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Auf die Frage nach Licht oder Finsternis gibt das Neue Testament eine eindeutige Antwort. Zu Beginn der Lazarusperikope erklärt Jesus: „Wer bei Tag umhergeht, stolpert nicht, weil er das Licht dieser Welt vor Augen hat. Wer aber bei Nacht umher- geht, der stößt an, weil er nichts mehr sieht.“ (Johannes 11,9 f.) Zuvor hatte er seinem nächtlichen Be- sucher Nikodemus erklärt: „Wer Böses tut, hasst und meidet das Licht, damit seine Taten nicht zu Tage tre- ten. Wer aber die Wahrheit tut, der tritt ans Licht, damit seine Taten sichtbar wer- den, denn sie sind in Gott getan.“ (Johan- nes 3,20 f.) Aufgrund dieser Lebenserfahrung hätte die Menschheit in der Frage nach Gott, in dem sie immer schon, eindrucks- voll im altägyptischen, altbabylonischen, aber auch im hellenistischen und altger- manischen Mythos die Quelle des Lichts erblickte, eindeutig votieren müssen. Nach Ausweis der Religionsgeschichte geschah das aber nur unter einem schwe- ren Vorbehalt. Unter dem Eindruck der „Tragik im Weltenlauf“ (Bernhart) und der auch jedes Einzelleben belastenden Unheilserfahrung wurde Gott vielmehr ambivalent (Görg) als Koinzidenz von Licht und Finsternis, von Mysterium fasci- nosum und Mysterium tremendum gedacht, weil nur ein Gott, der ebenso schrecklich wie liebenswert war, die düsteren und er- schreckenden Geschichtserfahrungen zu erklären schien. Zwar vollzog Israel den für die Religionsgeschichte entscheiden- den Durchbruch zur Erkenntnis der per- sonalen Einheit Gottes. Doch sprach sich der Religionsphilosoph Martin Buber da- für aus, dass seine Glaubensgemeinschaft ihren „grausamen und gütigen“ Herrn im Wechsel seiner Erscheinungsweisen stets wiedererkennen solle. So blieb es auch bei der Religion, die wie keine zuvor von der Liebe und Treue ihres Bundesgottes ge- sprochen hatte, bei der den Gottesbegriff von Anfang an verschattenden Ambiva- lenz. Das muss man sich vor Augen halten, wenn die religionsgeschichtliche Großtat Jesu angemessen gewürdigt werden soll. Sie besteht in seinem wahrhaft revolutio- nären Eingriff ins Gottesbild der Mensch- heit, durch den er den aus Angst und Hoffnung gewobenen Schleier von die- sem Bild entfernte, um das wahre Antlitz Gottes zum Vorschein zu bringen; denn „Gott ist Licht, und Finsternis ist nicht in ihm“ (1 Johannes 1,5). Die Tragik gerade auch des vom Chris- tentum durchmessenen Geschichtsver- laufes besteht darin, dass sich die Chris- tenheit nicht auf der Höhe der Gottesent- deckung Jesu zu halten vermochte. Schon die Apokalypse mit ihrer furiosen Be- schwörung der göttlichen Strafgerichte steht in schreiendem Gegensatz zu dem von Jesus entdeckten „Vater der Erbar- mungen und Gott allen Trostes“ (2 Ko- rinther 1,2). Erst recht lässt Tertullians sa- distisches Vergnügen angesichts der von ihm ausgemalten Höllenqualen die Christenverfolger auf einem Absturz in die Rachegefühle stürzen, die nach Nietz- Seite 62 Nr. 409 · Dezember 2003 Der Glaube an Christus bedeutet Angstüberwindung Licht oder Finsternis? Eugen Biser

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licht

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  • Auf die Frage nach Licht oder Finsternisgibt das Neue Testament eine eindeutigeAntwort. Zu Beginn der Lazarusperikopeerklrt Jesus:

    Wer bei Tag umhergeht, stolpertnicht, weil er das Licht dieser Welt vorAugen hat. Wer aber bei Nacht umher-geht, der stt an, weil er nichts mehrsieht. (Johannes 11,9 f.)

    Zuvor hatte er seinem nchtlichen Be-sucher Nikodemus erklrt:

    Wer Bses tut, hasst und meidet dasLicht, damit seine Taten nicht zu Tage tre-ten. Wer aber die Wahrheit tut, der trittans Licht, damit seine Taten sichtbar wer-den, denn sie sind in Gott getan. (Johan-nes 3,20 f.)

    Aufgrund dieser Lebenserfahrunghtte die Menschheit in der Frage nachGott, in dem sie immer schon, eindrucks-voll im altgyptischen, altbabylonischen,aber auch im hellenistischen und altger-manischen Mythos die Quelle des Lichtserblickte, eindeutig votieren mssen.Nach Ausweis der Religionsgeschichtegeschah das aber nur unter einem schwe-ren Vorbehalt. Unter dem Eindruck derTragik im Weltenlauf (Bernhart) undder auch jedes Einzelleben belastendenUnheilserfahrung wurde Gott vielmehrambivalent (Grg) als Koinzidenz vonLicht und Finsternis, von Mysterium fasci-nosum und Mysterium tremendum gedacht,weil nur ein Gott, der ebenso schrecklichwie liebenswert war, die dsteren und er-schreckenden Geschichtserfahrungen zuerklren schien. Zwar vollzog Israel denfr die Religionsgeschichte entscheiden-

    den Durchbruch zur Erkenntnis der per-sonalen Einheit Gottes. Doch sprach sichder Religionsphilosoph Martin Buber da-fr aus, dass seine Glaubensgemeinschaftihren grausamen und gtigen Herrn imWechsel seiner Erscheinungsweisen stetswiedererkennen solle. So blieb es auch beider Religion, die wie keine zuvor von derLiebe und Treue ihres Bundesgottes ge-sprochen hatte, bei der den Gottesbegriffvon Anfang an verschattenden Ambiva-lenz.

    Das muss man sich vor Augen halten,wenn die religionsgeschichtliche GrotatJesu angemessen gewrdigt werden soll.Sie besteht in seinem wahrhaft revolutio-nren Eingriff ins Gottesbild der Mensch-heit, durch den er den aus Angst undHoffnung gewobenen Schleier von die-sem Bild entfernte, um das wahre AntlitzGottes zum Vorschein zu bringen; dennGott ist Licht, und Finsternis ist nicht inihm (1 Johannes 1,5).

    Die Tragik gerade auch des vom Chris-tentum durchmessenen Geschichtsver-laufes besteht darin, dass sich die Chris-tenheit nicht auf der Hhe der Gottesent-deckung Jesu zu halten vermochte. Schondie Apokalypse mit ihrer furiosen Be-schwrung der gttlichen Strafgerichtesteht in schreiendem Gegensatz zu demvon Jesus entdeckten Vater der Erbar-mungen und Gott allen Trostes (2 Ko-rinther 1,2). Erst recht lsst Tertullians sa-distisches Vergngen angesichts der vonihm ausgemalten Hllenqualen dieChristenverfolger auf einem Absturz indie Rachegefhle strzen, die nach Nietz-

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  • sches Antichrist im Christentum formbe-stimmend wurden. Theoretisch rechtfer-tigt Augustinus diese Abkehr. Whrender noch in seinen Frhschriften die Ge-waltlosigkeit Jesu rhmte, der nichtsdurch Gewalt, sondern alles auf persuasi-vem und appellativem Weg (suadento etmonendo) bewirkte, betont er in denSchriften der Sptzeit, wie sehr er Gewaltausgebt und insbesondere die Dmonennon sermone suasionis, sed vi potesta-tis ausgetrieben habe. Unter dem Ein-druck der Vandaleneinflle und des Ver-falls des Imperium Romanum war Augus-tinus nach Ausweis seiner Civitas Dei zudieser pessimistischen und zunehmendrigoristischen Denkweise gelangt; dennfr ihn war damit der Herbst der Weltge-schichte angebrochen, in dem es nur nochErmdung und Verfall gab, sodass allesaus den Fugen gert und dem Endgerichtentgegentreibt. Zwar gibt es den allesordnenden gttlichen Weltenplan; dochder bleibt dem sich bei der Betrachtungdes Weltgeschehens zersplitterndenGeschichtsdenker unbekannt: At ego intempora dissolui, quorum ordine nescio.Auch die Menschheit zersplittert fr ihnin die Gruppe der Auserwhlten und diemassa peccati, der zur Verdammnis Vor-herbestimmten. Heil gibt es nur noch inder Zuflucht zu dem einzigen Erlser undder als Erziehungsinstanz und Heilsan-stalt geltenden Kirche.

    Damit waren gleicherweise die Wei-chen fr das Mittelalter wie fr die Re-formation gestellt fr das Mittelalter, daswie in einer epochalen Extrapolation dieEntwicklung Augustinus vom Weisheits-denker der Frhschriften bis zum Prdes-tinationstheologen seiner Sptzeit nach-vollzog, und frmmigkeitsgeschichtlichgesehen, von der Hhe der Mystik in dieGottesverdsterung seiner Endphase ab-strzte; aber auch fr die Reformation, diemit der Frage des vom Bild des Welten-richters erschtterten Luther nach demgndigen Gott ihren Anfang nimmt und

    sich im Calvinismus dem Prdestina-tionsglauben des spten Augustinus ver-schrieb.

    Auf der Suche nach Grnden dieserGottesverfinsterung (Buber) gibt Augus-tinus den wohl wichtigsten Fingerzeig.Es war die Atmosphre der Gewalt, ins-besondere auch der gegen anders den-kende Christen gebten Gewalt, die Au-gustinus nach anfnglichem Zgern mitdem Satz befrwortet, dass es zwar diebesseren sind, die sich durch Liebe len-ken lassen, dass aber die meisten durchFurcht bewogen werden. Das steigertesich im Mittelalter durch die Katharer-verfolgung und die Kreuzzge und imGefolge der Reformation durch die In-quisition und die Religionskriege. Auchwenn sich Philosophie und Theologienoch so gerne dem Wahn berlieen,ihre Forschung unbetroffen vom Zeitge-schehen zu betreiben, so beweist dochdas Ergebnis das Gegenteil. Im Dies iraeder Totenmesse verwandelt sich der Er-lser in den Rex tremendae maiestatis, denMichelangelo in seinem Jngsten Gerichtin einer selbst die Gottesmutter in Schre-cken versetzenden Weise in Szene setzt.Im Denken Descartes wird Gott zu derden Menschen niederzwingenden ber-macht und in Kants Kritik der reinen Ver-nunft sich selbst zu einer unbeantworte-ten Frage. Zwar kommt in der Folge auchdas Lichtmotiv wieder zur Geltung; dochhandelt es sich dabei nicht um das jenesGottes, der Licht ist und nicht Finster-nis, sondern um das Licht der Vernunft,in dem sich die Aufklrung sonnte, bisdas Erdbeben von Lissabon (1755) unddie Schreckensherrschaft der Franzsi-schen Revolution ihre Schatten ber dievon Leibniz postulierte beste aller Wel-ten warfen. Und dies mit der Sptfolge,dass Martin Buber unter dem Eindruckdes Holocaust geradezu von einer Got-tesfinsternis sprach und Hans Jonasdem Gottesbegriff die Attribute der All-macht und Allbarmherzigkeit abspre-

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  • chen konnte. Wie aber gestaltete sich dieneuere Entwicklung?

    Die GotteskriseAuch wenn das Zweite Vatikanum lngstnicht in seiner Bedeutung als das der Kir-che gegebene rettende Zeitzeichen begrif-fen wurde, kam es in seinem Gefolge dochzu einer entscheidenden Auflichtung desGottesbildes, und dies vor allem auf-grund seiner Sptfrucht, der aus seinemGeist hervorgegangenen Jesusliteraturder Siebzigerjahre des vorigen Jahrhun-derts, die sich, zusammen mit der GestaltJesu, auch dem von ihm entdeckten, ver-kndeten und gelebten Gott der Erbar-mung und Liebe zuwandte. Das machtvor allem der sich in dieser Literatur ab-spielende Positionswechsel Jesu deutlich.Denn in ihr stieg der von Guardini ge-wrdigte Herr vom Thron seines Her-rentums herab, um den Menschen alsBruder (Ben-Chorin), Helfer undFreund (Biser) entgegenzugehen undsie zur Freundschaft mit sich (Schna-ckenburg) einzuladen, um ihnen seinAntlitz zuzuwenden und ihnen als in-wendiger Lehrer einzuwohnen.

    Unter dem Eindruck des freiheitlichenAufbruches, der mit dem europischenZusammenschluss die Utopie des ewi-gen Friedens (Kant) in greifbare Nhercken lie, brach nicht nur der geradedas vorige Jahrhundert verdsterndeBann der Gewalt; vielmehr lie dieses mitdankbar groen Lettern an die Wand derEpoche geschriebene Zeitzeichen, in sei-ner theologischen Bedeutung begriffen,auch die durch die Aufklrung in Ab-rede gestellte Auferstehung Jesu wiederdenkbar werden. So htte alles dafr ge-sprochen, dass sich eine davon inspirierteTheologie definitiv auf die Mitte desEvangeliums besonnen und den durch Je-sus geltend gemachten und durch seineAuferstehung besiegelten Gott der bedin-gungslosen Liebe ins Zentrum ihrer Aus-sage gestellt htte.

    Doch das Gegenteil des Erhofften tratein. Synchron mit der Zurcknahme derErrungenschaften des Konziles griff eineVerdsterung des Gottesbildes um sich,die in der Rede vom verborgenen Ge-sicht Gottes, in Abhandlungen ber dieGerichtspredigt (Reiser) und Ge-richtsverkndigung Jesu (Riziker), ge-steigert zu der These von der Aktualittder ungeliebten biblischen Traditionvom Zorn Gottes (Miggelbrink), ihrenAusdruck fand. Gleichzeitig zeigte sicheine magebliche Theologenkonferenzzu einer Diskussion der DunkelseiteGottes veranlasst.

    Diese Faszination durch die Dunkel-seite eines drohenden und zornigen Got-tes ist umso bestrzender, als sie mit derBehauptung begrndet wird, dass ein lie-bender und als solcher alles hinnehmen-der Gott sich als wirkungslos und letzt-lich entbehrlich erweise, zumal der g-tige Vater jeden Zug des Autoritren, desNormvorgebenden verloren habe, wh-rend der Gott der Drohung, des Zornesund des Gerichtes sich als der wahrhaftgeschichtsmchtige erweise. Damit gertdie These freilich in eine denkbar prekreFalle. Wie sich die Kirchen bei aller Kritikder Aufklrung von deren Leitfigur Kanteinreden lieen, dass Religion nur nochinnerhalb der Grenzen der bloen Ver-nunft und somit als Moral mglich unddem modernen Menschen zu vermittelnsei, so verfngt sich die These von der Ge-schichtsmchtigkeit des zornigen Gottesin der Christentumskritik Nietzsches, derausgerechnet in seinem Antichrist dieFrage stellt:

    Was lge an einem Gott, der nichtZorn, Rache, Neid, Hohn, List, Gewalttatkennte? Dem vielleicht nicht einmal dieentzckenden ardeurs des Sieges und derVernichtung bekannt wren? Man wrdeeinen solchen Gott nicht verstehen: Wozusollte man ihn haben?

    Das unterbaute Nietzsche, wie zuvorschon in seinem Zarathustra, mit der von

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  • Heine bernommenen Idee einer Eutha-nasie Gottes, der seine Karriere als Zornund Rache speiender orientalischer Des-pot begann, in der Berhrung mit derbabylonischen Zivilisation dann aberzunehmend philanthropologische Zgeannahm und sogar den alten Jupitervom rmischen Kapitol verdrngte, umschlielich, zum allgemeinen Weltbegl-cker geworden, an seinem Mitleid zu er-sticken.

    An dieser antichristlichen Besttigungmsste sich sptestens die Einsicht in deneingeschlagenen Irrweg entznden, zu-sammen mit dem Entschluss, endlich demmit unbersehbar groen Lettern an dieWand der Epoche geschriebenen Zeitzei-chen in Gestalt des freiheitlichen Aufbru-ches von 1989 Rechnung zu tragen, zumaldieser als sanfte, dafr aber umso ge-schichtswirksamere Revolution in das Ge-dchtnis der Menschheit einging und alssolche nach einer theologischen Wrdi-gung schreit. Sofern damit der Bann derKriegsdrohung von Europa abfiel, war dieBlockade gefallen, die zuvor eine Rckbe-sinnung auf die Gottesbotschaft Jesu, alsoauf den Gott der Bedingungslosen, selbstdie Undankbaren und Bsen umfangen-den Liebe (Lukas 6,35) im Wege stand.Gleichzeitig war aber auch das Hemmnisbeseitigt, das zuvor der Denkbarkeit derAuferstehung Jesu, die dieses Gottesbildbesiegelte und krnte, entgegenstand.Denn nach dem Verdikt der Aufklrungwar ein gttlicher Eingriff in die Ge-schichte und damit die unerlssliche Vo-raussetzung des Osterglaubens undenk-bar, weil er jede Geschichte unmglichgemacht htte (Strau). Wenn aber selbstdie Summe aller empirischen Ursachennicht fr eine berzeugende Erklrungder sanften Revolution von 1989 ausreicht,bleibt nur die Entscheidung zwischen ei-nem Erklrungsverzicht und der An-nahme eines gttlichen Eingriffes, wennauch nicht im Sinne einer empirischen Er-klrung. Nahezu gleichzeitig mit David

    Friedrich Strau, der das historische Ver-dikt ber den Auferstehungsglauben ver-hngte, brachte aber Martin Deutingerden genialen Gedanken ins Spiel, dassGott nicht als der Creator, sondern als derGenitor der Geschichte zu gelten habe.Doch damit brachte er nicht nur den vonStrau erhobenen Einwand zu Fall. Viel-mehr stellte er, wenngleich unbewusst,sein Geschichtsmodell in Beziehung zumEreignis der Auferstehung, das gleichfallsnur genealogisch, als Aufnahme des Ge-kreuzigten in ein transkreatrliches Got-tesverhltnis, das ihn als Gottessohn be-sttigt, gedacht werden kann. So aberstirbt Jesus in einer Weise in die Liebe Got-tes hinein, dass sein Tod am Kreuz damitals die hchste Manifestation dieser Liebeausgewiesen wird. Er besiegelt in denkbarhchster Weise die Liebe, die er in Gott ent-deckt, die er verkndet und gelebt hatteund in die er sterbend aufgenommenwurde. Da die Auferstehung aber als dergrte Selbsterweis Gottes in der Mensch-heitsgeschichte zu gelten hat, der, um mitNietzsche zu reden, das Tor zu einer h-hern Geschichte aufstie, bricht der vonder Gegenwartstheologie in fataler ber-einstimmung mit dem Verfasser des Anti-christen erhobene Einwand in sich zusam-men: Nicht der Gott des Zornes und desGerichtes, sondern der Gott der Liebe istder wahrhaft geschichtsmchtige und ge-schichtswirksame.

    Die AufgabeDamit stellt sich der Gegenwartstheolo-gie ein kaum auszumessendes Aufgaben-feld. Zunchst gilt es fr sie, den, um esmilde auszudrcken, Rckstand auf-zuholen, in dem sie sich im Vergleich zurGottesverkndigung Jesu befindet. Indem Ma, wie ihr das gelingt, gewinnt siedann auch die fr sie unerlsslicheGleichzeitigkeit sowohl mit Jesus als auchmit der Gegenwart. Die Gleichzeitigkeitmit der Gegenwart ist deshalb so bedeut-sam, weil in ihr die neutestamentliche

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  • Botschaft auf eine nie dagewesene Weiseans Licht drngt, sodass sie letztlich nurin diesem Licht deutbar ist. Das zeigt sichnegativ schon daran, dass mit dem Abbauder durch Skularismus und Reduktio-nismus zurckgedrngten christlichenPosition eine der urchristlichen vergleich-bare Situation entstanden ist, in der dasChristentum in der Gemengelage religi-ser und skularer Heilsangebote unterzu-gehen droht. Und das nicht nur faktisch,sondern im Gefolge der relativistischenReligionstheorie auch theoretisch. Wasdamals die Folge des Aufbruchs aus win-zigen Anfngen war, ist heute die einerdrohenden Schwundstufe, sodass allesdarauf ankme, diese in einen Neubeginnumzuwenden.

    Wie damals ginge es bei der ersten die-ser Konsequenzen darum, die sich derHeilsbotschaft entgegenstellenden Wi-derstnde niederzuringen, paulinischausgedrckt, alle Bollwerke und Ideolo-gien, die sich gegen die Erkenntnis Gottesauftrmen (2 Korinther 10,4). Dabei gehtes heute noch vor der Bekmpfung vonSkularismus und Reduktionismus umdie Beseitigung der inneren Hemmnisse,die das Christentum nicht zu sich selbstkommen lassen. Bei der Suche danachgibt der unversehens aufgewertete Gottdes Zornes einen wichtigen Hinweis.Denn Zorn, Gericht und Strafe sind ge-nuin ethische Begriffe. Ihre Konjunktur inder theologischen Reflexion der Gegen-wart ist darin begrndet, dass sich dieChristenheit von Aufklrungsdenkernwie Lessing und Kant einreden lie, dasssie in der modernen Gesellschaft nur nochals moralische Religion berleben knne.Das aber hatte die hchst bedenkliche moralische Kopflastigkeit in der Selbst-darstellung des heutigen Christentumszur Folge. Zwar sah es sich dabei durchbiblische Zeugnisse besttigt, in denenvom glhenden Zorn und der strafendenHeimsuchung des Bundesgottes Israelsdie Rede war. Dabei handelte es sich je-

    doch um Zeugnisse einer Religion, die ei-ner gttlichen Weisung entstammt undals der Prototyp einer genuin moralischenReligion zu gelten hat. Das Christentumaber ist von seinem Ursprung her keineasketische und moralische, sondern einetherapeutische und mystische Religion.In seinem Zentrum steht, wie Kierke-gaard in der sein Lebenswerk krnendenEinbung im Christentum herausgestellthat, der Helfer, der sich der Bedrcktenund Beladenen aller Zeiten mit der einla-denden Zusicherung zuwendet: Ich willeuch Ruhe geben. (Matthus 11,28)

    So erstaunliche Ergebnisse die histori-sche Kritik erzielte, erwies sie sich doch,zumal in ihrer exklusiven Anwendung,als eine Methode des toten Buchsta-bens, deren Stellenwert sich aus der Er-kenntnis ergibt, dass das Evangelium dieGeschichte Jesu dreifach erzhlt: histori-sierend in der untersten Schicht, illumi-nierend in der Mittelschicht und referie-rend in der Oberschicht. Dabei geht es zu-nchst um die quasi biografische Bericht-erstattung ber Leben und Leiden Jesu.Darber wlbt sich sodann ein Bilder-fries, der dieselbe Geschichte rcklufig,von ihrem Ende in der Auferstehung Jesuher erzhlt. Auf der durch das Johannes-evangelium markierten hchsten Refle-xionsstufe aber lsst es seinen Gegen-stand selbst zu Wort kommen, sodass Je-sus hier seine Geschichte selbst erzhlt.Hier aber spricht Jesus dem Johannespro-log zufolge aus der Position des vom Her-zen Gottes Herabgestiegenen, dessen Bot-schaft in einer fortwhrenden Selbstaus-sage besteht, weil er im Unterschied zu al-len anderen Religionsstiftern nicht nureine Botschaft hat, sondern diese seineBotschaft als das menschgewordene Got-teswort gilt.

    Die DifferenzDamit ist ein Kriterium gewonnen, dasebenso zur berwindung der fast obliga-torisch gewordenen Querschnittslek-

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  • tre der neutestamentlichen Schriftenwie zu deren authentischen Entschlsse-lung verhilft. Wenn diese gelingen soll,muss dem Gesagten zufolge Jesus selbstals Schlssel und Interpretement an dievon ihm handelnden Schriften und aneine jede ihrer Aussagen herangetragenwerden. Dann gewinnen die mit ihmkonformen erst ihre volle Leuchtkraft,whrend die gegenstrebigen verblassen.Das gilt dann auch fr das Verhltnis derbeiden Testamente. Sosehr Jesus in derReihe der alttestamentlichen Prophetensteht, berragt er diese doch durch dievon ihm vollzogene Innovation. Wh-rend der Prophet Jesaia Gott ebenso alsden Bildner des Lichtes wie als denSchpfer der Finsternis bezeichnet (Je-saia 45,7), betonen die johanneischenSchriften:

    Dies ist die Botschaft, die wir von ihmgehrt und euch verkndet haben: Gottist Licht, und Finsternis ist nicht in ihm. (1 Johannes 1,5)

    Die christliche AntitheseDas ist die christliche Antithese zurGottesvorstellung des Judentums und,nach Ausweis der Religionsgeschichte,der ganzen Menschheit. Wenn es nachHorkheimer die Aufgabe der Philosophieist, das Schweigen der Opfer des Terro-rismus zur Sprache zu bringen, ist es diedenkbar grte und aktuellste Aufgabeder Theologie, diese von ihr verschwie-gene Botschaft wiederzuentdecken undihr gegen alle Widerstnde Gehr zu ver-schaffen. Dabei zerrinnt das Vorurteil,dass nur ein zorniger Gott geschichts-mchtig sei, in nichts. Zwar spricht Jesusnicht wie Marx von der Aufgabe, die Weltzu verndern, wohl aber von seiner Ab-sicht, Feuer auf die Erde zu werfen (Lu-kas12,49) und diese dadurch in Brand zusetzen (Machovec). Bei den innerenWiderstnden sind insbesondere diejeni-gen zu brechen, die sich der Zentralbot-schaft Jesu in Gestalt der sein Erlsertum

    funktionalisierenden Satisfaktionstheorieund der sie verzweckenden Angstpda-gogik entgegensetzen. Gemessen an derSatisfaktions- und Rechtfertigungslehreist nichts notwendiger als die Einsicht: Je-sus ist im hchsten Sinn des Wortes um-sonst gestorben; denn sein Tod warkeine ihm abverlangte Shneleistung,sondern, wie sogar Nietzsche erkannte,die strkste Probe und der Beweis sei-ner Lehre, der von ihm sterbend er-brachte hchste Selbsterweis.

    Gleiches gilt fr die allen christlichenKonfessionen gemeinsamen Strategie,ihre Glubigen durch die Suggestion vonGewissens-, Snden-, Gerichts- und Hl-lenngsten zur Akzeptanz ihrer Ange-bote und Direktiven zu bewegen. Dochdas Christentum ist die einzige Religion,die es ebenso wie mit dem Tod mit dessenVorboten, der Angst, aufgenommen hatund deshalb als die Religion der Angst-berwindung gelten muss. Von seinerMitte her ist es die allzu oft in eineKriegserklrung umgeflschte denkbargrte Liebeserklrung Gottes an dieMenschheit; sie msste von der sich ihrerAufgabe bewusst gewordenen Theologieals solche erwiesen und mit allem Nach-druck herausgestellt werden.

    Wie die konfessionellen Gegenstzeihre letzten Ursachen in emotionalen Vor-behalten haben, so ist es auch hier. Wassich in letzter Instanz der Liebesbot-schaft des Evangeliums entgegensetzt,ist, um wiederum mit Nietzsche zu reden,der von diesem als Zwang und Satzungdefinierte Geist der Schwere, der letzt-lich der von Joseph Ratzinger diagnosti-zierten Liebesunfhigkeit des Menschenentstammt. Aufgrund seines konstituti-ven Selbstzerwrfnisses kann es diesernicht fassen, von Gott geliebt zu sein, so-dass er sogar, wie der tragische Verlaufder Lebensgeschichte Jesu nur zu deut-lich beweist, dagegen wie gegen eine Zu-mutung aufbegehrt. Gegen diesen Un-geist msste ein Exorzismus angesetzt

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  • werden. Doch worauf knnte sich diesersttzen?

    Wenn sich Faust bei seinem berset-zungsversuch des Johannesprologes zu-letzt auf den Geist beruft, der ihm diefatale Wendung Im Anfang war die Tateingibt, meint er den Zeitgeist, der ihmdiesen Satz wie eine auf Marx vorauswei-sende Prognose eingibt. Doch nach demEnde der Schreckenszeit des vorletztenJahrhunderts nahm der Zeitgeist offen-sichtlich einen dazu gegensinnigen Ver-lauf, der der Gegenwart das Geprge ei-ner Zeit der sich Zug um Zug realisieren-den Utopien verleiht. Das kndete sichbereits an, als Freud in seinem Unbehagenin der Kultur (1930) der damals einsetzen-den Hochtechnik nachsagte, dass sie mitihren Hervorbringungen uralte Mensch-heitstrume verwirkliche und dabei gtt-liche Attribute in die Verfgungsgewaltdes sich zu einem Prothesengott auf-blhenden Menschen bringe. Was er vor-aussah, wurde von der Entwicklung derFolgezeit Schritt fr Schritt eingeholt, inder die Technik zunehmend das philoso-phische Grundproblem, die Verhltnis-bestimmung von Mglichkeit und Wirk-lichkeit, an sich riss. War aber nicht auchdas Zweite Vatikanum die Realisierungeines die Kirche vor der Selbstverschlie-ung in ein geistiges Ghetto bewahren-den Utopie? Und galt das nicht erst rechtfr die sanfte Revolution von 1989, diezur Verwirklichung des von Novalis be-schworenen Traumes von einem geeintenEuropa fhrte? Wenn aber dieses Ereignisletztlich nur als Folge einer gttlichenIntervention ins Weltgeschehen zu erkl-ren ist, darf Gottes Beistand auch fr denGang der Glaubens- und Kirchenge-schichte angenommen werden. Hatte Al-fred Loisy mit seinem bekannten WortJesus verkndete das Reich Gottes undgekommen ist die Kirche noch auf dieDifferenz der beiden Gren abgehoben,so arbeitet das heutige Zeitgescheheneher darauf hin, dass sich die Utopie Jesu

    vom Gottesreich (Weder) mehr und mehrin der sich kumenisch ffnenden Kirchekonkretisiert. Schwerlich knnte das sogesagt werden, wenn nicht gewichtigeGrnde dafr sprchen. Vor allem dieTatsache, dass die als Anbruch seinerWiederkunft zu verstehende Auferste-hung Jesu heute wie kaum einmal zuvorals Glauben stiftendes und geschichtsbe-stimmendes Faktum an der Zeit ist.Nicht umsonst besteht die wohl wich-tigste theologische Konsequenz des frei-heitlichen Zeitzeichens darin, dass diedurch die Aufklrung tabuisierte Aufer-stehung Jesu wieder denkbar wurde.

    Kaum weniger fllt dafr aber auchdie Tatsache ins Gewicht, dass das religi-se Geschehen im Zeichen einer glau-bensgeschichtlichen Wende steht, diedurch die Wende vom Gehorsams- zumVerstehensglauben, vom Bekenntnis-zum Erfahrungsglauben und vom Leis-tungs- zum Verantwortungsglauben ge-kennzeichnet ist und die ihr Ziel in derWende vom Gegenstandsglauben zumInnerlichkeits- und Identittsglauben er-reicht. So wie sich das Christentum in sei-ner angstberwindenden Effizienz alstherapeutische Religion erweist, besttigtsie sich hier in ihrer mystischen Quali-fikation. Denn die glaubensgeschichtli-che Wende hat ihre Achse und ihr Zen-trum darin, dass der Geglaubte im Glau-ben der Seinen zu sich selbst erwachtund, wie es der Neutestamentler AlfredWikenhauser von Paulus sagte, in ihnenauflebt. Darin besteht fr sie das geheim-nisvolle Leuchten, wie es Kafkas un-glcklicher Mann vom Lande im Inner-sten des von ihm vergeblich gesuchtenGesetzes wahrnahm. Nur sollten siesich nicht so wie er von der Gestalt desTrhters und von der durch ihn verkr-perten Institution abschrecken lassen,sondern im Vertrauen auf das ihnen ent-gegenstrahlende Licht das Licht desvon Jesus entdeckten und gelebten Gottes den Eintritt wagen.

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