jung & liberal
DESCRIPTION
Ausgabe GenerationengerechtigkeitTRANSCRIPT
i I I / 2 0 0 4
[M i t g l i e de rmaga z i n de r J ungen L i b e r a l e n ]
F 54017
Allein unter AltenZum Umgang mit dem Demographischen Wandel
terminal D I24
GegendarstellungMartin Woestmeyer ist, anders
als in der vergangenen Aus-gabe erwähnt, 33 Jahre alt.Auch hat er sich mittlerweilevom Studentenstatus getrenntund arbeitet nun als Verkaufs-
leiter einer Privattheater-gruppe.
Wir bitten um Entschuldigung.
AusblickDie Winterausgabe des
Jung & Liberal beschäf-
tigt sich mit demThema Ökologie.
Redaktionsschluss ist
am 19. November 2004
inhalt I2
impressum
„jung & liberal“ ist das Mitgliedermagazin des Bundesverbandes der Jungen Liberalen. Es erscheint viermal jähr-lich. Zu beziehen ist „jung & liberal“ per Abonnement, der Jahresbezugspreis beträgt 5 Euro. Für Mitglieder derJungen Liberalen ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. „jung & liberal“ wird gefördert aus Mitteln desBundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).
Herausgeber: Bundesverband, Junge Liberale e.V., PF 540243, 10042 Berlin, Telefon 030-28388791, Telefax030-28388799, E-Mail [email protected], www.julis.de
Chefredaktion (V.i.S.d.P): Carl Philipp Burkert, Telefon 0721-3545944, [email protected]
Redaktion: Andreas Achtzehn, Patrick Arora, Jonas Hahn, Sven Janka, Sebastian Krell, Matthias Kussin, Petra Pabst, Christopher Vorwerk
Bildredaktion: Bernd Goldschmidt, Jonas Hahn, Ann-Kristin Hannel, Sebastian Krell, Stephan Redlich
Mitarbeit: Marco Buschmann, Marcel Klinge, Felix Marquardt, Joachim Stamp, Johannes Vogel, Stefan Wester-schulze
Auflage: 11 000
Titelfoto: Carl Philipp Burkert unter Mitwirkung von Ann-Kristin Hannel und dem „Aktiven Alter“, Karlsruhe.
Gestaltung: Löning Werbeagentur, Susanne Schuchardt
Mit dem Namen des Autors versehene Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.Nachdruck mit Quellenangabe erwünscht, Belegexemplar erbeten. Für unverlangt eingesandte Fotos undManuskripte übernehmen wir keine Haftung.
thema
Den Demographischen Wandel entschlossen anpacken Seite 04
Pro und Contra: Abwanderung aus dem Osten stoppen Seite 06
Die offene Gesellschaft und ihre Parteien Seite 08
„Die FDP in die Zange nehmen“ – Liberale Senioren im Gespräch Seite 10
Mein Leben 2050 Seite 11
freies denken
„Keine Spasspartei wie die FDP“ – Martin Sonneborn im Gespräch Seite 12
Joachim Stamp: Argumente statt Platitüden II Seite 13
Hartz IV oder Bürgergeld – Sozialstaat quo vadis? Seite 14
Kräftige Brise aus Nordwest – Der Windpark Butendiek Seite 16
liberal
Urwahl in NRW Seite 18
Aktionsberichte aus dem Verband Seite 19
Aktionsprogramm des Bundesvorstands Seite 20
Marcel Klinge: Unter der Kuppel Seite 22
Terminal D Seite 24
liberal I23
Zum Pro&Contra „Recht auf Privatko-
pie?“ Von Sebastian Marsching und
Marco Buschmann:
Die Fakten sind klar und deutlich.
Alleine im Jahr 2002 verursachten
“Copyfriends“ durch illegale Vervielfälti-
gungen von Musik, Software und Film
gigantische Milliardenverluste bei der
Unterhaltungsindustrie. Softwarekonzer-
ne erwirken Tausende von richterlichen
Anordnungen gegen Nutzer von Online –
Tauschbörsen und verklagen sie zu
knapp dreifachen Milliarden Schadens-
ersatzsummen.
Trotz dieser Drohungen sind viele
Unternehmen konzeptionslos und zerrei-
ßen sich selbst. Selbst Giganten wie Sony
verdienen auf der einen Seite sehr gut
durch den Verkauf von Brennern und
Rohlingen, auf der anderen Seite ver-
zeichnen sie auch einen unprognostizier-
baren Einbruch in ihre Musiksparte. Der
Verkauf von Brennern, den neusten
Abspielgeräten sowie von jährlich 486
Millionen Rohlingen in Deutschland –
das sind dreimal so viel wie zu Hoch-
Zeiten des Kassettenrecorders an Leer-
kassetten verkauft worden ist - symboli-
siert den starken Einfluss der Sparte bei
den Elektronikherstellern.
Da auch der neuste Kopierschutz
schnell geknackt wird, erprobt das deut-
sche Fraunhofer Institut, das einst
Formate wie MP3 erfand, eine Art von
digitalem Wasserzeichen, das jeden
Täter sofort identifiziert, der einen Film
oder Song als Erster ins Internet stellt.
Inwieweit es möglich ist, diesen Trend
anhand der Technik zu stoppen, ist noch
fraglich.
Seit Jahren drängen Musikkonzerne
die Regierungen in Europa und den USA,
die Gesetzesgrundlage zu verschärfen.
Im Laufe der Zeit wird sich zeigen, in-
wieweit es möglich ist, solche konse-
quenten Gesetze durchzuführen.
Pascal Barkhausen
Leserbriefe
Zu „Mir gehört die Autobahn“ von Andreas Achtzehn:
Ich bezweifle den Sinn der Privatisierung von Straßen zur
Sanierung des maroden Staatshaushaltes. Die Straße ist ein
Umweltgut, das natürliche Potenziale besitzt, also Dienst-
leistungskapazitäten, die mehrfach in Anspruch genommen
werden können. Umweltgüter basieren zudem auf der
Annahme der absoluten Knappheit, das heißt sie sind nicht
reproduzierbar. Die Substituierbarkeit von Straßen ist eben-
falls starkt eingeschränkt. Die Nutzung von knappen Gütern
führt früher oder später zu einer Überschreitung der Nutz-
ungsgrenze. Dies führt zu Erschöpfungsproblemen wie Staus
und zerstörten Fahrbahnen.
An dieser Stelle kommt der Ruf nach Privatisierung der
Straße, was im Grunde der Regulierung der Nutzung über
den Preis entsprechen würde. Damit werden Personen von
der Nutzung der Straße ausgeschlossen, die es sich finan-
ziell nicht leisten können. Dieser Marktmechanismus führt
zu einer ineffizienten Allokation der Straße, da keine
Verteilung über die Nutzenstiftung stattfindet, sondern
allein über den Preis.
Öffentliche Güter sind dadurch gekennzeichnet, dass kein
Preis, aber eine relative Knappheit, in Bezug auf die
Nutzung, vorhanden sind. Öffentliche Straßen sind hier ein
Beispiel, für deren Nutzung kein Preis bezahlt werden muss.
Daher kommt es zu einer starken Nutzung dieses Gutes – es
bilden sich Staus auf den Straßen, wodurch deren Nutzung
eingeschränkt ist, wovon niemand etwas hat. Unter diesen
Gesichtspunkten wäre die Privatisierung von Straßen even-
tuell sinnvoll, doch dabei muss immer das gesamte Umfeld
betrachtet werden.
Im Fall der Privatisierung von Straßen würden Mautstellen
errichtet werden, an der der Autofahrer einen Preis für die
Nutzung der Straße zu bezahlen hat. Dieses würde im
Gegenzug zur Präferenzverlagerung von privaten auf öffent-
liche Straßen führen, auf denen es zur Übernutzung kommt.
Am Ende hat niemand etwas von der Privatisierung:
Weder die Nutzer, noch die Gesellschaft, die die private
Straße betreibt. Sie bleibt auf ihren Kosten sitzen, die bei-
spielsweise durch den Erwerb der Straße und die Errichtung
der Mautstellen entstanden sind. Im Gegenzug wird das
Gemeinlastprinzip für die Reparatur der öffentlichen Straße
aufkommen. Dieses geht auf die Kosten der Bevölkerung, da
das Gemeinlastprinzip über Steuergelder und Abgaben
finanziert wird. Die Privatierung von Straßen würde also nur
Sinn ergeben, wenn alle Straßen privatisiert würden, um
möglichen Präferenzverlagerung zu unterbinden.
Michael Fichtner
editorial I3
All
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ter
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Mit der Deutschen Bahn quer durch das Land. Die
Menschen sehen alle so normal aus: Einige Junge,
viele im mittleren Alter und wenige Alte. Auch
wenn ich mich anstrenge, ich kann den Demographischen
Wandel nirgends entdecken. Weder im Großraum, noch in den
Abteilen; nicht einmal im Speisewagen! Werden wir wirklich
bald Allein unter Alten sein?
Auch wenn ich sie im ICE 652 nicht entdecken kann, in der
Statistik sind sie nicht zu übersehen. Die OECD sagt das Kippen
der Alterspyramide voraus und auch wenn man den Zahlen-
domteuren und ihren Prognosen misstraut: Auf die Stabilität
der Pyramide mag keiner mehr wetten. Die gestiegene Lebens-
erwartung ist ein Auslöser des Wandels, die geringe Geburten-
rate ein anderer. Die Lebensentwürfe der jungen Menschen
haben sich in den letzten Jahren geändert. Kommt der Kinder-
wunsch darin nicht mehr so stark vor wie bisher?
Durch gestiegene Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt und
einem stärkeren Drang nach Unabhängigkeit ist der Wunsch
nach mehr Bildung bei mehr Menschen stärker geworden. Das
auf diesem Weg gelernte Wissen später auch praktisch anwen-
den zu wollen, ist eine verständlich Konsequenz. Dieser Wun-
sch steht jedoch der Gründung einer Familie häufig diametral
entgegen.
So man dies ändern möchte, muss man nicht nur eine Fami-
lieninfrastruktur schaffen. Man muss auch für gesellschaftliche
Akzeptanz der Nutzung dieser Infrastruktur werben. Mag ein
Angebot an Kinderkrippen noch so gut sein: Mütter und Väter
werden ihre Kinder erst dort abgeben, wenn sie dafür im Be-
kannten- und Verwandtenkreis nicht nur unverständliche
Blicke ernten. Erst wenn dieser Schritt von der Gesellschaft ak-
zeptiert wird, werden sich wieder mehr Paare für Kinder ent-
scheiden. Erst dann werden wir eine Trendwende bei den Ge-
burtenraten sehen.
Es ist also nicht der Staat alleine, der durch seine Regulie-
rung und Förderung auf den Demographischen Wandel reagie-
ren muss: Es ist auch die Gesellschaft der Bürger.
Auf den kommenden Seiten blicken wir dennoch primär auf
den Staat. Nach einer thematischen Einführung von Johannes
Vogel streiten sich Sven Janka und Patrick Arora über Möglich-
keiten, die Abwanderung aus den östlichen Bundesländern zu
stoppen. Denn auch hier wirkt der Demographische Wandel:
Wo durch zu wenig Nachkommen die Hoffnung auf Zukunft
ausbleibt, werden auch die verbleibenden jungen Menschen
das Weite suchen. Matthias Kussin betrachtet, wie die liberalen
Parteien Europas auf Zuwanderung reagieren und Jonas Hahn
gewährt uns abschließend schon jetzt einen Einblick in sein
Leben im Jahr 2050. Viel Vergnügen bei der Lektüre.
Carl Philipp Burkert
Photo: P
eter Empl fotographie
Seit geraumer Zeit ist der „demo-
graphische Wandel“ aus der öf-
fentlichen Debatte in Deutschland
nicht mehr weg zu denken, und auch
die JuLis widmen ihm den Leitantrag
auf dem nächsten Bundeskongress (zu
finden unter www.julis.de). Umso
erstaunlicher, dass der Kern des Themas
oft scheinbar mehr „umkreist“, denn
direkt angesprochen wird. Viele schei-
nen sich hierzulande noch heute nicht
sicher zu sein, ob die Zusammensetzung
der Bevölkerung überhaupt ein Thema
ist, das der politischen Debatte und
politischen Zielvorstellungen unterlie-
gen sollte.
Insbesondere Liberale tun sich schwer,
da auch schnell die Sorge aufkommt,
man könnte staatlicherseits auf indivi-
duelle Lebensentscheidungen der Bürger
Einfluss nehmen wollen. Diese berech-
tigte Sorge stellt jedoch keinen Wider-
spruch zur politischen Betrachtung der
Demographie dar. Bereits auf der theo-
retischen Ebene bekennen sich natürlich
auch Liberale zum Konzept von Staat
und Nation. Auch in der konkreten Po-
litik definieren wir gewisse Dienste an
der Gemeinschaft - wie z.B. das Ehren-
amt oder der Militärdienst in Zeiten
außergewöhnlicher Bedrohungen - als
zu fördernden Selbstzweck. Die politi-
sche Betrachtung der Nation als Ganzes
ist uns also nicht fremd. Dies ist somit
auch bezüglich der demographischen
Zusammensetzung heute nur eine
Selbstverständlichkeit. Entscheidend ist
vielmehr, auf welchem Weg politische
Zielvorstellungen erreicht werden sol-
len.
Deutschland steht nicht nur wirt-
schaftlich im globalen Wettbewerb. Vie-
le haben noch nicht wirklich realisiert,
dass wir Wohlstand und den Status ei-
ner vorbildlichen Gesellschaft nicht ab-
onniert haben. Realistisch betrachtet
lässt sich eine Veränderung der Gesell-
schaft, wie z.B. das Altern der Bevölke-
rung, jedoch nicht aufhalten, noch
wäre dies wünschenswert. Diese Konstel-
lation wird durch die demographische
Veränderung verschärft. Es ist für die
gesamtwirtschaftliche Leistungsfähig-
keit und das Potenztial für Forschung
und Innovation in Deutschland nicht
gleichgültig, ob die Gesellschaft massiv
schrumpfen wird. Völlig lässt sich eine
Veränderung der Gesellschaft – so wird
diese in jedem Fall älter werden – rea-
listischerweise jedoch weder aufhalten,
noch wäre dies wünschenswert. Daher
ist auf die Herausforderungen nur mit
einer Doppelstrategie zu antworten, die
– entgegen einem oftmals erweckten
Eindruck– keinerlei Gegensatz oder Al-
ternative darstellt: Die Gesellschaft wird
sich an eine veränderte Zusammensetz-
ung anpassen – und gleichzeitig den
Prozess der Schrumpfung und Alterung
abfedern müssen.
Was ist also konkret zu tun?Die Familienpolitik in Deutschland
muss endlich allen Bürgern – und damit
im Vergleich zum Status quo vor allem
allen Frauen – die Erfüllung des Kinder-
wunsches bei gleichzeitiger Erwerbstä-
tigkeit ermöglichen. Dies ist die Erfül-
lung des Ideals der wirklichen Freiheit
zur individuellen Selbstverwirklichung
und wird zugleich zu einer Erhöhung
der Geburtenraten führen. Diese Klima-
veränderung hat einen entscheidenden
gesellschaftlichen Aspekt: Solange El-
tern mit kleinen Kindern im Alltag das
Gefühl haben, nicht überall erwünscht
zu sein, und z.B. in manchen Unterneh-
men immer noch nicht auf echtes Ver-
ständnis für die besonderen Probleme
thema I5thema I4
und Herausforderungen treffen, ist ein wirklich kinderfreundliches Klima meilen-
weit entfernt. Diese notwendige Veränderung betrifft jeden Einzelnen. Darüber hin-
aus gibt es jedoch auch eine massive Bringschuld des Staates: Dieser muss den
Kinderwunsch finanziell ermöglichen und BetreungsangeboteBetreuungsangebote
schaffen. Der internationale Vergleich zeigt eindeutig, wo hier in Deutschland das
Hauptproblem liegt: Betreuung und noch einmal Betreuung, qualitativ hochwertig,
ab Geburt und nicht nur vier Stunden am Vormittag.
Darüber hinaus kann auch die Zuwanderung – gesteuert nach wirtschaftlichen
Bedürfnissen – zur Abfederung von Bevölkerungsverlusten beitragen. Dies bedeutet,
dass wir neben einem möglichen Bedarf im Bereich der personenbezogenen Dienst-
leistungen vor allem hHochqualifizierte Zuwanderer zur Erhöhung der Erwerbs-
quote und des inländischen Know-How benötigen. Diese kommen jedoch nicht von
allein, sondern müssen ernsthaft gelockt und angeworben werden. Dies und erst
recht die enorme Herausforderung der Integration wird nicht zu erreichen sein,
wenn sich die Politik nicht endlich offensiv und entschieden zu der logischen Kon-
sequenz bekennt: Die Einwanderung nach Deutschland wird und muss sich verän-
dern - und zunehmen.
Da dennoch niemand die genaue Entwicklung der Gesellschaft vorhersehen kann,
müssen wir die Sozialsysteme „demographiefest“ machen, also vomn Verhältnis der
Erwerbstätigen zur Gesamtbevölkerung abkoppeln. Dies betrifft in erster Linie die
Rentenversicherung und etwas abgeschwächt auch die Krankenversicherung. An
einer Grundsatzentscheidung für eine völlige Privatisierung beider Systeme mit
gewissen sozialen Flankierungen führt hier kein Weg vorbei. So kann am konse-
quentesten die beschriebene Entkopplung erreicht werden. Der Umstieg wird zwar
in jedem Fall enorme Kosten verursachen – diese werden aber mit jedem Tag, der
ohne eine solche Radikalreform verstreicht, noch höher.
Da der demographische Wandel wie beschrieben den globalen Standortwettbe-
werb verschärft, werden politische Reformen auch in anderen altbekannten Feldern
umso dringlicher. Weniger Erwerbstätige zwingen uns noch stärker als bisher, Bil-
dung, Ausbildung und lebenslanges Lernen endlich mit oberster Priorität zu för-
dern. Der jüngst vorgestellte OECD-Bericht hat hier wieder einmal deutliche ge-
macht, dass wir in Deutschland immer noch nicht aufgewacht sind. Auch der in-
nerdeutsche Wanderungsdruck wird in einer kleineren und älteren Gesellschaft
noch verstärkt. Der Bundespräsident hat zu Recht die Frage aufgeworfen, ob wir
uns vom Ziel der Gleichheit der Lebensverhältnisse nicht verabschieden müssen.
Dies ist schlicht und ergreifend zu bejahend. Wir müssen allen Regionen endlich
faire Bedingungen für echten, autonomen Wettbewerb untereinander an die Hand
geben.
Zu guter Letzt darf aber in der gesam-
ten Debatte eines nicht vergessen wer-
den: Die Gesellschaft wird sich verän-
dern und älter werden. Dies ist aber
keine Horrorvision. In erster Linie heißt
es auch, dass wir alle mit geringerer
Wahrscheinlichkeit früh krank werden
und sterben. Wir werden uns in vielen
Bereichen auf neue Phänomene wie
„Seniorenstädte“ einstellen und z.B. auf
dem Arbeitsmarkt an die neue Situation
anpassen müssen. All das ist neu, muss
aber nicht negativ sein. Das wäre es
nur, wenn die beschriebenen dringend
notwendigen Anpassungen und Refor-
men weiter verschleppt würden. Denn
dies wäre verantwortungslos gegenüber
einer Gruppe, die auf die gesamte bis-
herige Entwicklung keinerlei Einfluss
hatte – die junge Generation.
Den demographischen Wandel entschlossen anpacken Johannes Vogel
Ann-Kristin Hannel für Jung & Liberal
Johannes Vogel ist Mitglied des Bundes-
vorstands, ehemaliger Chefredakteur
des Jung & Liberal. Er ist Mitautor des
Leitantrags „Deutschland fit machen
für den demographischen Wandel.“
„Wir brauchen hier Arbeitsplätze!“, „Die jungen
Leute hauen alle ab – und hier bleiben nur
noch die Alten und Dummen!“, „Wer soll
denn hier die Wirtschaft aufbauen, wenn keiner mehr da
ist?“ – so schallt es in die Mikrofone, wenn Ostdeutsche nach
den Perspektiven des Aufbaus Ost befragt werden.
Richtig ist, dass die Arbeitslosigkeit in den neuen Bundes-
ländern durchschnittlich doppelt so hoch ist wie in den alten
Bundesländern. Richtig ist, dass viele junge und qualifizierte
Menschen die neuen Bundesländer verlassen, weil sie keine
Perspektive dort sehen. Und richtig ist auch, dass es mittler-
weile ganze Stadtteile in Städten in den neuen Bundeslän-
dern gibt, die entvölkert sind.
Was aber ist die Konsequenz aus dieser Entwicklung? Sollte
man jetzt mit staatlichen Mitteln versuchen, alle Menschen
in den neuen Ländern zum Bleiben zu bewegen? „Dableib-
prämien“ statt der bisher gezahlten Wegzugsprämien?
Wanderungen hat es in der Geschichte immer gegeben und
gibt es auch gegenwärtig nicht nur in Ost-West-Richtung. Im
19. Jahrhundert strömten die Leute ins Ruhrgebiet, weil es
dort im Bergbau Arbeit gab. Aus den strukturschwächeren
Gegenden im Westen (z.B. Nordhessen) ziehen die Leute
nach München oder ins Rhein-Main-Gebiet, weil es dort
Arbeit und Zukunft gibt.
Es ist unverantwortlich, Menschen in Neubrandenburg
oder in der Lausitz zu suggerieren, dass sich die Wirtschaft
in ihrer Region in kurzer Zeit so entwickeln wird, dass es sich
zu bleiben lohnt, anstatt sie zu motivieren, dorthin zu
gehen, wo es für sie eine Perspektive gibt.
Wir sollten Schluss machen mit dem Irrglauben, dass es
möglich ist, an allen Orten Deutschlands die gleichen Le-
bensbedingungen herzustellen. Bestärken wir die Menschen
doch in ihrem Wunsch, für sich und ihre Familie eine Zu-
kunft aufzubauen, sei es in München, Stuttgart oder Frank-
furt. Und machen wir Schluss mit der Lebenslüge, man müs-
ste nur noch mehr – in der Staatskasse nicht vorhandenes –
Geld in die neuen Bundesländer pumpen, dann würden
schon alle bleiben.
Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung sind in den
neuen Bundesländern im Moment nicht genügend Arbeits-
plätze vorhanden. Das kann in den kommenden Jahren so
bleiben oder es kann sich ändern. Keiner weiß dies. Niemand
sollte aber jetzt den Menschen in den neuen Bundesländern
einreden, dass sich die Lage auf jeden Fall bald bessern wird
und versuchen, sie bis dahin mit Subventionen und
Sozialleistungen dort zu halten.
Und wer weiß: Vielleicht sind ja die Chancen, die heute in
München, Stuttgart oder Frankfurt zu finden sind, in fünf-
zehn Jahren in Leipzig, Dresden oder Jena? Dann werden die
Menschen aus dem Westen eben dorthin ziehen.
Die fünf neuen Bundesländer ihrem Schicksal zu über-
lassen, wäre so, als ob ein Arzt die Behandlung des
Patienten abbricht, nur weil die Operation mühselig
und langwierig ist, und ihn somit seinem Schicksal über-
lässt.
40 Jahre Sozialismus lassen sich nicht über Nacht unge-
schehen machen, und auch nicht in 15 Jahren. Jedermann
weiß, dass es leichter ist, Dinge zu zerstören, als sie wieder
aufzubauen.
Wenn gegen die Abwanderung nichts unternommen wird,
werden nicht nur die Folgen für diejenigen, die nicht umzie-
hen wollen oder können, verheerend sein. Es handelt sich
dabei um einen Prozess, der, einmal zur Vollendung ge-
bracht, nicht wieder umgekehrt werden kann. Die soziale
und wirtschaftliche Infrastruktur in vielen Gegenden wird
vollends zum Erliegen kommen. Grundstücke verlieren mas-
siv an Wert, das Interesse an verkehrspolitischen Maßnah-
men in diesen verlassenen Gegenden wird rapide sinken.
Ohne diese Infrastrukturen werden sich auch in Zukunft
keine Unternehmen dort ansiedeln, eine „Rückwanderungs-
welle“ wird es niemals geben. Es wird sowohl ein regionaler
Markt fehlen, als auch der Anreiz für qualifizierte Arbeits-
kräfte, in Gegenden umzuziehen, die außer Geisterdörfern
und verfallener Straßen nicht viel zu bieten haben.
Dresden, Leipzig und Jena beweisen, dass es trotz schwieri-
ger Rahmenbedingungen möglich ist, passable Beschäfti-
gungsquoten und Zuwächse in der Wirtschaftskraft zu errei-
chen.
Blinde Förderung nach dem Gießkannenprinzip konnte
und kann auch zukünftig nicht zum Erfolg führen. Es gilt,
intelligente und flexible Konzepte zu entwerfen, die den
jeweiligen Anforderungen der problematischen Regionen
gerecht werden. Es gilt, Stärken herauszustellen und gezielt
zu fördern. Und es gilt, den Menschen Hoffnung zu geben,
ohne ihnen Illusionen zu machen. Dazu gehört auch, die
Realität eines möglicherweise auf geraume Zeit geringeren
Lebensstandards durch niedrigere Löhne zu akzeptieren.
Politik, Wirtschaft und die Bevölkerung haben eine ge-
meinsame Verantwortung gegenüber den Bürgern in Ost-
deutschland, ob sie dies wollen oder nicht. Dieser Verantwor-
tung gilt es sich zu stellen.
Resignation würde bedeuten, sich der Verantwortung aus
fiskalpolitischen Gründen zu entziehen und den Osten
Deutschlands ein für alle mal abzuschreiben. Die
Verfehlungen und Misswirtschaft der vergangenen Jahre
würde nicht nur akzeptiert, sondern auch toleriert, anstatt
aus den gemachten Fehlern zu lernen und mit Geduld und
Visionen den Aufbau voranzutreiben.
Contra: Jeder Versuch ist zwecklos!Patrick Arora
Pro: Abwanderung aus dem Osten stoppen!Sven Janka�
L/Halle Wolfen-Nord Photos: Schrumpfende Städte, Büro Philipp Oswalt, Berlin L/Halle Wolfen-Nord Abriß L/Halle Merseburg Zentrum
thema I6 thema I7
Der Demographische Wandel wirkt sich auch auf dieWanderungsbewegungen innerhalb unseres Landes aus.Wo es nur sehr wenige Jugendliche gibt, werden die ver-bleibenden abwandern, so sie keine Perspektive mehrsehen. Dies gilt insbesondere für die östlichenBundesländer. Sollte die Politik eingreifen?
�
thema I9thema I8
lische Verpflichtung Europas zur Auf-
nahme politisch Verfolgter und die
Bedeutung des „Rechts auf Asyl“.
Ihre Positionen für eine engagierte
Flüchtlings- und Asylpolitik begründen
die Liberalen vor allem mit normativen
Gründen – anders als ihre Vorschläge
in der Einwanderungspolitik. Die Förde-
rung von und Forderung nach Immigra-
tion wird hier vor allem mit dem Lan-
desinteresse begründet, wobei jedoch
nicht allein mit ökonomischen Kosten-
/Nutzenkalkülen argumentiert wird:
Ebenso profitiere Großbritannien von
den kulturellen Einflüssen der einge-
wanderten Minderheiten; die Partei be-
kennt sich nicht zuletzt deshalb zu einer
multikulturellen und multiethnischen
offenen Gesellschaft. Im Zuge einer
starken Akzentuierung dieses Themen-
bereichs wird vor allem die Regierungs-
politik kritisiert. So moniert Parteichef
Charles Kennedy nicht allein Entschei-
dungen auf tagespolitischer Ebene wie
beispielsweise die Kürzungen der Leis-
tungen für Asylsuchende, die Premier-
minister Tony Blair in der jüngsten Ver-
gangenheit durchgesetzt hat. Vielmehr
werfen er und seine Parteifreunde der
Regierung eine negativ ausgerichtete
Grundhaltung gegenüber Minderheiten
vor, die sich in innen- und rechtspoliti-
schen Fragen bis hin zum Irakkrieg
wiederfinden lasse. Die liberal demo-
crats betrachten sich auch aufgrund
dieser Entwicklungen als die Partei der
Einwanderer und ethnischen Minder-
heiten in England. Gerade diese Grup-
pen seien von der Politik von New La-
bour schwer enttäuscht – die Liberalen
böten diesen Menschen eine geistige
politische Heimat.
Liberalen fordert auch die D66 eine
europäische Asylpolitik. Politisch und
religiös Verfolgten soll nicht allein der
Aufenthalt in der EU gewährt werden.
Gleichzeitig plädiert die D66 für eine
Arbeitserlaubnis für Asylsuchende und
warnt vor eine Isolation dieser
Menschen in der Gesellschaft.
Das Drei-Säulen-Modell – das Beispiel Deutschland
Einen Streit zwischen Parteien um die
liberale Position in der Flüchtlings- und
Einwanderungspolitik wird es in
Deutschland auf absehbare Zeit vermut-
lich nicht geben – schließlich vertritt
mit der FDP in Deutschland derzeit al-
lein eine (ernstzunehmende) Kraft den
parteipolitisch organisierten Liberalis-
mus. „Zuwanderung steuern und be-
grenzen, Integration fördern“ – mit die-
sem Titel haben die deutschen Liberalen
ihr Kapitel zur Zuwanderung im soge-
nannten Bürgerprogramm, dem Pro-
gramm zur Bundestagswahl 2002, über-
schrieben, das auf drei Säulen fußt:
Diese sollen „eine stärkere Ausrichtung
der Zuwanderung am eigenen Interesse
unseres Landes, Wahrung der humani-
tären Verpflichtungen Deutschlands
und Verbesserung der Integrationsbe-
mühungen“ ermöglichen. Dabei setzt
die FDP an einer Erkenntnis an, über
Würde über eine konkrete Richtlinie zur Einwanderungs- und der Asylrechts-
politik in Europa im europäischen Parlament abgestimmt werden – die
Fraktion der Liberalen, die ALDE besäße vermutlich noch einen hohen
Abstimmungsbedarf. Bei Betrachtung der verschiedenen Parteiprogramme sowie der
Schwerpunktsetzung der liberalen Parteien zu diesem Politikbereich wird deutlich:
Die liberale Einwanderungs- und Asylrechtspolitik gibt es nicht. Zu unterschiedlich
erscheinen die Parteienstrukturen sowie länderspezifische Ausprägungen in diesem
Bereich.
Die Partei der ethnischen Minderheiten – das Beispiel GroßbritannienGinge es nach den britischen Liberalen, den liberal democrats, so besäßen wir
wohl dennoch bereits eine gemeinsame europäische Einwanderungs-, aber auch
Asyl- und Flüchtlingspolitik: Für die liberal democrats, drittstärkste Partei in Eng-
land und stärkste Gruppe der Liberalen im europäischen Parlament, ist zunächst
eine Trennung beider Bereiche ein unverzichtbarer Ausgangspunkt: Die Aufnahme
von Nicht-EU-Ausländern aus humanitären Gründen sei dabei eine Verpflichtung,
der sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gemeinsam zu stellen hätten.
Unter dem Begriff „Havens of Hope“ betonen die liberal democrats die starke mora-
Für eine strikte Immigranten-politik – das Beispiel Niederlande
So einig sich die britischen Liberalen
als Pro-Einwandungs und Pro-Asyl-
rechtspartei im englischen Parteien-
spektrum positioniert haben, so gespal-
ten erscheinen die niederländischen Li-
beralen in dieser Frage. Der politisch
organisierte Liberalismus in den Nieder-
landen wird von zwei Parteien, der eher
rechtsliberalen VVD und der tendenziell
linksliberalen, etwas kleineren D66,
vertreten, die beide gemeinsam mit den
Christdemokraten (CDA) die Regierung
bilden. Gerade in den vergangenen Jah-
ren gewann dabei in den Niederlanden
generell die Frage an Brisanz, ob das
lange verfolgte Ideal einer multikultu-
rellen Gesellschaft gescheitert sei; der
Rechtspopulist Pim Fortuyn fungierte
dabei als Sprachrohr für Bürger, die
dem über Jahrzehnte gewachsenen Kon-
sens der niederländischen Gesellschaft
im Umgang mit Einwanderern nicht
mehr folgen wollten.
Auch die VVD argumentiert tenden-
ziell in eine vergleichbare Richtung: „30
Jahre Einwanderung haben der Wirt-
schaft nichts eingebracht“, erklärte der
VVD-Vorsitzende Stef Block kürzlich den
stark restriktiven Kurs seiner Partei in
den Fragen der Einwanderungs- und In-
tegrationspolitik. Sprachkurse sollten
von Einwanderern künftig selbst finan-
ziert werden, da diese Kosten nicht
mehr vom Staat zu tragen seien. Zu-
gleich wirbt die Partei in Fragen der
Asyl- und Flüchtlingspolitik für eine
„strikte Immigrantenpolitik“. Asylver-
fahren sollen schnell abgewickelt und
Personen mit zurückgewiesenen Anträ-
gen umgehend abgeschoben werden.
Personen ohne Ausweise müssen sich in
abgeschlossenen Bereichen aufhalten,
bis der Vorgang geklärt ist. Bei Zweifeln
an einer vollständigen Kooperation mit
den Behörden ist schließlich die unver-
zügliche Ausweisung einzuleiten.
Die linksliberale D66 setzt, obwohl in
einer Regierungskoalition mit der
rechtsliberalen VVD, in ihren Program-
men beinahe gegensätzliche Schwer-
punkte. Ähnlich wie die englischen
Die offene Gesellschaft und ihre ParteienEine liberale Einwanderungspolitik gibt es in Europa nicht Matthias Kussin
Graphik: Bernd Goldschmidt für Jung & Liberal
Wie Zuwanderung die demographische Lage auch verschärfen kann
Ein stetiger positiver Zuwanderungssaldo (= Zahl der Zuwanderer minus Zahl der Abwanderer)kann eine Bevölkerungszahl auf Dauer erhöhen und das Durchschnittsalter senken. Allerdingskann ein solcher positiver Zuwanderungssaldo auch komplett das Gegenteil bewirken. Glaubtihr nicht? – Dazu ein kleines Gedankenspiel: Ein Land hat stabil 1000 Einwohner (Geburtenund Sterbefälle gleichen sich aus). In jedem Jahr sollen 200 Personen im Saldo hinzuwandern,d.h. 100 20-Jährige verlassen das Land und 300 90-Jährige kommen hinzu. Da die 90-Jährigen kaum noch über eine hohe Restlebenserwartung verfügen, also ohnehin in naherZukunft versterben, lässt sich stark vereinfacht behaupten, die geschilderte Situationbeschreibt im Grunde einen stetigen negativen Wanderungssaldo von 100 (nämlich der Zahlder jährlich abwandernden 20-Jährigen). Somit sinkt Jahr für Jahr die Bevölkerungszahl,wobei das Durchschnittsalter steigt. Auch wenn dieses Beispiel nur ein stark vereinfachtesModell ist, gilt dieses Prinzip jedoch gleichermaßen bei den realen Bevölkerungsbewegungen.Deshalb sollte es das politische Ziel sein, möglichst junge Menschen zuwandern zu lassen,zumal deren Familienplanung ja auch noch nicht vollendet ist.
Sebastian Petermann, 24, Diplom-Demograph, Kreisvorsitzender der Julis Rostock
die in Deutschland noch nicht über die
Parteigrenzen hinweg Konsens besteht:
Deutschland ist ein Einwanderungsland,
weshalb der faktisch stattfindende Zu-
zug von Menschen aus anderen Län-
dern gesteuert – und die Integration in
der Gesellschaft aktiv – zum Beispiel
durch effektiveres Erlernen der deut-
schen Sprache – befördert werden muss.
Das Interesse Deutschlands an Einwan-
derung wird dabei – ganz anders als
beispielsweise bei den englischen Libe-
ralen – vor allem als ein ökonomisches
und demographisches definiert. Statt
der Förderung einer multikulturellen
Gesellschaft soll damit vor allem der
Fachkräftemangel kompensiert werden.
Dieser skizzenhafte Blick auf drei
Beispiele aus der liberalen Parteien-
landschaft in Europa macht deutlich: In
der Einwanderungsfrage offenbaren sich
bei den europäischen liberalen Parteien
nicht allein differierende Positionen,
sondern vor allem auch unterschiedli-
che Mentalitäten, die sich auch mit
Blick auf weitere Länder erkennen las-
sen dürften. Von der Partei der ethni-
schen Minderheiten bis zu einer strikten
Einwanderungspolitik – für eine ge-
meinsame Position in der ALDE gäbe es
im Fall der Fälle vermutlich noch einen
hohen Abstimmungsbedarf.
thema 11thema I10
2. Dezember 2050Den ganzen Nachmittag online verbracht,
Weihnachtsgeschenke gesucht. Nichts gefun-
den außer selbstheizenden Socken. Debakel.
Gegen Nachmittag Olympia angeguckt.
Wieder nur 5 Goldmedaillen für Europa.
Unsere Olympioniken sind alle zu alt. Der-
zeit räumen immer afrikanische oder asiati-
sche Staaten im Medaillenspiegel ab. Dazu
sind die Zuschauerquoten mies. Und mal
ehrlich: 50-Jährige Synchronspringer, das
mag auch niemand angucken. Als meine
WG-Mitbewohner zurückkamen, war Woh-
nung schmücken dran. Fand den als
Deckenschmuck ausgewählten Dioden-Stern-
enhimmel übertrieben, aber sie meinten, er
sei so billig gewesen. Spätnachrichten brin-
gen Sondersendung zum 69. Geburtstag von
Britney Spears.
7. Dezember 2050Morgens Gymnastik. Meine WG-Mitbe-
wohner (70 und 73) und ich haben uns in so
einem Fitnessprogramm angemeldet. Verab-
reden uns mit Freunden für nächste Woche
im Freizeitpark, die bieten wieder den „Plus
70 Day“. An diesem Tag kommen nur Men-
schen über 70 in den Park. Prima Angebot,
Busfahrt mit inbegriffen. Mittagessen beim
Afrikaner. Afrika ist inzwischen überall. Ob
Kunst, Kultur oder Wirtschaft. Afrikanisch ist
der neue Trend nach dem chinesischen im
letzten Jahrzehnt. Ich mag das, weil sie ver-
nünftige Küche servieren. Politisches Streit-
gespräch zur kommenden Wahl gesehen.
Die Jusos fordern Steuerfreiheit von Familien
mit Kindern und Besteuerung der Lebensar-
beitszeit. Die Seniorenpartei ist strikt dage-
gen. Der Kanzler reagiert unwirsch auf die
Forderungen der Dreikäsehoch.
12. Dezember 2050Arbeite unentgeltlich bei einer Wirt-
schaftsberatung. Immer nur Freizeit ist lang-
weilig und ich fühle mich nützlich. Bräuchte
das Geld auch nicht. In den 30ern mit mei-
nen Aktien von Achterbahnherstellern
Reibach gemacht. In unserer Wirtschaftsbe-
ratung sind fast nur über 60-Jährige ange-
stellt. Wir helfen mit unserer Erfahrung aus.
Agenturen vermitteln sie dahin, wo sie be-
nötigt wird. Meistens an junge Leute, die
noch nicht wissen, wie der Hase läuft.
Kaffeepause. Gesprächsthemen Nummer
eins: Gesundheit und Geld. Die neuesten
Gen-Kuren, die beste Geldanlage fürs Alter.
Spreche mit der neuen 30-jährigen Mitarbei-
terin aus Indien. Sie hat zwei echte, eigene
Kinder! Zwei! Sie lässt sie in unserer Kinder-
tagesstätte betreuen. Von meinem Projekt-
koordinator erfahre ich, dass Kollegin Kropp,
selbst knapp über 90, einen neuen Lebensge-
fährten hat, der 50 ist. Das sei ja wohl ein
wenig geschmacklos, meint er, bei dem Al-
tersunterschied, ein junger Hüpfer sei das!
Der Kaffee ist schon alle. Zurück ins Büro.
Auf dem Nachhauseweg Schulklasse gese-
hen, die erste seit Monaten.
14. Dezember 2050Soll mich für die jährliche Weiterbildung
anmelden. Wahl zwischen den Kursen „Er-
fahrungen optimal vermitteln“ oder „Denk
dich jung!“ fällt mir schwer, ich werde mich
später entscheiden. Einkaufen gegangen, die
Bewegung tut mir gut. Zum Treffpunkt für
die Abfahrt zum Freizeitpark komme ich
pünktlich. Der Bus ist rappelvoll. Fahrt zum
Freizeitpark durch Nordhessen. Wo man hin-
blickt leere Landstriche. Nach der Ankunft
gleich ein paar Bananenchips gekauft. Na
klar: Der SpaceTorment-Scooter mit 150
Meter Höhe ist wieder überlaufen. Trotzdem
gewartet, das Ding ist der Knaller. Mitbe-
wohnerin kreischt vor Freude beim Fahren.
Immer noch keine Idee für Weihnachtsge-
schenk. Ich mag mir nicht vorstellen, wie
das zu Mutters 110. Geburtstag werden soll,
wenn mir jetzt schon die Geschenkideen
ausgehen.
17. Dezember 2050Heute sind Wahlen. Seniorenpartei
gewinnt haushoch mit 55%. Die Senioren-
partei ist eine Abspaltung der früheren CDU
und sie hält sich bereits erfolgreich seit fast
15 Jahren im Bereich der hohen Prozente.
Weihnachtsgeschenk gefunden! Verschen-
ke dieses Jahr eine lustige elektronische Ent-
scheidungshilfe. Habe 30 Stück bestellt, das
reicht für die wichtigsten Freunde und Be-
kannten.
Abends mal wieder digitale Zeitung gele-
sen. Spannender Artikel über den kommen-
den Babyboom. Was das für unsere Sozial-
systeme bedeuten könnte!
J&L: Werden die Liberalen Senioren (LISA) in
Zukunft die stärkste Kraft innerhalb der FDP?
Dr. Kurt Sütterlin: Die dominierende Kraft
sicherlich nicht – aber: sie werden eine
immer stärkere Kraft werden; auf jeden Fall
werden müssen. Denn die Teilhabe der älte-
ren Generation am politischen Willensbil-
dungsprozess, vor allem auch in der FDP ist
eine schlichte Notwendigkeit.
J&L: Wenn im Jahre 2050 auf 100 Erwerbs-
tätige knapp 100 Rentner kommen, haben Sie
sicherlich ein gutes Potential.
Dr. Kurt Sütterlin: Ich glaube nicht an diese
Zahlen. Sie interessieren uns auch im Au-
genblick nicht so sehr. Wir orientieren uns
daran, dass jetzt bei der letzten Bundestags-
wahl ein Drittel aller Wahlberechtigten Bür-
gerinnen und Bürger 60 und älter waren.
Das heißt: Diese Altersgruppe entscheidet in
großem Umfang das Wahlergebnis. Für uns
ist der wichtigste Punkt, dass diese Alters-
gruppe zunehmend differenziert wählt, also
nicht wie früher überwiegend konservativ.
J&L: Die Jungen Liberalen versuchen dem
Demographischen Wandel unter anderem mit
der Forderung nach einem kapitalgedeckten
Rentensystem zu begegnen.
Dr. Kurt Sütterlin: Wir sehen das im Prinzip
genauso. Die Schwierigkeit dabei ist, dass
diejenigen, die sich auf das alte System ver-
lassen haben, eine vernünftige Übergangs-
zeit brauchen. Das sind natürlich die heuti-
gen Rentner und vor allem diejenigen, die
relativ kurz vor der Rente stehen. Natürlich
kann ich nicht von heute auf morgen das
System komplett ändern.
J&L: Ein weiterer Baustein der Reaktion auf den
Demographischen Wandel ist die Familien-
politik. Ist das auch für die Liberalen Senioren
noch ein Thema?
Dr. Kurt Sütterlin: Unser Programm ist eine
Gesamtaussage vom Kindergarten bis zur
Rente. In einem vielleicht etwas überra-
schendem Punkt spüren wir das auch bei
unseren Aktivitäten: Sehr viele Ältere küm-
mern sich um ihre Kindergeneration, gar
nicht mit so viel Sorge. Sorgen machen sie
sich um ihre Enkel, weil sie deren Ausbil-
dungs- und Lebenschancen für problema-
tisch halten. Wir haben – etwas zugespitzt
gesagt – ein verstärktes Interesse der Großel-
terngeneration für die Enkel. Für uns ist eine
vernünftige Seniorenpolitik ohne eine akti-
ve, gesamtgesellschaftlich getragene Fami-
lienpolitik nicht machbar.
Frau Prof. Lehr, die früher unter Kohl mal
Familienministerin war, hat darauf hinge-
wiesen, dass es nicht zu viele Alte, sondern
zu wenig Junge gibt. Für uns ist eine ver-
nünftige Seniorenpolitik ohne eine aktive,
gesamtgesellschaftlich getragene Familien-
politik nicht machbar.
J&L: Die Liberalen Senioren und die Jungen
Liberalen umrahmen die FDP – sollten die bei-
den Organisation in Zukunft verstärkt
zusammenarbeiten?
Dr. Kurt Sütterlin: Wir haben schon jetzt
eine gute Zusammenarbeit und fördern dies
auch. Beide Organisationen haben an der
politischen Teilhabe bestimmter Bevölke-
rungsgruppen ein starkes Interesse und müs-
sen die politisch handelnde Generation, also
diejenigen die zwischendrin sind, regelrecht
in die Zange nehmen.
Das Gespräch führte Carl Philipp Burkert
„Die FD
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Mein Leben 2050Jonas Hahn
Jonathan Keller dokumentiert im Internet seinen Alterungsprozess. Jeden Tag
stellt er ein neues Portrait auf seine Website http://www.c71123.com/daily_photo/
freies denken I13freies denken I12
16.-17.10.0429. Bundeskongress der JuLisin Lübeck
03.-05.12.04Politisch-programmatischesWochenende, Gummersbach
18.-20.03.0530. Bundeskongress der JuLis
05.-07.05.05FDP-Bundestagsparteitag in Köln
Nationale Termine
25.-28. 11. 2004IFLRY 26th Extraordinary Ge-neral Assembly und ExecutiveCommittee in Poznan, Polen
03.-05. 12. 2004LYMEC Executive Committee in Rom, Italien
Internationale Termine
J&L: Wo im politischen Spektrum positioniert
sich ihre Partei? Versteht sich Die Partei als
mehr als nur eine reine Protestpartei?
Martin Sonneborn: Ich betone, wir sind
keine Spaßpartei wie die FDP, wir sind die
linke Partei, von der wochenlang allerorten
gefaselt wurde. Aber ich sage auch ganz
offen, dass wir mit einem schmierigen und
populistischen Wahlkampf die Stimmen
auch der Protestwähler zu gewinnen denken.
J&L: Die Essenz für den Erfolg einer jeden Partei
ist ihre Jugendorganisation. Für wann plant Die
Partei den Aufbau einer Jugendorganisation?
Martin Sonneborn: Wir sehen das ähnlich
und haben bereits zwei komplette Jugendor-
ganisationen: Die PARTEI-Jugend für den
ganz jungen Nachwuchs, das ist die ehema-
lige „Prosecco-Jugend“ der PDS, die geschlos-
sen zu uns übergetreten ist, und für die
etwas älteren die „Turbo Jugend“, die sich
gerade der PARTEI angeschlossen hat.
J&L: Welches ist ihre Strategie für die bevorsteh-
ende Landtagswahl und insbesondere für die
Bundestagswahl 2006? Wird es einen Kanzler-
kandidaten Sonneborn geben?
Martin Sonneborn: Wenn die Wahl in NRW
im kommenden Mai zeigt, dass die Wähle-
rinnen und Wähler sich eine Regierungsbe-
teiligung oder sogar –übernahme der PARTEI
wünschen, werden wir sicherlich einen über-
zeugenden Kandidaten präsentieren. Aber
die Kandidatenfrage ist bei uns genauso
offen wie bei den Kollegen der CDU/CSU...
J&L: Wer wäre ihr Wunsch-Koalitionspartner
und was wären ihre ersten Maßnahmen?
Martin Sonneborn: Meine Wunschpartner
wären NPD und DVU. Vor allem deshalb,
weil diese Parteien sich in unserem demo-
kratischen System in öffentlich-rechtlichen
Medien offenbar nicht äußern dürfen: Da
bliebe mehr Medieninteresse für Die PARTEI.
Die erste Maßnahme wäre eine allgemeine
Entnazifizierung in der Zone – da ist, wie
man jetzt sieht, nach 1945 viel versäumt
worden– und in der Regierungskoalition. Mit
dem Erfolg, dass wir danach alleine regieren
könnten.
J&L: Ihre Kernforderung ist der Wiederaufbau
der Mauer. Auf welcher Seite davon wollen Sie
dann leben?
Martin Sonneborn: Da will ich mich auch
aus wahltaktischen Gründen jetzt noch
nicht festlegen. Aber auf unserem PARTEI-
Ausweis steht der Satz: „Mit diesem Mitglied-
sausweis darf man überall durch.“ Das gilt
natürlich auch und besonders in Bezug auf
die Mauer.
J&L: Der Name „Die Partei“ erinnert ein bis-
schen an DDR und SED. Hat Die Partei also
immer Recht?
Martin Sonneborn: Wir haben einen Na-
„Keine Spaßpartei wie die FDP“Der Bundeswahlleiter hat sie als Partei
genehmigt, mittlerweile hat die von der
Redaktion des Satiremagazins TITANIC
gegründete Partei DIE PARTEI gut 1.200
Mitglieder. Müssen sich JuLis und FDP auf
einen neuen Mitbewerber im Wettstreit
um Mitglieder und Wähler einstellen? Im
Gespräch mit dem Bundesvorsitzenden
Martin Sonneborn, der zugleich Chefre-
dakteur der TITANIC ist, versucht Christo-
pher Vorwerk für Klarheit zu sorgen.
men gesucht, der sowohl im Westen als
auch im Osten schon gut eingeführt ist, aber
natürlich hat Die PARTEI immer Recht.
J&L: Und zu guter Letzt: Was wollten Sie schon
immer einmal gesagt haben?
Martin Sonneborn: Der Satz, für den die
Zeit leider noch ganz nicht reif ist: Auf
Wiedersehen Schröder, Merkel, Westerwelle,
Gerhard, Sie haben ab jetzt sehr viel Zeit –
machen Sie was draus!
Photo: Tom Hintner / TITANIC
Im vergangenen Heft habe ich unter dem Titel „Argumente statt Plattitüden“ angeregt,
die Auseinandersetzung mit den Grünen zu verändern. Die Diskussion läuft und muss
weitergehen. Auch der designierte Generalsekreträr der FDP-NRW, Christian Lindner (25),
rückt die richtige Auseinandersetzung mit den Grünen in den Vordergrund. Das ist dringend
notwendig, wildern die Grünen doch immer stärker in liberalen Wählermilieus.
In vielen dieser Milieus finden wir „Alt-68er“ , die regelmäßig von FDP-Vorstandsgranden
als „Apo-Opas“ verspottet werden. Wir sollten aufhören, Teile unseres eigenen Klientels zu
beleidigen. Wieviele waren Ende der 60er Jahre bei den Protesten dabei, die sich in weiten
Teilen völlig zurecht gegen eine nicht-aufgearbeitete Vergangenheit, fehlende Gleichberechti-
gung, kulturelle Miefigkeit und die deutsche Unterstützung des brutalen Vorgehens der Ame-
rikaner in Vietnam auflehnten. Viele 68er haben über Köpfe wie Dahrendorf, Flach oder Mai-
hofer Anfang der Siebziger zu den Liberalen gefunden. Manche sind bis heute bei uns als
Mitglieder oder Wähler geblieben, andere haben wir gemeinsam mit vielen sehr jungen Mit-
gliedern 1982 durch die Wende und die Art des Regierungswechsels verloren.
Hier liegt ein demographisches Problem der FDP, haben wir doch im Alter zwischen Ende
30 und Ende 50 in vielen Kreisverbänden eine echte Delle. Genau in diesen Jahrgängen sind
die Grünen stark. Zufall? Natürlich nicht! Da hilft die Beschimpfung nicht weiter, sondern
nur die Differenzierung. „Karin Göring-Eckardt, die Streberin aus Thüringen, passt doch eh
besser zu Euch“, meinte letztens ein marxistischer Freund von mir. Recht hat er! Nun ist die
„Streberin aus Thüringen“ zwar keine Alt-68erin, aber könnte inhaltlich ähnlich gut auch in
unsere Reihen passen, wie die Berningers, Schlauchs und Metzgers. Wir sollten offen um diese
Leute und damit verbunden um ihre Wählerschaft werben. Denn es sind diese Realos, die
man auch als pragmatische Linksliberale etikettieren könnte, die ein vermeintlich liberales
Lebensgefühl verkörpern, mit denen es den Grünen gelingt, zu übertünchen, dass sie die
ganze Politik des Staatsbankrotts, der Zerstörung eines funktionierenden Wettbewerbs und
damit verbunden der Vernichtung von zigtausend Arbeitsplätzen mitverantworten.
Mit Verdi-Chef Frank Bsirske gehört auch ein Hauptübeltäter des gewerkschaftlichen
Crash-Kurses zu den Grünen. Verdi ist eine Gewerkschaft, die so massiv an attac-Deutschland
beteiligt ist, dass man schon von Tarnorganisation sprechen kann. Hier wird mit dem
Vorwand der Interessenvertretung der 3. Welt gegen Hartz IV und für die Besitzstandswah-
rung deutscher Arbeitnehmer gearbeitet. Da müssen wir einhaken und nachfragen, wie es
der liberale Oswald Metzger mit Bsirske in einer Partei aushält. Holen wir die Liberalen dort
heraus!
Aber wir müssen den verirrten Liberalen dann auch etwas bieten können. Wir müssen
bereit sein mit großem Engagement unsere Milieus zurückzuerobern. Und wir müssen eine
ernsthafte Alternative sein, die mehr liberales Lebensgefühl vermittelt als den Kampf gegen
Graffitis. Eine Alternative, die argumentativ besticht und die den Mumm hat, auch liebge-
wonnenem Klientel unbequeme Wahrheiten zu sagen, wenn es die liberale Überzeugung ver-
langt. Wer weiter debattieren möchte, erreicht mich per Mail [email protected]
Holt die Liberalen da raus!Fortsetzung zur Auseinandersetzung mit den Grünen Joachim Stamp
freies denken I14
Demonstration Leipzig, 30. August 2004 Photo: Steffi Reichert, Dessau
Demonstration Leipzig, 30. August 2004 Photo: Steffi Reichert, Dessau Demonstration Karlsruhe, 20. September 2004Photo: Carl Philipp Burkert für Jung & Liberal
Deutschlands Sommer 2004 wurde
durch das Schlagwort „Hartz IV“
bestimmt. Eine Meinung dazu scheint
jeder zu haben. Gleichwohl weiß kaum ein
Mensch, was tatsächlich dahinter steckt. Die
Bewertung aus liberaler Perspektive sollte
vor allem im Vergleich mit unserer eigenen
Sozialstaatsvision erfolgen: Einem pauscha-
lierten Negativ-Einkommenssteuer-
Transfersystem mit hälftiger Anrechnung
eigener Einkünfte – kurz Bürgergeld.
Die Kritik am Zustand des Sozialstaates
deutscher Prägung, die u.a. zu „Hartz IV“
geführt hat, ist nicht neu: Erstens wird das
Lohnabstandsgebot nicht beachtet. Daher
bestehen im Niedriglohnsektor keinerlei öko-
nomische Anreize, um legaler Erwerbsarbeit
nachzugehen. Das ist Mitursache für den
Sockel strukturell bedingter Arbeitslosigkeit
in unserem Land. Zweitens sind die recht-
lichen Verteilungsmechanismen zu kompli-
ziert. Das ist ungerecht, weil es die Findigen
statt die Bedürftigen belohnt. Für den
Steuerzahler ist es teuer, weil der daraus
resultierende Verwaltungsaufwand hoch ist.
Das Bürgergeld ist eine passgenaue
Antwort auf diese Probleme: Aufgrund ledig-
lich einer Teilanrechnung eigenen
Einkommens auf das individuelle
Transfervolumen wird ein Anreiz zu legaler
Erwerbsarbeit auf jedem Lohnniveau
gewährleistet: Jeder, der arbeitet, hat mehr
als einer, der nicht arbeitet. Durch die
Pauschalierung und Zusammenfassung aller
Leistungen zu einheitlichen Regelsätzen (auf
Niveau des materiellen Existenzminimums
mit Degression innerhalb einer
Haushaltsgemeinschaft) weiß jeder, was ihm
zusteht und der bürokratische Aufwand
minimiert sich.
Zum Teil wurde auch in der „liberalen
Familie“ behauptet, dass Hartz IV ein klei-
ner Schritt in diese Richtung sei.
Gebetsmühlenartig wird wiederholt, dass die
Richtung stimme und nur handwerkliche
Fehler vorlägen. Das Schlagwort von der
Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe mit
der Sozialhilfe suggeriert in der Tat eine
Vereinheitlichung. Trotzdem bleibt eine reine
Mogelpackung oder um es mit Guido
Westerwelle zu sagen: Das Gegenteil von gut
– nämlich allenfalls gut gemeint. Bei allem
politischen Respekt davor, die „heilige Kuh“
Sozialstaat überhaupt einmal tangiert zu
haben, zählen nämlich letztendlich die
Fakten:
Hartz IV verletzt das LohnabstandsgebotZum Teil wird der Eindruck vermittelt, Hartz IV hätte massive Einkommensverluste für die
Leistungsbezieher zur Folge. Durchweg wird als Beleg der Regelleistungssatz von 345 Euro
(West) / 331 Euro (Ost) angeführt. Neben diesen tritt allerdings die Übernahme der gesamten
Kosten für eine angemessene Wohnung und Heizung. Hinzu kommen Zahlungen für
Angehörige.
Bei den Kosten für Unterbringung handelt es sich um eine glatte Ausweitung von Leis-
tungen: Vormals wurde nämlich lediglich eine Pauschale bezahlt (sog. Wohngeld).
Angemessenheit wird derzeit überwiegend mit 55 qm / Person und 10 qm für jede weitere
Person im Haushalt interpretiert, wobei die notwendigen Erlasse dafür noch nicht existieren.
In einer Stadt wie Bonn können die Kosten für eine angemessene Wohnung und Heizung
einer Familie ohne weiteres 700- 800 Euro oder mehr erreichen und werden auch im
Ruhrgebiet nicht unter 500-600 Euro liegen.
Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln hat errechnet, dass ein Familienvater mit
Frau und zwei Kindern, für die weitere Aufstockungen bezahlt werden, mit Hartz IV und
einem sog. „ein Euro-Job“ bereits ein Einkommen erzielt (ca. 12,50 Euro / Stunde), das z.B.
über dem Tariflohn für Facharbeiter in der Papierindustrie liegt (ca. 11,50 Euro / Stunde). Das
bedeutet, dass weiterhin Anreize bestehen, sich vom ersten Arbeitsmarkt fern zu halten.
Hartz IV beendet nicht das Nebeneinander zahlreicher EinzelleistungenHartz IV hat nicht aus vormals zwei Leistungen (Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe) eine ein-
heitliche gemacht, sondern eigentlich drei. Neben dem Regelsatz aus dem Arbeitslosengeld II
(AGL II) existiert das so genannte Sozialgeld, für das weiterhin die Sozialämter zuständig
bleiben, sowie die Leistungen für Angehörige der Bedarfsgemeinschaft des AGL II-Beziehers.
Durch die Einführung des neuen Rechtsinstituts der Bedarfsgemeinschaft, die sich inhalt-
lich nicht mit der Haushaltsgemeinschaft deckt, die aber wiederum weiterhin von Bedeutung
bleibt, ist das System der Zuteilung eher komplizierter als einfacher geworden.
Auch werden weiterhin Sonderbedarfe wie die Anschaffung eines neuen Kühlschranks,
Teppichbodens etc. vorfinanziert. Zwar müssen AGL II-Bezieher dafür wie bei einem Raten-
kredit Abzüge ihres Regelsatzes dulden. Diese sind aber – auch in Summe - auf maximal 10
% des Regelsatzes beschränkt. In Anbetracht der Größenordnung der Sonderbedarfe decken
diese Abzüge daher wohl nur selten die real entstehenden Kosten. Die Behauptung, dass
Sonderbedarfe in die Regelsatzpauschale integriert seien, ist also ökonomischer Unsinn. Sie
werden weiterhin überwiegend durch zusätzliche Leistungen finanziert.
Hartz IV bläht den Sozialstaat sogar für junge Menschen aufHinzu tritt eine weitere, in der Öffentlichkeit noch nicht hinreichend zur Kenntnis genom-
mene Ausweitung staatlicher Leistungen: Künftig wird auch die Wohnungserstausstattung
vollständig durch die öffentliche Hand ent-
richtet, ohne dass dies bei den Regelsätzen
in Abzug gebracht würde. Wer vor seinem
geistigen Auge einmal aufsummiert, wie
teuer eine solche Erstausstattung (Möbel,
Küchengeräte, Fernseher etc.) ist, erkennt,
um welches Finanzvolumen es geht.
Wer also jung ist, keinen Bafög-Anspruch
dem Grunde nach besitzt (dieser verdrängt
nämlich den AGL II-Anspruch) und keine
Lust mehr auf seine Eltern hat, kann ohne
weiteres AGL II plus Erstattung der Unter-
bringungskosten plus Erstausstattung der
vollfinanzierten Wohnung verlangen, wenn
gegen seine Eltern kein entsprechend hoher
Unterhaltsanspruch existiert. Der Pubertät
sind also buchstäblich Tür und Tor geöffnet.
FazitBei Hartz IV liegen also nicht nur hand-
werkliche Mängel vor, sondern die Richtung
stimmt nicht: Das System der
Transferverteilung wird nicht einfacher, die
Verwaltungskosten sinken nicht und dem
Lohnabstandsgebot wird nicht zum
Durchbruch verholfen. Hier ist fundamenta-
lere Kritik angebracht als sie derzeit aus dem
liberalen Lager zu hören ist. Das Bürgergeld
als gerechtere und gerechnete Alternative
hätte es verdient, hier eine größere Rolle in
der Diskussion zu spielen.
Hartz IV oder Bürgergeld –Sozialstaat quo vadis?
Marco Buschmann
Marco Buschmann ist 27 Jahre alt,
Diplom-Jurist und juristischer Doktorand.
Er war sechs Jahre lang stellvertretender
Landesvorsitzender der JuLis NRW
Der Föhn dröhnt, der CD-Player
leiert und in der Mitte ein Kind,
das schreit: „Mama, wo kommt
eigentlich der Strom her?“ „Aus der
Nordsee, mein Kind.“ Bremen versorgt
mit umweltfreundlichem Strom aus
Windkraft. Weit draußen ragen die 80
Masten 125 Meter aus dem Wasser, so
dass sie sogar für Kommunalpolitiker
auf dem Land nur noch klein wie Spar-
gel zu sehen sind. 2006 in einer Stadt so
groß wie Bremen.
Zurück in die Gegenwart: Zahlreiche
windstarke Standorte an Land werden
schon genutzt und weitere Standorte
sind unter zunehmendem öffentlichen
Druck immer schwieriger zu finden, aus
diesem Grund weicht man aufs Meer
aus. Da die deutsche Nordsee allerdings
ein empfindliches Ökosystem ist, muss
ein Plangebiet für Windkraft sorgfältig
ausgewählt und geprüft werden. Der
Offshore-Bürgerwindpark (OSB) Buten-
diek hat dieses getan und ein Gebiet
mit einer Größe von ca. 30 km2, das ist
ungefähr die Fläche der Stadt Schleswig,
34 km westlich der Insel Sylt gefunden.
Dieses Gebiet ist aufgrund der brütenden Seetaucher in die international höchste
Wertstufe eingeordnet worden. Derzeit prüft die EU sogar, ob es sich bei diesem
Gebiet um eine Important Bird Area (IBA) handelt. Jedoch beeinträchtigen der Be-
trieb und der Bau der Anlagen die Seetaucher, Schweinswale, Fische, Bodentiere,
Vögel und den Meeresboden nur gering. Es entsteht außerdem keine Gefährdung
des Vogelzugs. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie in Hamburg hat
daher, unter Berücksichtigung des ökologischen Wertes dieses Gebietes, die Bauge-
nehmigung erteilen können.
Der Naturschutzbund NABU und der BUND haben allerdings Klage eingereicht,
um dieses Gebiet vor starken Beeinträchtigungen zu schützen. Das Gebiet wurde
während der Genehmigungsphase von Butendiek mehrfach geprüft. So ergab dies
eine Umweltverträglichkeit des Vorhabens nach heutigem Kenntnisstand. Die Klage
stand sogar laut Aussage des Bundesministeriums für Umwelt (BMU) „inhaltlich
auf schwachen Füßen“ und wurde schließlich abgewiesen. Allerdings mit der Be-
gründung, dass die Verbände kein Klagerecht besitzen. Denn der Windpark befindet
sich in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) und damit außerhalb des
deutschen Hoheitsgebietes.
Die Untersuchungen zeigen, dass sich Windkraft sowohl umweltschonend als
auch landschaftsschonend betreiben lässt. Die Möglichkeit Windkraft in großem
Stil zu nutzen beeinträchtigt dabei nur in geringem Maße die Umwelt. Zudem wird
das Auge des Betrachters geschont, denn die Anlagen sind so weit entfernt, dass
diese durch die Erdkrümmung nur teilweise und auch nur bei klarer Sicht von der
Küste aus erkennbar sind.
An Land haben sich 8.412 zukünftige Windmüller gefunden, um die Investitions-
höhe von 400 Millionen Euro gemeinsam aufzubringen. Die Akzeptanz von Wind-
kraft ist in der Bevölkerung hoch. So
kommen 55% aus Nordfriesland, das
windkrafttechnisch sehr stark genutzt
wird.
Möglich wird diese Investition durch
das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG),
mit dem die Bundesregierung über
einen garantierten Preis die Vergütung
regelt. Forschung, Entwicklung und alle
anderen Aktivitäten regelt der Markt
dann unter sich. Ein Park wie Butendiek
bekommt in den ersten zwölf Jahren 9,1
Cent pro Kilowattstunde (kWh), nach
dieser Zeit 6,19 Cent/kWh. Derzeit zahlt
ein Konsument durchschnittlich 17
Cent/kWh.
Technisch gesehen ist es eine Heraus-
forderung, die in dieser Größenordnung
noch nicht gemeistert wurde. Nur der
Windpark „Horns Rev“ in Dänemark ist
mit 80 Anlagen und einer Gesamtleis-
tung von 160 MW, die einem Drittel
von Butendiek entspricht, vergleichbar.
In einer Wassertiefe von 20 Metern wer-
den Stahlrohre, sogenannte Monopiles,
30 Meter in den Boden gerammt, um
darauf die Windkraftanlage zu instal-
lieren. Der Rotor dreht sich dann um
die Nabe in einer Höhe von 80 Metern
über dem Meeresspiegel. Windmessun-
gen ergaben eine Windstärke in dieser
Höhe von ca. 10 Metern pro Sekunde.
Doch die Erfahrungen von „Horns
Rev“ sind gut, anfängliche Probleme
mit dem rauen Klima konnten behoben
werden. Die größeren Anlagen werden
derzeit an Land erprobt. So plant zum
Beispiel das dänische Umwelt- und En-
ergieministerium, in den nächsten 30
Jahren Anlagen mit einer Gesamtleis-
tung von 4.000 MW ins Meer zu bauen.
Dänemark könnte dann mit diesen und
den Anlagen an Land 50 % seines
Strombedarfs decken.
Auch in Deutschland wird der OSB
Butendiek nicht der einzige Offshore-
Windpark bleiben, so darf die Prokon
Unternehmensgruppe 45 km westlich
von Borkum bauen und gerade hat das
Projekt „Sandbank 24“ der Planungsge-
sellschaft Energie und Umwelt die Ge-
nehmigung für einen Park 50 km west-
lich von Sylt erhalten.
Kräftige Brise aus Nordwest
Der erste deutsche Offshore Windpark ist in Planung Felix Marquardt
Felix Marquardt ist stv. Kreisvorsitzender
in Karlsruhe Stadt und Mitglied des BAK
Umwelt, Infrastruktur und Innovation.
Kommentar:
„Windenergie hat Zukunft“ Felix Marquardt
Zu teuer! Unzuverlässig! Ökologisch? Das ist derzeit die Meinung über Windkraft in Deutschland.
Ja, es ist teuer. Allerdings ist der Preis nicht mit Strom aus Kernenergie vergleichbar. Die Erforschung
von Kernspaltung ist in Deutschland massiv finanziell unterstützt, der Bau vorangetrieben worden
und die Risiken werden derzeit auch, im Falle eines Unglücks, so unwahrscheinlich er auch sein mag,
vom Staat getragen. Die Rücklagen der Betreiber für Unfälle könnten die entstehenden Kosten nie-
mals decken.
Deutschland hat sich bei der Windkraftförderung für einen garantierten Preis entschieden. Das ist
zunächst teuer, doch der Erfolg spricht für sich: Noch Anfang der 80er Jahre baute man Anlagen mit
einer Nennleistung von 50 kW, heute um den Faktor 60 größere Anlagen und Nennleistungen um
die 5 MW werden derzeit schon entwickelt. Weitere Steigerungen in der Größe, der Zuverlässigkeit
und der Ausnutzung des Windes sind zu erwarten und höhere Effizienz bedeutet geringere Kosten.
Ja, Windkraft ist unzuverlässig, aber ist das ein Problem? Wind weht nicht ständig und auch nicht
gleichmäßig, doch soll man deswegen das riesige Potential ungenutzt lassen? Zum Beispiel eine
Kombination mit einem Gaskraftwerk ermöglicht eine konstante Produktion unter sehr umweltfreund-
lichen Bedingungen. Neue Prognosemethoden erlauben eine zunehmend genauere Vorhersage über
Windstärke und –richtung. Gaskraftwerke, die alleine keinen Beitrag zur CO2-Einsparung leisten,
können in ca. drei Stunden zugeschaltet werden und so die Schwankungen der Windenergie ausglei-
chen. So kann der wirtschaftliche Charakter von Gaskraftwerken, niedrige Investitionskosten bei rela-
tiv hohen Betriebskosten, bestens ausgenutzt werden.
Ja, Windenergie ist ökologisch. Anlagen, wie sie in dem Offshore-Bürgerwindpark Butendiek ver-
wendet werden, produzieren in ihrer Lebensdauer 50-70mal soviel Energie wie für Herstellung,
Aufstellen, Betrieb und Entsorgung benötigt werden. Und sie wird immer wichtiger sowohl in Bezug
auf die CO2-Produktion als auch angesichts der immer knapper werdenden Rohstoffe wie Öl und
Uran. Diesen Beitrag sollte man nutzen. Dabei ist Windkraft natürlich kein Substitut für sämtliche
andere Produktionsformen, jedoch eine umweltfreundliche Ergänzung. Forschungsaktivitäten führen
dabei zu weiteren Verbesserungen.
Windkraft ist nicht die einzige Lösung, mit der man alle Energieprobleme lösen kann, aber sie ist
fähig dazu beizutragen. Der Ausbau muss daher in windstarken Regionen, in denen es sich ökolo-
gisch und wirtschaftlich lohnt, mittelfristig auch unter wettbewerbsähnlichen Bedingungen, vorange-
trieben werden. Eine „Verspargelung“ von windarmen Gebieten ist abzulehnen, da dies ökologisch
mehr als fragwürdig ist. Muss man deswegen aber Windkraft gleich gänzlich ablehnen?
freies denken I16 freies denken I17
Photo: photocase.de
Derzeit noch nicht zu Wasser, sondern zu Land. Windkraftanlagen auf Fehmarn. Photo: Felix Marquardt für Jung & Liberal
I19liberal
Der Sprung ins
kalte Wasser oder
wir machen UrwahlStefan Westerschulze
Eine Urwahl als Inbegriff basisdemokratischer Mitbestimmung ist nicht nur ein Ideal,
sondern auch ein Projekt mit großem Zeit- und Kraftaufwand. So erlebt im
Urwahlverfahren zur Wahl des Spitzenkandidaten der Jungen Liberalen NRW für die
Landtagswahl 2005. Gewählt wird also ein Junger Liberaler, der einen sicheren Platz auf der
Reserveliste der FDP zur Landtagswahl bekommen soll. Der mögliche Abgeordnete wäre
dann Ansprechpartner und Vertreter der JuLis in der FDP Landtagsfraktion.
In der Urwahl hatte dabei jedes Mitglied eine Stimme in der Entscheidung. Geregelt ist die
Wahl in der Urwahlordnung, welche Bestandteil der Landessatzung ist. Auch wenn es diese
schon einige Jahre gibt, fand sie in diesem Jahr zum ersten Mal Anwendung, denn es gab
mehr als einen Bewerber für die Spitzenkandidatur. Eröffnet wurde das Verfahren durch die
schriftliche Bekanntmachung an alle Mitglieder im Februar dieses Jahres. Interessenten für
eine Kandidatur konnten sich bis Anfang Mai vorschlagen lassen, wobei auch
Selbstvorschlag möglich war. Nach Ablauf der Bewerbungsfrist stand das Bewerberfeld mit
sieben Kandidaten fest. Jedoch hatte zu diesem Zeitpunkt schon einer das Handtuch gewor-
fen. Im Juni ging allen Kandidaten die Aufforderung zur schriftlichen Vorstellung zu. Zu die-
sem Zeitpunkt befand sich ein neuer Landesvorstand im Amt. So erläuterte der neue
Landesvorsitzende die Kriterien für die Vorstellung: Zwei Seiten, Times New Roman und
Schriftgröße 12. Der ersten großen Aufgabe waren offensichtlich nur drei der verbliebenen
Bewerber gewachsen. Denn dies war die Zahl der Eingänge nach Ablauf der Frist. Die
Kandidaturen wurden jedoch aufrechterhalten. Ein Vorzeichen für den weiteren Verlauf der
Urwahl.
Aber zuerst kamen die Vorstellungstermine. Laut Urwahlordnung hatte der
Landesvorstand für je eine dezentrale Veranstaltung in jedem Bezirk zu sorgen. Die
Kandidaten erwarteten neun Termine in zehn Tagen. Ein Vorgeschmack auf den Wahlkampf
in einem Flächenland. Am 10.07. stand also der erste Termin in Bielefeld an. Dort und bei
den weiteren Terminen wurde die interessierte Mitgliedschaft auf den Rücktritt von weiteren
zwei Bewerbern aufmerksam gemacht. Das Feld schmolz also auf vier Bewerber um die
Spitzenkandidatur. Zwei Kandidaten stellten sich auf allen neun Terminen den Fragen der
JuLis. Leider nie mehr. Zum großen Bedauern der Organisatoren und der Kandidaten waren
die Runden immer sehr überschaubar besucht, dabei aber nie langweilig, auch wenn
Landesvorstandsmitglieder zuweilen mit Fragen das Eis brechen mussten. Gefragt wurde
immer nach liberalen Grundsätzen in Verband, Programm und Wahlkampf, den
Vorstellungen zu den Werbemitteln und dem „Standing“ in der Partei.
Die Urwahlunterlagen wurden verschickt und damit ging es dann ans Eingemachte. Nach
einem Punktwahlverfahren mussten sich die Mitglieder nun entscheiden, welchem der ver-
bliebenen drei Kandidaten welcher Punktwert (0-3) zuzuordnen sei. Warum man sich seiner-
zeit für ein Punktwahlsystem entschieden
hat, ist unklar, es führte allerdings zu nicht
geringer Verwirrung. Ein einfaches Kreuz ist
noch immer die deutlichste Art der Wahl.
Sodann mussten die Unterlagen im
Briefwahlverfahren an den Notar zurückge-
sandt werden. Damit die Urwahl Gültigkeit
erhält, müssen sich mindestens 20% der ca.
4500 Mitglieder der Jungen Liberalen in
NRW beteiligen. Also wurde auch in der
Wahlfrist eifrig Werbung für das Verfahren
gemacht und das Punktsystem erläutert.
Leider reichte der Rücklauf nicht aus.
So müssen wir die Urwahl als engagiertes
Projekt mit viel Arbeitseinsatz und Mühen
betrachten, welches aber in der
Mitgliedschaft leider nicht die erforderliche
Begeisterung auslöste. Organisatoren und
Kandidaten werden sich sicher in der
Nachbereitung noch einige Gedanken zu der
„Ordnung zur Wahl des
Landtagsspitzenkandidaten“ machen. Auch
der Verband muss sich klar werden, ob er
sich weiterhin ein so aufwendiges wie teures
Verfahren leisten kann und will. Fest steht
jetzt nur, dass der Spitzenkandidat zur
Landtagswahl nach guter alter Sitte auf dem
Landeskongress im Oktober gewählt wird.
Wasserkistenmauer
Aus Mineralwasserkisten bauten die JuLis inMecklenburg-Vorpommern am 13. Augusteine Symbol-Mauer: 2,5 auf 2,5 Meter maßdas Bauwerk, das – aufgestellt in Bad Dobe-ran – gleich die dort verkehrende Schmal-spurbahn Mölli in ihrer Weiterfahrt behinder-te. Mit der Aktion gedachte der Landesver-band der 43. Wiederkehr des Tages desMauerbaus.http://www.liberale-mv.de/
Programmatik in Marzipan
Ganz ohne graue Theorie versuchten dieJuLis in Düsseldorf die Forderung „Schlussmit der Schweinerei!„ in Sachen EU-Tier-transporte an den Wähler zu bringen. Ausge-rüstet mit Marzipanschweinchen und maß-stabsgerechten Holzkäfigen zogen die Akti-visten in die Innenstadt und so konnte dieZielgruppe schnell selber merken: DieseKäfige sind viel zu klein! http://www.julis-duesseldorf.de/
Entenrennen
Über 500 Besucher und unzählige gelbe Plastik-enten kamen zum JuLi-Entenrennen mit Kin-derfest am 25.7. nach Unterbiberg (Neubiberg).Zum Wettstreit wurden die teilnehmenden Plas-tikenten von den JuLis München Land auf demHachinger Bach ausgesetzt. Zusätzlich wurdenden Besuchern Attraktionen wie Ballon-modellieren und Kinderschminken geboten.Alle Einnahmen kamen dem lokalen Kinder-garten zu Gute, der sich nun über eine Spendevon 528 Euro freuen kann.www.entenrnennen-unterbiberg.de
Abgeseilt
Um zu zeigen wie verkehrt die Verkehrspoli-tik des politischen Gegners ist, seilen sich dieJuLis im Westerwald sogar von Brücken ab.Sie sehen Natur und Tourismus durch die vonden Grünen geforderte Reaktivierung einerGleisstrecke in Gefahr. Zudem bezweifeln sieden Nutzen: Eine parallel verlaufende Busve-rbindung wird bislang kaum genutzt.
www.julis-ww.de
AktionsberichteI18liberal
Sascha Settegast zu Patrick Aroras „Marktwirtschaft – nicht nur Gewinn-streben um jeden Preis“
Patrick Aroras Artikel ist ein gutes Bei-
spiel dafür, wie Verteidiger der Markt-
wirtschaft selbst semisozialistische Posi-
tionen annehmen können und sich somit
ein Eigentor schießen.
Eine Forderung nach (Teil ) Finanzie-
rung von Bildung für bestimmte Men-
schen durch andere Menschen bedeutet
eine Verletzung des Freiwilligkeitsprin-
zips. Einige Menschen werden gezwun-
gen ihr Glück und ihre Zukunft zum Vor-
teil anderer Menschen zu opfern – indem
sie ihnen den Erwerb des Wirtschaftsgu-
tes „Bildung“ erleichtern.
Ähnlich sieht es mit der Erbschafts-
steuer aus. Die Forderung Aroras, größe-
re Erbschaften höher zu besteuern als
kleinere, bedeutet einen Eingriff in das
Freiwilligkeitsprinzip. Um einem seltsa-
men wirtschaftlichen Gleichheitsideal
näher zu kommen, bestraft man diejeni-
gen, die ihr Leben lang gearbeitet haben
um ein Vermögen zu erwerben, dass sie
nach ihrem Tode ihren Kindern oder an-
deren Begünstigten hinterlassen wollen.
Man bestraft die Erfolgreichen, weil sie
erfolgreich sind. Man mindert also den
Anreiz erfolgreich zu sein und subventio-
niert so indirekt die Erfolglosigkeit.
Es gibt kein Recht auf die (staatlich
organisierte) Ausbeutung einiger Men-
schen durch andere. Arora bezeichnet
soziale Absicherung zudem als „An-
recht“, d.h. als ein Recht. Man darf den
Kollektivisten und ihrer Unmoral nie-
mals, egal ob implizit oder explizit,
Zugeständnisse machen. Man darf nie-
mals nur rein mit Effizienzargumenten
kontern, wenn die Globalisierungsgegner
schein-moralisch argumentieren. Wer
den liberalen Kapitalismus – und damit
Freiheit, Wohlstand und Glück für alle –
wirklich wirksam verteidigen will, der
muss ihn zuforderst moralisch konse-
quent verteidigen. Eine ungekürzte Versiondes Textes ist unter http://www.julis.de/ zu lesen.
Kandidatenvorstellung in Bielefeld
Stefan Westerschulze, 27 Jahre, hat als
Kandidat am Urwahlverfahren teilge-
nommen. Er ist Bezirksvorsitzender der
JuLis Köln/Bonn.
Leserbrief
I20liberal
J&L: Seit langer Zeit mal wieder ein neues Gesicht als Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen. Ist
einem klar, auf was man sich einlässt?
Jan Dittrich: Jedes Detail ist einem natürlich nicht von Anfang an klar - jedoch wusste ich
schon, was da auf mich zukommt. Ich hab mir jedoch nicht vorgestellt, dass es manchmal
doch so schwierig ist, alles gleichmäßig zusammenzufügen und zu koordinieren. In einem
Vorstand gibt es eben viele verschiedene Meinungen und viele verschiedene Interessen. Das
macht die Sache manchmal schwierig.
J&L: Gibt es Unterschiede in der Arbeitsweise zwischen altem und neuem Vorstand?
Jan Dittrich: Mit Sicherheit gibt es da Unterschiede. Aber ich denke, man kann den alten
und den neuen Vorstand nicht so einfach miteinander vergleichen. Schließlich sind viele von
uns das erste Mal im Bundesvorstand und da ist die Arbeitsweise des Gremiums per se eine
andere. Jeder hat eben seine Art mit Dingen umzugehen. Ich möchte mit allen gemeinsam
arbeiten, mit dem ganzen Bundesvorstand. Deshalb ist es mein Ziel, daß wir uns als Team
begreifen und auch so handeln.
J&L: Wie sieht das Arbeitsprogramm für die nächsten Monate aus?
Jan Dittrich: Wir haben ein großes Ziel: Wir wollen mehr Mitglieder für die Julis gewinnen.
Derzeit stagnieren die Mitgliederzahlen, wir wollen die Sache wieder anschieben und haben
deshalb eine Mitgliederkampagne vorbereitet, die vor allem ein Angebot an die Landes- und
Kreisverbände sein soll. Das ist das Wichtigste für den Verband: Wir wollen weiter wachsen.
Und wir haben uns vier Kernthemen überlegt. Zum einen das Thema Bürgerrechte, das wir
auch auf dem Bundeskongress in Magdeburg beschlossen und als Antrag zum
Bundesparteitag der FDP eingebracht haben. Damit haben wir auch eine Debatte in der FDP
losgetreten. Das Thema werden wir jetzt in Form von Aktionen, einem Themenflyer inhalt-
lich weiter untermauern und mit einer Kampagne nach außen tragen. Im Rahmen der
Pressetour durch Deutschland, die ich im Sommer gemacht habe, war eines der
Hauptthemen immer das Thema Bürgerrechte, was in den Zeitungen auch immer ganz gut
angekommen ist. Das zweite wichtige Thema ist ganz klar Bildung. Auch da haben wir eine
umfangreiche Beschlusslage, die wir auch hier zu einer Kampagne umformen wollen, um
dort unseren Schwerpunkt ein wenig zu verschieben: nämlich mehr in Richtung berufliche
Bildung. Dazu wird es dann auch im vierten Quartal 2004 bzw. dann ersten Quartal 2005
einen Flyer geben. So können wir – zum Beispiel mit Aktionen – berufliche Bildung direkt
angehen, um auch andere Interessentenkreise anzusprechen. Zum Bundeskongress in Lübeck
präsentieren wir unser Ergebnis zum Thema Demographischer Wandel. Das ist ein wichtiges
Thema für die ganze Gesellschaft, aber insbesondere natürlich für die junge Generation. Wir
versuchen hier zum ersten Mal mit einem einzigen Antrag die verschiedenen Aspekte des
Themas zusammenzubinden. Dies betrifft zum einen die Reform der sozialen
Sicherungssysteme. Aber wir schauen uns auch an: Was bedeutet dieser Wandel für die
Gesellschaft in Deutschland, was bedeutet er für Wanderungsbewegungen innerhalb des
Landes, was bedeutet er aber auch für den gesellschaftlichen Umgang miteinander. Aber wir
wollen das Phänomen auch nicht einfach nur hinnehmen: Wir schauen auf die Frage von
Familie und Beruf und stellen uns der Frage der Einwanderung nach Deutschland und der
Integration in Deutschland. Das Thema als Ganzes zu betrachten und nicht nur als Summe
der Einzelteile ist uns glaube ich bei dem Antrag besonders gut gelungen.
I21liberal
J&L: Sprechen wir über die strittigen Punkte des Leitantrags. Bei welchem Thema rechnest Du mit
der ausführlichsten Diskussion in Lübeck?
Jan Dittrich: Die Diskussion wird sich sicherlich an der Umstellung des Rentensystems entfa-
chen. Diesen Punkt halte ich für den radikalsten Ansatz in unserem Papier. Wir fordern, das
System radikal von einer Umlage auf eine rein kapitalgedeckte Finanzierung umzustellen.
Zudem muss dies sofort passieren, so dass sie nicht auf Kosten der jungen Generation alleine
läuft. Wir sagen aber auch deutlich, dass diese Umstellung nur mit Steuererhöhungen zu
schultern ist. Das ist mit Sicherheit ein Punkt, der großen Widerspruch hervorrufen könnte.
Ich bin jedoch immer noch der Meinung, dass man in der Politik auch ehrliche Antworten
geben muss und dass wir dort eine gefunden haben. Eine spannende Diskussion.
J&L: Demographischer Wandel, Bildung und Bürgerrechte hast Du schon erwähnt. Was wird das
vierte Thema in diesem Amtsjahr sein?
Jan Dittrich: Über dies haben wir im Vorstand lange diskutiert und uns letztendlich für das
Thema Umweltschutz entschieden. Bisher ist dies kein Thema gewesen bei dem einem zuerst
die Jungen Liberalen – oder überhaupt die FDP – eingefallen ist. Aber gerade deswegen wol-
len wir dieses Thema weiter ausarbeiten – bisher haben wir in diesem Bereich nur sehr weni-
ge Beschlüsse. Ziel ist es, eine programmatische Grundlage zu erstellen und das Thema nicht
alleine den Grünen zu überlassen. Es gibt auch umfassende, differenzierte, liberale Antworten
zum Thema Umweltschutz. Dazu wird es im Frühjahr ein Seminar in Zusammenarbeit mit
der Friedrich Naumann-Stiftung geben. Zusammen mit Fachreferenten wollen wir das Thema
weiter ausarbeiten, um es dann als Leitantrag zum Bundeskongress dem Verband zu präsen-
tieren.
J&L: Vier Kernthemen, ein Thema alle drei Monate, das in den Verband hineinzukommunizieren ist
– funktioniert das überhaupt. Wäre es nicht vielleicht besser, sich auf zwei Themen zu fokussieren?
Jan Dittrich: Uns ist bewusst, dass dies ein anspruchsvolles Ziel ist. Soweit ich weiß, sind wir
der erste JuLi Bundesvorstand, der sich so viele Themen für ein Jahr vorgenommen hat.
Bisher waren eher zwei oder drei üblich. Wir sind jedoch der Meinung, dass die Themen, die
bereits programmatisch aufbereitet sind, wichtig für die Kampagnen sind und sich zeitgleich
die anderen Themen programmatisch aufbauen lassen. Dort wollen wir in erster Linie einen
Diskussionsanstoß in den Verband geben. Man kann die Diskussion „Ist weniger mehr?“
natürlich immer führen. Bisher bekommen wir jedoch zu dieser Entscheidung durchweg gutes
Feedback aus dem Verband. Zudem ist es auch strategisch sinnvoll. Denn die erzielten
Ergebnisse können wir im kommenden Jahr in ausgereifter Form in die FDP bringen. Gerade
von dieser fordern wir ja immer, dass sie sich programmatisch breiter aufstellen muss. Da
sollten wir mit gutem Beispiel voran gehen.
J&L: Viel Erfolg bei der Arbeit und herzlichen Dank für das Gespräch.
„Umstellung nur mitSteuererhöhung zu schultern“Jan Dittrich, Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen erklärt imGespräch mit Carl Philipp Burkert das Arbeitsprogramm des Bundes-vorstandes und warum die Umstellung auf das kapitalgedeckte Ren-tensystem sofort kommen muss.
Diskussion während der JuLi Bundesvorstandssitzung im Niedersächsischen Landtag.Photos: Carl Philipp Burkert für Jung & Liberal
Unter der KuppelUnter der Kuppel
Unter der KuppelUnter der Kuppel
Unter der KuppelUnter der Kuppel Marcel Klinge
Die Junge Union gibt sich dieser Tage mal wie-
der postmodern. Mit großem Aufwand wurde
der Relaunch der eigenen Webseite bereits
Wochen vor dem offiziellen Start angekündigt und
der Internetnutzer richtig gehend heiß gemacht.
Vor allem mit einem außergewöhnlich frischem
Design, das extra für die gezielte Ansprache junger
Menschen entwickelte wurde, wollte man bei Inte-
ressenten punkten und damit jede Menge Mitglie-
der für die JU gewinnen – zumindest theoretisch.
Denn bei einem bereits flüchtigen Blick auf die
angeblich so freche neue Seite, stellt sich schnell
Ernüchterung ein. Schlichtes Blau und Orange prä-
gen das biedere Erscheinungsbild. Im Flash-Banner
grinsen dem User mit dem allerfeinsten Zahnpasta-
Lächeln die Jugendikonen Helmut Kohl, Angela
Merkel und Endmund Stoiber entgegen. Darunter
prangert – völlig beabsichtigt – der Satz: „Willkom-
men bei der Generation JU“, was im gleichen Atem-
zug die Frage aufwirft, auf welches Jahrhundert die
Verantwortlichen hier eigentlich genau anspielen.
Mehr zum Lachen hatten die Internet- und TV-
Nutzer indes beim Sat.1-Frühstücksfernsehen. Dort
gibt es schon seit einigen Jahren die Rubrik „Mor-
ning-Star“, in der zumeist Hobbysänger ihr ver-
meintliches Stimm-Talent vorstellen und sich via
Telefonabstimmung der Zuschauermeinung stellen.
Zu Gast war kürzlich auch JuLi-Vize Oliver Möllen-
städt. Natürlich nicht als Sänger, sondern als Zu-
schauer, gemeinsam mit weiteren Mitgliedern sei-
nes Kreisverbandes Bremen, die auf Abgeordneten-
fahrt die Bundeshauptstadt besuchten. Ihr Glück
versuchten in der Sendung diesmal drei stimmge-
waltige Damen mit einem ihrer Lieblings-Volksmu-
siklieder. Während ihrer heiteren Vorführung
schwenkte die Kamera mehrfach ins Publikum –
auf den sich stets vor Lachen krümmenden Möllen-
städt. Glaubt man dem stöhnenden Postboten,
dann gingen im Anschluss an die Sendung in der
Juli-Bundesgeschäftstelle tagelang hunderte Be-
schwerdebriefe von aufgebrachten Volksmusikfans
ein. Von offizieller Seite wurde dies bislang aber
noch nicht bestätigt.
Eine gewisse Anziehung scheint Oliver aber nicht
nur auf Musik- und Briefliebhaber auszuüben, son-
dern auch auf kleine Kinder. Als er sich vor einigen
Wochen in Köln bei strahlendem Sonnenschein ein
kühles Bier gönnte, lief ihm ein aufgeregter kleiner
Junge schreiend mit den Worten „Mami,
Mami“ in die Arme, was am Biergartentisch
natürlich prompt zu großer Erheiterung führ-
te. Weniger zu Lachen hatten der JuLi-Vor-
sitzende Jan Dittrich und Pressesprecher Mar-
cel Klinge im Rahmen ihrer Sommerpresse-
tour. Während dieser kurvten sie unter ande-
rem auch durch das sächsische Städtchen
Döbeln.
Ihre A-Klasse verfügte – beinahe so modern
wie die JU – auch über ein Radio-Navigations-
system. Doch je ausgefeilter die Technik, desto
größer die Probleme, das merkten auch die
beiden. Denn das Gerät kam mit den örtlichen
Gegebenheiten nicht zurecht und navigierte
sie unbemerkt von der falschen Seite in eine
Einbahnstraße. Etliche Passanten auf dem
Gehweg bemerkten das Missgeschick und woll-
ten die Auswärtigen mit wilden Armbewe-
gungen darauf aufmerksam machen. Da die
Sachsen jedoch für ihre Gastfreundlichkeit be-
kannt sind, grüßten Dittrich und Klinge – wie
es sich gehört – freundlich zurück, bis sie
selbst den tückischen Navigationsfehler be-
merkten.
Im Deutschen Bundestag schmökerte Ex-
Juli-Chef Daniel Bahr währenddessen in der
„BILD“-Zeitung und blieb bei einer amüsan-
ten Homestory im Gesellschaftsteil der renom-
mierten Tageszeitung hängen. Wenige Zeit
später zeigte er den Artikel seinem Vorgänger
im Amt des Bundesvorsitzenden, Michael
Kauch, der sich eigentlich gerne in den Boule-
vardteilen deutscher Zeitungen tummelt. Doch
so recht konnte er sich nicht für die Bild-Ge-
schichte erwärmen und kommentierte nach
einem flüchtigen Blick trocken: „Also so was
seriöses würde mir mein Büro nicht vorlegen“.
Vielleicht sollte er mal im neuen Online-
shop des Bundesverbands rein schauen. Neben
T-Shits, Tassen, Jacken und Schlüsselbändern,
gibt es dort nämlich seit Neustem auch Unter-
wäsche – genauer gesagt: Boxershorts und
Tangas. Dabei handelt es sich natürlich um
keine Gewöhnlichen. Die Teile wurden näm-
lich entsprechend veredelt mit dem Juli-Slogan
„Machen wir’s besser“. Der scheint eben nicht
nur in der Politik Gültigkeit zu haben.
I22liberal
inhalt I2
impressum
„jung & liberal“ ist das Mitgliedermagazin des Bundesverbandes der Jungen Liberalen. Es erscheint viermal jähr-lich. Zu beziehen ist „jung & liberal“ per Abonnement, der Jahresbezugspreis beträgt 5 Euro. Für Mitglieder derJungen Liberalen ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. „jung & liberal“ wird gefördert aus Mitteln desBundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).
Herausgeber: Bundesverband, Junge Liberale e.V., PF 540243, 10042 Berlin, Telefon 030-28388791, Telefax030-28388799, E-Mail [email protected], www.julis.de
Chefredaktion (V.i.S.d.P): Carl Philipp Burkert, Telefon 0721-3545944, [email protected]
Redaktion: Andreas Achtzehn, Patrick Arora, Jonas Hahn, Sven Janka, Sebastian Krell, Matthias Kussin, Petra Pabst, Christopher Vorwerk
Bildredaktion: Bernd Goldschmidt, Jonas Hahn, Ann-Kristin Hannel, Sebastian Krell, Stephan Redlich
Mitarbeit: Marco Buschmann, Marcel Klinge, Felix Marquardt, Joachim Stamp, Johannes Vogel, Stefan Wester-schulze
Auflage: 11 000
Titelfoto: Carl Philipp Burkert unter Mitwirkung von Ann-Kristin Hannel und dem „Aktiven Alter“, Karlsruhe.
Gestaltung: Löning Werbeagentur, Susanne Schuchardt
Mit dem Namen des Autors versehene Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.Nachdruck mit Quellenangabe erwünscht, Belegexemplar erbeten. Für unverlangt eingesandte Fotos undManuskripte übernehmen wir keine Haftung.
thema
Den Demographischen Wandel entschlossen anpacken Seite 04
Pro und Contra: Abwanderung aus dem Osten stoppen Seite 06
Die offene Gesellschaft und ihre Parteien Seite 08
„Die FDP in die Zange nehmen“ – Liberale Senioren im Gespräch Seite 10
Mein Leben 2050 Seite 11
freies denken
„Keine Spasspartei wie die FDP“ – Martin Sonneborn im Gespräch Seite 12
Joachim Stamp: Argumente statt Platitüden II Seite 13
Hartz IV oder Bürgergeld – Sozialstaat quo vadis? Seite 14
Kräftige Brise aus Nordwest – Der Windpark Butendiek Seite 16
liberal
Urwahl in NRW Seite 18
Aktionsberichte aus dem Verband Seite 19
Aktionsprogramm des Bundesvorstands Seite 20
Marcel Klinge: Unter der Kuppel Seite 22
Terminal D Seite 24
liberal I23
Zum Pro&Contra „Recht auf Privatko-
pie?“ Von Sebastian Marsching und
Marco Buschmann:
Die Fakten sind klar und deutlich.
Alleine im Jahr 2002 verursachten
“Copyfriends“ durch illegale Vervielfälti-
gungen von Musik, Software und Film
gigantische Milliardenverluste bei der
Unterhaltungsindustrie. Softwarekonzer-
ne erwirken Tausende von richterlichen
Anordnungen gegen Nutzer von Online –
Tauschbörsen und verklagen sie zu
knapp dreifachen Milliarden Schadens-
ersatzsummen.
Trotz dieser Drohungen sind viele
Unternehmen konzeptionslos und zerrei-
ßen sich selbst. Selbst Giganten wie Sony
verdienen auf der einen Seite sehr gut
durch den Verkauf von Brennern und
Rohlingen, auf der anderen Seite ver-
zeichnen sie auch einen unprognostizier-
baren Einbruch in ihre Musiksparte. Der
Verkauf von Brennern, den neusten
Abspielgeräten sowie von jährlich 486
Millionen Rohlingen in Deutschland –
das sind dreimal so viel wie zu Hoch-
Zeiten des Kassettenrecorders an Leer-
kassetten verkauft worden ist - symboli-
siert den starken Einfluss der Sparte bei
den Elektronikherstellern.
Da auch der neuste Kopierschutz
schnell geknackt wird, erprobt das deut-
sche Fraunhofer Institut, das einst
Formate wie MP3 erfand, eine Art von
digitalem Wasserzeichen, das jeden
Täter sofort identifiziert, der einen Film
oder Song als Erster ins Internet stellt.
Inwieweit es möglich ist, diesen Trend
anhand der Technik zu stoppen, ist noch
fraglich.
Seit Jahren drängen Musikkonzerne
die Regierungen in Europa und den USA,
die Gesetzesgrundlage zu verschärfen.
Im Laufe der Zeit wird sich zeigen, in-
wieweit es möglich ist, solche konse-
quenten Gesetze durchzuführen.
Pascal Barkhausen
Leserbriefe
Zu „Mir gehört die Autobahn“ von Andreas Achtzehn:
Ich bezweifle den Sinn der Privatisierung von Straßen zur
Sanierung des maroden Staatshaushaltes. Die Straße ist ein
Umweltgut, das natürliche Potenziale besitzt, also Dienst-
leistungskapazitäten, die mehrfach in Anspruch genommen
werden können. Umweltgüter basieren zudem auf der
Annahme der absoluten Knappheit, das heißt sie sind nicht
reproduzierbar. Die Substituierbarkeit von Straßen ist eben-
falls starkt eingeschränkt. Die Nutzung von knappen Gütern
führt früher oder später zu einer Überschreitung der Nutz-
ungsgrenze. Dies führt zu Erschöpfungsproblemen wie Staus
und zerstörten Fahrbahnen.
An dieser Stelle kommt der Ruf nach Privatisierung der
Straße, was im Grunde der Regulierung der Nutzung über
den Preis entsprechen würde. Damit werden Personen von
der Nutzung der Straße ausgeschlossen, die es sich finan-
ziell nicht leisten können. Dieser Marktmechanismus führt
zu einer ineffizienten Allokation der Straße, da keine
Verteilung über die Nutzenstiftung stattfindet, sondern
allein über den Preis.
Öffentliche Güter sind dadurch gekennzeichnet, dass kein
Preis, aber eine relative Knappheit, in Bezug auf die
Nutzung, vorhanden sind. Öffentliche Straßen sind hier ein
Beispiel, für deren Nutzung kein Preis bezahlt werden muss.
Daher kommt es zu einer starken Nutzung dieses Gutes – es
bilden sich Staus auf den Straßen, wodurch deren Nutzung
eingeschränkt ist, wovon niemand etwas hat. Unter diesen
Gesichtspunkten wäre die Privatisierung von Straßen even-
tuell sinnvoll, doch dabei muss immer das gesamte Umfeld
betrachtet werden.
Im Fall der Privatisierung von Straßen würden Mautstellen
errichtet werden, an der der Autofahrer einen Preis für die
Nutzung der Straße zu bezahlen hat. Dieses würde im
Gegenzug zur Präferenzverlagerung von privaten auf öffent-
liche Straßen führen, auf denen es zur Übernutzung kommt.
Am Ende hat niemand etwas von der Privatisierung:
Weder die Nutzer, noch die Gesellschaft, die die private
Straße betreibt. Sie bleibt auf ihren Kosten sitzen, die bei-
spielsweise durch den Erwerb der Straße und die Errichtung
der Mautstellen entstanden sind. Im Gegenzug wird das
Gemeinlastprinzip für die Reparatur der öffentlichen Straße
aufkommen. Dieses geht auf die Kosten der Bevölkerung, da
das Gemeinlastprinzip über Steuergelder und Abgaben
finanziert wird. Die Privatierung von Straßen würde also nur
Sinn ergeben, wenn alle Straßen privatisiert würden, um
möglichen Präferenzverlagerung zu unterbinden.
Michael Fichtner
i I I / 2 0 0 4
[M i t g l i e de rmaga z i n de r J ungen L i b e r a l e n ]
F 54017
Allein unter AltenZum Umgang mit dem Demographischen Wandel
terminal D I24
GegendarstellungMartin Woestmeyer ist, anders
als in der vergangenen Aus-gabe erwähnt, 33 Jahre alt.Auch hat er sich mittlerweilevom Studentenstatus getrenntund arbeitet nun als Verkaufs-
leiter einer Privattheater-gruppe.
Wir bitten um Entschuldigung.
AusblickDie Winterausgabe des
Jung & Liberal beschäf-
tigt sich mit demThema Ökologie.
Redaktionsschluss ist
am 19. November 2004