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22 September 2015TRANSCRIPT
Keine Gnade im Fall Templ
Wiener Journalist muss ins GefängnisDer österreichische Journalist Stephan Templ muss am nächsten Montag
seine einjährige Haftstrafe antreten. Gnadenappelle in dem international
beachteten Fall zeigten keine Wirkung.
Der österreichische Journalist Stephan Templ, ein FeuilletonMitarbeiter
der NZZ sowie der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», muss am
kommenden Montag um sechs Uhr morgens seine einjährige Haftstrafe
antreten. Sein Vergehen: Er hatte in einem Restitutionsverfahren, in dem es
um ein «arisiertes», seinen jüdischen Vorfahren von den Nazis geraubtes
Sanatorium in der vornehmen Wiener Josefstadt ging, auf einem
Antragsformular nur den Namen seiner Mutter als Berechtigte und nicht
auch jenen der Tante angegeben, mit der seine Familie schon lange keinen
Kontakt mehr gehabt hatte.
Ein strafrechtlicher FallDas Gericht machte aus einem zivilrechtlichen einen strafrechtlichen Fall:
Der bisher unbescholtene Templ wurde im Jahr 2013 wegen «schweren
Betrugs» zu drei Jahren Gefängnis (von denen zwei nachträglich zur
Bewährung ausgesetzt wurden) verurteilt. Die Republik Österreich machte
in einer abenteuerlichen Begründung geltend, sie sei durch die Unterlassung
Templs um 550 000 Euro geschädigt worden. Obwohl die Finanzprokuratur
hernach unzweideutig feststellte, dass die Republik keineswegs geschädigt
worden sei, und obwohl nun der Fall internationale Aufmerksamkeit erhielt
und immer mehr Rechtsexperten die Korrektheit und Rechtmässigkeit des
Verfahrens in Zweifel zogen, hielten alle Instanzen an dem fragwürdigen
Urteil fest: Templ muss ins Gefängnis.
75 namhafte HolocaustForscher weltweit hatten erfolglos an das
österreichische Staatsoberhaupt appelliert, in dem vorliegenden Fall eines
Sohnes von HolocaustÜberlebenden Gnade walten zu lassen.
Gesuch zurückgewiesen
von Charles E. Ritterband, Wien 22.9.2015, 20:12 Uhr 1 Kommentar
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Ein Gnadenappell der AntiDefamation League und ein persönliches
Schreiben von Timothy Bonyhady, dem Autor des Buches
«Wohllebengasse», an Bundespräsident Heinz Fischer wurden von der
Präsidentschaftskanzlei jedoch abschlägig beantwortet: Das Gnadengesuch
sei dem Justizminister vorgelegt worden, und nach dessen Auffassung sei
«ein Gnadenerweis zum derzeitigen Zeitpunkt in keiner Weise indiziert».
Deshalb sei dem Bundespräsidenten, so wie es die Verfassung vorschreibe,
«kein Gnadenvorschlag unterbreitet» worden.
Das Schreiben liess angesichts sachlicher Fehler die Folgerung zu, dass der
Minister die Akte Templ nur flüchtig gelesen hatte. Eher skurril war das
Attachment, das der Ablehnung des Gnadengesuchs hinzugefügt wurde: ein
in der NZZ im April des vergangenen Jahres veröffentlichter Leserbrief des
Pressesprechers des Aussenministeriums, Martin Weiss, in dem dieser
argumentierte, es sei der Republik zwar kein finanzieller, dafür aber ein
«juristischer» Schaden entstanden.
Ein UnbequemerStephan Templ ist für manche Österreicher eine unbequeme Figur. Er hatte
vor Jahren ein Buch veröffentlicht, das den fragwürdigen Umgang der
Zweiten Republik mit den «Arisierungen», dem jüdischen Raubgut, präzis
erforscht und schonungslos dargestellt hatte. Besonders unangenehm an
diesem Werk war für manche, dass die Namen der «Ariseure» genannt
wurden, deren Nachkommen mitunter bis heute ungestört am Eigentum der
ermordeten oder in die Emigration getriebenen Wiener Juden festhalten.
Templs Anwalt Robert Amsterdam strebt nach Bekanntwerden neuer
Tatsachen die Wiederaufnahme des Verfahrens an. Die Chancen erscheinen
allerdings angesichts der bisherigen Erfahrungen gering.