen. I ch fühl-

te mi ch in di esem kaur: ni cht wohl, und di es schien

anderen auch so zu gehen, denn der Saal leerte sich ra-

pide. Ich suchte nun schnell den Studentesaal auf, und

dort erwartete mich ein extremer Gegensatz zu dem ge-

rade Erlebten. Ein total überfüllter Saal mi t ständig

sich wechselnden, motivationsgeladenen Redebeiträgen

über die Art der Kommunikation untereinander, über Mög-

lichkeiten der studentischen Selbsthilfe an den Unis

Anamnesegruppen zu bilden,über das Forum POM usw.

Dabei sah ich bei allen ein konzentrierten Ausdruck

im Gesicht, das Bemühen den ändern zu verstehen. Was

für ein Gegensatz zu dem Saal, der durch eine Schuing-

tür von uns getrennt war. Hier emsiges Bemühen eine

tragbere Kommunikationsebene zu finden, das Problem

der verschiedenen Fragen zu lösen, und dort die ge-

langweilte TagungsatmoSphäre mit langwierigen Rede-

beiträgen, in denen Emotionen keinen Platz haben.

Ich war wirklich vorwirrt. Diese Verwirrtheit löste

sich aber schnell auf, als wir uns entschlossen, in

Kleingruppen draußün auf der Wiese den Erfahrungsaus-

tausch der Studer;tt;.\ zu forcieren. Lieder war auch

diesmal (wie im letzten -Jahr) die Zeit dafür knapp be-

sessen.

Wir m i t unserer Gruppe waren eigentlich gerade et-

was über die persönliche Vorstellung und der Dar-

* Anerkennung

s ehe h er, teilzunehmen. Der ürupper. ieiter versuchte zwar,

seLne Arbeitsariweisungen durehzuse tz ten , hatte dam i t

aber kein Jlück.Somi t empfand ich die Diskussion zum

Schluß e twas konfus, etwas Verbindendes, besser ge-

sag t Raffendes , Klärendes f ehl te ^iir.

A'JL.':I in der zweiten Fallbeschreibung, in der eine Psy-

choiortin einen Fall aus ihrer psy cho therapeu *i sehen

Praxis darstellte, war die anschließende Diskussion

k o n f u ü und L; n d v t e mir 3er F '.• s r_ s t u l i u;; g des Gruppenlei-

ters, .~iaS dieser .-'all 7,:i kc.T.piex r'.Jr diese Gruppe sei,

da doch die Erfahrung si t psyehe therapeuti sehen Patien-

ter, hier i r. der Gruppe äußerst unterschiedlich seien.

Hierzu schien mir die Feststellung des Gruppenleiters

sehr bezei chnend,da i ch persönlich das Gefühl hatte,

da^ die vortragende Person eher einen fachlichen Rat,

als eine Bearbeitung der subjektiven 'A'uSerungen in der

Gruppe gesucht hatte. Vielleicht übertrug sieh dies

auf di e Gruppe und mußte folglich mit einer gewissen

Frustration-einhBrgefcen.Weiter schien mir im Hachinein

das Setting und das, was das Setting und die Arbei tswei-

se einer Balintgruppe ausmacht, nicht deutlich geworden

zu sein, wie es eigentlich ausformuliertes Ziel dieser

Großgruppe gewesen war.

Mit diesem Gedanken ging ich nun in die Mittagspause.

Die Zeit wollte ich nun nutzen, um am 'Jfer des Sees ei-

nen kleinen Imbiß einzunehmen, doch hielten mich die

hohen Preise von diesem Vorhaben ab, und es wurde nur

eine Tasse Kaffee daraus.Schon war es trotzdem hier in

einem Straßencafe zu sitzen, und auf die schneebe-

deckten Berge , mit dem darin eingebetteten See zu

schauen. So verträumte ich doch etwas die Zei t, und

ich kam einige Minuten au spät zu de~ geplanten Er-

fahrungsaustausch.

Der ürfahrungsaustausch der Ärzteschaft und der Stu-

denten fand in verschiedenen Raunen statt. Da ich nun

zunächst durch den Raum der Ärzte geh sn muß te, blieb

"l j:. X 'jr-zc.- r:, an i ;io r t. u r i *'a r inii d :;eh r erstaunt , über

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Stellung der Motivation ei nz einer Studenten hinausge-

kommen, als die Zeit schon wieder ura war, und Herr

Schuffei zum Plenum drängte. Entsprechend dieses,

nur andeutungsweise durchgeführten Srfahrungsauetau-

sches, war dann auch ein langes Schweigen das Resul-

tat beim Plenum, K s dauerte eine ganze Weile, bis sich

einige Referenten auf den Vorschlag von Herrn Schuffei

einließen, aus den Kleingruppe r. zu berichton, denn es

konnte ja noch nicht so viel berichtet werden. Immer-

hin konnte man sich trotz dieser kurz«n Zei t eine Vor-

stellung machen, welch unterschiedliche Ansätze an

den verschiedenen Unis inzwischen angelaufen waren,

um der S tude.i t-Pati en tbezi ehung auf dun Pelz zu riik-

ken. Es wurde von einer Gruppe aus Zürich berichtet,

die jetzt nach einscmestriger Laufzeit, anfangt,

studentische Tutoren für Anarane segruppen auszubilden,

andere aus Marburg und Bonn haben zum Teil keine stu-

dentische Gruppenlei te r , wi eder andere a r bei t er: ?.u-

nächst nur mit Rollenspieien und nicht mit Patienten

in den Gruppen. Alles in allem war dieses Plenum nur

eine mangelhafte Auflistung der verschiedenen Gruppen,

wobei deren Arbei tsweisen und Erfahrungen nur in

groben Umrissen geschildert werden konnten, Ei n wei-

teres Problem, nämli ch die nächste Nachfolgeredaktion

des 1 . POM-Heftchens wurde noch angeschni tten. doch

die Zeit reichte nicht i'ur eine umfassende Di skussion,

so wurde dieses Thema fUr Interessierte auf die Zei t

nach dem Plenum vertagt. Mir bleibt hier nur zu fragen,

ob nicht für den Erfahrungsaustausch der Studenten ein

größerer Zei träum in der Zukunft eingeplant werden

sollte. Das Interesse ist groß, doch fühlt man sich

scheinbar auch als Student zu sehr an einen organisa-

torischön Rahmen gebunden, als man diesen hatte spren-

gen können- zum Zweck des Erfahrungsaustausches.

Der nächste Tag begann mit der. geplanten Kleingruppen,

in die man eingeteilt wurde, wenn mär. sich früh .ge-

nug in Ascona angemeldet hatte.

Wir waren eine Gruppe von ca. 2o Leuten. Sie bestand

aus Studenten, Ärzten (vorwi egend Allgeineinmediziner)

und Psychologen. Zunächst wurde geklärt, was wir in

den nächsten drei Treffs bearbeiten wollten. Di e Gruppe

einigte sich auch hier schnell auf die Bearbei tung von

Patientenvorstellungen. Wie auch schon ara Vortag in

der Großgruppe, dauerte es ziemlich lange, bis sich

ein Gruppen:rn tgli e-d zur Darstellung eines Falles be-

reite r klärte; u r: so erstaunlicher war dann auch die

•" f fe-nhei t m i t der berichtet wurde, teilweise sogar recht

i r, t i uii' Borci rho dos Beri ch t enden wurden ang«?chni t ten .

Von der. beiden Gruppe n ieitorn wurde besonders in den

Besprechungen nach dam jeweiligen Vortrag sehr oft

interveniert und eingegriffen, Ab und zu uferte dies

in ei no Art Fachdi skussion innerhalb der anwesenden

Psychologen aus. Trotz mehrmaliger, von stu dentischer

als auch ä r z t l i c h e r Sei te geäußerte Kritik in dieser

Ri ch tur.g, doch Kehr den spontanen Gefühl saußerungen

freier. Lauf zu geben, s n t st and in mir immer mehr der

Kindruck einer Expertenrunde, die sich teilweise so-

gar nicht scheute, wertende Urteile über das darge-

stellte Verhalten abzugeben. Insbesondere die Gruppen-

leiter hielten sich mit der Zeit immer weniger zurück,

was darin gipfelte, daß einer der beiden sogar einen

Fall darstellte, der nicht einmal aus einer thera-

peutischen, sondern aus einer familiären Beziehung

stammte. Dies mag für den Vortragenden eine Erleich-

terung , und für die Gruppe ein großer Vertrauenabe-

weis gewesen sein, doch hat dies nicht mehr viel mit

der eigentlichen Baiin t-Gruppenarbeit zu tun. Ich bin

nicht grundsätzlich dagegen, solch sehr persönlche Be-

gebenheiten in einer Balint-Gruppe zu besprechen,

an z im Gegenteil. Was mich aber störte war die Tatsache,

da 3 die Gruppenleiter i K T; o r -nchr in den Gruppenprozeß

eingriffen, anstatt die C-T'Uppn ar bei ten zu lassen, um

nur hie und da strukturierend einzugreifen. Ein wei-

t: r "s P"_'i üoi ril • da3 das Setting di*=spr Gruppe nicht

-j: rce:; t.- g ws - , tf\ g T <=: ;;; ch i n tUner Fal l darstell ung

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einer Psy chol 3^1 n , d i e oi ch s t und i r, durch N a c:.-i fragen ,

wie z.B."was meinen Jiie als hochkomp^tenter Psychojog"

dazu"? usw. bei" Gruppenleiter zu vergewissern suchte.

Dieser gab ihr dann auch die Vergewisserung und Be-

stätigung , wobei er in gutnieinender Lehrerart die

Situation zu kommenti eren suchte.

Genau dieses Gefühl hatte ich dann auch, als ich am

nächsten Morgen einen Fall aus meinem studentisehen

Erfahrungsbereich vortrug. Von einigen wenigen Gruppen-

mitgliedern abgesehen, die ihre eigenen Gefühlsein-

drücke, die sie während meines Berichtes erlebten,

äußerten, hörte ich von den meisten und insbesondere

von den Gruppenleitern, dies alles seien Erfahrungen,

die man als werdender Arzt machen müße . Diese Ängste,

die mich da quälten, hätte man mit steigender Erfah-

rung und der daraus resulti erenden Di stanz nicht mehr

so stark.

Es handelte sich hierbei immerhin um die Ängste, je-

m an dem der im Sterben lag und der einem al.s Vertrauten

angenommen hatte, nicht die von ihm erhoffte Hilfu

geben zu können,

Ich kam mir in dieser Situation als nicht ernst ge-

nommen, als etwas beJachelt vor, als wolle nan mir

sagen : ".I ung-ir K öl l°gp , Ihre Angrte in al J en :]'n ren ,

aber dies gibt sich mit, zunehmender Erfahrung".

Ich habe hier meinen Ei ndruck aller Treffen in der

Kleingruppe im Zusammenhang geschildert. Zu ergänzen

bleibt noch, daß in dem abschließenden Resümee der Grup-

penleiter, die sehr wohl meine als auch die Kritik der

anderen bemerkt hatten, die Kürze der Zeit und die Tat-

sache, daß Balintarbeit eine Arbeit von Langzeitgruppen

sei,zu ihrer Rechtfertigung heranzogen. Grundsätzlich

stimme ich diesem Einwand bei, ich hatte aber genau vor

einem Jahr, beim letzten Balinttreffen die Erfahrung ge-

macht, daß man selbst bei solch kurzer Zeit durchaus den

Wert der subjektiven Gefühl seindrücke der Gruppenmit-

glieder zu schätzen gelernt hat, was ich leider von die-

ser Kleingruppenarbei t ni cht behaupten kann,

-67-

Bal in t a rbe i t z e i g t e n und hier in A s c o n a den e igent l ich-

e n W e r t d ieser A r b e i t e r f a h r e n w o l l t e n . I c h b e z w e i f l e ,

dai d ie s rr.it d i e s e r K l e i n g r u p p e g e l u n g e n is t .

Ich b e t o n e n o c h m a l s , d u ß i c h n u r v o n m e i n e n e igenen Er leb-

n issen und s u b j e k t i v e n E r f a h r u n g e n i n d iese r , v o n vie len

paral lel d a z u l a u f e n d e n Kle ing ruppen b e r i c h t e t h a b e . W i e

mir andere Studenten und auch andere T a g u n g s t e i l n e h m e r

be r i ch t e t en ,wa ren viele dieser Kle ingruppen als sehr po-

si t iv e m p f u n d e n w o r d e n , was sich auch mit meiner letzt-

j äh r igen E r f a h r u n g deckt .

Als A b s c h l u ß dieses l e t z t e n Tages, war noch eine allge-

m e i n e D i s k u s s i o n s r u n d e v o r g e s e h e n , i n de r d iese Bal in t -

tag'Jng k r i t i s ch be l euch t e t we rden soll te .

Die m e i s t e n R e d e b e i t r ä g e waren p o s i t i v g e f ä r b t und bt-son-

d e r s w u r d e de r wl rk l i ch schone u n d erlobr.i srei ehe Sams-

t agabend ( t e s s i n e r A b e n d g e n a n n t ) g e l o b t , wo bei M u s i k , ,

Tir.z und k u l i n a r i s c h e n G e n ü s s e n s i ch v ie le , j u n g und alt,

k o n s e r v a t i v u n d p r o g r e s s i v e t w a s näher k o m m e n k o n n t e n .

£o kar ipr . aber a u c h k r i t i s c h e S t i m m e n , Z . B . d a ß s ich die

ar. w f i ? i > r . Je:: •',?,?: st en zu r z tc boi di es er T a g u n g u n t e r r e p r ä -

se n t, i u r t v o r k a - e r ; ur.d di es i n Zukur . f l v c r b e s e c r t w e r d e n

2 oll V;. '. '-r. =elb. . -1 t rug j et 7, t ir,i ' k l o p f e n H •=> ™ H* er z «n r ei n R

K ri t ik ü b e r die A r t des s o g e n a n n t e n L r f a h r u n g saus tau s ehes

de r Ar z L t- vo r . W i e si ch d a r a u f h: n z ei g Le , waren andere

a'hnli ehe r A n 5 i ch t , doch w u r d e m i r dann v e r s u c h t m e i n e Be-

ä e r, k e n a u s z u r e d e n ; ich hatte da doch etwas mißverstanden

:r. i t -'.T. r ^ a s s e n a ' c r e c h n u n g s n u ^ r a e r n . '.'a j a , v i e l l e i c h t war

f ' S so , de:- E i n d r u c k j e d o r h b l e ib t

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Was es unter anderem so gibt,

wenn man iral Lust und 7eit hat zu lesen

M. RALINT - Oer Arzt, sein Patient und die Krankheit

- 5 Minuten pro Patient

- Psychotherapeutische Techniken in d. Medizin

OVERBECK - Krankheit als Anpassung

G. GRODDECK - Der Seelensucher

- Buch vorn Es

E. KÜBLER-ROSS - Interviews mit Sterbenden

LUBAN PLOZZA - Wege zur psychosomatischen Medizin

TH.v.UEXKÜLL - Psychosomatische Medizin

WATZLAWICK - Menschliche Kommunikation

- Anleitung zum Unglücklichsein

A. MILLER - Das Drama des begabten Kindes

- Am Anfang war Erziehung

A. MITSCHERLICH - Krankheit als Konflikt - Studien zur

psyrhosomatischen Medi zin I -t- II

- Freihheit und Unfreiheit in d. Krankheit

W.SCHMIDBAUER - Die hilflosen Helfer

und last not least noch was Lustiqes

Jean-Jacques AERAHAMS - Jetzt werden sie analysiert, Doktor

- 69-

BUCHANKÜNDIGUNG

SPRECHEN MIT KRANKEN - £'r f s h r u n .7 f n studentischer Anamnese gruppenWolfram Schuffei f H r s g . ! mit rinem Geleitwort von Thure von

(Jvxku l lGrbun K Schwarzrnbrrg, Manchen f9fl.3

Prej B DM 28 . --

Das Ziel des Buches ist zweifach:

J . Dem Leser soll gezeigt werden, wie in der Anamnesegruppe/t a 11 e n t e n — in Abgrenzung von krankheitszentrierter Medizingeübt wird.

? . Dom Leser soll vermittelt, werden, wie die persönliche undberufliche* Entwicklung während des Medizinstudiums in einer

bewußten Weisn erfahren, d.h. eine bewußte Soziali-sier u n g betrieben werden kann.

Zu diesen zwei Zielvorstellungen wird in de r/E i n le i t u n g ausgeführt"Das Sprechen mit Kranken ist- eine unverzichtbare Aufgabe desArztes. Das Sprechen kann und muß erlernt werden. Die Fähigkeithierzu ist genausowenig angeboren, wie es den geborenen Arztgibt .

Vielmehr: Der Arzt wächst in seine Tätigkeit hinein. Studentenzeigen in diesem Buch, wie sie während des Sprechens in zweiberufliche Tätigkeiten hineinwachsen. Sie lernen, sich selbstzu verstehen und zu handeln:

!. Als Partner des Patienten,2. als Partner des anderen Studenten, d.h. des Mitg leides eines

Teams.

Die A n a m n e s e g r u p p e hilft ihnen als eine Arbeits-gruppe m i t themenbezogenem SeIbsterfahrungscharakter, Mode 11 -Vorstellungen für die beiden Par tner r n l len zu entwickeln.

Das Buch soll dazu dienen, fJie.se Mo de J l vo rs t e 11 ustgen erstmalszusammenfassend vorzulegen. Wichtiger; Die Autoren möchtenAnregungen gr b e- n , eigenständig Modellvnrstellungen zum s e l b s t -gesteuerten Lernen in der patieritcnzentrierten Medizinweitcrzuentwick&ln. "

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Nutzen die Lernerfahrungen in den Anamnesegruppen

in der späteren Berufsarbeit?

Ich bin noch nicht ganz ein Jahr im Beruf als Arzt.

Habe ich in den Anamnesegruppen etwas gelernt, was

ich im Beruf gebrauchen kann? Es war zunächst gar

nicht so leicht ( in Hessen Raum Frankfurt) eine

Stelle zu finden. Hat, mir dabei der Verweis auf die

praktischen Erfahrungen m i t Patienten in den Ar.amnese-

gruppen gunütat? In A11gemeinen kaum oder ni cht. Wenn

ich davon berichtete in den Bewerbungsgesprächen

wurde das vordergründig wohlwollend gehört. Das Wohl-

wollen wich allzuschnell massiver Skepsis bis Mi ß-

traüen, wenn den Chefs mein Engagement zu " psy cho -

logisch", d. h. sachfrerod erscnien. Das war sehr

häufig so. Ich durfte vor.. Bemühen um eine vertrauens-

volle Azrt-Patientbaaiuhung Sprüchen- das bekannte

Gesabbere r. ach plappern. Sobald von methodiscn fun-

diertem Arbeiten die Rede kam, war der Ofen aus. Der

Name Baiint war dann schon zuviel, als markierte er

Dissidentenposition, Da werde zu viel psychoiogisiert,

fern ab vom Patienten bekam ich zu hören. Da pfuschten

fachfrerade Leute(sprich Analytiker) im ureigenen Ge-

biet des Arztes herum.

Ich empfehle die Anamnesegruppen vor dem Hintergrund

dieser Erfahrungen nur bei Bewerbungen zu erwähnen,

wo man sicher eine begründete Aufgeschlossenheit unter-

stellen kann, oder man erwähne sie nur ganz beiläufig.

Ich habe jetzt glücklich eine Stelle gefunden mit et-

wa dem Ulmer internistisch-psychosomatischen Arbeits-

konzept.Da hat mir der Hinweis auf die Anamnesegruppen

wohl genützt. Kann ich hier meine Erfahrungen gebrauch-

en, das Gelernte anwendee?

Ich meine ja,und möchte dies unter drei Gesichtspunkten

illus trieren:

Die E r f a h r u n g e n h e l f e n m i r i m U m g a n g m i t d e n

Patiencen.

Sie helfen mir im Umgang mit Kollegen.

Speziell profitiere ich bei meiner Arbeit von

meinen Erfahrungen als _Tutor in den Anamnese-

•gruppen .

Zu 1 . )

I c h m u ß d e n Pa t i en ten n i c h t m e h r a l s W i d e r s a c h e r

e r l e b e n , der d u r c h seine W i d e r s p e n s t i g k e i t u n d U n -

z i i ^ a n g i i c h k e i t z u n: S a b o t e u r m e i n e r A r b e i t w i r d . Der

P a t i e n t , w a r n i c h t m e h r d e r R i s i k o f a k t o r , der m e i n e In-

konpe tena o f f e n k u n d i g werden läßt. Ich habe zwar

s; ei r.1? -,-\l bs twer tp rob l eme und K o m p e t e r i z z w e i f el , bin

a b e r - u n b e l a s t e t ? o nu g , u TL n i c h a u c h d e n P a t i e n t e n

w i drrer. zu kb'r.r. er . 'r. s darf Lim den Pst, i er t es gehen-

p-j. t i en i er. z er. trl ^ r t .

In den Grupper , h a b e i ch i m m e r w i e d e r m: t e r leb t , daß

in den e r s t en S t u n d e n d ie I n t e r v i e w o r n ich t zu wi s-

sen m e i n t e n , w a s m a n f r agen m u ß , wo man doch n i cht s

w e i l . So al? g i n g u es d a r u m eis W i s s e n d e r dem Ra t -

s u e l e n d e n und F r a g e n d e n H e d e und A n t w o r t zu s ' tehen,

z u b';I ehrer , o .1er a h n l i c h e s .

D i e G r u p p e e r leb te o f t , w i e d e r P a t i e n t d e m In t e r -

v i e w e r das K o n z e p t aus der Hand n a h. T. , s i. ch v e r s c h l o ß

oder endlos unwi ch t i ge Dinge e r zäh l t e .

Das konn te i ch ü b r i g e n s nicht nur mi t S tud i enan fäng -

ern e r l e b e n , daß der Patient als O b j e k t angesehen oder

gebraucht wurde , an dem man sich selbst beweist oder

bei dem man e twas zur Darstel lung br ingt - wie es so

schön he iß t . A l l e m a l geht es um die A u s ü b u n g der me-

dizinischen Kunst am Gegenstand Patient, um Selbstbe-

w e i s de r M e d i z i n e r und w e n i g e r um die K r a n k h e i t des

P a t i e n t e n , sein A n g e b o t , m i t i h m g e m e i n s a m etwas bes-

ser zu ve r s t ehen .

I r h h a b e i n den G r u p p e n a u n h F / e s p e k t v n r d e m A n g e b o t

1 «=•? r 3 t : *=n t, r r. , d ^ r K r a n k h e i t , a l s E l e m e n t , se iner A r t

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-72-

zu lebe n, d.h. vor seiner Integrität in Gegensatz zu

meinem gelernter, .fachlich stringenden .sachgerechten

Zugriff auf die K rank h ei t erworben .

Aus dem Erleben der Persönlichkeit des Patienten in

den Anamnesgruppen und der dadurch provozierten Re-

flexion rier eigenen Person habe ich ein bi Sehen ge-

lernt, die Grenzen der eigenen Eingriffsmöglichkei-

ten und Rechte zu bewerte.".. Die Anamnesen selbst waren

von ihrem Inhalt oft Geschichter, eines N' ehenein anders

oder Gegenein anders Ära t-Pati cnt , wobei der Patient

darauf bedacht war y si ch und soir.e Art zu leben zu

schützen, zugleich sich aber immer wieder an den Arzt

wandte in der Hoffnung auf Hilf? r ••?. i s e i n e r ? r D 1 1 <_• r,\ -

b~.w. K r an Y. r. P: i tsbewal t : gur. g .

l 2\\ hübe EI u c h in Ion A n a rr, r. * P g r u p p e n g e 1 1= IT. t , de:: k u r z e n

Kontak t :ni t de::i Pati e n l er. in sei ner He 3eu -ur.^ f L; r den

Patienten hoch genug - besser, nicht <s'j gering einzu-

schätzen. Ich habe eine Ahnung von de,- Tragweite solcher

kurzen Begegnungen bekommen, als ich nach den A n am-

auch der Fall gewesen sein, wenn auch die Verarbei-

tung des Kontaktes von seilen des Patienten anders

aussehen mag, z.B. weniger analytisch zergliedernd

als vielmehr integrierend.

In den Gruppen bin ich auf den Geschmack gekommen,

wie toll eine Arbeit ist, bei der ich außer mit dem

Kopf auch noch mi t Gefühlen arbei ten kann- so schwer

das auch ist. Patientenzentrierte Arbei t ist auch

arztzentriert, insofern sie mich umfassender fordert.

Die ßezi enungen zu den Pati enten sind dadurch für mich

auch befriedigender. Bei allem Enthusiasmus für diese

Arbeitsweise will ich aber auch ganz kühl meinen,daß

die patientenzentrierte Arbeitsweise gegenstandsadä-

quater ist als die krankenzen trierte.

Zu 2. )

Nicht ganz nebenbei habe ich in der Anamnesegruppe

mich ja auch mit den anderen Gruppenmitgliedern ge-

troffen und hier mein Verstehen des Patienten dem der

anderen gegenübergestellt. Der Patient war ja jeweils

mehrfach in der Gruppe repräsentiert, nämlich so, wie

er bei den einzelnen angekommen war. In der Gruppe war

die Auseindersetzung mit dem Patienten anschließend

an das Interview oft sehr viel heftiger als die Begeg-

nung des Interviewers mit der, Patienten unmittelbar

erkennen ließ. In dem offenen Austausch mit der Übung

von Fespekt vor de^ je anderen Erleben der Leute in

meiner Gruppe, habe ich vif-l eigene Vergessenheit, ei-

gene Wfjh rriehir.ungs schranken und - Vorlieben kennenge-

lernt und die Erlebni sweisen der anderen wertschätzen.

Bei dem Kampf um das "richti ge" Verständnis des Patien-

ter, habe ich gelernt, daß es gar nicht um richtig und

falsch primär geht.

Ir. meiner beruflichen Situation wirkt sich das jetzt im

Austausch mit der. Kollegen aus und zwar nicht nur in

der Supervi sionssi tuation. Sytemati sehe s Austauschen

von Phantasien über den Patienten um ihn differenzier-

ter zu verstehen.hat eine Fälligkeit des Umgangs mit

Phantasiematerial d.h. unterschiedlichen Verstehens-

weisen zur Voraussetzung. Aus den Gruppenerfahrungen

heraus kann eine Kollegialität geübt werden, die von

dem gemeinsamen Bemühen um aie Wahrnehmungseinstellung

gegenüber dem Patienten gestützt ist. Ich meine die Grup-

penarbeit war eine Schule in Kollegialität weit über

die technisch organi satorische Bewälti gung des Berufs-

alltags hinaus bis zu der gegenseitigen Teilnahme an

der Art der Berufsausübung.

Zu 3.)Speziell als Tutor habe ich gelernt, mich nicht den

Ansprüchen an eine Führungsrolle 7,u entziehen. Die

Schwester auf der Station will von mir die Sicherheit

meir:er jrtoi ] gf ahi gkoi T. und eine nicht mehrdeutige

Hai tun g im U n gang m i t äem Pati e n ten und mi t ihr.

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vor. vor:;hörei:. wjr.igio

• '•'( e i ? r. I r j r. i •_ - d -:• r f ü t . tj i ) , b e s o n d e r s

vergleichbar "eir. e:r. i i T. tVn-*iK als T u t o r

f er tge jcr,ri t, t-unu.'i S t u de:. L er: mit Anfän

einen Weg, der nicht -direktiv in dem Sinne ist, daß

ich Position beaiuhu und zugleich voll gelten ias.se,

was (der Pati ont,) der Pfleger und die Schwester denken

und fühlen? I ch i.v,;ß auch auf der Stati o n di t Spannung

unterschiedlicher Erl'jbni swei aun ni ch L nur aufhalten

sondern einen wesentlichen Bei trag dazu leisten, sie

produktiv zu verwenden. Ich muß meinerseits auch mit

dem Psychologen fruchtbar zusammenarbeiten, der als

Professioneller speziell auf der Ebene des Verstehens

arbeitet. Der Austausch in der Stationspraxis ist da-

durch ein wenig kompliziert, daß die Beteiligten unter-

schiedliche Funktionen ausüben und unterschiedliche

Kompe tonnen bc sitze n. Funk tionsdifferer. zierung und Hi -

rarchi P s i nd zunächst ii n mal Real: tat, wi e auch das

Gefalle Arzt-Patient,hes.ser, die spezifische Bezi ehur.g

eines Hilfesuchenden zu o i n o m professionellen Helfer

durch das häufig zu hörende Partnersohaf t sge brabble

ni cht unwi rkli ch gemacht wi rd. Es wird dami t oh or ver-

sucht der besonderen Bezi ehungssi tuati or. z'j en *,wi schi-r;,

STUDENTISCHE BM,TNTGRUPPE

Seit zwei Jahren besteht ir. Frankfurt eine

Ral ir.tqrunpe. für Medi z ins t u den t er.. Als einer

der Teilnehmer schildere ich die Arbeit unserer

Gruppe, Zunächst werde ich berichten, wie diese

Gruppe überhaunt zustande kam, wie und wo wir

unsere 'Falle1 finden und wie wir arbeiten-,

Einen guter. Eir.blicV in diese Arbeitsweise

vermittelt die Vorstellung vor. zwei in der

Gruppe durchgesprochenen Fallgeschichter.. Hit

einer sehr kurzen Betrachtung meines Interesses

an der Baiint-Gruppenarbeit werde ich diesen

Bericht abschließen.

über ...die GruppeUnsere Gruppe hat sich eher zufällig konstituiert.

Auf der Suche nach Doktorarbeiten, im 2. bzw 3.

klinischen Semester bekamen wir das Angebot, uns

zu einer Balintgruppe für Medizinstudenten-zu-

sammenzufinden . Die Bedingungen waren: Dauer der

Gruppe wenigstens bis Ende des Studiums, ein-

schließlich des Praktischen Jahres, also etwa

3 Jahre. Wir treffen uns einmal in der Woche '

für 172 Stunden, meistens auch in den Semster-

ferien. Die Anzahl der Teilnehmer ist z.7t. sechs.

Prinzip!eil ist die Gruppe offen, soll aber nicht

größer werden. Geleitet wird sie von einer Psycho-

analytikerin, die während aller Sitzungen und für

die gesamte Dauer derselben anwesend ist. Patienten

werden unmi ttelbar während dieser Tormine nicht

vorgestellt.Vielmehr berichtet jeweils einer der

Teilnehmer - meistens ohne besondere Vorbereitung -

über eine Begegnung mit einem Patienten, die Ihn

weiter beschäft iqt hat. Solche Regeynunqen fin-

den in allen möglichen Situat ioner, statt. Meistons

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sind es BeziehungGn zu Patienten, die entstanden

sind während Famulaturen, Da die meisten von uns

im Klinikbereich nebenher gejobbt haben, jetzt

machen fäst alle Praktisches Jahr, sind dabei

auch immer wieder .Situationen entstanden, die

ur.a dann in der Gruppe beschäftigt haben.

Das Gcncinsane dieser Situationen ist das Nicht-

zur echt "können . Alle berichteten Fal le sind

dadurch charakterisierbar, daß da irgendetwas

geschehen war, mit einem selbst, mit Patienten,

aber auch P i t, Kollegen oder der Inst i tut i on

Krankenhaus, womit H. a n nicht klarkam. Man

fühlte sich von einem Patienten besonders ah-

gestosson oder besonders hingezogen, iran hat

etwas Fi.qenart.iges beobachtet und es vielleicht

viel zu schnei l im Gespräch mit ihm angesprochen.

Oder: man hat sich , nach dem der Patient seine

Bereitschaft signalisiert hat über diese Be-

obachtung zu reden, dann, plötzlich wieder

zurückgezogen. Es geht also um Ereignisse,

die man nicht richtig verarbeiten konnte,

daß sie einem entweder immer wieder aufgestossen

waren oder daß man ihre innere Dynamik nicht

verstanden hatte.

Zur Hethod.e

Diese innere, zunächst verborgene Dynamik einer

solcher. Situation sichtbar zu machen, ist unser

Thema. Die Aufarbeitung solcher Ereignisse stellt

die Beziehung zum Patienten in den Mittelpunkt.

Das ist das Medium,in dem wir frei assozi ierend

verfahren. Wenn ein Fall vorgetragen wird, dann

geht es darum, in der Gruppe die geschilderte

Situation möglichst präzise nachzuerloben. Die

Phantasien, die dabei entstehen, nieist nit Emo-

tionen verbunden, dienen als Leitfaden, zunächst.

ganz untergründige Spannungen undGefühle auf-

zusoürer: . Auf dem Pro jektionsf eld dieser Phanta-

sien werden vorher abgewehrte,verleugnete Re-

cur.gen des Berichtenden selbst. wie auch des

Patienten sich t-ha r. So wird z.B. plötzlich in

der Gruppe der mächtige Konkurrenzkampf zwischen

Famulant und Stationarzt einfühlbar. Es werden

wesentliche Bedingungen sichtbar, die die ange-

troffene Situation so schwierig und oft uner-

träglich gemacht hat ten, Ober den Vorgang hinaus

kar.", sich so die Perspektive, unter der diese

Beziehung vorher betrachtet wurde völlig ver-

wandeln. Dadurch kar:r. dieses Ereignis qanz

anders verstanden werden.

j wgjL kurze, FalJLgeschichten

Um das soeben Angedeutete deutlicher zu machen,

werde " jetzt zwei Fallgeschichter erzählen.

Zwei Geschichten deshalb, weil sie unerwartet

gegensätzlich sind. Die erste resultierte aus

dem vergeblichen Versuch mit einer Patientin

eine, für sie aMcrdirgs lebenswichtige Pein-

lichkeit zu besprechen. Die andere Geschichte,

zeigt einen völlig erschöpften jungen Mann, der

während eines einstündigen gelungenen Gesprächs

wenigstens soweit seine Kräfte wiedergewann, daß

er sich wird selbst helfen können.

Die erste Beschichte: während der Famulatur in

einem Krankenhaus traf ich eine ungefähr 60ig

jähr ige Patirmtin , die dort wegen r e Dividierender

cerebraler ischämischer Attacken zur stationären

Behandlung aufgenommen war. Sonst war die Anam-

nese völlig leer. Sie fiel mir deshalb auf,

weil sie meine Fragen und mein Tnfrresse an ihr

so schroff zurückwies, da f es n r iiePnrache

verschlug. Ks gelang mir rieht iir die Patientin

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-79-heranzukommen. Ganz anders war ihr Verhältnis

zum 5 Tationsar z t , den himmel te sie an.All er ding s

war er nicht so angestrengt neugierig wie ich.

Als Zufallsbefund fand sich dann eine positive

Lues-Serologie. Dieser Befund sprach für eine

nichtausqeheilte Syphillis und konnte die jetzigen

Symptome erklären. Als ihr dann dieses Resultat

bei der Visitc mitgeteilt wurde, schien das Fis

zu brechen, An nächsten Tag war diese kurze

Nähe schon wieder verflogen und sie verhielt

sich genauso wie vorher.

In der Gruppe wird schnei l sichtbar, wie ich da

vergeblich anrenne, Offenbar ganz im Gegensatz

zu™ Stationärst, der ganz ohne sich un: die

Patientin zu bemühen ihre Sympathien verdient.

Als ich versuche,diese beiden zu beschreiben,

findeich ganz spontan sehr abschätzige Attribute:

sie wird zum alternden BDM-Mädchen und der Eta-

tionsarzt zum braungebrannten Syltuclauber. DAs

verrät meine Wut auf beide deutlich genug und

damit meine Eifersucht. Statt zu verstehen, daß

es ihr darum geht, etwas ihr offenbar sehr

peinliches zu verbergen, bin ich eigentlich nur

auf den Stationsarzt und sie wütend geworden.

Statt zu verstehen, daß ich mich mit der falschen

weil zu verleugnenden Seite in ihr gleichgemacht

habe, reagierte ich mit Eifersucht auf den Sta-

tionarzt . Der kam ihrem Bedürfnis zu verleugnen

entgegen und vermied dadurch jede Erinnerung

an ihre viel leicht sicher nicht nur serologischen

Narben.

Die andere GesJiichte-ist die eines 28iq jährigen

Mannes, der mir auf der Liegendaufnahme begenet

ist. Er war völlig erschöpft, war direkt von

seiner Arbeitsstelle gekommen. Er Klagt, über

Ilerzrasen, Schmerzen in der Brust, Kopfweh und

Ohnmachtsgefühle. Diese Symptome haben sich seit

14 Tagen eingestellt und kontinuierlich verstärkt.

Besonders tratenpie Beschwerden aber an der Ar-i

beitsstelle auf. Eine körperliche Erkrankung

konnte schnei l ausgeschlossen werden. Ich begann

das Gespräch mit der Bitte, mir die Umstände

seiner Erschöpfung genau zu schildern. Dabei

stellte sich folgende Situation dar: er ist

Rumäne, Computerfachmann und hatte seit einem,

halben Jahr für seine jetzige Firma für einen

sehr niedrigen Lohn hochqualifizierte Arbeit

geleistet. Er habe sich für diese Firma aufge-

opfert . Vor 14 Tagen habe er dann end]ich einen

festen Vertrag erhalten. Das sei wie eine Er-

lösung für ihn gewesen. Denn er habe allein für

die Finanzierung des Studiums seiner Frau und

für beider Lebensunterhalt zu sorgen. Familie

hätten sie h/er in Deutschland keine. Als er

sich den Vertrag genauer angesehen habe, mußte

er finden, daß er auch jetzt nur zur Probe,

also jederzeit kündbar, eingestellt woeden sei.

Er reagierte sehr erstaunt bei dem Hinweis,

daß ja seine Erschöpfungszustände in der Firma

ziemlich genau zeitlich zusammenfallen mit seiner

Erkenntnis, daß der neue Vertrag nicht seinen

Hoffnungen entsprach. Übrigens schildert er

seine Feau als eher hart im Nehmen, nicht so

weich also, wie er sei. - Ich lasse mir Zeit, .

seine Schilderungen sind sehr detailliert.

Er opfere sich für seine Firma auf undbekomme dafür

keine Gegenliebe, jetzt sei er wieder abgelehnt

worden . Er verwechsele die Farnilie,die er hier

nicht habe mit seiner Firma. Das sei eine nieder-

schmetternde Erfahrung für ihn. Solange er diese

Verwechselung nicht auflöse, dürfe er sich auch

nicht von seiner Firma abgrenzen, geschweige

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denn zu fordern, was ihm zusteht. Alle diese

Deutungen macht der Patient mehr oder weniger

erstaunt mit. Ich habe das Gefühl als würde

ihm ein Licht aufgehen. Gleichzeitig scheint es

mir gelungeneine Atmosphäre zu schaffen, wo er

sich wirklich gut aufgehoben und verstanden

fühlt. Plötzlich setzte sich der Patient dann

auf und sagte, er fühle sich jetzt viel besser.

Wir trennen uns schließlich. Er äußert zum

Schluß den Vorsatz, sich mehr um sein eigenes

Wohl kümmern zu wollen; vielleicht wird er

auch an einer psychotherapeutischen Gruppe

teilnehmen.

Mein Interesse an Baiintgruppenarbgit

Das Interesse an sol eher Arbeit beginnt für mich

da, wo ich gemerkt habe, daß ich an die meisten

Patienten überhaupt nicht herankomme. Um .so

mehr ich diese Patienten über ihre Kranknei t

ausfragte, um so mehr habe ich oft gespürt,

wie sie diese Fragen ^war beantworteten, aber

sich gleichzeitig immpr mehr verschlossen haben.

Am Anfang der A r bei t. in der Balintgruppe stand

dann die ziemlich beunruhigende Einsicht, daß

ich auch den Patienten 7-urückweise. oft in

bestem beiderseitigen K i n Verständnis , Das mag

bei einem Patienten mit seinem jährlichen

Schnupfen garnicht so wichtig sein.Aufregend

wird dieser so erfahrene Mangel, der aus irgend-

einem Grunde, organisch krank oder nicht,chronisch

krank oder nicht, immer wieder bein Arzt Hilfe

sucht - In diesen Situationen wird für mich -

jetzt deutlicher als vor 2 Jahren - sichtbar,

wie hilflos ich selber diesen Menschen gegenüber

bin, und wie wenig man mit den Mitteln der Medizin

die wir so gemeinhin lernen ausrichten kann.

Diese Patienten, wenn sie nicht das Glück haben,

eine durch angewandte Naturwissenschaft heilbare

Krankheit zu haben, diese Patienten haben gegen-

über einer Medizin, die beschränkt auf diese

mechanischen Anschauungen und den gesunden Men-

schenverstand agiert, überhaupt keine Chancen.

Oft genug haben wir in der retrospektiven Sicht

der Baiintgruppe sehen können, wie der Produktion

von Symptomen und Krankheit unglückliche lebens-

geschichtliche Bedingungen vorausgehen und korrosR.C?tt.'

i/ieren. Damit wird auch ein Widerspruch der

Medizin die wir lernen und deren einseitiger

Anschauungsweise sichtbar: bestimmte Patienten

sind in ihrer Not gezwungen Mediziner aufzusuchen

die ihnen auch helfen wollen, kraft beschränktem

Ausbildung aber überhaupt nicht helfen können.

Ich nehme an, daß viele Krankheiten, die dann

chronisch verlaufen, bei diesem ungelösten Wider-

spruch beginnen.

Während der Bai intgruppenarbeit habe ich aber auch

erfahren, daß dieseMedzin mit den Patienten eine

eigenartige Verleugnungsgemeinschaft bildet. Während

der Arzt anstelle des Subjekts des Patienten sozu-

sagen nur dessen zu objektivierende Daten erhebt,

tut er Fic1^ selbst ja den gleichen Tort an.

Dann freilich ist der Patient froh, wenn er

über seine inneren Probleme, die er abwehrt,

nicht nachdenken muß. So umgehen beide alles

Emotionale, Bedrückende, alle Animositäten, die

vielleicht schon lange schwelende Konflikte sigTnalisieren.

Für mich ist die Baiintgruppe daher ein Ort, wo

alle diese vielschichtigen Probleme praktisch

erfahrbar werden. Verstehendes, empathisches

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Vorgehen schließt Hier das erklärende naturwissen^

schaftliche Denken nichts vielmehr kann sich

beides sinnvoll erqänzen. So stell R ich mir

vernünftige Medizin vor.(Jürgen Kochendörfer) "Das Symptom als Angebot des Patienten", so heißt ein

Kurs, der bevorzugt den Studenten im 1.vorklinischenSemester in Prankfurt als "Alternative" zur Vorlesung Chemiefür Mediziner angeboten wird.Da wir uns darunter zunächst nur wenig vorstellen konnten,besuchten wir die Einführungsveranstaltung, in der Prof.Dr. Jork, der sich als Schirmherr dieses Kurses vorstellte,eine kleine Einführung in das Thema dieses Kurses gab.Die Einführun^sveranstaltung war im Gegensatz zur Chemie-vorlesung mit ca. 30 Studenten {bei 250 im Semester) nurmager besucht, ja man hat anscheinend auch nicht mit einemstärkeren Interesse gerechnet, denn nach 1 Stunde stelltensich 4 x 2 Gruppenleiter zur Wahl, damit sich die Studentenzu 4 Arbeitsgruppen von je 6-8 Leuten zusammenfinden konnten.Wir hatten Glück, unsere Gruppe war mit 6 Studenten und 2Gruppenleitern noch relativ klein, und wir verzogen uns ineinen kleinen Raum, in dem uns die Gruppenleiter die vonProf. Jork noch sehr unklar formulierten Ziele und Arbeits-weisen des Kuraes erläuterten.

Arbe i t swe_i s_e :Wir sollten also Patientengespräche führen: Einmal in derWoche bekam ein Gruppenraitglied Gelegenheit, 1/2 - V 4Stunde einen Patienten zu interviewen. Danach schloß sich1 Stunde Diskussion, jedoch ohne Patient, an.Als Ziel des Gesprächs wie auch des Kurses wurde anfangsdefiniert, daß wir den Umgang mit Patienten lernen, dieSensibilität für seine Probleme gewinnen und ihn als eineEinheit mit seiner Krankheit sehen sollten.Da diese Vorstellungen uns noch sehr unklar waren, wurde unsereMotivation für den Kurs von unseren Erwartungen geprägt,Ängste gegenüber dem Patienten zu verlieren und Sicherheitim Umgang mit ihm zu gewinnen.Für einige Gruppenmitglieder war es wichtig, überhaupt mal

kranke Leute kennenzulernen, da ein Teil von uns noch kein.

Krankenpflegepraktikum geleistet hatte.

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Viele erwarteten auch eine Bestätigung von eigenen Erfahrungen

und Vorurteilen gegenüber Ärzten und Krankenhaus. Das führte

bei den ersten Interviews dazu, daß der Interviewer den Ab-

lauf des Gesprächs im wesentlichen bestimmte und dem Patienten

meist nur eine Bestätigung seiner persönlichen Erfahrungen mit

der Schulmedizin abverlangte.

Nach einigen Patientengesprächen hatten wir endlich einen

neuen Zugang zum Ziel des Kurses gefunden. In den anscttlielenden

Diskussionen hatte eine Verschiebung des Diskussionsansatzes

vom Patienten auf die eigene Person stattgefunden. Im Brenn-

punkt stand nun unser Umgang mi t dem Patienten und unsere

Gefühle ihm gegenüber.

Wir reflektierten das eigene Vorhalten gegenüber dem Patienten

und kamen zu der Überzeugung, daß dieses von den subjektiver.

Gefühlen im Patientengespräch gesteuert wird.

Dadurch wurde federn Gruppenmitglied ermöglicht, sowohl sein

Verhältnis, als auch die unterschiedliche Sensibilität für dje

Probleme des Patienten zu klaren, die sich aus den Ihm

gegenüber empfundenen Gefühlen ergibt.

Darauf anschließend sollte eine Analyse des Verhaltens von

Interviewer und Patient stattfinden. Es Sei die Frage zu

klären, warum das Gespräch gerade so und nicht anders verlaufen

ist. Jedoch kam es durch Zeitmangel meist nicht dazu.

Die Rolle des Patienten

Die Patienten, die in einer allgemein-nedizinischen Praxis in

Behandlung waren, wurden von Ihrem Arzt gebeten, an einem

Gespräch mit uns Medizinstudenten aus den ersten Semestern

teilzunehmen.

Uns interessierte, warum der Patient überhaupt zu una kommt.

Hatte er bestimmte Erwartungen an das Gespräch, die ihn dazu

motivieren, oder wollte er nur die Bitte seines Arztes nicht

abschlagen ? Nach unserer Meinung sind beides Beweggründe für

sein Erscheinen.

Da der Verlauf und das Thema dies 'Gespräches vom Patienten

wesentlich mitbestimmt wurden, kamen seine Erwartungen sehr

schnell zum Ausdruck.

Im Verlauf des Gesprächs bekamen wir nicht nur einen Einblick

in die Kranken- und Lebensgeschichte der Patienten, sondern

sie vermittelten uns, oft sehr versteckt, Lebenserfahrungen

und Lebensproblerae.

Viele schilderten die Auswirkungen ihrer Krankheit auf ihr

Leben und Ihre Umwelt,und sie erregten bei uns starkes Mitleid

und Betroffenheit, ohne daß wir jedoch das Gefühl hatten, daß

der Patient damit sein SelbstweFtgefühl erhöhen.und sich nur

wichtig machen wollte.

Die Patienten teilten uns ihre Erwartungen an ihren Arzt, an

die Klinik und auch an uns Medizinstudenten mit. Es machte uns

betroffen, wenn wir Patienten, die Klarheit über ihre Krankheit

und Beschwerden bei uns suchten, enttäuschen mußten,

Dieses Problem führte immer wieder zu kontroversen Diskusaionen

in unserer Gruppe, und warf die Frage auf, ob wir denn hier nur

die Patienten ausnutz en wollten oder ob sie wirklich eine

kleine Hilfe in den; Gespräch sahen.

Unserem Gefühl nach war der größte Teil der Patienten mit dem

Gespräch zufrieden, denn sie konnten ihnen wichtige Dinge hier

aussprechen. Nur sehr wenige fühlten sich enttäuscht oder gar

verkohlt, wenn die z.T. durch Mißverständnisse geweckten

Erwartungen in dem Interview nicht erfüllt wurden.

So löste einmal die Erwartung einer Patientin, daß- sie bei uns

einen chirurgischen Eingriff gemacht bekäme, solch große

Frustrationen und Wut in unserer Gruppe aus, daß einige Gruppen-

mitglieder überlegten, aus der Arbeitsgruppe auszuscheiden.

Es kam zum Glück nicht dazu.

Rolle der Studenten

Ein Gruppenmltglied erklärte sich immer im voraus bereit, das

nächste Patientengespräch zu fuhren. Nach der Begrüßung er-

klärte er dem Patienten kurz Sinn und Zweck seines Kommens, und ver-

suchte während des (JosprächSAUf die ihm wichtigen Sachverhalte

und Problemfragen einzulenken.

Oft fühlte sich der Interviewer unter dem Leistungsdruck, ein

möglichst "gutes" Interview zu führen, und das Gespräch immer

in Gang zu halten, um d+e ihm peinliche Situation des gegen-

seititren Ar.schweiger.s zu verneinen. Dieser Leistungsdruck konnte

durch Diskussen in der Gruppe ctw^.s gemildert werden.

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Die anderen Gruppenmitglieder hatten während des Interviews

die Rolle von Beobachtern, nur ab und zu schaltete üich ein

Gruppenmitglied in die Diskussion ein. Am Ende des Interviews

hatte jeder nochmal Gelegenheit, persönliche Prägen an den

Patienten zu stellen.

In der sich später anschließenden Diskussion versuchten wir

durch Zusammentragen von Eindrücken, Gefühlen und Verhaltens-

weisen uns ein Bild vom Patienten zu machen.

Dabei entstanden erstaunlicherweise oft sehr unterschiedliche

Einschätzungen von einem Patienten, die aber von allen Gruppen-

mitglieäer akzeptiert wurden.

Rolle_der Gruppenleiter.

Die 2 Gruppenleiter einer 3eden Arbeitsgruppe Bind Medizin-

studenten, die den Kurs mind. 1 Semester besucht hatten, und

durch Tutorentraining und wöchentliches Treffen die Arbeits-

sitzungen vor- und nachbereiten.

Die Gruppenleiter übernehmen die Organisation des Kurses,

d.h. sie kümmern sich um die Arbeitsräume, holen die Patienten

etc.

Sif setzen die sich anschließende Diskussion in Gang, leiten

und lenken die Eiskussion, falls hier mal der Rote Faöen ver-

loren geht. Für die Gruppe sind sie dabei wesentliche Hilfe, ihre

sehr oft noch unklaren Gedanken und Vorstellungen zu koordinieren,

und Mißverständnisse unter den Gruppenmitgliedern zu klären.

Ergebnis _des Kurses

In den Gesprächen mit den Patienten konnten wir zahlreiche

Erfahrungen über uns selbst, wie auch Über unseren Umgang mit

Patienten sammeln.. GM

So wurden einige in dem Verlauf des Kurses immer wieder mit dem

Problem konfrontiert, weshalb gerade sie Medizin studieremind

welches Interesse sie überhaupt daran haben, anderen Menschen

EU helfen.

Daß diese Auseinandersetzung nicht Im Rahmen eines solchen

Kurses gelöst werden kann,ist klar, sie erfordert aber dennoch

ihre Bearbeitung.

Wir haben oft eelebt, wie durch die Erwartungshaltung der Pati-

enten Arzte und Studenten überfordert werder. Dies erfordert

von uns in der Praxis eine Klärung und Korrektur der an uns

gestellte«Erwartung.

Sin weiteres großes Problem ist für uns die gefühlsmäßige

Ablehnung des Patienten durch den Arst bzw. des Arztes durch

der. Patient. Darf der Arzt den Patienten bzw. seine Behandlung

überhaupt ablehnen, verstöß^er damit nicht gegen ärztliche

Ethik, oder muß er ihn sogar ablehnen, um dem Patienten in

seiner Person und in der Behandlung seines Problemsteerecht

zu werden?Weitere große Schwierigkeiten bereitet uns, die•vom Patienten

angebotenen Informationen richtig einschätzen zu können.

Können wir uns da immer auf unsere Gefühle verlassen? Oft

ist es sehr schwer, nochmal klärend nachzufragen, besondera,

wenn sich der Patient dann verschließt.

Respektiert man hier die Schranke und die Hemmungen des

Patienten und vor allem, wie gehe ich dabei mit meinen eigenen

Hemmungen um?Dies sind alles Fragen, die uns auch nach dem Kurs noch aehr

lange in unserem 3tudium begleiten werden.

I.Keller

w,Rotter

W.Zündel

&AJL...

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DER PATIENT ALS OBJEKT IN DER AUSBILDUNG DES ARZTES

Die 197O erlassene Approbati onsordnunq (AO) setzte

sich "eine Reform der ärztlichen Ausbildunq in allen

ihren Bereichen" zum Ziel. Durch zentrale Prüfungen

sollte eine "einheitliche Verbesserunq der ärztlichen

Ausbildung" erreicht werden.

Die AO verzichtete (ursprünglich) auf Pflichtvorlesungen

ur.d beschränkte sich auf den Nachweis des regelmäßigen

und erfolgrei ehen Besuchs von prakt ischenübungen und

Kursen - die Ausbildung soll "praxisnah und am Patien-

ten erfolgen". Die Gestaltung dieser Kurse und ihre

Wertigkeit im Curr iculurr. bleibt den einzelnen Fakul-

täten überlassen, Sie sollen jedoch möglichst problem-

orientiert und nicht getrennt von den einzelnen Fach-

gebieten gestaltet werden. Eine wesentliche Erweiter-

ung erfuhr das Medizinstudium nach der AO durch die

Hereinnahme der psychosozialen Fächer in das Curri-

culum. Damit wurde der wachsenden Bedeutung psycho-

sozialer Faktoren in der Pathogenese von Krankheiten

und Rehabilitation von Kranken Rechnung getragen. Über

diese Ergänzung des medizinisch-naturwissenschaftlichen

Wissens um psychische und soziale Faktoren hinaus,

bot diese Erweiterung der Ausbildung zum Arzt die Mög-

lichkeit "soziales Lernen", d.h., die Vermittlung von

Einstellung und Verhalten bewußt in das Studium zu

integrieren.

Die meisten dieser neuen Fächer (Med.Psychologie, Med.

Soziologie ,Psychosomatik, Psychotherapie, Teile der

ökologischen Fächer) konnten - zum Beispiel aufgrund

ihrer schlechten personellen Ausstattung seitens der

Fakultäten - oder wollten diese Möglichkeiten nicht nutzen

l)Anm.: Nach der Taxonomie von S.Rloom ! ) werden einkognitiver (Wi ssen, Fakten) ein psychomotorischer(Ferti qkeiten, z B . Durchführen einer kn rperl i ehe nUntersuchung) und affektiver (Ei nstellungen)Lernbereich unterschieden. Ärztliches Handelnwird von allen drei Bereichen gleichermaßenbeeinflußt.

Sie beschränkten sich darauf, die ohnehin schon mit

Wissenanforderungen vollgestopften Lernzielkataloge

durch weitere Wissensanforderungen (=kognitiver Lernbe-

reich) zu "ergänzen". Die Vermittlung von Fertigkeiten

(=psychomotorischer Lernbereich) wird in deutlich gerin-

gerem Ausmaß, von Einstellungen (=affektiver Lernbereich)

überhaupt nicht untenommen. Dies hängt nicht zuletzt

damit zusammen, daß vorallem Einstellungen nicht mit den

gleichen didaktischen Methoden wie Wissen (Frontalvor-

lesung, Bü'cher usw.) vermittelt werden können und dies

die Entwichklung neuer didaktischer Methoden erfordern

würde.So entwickelte sich die Umsetzung der AO seitens der

Fakultäten immer mehr in Richtung Wissensvermittlung,

ganz im Gegensatz zu den ursprünglichen Intentioenen.

Das in den Lernzielkatalogen festgelegte und durch das

Multiple-choice-System abprüfbare Wissen entspricht durch-

aus dem herrschenden Objektivitätsdenken im Selbstver-

ständnis der heutigen Medizin. Die Novellerung der AO

deren wesentlichster Aspekt die Anhebung des geforderten

Wissens von 5O auf 60% der Fragen darstellte, war eine

natürliche Konsecpens dieser Entwicklung.

Auch die Verlängerung der Famulatur von 2 auf 4 Monate

beinhaltete das Eingeständnis, daß die Fakultäten die

Ausbildung nicht "praxisnah und am Patienten" durch-

führen können. (Auf die vielfältigen Ursachen dieser

Entwicklung soll hier nicht eingegangen werden. Die ganze

Entwichklung nur mit den gestiegenen Studentenzahlen zu

begründen, genügt sicher nicht, da schon zu Beginn der

70er Jahre führende Vertreter verschiedener Fakultäten

gegen die AO, vorallem gegen die Abschaffung der Pflicht-

vorlesungen - für viele eine Art Sebstdarstellungsforum -

ins Feld gezogen sind.)Die bewußte Auseinandersetzung mit arztlicher Einstellung

und ärztlichen Verhalten, die sich zu allererst im Um-

gang mit dem Patienten manlf c-stierer, wird damit ausge-

klammert . In weiten Kreisen medizinischer Hochschullehrer

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-9*-wird dies ohnehin für nicht möglich gehalten, vielmehr

herrscht die Überzeugung vor, daß es dem Einzelnen

"gegeben" ist, ein "guter Arzt" zu sein oder daß er

diese "Gabe" eben nicht mitbringt.

Was bedeutet dieses Ausbildungsangebot der Fakultät für

den Studienanfänger hinsichtlich seiner Studienmotivation?

Neben seiner leistung und statusorientierten Motiva-

tionebene trifft man bei den meisten Studienanfängern

auf die sehr idealistische Vorstellung eines unspezi-

fischen, nich wenig differenzierten Helfen-Wollens,

das den Medizinstudenten von den Studienanfängern anderer

Studienrichtungen unterscheidet (Beckmann, et. , 1972).

So charakterisieren Studienanfänger die Beziehung des

idealen Arztes gegenüber dem Patienten mit Ein-

fühlungvermögen, Aufgeschlossenheit und Offenheit und

ordnen sie im Merkmalsspektrum der eigenen "professio-

nellen" und privaten Beziehungen sehr nahe bei der

Beziehung des üblichen Arztes zum Patienten: Das wichtigste

dem Arzt dabei zugeordnete Merkmal ist Dominanz und ein

signifikanter Mangel an allen Eigenschaften des idealen

Arztes. Die eigene Beziehung zum Patienten liegt in der

Eischätzung der Studienanfänger dazwischen und ist noch

noch kaum durch signifikante Merkmale gekennzeichnet. Das

Studium soll sie ihren Idealvorstellungen näher bringen.(Egle,1982)

Das Angebot der Fakultät geht auf diese Erwartungen der

Studienanfänger nicht ein. Vielmehr wird ihnen impli-

ziert klargemacht, daß sie sich zunächst - in den vor-

klinischen Semstern - Wissen in Chemie, Physik, Physiolo-

gie, Anatomie, Biochemie und auch Med. Psychologie und

Med. Soziologie anzueignen haben, bevor sie überhaupt

an einen Menschen herangelassen werden. Sie lernen den

Menschen, dem sie - auf einer ganz emotionalen Ebene -

"helfen" wollten, als ein Abstraktum, als ein Gerüst aus

Grundsubstanzen, Formeln, Werten, Regelsystemen usw.

kennen - entfremdet.

Das übergeordnete affektive Lernzielfür den vorklini-

schen Studienabschnitt, wollte man es einmal bewußt

formulieren, müßte etwa so lauten: "Der Student soll

verstehen lernen, daß der Arzt einem Patienten nur

durch objektivierende Distanz helfen kann"

Eine wesentlicheFunktion in diesem Sozialisierungsprozeß

kommt dem Präparierkurs zu. Der Präparierkurs hat im vor-

klinischen Studium eine Stellung, die in Relation zu

seiner tatsächlichen Bedeutung für die Ausbildung zum

Arzt schlechterdings als "hypertroph" bezeichnet werden

kann. Im Vergleich mit Physiologie, Biofchemie und Med,

Psychologie, die als Vorbereitung auf das klinische

Studium sicher genauso bedeutsam wie die Anatomie sind,

leistet er jedoch etwas, was über diese Fächer hin-

ausgeht: Erstmals im Anatomiekurs macht der Mediziner

etwas, was nur ihm vorbehalten ist: er zerschneidet eine

Leiche.

Über die Wissenvermittlung hinaus hat der Präparierkurs

dadurch die Funktion eines "Initiationsritus" in das

Arztsein. Nach dem Präparierkurs ist der Student in

den Kreis der Mediziner aufgenommen, er gehört dazu.

Das gemeinsame Privileg, zum Wohle des Menschen einen

toten Menschen auseinanderschneiden (wir verzichten

bewußt auf dendistanzierenden Begriff "sezieren") zu

dürfen, verbindet ihn mit dem "Kollegen" {als der er

anschließend nicht selten angesprochen wird). Dieses

Privileg vermittelt erstmals in Studium das Gefühl von

Macht.Die pointiert erzählten Gesch ichten aus dem

Präparierkurs lassen Außenstehende erschaudern und ihn,

der diese Situation nicht nur aushalten,sondern dabei

auch noch hohen Leistunganforderungen genügen muß, als

besonders stark und überlegen erscheinen.

Dazugehören und Überlegenheit lassen den Studenten seine

Schuldgefühle darüber, daß er statt einem Menschen zu

helfen, zunächst mal den Körper eines Menschen"kaputt-

gemacht", hat und dieses Zerschneiden ihm auch noch Be-

stätigung gibt, verdrängen. Die Machtausübung verhindert

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-93.-

das Aufkommen von Gefühlen. Je mehr der Student lernt,

je besser er die Anatomie "be-herrscht", desto leichter

kann er seine Schuldgefühle mit dem (suggerierten)Argument,

dadurch ein guter Arzt zu werden, wegschieben, desto besser

kann er sich "be-herrschen". Durch den im Präparicrkurs

bundesweit verbre iteten Leistungsdruck, die Machtaus-

Übung seitens der Fakultät, bleibt auch Studenten, die

diesen Mechanismus durchschauen, nichts anderes (ihr i g,

als zumindest teilweise mitzumachen, wollen sie ihre

Kursbescheinigung über die "regelmäßige und erfolgreiche

Teilnahme" bekommen.

Die Situation im Präparierkurs ist exemplarisch für die

klinischen Kurse. Der Patient wird - forciert durch die

hohen LeistungsAnforderungen der Fakultät - zum Ausbil-

dungobjekt gemacht.Mit dem Anspruch, ihm dadurch immer

besser helfen zu können, wird der Patient - entsprechend

der Anatomie - in immer mehr Organbereiche aufgeteilt,

die die Stdenten sich unter Beherrschung ihrer Gefühle

immer besser wissensmäßig zu beherrschen bemühen. Zum

Wohle des Patienten beherrschen die Studenten sich wie ihn.

Das ursprünglich emotionale Bedürfnis bleibt auf der

Strecke. Tauchen emotionale Probleme im Umgang mit

Patienten auf , hat er gelernt, sich hinter objekti-

vierender Distanz und zunehmender klinischer Kompetenz

zu verstecken. Diese emotionale Hilflosigkeit erscheint

dem nichtmedizinischen Außenstehenden dann oft als

Zynismus (Eron,1956), Auf alle Fälle veschwindet während

des Studiums die fürsorgliche Einstellung des Studienan-

fängers mehr und mehr, und am Ende stellt sich der

Mediziner als jemand dar, der sich nach Beckmann und al.(1972)

so selten wie niemand sonst unter den Studanten<jruppen

sorgenvolle Gedankern um andereMenschen macht. "Am Ende

ist ihm sorgenvolles Hitfühlen mit dem Mitmenschen fremder

als Juristen, Philologen oder Volksschullehrern".

A.Miller (198o) sieht in der Unterdrückung von Gefühlen

in der Erziehung des Kindes die Ursache für die

späteren negativen Formen von Machtausübung. Sie

überträgt dies auch auf die Sekundärsozialisation

von {Psychologie-)Studenten: "Im gleichen Jahrzehnt,

in dem die Dichter die Bedeutung der Kindheit emo-

tional entdecken und die verheerenden Folgen der als

Erziehung bezeichnetenverborgenen MachtausÜbung ent-

larven, lernen die Studenten der Psychologie an den Uni-

versitäten vier Jahre lang, den Menschen als Maschine

zu betrachten, un sein Funktionieren besser in den

Griff zu bekommen. Wenn man bedenkt wieviel Zeit und

Energie im besten Alter des Lebens dafür verwendet

wird, die letzte Chance der Adoleszenz zu vergeuden

und die in diesem Alter besonders stark auftretenden

Gefühle mit wissenschaftlischem Intellekt auf Spar-

flamme zu halten, dann wird man sich nicht wundernk

wenn die Menschen nach diesem Opfer ihre Patienten und

Klienten auch zu Opfern machen, sie als Instrumente

ihres Wissens und nicht als eigenständige, kreative

Wesen behandeln. Daß dies auf Medizinstudenten in einem

zumindest ähnlichen Ausmaß zutrifft, ist evident.

Die Widerstände gegen ein ganzheitliches Medizinver-

ständnis, vorallem gegen die davon nicht trennbare

Subjektivität von Arzt wie Patient, seitens der eta-

blierten Medizin und ihrer Vertreter wird durch den

von A.Miller aufgezeigten Zusammenhang klarer:

Das objektivistische Selbstverständnis der Medizin macht

den Arzt zum wissenschaftlichen Spezialisten ohne Ge-

fühle, den Patienten zum Gegenstand des Objektivierens:

zum Objekt, zum Träger pathologischer Befunde, zum

Demonstrationobjekt in Vorlesungen. Daraus resultiert

eine asymmetrische Kommuniktion zwischen Arzt und Pa-

tient (die es in einemstreng objektivistischen Denksystem

bei ihren subjektiven Anteilen gar nicht mehr geben

dürfte und die man ja häufig (konsoquenterweise?) mit dem

Begriff "Kommunikation" auch kaum mehr beigen kann) ,

eine Form von Machtausübung.

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Obgleich keine Lernziele bezüglich Einstellung und

Verhalten im Medizinstudium nach der AO formuliert sind,

vollzieht sich also unbewußt ein affektiver Lernprozeß.

Da dem Studenten seitens der Fakultäten nichts ange-

boten wird, kopiert er mehr oder weniger zufällig

und bewußt Vorbilder. Diese Vorbilder sind die Dozenten

an den Hochschulen,überwiegend Spezialisten auf den

verschiedenen Organgebieten. Dementsprechend ist die

Medizin, die sie betreiben, speziaiistisch, in erster

Linie auf das kranke Organ konzentriert; der Patient

in seiner Ganzheit als Mensch wird aus dem Auge ver-

loren. Dies ist umso weniger verwunderlich, als die

meisten Dozenten im Rahmen ihrer beruflichen Soziali-

sation auf Denkkategorien wie wissenschaftusche

Objektivität und Aufteilung des Menschen in Organge-

biete getrimmt wurden.Hier kommen wir an den Punkt, wo man sich im Rahmen einer

Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Ausbildungssituation

nicht mehr auf die Ausbildung allein beschränken kann,

vielmehr - zumindest kursorisch - auf das herrschende

Selbstverständnis der Medizin eingegangen werden soll.

Seit Mitte des Letzten Jahrhunderts hängt die Medizin

einem naturwissenschaftlich-objektivistischen Selbst-

verständnis an. Die Konzentration auf das Objektivier-

bare, die zunehmenden Erkenntnisse über morphologische

Gegebenheiten, biochemische und physiologische Zusammen-

hänge brachtengroße Erfolge in der Erkennung und Be-

handlung vieler Krankheiten. Gleichzeitig brachte die

Entwicklung der heutigen naturwissenschaftlisch-objekti-

vistischen Medizin eine Spaltung in eine "Organmedizin"

und eine "Seelenmedizin". Diese Spaltung wurde durch

die Arbeiten Freuds, der Erforschung von Subjektivität

und Beziehungspathologie, nur noch verstärkt. Es ent-

standen zwei Arten von Medizin,von dene jede - nicht

im Hinblickauf die andere - von sich meinte, die bessere,

die wahre Heilkunst zu sein (vgl, W.Wesiack, 1980),

Beiden war jedoch gemeinsam, nur einen Teil der kranken

Menschen zu sehen, zumindest ihm Priorität einzuräumen:

sei es dem kranken Organ, sei es der k anken Seele.

Am Standpunkt der naturwissenschaftlich-objektivistischen

Medizin konntcndaran weder die Erkenntnisse der Verhal-

tensbiologie (J.v,Uexküll.Lorenz,Tlnbergen) noch der

experimentellen Psychologie (Wertheimer,Köhler) etwas

ändern, die besagen , daß die Beziehung zwischen Objekt

und Subjekt eine Veränderung der rein objektiven Wahr-

nehmung von Teilen bzw, der Summe der Teile erbringt.

Nachdem schließlich auch in die Physik, quasi dem Grals-

hüter der reinen Naturwissenschaften, durch die Rela-

tivitätstheorie und Quantentheorie die Erkenntnis Ein-

zug hielt, daß es eine objektive, vom Beobachter unab-

hängige Außenwelt gar nicht geben kann, kann die Be-

ziehung des Subjekts zur Umwelt nicht länger aus der

Wissenschafttheorie herausgelöst werden. Für die Organ-

medizin bedeutet dies, daß ihr naturwissenschaftlich-

objektivistisches SeIstverständnis für eine Humanmedizin

überholt ist. Vielmehr geht es um eine Integration, in

der der Organmedizin wie der Psychoanalyse (oder auch

der Lerntheorie) die Bedeutung von Grundlägenfächern

zukommt. Diese Integration von 'subjektiver' und

'objektiver1 Medizin versuchten in jüngster Zeit

Th.v.Uexküll und W.Wesiack durch das von ihnen ent-

wickelte "Situationskreismodell" (1979). Sie lösen dabei

das traditionell übliche Ursache/Wirkungsdenken ("line-

ar-kausale Denkweise") der Medizin, das nicht zuletzt

in der Aufteilung des Menschen in Organbereiche seinen

Niederschlag findet, durch eine zirkuläre Betrachtungs-

weise ab. Der Mensch in seinen psychosozialen Wechsel-

bezügen ist Gegestand pathogenetischer Überlegungen,

seine phylo- und entogenetiseh erworbenen "Programme",

die seine Kommunikationmit seiner Umwelt, wie eine

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unsichtbar schützende Hülle, eine Art zweiter (psycho-

sozialer) Haut steuern. Bei Störungen dieser psychoso-

zialen Haut, das heißt in Situationen, zu deren Be-

wältigung ihm die entsprechenden Programme fehlen, ist

der Körper ungeschützt eigenen Spannungen bzw. den Er-

eignissen aus der Umgebung ausgesetzt - die psycho-

somatische Krankneitsgencse. - Ausgangspunkt dieser

zirkulären Betrachtungsweise ist die Umwelttheorie

J.v.Uexkülls zu Beginn dieses Jahrhunderts. Dessen

"biologischer Funktionskreis", der die Wahrnehmung der

Umgebung und die individuelle Reaktion seitens des

Tieres mittels angeborenen,artspezifischen Programmen

beschreibt, wird um den Faktor der "Phantasie"-Ent-

wicklung beim Menschen erweitert. Dadurch ist dem Men-

schen - im Gegensatz zum Tier - im voraus ein theore-

tisches Durchspielen von Situationen möglich ("Situation-

kreis" ) .Die Widerstände gegen ein derartiges Medizinverständnis

sind innerhalb wie außerhalb der Medizin immens. Die

technische Entwicklung der letzten hundert Jahre hat

nicht nur die Medizin, sondern natürlich auch das Den-

ken und die Vorstellungen unserer ganzen Gesellschaft

beinflußt und verändert. Die WachstumsIdeologie unserer

Industriegesellschaft erhebt Rationalität zum obersten

Prinzip. Emotionen sind Störfaktoren, da sie das Wachs-

tum in seiner Kalkulierbarkeit beeinflussen könnten

(vgl. Th.v.uexküll, 1977). So könnte auch eine Medizin,

die Subjektivität als Teil ihres Sebstverständnisses

sieht, ein Störfaktor sein. Diese "funktionelle Ratio-

nalität" der Gesellschaft ist für Zepf (1974) ein wesent-

licher Faktor in der Pathogenese psychosomatischer

Krankheiten, da so sozialisierte Mütter ihren Kindern

keine verbalen Zeichen für Gefühle mehr vermitteln

können und die Kinder auf der Ebene der Körperspräche

verbleiben.

Diese Machtausübung wird durch Balint (1969) als

"beteiligter Beobachter"bezeichnete, gefährdet, da sie

ein Infragestellen der eigenen Person bedeutet.

Durch die Vermehrung des Wissens umpsychologische und

soziologische Zusammenhänge kann per se noch keineVeränderung in der Beziehung des Arztes beziehungsweise

Studenten zum Patienten erreicht werden. So wichtig

psychologisches und soziololgisches Wissen für Mediziner

ist, um die steigende Zahl psychischer und sozialer

Faktoren bei der Entstehung vieler Krankheiten be-

rücksichtigen zu können, beinhaltet es - bleibt der

Student/Arzt auf der Wissensebene stehen - die Gefahr,

das Machtaufübung des Arztes über den Patienten, die

Asymmetrie in ihrer Beziehung nur nicht zu verstärken.

Erst wenn es geling, darüber hinaus im Studium Frei-

räume zu schaffen, in denen der Student seine Gefühle

gegenüber dem Patienten äußern und in seine Ausbildung

miteinbeziehen kann, anstatt sie (oft ein zweites Mal

nach der Primärsozialisation) unterdrücken zu müs-

sen, wird die "Schwarze Pädagogik" in der Mediziner-

ausbildung - wie ich sie in Anlehnung an A.Miller

nennen möchte - durchbrochen werden können. Bei der

immer mehr reglementierten Gestaltung der Approbations-

ordnung erscheint dies in der Bundesrepublik augen-

blicklich nur durch studentische Selbsthilfegruppen mög-

lich , die nach dein Prinzip der "guided discovery"

weitstgehend selbstbestimmt arbeiten. Erst dann

werden wir zu einem medizinischen Selbstverständnis

kommen, in dessen Mittelpunkt tatsächlich die "indi-

viduelleWirklichkeit" (Th.v.Uexküll) von Patient

wie Arzt steht (Ulrich Egle)

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Referat der studentischen Teilnehmer am Workshopen im März 82, Bad Nauheim

für medizinische Ausbildungsfrag<

Studentische Tutoren _in der_ AJJ sM_ldung_

Zu ncineni The-ir.a r-bchtc ich über die Arbeit von studen-

tischen Tutoren ollqeneir,, u.a. auch in medi zinischen

Fachbereicher, etwas saqen. Bei sich bietpndem Anknüpf-

ungspunkt nochte ich SchiIderüngen unserer Tutorenar-

taeit im Rahmen der ' Praxisoriontierten Ausbildungs-

modells Allgemeinmedizin' an der Frankfurter Uni versi-

tät einflechten.Die sich abzeichnende ökonoirii sehe Krise Mitte der 6Oor

Jahre bildete den Hintergrund für Reformtaestrebunqen im

Hochschulbereich. L'nter dem Schlagwort einet drohenden

'DiIdungskataatrophe' wurden die Anpassungsprobleme

der BiIdungssystems an die ökonomischen und gesell-

schaftlichen Erfordernisse diskutiert.

Die Einführung von Kleingruppenunterricht, die Ein-

richtung studentischer Tutorien und wissenschaftlicher

Arbeitsgemeinschaften waren bedeutende Teilelemente

struktureller und inhaltlicher Reformversuche an den

Universitäten. Nch Vorbildern studentischer Selbst-

hilf egruppen an der FU Berlin, die schon seit den

5Oer Jahren bestanden, wurden erstmals im WS 68/69 von

der VW-Stiftung an 27 bundesrepublikanischen Uni-

versitäten Tutorenprogramjne finanziert. Die Wirtschaft

drängte auf Effektivierung der Ausbildungsprozesse;

es galt den Sputnikschock zu therapieren.

Die studentischen Selbsthilfeqruppen hatten das Ziel

einer Orientierungs- und Integrationshilfe für

Anfänger-Studenten verfolgt und in den Jahren ihres

Bestehens ihren Wert überzeugend dargelegt: die Ar-

beit in kleinen Grxippen ließ Anonymität und Passivität

der Teilnehmer aufbrechen, gab ihrer aktiven Mit-

arbeit Raum. Der Tutor, selbst Student, wur weniger

ein Artikulationshemmnis als vielmehr ein Agent

der studentischen Lerninitiativen.Funktionsdifferen-

zierur.qen dieser Einführungsgruppen ergaben sich

dadurch, daß Gruppen über diese Orientierungarbeit

hinaus sich auf das hehrangobot bezogen und zB. zu

semir.arbegleitenden Gruppen wurden. Die Integrations-

hilfe wurde ergänzt durch eine Studienhilfe.

Diese Selbsthilfegruppen hatten somit bereits wichtige

Elemente reformerischer hochschuldidaktischer

Strategien praktiziert:Studenten als Tutoren kooperieren mit Studenten

Kleingruppenarbeit schafft eine besondere Lernsituation

Studentische I. orn initiative bekommt ^aum

Hochschuldidaktik verstand sich nicht reduziert

als Unterrichtstechnik sondern betonte neben dem

methodischen Aspekt die inhaltliche Seite von

Bildungsprozessen, VDS und Bildungsrat proklamierten

im Einklang das Studienziel 'selbstständiges Denken

durch Wissenschaft' . Studenten waren als Individuen

gefragt und aufgefordert den Wissenschaftsprozeß

kritisch als ihre Sache weiterzutreiben, sosehr

man auch von seiten der Industrie bemüht war dem

Prozeß Effizienzforderungen - sprich Kapitalverwer-

tungsinteressen - aufzuzwingen.

Sowie die Kleingruppenarbeit und die studentischen

Tutorien von Studenten, Instituten und Fakultäten

aufgegriffen wurden, erfuhren sie Modifizierungen und Dif

Differenzierungen ihrer Arbeitsweise und Inhalte

die die reforrrerischen Impulse recht unterschied-

lich realisierten..Die ursprunglichen Selbsthilfegruppen bestanden

als E i n.f ühru_ng s_-_ un_d_ _0r_i ent_ie rumis^r uppein fort.

Sie arbeiteten ohne strenge thematische Vorgaben,

gaben Orientierur.gshilfe für Studienanfänger an

Studienort und Universität und ver ;ni ttelten einen

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ersten Zugang zürn Studienfach zB. als Studienbet atunq.

Andere studentische Tutorien verstanden sich als

Ergänzung__ciner Lehrveranstal t u na n i ch t i :r. S i nne

einer bloßen Zudrbeit sondern als relativ selbst-

standige inhaltliche Annäherung an das Seminarthema.

Die Tutorion waren vorn Hochschullehrer anerkannte

Elemente des Seminar ab l auf s . Die Tutoren koordinierter,

ihre Gruppenarbeit mit Cotutoren und Seminarlei ter.

Fr_ei_e_ Tutori_e_n versuchter, sich insbesondere in der

Zeit der Studentenbewegung in kritischerDistan?,

zum etablierten Wissenschaftsbetrieb an?,usiedeln.

Verschiedentlich konnten die autonomen Tutorien

kritische, bi s lang ausgeklammerte Inhalte in den

laufenden Wissenschaftsbetrieb einbringen,

Rej3Q_ti.t_or_i_en. Tutorien, die vorwiegend die Funktion

eines Paukkurses hatten, waren weniger vom pro-

klamierten Studienziel gezeichnet als vielmehr Aus-

druck desolater AusbildungsVerhältnisse in weiten

Bereichen der Universität. Gerade deshalb stellten

sie einen erheblichen Teil studentische Klein-

gruppenarbeit.

Eine wichtige Differenzierung im Kleingruppenangebot

ergab sich durch die zusatzlich Einführung sog.

_; Wji. s_s.gnj5_cha f 11 i ehe r_ Aj~be i t s_g_enie_in scha !ten_!_, das sind

Kleingruppen unter Leitung eines Tutors mit abge-

schlossener Ausbildung, eines Poktoranden oder

Nachdiploirstudenter.. Während s ich die studentischen

Tutoen vorwiegend im Grundstudium (l . -4 . Sem.) betä-

tigten, hatten sie ihr Wirkungsfeld im Grund- und

Hauptstudium. Ihre Übungen ersetzten vielfach in-

effiziente Massenveranstaltungen oder stellten er-

gänzende Lehrveranstaltungen dar.

Ein Blick auf unseren Fachbereich hgut.6 kann leicht

Beispiele für studentische Tutorien ausmachen, die

den skizzierten Typen entsprechen: Die Didaktik

bietet Paukkurse an , die heute wie damals dazu be-

stimmt sind Studenten auf pfiffige Prüfungsmodali-

täten einzuschleifen. Die Fachschaft Medizin bietet

- sfo-i —

zu Beginn jedes Semesters in eigener Regie den

Studienanfängern Orientierungseinheiten als freie

Tutorien an - jedoch nur die Dauer einer Blockwoche.

Student i sehe Tutoren rekapitulieren r^it kleinen Gruppen

von Studenten irr, Anatomie-Kur s an der Leiche Vor-

lesung s Stoff . Im Physiologie- und Chemiepraktikum

.stehen sie als technische Assistenten ab und zu

auch als theoretische Stützen ihren Hitstudenten bei

der Durchführung der Versuche zur Seite, Im Anschluß

an die Übung haben sie Protokolle zu korrigieren. In den

Kursen der psychosozialen Grundlagen der Medizin

fertigten sie mit Kleingruppen Referate für die

Kursstunden an, bibliographieren, photokopieren r

wobei sich in diesen Kursen verschiedentlich die

Tutorenarbeit am ehesten von reiner Zuacbeit oder

Nacharbeit unterscheidet, insofern mit inhaltlichen

Akzentsetzungen bei den Referaten wissenschafts-

theoretiscne und politische Denkvarianten in den

festgeschriebenen psychosozialen Themenkatalog

eingebracht werden können.Studentische Tutorien sind - das mögen diese Beispiele

nur aus unserem Fachbereich belegen - aus der, Reform-

periode heraus zu etablierten universitären Institu-

tionen geworden. Mir ist es unweigerlich passiert,

die Tutorienarbeit, wie ich sie heute antreffe, zu

karr ikicrer. als Rüdchen im Getriebe des Unibetriebs.

A]s wäre dor damalig refarmer isehe Impetus heute

verschwunden. Was war das treibende Moment damals?

Es war eine den technokratischen Reorganisations-

bestrebungen nach Ende der Rekonstruktionsperiode

der Wirtschaft entgegengesetzte gesellschaftliche

Bewegung, die auf der Basis des erworbenen relativen

materteilen Reichtums vernachlässigte Bildungsziele

hervorkehrte: Mündigkeit, Emanzipation, Sexualität,

Chancengleichheit, Frieden urö nach der sinnvollen

Verwendung desdes gesellseheftliehen Reichtums fragte,

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Repräsentanten der Inhalte dieser Bewegung waren die

Beatles ebenso wie Herbert Marcuse.che Guevara eben-

so wie Johannes XIII.. Marin Luther King wie Rudi

Dutschke, Heinrich Böll ebenso wie Alexander Mitscherlich,

Nicht das es heute keine Beilegung mehr gebe! Sie

ist auf den Bauplätzen technologischer Großprojekte

anzutreffen, in Regierungsstädten in nie gekannten

Größendimensionen und zunehmend auch in Parlamenten.

Die hat sehr stark defensiven Charakter und ist e

eher wissenschaftsungläubig. In der Universität ver-

kommt wünschenswerte und dringend notwendige Kooper-

ation zu Konkurrenz um allzu knappe Förderungsmittel.

Trotzdem glaube ich an einen konstitutionellen, stu-

dienreformerischen Faktor in allen studentischen

Tutorien,Daß es heute wie damals Bewegung gibt,

möchte ich am Beispiel des Projekts 'studentische

Tutorien im Rahmen eines praxisorientierten Aus-

bildungsmodells AI Igeraeir.iT-.edizin ' an der Frank-

furter Universität beweisen.

Rahmen des IPrayisorientierten

an_dor Uni Frankfurt

Unser Projekt ist ein Baustein des sogenannten

'Praxisorientierten Ausbildungsmodells Allgemein-

medisin'. Die Angebote dieses studienbegleitenden

Modells sind den Phasen des 12-semestrigen Studium

zugeordnet. Durch den Pflicht-Kurs zur Einführung

in Fragen der allgemeinmedizinischen Praxis ist das

Modell mit dem offiziellen Curriculum verzahnt.

Unser Projekt ist der Ausschnitt aus dem studien-

begleitenden Ausbildungsgang für das erste bis

dritte Semester des vorklinischen Studiums. Unsere

Tutorien sind wie alle anderen Veranstaltungen des

Modells - ausgenommen der Pflichtkurs für das 3.Klin.

Semester für die Studenten freiwillige Übungen,

Aus dem Rahmen des Modells fallen die studentischen

Tutorien insofern die Arbeit in bestimmter Weise in-

haltlich ausgerichtet ist:

Gegenstand der Lernarbeit ist die ' patier.tenzen-

trierte Menizin1 , d.h. der von Michael Balir.t

vorgestellte Krankheitsbegriff und die ihm korre-

spondierende Arbeitsweise.

Die 'patientenorientierte Medizin' nach Balint.um

die wir uns bemühen, ist nicht eine neue medizinische

Fachrichtung - etwa 'Psychosozialmedizin'. Es han-

delt eich bei der patientenzentrierten Medizin auch

nicht um eine oppositionelle Bewegung im Gesund-

heitssystem. Sie ist nicht speziell auf einer. Teil-

bereich der medizinischen Versorgung bezogen, den

stationären oder ambulanten Bereich (zB. die Allge-

meirr^edizin) . Sie ist keine Spielart herkömmlicher

Psychotherapie ur.d auch kein psychotherapeutischer

Zusatz zur herkömmlichen 'krankheitszentrierten'

Medizin. Patientenzentrlerte Medizin ist eine alter-

native McOizin, die sich durch ein erweitertes

Krankheits- b^w. Oesundhci t svcr r-tär.dnis auszeichnet.

Krankhext im Sinne der patientenzentrierten .Medizin

ist körperlich-seelische Versehrtheit.. Der Versehrte

Patient sucht sein Heil. Der Patient kommt mit der

Krankheit als enem Angebot zum Arzt, ihn in deiner

Verst'hrthei t zu verstehen, den Arzt an seiner Such?

nac.-h Heilung ?u beteiligen. Has Symptom als Angebot

will im Sinne der patientcr.zentrlerton Medizin

sowohl exploriert, d.h. nach den Hegeln der nedizi-

r.isch-somatischer. Anamnese angegangen als auch ver-

standen werden, d.h. auf seine Bedeutur.q als Ausdruck

der körperlich-seelischen Versehrtheit des Patienten

untersucht werden. Untorsuchunqsinstrument dieser

Dimension von Krankheit ist die Subjektivität des

Arstes. Voraussetzung für das patientenzentrierte

Arbeiten auf seiten des Arztes ist eine Einstellung,

die sich der subjektiven Bedeutung des Krankseins

beim Patienten aufschließt. Aufgeschlossenheit in

diesem Sinn will gelernt sein; sie ist nicht qua

guten Killen gegeben und auch keine Sache von Bega-

bunq.

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Unsere Tutorien sollen dem Erwerb dieser Ein-

s tei lung di enen. Für die ist eine bcstir.::it Ar-

beitsweise typisch, derzufolge diese Aufgeschlossen-

heit auch im Umgang der Gruppenmitglieder unter-

einander angestrebt wird. - Das anamnestische

Gespräch eines Studenten mit dem Patienten f indet

in der Gruppe statt . Die \orper11 ehe '.'rtcrsuc-hnng

ist ausgekl arme r t . T m An seh l uß an das Gcsprärh -

der Patient hat die Gruppe verlassen - wird vor

Interviewer und den teilnehmenden Zuhörern das

je individuell erlebte zusammengetragen. Hierbei

kommen die medizinisch-anamestischen Daten, dazu

gehören auch psychosoziale Gegebenheiten,ebenso in

Betracht wie die subjektiven Faktoren, d.h. der

Gefühlseindruck, den der Patient hinterlassen hat,

das Angebot des Patienten,wie es von den Gruppen-

mitgliedern verstanden wurde..Es geht bei der Ver-

stehensarbeit an dem Patienten nicht primär um1 richtige'oder 'falsche' Eindrücke vom Patienten,

also nicht darum, wer sich am besten einfühlen kann

und wer den Patienten richtig versteht, sondern

um das Zusammentragen von unterschiedlichen Ge-

fühlsantworten der verschiedenen Gruppenmitglioder.

Jedes Gruppenmitglied kann dabei seine eigene,

persönliche Urngehensweise mit dem Angebot des Pa-

tienten, seine Wahrnehmung des Patienten, mit

der der anderen Gruppenmitglieder vergleichen und

persönlich auswerten {Selbsterfahrung machen) .

Wenn Selbsterfahrung bei unserer Arbeit zum Tra-

gen Kommt, dann vermittels der Auseinanderset zung

mit dem Angebot des Patienten.

Der Tutor hat die Funktion aus einer frei schweben-

den Aufmerksamkeit heraus die Diskussion der Gruppe

nach dem Interview immer wieder auf den Patienten

zu beziehen und jedem einzelnen in der Gruppe

seine Antwort auf das Angebot des Patienten aus

der Grupper.diskussion heraus greifbar werden zu lassser.

Zentrale Probleme dieser Lernarbeit erwachsen

aus den Lernvoraussetzunqen und der Lernsituation

der -in den Tutorien tei l nehmenden Studenten;

daneben aber auch aus der Holle der Tutoren in

den K] eingrupper; i nri der Art, wie sie ihre Auf-

gabe ausrichte r.. T r, der Arbeit bringen sich da-

rüber hinaus eine Fülle von Rahi'tenbedir.qunger.

dieser LernSituation zur Geltung, angefangen von

organisatorischen Faktoren im Projekt bis zu

Auswirkungen des gesellschaftlichen Rahmens, der

unser Projekt umgibt.

Ich mochtezunächst einige Erfahrungen wiedergeben

zu den Lernvoraussetzungen und der Lernsituatior.

der an den Tutorien teilnahmenen Studenten anhand

zweier stilisierter Typen von Teilnehmern.

Eine Gruppe von Studenten, die wir mit unserem

Angebot anziehen, - es ist zugleich die Gruppe

von Teilnehmern, die dann kontinuierlich mit-

arbeitet und einen stabilisierenden Faktor für

die Gruppenarbeit darstellt - bringt Erfahrungen

TCit, z D . aus dem Krar.ker.pf legebr reich wahrend

der Wartezeit auf den Studienplatz bzw. Berufs-

erfahrung aus der Zeit vor dem Abitur über den

2. Bi ldüngsweg. Die relative Lebenserfahrung,

Konflikterfahrur.g und spezielle Berufsfelder-

fahrunq prägen die Lerr.voraussetzur.gen im Sinne

einer vorgHr.gigen Aufgeschlossenheit und eines

speziellen Tnteresses. Diese Teilnehmer kritisieren

vor der Hinergrund ihres VorVerständnisses unseren

Arbei tsänsätz als psychologis t i seh, wirk lichkeits-

fremd oder idealistisch und schlagen eine ArbeitsT

richturg vor, die eher zu den parallel laufen-

der, Kursen der psychosozialen Grundlagen der

Medizin passen würde: Ur.tersuchima der Verhältnisse

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im Gesur.dhei tssyster" und in der Gesel] srhnft .

Eine andere Gruppe von Teilnehmern ko^mt aerado

von der Schule an die t'riversita't. Sie '--.or-' t: r

i"i L idcü l l et i seh r-r. Vor n fei l ur.ger 71; Arztberci" .

Iraner rias Heifermotiv vor, haben weniger kon-

krete Vorstellungen odnr vielleicht sollte i <~h

sagen in anderer Weise unkonkrete Vorstcl lur.qen

was zu tun und zu lernen i st; der Arbei tsentwurf

der Gruppe, die an den gesellschaftlichen Ver-

hältnissen angreifen w i l l , ist ja nicht unbe-

dingt konkreter. Für die Gruppe Abiturienten ipt

die uriversitäre Situation stark iritierenö und

verursacht vorwiecend Insu rfizienzgefühle. Zwangs-

läufig sind die Anfänger durch das persönliche

Klima in unseren Gruppen angesprochen, mi ßver-

stehe n sie aber häufig als Selbsterfahrungs-

gruppen bzw.als Fortsetzung der Orientierungsein-

heit. Für die Studienanfänger mit Beruferfahrung

ist der Studentenstatus ein Verlust an Autonomie

und sie begrüßen in unseren Gruppen besonders

das Moment des autonomen kooperativen Arbeitens

in einer Gruppe mit Gleichaltrigen.

Beide Gruppen von Teilnehmern tun sich aufgrund

der unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und

unterschiedl ich erlebter Lernsituation schwer

mit unserem Arbeitsgeger.stand ' zwischenmenschliche

Beziehung'bzw. Arzt-Patient-Beziehung oder

Student -Patient-Beziehung. Die eine Gruppe ver-

sucht der konkreten Arbei t mit Gefühlen durch

Intelloktualinierung, Isolierung und Rationalisier-

ung zu entkommen, die andere"Gruppe verleugnet

seh l ichtweg die Anibi val enz von Gefühlsregungen .

So könnte man wiederum schematisierend die Ab-

wehrformationen charakterisieren.Insofern a M R

Teilnehmer ausdrücklich aufaefordert sind sieh

407- -

persönlich einzubringen, haben wir es dann tat-

sachlich mit einer Fülle recht unterschiedlicher

Umgehenswcisen n i t der-1 Patienten bzw . r i t der

Gruppensituat ion zu tun, d ie uns als Tutoren oft

arg durcheinarderbringen. Haben wir den reiferen

gegenüber Autoritäts- ur.rt Statusprobleme, sind wir

den eher hilfsbedürftigen, hilflosen Helfern

vorführt, die Tutorenrolle zu agieren als Hilfe

in besonderer Lebenslaoe. Gegen solches Agieren

unserer Übertragung soll uns eine Arbeitsregel,

das Abstinenzgebot - in Anlehnung an das Atastinenz-

gebot, das dem Psychoanalytiker gilt - schützen.

Wir sollen uns also in allen Beziehungsangelegen-

heiten, die nicht die Student-Patient-Beziehung

betreffen, zurückhalten. Das Abstinenzgebot be-

inhaltet auch, daß wir nicht in die Diskussion,

wie das Angebot des Patienten zu verstehen sei,

einschalten; wir sind als Tutoren in dienender

und schützender Funktion in der Grupper wir sind

konzentriert und aufmerksam in Richtung auf das

Gruppenthema, das Angebot des Patienten.

Die hier skizzierte Aufgabe wahrzunehmen ist eine

sehr schwierige Aufgabe. Wir Tutoren sind sehr auf

Supervisiosarbeit angewiesen, bei der wir jeweils

im "'achMnein die Schwierigkeiten unserer Tutoren-

gruppe im Umgang mit dem Patienten und unsere

eigenen Schwierigkeiten den Studenten dabei zu

helfen besser verstehen. Unsere ciaene Lernarbeit

am Gegenstand 'zwischenmenschliche Beziehung'

bzw. f .it d<jm Angebot des Patientenist selbst voll-

auf irr Gange. Wie sehr groß die Anforderungen an d

die Studenter in unseren Gruppen sind,sich auf

diesen Lerngeger.stand zu konzentrieren s pur er. wir

am eigenen Leib, wenn wir unsere Widerstände

bemerken qegen die Supervisionsarbeit.

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Es tröstet uns dabei vielleicht ein wenig, daß

Sigmund Freud die Arbeit am Psychischen mit den

Patienten als Arbeit am Widerstand gegen das

Gesundwerden erkannt hat. F.S kann uns dann auch

weiter nicht erschüttern, wenn der antipsycho-

logische Affekt aus dem Kollegenkreis im Modell

sich der Formel bedient 'Humanisierung statt

Psychologisierung1.

(Werner Hellenkamp)

/<' Jg&f- ^-J-•vW, - 0_

^

Adressen l iste Mai treffen Marburg__198_3

Martin Niethammer, Untergasse 19, 355o Marburg

Angelika Stuttmann, Zasiusstr. 87, 7890 Freiburg

Marianne Muser, Gaisbergstr, 2, 6900 Heidelberg

Hans-Peter Mitteregger, Talbrünnliweg 10,CH-3098 Koni tz

Marita Mollerus, Weidenhäuser Str. 50, 3550 Marburg

Thomas Reuter, Landgrafenweg 9, 3550 Marburg

Edmund Faust, Breslauer Str. 11, 6501 Nd-Olm

Volker Baral, Waldbranner Str. 1,7500 Karlsruhe

Peter Stern, Alfred-Delpstr. 30, 6074 Rödermark

Ina Lopau, Fehrentzstr. 12, 6900 Heidelberg

Jürgen Jakob, Fehrentzstr. 12, 6900 Heidelberg

Ulla WÖrle, Weißenbachstr. 10, 7980 Ravensburg

Andrea Reszt, Gart.enstr. 7, 7922 Herbrechtingen 2

Stefan SchiH, Im Heuenheimer Feld 681, 6900 Heidelberg

Esther Stern, Drusbergstr. 118, CH-8053 Zürich

Roland Rahm, Sonnenweg 27, 7900 Ulm-Mähringen

Joseph Schmitt, Hofstatt 18,3550 Marburg

Rainer Ranft, Mörchweg l, 3572 Ambneburg

Annegret Eckhardt, Liebi^str.SO 3550 Marburg

Axe! Glasmacher, Orterstr, 39, 5300 Bonn ?

Bernd Salzberger, Agrlppinaufer 2, 5000 Köln l

Annette Pieper, Klufterstr. 11, 5300 Bonn 2

Iridra Diehl, Am Knippchen 54, 5300 Bonn 3

Freya Wenzel, Liebigstr. 50, 3550 Marburg

Carola Kunze, Bismarckstr. 12, 3550 Marburg

Ernst Spättv-Schwalbe, Olgastr. 150, 7900 Ulm

Ulrich Wichrrann, Holzhäuserstr. l, 3507 Baunatal 7

Joachim Schmitt, üubertusstr. 19, 5100 Aachen

Claudia Weber-Schneider, Falkenberg 4, ?390 Mensburg

Ägidius Schneider, Falkenberg 4, 2390 Flensburg

Hans-Jürgen Bendrig, Zeppelinstr. 13, 3550 Marburg

Michael Hoffmann, Uhlandweg 7, 6418 Hünfeld

Annegreth Gehrmann, Tulengasse 11, 7750 Konstanz

Heike Bruchhaus, im süßen Kämpen 28, 5900 Siegen

Hans Steinert, Im sUßen Kämpen 28, 5900 Siegen

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Ruth Borget, Kur.nl dr,tr. 33, 3GOÜ KassM

Michael Ohn, Firn:ans t r. 2"'' a, A~So?0 Salzburg

Christian Markwor'., MC i. ;_•,:; t ;-. 13, 6000 Fra:ikfur'.

Wolfram Snhuffcl, KaiTwog 17 a, 3fibO Marburg

Anette Raab, Friedri ch-Kbert-Str. 111, 3bbO Marburg

Stefan Hange l, Turmstr. 77, 6411 Künzell

Doris Vater-Dargel , Turrntätr. 77, 6411 KUnzcll

Hiltrud Kichmann, Licgm t r. T. 3Ü>ÜO Marburg

'Ilrich Eglc, Am Südhang 1 1 , 6SOO Mainz 33

Klauü Wc.'H ing , Hektor-p] u"-Wep 4 , ob'.Kl Mal n/.

Christiane Eyr^ann, Im L,eimon ij, 6büO Mainz

Susanne Gase he, Rektor-Pluni-Weg 4, 6COO Mainz

Jörg Sattelmayer, Föhrenweg 8, 79b8 Lamphcim

Gabriele Geliert, Am Krappen bO, 3S50 Marburg

Volker Steinkopf, Remscheider Str. 11 a, 4000 Düsseldorf

Beatrix Zlerz, Am Thieleshof 33, 4006 Erkrath l

Monika Fehr, Frohngasse 20 a 5300 Bonn l

Volker Kollner, Köslinstr. 30, 5300 Bonn

Andrea Müller, Ermlandstr. 32, 5300 Bonn l

Silke Bachmann, Wenzelgasse 21, 5300 Bonn l

Johannes Heidmann, Endenicher Allee 37, 530U Bonn l

Roswitha Gramer, Henkelstr. 6, 3500 Kassel

Fritz. Stork, Henkelstr. 6, 3500 Kassel

Uta Bcdnarx, Frankenberge rstr. l, 35M Lahntal 3

JUrgenknorr, Kanalstr. 9, 2?1? Rrunsbüttel