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Inhalt Chronischer Schmerz fordert Gesundheitssysteme heraus 1 Auf dem richtigen Weg, aber noch viel zu tun! 2 SIP Workshops – Handlungsempfehlungen verabschiedet 4 • WS 1: Schmerz als Qualitätsindikator des Gesundheitswesens6 EU-Richtlinie - Schmerz kennt keine Grenzen 7 • WS 2: Chronischer Schmerz: eine Krankheit oder ein Symptom? 8 • WS 3: Relevanz der Schmerzen in der Krebstherapie 9 Berufliche Wiedereingliederung für chronische Schmerzpatienten 9 • WS 4: Schmerz, Rehabilitation und Wiedereingliederung von Arbeitnehmern 11 Interview: Abgeordnete wollen besseres Schmerzmanagement 13 Schmerzforschung – Was tut die EU? 15 Brüssel – Nach wie vor ist die Schmerzversorgung in den einzelnen europäischen Ländern unterschiedlich und weist oft Defizite auf. Neben der enormen indivi- duellen Beeinträchtigung der Lebensqualität bei chro- nischem Schmerz, ist dieser auch eines der kosteninten- sivsten Krankheiten in den Industriestaaten und einer der Hauptgründe für gesundheitsbedingte Abwesen- heit am Arbeitsplatz und Frühverrentung. Chronischer Schmerz ist weit verbreitet - in der Europäischen Union leidet einer von fünf Bewohnern darunter. Unter dem Motto „Time for Action“ kamen auch dieses Jahr wieder mehr als 210 Reprä- sentanten aus 28 Ländern zum „Societal Impact of Pain“-Symposium zusammen. Diese nahmen das Motto ernst und ver- abschiedeten konkrete politische Hand- lungsempfehlungen, die auf EU- und auf nationaler Ebene die Schmerzversorgung verbessern sollen. Denn neben den individuellen Auswirkungen sind auch die gesellschaft- lichen Auswirkungen durch hohe Gesundheitskosten und Arbeits- ausfälle enorm. Deshalb ist es ermutigend zu sehen, dass neben den vielen Teilnehmern aus medizinischer Forschung und Versorgung, Patientenorganisationen, Krankenkassen, Versicherungen, Pflege- verbände sowie Gesundheits- und Aufsichtsbehörden auch immer mehr Mitglieder des Europäischen Parlamentes das Ziel, eine bessere Schmerzversorgung zu erreichen, in ihre parlamentarische Arbeit aufnehmen. Denn ja, es ist allerhöchste Zeit „for action“. Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen Norbert van Rooij Head of Governmental Affairs & Patient Centricity Europe Time for Action Seite 1 6 International Symposium „Societal Impact of Pain“ (SIP 2016) Chronischer Schmerz fordert Gesundheitssysteme heraus Aktuelles aus der Gesundheitspolitik - 2016 Kompass SIP-Sonder- Ausgabe 2016 „Societal Impact of Pain“ (SIP, „gesellschaft- liche Auswirkungen durch Schmerz“) ist eine internationale Multi-Stakeholder Plattform, die 2010 als Kooperation der Europäischen Schmerzgesellschaft EFIC und dem Unterneh- men Grünenthal mit dem Ziel gegründet wur- de, Bewusstsein für die Relevanz der Auswir- kungen von Schmerz auf unsere Gesellschaft sowie Gesundheits- und Wirtschaftssysteme zu schaffen Dieses Jahr fand bereits das 6 SIP-Symposium statt – unter dem Motto „Time for Action“ ka- men mehr als 220 Teilnehmer aus 28 Ländern am 23. und 24. Mai in Brüssel zusammen. Die Vertreter aus medizinischer Forschung und Versorgung sowie Patientenorganisationen, Krankenkassen, Versicherungen, Pflegever- bänden, Gesundheits- und Aufsichtsbehörden diskutierten, wie auf Ebene der EU und der Mitgliedsstaaten der chronische Schmerz und Mehr als 220 Teilnehmer aus 28 Ländern kamen am 23. und 24. Mai in Brüssel zusammen. Think Innovation. Feel Life. Think Innovation. Feel Life.

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Page 1: Kompass - Universitätsklinikum Freiburg · Aktuelles aus der Gesundheitspolitik - SIP-Sonderausgabe 2016 Seite 6 Kompass Workshop 1 Schmerz als Qualitätsindikator des Gesundheitswesens

Inhalt

Chronischer Schmerz fordert Gesundheitssysteme heraus . . . . . . . . . 1

Auf dem richtigen Weg, aber noch viel zu tun! . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

SIP Workshops – Handlungsempfehlungen verabschiedet . . . . . . . . . 4

• WS1:SchmerzalsQualitätsindikatordesGesundheitswesens . . . . 6

EU-Richtlinie - Schmerz kennt keine Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

• WS2:ChronischerSchmerz:eineKrankheitodereinSymptom? . . 8

• WS3:RelevanzderSchmerzeninderKrebstherapie . . . . . . . . . . . 9

Berufliche Wiedereingliederung für chronische Schmerzpatienten . . . 9

• WS4:Schmerz,RehabilitationundWiedereingliederungvon

Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Interview:AbgeordnetewollenbesseresSchmerzmanagement . . . 13

Schmerzforschung–WastutdieEU? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Brüssel – Nach wie vor ist die Schmerzversorgung in den einzelnen europäischen Ländern unterschiedlich und weist oft Defizite auf. Neben der enormen indivi-duellen Beeinträchtigung der Lebensqualität bei chro-nischem Schmerz, ist dieser auch eines der kosteninten-sivsten Krankheiten in den Industriestaaten und einer der Hauptgründe für gesundheitsbedingte Abwesen-heit am Arbeitsplatz und Frühverrentung.

Chronischer Schmerz ist weit verbreitet

- in der Europäischen Union leidet einer

von fünf Bewohnern darunter. Unter dem

Motto „Time for Action“ kamen auch

dieses Jahr wieder mehr als 210 Reprä-

sentanten aus 28 Ländern zum „Societal

Impact of Pain“-Symposium zusammen.

Diese nahmen das Motto ernst und ver-

abschiedeten konkrete politische Hand-

lungsempfehlungen, die auf EU- und auf

nationaler Ebene die Schmerzversorgung verbessern sollen. Denn

neben den individuellen Auswirkungen sind auch die gesellschaft-

lichen Auswirkungen durch hohe Gesundheitskosten und Arbeits-

ausfälle enorm. Deshalb ist es ermutigend zu sehen, dass neben den

vielen Teilnehmern aus medizinischer Forschung und Versorgung,

Patientenorganisationen, Krankenkassen, Versicherungen, Pflege-

verbände sowie Gesundheits- und Aufsichtsbehörden auch immer

mehr Mitglieder des Europäischen Parlamentes das Ziel, eine bessere

Schmerzversorgung zu erreichen, in ihre parlamentarische Arbeit

aufnehmen. Denn ja, es ist allerhöchste Zeit „for action“.

Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen

Norbert van Rooij

Head of Governmental Affairs & Patient Centricity Europe

Time for Action

Seite 1

6 . International Symposium „Societal Impact of Pain“ (SIP 2016)

Chronischer Schmerz fordert Gesundheitssysteme heraus

Aktuelles aus der Gesundheitspolitik - 2016

KompassSIP-Sonder-

Ausgabe 2016

„Societal Impact of Pain“ (SIP, „gesellschaft-liche Auswirkungen durch Schmerz“) ist eineinternationale Multi-Stakeholder Plattform, die 2010 als Kooperation der EuropäischenSchmerzgesellschaft EFIC und dem Unterneh-menGrünenthalmitdemZielgegründetwur-de,Bewusstsein fürdieRelevanzderAuswir-kungen von Schmerz auf unsere Gesellschaft sowie Gesundheits- und Wirtschaftssystemezu schaffen .Dieses Jahr fand bereits das 6 . SIP-Symposium statt – unter dem Motto „Time for Action“ ka-menmehrals220Teilnehmeraus28Ländernam23.und24.MaiinBrüsselzusammen.DieVertreter aus medizinischer Forschung und Versorgung sowie Patientenorganisationen,Krankenkassen, Versicherungen, Pflegever-bänden,Gesundheits-undAufsichtsbehördendiskutierten, wie auf Ebene der EU und derMitgliedsstaaten der chronische Schmerz und

Mehrals220Teilnehmeraus28Ländernkamenam 23.und24.MaiinBrüsselzusammen.

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Page 2: Kompass - Universitätsklinikum Freiburg · Aktuelles aus der Gesundheitspolitik - SIP-Sonderausgabe 2016 Seite 6 Kompass Workshop 1 Schmerz als Qualitätsindikator des Gesundheitswesens

Aktuelles aus der Gesundheitspolitik - SIP-Sonderausgabe 2016

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Im Jahr 2001 habe die EFIC eine Deklaration zum Schmerz veröffentlicht, die den chro-nischen Schmerz als ein bedeutendes Problem des Gesundheitssystems und als eine eigen-ständige Krankheit erklärte, erinnerte Prof.ChrisWells,EFIC-Präsident.ImJahr2010folgtedie Deklaration von Montreal der International Association for the Study of Pain (IASP) , die den Zugang zur Schmerzversorgung als Men-schenrecht eingestuft hat). Als weiteren Mei-lenstein in der Schmerzversorgung nannte Prof . ChrisWells,EFIC-Präsident,die„RoadMapof Action“, ein gesundheitspolitischer Aktions-plandesSIP-Symposiums2011mitKernthesen,wieEU-InstitutionenundMitgliedsstaatendas

Problem der gesellschaftlichen Auswirkungenvon Schmerz effektiv auf EU-Level adressieren und vorantreiben kann . Ob es bisher Fortschrit-te bei der Umsetzung dieses Aktionsplans gab,

die Schmerzversorgung eine höhere Prioritätin der Gesundheitspolitik erhalten können.Die Teilnehmer verabschiedeten konkrete po-

litische Handlungs-empfehlungen, die europäische und na- tionale Politiker/Ent-scheidungsträgerauf-fordern sollen, die Schmerzversorgung zu verbessern .Dass sich in den letz-ten Jahren bereits einiges getan hat, belegt die steigende Zustimmung von EU-Politikern:Bereitsdas

1.SIP-Symposium2010wurdevonMitgliedernEuropäischenParlamentesunterstützt–diesesJahrwarenesinsgesamt20EU-Parlamentarier,die ihre Zustimmung und Unterstützung, auch

als Redner und Moderatoren, kundtaten und die Verbesse-rung der Schmerzversorgung in der EU in ihrer täglichenArbeit vorantreiben .„Wir müssen uns die Zeit nehmen, die vielen verschie-denen Akteure und Interes-sensgruppen an einem Tisch zu versammeln und allen, insbesondere den Patienten zuzuhören. Die Mannigfal-tigkeit der Präsentationenund die Qualität der Arbeitsgruppen habenmich beeindruckt, nun ist es wirklich Zeit, für Veränderungen“, sagt Dr. Alberto Grua,Grünenthal .

WirhabenindieserSonderausgabedes„Kom-pass“ für Sie die wichtigsten Ergebnisse undVorträgedesSIP2016zusammengefasst.

Die Teilnehmer verabschiedeten konkrete politische Hand-lungsempfehlungen .

Dr . Alberto Grua, Grünen-thal

Ausführliche Informationen zum Programm, die Abstracts, die State-ments der EU-Parlamentarier und den verabschiedeten Handlungskatalog sowieInterviewsundImpressionenfinden Sie auf der Internetseite

> www.sip-platform.eu

Prof.ChrisWells,EFIC-Präsident

Deklaration

Auf dem richtigen Weg, aber noch viel zu tun!

Brüssel – Im Jahr 2001 habe die EFIC eine Deklaration zum Schmerz veröffentlicht, die den chronischen Schmerz als ein bedeutendes Problem des Gesundheitssystems und als eine eigenständige Krankheit erklärte, erinnerte Prof. Chris Wells, EFIC-Präsident. Im Jahr 2010 folgte die Deklaration von Montreal der International Association for the Study of Pain (IASP) , die den Zugang zur Schmerzversorgung als Menschenrecht eingestuft.

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Aktuelles aus der Gesundheitspolitik - SIP-Sonderausgabe 2016

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Launch of national action plans against pain progresses

Has a national action plan against pain has been launched?

Completed Nearly completed In progress Started Not started

Die Einführung nationaler Aktions-plänegegenSchmerzschreitetvoran©PräsentationsfolievonChrisWells,President European Pain Federation, EFIC, „The Societal Impact of Pain – A Road Map for Action“

Fakten und Zahlen – Chronischer Schmerz in Europa

• Schmerz,derlängeralsdreiMonateanhält,wirdalschronischdefiniertundpräsentiertsich meist ohne eine physiologische Ursache .

• EinFünfteldereuropäischenBevölkerung,dassind100MillionenEuropäer,leidetunterchronischen Schmerzen .

• ChronischerSchmerzisteinerderHauptgründe,warumMenschenzumArztgehen,wirdaber meist nur ungenügend untersucht und berichtet .

• Mehrals70%derKrebskrankenhabenSchmerzen,imfortgeschrittenenStadiumerhöhtsich der Anteil auf 80% .

• Biszu100MillionenEuropäerleidenuntermuskuloskelettalemSchmerz,der50%dermindestensdreiTagedauerndenAbwesenheitvomArbeitsplatzund60%derperma-nentenArbeitsunfähigkeitausmacht.

• Die direkten und indirekten Kosten der muskuloskelettalen Erkrankungen betragenlautSchätzungen240MilliardenEuroproJahr–dassindbiszu2%desBruttosozial- produktes der EU .

• Ein Drittel der wegen chronischem Schmerz krankgeschriebenen Arbeitnehmer sind jedesJahrlängerals10Tagearbeitsunfähig.

• DieVerringerungderInzidenzvonKrankheitenundArbeitsunfähigkeiterhöhtdieAn-zahlderaktivenJahrederArbeitnehmerundreduziertdieöffentlichenAusgaben.

wurde von der EFIC 2014 mit einem Frage- bogen in 36 europäischen Ländern erhoben.Für Wells zeigen die Ergebnisse, dass Europa zwaraufdemrichtigenWeghinzueinembes-seren Schmerzmanagement sei, es aber immer noch viele Defizite gebe . So hatten beispiels-weisebis2014diemeistenLändereinennatio-nalen Aktionsplan gegen chronische Schmer-zen eingeführt .Eine Akutschmerz-Versorgung in allen Kran-kenhäuserngabesdagegennurinsechsLän-dernundnur in PortugalwurdenDatenüberdie Auswirkungen einer effektiven Schmerzversorgung erhoben . Auch die Einführung von Schmerz-Curricula in die medizinische Ausbil-dung aller Mitarbeiter des Gesundheitssystems warinvielenLändernnurinVorbereitung.EinesderHauptzielederEuropäischenSchmerz-gesellschaft sei es, die Schmerzversorgung auf allen Ebenen in Europa zu verbessern, sagte Wells.DazugehörevorallemeineHarmonisie-rung und Optimierung in der Ausbildung zur Schmerztherapie . EFIC hat deshalb ein euro-

päisches Curriculum und ein interdisziplinäresDiplom,dasinganzEuropaanerkanntwird,er-arbeitet.DieerstenDiplom-Prüfungenwerden2017 stattfinden .

Launch of national action plans against pain progresses

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Aktuelles aus der Gesundheitspolitik - SIP-Sonderausgabe 2016

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SIP Workshops

Handlungsempfehlungen verabschiedet

Brüssel – Das Ergebnis des Symposiums SIP 2016 ist ein Handlungskatalog, der acht kon-krete politische Empfehlungen enthält. Basis dieser Handlungsempfehlungen waren die Diskussionen in vier verschiedenen Workshops, die am Tag 1 parallel in den Räumen des Europäischen Parlamentes stattfanden.

Workshop 1SchmerzalsQualitäts- indikator in der Gesund-heitsversorgung

Workshop 2ChronischerSchmerz:eineKrankheitodereinSymptom?

Workshop 3Relevanz der Schmerzen inderKrebstherapieund-rehabilitation

Workshop 4Schmerz, Rehabilitation und Wiedereingliederung von Arbeitnehmern

Die Diskussionen und der Austausch von „best practice“-Beispielen der einzelnen Workshops wurdenamTag2,derindenRäumendesConcertNoblestattfand,imPlenumvorgestelltunddiskutiertundmündeteningemeinsamverabschiedetepolitischeHandlungsempfehlungen:

Impressionen von den Workshops

1 . Implementierung der Erfassung des Schmerzgrads im Artikel 8 § 5 der europäischengrenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung

2 . EtablierungeinerEU-PlattformzurgesellschaftlichenAuswirkungvonSchmerz

3. IntegrationvonchronischemSchmerzinpolitischeEU-StrategienzuchronischenKrank-heiten

4 . Sicherstellung,dassdieSchmerzversorgungTeilderKrebstherapieund-Rehabilitationist

5 . InitiierungvonStrategien,diedieAuswirkungenvonSchmerzinderArbeitsweltaufzeigen

6 . ImplementierungvonMaßnahmenzurBerufswiedereingliederung

7 . ErhöhungderInvestitioneninderSchmerzforschung

8 . Priorisierung von Schmerz in der Ausbildung von Mitarbeitern des Gesundheitssystems, Patienten und breiter Öffentlichkeit

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Aktuelles aus der Gesundheitspolitik - SIP-Sonderausgabe 2016

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Fakten und Zahlen – SIP 2016

• 220Teilnehmeraus28Ländern

• Schirmherrschaft:italienischesGesundheitsministerium

• ModerationderWorkshopsundderPlenarveranstaltung:EU-ParlamentarierHeinzK.Becker

(Österreich),NicolaCaputo(Italien),JoséInácioFaria(Portugal),TakisHadjigeorgiou(Zypern),

MarianHarkin(Irland),MerjaKyllönen(Finnland),GiovanniLaVia(Italien),JeroenLenears(Nie-

derlande), Roberta Metssola (Malta),Soledad Cabezon Ruiz (Spanien>) und Sabine Verheyen

(Deutschland)-insgesamtbefürworteten20Europa-AbgeordneteSIP2016

• 160SchmerzorganisationenundwissenschaftlicheVerbändeunterstütztendasZieldesSIP2016

• die wissenschaftlichen Inhalte der SIP-Plattform verantwortete die europäische Schmerz-

gesellschaftEFIC[EuropeanFederationofthe IASPChapters (EFIC)],Kooperationspartner

warendieeuropäischenPatientenorganisationenPaininEurope(PAE)undActiveCitzenship

Network(ACN)

Handlungsempfehlungen, die auch als de-taillierte Fassung vorliegen, sind an die Ent-scheidungsträger gerichtet und bilden dieGrundlage für zukünftige Maßnahmen, die auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten die Schmerzversorgung verbessern sollen . „Die Prävalenz von chronischem Schmerz, die ge-sellschaftlichen und ökonomischen Auswir-kungen und die deutlichen Defizite in der Schmerzversorgung sollten ein Weckruf für Politiker sein“, hofft Prof . Bart Jan Morlion, gewählter EFIC-Präsident. „Zurzeit werden

in der EU 97% des erheblichen Gesundheits-budgets für kurative Medizin ausgegeben und nurderkläglicheRestvon3%fürPrävention.Dabei kann insbesondere chronischer Schmerz sowohl mit Primärprävention als auch struk-turierter Sekundärprävention vermieden wer-den .“ Der Zeitpunkt für den Handlungskata-log ist nach den Worten von Morlion günstig, dennimHerbst2016stehtdieHalbzeitbewer-tungderaktuelleneuropäischenGesundheits-programme 2014-2020 an, in der auch die SchmerzversorgungThemaseinwird.

Prof.BartJanMorlion,gewählterEFIC-Präsident

UnteritalienischerSchirmherrschaftnahmen28Länderam6.InternationalenSymposium(SIP2016)teil.

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Aktuelles aus der Gesundheitspolitik - SIP-Sonderausgabe 2016

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Workshop 1

SchmerzalsQualitätsindikatordesGesundheitswesens

Brüssel – Schmerzen, insbesondere chronische Schmerzen gehören zu den großen Gesundheitsproblemen - deshalb kann und sollte die Qualität der schmerzmedizinischen Versorgung als Qualitätsindikator des Gesundheitssystems gelten. Prof. Rolf-Detlef Trede, Universität Heidelberg, stellte die auf dem SIP 2013 diskutierten drei verschie-denen Qualitätsindikatoren vor.

1 . Struktur-Indikatoren – geben Auskunft über die Infrastruktur der Schmerzversor-gung,zumBeispielAnzahlderEinwohneroder Mitarbeiter pro Schmerzambulanz/Schmerzspezialist, Angebote zur Aus- und Fortbildung in der Schmerztherapie von Medizinern, Psychologen und Physiothera-peuten .

2. Prozess-Indikatoren–beschreiben,welcheMethoden in der schmerzmedizinischen Versorgung angewendetwerdenwie bei-spielsweise Messung des Schmerzes alsfünfter Vitalparameter, Vorhandensein eines Schmerzregisters, Patienteninforma-tion vor einer OP und Aufklärungskam-pagnen für Patienten .

3. Outcome-Indikatoren – stellendas Ergeb-nis der Schmerzversorgung dar, indem die PatientenbefragtwerdenzurSchmerzbes-serung,LebensqualitätundWiederaufnah-me der Arbeit .

PAIN OUT – Qualitätsindikatoren funktionieren beim AkutschmerzStruktur- und Prozess-Indikatoren seien zwareinfach zu quantifizieren, zu erheben und zu berechnen, aber sie stünden nicht immer im Zusammenhang mit dem Out-come der Patienten oder seien in der klinischen Routine nicht anwendbar,gabProf.WinfriedMeissner,UniversitätsklinikumJena, zu bedenken .Er plädierte dafür, funktio-nelle Einschränkungen alsQualitätsindikatoren, alsoOutcome-Indikatoren für eine gute Schmerzversorgung zu verwenden, beispielsweise

ob der Schmerz an der Mobilisierung, am Schlaf, am Luftholen oder Husten hindert . „Diese können ebenso wie die Schmerzin-tensität mit einfachen Fragen erhoben wer-den, beschreiben aber die Auswirkungendes Schmerzes sehr viel besser .“ Meissner ist Projektleiter des 2009 gegründeten, interna-tionalen Akutschmerz-Registers PAIN OUT(Improvement of postoperative PAIN OUT-come), das zusammen mit dem deutschen VorläuferprojektQUIPS(QUalityimprovementofPostSurgical)mittlerweile300.000Daten-sätzezumSchmerznacheinerOperationum-fasst. PAIN OUT und QUIPS verwenden denFragebogen IPOQ (International Pain Outco-mesQuestionnaire,erhältlichin18Sprachen),mit dem die Patienten einen Tag nach der OperationfunktionelleEinschränkungen,Ne-benwirkungenderSchmerztherapieund ihreZufriedenheit über die Schmerzversorgung beschreiben sollen. Dieser wird zusammenmit dem Alter und Geschlecht und der Art der Operationausgewertet.AktuelleAnalysener-gabenüberraschendeErgebnisse:Sowerdeneine laparaskopische Appendektomie und eine Tonsillektomie von den Patienten als sehr schmerzhaft beschrieben und als Ursache der

wahrscheinlich geringere bisfehlende Einsatz schmerz-stillender Medikamente bei diesen „kleinen“ Eingriffen diskutiert . Der Preis einer schlechten Versorgung des Akutschmerzes ist jedoch hoch:Schmerzenwirkensichnegativ auf den Heilungspro-zess aus, verursachen Leiden und verbrauchen mehr Res-sourcen .

Prof.WinfriedMeissner,Universitäts-klinikum Jena

Logo des internationalen Akutschmerz-RegistersPAINOUT©www.pain-out.eu

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Aktuelles aus der Gesundheitspolitik - SIP-Sonderausgabe 2016

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EU-Richtlinie 2011/24

Schmerz kennt keine Grenzen

Brüssel – Einen Riesenschritt hin zu einer besseren medizinischen Versorgung in Euro-pa stelle die Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 9.3.2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesund-heitsversorgung (Patientenmobilitätsrichtlinie) dar, konstatierte Tapani Piha, Abteilung „Grenzüberschreitendes Gesundheitswesen, eHealth, Medizinische Produkte und Inno-vationen“ der Europäischen Kommission während des 1. Workshops.

Alle Versicherten in der Europäischen Unionkönnen sich demnach in einem anderen EU-Mitgliedstaat behandeln lassen . Die Behand-lungskosten werden anschließend von ihrerheimischen Krankenkasse bis zu der Höheerstattet, die auch für die entsprechende Be-handlung im jeweiligen Inland übernommenwerden.FürdeutschePatientengabesbereitsseit 2004 die grenzüberschreitende Regelung mit Kostenübernahme ohne vorherigen An-

trag, bei geplanten Krankenhausaufenthaltenmuss zuvor jedoch eine Genehmigung ein-geholt werden. In vielen EU-MitgliedsstaatengibteskeineklareRegelung,obundwasvorInanspruchnahme genehmigt werden muss.Im Artikel 8 §5 der Richtlinie 2011/24/EU ist lautTapaniunteranderemschwererSchmerzals Kriterium für den Anspruch einer grenz-

überschreitenden Behandlung festgelegt . Eine Umfrage in 23 Mitgliedsstaaten habe jedochergeben, dass bisher nur Frankreich, Irland, Ita-lienundSloweniendieSchmerzintensitätbzw.Schmerz in ihrer nationalen Umsetzung als Nachweis,dasseinemedizinischeVersorgungin einem anderen EU-Land erstattet werdenkann, benannt und anerkannt haben .Tapani erinnerte daran, dass auf Grundlage der Richtlinie 2011/24 die EU-Mitgliedsstaaten auch verpflichtet sind, im Bereich der seltenen Erkrankungen und hochspezialisierten Leistun-gen eng in sogenannten Europäischen Refe-renznetzwerken zusammen zu arbeiten. DieEinrichtung eines Kompetenzzentrums derSchmerztherapiewirddiskutiert.

Schmerz und AlterDr . Leonie Mallmann, Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e .V . (bpa), gab zu Bedenken, „die älteren Men-schen beim The-ma chronischer Schmerz nicht zu vergessen, denn die Schmerzerfassung ist bei ihnen oft aufgrund physischer

Dr . Leonie Mallmann vom Bundesver-band privater Anbieter sozialer Dienste e .V . © bpa

Meissner istsichsicher,dassdie inPAINOUTund QUIPS verwendeten Outcome-Parameterprinzipiell auch beim chronischen Schmerz an-wendbarsind.AllerdingsgebeesmethodischeUnterschiede, da Patienten mit chronischen

Schmerzen im Vergleich zu Patienten mit postoperativen akuten Schmerzen eine sehr viel heterogenere Gruppe, oft auch sehr viel kränkerundimKrankenhausaufverschiedeneStationen verteilt sind .

TapaniPiha©www.laaka-rilehti .fi

© jp

gon

- Fo

tolia

.com

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KompassAktuelles aus der Gesundheitspolitik - SIP-Sonderausgabe 2016

Seite 8Seite 8

oder kognitiver Beeinträchtigungen proble-matisch und kostet viel Zeit und Personal .“ Sie forderte, dass Schmerz auch in der Pflege als eigenständigeErkrankungundalszusätzlicherPflegeaufwand anerkannt wird. Im Hinblickauf die immer älter werdende Bevölkerungund damit auch die steigende Anzahl demenz-krankerältererMenschenschätztMallmannei-nenzusätzlichenPersonalbedarfvon300.000Pflegekräftenbis2030.

Schmerzpatienten im KrankenhausAuch die gesetzlichen Krankenkassen inDeutschland tragen nach den Worten von Dr . Hubert Schindler, Referatsleiter Abteilung Ge-sundheit des Verbandes der Ersatzkassen e .V . (VDEK), zu einer Verbesserung der Schmerz-versorgung bei . Bei der Ausgestaltung der „Ambulanten spezialfachärztlichen Versor-gung (ASV) und der Disease-Management-Programme (DMP) waren die gesetzlichen

Krankenkassenmaßgeblichbeteiligt.Schindlerarbeitet im Auftrag des VDEK für die Deut-sche Schmerzgesellschaft in der Arbeitsgruppe „Qualitätsindikatoren“mitundwirddieErgeb-nisse des Workshops 1 zu den Qualitätsindikatorensofort ineinen Interviewleitfaden um-setzen und mit den teilneh-menden deutschen Experten abstimmen . Der Fragebogen istandieVerantwortlicheninden Krankenhäusern gerich-tet, um die Strukturqualitätder Schmerzversorgung und einen eventuellen Entwick-lungsbedarf oder eine Um-strukturierung in den einzel-nenHäusernzuerfassen.Erste,anonymisierteErgebnissekönntenbereitsaufdem3.Natio-nalen Schmerzforum, das am 22 .9 .2016 statt-findet,vorgestelltwerden,hofftSchindler.

Workshop 2

ChronischerSchmerz:eineKrankheitodereinSymptom?

Brüssel – Chronische Schmerzen haben ihre biologisch sinnvolle Alarmfunktion ver-loren und sich, auch nachdem die Ursache nicht mehr vorhanden ist, verselbststän-digt. Chronische und rezidivierende Schmerzen beeinträchtigen die Lebensqualität der Patienten und können Schlafstörungen, Angstzustände, Depressionen und ein niedriges Selbstwertgefühl verursachen.

Bereits 2001 deklarierte die EFIC chronischen Schmerz zu einer eigenständigen Erkrankung.Für Prof.Dr. Thomas Tölle, TechnischeUniver-sitätMünchen,muss„dieDiskussion,dassderSchmerzeineeigenständigeErkrankungist,un-bedingtweitergeführtwerden“.Er führteBeispiele fürneurobiologischeVerän-derungenimRückenmarkundGehirnsowiederprimären sensorischen Neuronen an, die bele-gen, dass ein akuter Schmerz in die Erkrankung chronischer Schmerz übergehen kann . Auch die BerichtederPatientenbestätigennachdenWor-tenvonTölle,dassandersalsderakuteSchmerzder chronische Schmerz für sie einen echten, eigenständigenKrankheitswertentwickelthat. Prof.Dr.ThomasTölle,TechnischeUniversitätMünchen

Dr . Hubert Schindler, Verband der Ersatzkassen e .V .

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KompassAktuelles aus der Gesundheitspolitik - SIP-Sonderausgabe 2016

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Workshop3

RelevanzderSchmerzeninderKrebstherapie

Brüssel – Schmerz und Tumorerkrankungen sowie Schmerz und Palliativmedizin sind miteinander verbunden, sowohl vor und während der Behandlung, insbesondere im fortgeschrittenen Stadium, als auch nach einer erfolgreichen Krebstherapie und am Ende des Lebens.

Die Europäische Kommission startete 2014 dasProjekt„EuropeanGuideonQalityImprovementin Comprehensive Cancer Control (kurz Cancer Control Action, CanCon), ein von der EU und den teilnehmenden Organisationen, Institutio-nenundUniversitätengefördertes Projekt.DasZiel ist es, einen Leitfaden zur Verbesserung der Krebsbekämpfung für Regierungen, Politiker,Vertreter der Gesundheitssysteme und Onkolo-genzuerstellen.DieFörderungläuftbis2017.Dr. Stein Kaasa, Universität Oslo/Norwegen,berichtete, dass im Rahmen von CanCon auch versucht wird, die bisher oft vernachlässigteSchmerztherapiebeiKrebspatienten zu verbes-sern . Bisher fehle es an Methoden, den Schmerz undSymptomederKrebspatientensystematischauf Basis der Patientenbeschreibungen (Patient Reported Outcomes Measures, PROMs) zu beur-teilen,diesePROMsindieKrebsschmerz-Klassifi-kation einzubeziehen und vorhandene Leitlinien zur Schmerztherapie zu berücksichtigen . Die sys-tematischeErfassungderPROMskönnteKaasazufolge mit Hilfe eines Internetbasierten Einga-besystems, das die Patienten auch mit mobilen Gerätenverwenden,erleichtertwerden.Dass chronischer Schmerz bei Krebspatienten

hervorge-rufen durch Operationen und Radio- und Chemo-therapie ein lange ver-nachlässigtesThema ist, betätigtePriv .-Doz . Stefan Wirz, Bad Honef . Um den Pa-tienten eine adäquateSchmerz-versorgung zu ermöglichen, müssten in derKrebstherapie beispielsweise möglichst früh-zeitig Schmerzspezialisten mit einbezogen, der Bedarf an Schmerztherapie je nach Stadium der KrebserkrankungundpalliativerSituationange-passt, Aus- und Fortbildungs-Programme an-geboten und die Epidemiologie, Diagnose und Therapie des chronischen Schmerzes evaluiert werden,sodieForderungenvonWirz.

Multimodale Schmerztherapie

Berufliche Wiedereingliederung für chronische Schmerzpatienten

Brüssel – Im Rahmen des 3. Workshops wurden gezielt Maßnahmen zur beruflichen Wie-dereingliederung von Patienten mit Langzeitschmerzerleben zur Diskussion gestellt. Dazu präsentierte Luis Filipe Azevedo (CIDES, Portugal) in seinem Vortrag zunächst die ökonomischen Auswirkungen dieses Erkrankungsbildes.

Eine Studie kann zumindest für Portugal zeigen, dassdieindirektenKostenmitca.57%gemes-sen an den Gesamtkosten den direkten Anteil

übertreffen.DengrößtenPostenstelltindiesemZusammenhang die frühe Berentung der Betrof-fenendar.ZudempräzisierteAzevedo inseiner

Numbersofservicesperinhabitants© Vortragsfolie von Univ .-Prof . Dr . med . Roman Rolke, Medizinische FakultätderRWTHAachen,„Whenpain meets palliative care“

Numbers of services per inhabitants

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KompassAktuelles aus der Gesundheitspolitik - SIP-Sonderausgabe 2016

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Untersuchung, dass weder Schmerzintensitätnoch Dauer der Erkrankung für die Kostenent-wicklungverantwortlichseien,sondernvielmehrsozioökonomischeFaktorenwieAlter,Bildungs-level und Art des Beschäftigungsverhältnisses.Zudem ließe sicheine stetigeKostensteigerungnicht wegdiskutieren. Weiterhin führte er an,dassdieKonsequenz,dieausdiesenErgebnissengezogenwerde,nicht ineinerSparpolitikresul-tieren dürfe, sondern die Förderung effektiverPräventionsmaßnahmen und Schmerzmanage-ment in Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern gefordertseien.Dazuseieswichtig,dierichtigenAnreize für Patient und Unternehmen zur Wie-deraufnahme der Arbeit anstelle einer vorschnel-len Frühberentung zu setzen . Es sei zu betonen, dass sogar zum Teil Haltungen und verinnerlichte Therapiekonzepte von Patient und Behandler ei-ner beruflichen Reintegration im Wege stünden . Die Form der sozialen Absicherung bei Berufs-unfähigkeit, nach der ein schwererer Behinde-rungs-oderKrankheitsgradmiteinerhöherenfi-nanziellenZuwendungeinhergehe,setzeethischundökonomischfragwürdigeAkzente.DieVer-mutung liegt nahe, dass sich in anderen euro-päischen Staaten zumindest ähnliche Entwick-lungenundKostenrelationenabbildenlassen.

Konsequenterweise–dieEinigungallerAkteureauf das wissenschaftliche Entstehungsmodelleiner bio-psycho-sozialen Ätiologie der chro-nischen Schmerzerkrankung vorausgesetzt – müssten sich folglichalledreiKomponenten insämtlichen Therapiekonzepten wiederspiegeln.Diese multifaktorielle Perspektive unterstreicht die Bedeutung der beruflichen Rehabilitation für eine ganzheitliche Genesung des Patienten . Die Entwicklunggeeigneter Reintegrationskonzeptekann nicht allein auf die Arbeitgeber oder einen derSozialversicherer„abgewälzt“werden.Ge-rade klein- und mittelständische Unternehmenmüssen durch z .B . intersektorell ausgerichtete Instanzen Unterstützung erfahren . Die Debatte im Workshop ging aber sogar noch eine Ebene tiefer.UmdieAnnäherungvonArbeitsweltundmedizinischem Versorgungssystem weiter zubefördern, müsse schon in der Aus- und Wei-terbildung aller Beteiligten angesetzt werden.

Eine generelle Haltung, dass Reintegration von erkrankten Arbeitnehmern zu einem ganzheit-lichen Therapieziel (nicht nur) bei chronischem Schmerzgehöre,solleinZukunftBestandteilderrelevantenAusbildungenwerden.Eswurdevoneinem notwendigenParadigmenwechselauf beiden Seiten ge-sprochen, bei dem auf der Ebene der Werte als Handlungsmotiva-toren angesetzt wer-den müsse . Stephan Bevan vom Institute for Employment Stu-dies in Großbritan-nien stellte in seinem Beitrag eine skandi-navische Studie vor, die durch ein struktu-riertes Programm den Fokus auf bestehende Kompetenzen der er-krankten Arbeitneh-mer lege . Arbeits-marktstellen würdenzusammen mit den Unternehmen den Fähigkeiten des Betroffenenin Art und Umfang angepasst . Welchen Erfolg diese Studie verzeichnen und ob „personalisierte Jobs“zukünftigalsBenchmarkdienenkönnen,bleibtabzuwarten.

Eine gravierende Problematik in der Integra-tion der beruflichen Wiedereingliederung in ein ganzheitliches Therapiekonzept besteht jedoch europaweit darin, dassdieseMaßnahmegröß-tenteils durch einen vom Gesundheitssektor ge-trenntenWirtschaftsbereichübernommenwird.Der Austausch zwischen den Akteuren stelltsichbisher imeuropäischenVergleichalsunzu-reichenddar;wohlgemerkt,dieBedeutungderZusammenarbeitüberSektorgrenzenhinweginihrer–auchökonomischen–DimensiongiltalsPriorität der „Policy recommendations“, die imWorkshop zum Thema erarbeitet und der euro-päischenKommissionalsHandlungsempfehlungvorgelegt wurden. Auch auf nationaler Ebene

HeinzK.Becker,EU-Parlamentarierund Moderator der Workshops und derPlenarveranstaltung:

„Chronischer Schmerz ist eine enorme Belastung für den Einzelnen unddarüberhinauseinwesentlicherKostenfaktorfürdieeuropäischenGesundheitssystemeebensowiefürWirtschaft, Arbeitsmarkt und die Gesellschaft im Allgemeinen .“

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wirddieserAspektindenzukünftigenMaßnah-menkatalogenbetont.BestenfallswürdedieZu-sammenarbeitzwischenGesundheitssektorundUnternehmen frühzeitiger ansetzen, indem spe-ziellaufchronischenSchmerzausgerichtetePrä-ventivmaßnahmengemeinsametabliertwerden.Prävention als Investment in das HumankapitalundnichtvorrangigalsKostenfaktorzubewer-ten –dafürplädierte StephanBevan in seinemVortrag deutlich und betonte damit das ganzheit-liche und Nachhaltigkeitsdenken. Einigkeit deram Workshop Teilnehmenden herrschte zudem in dem Punkt, dass sich alle Akteure gemeinsam zudiesemThemaverantwortlichzeigenunddie-sen Punkt zukünftig vorantreiben müssten . Da-rüber hinaus gerät aufgrund fraktionierter Ver-antwortlichkeit der eigentliche PatientennutzenindenHintergrund.Daherwärezusätzlicheinevermehrte Einbeziehung der Patientenperspek-tive, die den alleinigen Blick auf den gesamten, in sich geschlossenen Versorgungs- und Behand-lungsverlauf bietet, nicht nur sinnvoll, sondern überaus notwendig. Daraus können nicht nurintangible,sondernauchmonetäreVorteileaufallen Ebenen der Akteure entstehen .

Offensichtlich scheint die Zeit zur Formulierung von Standards in Bezug auf Maßnahmen zur be-ruflichen Rehabilitation für chronische Schmerz-patienten noch nicht reif zu sein . Aber eines wurdeaufdiesemKongressspürbarunderfuhrsogarregeUnterstützungderanwesendenPar-lamentarier - es existiert Raum für innovative Ansätze. Die Experten müssen sich daher wei-terhin Gedanken zur Finanzierung dieser noch sehr stark national individuellen Lösungen ma-chen . Das betrifft vor allem die Art der Vergü-tung und Honorarverteilung an die an der Ver-sorgungbeteiligtenPersonen.InwieweitkönnenAnreize über den Hebel der Vergütung gesetzt werden,um integrativeModelle zubefördern?Welche nationalen und internationalen Finanzie-rungsquellen stehen dafür zur Verfügung? DieZukunftwirdnochweitereFragendieserArtauf-werfen.ImBewusstseindieserHürdenbleibtdieCommunity aber im Grundsatz optimistisch und zeigt sich gegenseitig beeindruckt von den vielen wertvollenBeiträgendereinzelnenLänderundder steten Fortschritte . Es ginge sichtbar voran, wurdeamEndegemeinschaftlichkonstatiert.IndiesemSinne–actionsspeaklouderthanwords.

Workshop 4

Schmerz, Rehabilitation und Wiedereingliederung von Arbeitnehmern

Brüssel – Portugal ist eines der wenigen europäischen Länder, aus dem die ökonomischen Auswirkungen von chronischen Schmerzen als jährliche direkte und indirekte Kosten bekannt sind. Prof. Luis Azevedo, Universität Porto/Portugal, stellte die Auswertung der Daten einer repräsentativen portugiesischen Stichprobe von 5.094 Erwachsenen vor, von denen 562 an chronischem Schmerz litten.

Demnach kommen auf jeden Patienten mit chro-nischemSchmerzproJahrKostenvon€1.883.HochgerechnetaufdieGesamtbevölkerungsinddas€4,6Mrd.,dasentspricht2,7%desBrutto-inlandproduktes Portugals im Jahr 2010 .Dass nur sozioökonomische Parameter undnicht der Schweregrad des Schmerzes dieKosten beeinflussten, führte Azevedo auf

eine Ungleichheit bei der Ge-sundheitsversorgung zurück . Insgesamt 57% der Kostenwaren indirekte Kosten, des-halb müsse die Qualität derSchmerzversorgungund -Prä-vention erhöht werden, umdieKostenzusenken.

© Vortragsfolie von Luis Filipe Ribeiro de Azevedo, Facul-dadeDeMedicinaUniversidadedoPorto:TheEconomicImpact of Chronic Pain in Portugal

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AOK Nordost – KopfschmerzSpezial und RückenschmerzSpezialDieAOKNordosthatnachIdentifizierungeinesHandlungsbedarfszweiVersorgungsprogrammeaufgelegt–KopfschmerzSpezialundRückenSpe-zial . Ergebe deren Evaluation positive Ergebnisse solledasineinemöglichstflächendeckendeVer-sorgungmünden,sagteHaraldMöhlmann,Be-raterdesVorstandesderAOKNordost.

KopfschmerzSpezialInDeutschlandleidenzirka70%derEinwohnerin den vergangenen zwölf Monaten an Kopf-schmerzenundbei3%von ihnenhat sicheinchronischer Spannungskopfschmerz manifes-tiert. InderAOKNordostwerden7%derVer-sicherten wegen ihrer Kopfschmerzen medika-mentös behandelt. KopfschmerzSpezial ist einPilotprojekt mit der Charité-UniversitätsmedizinBerlin, in der die Patienten mit langbestehen-den, bisher nicht ausreichend behandelten chro-nischenKopfschmerzenineinemmultimodalenAnsatz inkl. stationärem Aufenthalt behandeltwerden.ErsteErfahrungenzeigen,dassesmög-lich ist, die Chronifizierung des Schmerzes zu durchbrechen und den Patienten neue Bewäl-tigungsstrategien zu vermitteln . Die Leistungs-aspekte seien inVerträgen verankert, auchdieKooperationmit denHausärzten, die einewe-

sentliche Herausforderung des gegliedertes Ge-sundheitssystems sei, da in den Sektoren nicht unbedingt immer optimal zusammen gearbeitet werde,soMöhlmann.

RückenSpezialLaut einer TNS-Infratest-Umfrage leiden mehr60% der deutschen Bevölkerung an Rücken-schmerzen und in den letzten sechs Jahren nahm dieAnzahlderRückenoperationenum136%zu.Bei RückenSpezial geht es darum, über Zweit-meinungen vor operativen Eingriffen, eine bes-sere Sicherheit für die Patienten herzustellen . Das Programm ist darauf ausgerichtet, das in acht ausgewählten Zentren die Patienten mit einerZweitmeinungberatenwerdenkönnen.Interdis-ziplinärwirdeineumfassendeDiagnosegestelltund eine multimodaler Therapie eingeleitet . Erste Ergebnissezeigen,dasszunächstmehrals80%dergeplantenWirbelsäulen-Operationendurchdie konservative und multimodale Therapie ver-miedenwerdenkonnten.Wennesgelinge,dasswirOperationenvermeiden,istdasfürdenUm-satz derKrankenhäuser zwar nicht erfreulich,aberdieMenschenkönnenunterUmständenwiederschnellerarbeitenundhabendieChan-ce, mit einem gezielten Programm, auch ohne Operation die chronischen Rückenschmerzen indenGriffzubekommen,soMöhlmann.

Tormenting many people: pain as a product of complex interactions

Body - Environment - Psyche

Approximately 60%of Germans suffer from back pain2; The number of

surgical procedures has increased by 136% in 6 years5

Approximately 70%of Germans suffer from headaches;

In about 3% of cases the condition is

chronic1

Approximately 47%of those insured by

AOK Nordost receive medical treatment for

back pain3

Approximately 7%of those insured by

AOK Nordost receive medical

treatment for headaches3

©VortragsfolievonHaraldMöhl-mann,AOKNordost,„Improvingthecareofpatientswithheadachesandback pain“

1 Gesundheitsberichterstattung (GBE) Bund [health reporting federation]2Statista2011TNSHealthcare(TypesofpainfromwhichmenandwomeninGermanysuffer)3AOKNordost(NumberofinsuredindividualswithcodedICDinmin.2quartersof2014)4 univita .com5NumberofcasesaccordingtothehospitalreportWIdO

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InterviewmitDr.KirstinKieselbach

Abgeordnete wollen besseres Schmerzmanagement

Brüssel – Chronische Schmerzen sind in vielen Gesundheitssystemen in Europa unbeach-tet. Das ist der Antrieb für die European Federation of IASP Chapters (EFIC). Sie will den Politikern in Europa aufzeigen, dass chronische Schmerzen ökonomische Bedeutung für die Gesundheitssysteme haben und eine Behandlung besser ist als nichts zu tun. Kom-pass sprach mit Dr. Kirstin Kieselbach über Probleme und Fortschritte.

Seit sechs Jahren fordern Ärzte, Patienten und Politiker auf dem SIP-Symposium fundamen-tale Verbesserungen in der Schmerzversor-gung. Was will man auf europäischer Ebene erreichen?

Kieselbach: Ich habe bei dem diesjährigen„societal impact of pain“ (SIP) an der zwei-ten von vier Arbeitsgruppen teilgenommen . Unser Thema war: „Empfehlungen für chro-nischen Schmerz, eine Erkrankung oder ein Symptom?“.Das istdefinitiveine sehrwich-tige Frage . Die Ziele des SIP sind nicht un-bedingt deckungsgleich mit den Zielen in Deutschland . Ich habe mitgenommen, dass die Umsetzung der verschiedenen Empfeh-lungen an das Europäische Parlament vondort „top down“ verstärkt werden können.Die Wahrnehmung des Versorgungsproblems beichronischenSchmerzensollgeschärftundder Druck auf die nationalen Parlamente er-höhtwerden.SokannüberdasEuropäischeParlament Einfluss auf die nationalen Parla-mente genommen werden. Dies geschiehtnicht im Sinne einer Legislative, sondern mit klaren Empfehlungen an die nationalen Re-gierungen . Mich hat es beeindruckt, dass viele Europaabgeordente, die vor dem Ple-num des SIP gesprochen haben, die Bedeu-tungchronischerSchmerzenmittlerweileklarerkannt haben . Sie haben versichert, dass sie dasBewusstseindafürsteigernwollen,indemneue Strategien für ein verbessertes Schmerz-management europaweit und national ent-wickeltwerden.

Und wie sieht die Situation verglichen mit ande-ren europäischen Staaten hierzulande aus?

Kieselbach: Man kann sa-gen, dass die Versorgungs-situation in Deutschland doch sehrweitentwickelt ist.Aus-wertungen auf europäischerEbene bestätigen das. Wirsind in guter Gesellschaft mit anderen europäischen Län-dern .

Was waren die heraus- ragenden Themen in Ihrer Arbeitsgruppe?

Kieselbach: Da würde ichgernzweiPunkteherausgrei-fen.IneinemVortragwurdenwichtigeZusammenhängezuden Kosten, die durch chro-nische Schmerzen verursacht werden, dargestellt. Im eu-ropäischen wie auch in dennationalen Gesundheitswesen ist durch ver-schiedene Faktoren, wie zum Beispiel durchdie Demografie, aber auch durch die Zunahme der Multimorbidität bei chronischen Erkran-kungen allgemein ein enormer Kostendruckentstanden. Die Ausgaben werden durch dieVersorgung chronischer Schmerzerkrankungen abernocheinmaldeutlicherhöht. InRelationzu den Gesundheitskosten spielt chronischer Schmerz einfach noch nicht die Rolle in den Diskussionen, die er spielen müsste . Darauf gilt es immerwiederhinzuweisen:Schmerzmussals Katalysator, als entscheidender Faktor fürReformen imGesundheitswesen erkanntundeinbezogenwerden.Wirbrauchendazuaberauch mehr empirische Daten .

Dr.KirstinKieselbach,ÄrztlicheLei-terindesInterdisziplinärenSchmerz-zentrumsdesUniversitätsklinikumsFreiburg © privat

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Und das zweite Thema?

Kieselbach: Das ist das Thema Schmerz als ei-genständigeErkrankung.WennmanchronischenSchmerz unter bestimmten Voraussetzungen als eigenständige Krankheit anerkennt – und dashaben jabereits vieleOrganisationen,wie zumBeispieldieEuropäischeSchmerzgesellschaft,ge-tan–dannmussgelten„werAsagt,mussauchBsagen“.Dasbedeutet,dannbrauchtesPräven-tion, es braucht eine spezifische Diagnostik und eine umfassende, eine individuelle Behandlung und interprofessionelle, patientenzentrierte Ver-sorgungsstrategienmitQualitätsrichtlinien.

Was ist davon in Deutschland umgesetzt worden?

Kieselbach: Die Wahrnehmung für das Thema Schmerz in der Öffentlichkeit ist gestiegen . Aber wiewirallewissen,istvorallemdiePalliativver-sorgungindenletztenJahrensehrhochgehängtworden.DasistohneZweifelsehrwichtig,aberdie Versorgung chronischer - nicht tumorbe-dingter - Schmerzen müsste ebenfalls mehr Be-achtungfindenundnun stärker indenMittel-punktgerücktwerden.Vieleshatsichaberauchschon getan . Die Gesundheitsministerkonferenz 2015willQualitätsstandardsetablierenunddiemultimodalen Therapien ausbauen . Sektoren-übergreifende Vernetzung und mehr Forschung sind andere Schlagworte. Es gibt viele Punkte,die in die richtige Richtung weisen. Wir habenindiesem Jahrdas3.Nationale Schmerzforumder Deutschen Schmerzgesellschaft, den Ak-tionstag gegen den Schmerz und vieles mehr . Der Deutsche Ärztetag hat sich intensiv mit dem Themaauseinandergesetztundsogar imKoali-tionsvertrag sind Formulierungen für eine besse-re Schmerzversorgung eingegangen .

Warum wissen Ärzte vergleichsweise wenig über chronische Schmerzen?

Kieselbach: Es ist in vielen Fachgruppen im-mer noch nicht bekannt, welche Brisanz chro-nischer Schmerz hat, wie chronischer Schmerzentstehtundwiemanihnrichtigbehandelt.DasUrsachen-Beseitigungs-Prinzip ist fest verankert

indenKöpfenvielerÄrzteundauchPatienten,auchinderBevölkerungallgemein.DieBehand-lung chronischer Schmerzen ist immer noch sehr an die Akutschmerztherapie angelehnt . Ein Bei-spiel: Man operiert den schmerzenden Rückenunddenkt,dannmussdochderSchmerzweg-gehen . Oft ist der chronische Schmerz aber ex-trem komplex, multifaktoriell bedingt . Schmerz ist etwas sehr Kompliziertes, eine adäquateSchmerztherapie ebenfalls. Lange Zeit wurdedas auch in der studentischen Ausbildung leider nicht berücksichtigt .

Krankenkassen - wie jüngst die Barmer GEK - fordern dringend verbindliche Qualitätskri-terien für alle Einrichtungen, die multimodale Schmerztherapie anbieten. Welche müssten das Ihrer Meinung nach sein?

Kieselbach: Es gibt neue Strukturkriterien, die sind m .E . auch sehr sinnvoll . Darüber hinaus gibt es aber inhaltliche Kriterien, z.B. für multimo-dale Therapie und die Behandlung chronischer Schmerzen.Diegreifen vielweiterund sind inder Literatur beschrieben . Ein biopsychosoziales Konzeptistsicherlichrichtig,aberallesstehtundfällt mit Vernetzung und Kommunikation unddannwäredanochderFaktorZeit.Schmerzthe-rapie geht nicht im Ruck-Zuck-Verfahren .

Schmerz ist eine komplexe medizinische Her-ausforderung, aber hat nicht den Status einer eigenen Krankheit. Es gibt infolgedessen auch keinen Facharzt für Schmerz. Wäre das nicht sachgerecht?

Kieselbach: Ich persönlich halte ihn für not-wendig und plädiere für eine Facharztausbil-dung. Ich bin Schmerzmedizinerin und Neuro-chirurgin und leite das Schmerzzentrum hier an der Uniklinik in Freiburg als eigenständigezentrale Einrichtung . Eine solche Einrichtung halte ich in vielerlei Hinsicht für essentiell . So betrachtet handelt es sich bei der Frage eines Facharztes für Schmerz um eine konsequente Weiterführung von spezifischer Diagnostik und TherapievonchronischenSchmerzenbzw.derchronischen Schmerzerkrankung . Das spiegelt

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Schmerzforschung

WastutdieEU?

Brüssel – Von 2003 bis 2013 habe die EU mit 95 Millionen Euro die Schmerzforschung, die Projekte umfassten verschiedene Schmerzformen, Pathophysiologie, Biomarker, Präven-tion, Epidemiologie Früherkennung und Palliativmedizin gefördert, berichtete Dr. Vidal Ragout von der Gesundheitsdirektion der Europäischen Kommission.

Zu den geförderten Projekten gehörte zumBeispiel die „European Palliative Care Research Collaborative“ (EPCRC), die europäische, evi-denzbasierte Leitlinien auch zum Schmerz ent-wickelte.DieseführtenbeispielsweisezueinerÜberarbeitung der englischen Leitlinien zum GebrauchvonOpioidenbeiKrebsschmerzen.

Horizont 2020Die aktuelle Forschungsförderung – Horizont2020 – läuft unter dem Motto „Gesundheit,demographischer Wandel und Wohlbefinden“ . Für das Thema Gesundheit und gesellschaft-

liche Auswirkungenstehen laut Ragout 7,5 Milliarden Euro zur Ver-fügung. Davon wurden2014-2015 alleine für die Schmerzforschung 64 Millionen Euro aus-gegeben .

DiewichtigstengefördertenSchmerzprojektebzw.ProjektemitintegierterSchmerzforschungsind:

• DOLORisk:PathophysiologieundRisikofaktorenfürneuropathischenSchmerz

• SC1-PM-02-2017:neueKonzeptederPatientenstratifizierung

• SC1-PM-10-2017:VergleichderWirksamkeitderbisherigenTherapiestrategien

• IMI (innovative medicines initiative): Entwicklung neuer Medikamente zur Therapie von Rückenschmerzen,pathologischeNeuron-Glia-InteraktionenbeimneuropathischenSchmerz

• CanCon:SchmerzmanagementbeiKrebsschmerzen

• CHRODIS(Adressingcronicdiseasesandhealthyageingacrossthelifecycle):„Wissens-plattform“ für den Austausch über chronische Erkrankungen

ForschungsförderungdefiniertunteranderemdieBroschüre„Horizont 2020“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung © BMBFDownloadderBroschüreunter:www.bmbf.de/pub/hori-zont_2020_im_blick .pdf

BildnachweisSämtlicheFotos,wennnichtandersim Bild angegeben:©2016-IsabellePateer/Otherweyes

Impressum

Herausgeber:GrünenthalGmbHKontakt:UtaHoff(v.i.S.d.P.),uta .hoff@grunenthal .comT.:0241-569-2820,F.:0241-569-3151

Umlauf-Nr.: 2016MAHP017

sichauchinderNotwendigkeiteinereigenstän-digenLehrewider.

Schmerzfreiheit wünscht sich jeder. Ist dieses Ziel überhaupt erreichbar noch dazu in einer alternden Gesellschaft?

Kieselbach: Bei chronischen Schmerzen geht es oft nicht in erster Linie um Schmerzfreiheit, es geht vor allem um Schmerzlinderung, um FunktionundBeweglichkeit,esgehtumZufrie-denheit und Lebensqualität. Das sind unserehohen Ziele .

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