keine gnade im fall templ_ wiener journalist muss ins gefängnis - nzz europa

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Keine Gnade im Fall Templ Wiener Journalist muss ins Gefängnis Der österreichische Journalist Stephan Templ muss am nächsten Montag seine einjährige Haftstrafe antreten. Gnadenappelle in dem international beachteten Fall zeigten keine Wirkung. Der österreichische Journalist Stephan Templ, ein FeuilletonMitarbeiter der NZZ sowie der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», muss am kommenden Montag um sechs Uhr morgens seine einjährige Haftstrafe antreten. Sein Vergehen: Er hatte in einem Restitutionsverfahren, in dem es um ein «arisiertes», seinen jüdischen Vorfahren von den Nazis geraubtes Sanatorium in der vornehmen Wiener Josefstadt ging, auf einem Antragsformular nur den Namen seiner Mutter als Berechtigte und nicht auch jenen der Tante angegeben, mit der seine Familie schon lange keinen Kontakt mehr gehabt hatte. Ein strafrechtlicher Fall Das Gericht machte aus einem zivilrechtlichen einen strafrechtlichen Fall: Der bisher unbescholtene Templ wurde im Jahr 2013 wegen «schweren Betrugs» zu drei Jahren Gefängnis (von denen zwei nachträglich zur Bewährung ausgesetzt wurden) verurteilt. Die Republik Österreich machte in einer abenteuerlichen Begründung geltend, sie sei durch die Unterlassung Templs um 550 000 Euro geschädigt worden. Obwohl die Finanzprokuratur hernach unzweideutig feststellte, dass die Republik keineswegs geschädigt worden sei, und obwohl nun der Fall internationale Aufmerksamkeit erhielt und immer mehr Rechtsexperten die Korrektheit und Rechtmässigkeit des Verfahrens in Zweifel zogen, hielten alle Instanzen an dem fragwürdigen Urteil fest: Templ muss ins Gefängnis. 75 namhafte HolocaustForscher weltweit hatten erfolglos an das österreichische Staatsoberhaupt appelliert, in dem vorliegenden Fall eines Sohnes von HolocaustÜberlebenden Gnade walten zu lassen. Gesuch zurückgewiesen von Charles E. Ritterband, Wien 22.9.2015, 20:12 Uhr 1 Kommentar

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22 September 2015

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Page 1: Keine Gnade Im Fall Templ_ Wiener Journalist Muss Ins Gefängnis - NZZ Europa

Keine Gnade im Fall Templ

Wiener Journalist muss ins GefängnisDer österreichische Journalist Stephan Templ muss am nächsten Montag

seine einjährige Haftstrafe antreten. Gnadenappelle in dem international

beachteten Fall zeigten keine Wirkung.

Der österreichische Journalist Stephan Templ, ein Feuilleton­Mitarbeiter

der NZZ sowie der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», muss am

kommenden Montag um sechs Uhr morgens seine einjährige Haftstrafe

antreten. Sein Vergehen: Er hatte in einem Restitutionsverfahren, in dem es

um ein «arisiertes», seinen jüdischen Vorfahren von den Nazis geraubtes

Sanatorium in der vornehmen Wiener Josefstadt ging, auf einem

Antragsformular nur den Namen seiner Mutter als Berechtigte und nicht

auch jenen der Tante angegeben, mit der seine Familie schon lange keinen

Kontakt mehr gehabt hatte.

Ein strafrechtlicher FallDas Gericht machte aus einem zivilrechtlichen einen strafrechtlichen Fall:

Der bisher unbescholtene Templ wurde im Jahr 2013 wegen «schweren

Betrugs» zu drei Jahren Gefängnis (von denen zwei nachträglich zur

Bewährung ausgesetzt wurden) verurteilt. Die Republik Österreich machte

in einer abenteuerlichen Begründung geltend, sie sei durch die Unterlassung

Templs um 550 000 Euro geschädigt worden. Obwohl die Finanzprokuratur

hernach unzweideutig feststellte, dass die Republik keineswegs geschädigt

worden sei, und obwohl nun der Fall internationale Aufmerksamkeit erhielt

und immer mehr Rechtsexperten die Korrektheit und Rechtmässigkeit des

Verfahrens in Zweifel zogen, hielten alle Instanzen an dem fragwürdigen

Urteil fest: Templ muss ins Gefängnis.

75 namhafte Holocaust­Forscher weltweit hatten erfolglos an das

österreichische Staatsoberhaupt appelliert, in dem vorliegenden Fall eines

Sohnes von Holocaust­Überlebenden Gnade walten zu lassen.

Gesuch zurückgewiesen

von Charles E. Ritterband, Wien 22.9.2015, 20:12 Uhr 1 Kommentar

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Ein Gnadenappell der Anti­Defamation League und ein persönliches

Schreiben von Timothy Bonyhady, dem Autor des Buches

«Wohllebengasse», an Bundespräsident Heinz Fischer wurden von der

Präsidentschaftskanzlei jedoch abschlägig beantwortet: Das Gnadengesuch

sei dem Justizminister vorgelegt worden, und nach dessen Auffassung sei

«ein Gnadenerweis zum derzeitigen Zeitpunkt in keiner Weise indiziert».

Deshalb sei dem Bundespräsidenten, so wie es die Verfassung vorschreibe,

«kein Gnadenvorschlag unterbreitet» worden.

Das Schreiben liess angesichts sachlicher Fehler die Folgerung zu, dass der

Minister die Akte Templ nur flüchtig gelesen hatte. Eher skurril war das

Attachment, das der Ablehnung des Gnadengesuchs hinzugefügt wurde: ein

in der NZZ im April des vergangenen Jahres veröffentlichter Leserbrief des

Pressesprechers des Aussenministeriums, Martin Weiss, in dem dieser

argumentierte, es sei der Republik zwar kein finanzieller, dafür aber ein

«juristischer» Schaden entstanden.

Ein UnbequemerStephan Templ ist für manche Österreicher eine unbequeme Figur. Er hatte

vor Jahren ein Buch veröffentlicht, das den fragwürdigen Umgang der

Zweiten Republik mit den «Arisierungen», dem jüdischen Raubgut, präzis

erforscht und schonungslos dargestellt hatte. Besonders unangenehm an

diesem Werk war für manche, dass die Namen der «Ariseure» genannt

wurden, deren Nachkommen mitunter bis heute ungestört am Eigentum der

ermordeten oder in die Emigration getriebenen Wiener Juden festhalten.

Templs Anwalt Robert Amsterdam strebt nach Bekanntwerden neuer

Tatsachen die Wiederaufnahme des Verfahrens an. Die Chancen erscheinen

allerdings angesichts der bisherigen Erfahrungen gering.