korruption und kleinstaat. elemente einer theorie

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Korruption und Kleinstaat. Elemente einer Theorie Sebastian Wolf Universita¨ t Konstanz Abstract: Der Aufsatz bescha ¨ftigt sich vorwiegend aus einer theoretischen Perspektive mit Korrup- tion als einer bestimmten Form von Devianz in Kleinstaaten, insbesondere Mikrostaaten: Weisen sie Besonderheiten im Hinblick auf Korruptionsanfa ¨lligkeit, das Kosten-Nutzen-Verha ¨ltnis von Korrup- tion sowie die Korruptionsbeka ¨mpfung auf? Zuna ¨chst wird eine grobe Kosten-Nutzen-Analyse fu ¨r Kleinstaaten im Hinblick auf Korruption skizziert. Es folgt ein Versuch, daru ¨ber hinausgehend strukturelle korruptionserho ¨hende oder korruptionsreduzierende Einflussfaktoren fu ¨r das Korruptionsniveau in kleinen politischen Systemen zu benennen. Daraufhin wird anhand eines Stufenmodells diskutiert, wann und gegebenenfalls in welcher Weise Kleinstaaten aktiv Korruptionsbeka ¨mpfung betreiben. Einige der in den verschiedenen Abschnitten entwickelten U ¨ berlegungen werden am Beispiel Liechtensteins punktuell veranschaulicht. Der Beitrag versteht sich als theoretische Vorstudie fu ¨r weiterfu ¨hrende empirische Analysen. Keywords: Corruption, micro states, very small countries, cost-benefit analysis, Liechtenstein 1. Einleitung 1 Kleine staatliche Einheiten zeichnen sich vielfach dadurch aus, dass sie sich in bestimmten Teilbereichen spezialisieren, um im internationalen Staatensystem zu u¨berleben und o¨kono- misch zu prosperieren. Ha¨ufig – aber nicht notwendigerweise – profitieren sie hier von ei- nem bewusst herbeigefu¨hrten Rechtsgefa¨lle im Vergleich zu gro¨sseren Staaten (Gantner und Eibl 1999: 30; Simon 2006: 43; Waschkuhn 2003: 760). Rechtliche Devianz in Kleinstaaten muss jedoch nicht immer auf wirtschaftliche Wettbewerbsfa¨ higkeit abzielen. So dienen eigentu¨mliche politisch-institutionelle Arrangements nicht selten als wichtige ‘‘Kris- tallisationspunkte fu¨ r partikularistisch-nationale Identifizierungen’’ (Geser 1992: 635). Die- ser Aufsatz bescha¨ftigt sich aus einer theoretischen Perspektive mit Korruption als einer bestimmten Form von Devianz in Kleinstaaten: Weisen sehr kleine politische Systeme Besonderheiten im Hinblick auf Korruptionsanfa¨ lligkeit, das Kosten-Nutzen-Verha¨ ltnis von Korruption sowie die Korruptionsbeka¨mpfung auf? Diese Fragen sind nicht nur fu¨r Kleinstaaten selbst von hoher Relevanz, da sie mo¨glicherweise unter bestimmten negativen Folgen von Korruption leiden, sondern auch fu¨r gro¨ssere La¨nder, die im Falle einer klein- staatlichen Externalisierung von Korruptionskosten unter Umsta¨ nden mit Nachteilen konfrontiert sind. Der Beitrag stellt eine Verbindung zweier Forschungsbereiche dar, die bislang noch nicht explizit miteinander kombiniert wurden: die Korruptions- und die Ó 2011 Swiss Political Science Association 1 Der Autor dankt Sonja Grimm, Wilfried Marxer und Herbert Wille sowie drei anonymen GutachterInnen und der Redaktion der SPSR fu¨r wertvolle Hinweise zur Verbesserung fru¨herer Versionen dieses Aufsatzes. Zwei Mitar- beiterInnen der liechtensteinischen Landesverwaltung sei fu¨r ihre Bereitschaft zu offenen Gespra¨chen u¨ber die liech- tensteinische Antikorruptionspolitik gedankt. Fu¨r die Hilfe bei der Erstellung des franzo¨sischen Abstracts danke ich Caroline Wolf und Wolfgang Seibel. Swiss Political Science Review 17(1): 51–74 doi:10.1111/j.1662-6370.2011.02002.x

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Page 1: Korruption und Kleinstaat. Elemente einer Theorie

Korruption und Kleinstaat. Elemente einer Theorie

Sebastian Wolf

Universitat Konstanz

Abstract: Der Aufsatz beschaftigt sich vorwiegend aus einer theoretischen Perspektive mit Korrup-tion als einer bestimmten Form von Devianz in Kleinstaaten, insbesondere Mikrostaaten: Weisen sieBesonderheiten im Hinblick auf Korruptionsanfalligkeit, das Kosten-Nutzen-Verhaltnis von Korrup-tion sowie die Korruptionsbekampfung auf? Zunachst wird eine grobe Kosten-Nutzen-Analyse furKleinstaaten im Hinblick auf Korruption skizziert. Es folgt ein Versuch, daruber hinausgehendstrukturelle korruptionserhohende oder korruptionsreduzierende Einflussfaktoren fur dasKorruptionsniveau in kleinen politischen Systemen zu benennen. Daraufhin wird anhand einesStufenmodells diskutiert, wann und gegebenenfalls in welcher Weise Kleinstaaten aktivKorruptionsbekampfung betreiben. Einige der in den verschiedenen Abschnitten entwickeltenUberlegungen werden am Beispiel Liechtensteins punktuell veranschaulicht. Der Beitrag verstehtsich als theoretische Vorstudie fur weiterfuhrende empirische Analysen.

Keywords: Corruption, micro states, very small countries, cost-benefit analysis, Liechtenstein

1. Einleitung1

Kleine staatliche Einheiten zeichnen sich vielfach dadurch aus, dass sie sich in bestimmtenTeilbereichen spezialisieren, um im internationalen Staatensystem zu uberleben und okono-misch zu prosperieren. Haufig – aber nicht notwendigerweise – profitieren sie hier von ei-nem bewusst herbeigefuhrten Rechtsgefalle im Vergleich zu grosseren Staaten (Gantner undEibl 1999: 30; Simon 2006: 43; Waschkuhn 2003: 760). Rechtliche Devianz in Kleinstaatenmuss jedoch nicht immer auf wirtschaftliche Wettbewerbsfahigkeit abzielen. So dieneneigentumliche politisch-institutionelle Arrangements nicht selten als wichtige ‘‘Kris-tallisationspunkte fur partikularistisch-nationale Identifizierungen’’ (Geser 1992: 635). Die-ser Aufsatz beschaftigt sich aus einer theoretischen Perspektive mit Korruption als einerbestimmten Form von Devianz in Kleinstaaten: Weisen sehr kleine politische SystemeBesonderheiten im Hinblick auf Korruptionsanfalligkeit, das Kosten-Nutzen-Verhaltnisvon Korruption sowie die Korruptionsbekampfung auf? Diese Fragen sind nicht nur furKleinstaaten selbst von hoher Relevanz, da sie moglicherweise unter bestimmten negativenFolgen von Korruption leiden, sondern auch fur grossere Lander, die im Falle einer klein-staatlichen Externalisierung von Korruptionskosten unter Umstanden mit Nachteilenkonfrontiert sind. Der Beitrag stellt eine Verbindung zweier Forschungsbereiche dar,die bislang noch nicht explizit miteinander kombiniert wurden: die Korruptions- und die

� 2011 Swiss Political Science Association

1 Der Autor dankt Sonja Grimm, Wilfried Marxer und Herbert Wille sowie drei anonymen GutachterInnen und

der Redaktion der SPSR fur wertvolle Hinweise zur Verbesserung fruherer Versionen dieses Aufsatzes. Zwei Mitar-

beiterInnen der liechtensteinischen Landesverwaltung sei fur ihre Bereitschaft zu offenen Gesprachen uber die liech-

tensteinische Antikorruptionspolitik gedankt. Fur die Hilfe bei der Erstellung des franzosischen Abstracts danke

ich Caroline Wolf und Wolfgang Seibel.

Swiss Political Science Review 17(1): 51–74 doi:10.1111/j.1662-6370.2011.02002.x

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Kleinstaatenforschung. Wahrend die Korruptionsforschung in den letzten Jahren uberalle sozialwissenschaftlichen Disziplinen hinweg eine nahezu unuberschaubare Vielfalt anAnsatzen, Methoden und Erkenntnissen hervorgebracht hat (vgl. von Alemann 2005: 14),‘‘fristet die Kleinstaatenforschung […] noch immer ein Nischendasein’’ (Kirt undWaschkuhn 2001: 23).

‘‘Korruption’’ ist ein ahnlich schillernder und ungenauer Begriff wie ‘‘Kleinstaat’’. Furbeide Worter existieren in Praxis und Wissenschaft keine einheitlich akzeptierten Defini-tionen. Der vorliegende Beitrag benotigt aufgrund seines relativ hohen Abstrak-tionsniveaus und seiner Form als theoretische Vorstudie (siehe unten) keine engeKorruptionsbeschreibung, wie sie etwa aus Grunden des Rechtsstaatsprinzips in den na-tionalen Straftatbestanden fur Bestechung und Bestechlichkeit und einigen anderen Delik-ten notwendigerweise zu finden ist. Hier sollen demgegenuber gezielt vergleichsweise vieledeviante Strategien, Strukturen und Verhaltensweisen erfasst werden. Daher erfolgt eineOrientierung an der sehr haufig zitierten, unter anderem von der fuhrenden Antikorrup-tionsorganisation Transparency International verwendeten Definition ‘‘abuse of entrustedpower for private gain’’ (Transparency International 2009; vgl. von Alemann 2005: 21).2

In die Uberlegungen der folgenden Abschnitte werden auch bestimmte Interessenkonflikteund -konstellationen miteinbezogen, die noch keine Korruption (also Missbrauch anver-trauter Macht zum privaten Vorteil) im eigentlichen Sinne darstellen, aber korruptiveHandlungen begunstigen (vgl. von Arnim et al. 2006: 9).3 Spatestens der Begriff des‘‘Missbrauchs ⁄abuse’’ impliziert zwei Fragen: Inwieweit ist Korruption ein primar norma-tives Phanomen, und lasst sich Korruption vorrangig nur unter normativen Gesichts-punkten analysieren? Praktisch alle Beschreibungen von Korruption enthalten Elementevon abweichendem Verhalten oder Regelverstossen (vgl. von Alemann 2005: 19-21), wo-rauf bereits der lateinische Ursprung des Wortes – meist ubersetzt mit ‘‘zerbrechen, ver-derben, bestechen, falschen, verfuhren’’ (von Arnim 2003: 283) – hindeutet. Selbst ausder Perspektive systemtheoretisch orientierter Autoren zielt ‘‘Korruption auf die Ver-letzung eines spezifischen Handlungsprogramms, welches fur die Mitglieder eines ausdif-ferenzierten gesellschaftlichen Teilsystems steht’’ (Morlok 2005: 136; vgl. auch Aderholdund Doring 2010; Hiller 2010). Dieser Umstand bedeutet allerdings nicht, dass Korrup-tion notwendigerweise und kontextunabhangig immer uberwiegend schadlich fur einGesamtsystem ist und nur unter diesem Blickwinkel untersucht werden kann und muss.Aus exakt diesem Grunde formulierte Nye (1967: 427): ‘‘Corruption […] is too importanta phenomenon to be left to moralists’’.

In den allermeisten Fallen fuhren korruptive Handlungen – insbesondere wenn es sichum systemische Korruption handelt – freilich zu materiellen und ⁄oder immateriellenSchaden fur Gesellschaft, Politik und Wirtschaft (Dolling 2007: 26-28). Viele Beobachter

2 Enger ist dagegen die ebenfalls oft verwendete Begriffsbestimmung der Weltbank (1997: 8), die den Radius auf

Korruption im offentlichen Sektor begrenzt: ‘‘The abuse of public office for private gain’’. Die ausserordentlich wei-

te Arbeitsdefinition der Europaischen Kommission (2003: 6) – ‘‘Abuse of power for private gain’’ – konnte sich al-

lerdings nicht durchsetzen; das auf eine Prinzipal-Agenten-Beziehung verweisende Element der ‘‘anvertrauten

Macht’’ scheint somit ein nahezu konsensuales Element zumindest aller akteursorientierten Korruptionsbeschrei-

bungen zu sein.3 Vor dem Hintergrund dieses breiten Begriffsverstandnisses wird auf die Formulierung einer eigenen Arbeitsdefini-

tion verzichtet, da diese keinen analytischen Mehrwert mit sich bringen wurde. Zu den Unterscheidungsmoglichkei-

ten nach Korruptionsakteuren und -delikten sowie den in den folgenden Abschnitten verwendeten

Ausdifferenzierungen siehe Fussnote 7.

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lehnen es daher grundsatzlich ab, etwaige systemneutrale oder gar positive Folgen vonKorruption auch nur in Erwagung zu ziehen (etwa von Arnim 2003; Heineman undHeimann 2006). Autoren wie Huntington (2002 [1968]), Leff (2002, [1964]) oder Nye(1967), haufig ‘‘Funktionalisten’’ genannt, werden heute meist nur noch oberflachlich alsmoralisch verwerfliche Negativbeispiele zitiert oder als veraltet abgestempelt (vgl. Klit-gaard 2000: 2), oft ohne eindeutig widerlegt worden zu sein. Denn sie haben die generellnegativen Auswirkungen von Korruption in der Regel gar nicht bestritten, aber zum Teilsehr detailliert argumentiert, dass spezifische korruptive Handlungen unter ganz bestimm-ten (haufig sehr engen) Rahmenbedingungen und in begrenztem Umfang moglicherweisemit mehr kollektiven Vorteilen als Nachteilen verbunden sind. Systemtheoretisch gewen-det lasst sich etwa fragen, ob die Verletzung eines spezifischen Handlungsprogrammsdurch bestimmte Mitglieder eines Teilsystems (vgl. Morlok 2005) unter Umstanden auchVorteile fur die Performanz dieses Teilsystems haben kann, ob partielle Umcodierungender Funktions- oder Kommunikationslogik eines Teilsystems durch korruptive Beeinfluss-ungen aus einem anderen Teilsystem (vgl. Aderhold und Doring 2010; Hiller 2010) ge-gebenenfalls stabilisierend fur das Gesamtsystem sein konnen, oder ob ein Systemmoglicherweise Korruption gewinnbringend fur (und durch) seine Teilsysteme auf Kostenanderer Systeme und ihrer Teilsysteme einzusetzen vermag. Der vorliegende Beitrag be-schaftigt sich mit Kleinstaaten, welche aufgrund ihrer besonderen Situation zumindestgelegentlich zu abweichenden Strategien, Strukturen und Verhaltensweisen neigen, da‘‘ein geringes Quantum an externer Macht […] auch mannigfache Autonomiechancenmit sich bringt: etwa die den grosseren Staaten unzugangliche Moglichkeit, im Schutzeniedriger Sichtbarkeit auf innovative und eventuell auch deviante Weise bestimmte Ni-schen zu besetzen’’ (Geser 1992: 653). Daher kommt diese Untersuchung nicht umhin,auch ‘‘funktionalistische’’ – also nutzenmaximierende oder systemerhaltende – Uberle-gungen anzustellen (vgl. 2.).

Staaten konnen nach ganz unterschiedlichen Kriterien oder Kriterienbundeln als Klein-staaten definiert werden (Seiler 1995: 5-20). Am haufigsten werden Bevolkerungszahl,Flache und ⁄oder Bruttoinlandsprodukt herangezogen (Kocher 2002: 16-26). Allerdingshaben viele Faktoren letztlich in ‘‘der Bevolkerungsgrosse ihre kausale Wurzel’’ (Geser1992: 632). Im Unterschied zu dem oben skizzierten weiten Korruptionsbegriff wird imFolgenden mit einer sehr engen Kleinstaatendefinition gearbeitet, um die Aussagekraftder angestellten Uberlegungen fur eine einigermassen klar abgegrenzte Gruppe vonStaaten zu erhohen. Der vorliegende Beitrag beschaftigt sich primar mit Kleinst- oderMikrostaaten beziehungsweise ‘‘very small countries’’ (Kocher 2002) bis ca. 100.000 Ein-wohner (vgl. Gstohl 2001: 13; Marxer und Pallinger 2009: 902).4 In begrenztem Massedurften einige der Uberlegungen auch noch eingeschrankt auf grossere Kleinstaaten mitPopulationen in niedriger einstelliger Millionenhohe zutreffen. Kleinststaaten sind hin-sichtlich ihrer politischen Systeme, ihrer soziookonomischen Entwicklung, ihrer Kulturund weiterer Merkmale relativ heterogen. Vor diesem Hintergrund wird in dem vorlie-genden Aufsatz primar auf der Grundlage von deduktiv abgeleiteten, spezifisch klein-staatlichen und verallgemeinerbaren Besonderheiten argumentiert, insbesondere derRessourcenknappheit (vgl. Waschkuhn 2003: 760). Die Ausfuhrungen sollen nicht nur

4 Aus Grunden der sprachlichen Einfachheit wird im Folgenden auf den Begriff ‘‘Kleinststaat’’ verzichtet, wegen

der abwertenden Konnotation auf Beschreibungen wie ‘‘Miniaturstaat’’ oder ‘‘Zwergstaat’’ (vgl. Kocher 2002: 26;

Seiler 1995: 6). Die folgenden Ausfuhrungen beziehen sich nur auf Stadtstaaten mit einer entsprechend kleinen

Bevolkerung und nicht auf Staatsgebilde mit mehreren Millionen Einwohnern wie Singapur.

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fur die kleinsten Lander in Europa (abgesehen vom Staat Vatikanstadt, einer Theokra-tie) gelten, sondern fur Mikrostaaten weltweit.5 Einzelne der im Folgenden diskutiertenMerkmale treffen zwar auch auf manche grosseren Lander zu – Ausgangspunkt derUberlegungen ist allerdings, dass alle entsprechenden Charakteristika grundsatzlichimmer in Kleinstaaten zu finden sind.

Dieser Aufsatz erhebt als eine Art Themenaufriss, Forschungsskizze oder Pilotstudie beiweitem nicht den Anspruch, schon eine ausformulierte oder gar getestete Theorie zum kom-plexen Thema ‘‘Korruption und Kleinstaat’’ zu prasentieren. Es werden vielmehr lediglichverschiedene thesenartige Betrachtungen angestellt und begrundet,6 ohne bereits fur die not-wendigen nachfolgenden empirischen Untersuchungen fertige Operationalisierungen vor-zulegen (vgl. Wewer 1992) – daher der Untertitel ‘‘Elemente einer Theorie’’. Zunachst wirdeine grobe Kosten-Nutzen-Analyse fur Kleinstaaten im Hinblick auf Korruption skiz-ziert (2.). Es folgt ein Versuch, daruber hinausgehend strukturelle korruptionserhohendeoder korruptionsreduzierende Einflussfaktoren fur das Korruptionsniveau in Kleinstaatenzu benennen (3.). Auf den vorherigen Abschnitten aufbauend wird sodann anhand einesStufenmodells diskutiert, wann und gegebenenfalls in welcher Weise Kleinstaaten aktivKorruptionsbekampfung betreiben (4.). Einige der zuvor entwickelten Annahmen werdendaraufhin am Beispiel Liechtensteins exemplarisch veranschaulicht und problematisiert (5.).Das Furstentum ist zwar wohlhabender als viele andere Kleinstaaten, weist jedoch einesehr geringe Bevolkerungszahl (36.000 Einwohner) auf einer ausserst kleinen Flache(160 km2) und auch sonst fur Mikrostaaten typische und verallgemeinerbare Charakteristi-ka auf (vgl. Gantner und Eibl 1999: 24). Abschliessend werden die Uberlegungen der ver-schiedenen Abschnitte thesenartig zusammengefasst und auf das Fallbeispiel Liechtensteinbezogen (6.)

2. Korruption und Kleinstaat: eine Kosten-Nutzen-Analyse

Das Missbrauchs- oder Verletzungselement der meisten Korruptionsdefinitionen (vgl. 1.)deutet bereits darauf hin, dass Korruption ublicherweise negative Folgen hat, die betrachtli-che Ausmasse annehmen konnen: ‘‘Corruption distorts markets and competition, breedscynicism among citizens, undermines the rule of law, damages government legitimacy, andcorrodes the integrity of the private sector’’ (Heineman und Heimann 2006: 76; vgl. Dolling2007: 26-28; Klitgaard 1988: 46). Vor diesem Hintergrund ist es nicht uberraschend, dassNye am Ende seines vielzitierten theoretischen Entwurfs zum Kosten-Nutzen-Verhaltnisvon Korruption in Entwicklungslandern argumentiert, dass ‘‘the costs of corruption willexceed its benefits except for top level corruption involving modern inducements and mar-ginal deviations and except for situations where corruption provides the only solution to animportant obstacle to development’’ (Nye 1967: 427). Rose-Ackerman (2002, [1997]): 354)kommt 30 Jahre spater zu einem ahnlichen Ergebnis: ‘‘[A]lthough corruption can be effi-

5 Kleinstaaten mit Einwohnerzahlen bis 100.000 sind Andorra, Antigua und Barbuda, Dominica, Kiribati, Liech-

tenstein, die Marshallinseln, Monaco, Nauru, Palau, San Marino, die Seychellen, St. Kitts und Nevis, Tuvalu und

der Vatikan. Alle diese Staaten werden von Freedom House (2010) als ‘‘free’’ bezeichnet mit Ausnahme der Sey-

chellen (‘‘partly free’’) und der Vatikanstadt (nicht erfasst). Trotz zahlreicher Disparitaten weisen die kleinsten

Regierungssysteme der Welt (ohne Berucksichtigung des Vatikans) somit ein Mindestmass an politischer Homoge-

nitat – etwa hinsichtlich Demokratie, Gewaltenteilung und Grundrechtsgewahrung – auf, was die Generali-

sierbarkeit der im Folgenden angestellten Uberlegungen erhoht.6 Beispielhaft fur die Korruptionsforschung etwa Nye (1967), fur die Kleinstaatenforschung Geser (1992).

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cient under some quite restrictive assumptions, it is inefficient in many contexts’’. Auf diesenForschungsergebnissen soll im Folgenden aufgebaut werden (vgl. Klitgaard 1988: 36-37).Bei vielen Kleinstaaten handelt es sich zwar nicht um Entwicklungslander, doch sind NyesUberlegungen relativ problemlos verallgemeinerbar, weil er einen auf jedes Staatswesen an-wendbaren Begriff von politischer Entwicklung verwendet: ‘‘growth […] in the capacity of asociety’s governmental structures and processes to maintain their legitimacy over time’’(Nye 1967: 419).

Kleinstaaten leiden ublicherweise unter einer ‘‘chronischen Knappheit an Handlungs-und Organisationskapazitaten’’ (Waschkuhn 2003: 760). Sie sind daher in hohem Masseauf die Effizienz und Effektivitat ihrer Steuerungsinstrumente angewiesen. Korruptionfuhrt zur Fehlallokation von offentlichen und privaten Ressourcen und steht damit op-timaler Steuerung entgegen. Daraus lasst sich folgern, dass Korruption fur kleinstaatlicheSysteme grundsatzlich mit einer grosseren Gefahr verbunden sein durfte, denn Kleinstaa-ten konnen sich angesichts ihrer Ressourcenknappheit eine Verschwendung ihrer Mittelnoch weniger erlauben als grossere Lander. Diese Uberlegung gilt allerdings nur fur in-nerstaatliche Korruption. Gelingt es, die mit Korruption verbundenen Kosten zu exter-nalisieren, kann die Kosten-Nutzen-Bilanz anders ausfallen. So hat beispielsweiseAuslandsbestechung im internationalen Geschaftsverkehr – bis Ende der 1990er Jahre inden meisten Industrielandern nicht unter Strafe gestellt und teilweise sogar steuerlich ge-fordert – immer schon auf der Logik relativer Vorteile fur das Heimatland auf Kostendes beteiligten Auslands basiert, wo die Korruption in der Regel gesellschaftliche, politi-sche und ⁄oder wirtschaftliche Schaden zur Folge hatte (Wolf 2009). Viele okonomisch er-folgreiche Kleinstaaten haben eine stark exportorientierte Wirtschaft (Geser 1992: 638).Zudem sind Kleinstaaten als besonders umweltoffene und ressourcenschwache Systemegeubt darin, bestimmte Kosten zu externalisieren und als Trittbrettfahrer zu agieren(Kocher 2002: 27; Waschkuhn 2003: 760). Dies legt nahe, dass transnationale Korruptiongrundsatzlich mit gewissen Vorzugen fur Kleinstaaten verbunden sein konnte, auch wennAuslandsbestechung mittlerweile von allen OECD-Staaten und zahlreichen weiterenLandern ponalisiert wurde. Kosten und Nutzen innerstaatlicher und transnationaler Kor-ruption fur Kleinstaaten sind nach diesen Voruberlegungen im Folgenden getrennt zuanalysieren.7

7 Korruptionshandlungen lassen sich freilich noch viel differenzierter aufgliedern, etwa in horizontale Korruption

(zwischen Privatakteuren) und vertikale Korruption (zwischen privaten und staatlichen Akteuren). Innerhalb der

beiden Kategorien ‘‘offentlich’’ und ‘‘privat’’ sind noch vielfaltige Unterdifferenzierungen moglich in kollektive

Akteure (z. B. Regierung, Parlament, Gerichte, Gebietskorperschaften, einzelne Verwaltungsbereiche auf der einen

Seite und Firmen, multinationale Konzerne, Fuhrungsetagen, Arbeitnehmervertretungen auf der anderen Seite)

sowie individuelle Akteure (einerseits etwa Regierungsmitglieder, Abgeordnete, Richter, Kommunalbeamte,

Verwaltungsmitarbeiter und andererseits beispielsweise Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder, Betriebsrate, ein-

fache Angestellte, Selbstandige). Ausserdem kann zwischen Korruptionsdelikten im engeren Sinne (Bestechung und

Bestechlichkeit, Vorteilsgewahrung und Vorteilsannahme) und im weiteren Sinne (z. B. Untreue, Amtsmissbrauch,

Unterschlagung, Einflusshandel) sowie Versuch und Beihilfe zu diesen Handlungen unterschieden werden. Eine

Berucksichtigung all dieser Differenzierungsmoglichkeiten bei der Analyse von Kleinstaatenkorruption wurde Um-

fang und Format dieses Beitrags deutlich sprengen. Daher beschrankt sich die vorliegende Untersuchung fur

Abschnitt 2 auf die Unterscheidung zwischen innerstaatlicher und transnationaler Korruption und fur die Ab-

schnitte 3 und 5 auf die Bereiche Politik, Verwaltung, privater Sektor und Ausland. Innerhalb dieser Ausdifferen-

zierungen werden ohne Anspruch auf Vollstandigkeit Sektoren, Akteure und Delikte ausgewahlt, die fur die jeweils

behandelte Thematik besonders wichtig erscheinen.

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2.1. Innerstaatliche Korruption

Souveranitat, Identitat und Prosperitat lassen sich als zentrale Ziele von Kleinstaatenbeschreiben (Gantner und Eibl 1999: 25; Geser 1992: 639).8 Unabhangig von bestimmtenKontextfaktoren scheint innerstaatliche Korruption grundsatzlich wenig geeignet, zurForderung dieser Ziele beizutragen: Die interne Dimension von Souveranitat – verstandenals die Fahigkeit, im eigenen Territorium als hochste Autoritat zu handeln, mithin effektiveRegierungsgewalt auszuuben (Newton und van Deth 2010: 20) – wird durch Korruptionunterminiert. Ein hohes Korruptionsniveau kann ausserdem zu einer Entfremdung derBurger und somit zu einer Beschadigung der kleinstaatlichen Identitat fuhren. Schliesslichverursacht Korruption ublicherweise suboptimale Wirtschaftsentwicklungen, unter anderemdurch okonomische Fehlallokationen, falsche Anreize, eine zusatzliche Quasi-Besteuerungund eine Verringerung auslandischer Direktinvestitionen (Tanzi 1998: 582-86). DieseBefunde sprechen erneut fur die bereits geausserte Vermutung, dass innerstaatlicheKorruption insbesondere fur Kleinstaaten mit negativen Folgen verbunden ist.

Berucksichtigen wir nun Nyes (1967: 427) oben zitierte Spezifizierung, dass die durchKorruption verursachten Kosten vermutlich nur dann etwaige Vorteile nicht uberwiegen,wenn es sich im Wesentlichen um geringe Pflichtverletzungen bei hochrangigen Akteurenhandelt und Korruption das einzige Instrument zur Erreichung eines wichtigen Ziels dar-stellt, so durften die in Frage kommenden hypothetischen Falle fur kleinstaatliche Systemerelativ uberschaubar sein. Im Folgenden werden ohne Anspruch auf Vollstandigkeit einigeKonstellationen erortert:

• Souveranitat: Kleinstaaten sind abhangig von einer konstruktiven Mitwirkung moglichstaller politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Eliten (Waschkuhn 2003: 760).Dies fuhrt haufig zu konkordanzdemokratischen Entscheidungsstrukturen in kleinen So-zialsystemen (Geser 1991). Verweigert ein signifikanter Teil der Elite die Unterstutzungdes Staatswesens, so konnte dies eine betrachtliche Schwachung der effektiven Regie-rungsgewalt im Kleinstaat zur Folge haben. Es ist vorstellbar, dass diese heikle Situationnotfalls nur durch Korruption behoben werden kann, zum Beispiel durch die Schaffungvon Patronagestrukturen oder die Zubilligung bestimmter Pfrunde (zur Elitenintegrationdurch Korruption vgl. Nye 1967: 420).

• Identitat: Wie eingangs bereits ausgefuhrt wurde, weisen Kleinstaaten mitunter sehr ei-gentumliche, oftmals tradierte politisch-institutionelle Strukturen auf. Ausserordentlichstarke monarchische Elemente (beispielsweise in Liechtenstein und Monaco) stammenaus einer Zeit, in der es aufgrund der fehlenden normativen Trennung zwischen offentli-cher und privater Rolle politische Korruption nach modernem Verstandnis wohl noch

8 Diese Staatsziele treffen nicht nur, aber in besonderer Weise auf Kleinstaaten zu: 1.) Wahrend sich grossere Staa-

ten spatestens seit Ende des Zweiten Weltkriegs in der Regel zumindest formalrechtlich keine Sorgen um die Aner-

kennung ihrer Souveranitat machen mussen, kampften zahlreiche Mikrostaaten noch uber weite Teile des 20.

Jahrhunderts vergeblich um die internationale Anerkennung ihrer Eigenstaatlichkeit (Marxer und Pallinger 2009:

901-2); 2.) Dass kleine Sozialsysteme angesichts ihrer vielfaltigen Umweltbeziehungen und geringeren Selbstthemati-

sierung wesentlich starker um den Erhalt einer eigenen Identitat besorgt sein mussen als grossere Gemeinwesen, hat

die Kleinstaatenliteratur uberzeugend herausgearbeitet (etwa Geser 1992: 634-35); 3.) Aufgrund ihrer massiven und

strukturellen Ressourcenknappheit und Umweltabhangigkeit (Waschkuhn 2003: 760) trifft selbst das Prosperitats-

ziel in besonderer Weise auf Kleinstaaten zu. Wegen der uberragenden Bedeutung dieser drei Ziele fur kleinste

staatliche Einheiten lasst sich theoretisch und empirisch ein vergleichsweise direkter Bezug zur Staats(un)tatigkeit

in einzelnen Politikfeldern (Gantner und Eibl 1999) und somit vermutlich auch zu Korruption und Kor-

ruptionsbekampfung herleiten.

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gar nicht gab (vgl. Morlok 2005: 137). Aus heutiger Sicht bergen starke monarchischeoder feudale Einflussmoglichkeiten etwa im Gesetzgebungsprozess, bei der Ernennungvon Amtern oder in Gerichtsverfahren – unter Umstanden noch verscharft durchumfangreiche Immunitatsregelungen – ein beachtliches Korruptionspotential. Dieetwaigen Nachteile solcher aussergewohnlichen Arrangements konnen aber gegebenenfallsdurch deren wichtige identitatsstiftende Funktion fur den Kleinstaat und seine Burgermehr als kompensiert werden (vgl. Geser 1992: 635).

• Prosperitat: Kleinstaatliche Wirtschaftssysteme neigen nicht zuletzt aufgrund der gering-en Grosse ihres Binnenmarkts und ihrer Nischenspezialisierung dazu, nur in Teilberei-chen international wettbewerbsfahig zu sein (Gantner und Eibl 1999: 30). Eineausschliesslich an Effizienzkriterien orientierte offentliche Vergabepolitik wurde daher inKleinstaaten bedeuten, sehr haufig auslandische Unternehmen aufgrund besserer Ange-bote auszuwahlen. Solch eine Vorgehensweise durfte allerdings dort an ihre Grenzen stos-sen, wo ein Wirtschaftszweig von gewisser Bedeutung – etwa fur die Grundversorgung –ohne staatliche Auftrage oder sonstige Unterstutzung in einem Kleinstaat nicht existierenkann; die kleinstaatliche Regierung muss hier gegebenenfalls in letzter Konsequenzeinheimische Betriebe durch eine an sich suboptimale (und keine positiven Anreize schaf-fende) Ressourcenallokation subventionieren oder auf andere Art und Weise begunstigen,damit ein wie auch immer geartetes ortsansassiges Angebot uberhaupt vorhanden ist.Eine solche protektionistische Politik birgt ein Korruptionsrisiko, nicht zuletzt weil politi-sche und administrative Akteure entsprechende Abhangigkeiten bestimmter Wirtschafts-segmente moglicherweise zum eigenen Vorteil ausnutzen9 beziehungsweise Unternehmergeneigt sein konnten, schutzende oder begunstigende Massnahmen durch korruptivePraktiken zu erlangen.

2.2. Auslandskorruption

Grundsatzlich anders sieht die Situation hinsichtlich der transnationalen Korruption aus.Kleinstaaten sind zwar haufig besonders verwundbar, wenn sie von anderen Landern oderPrivaten (zum Beispiel Unternehmen oder Investoren) etwa aufgrund devianter Verhal-tensweisen sanktioniert werden, oft kommt es allerdings wegen der niedrigen Sichtbarkeitkleinstaatlicher Systeme gar nicht erst dazu (Geser 1992: 653). Zudem haben die beteiligtenauslandischen Akteure im Regelfall ein massives Eigeninteresse an der Geheimhaltungrechtlich oder moralisch fragwurdiger Handlungen. Unabhangig von bestimmten Kon-textfaktoren konnte transnationale Korruption also eine vorteilhafte kleinstaatliche Strate-gie darstellen; allerdings fallen hier kaum hypothetische Falle ins Auge, die eine Forderungder Ziele Souveranitat und Identitat beinhalten:

• Souveranitat: Die externe Dimension von Souveranitat – das heisst die dauerhafte Aner-kennung als Staat durch andere Staaten (Newton und van Deth 2010: 20) – durfte durchKorruption kaum zu beeinflussen sein. Ein Kleinstaat verfugt wohl meist nicht uber dienotwendigen positiven Ressourcen (etwa Wirtschafts- oder Entwicklungshilfe) oder dasnotige Erpressungspotential, um ein anderes, gegebenenfalls deutlich grosseres Land zurAnerkennung seiner Souveranitat zu bewegen. Es ist uberdies fraglich, ob bei einer derar-tigen interstaatlichen Konstellation ohne Begunstigung Einzelner uberhaupt von Korrup-

9 So sind beispielsweise die beiden Tageszeitungen in Liechtenstein vollig von den zwei grossen Parteien abhangig

und publizieren dementsprechend primar die jeweilige parteipolitische Meinung (Marxer 2004: 288-90, 298).

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tion gesprochen werden kann (Nagel 2007: 38). Ein Kleinstaat kann freilich versuchen,gezielt wichtige auslandische Funktionstrager zu bestechen, damit sich diese fur eineAnerkennung der kleinstaatlichen Souveranitat einsetzen (vgl. Imhof 1999: 47). DieErfolgswahrscheinlichkeit solcher Korruptionsversuche durfte aber recht gering sein, viel-mehr wurde der Kleinstaat bei der Aufdeckung mindestens einen betrachtlichen interna-tionalen Reputationsverlust riskieren. Kleinstaaten profitieren ja gerade haufig davon,auf zwischenstaatlicher Ebene (etwa in Internationalen Organisationen) als relativ ehrli-che Makler zu gelten, die abgesehen von der Erhaltung ihrer Nischen entweder keinemassiven nationalen Eigeninteressen vertreten (Seiler 1995: 356) oder zumindest keineillegitimen Mittel anwenden.

• Identitat: Noch weniger scheint transnationale Korruption ein Mittel zu sein, das kon-struktiv zur Herstellung, Sicherung oder Starkung der kleinstaatlichen Identitat beitragenkann. Als extrem umweltoffene Systeme sind Kleinstaaten besonders der Gefahr aus-gesetzt, durch den intensiven Austausch und die haufige Abhangigkeit vom Auslandidentitatsstiftende Elemente zu verlieren (Geser 1992: 634-35). Korruption durfte aller-dings kaum zur Abwehr auslandischer identitatsgefahrdender Einflusse zweckdienlichsein. Zum einen handelt es in der Regel um diffuse, massenhafte und zum Teil hoch-komplexe Prozesse, die nur sehr begrenzt durch punktuelle korruptive Handlungen be-einflusst werden konnen. Zum anderen profitieren die Burger in Kleinstaaten inerheblichem Umfang von den vielfaltigen grenzuberschreitenden Transaktionen, undEinschrankungen der kleinstaatlichen Umweltoffenheit zur Identitatssicherung konnenimmer auch mit signifikanten Nachteilen verbunden sein.

• Prosperitat: Auslandskorruption durfte im Falle entsprechender Rahmenbedingungen einerhebliches Potential zur Steigerung der kleinstaatlichen Wettbewerbsfahigkeit bieten.Hier kommt fur die haufig stark exportorientierte kleinstaatliche Wirtschaft einerseitsBestechung im internationalen Geschaftsverkehr zur Erlangung von Auftragen in Be-tracht, wie sie auch jahrzehntelang von Unternehmen aus OECD-Landern legal betriebenwurde (Wolf 2009). Ein weiterer bedeutender ‘‘Markt’’ ist die Unterstutzung korrupterStrukturen in anderen Landern durch eine Finanzinfrastruktur, welche die Verheimli-chung von schwarzen Kassen oder veruntreuten Geldern ermoglicht. Wahrend Kleinstaa-ten bei der direkten Auslandsbestechung bislang (noch) nicht ins Rampenlicht geratensind, gelten kleinstaatliche Steueroasen mit restriktivem Bankgeheimnis mittlerweile alsindirekte Forderer der Korruption in zahlreichen grosseren Landern (Tax Justice Net-work 2009). Sollte irgendwann ein effektives globales Regime zur Eindammung entsprech-ender Finanztransaktionen geschaffen werden, durften sich die skizzierten Vorteile furbetroffene Kleinstaaten drastisch verringern.

Die unter 2.1. und 2.2. diskutierten Konstellationen lassen sich grundsatzlich nicht gegen-einander aufwiegen oder abstrakt gewichten: Es kommt massgeblich auf Struktur und Kon-text des jeweiligen Kleinstaats an, ob und inwiefern bestimmte Korruptionsauspragungenim Unterschied zur ublichen schadlichen Wirkung gegebenenfalls kollektiv positive odersystemerhaltende Effekte zur Folge haben konnen. Allerdings spricht vieles fur die bereitseingangs formulierte Vermutung, dass innerstaatliche Korruption in der Regel mit signifi-kanten Nachteilen fur Kleinstaaten verbunden ist und nur unter sehr engen Bedingungendas einzige adaquate Mittel sein durfte, um die Ziele Souveranitat, Identitat oder Prosperi-tat zu fordern. Abhangig vom jeweiligen Umfeld erscheint es hingegen deutlich realistischer,dass Kleinstaaten Auslandskorruption etwa in den oben skizzierten direkten oder mittelba-ren Formen als Nische im internationalen Wirtschaftswettbewerb erfolgreich besetzen.

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3. Strukturelle Einflussfaktoren und kleinstaatliches Korruptionsniveau

Jenseits situativer Konstellationen hangt die Wahrscheinlichkeit korruptiver Handlungenauch massgeblich von entsprechenden Rahmenbedingungen ab (schematisch Klitgaard1988: 75). In der Politikwissenschaft wird ofters diskutiert, ob landesspezifische Faktorenwie wirtschaftlicher Entwicklungsstand, Demokratisierungsgrad, Parteiensystem, Anzahlinstitutioneller Vetospieler, Dezentralisierung, Typus des Regierungssystems oder Religiondas Korruptionsniveau signifikant beeinflussen (vgl. von Alemann 2005: 34-38; Manow2003; Peters 2010). Kleinstaaten sind hinsichtlich dieser Kriterien sehr heterogen. Um zugeneralisierbaren Aussagen zu gelangen, wird daher im Folgenden auf einem hoherenAbstraktionsniveau lediglich mit deduktiv ableitbaren, allgemeinen kleinstaatlichenCharakteristika argumentiert (vgl. oben 1.). Ausgangspunkt ist die Pramisse, dass in Klein-staaten spezifische Faktoren existieren, die strukturell korruptionsfordernd oder korrup-tionseindammend wirken. Hier kann jeweils nach den Sektoren Politik, Verwaltung undprivater Sektor unterschieden werden, zudem spielt das Ausland eine nicht zu unterschatz-ende Rolle. Die folgenden Abschnitte behandeln zunachst getrennt nach Sektorenkorruptionsbegunstigende Strukturmerkmale und anschliessend korruptionshemmendeElemente.

3.1. Korruptionsfordernde Faktoren

Als potentiell korruptionsbegunstigendes Strukturmerkmal in der kleinstaatlichen Politikkann der oftmals eingeschrankte politische Wettbewerb gelten (vgl. Michalsky 1991: 150),der meist eine Folge der konkordanzdemokratischen Orientierung in kleinen politischenSystemen ist (Geser 1991). Auch bei kompetitiven Wahlen neigen Kleinstaaten (wohl mehrnoch als grossere Regierungssysteme) dazu, stets von denselben politischen Eliten regiert zuwerden. Dies schwacht tendenziell die politische Kontrolle und fordert etwa politischePatronage (vgl. Michalsky 1991: 150). Ein weiterer Punkt ist das in Kleinstaaten erhohteRisiko von Interessenkonflikten. Die personelle Ressourcenknappheit bedingt, dass zahlrei-che Burger oft mehrere Funktionen und Amter haupt-, neben-, und ehrenamtlich parallelausuben (Geser 1992: 637). Zudem werden in kleinstaatlichen Systemen, insbesondere inStadtstaaten, haufig auf zentralstaatlicher Ebene auch Entscheidungen mit starken lokalenAuswirkungen getroffen. Hier konnen die privaten Interessen der in Kleinstaaten meistehrenamtlich oder nebenberuflich tatigen Abgeordneten (vgl. Marxer und Pallinger 2009:916, 928) direkt betroffen sein. Kleinstaaten ist es aufgrund der Knappheit ihres politischenPersonals allerdings kaum moglich, umfangreiche Ausschlussregeln wegen Befangenheitvorzusehen. Schliesslich sind noch etwaige tradierte Vorzugsrechte fur bestimmte politischeEliten (etwa das regierende Furstenhaus) zu erwahnen. Diese bereits oben (2.) diskutierten,eigentumlichen Kompetenzen (beispielsweise in den Bereichen Gesetzgebung, Amterbeset-zung, Gerichtsverfahren, Immunitat) bergen ein gewisses Missbrauchspotential.

Auch in der kleinstaatlichen Verwaltung lassen sich strukturelle korruptionsforderndeFaktoren finden. Hier ist zum einen die vergleichsweise schwache politische Kontrolle zunennen. Dem professionellen Verwaltungsapparat steht im Kleinstaat oft eine kleine Anzahlehrenamtlich tatiger Abgeordneter gegenuber, die – wenn uberhaupt – nur in sehr geringemMasse durch Mitarbeiter und ⁄oder einen parlamentarischen wissenschaftlichen Dienstunterstutzt werden. Selbst die Regierungsmitglieder sind in manchen Kleinstaaten teilweiseehrenamtlich oder in Teilzeit tatig und konnen mit ihren wenigen Stabsmitarbeitern dieBurokratie vermutlich nur sehr begrenzt kontrollieren. Hinzu kommt die relativ gesehen

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grosse Anzahl an Verwaltungsmitarbeitern wegen der fur Kleinstaaten typischen ‘‘disecono-mies of scale’’ (Kocher 2002: 33) bei der offentlichen Aufgabenerfullung. Viele Ver-waltungsmitarbeiter bergen allerdings schon allein unter Kontrollgesichtspunkten einerhohtes Korruptionspotential (Wewer 1992: 304), zumal der einzelne Burokrat im Klein-staat vergleichsweise umfangreiche und verantwortungsvolle Aufgabengebiete zu bewaltigenhat. Dies fuhrt zu einem relativ grossen Handlungsspielraum und vergleichsweise grosserEntscheidungsautonomie, weiteren korruptionsbegunstigenden Faktoren (Klitgaard 1988:75). Diese Umstande werden noch dadurch verscharft, dass auch die verwaltungsinternenKontrollinstanzen im Kleinstaat personell eher knapp besetzt sind und ein weites Aufgaben-spektrum abdecken mussen.

Kleinstaatliche Wirtschaftsstrukturen weisen haufig Kartellisierungstendenzen auf (Gant-ner und Eibl 1999: 35; Geser 1992: 636). Kartelle stellen zwar keine Korruption im engerenSinne dar, da der Aspekt der anvertrauten Machtstellung (Prinzipal-Agenten-Verhaltnis)fehlt (vgl. Transparency International 2009). Gleichwohl lasst sich Kartellbildung unterBerucksichtigung eines weiten, systemtheoretisch orientierten Korruptionsbegriffs (vgl.Morlok 2005: 136) als Verletzung eines bereichsspezifischen Handlungsprogramms (hier: frei-er Wettbewerb) zum partikularen Vorteil bezeichnen. Eingeschrankter Wirtschaftswettbe-werb im Kleinstaat kann auch durch die strukturelle Abhangigkeit bestimmter Branchen vonstaatlichen Begunstigungen entstehen und korruptionsfordernd wirken (siehe oben 2.1.).Zudem existieren in Kleinstaaten aufgrund der sehr ubersichtlichen Anbieterstruktur weitauseinfachere Moglichkeiten fur Submissionsbetrug als in komplexeren Markten. Abgesehenvon der Wirtschaft lassen sich auch andere potentiell nachteilige Faktoren im privaten Sektorbenennen. So sind etwa die Medien in Kleinstaaten haufig nur eingeschrankt unabhangig,weshalb sie lediglich punktuell als investigative und pluralistische Kontrollinstanzen inFrage kommen (vgl. Marxer 2004). Die kleinstaatliche Zivilgesellschaft ist meist nichtausdifferenziert genug, um auf Korruptionsbekampfung spezialisierte Gruppierungenhervorzubringen.10 Kleinstaaten werden zudem von Korruptionsindices ublicherweise nichterfasst. Auch die Rolle des Auslands ist teilweise als indirekt korruptionsbegunstigend einzu-stufen. Korruptive Strukturen in grosseren Staaten werden von anderen Landern oft zumin-dest thematisiert und manchmal sogar sanktioniert. Von dieser externen Kontrolle konnenKleinstaaten aufgrund ihrer allgemeinen Nichtbeachtung durch grossere Lander (Geser1992: 653) in der Regel nicht profitieren.

3.2. Korruptionsreduzierende Faktoren

Es lassen sich jedoch auch verschiedene Strukturmerkmale anfuhren, die eine kor-ruptionspraventive oder -reduzierende Wirkung in Kleinstaaten haben durften. So kann dietendenzielle Konkordanzorientierung in kleinen Sozialsystemen zwar nachteilig sein, wenndie politische Elite kollektiv missbrauchliche Handlungen begeht und strukturell keine(starke) Opposition existiert (vgl. von Arnim et al. 2006: 33). Allerdings besteht im Rahmenkonkordanzdemokratischen Regierens auch durchaus die Moglichkeit, dass sich die inKleinstaaten sehr uberschaubaren und aufeinander angewiesenen Eliten wechselseitig zu-mindest in gewissem Masse kontrollieren (vgl. Michalsky 1991: 148-50). Vorteilhaft konnteauch sein, dass es in Kleinstaaten den Typus des Berufspolitikers praktisch nicht gibt, derjahrzehntelang primar von der (Partei-) Politik lebt und dementsprechend nicht nur von

10 So hat die Antikorruptionsorganisation Transparency International zwar mittlerweile weltweit uber 90 National

Chapters, aber beispielsweise keine einzige nationale Sektion in einem der europaischen Mikrostaaten.

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parteiinternen Patronagestrukturen abhangig ist, sondern auch in hohem Masse von staatli-chen Alimentierungen, Parteienfinanzierungsregelungen und anderen Entscheidungen in ei-gener Sache (von Arnim et al. 2006: 16-22). ‘‘Korruption ist immer dort wahrscheinlich, woextreme Abhangigkeiten bestehen’’ (Wewer 1992: 318). Zudem konnte das vergleichsweisehohe Mass sozialer Kontrolle, insbesondere der relativ enge Kontakt zwischen Wahlernund politischen Entscheidungstragern (vgl. Michalsky 1991: 153) – die schwachen Positio-nen von Medien und Zivilgesellschaft (siehe oben) gewissermassen kompensierend – einekorruptionseindammende Wirkung entfalten. Zwar kennen die meisten kleinstaatlichenRegierungssysteme nicht so weitreichende direktdemokratische Elemente wie Liechtenstein(vgl. Marxer und Pallinger 2006: 31-38),11 aber auch ohne solche institutionalisierten Ver-fahren durften interessierte Burger ihre Politiker schon allein aufgrund der Kleinraumigkeitund der engeren sozialen Kontakte vermutlich besser kontrollieren konnen als in grosserenLandern (vgl. Geser 1991: 119). Schliesslich gibt es in der politischen Elite von Kleinstaatenmoglicherweise so etwas wie eine bestimmte Ethik angesichts ‘‘existentieller Unsicherheitund Verletzbarkeit’’ (Waschkuhn 2003: 759), also beispielsweise ein im Vergleich zumFuhrungspersonal grosserer Lander deutlich starker ausgepragtes Bewusstsein fur die sys-temgefahrdenden Folgen eines hohen innerstaatlichen Korruptionsniveaus.

Auch fur den Bereich der kleinstaatlichen Verwaltung konnen potentiell kor-ruptionsreduzierende Faktoren skizziert werden. Zunachst einmal durfte das Ausmass derAmterpatronage (vgl. Schmidt-Hieber 2003) in Kleinstaaten schon allein aus Grunden derpersonellen Ressourcenknappheit nicht denselben Umfang annehmen wie in manchen gros-seren Landern. Kleine Regierungs- und Verwaltungssysteme konnen es sich nicht leisten,nach einem Regierungswechsel Hunderte oder gar Tausende Stellen in der Ministerialburo-kratie und anderen Verwaltungseinheiten neu zu besetzen: zum einen ware dies mit be-trachtlichen finanziellen Kosten verbunden, zum anderen ware der enorme Wissensverlustkaum zu kompensieren, da gerade kleinstaatliche Verwaltungsmitarbeiter nicht nur sehrspezifische und seltene Vorqualifikationen brauchen, sondern sich auch noch umfangreicheSpezialkenntnisse wahrend ihrer Tatigkeit aneignen mussen. Ein weiterer Punkt ist die gros-sere Autonomie von der Parteipolitik. Geser (1991: 117) argumentiert zwar, die Verwaltungs-apparate in kleinen politischen Systemen seien personell zu beschrankt und strukturell sowenig verfestigt, ‘‘dass sie dem Durchgriff zielstrebiger politischer Fuhrer nur wenig Ei-gengewicht entgegensetzen konn(t)en’’. Aber zumindest in den hochentwickelten Kleinstaa-ten mit ihren sehr komplexen Tatigkeitsfeldern durfte die Verwaltung mittlerweile aufgrundihrer langfristigen hauptamtlichen Tatigkeit, ihres akkumulierten Fachwissens und ihrerVernetzung ein betrachtliches Eigengewicht gegenuber Regierung und Parteipolitik entwi-ckeln. Gerade kleinstaatliche Regierungen, die in der Regel aus wenigen Personen mit sehrbegrenzten Stabsressourcen bestehen, konnen sich meist nur mit den wichtigsten politischenAngelegenheiten befassen. Zwar kann eine eingeschrankte politische Kontrolle der Verwal-tung unter Umstanden korruptionsbegunstigend wirken (siehe oben), doch haben um-gekehrt nicht wenige Korruptionshandlungen ihre Ursache in unsachlichen Eingriffen der(Partei-) Politik in Verwaltungsablaufe: ‘‘Korruption ist immer dort wahrscheinlich, wo Po-litik und Parteien in die Entscheidungen der Verwaltungen eingreifen konnen’’ (Wewer1992: 321). Vorteilhaft durfte auch die tendenziell geringere Regulierungsdichte in Klein-staaten sein (Geser 1992: 640-41), da Uberregulierung haufig Korruption in der Verwaltungschurt (Tanzi 1998: 566-68; Wewer 1992: 307). Schliesslich gibt es moglicherweise auch in

11 Einen positiven Beitrag direkter Demokratie zur Korruptionspravention vermutet von Arnim (2003: 30).

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der kleinstaatlichen Burokratie eine spezielle korruptionspraventive Ethik aufgrund derbesonderen Verletzbarkeit des eigenen Regierungssystems (siehe oben).

Die Wirtschaft in Kleinstaaten muss in der Regel ein hohes Mass an Flexibilitat undAdaptivitat entwickeln, um Wettbewerbsfahigkeit zu erlangen und zu erhalten (Gantner undEibl 1999: 29). Wenn Korruption einen eindeutigen Wettbewerbsnachteil darstellt, ist daherdavon auszugehen, dass kleinstaatliche Wirtschaftsakteure schneller von etwaigen korrupti-ven Praktiken Abstand nehmen als ihre Konkurrenten aus grosseren Landern. Mikrostaatenbieten nicht zuletzt vor diesem Hintergrund haufig den Standortvorteil eines ‘‘Zustand[s] re-lativ hoher innerer Stabilitat, Harmonie und Kontinuitat’’ (Geser 1992: 642). Doch dieseArgumentation gilt nicht nur fur das Binnenverhaltnis. Sollte sich transnationale Korruption– auch angesichts der mittlerweile globalen Achtung der Bestechung im internationalenGeschaftsverkehr (Wolf 2009) – mittelfristig tatsachlich als manifester Wettbewerbsnachteilherauskristallisieren, so durften kleinstaatliche Unternehmer hierauf besonders schnellreagieren.12 Handelt die nischenorientierte kleinstaatliche Exportwirtschaft mit weitgehendkonkurrenzlosen Spezialprodukten, so ist die Korruptionsgefahr ohnehin gering, weil kor-ruptive Praktiken haufig von Marktteilnehmern gewahlt werden, die in einem freien Leis-tungswettbewerb unterliegen wurden. Auch gegenuber korrupten Geschaftspartnern imAusland konnen Unternehmen, deren Produkte positive Alleinstellungsmerkmale aufweisen,relativ selbstbewusst und korruptionsresistent agieren. Nicht unerwahnt bleiben sollte dieMoglichkeit kleinstaatlicher Wirtschaftsakteure, bei ungunstigen Rahmenbedingungen ihremLand den Rucken zu kehren. Diese Exit-Option (vgl. Hirschman 1970) durfte ausgepragtersein als bei Firmen mit Sitz in grosseren Staaten, die es sich teilweise nicht erlauben konnen,ihren heimischen Absatzmarkt zu verlassen. Der kleinstaatliche Binnenmarkt bietet jedochselbst kaum okonomische Anreize (Kocher 2002: 175), weshalb der Kleinstaat mit anderenStandortvorteilen uberzeugen muss (Simon 2006: 43), etwa einer wirtschaftsfreundlichenRegulierungs(un)tatigkeit (vgl. Geser 1992: 640-41). Wenn die Wirtschaft in Kleinstaaten einkorruptionsfreies Klima anstrebt – was aufgrund von Kartellisierungstendenzen und bran-chenspezifischen Abhangigkeiten moglicherweise nur eingeschrankt der Fall ist (vgl. 3.1.) –durfte sie grundsatzlich gegenuber Politik und Verwaltung uber ein recht grosses Drohpoten-tial verfugen. Schliesslich ist noch auf die unter Umstanden korruptionseindammende Wir-kung des Auslands einzugehen. Auslandische Sanktionen konnen dem Kleinstaat oftmalsempfindlich schaden und ihn zu raschen Verhaltensanderungen bewegen. In der Regel wer-den grossere Lander aber erst aktiv, wenn das deviante Verhalten eines kleinen politischenSystems zu grosse Ausmasse annimmt. Hier droht dem Kleinstaat gegebenenfalls bei einerubermassigen ‘‘Verfolgung seiner Eigeninteressen […] der Verlust seiner Nische’’ (Gantnerund Eibl 1999: 32).13 Innerstaatliche Korruption in Kleinstaaten ohne Aussenwirkung durftefur das Ausland prinzipiell bedeutungslos sein (siehe 3.1.).

4. Korruptionsbekampfung im Kleinstaat

Aus den oben (2.) angestellten Kosten-Nutzen-Uberlegungen kann gefolgert werden, dassKleinstaaten ublicherweise an einer Pravention beziehungsweise Bekampfung innerstaatli-

12 Bis dahin mag Bestechung im internationalen Geschaftsverkehr und insbesondere die indirekte Unterstutzung

der Korruption in anderen Landern durch eine bestimmte Finanzinfrastruktur partikulare Vorteile bringen (siehe

2.2.).13 Ein aktuelles Beispiel ist die Krise des liechtensteinischen Finanzmarkts infolge der ‘‘Liechtenstein-Affare’’ um

zahlreiche Falle mutmasslicher Steuerhinterziehung in Deutschland (vgl. Wolf et al. 2009: 336-37).

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cher Korruption gelegen sein muss. Die okonomische Korruptionsforschung hat daraufhingewiesen, dass das erstrebenswerte Korruptionsniveau meistens nicht gleich Null ist, weildie Kosten von Antikorruptionsmassnahmen ab einem bestimmten Punkt unverhaltnismas-sig werden (Klitgaard 1988: 26-27).14 Das optimale Korruptionsniveau ist nach dieser Argu-mentation dort zu verorten, wo sich die Kosten der Korruptionsbekampfung und die (inder Regel kaum exakt zu ermittelnden) durch Korruption verursachten Kosten die Waagehalten (Klitgaard 1988: 26-27).

Aufbauend auf diesen Voruberlegungen wird im Folgenden ein Stufenmodell der Kor-ruptionsbekampfung in sehr kleinen Regierungssystemen vorgestellt und diskutiert, dassich an ein Modell der offentlichen Aufgabenerfullung im Kleinstaat anlehnt (Gantnerund Eibl 1999) und aus den Elementen Aufgabenprioritat, Aufgabenumfang, Aufgaben-modus und Aufgabenintensitat besteht.15 Hinsichtlich der Frage der Aufgabenprioriat(vgl. Gantner und Eibl 1999: 29, 74) muss sich der Kleinstaat zur Erreichung seinerprimaren Ziele Souveranitat, Identitat und Prosperitat (siehe 2.) bei der Aufgabenerful-lung auf einige ausgewahlte Aktivitaten konzentrieren und die wenigen Ressourcenmoglichst effizient einsetzen (Kocher 2002: 182). Korruptionsbekampfung kann in gros-seren Staaten, die nicht gerade unter massiven Korruptionsproblemen leiden, als eineTatigkeit unter vielen laufen. Im zum Teil hochselektiv handelnden Kleinstaat jedochmuss das Korruptionsthema vermutlich erst eine signifikant hohere Bedeutung erlangen,damit es uberhaupt in den Kreis der wenigen mit Prioritat zu bearbeitenden (und bear-beitbaren) Aufgaben aufgenommen wird. Dies durfte spatestens dann der Fall sein, wenneines der drei genannten zentralen Staatsziele aufgrund von Korruption betrachtlich ge-fahrdet ist, wenn also eine Destabilisierung oder signifikante Performanzverschlechterungdes Gesamtsystems wegen korruptionsbedingter Dysfunktionalitaten eines oder mehrererTeilsysteme droht.

Nach der Hurde der Aufgabenprioritat (also der Frage, ob ein Kleinstaat uberhaupt Kor-ruption aktiv bekampft) stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage nach dem sektoriellenUmfang der Korruptionseindammung und -pravention. Es ist wahrscheinlich, dass sichkleine Regierungssysteme auch bei der Korruptionsbekampfung auf die fur Souveranitat,Identitat und Prosperitat unabdingbaren Kernbereiche beschranken, um nicht nur Ent-scheidungs-, Implementierungs- und Kontrollkosten zu sparen, sondern auch moglichst vie-le personelle und finanzielle Kapazitaten fur andere Tatigkeiten ubrig zu behalten. Einniedriges Korruptionsniveau durfte vor allem im offentlichen Sektor notwendig sein. Klein-staaten sind auf eine hocheffiziente politisch-administrative Steuerung besonders angewie-sen, da sie ohnehin schon strukturell zu ‘‘diseconomies of scale’’ bei der Erbringungoffentlicher Guter neigen (Kocher 2002: 33). Dagegen durfte der Korruptionsbekampfungim privaten Sektor grundsatzlich eine vergleichsweise untergeordnete Bedeutung zukom-men. Einerseits profitieren in- und auslandische Wirtschaftsakteure haufig von bewusster

14 Die neuere kritische Literatur zur internationalen ‘‘Antikorruptionsindustrie’’ wirft regelmassig die Frage der

Verhaltnismassigkeit der fur die Korruptionsbekampfung aufgewendeten Millionenbetrage unter Verweis auf die

unklaren und kaum messbaren Ertrage bei der Korruptionsreduzierung auf, vgl. etwa Michael und Bowser (2010)

und Sampson (2010).15 Eine detaillierte Erlauterung der Stufenelemente im Hinblick auf alle korruptionsgefahrdeten Sektoren und

potentiell in die Korruptionsbekampfung involvierten Akteure wurde Umfang und Format dieser theoretischen

Pilotstudie bei weitem ubersteigen (vgl. Fussnote 7). Die Ausfuhrungen beschranken sich daher auf moglichst

verallgemeinerungsfahige Grunduberlegungen zu einer rationalen Ausgestaltung kleinstaatlicher Korruptions-

bekampfungsmassnahmen.

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oder unbewusster Regulierungsuntatigkeit im Kleinstaat gerade auch hinsichtlich devianterHandlungen (Geser 1992: 640), andererseits ist der winzige Binnenmarkt selbst fur die klein-staatliche Wirtschaft aufgrund ihrer meist starken Exportorientierung eher von unterge-ordneter Bedeutung. Die Bekampfung der transnationalen Korruption wird vermutlichebenfalls von Kleinstaaten nicht aktiv betrieben. Auslandskorruption schadigt die ZieleSouveranitat und Identitat nicht und bietet – insbesondere in einer Phase einschlagigerzwischenstaatlicher Verrechtlichung – womoglich einen Wettbewerbsvorteil zur Erlangungvon Auftragen im internationalen Geschaftsverkehr (siehe 2.2.).

In einem dritten Schritt ist die Form der Korruptionsbekampfung im Kleinstaat zudiskutieren, also die Frage des Aufgabenmodus’ (vgl. Gantner und Eibl 1999: 72, 74).Hier muss zwischen der Art und Weise der Antikorruptionsmassnahmen und dem Erbrin-ger unterschieden werden. Da der Kleinstaat nicht alle offentlichen Guter selbst (effizient)produzieren kann, delegiert er in der Regel bestimmte Aufgaben an Private oder das Aus-land (Simon 2006: 34). Wo er auslandische Verwaltungsleistungen in Anspruch nimmt,muss er zwar keine Korruptionsbekampfung betreiben, ist aber auf entsprechende Mass-nahmen des Auslands angewiesen. Falls dieses hierbei versagt und die Dienstleistungenkorruptionsbedingt minderwertig, uberteuert oder gar nicht zur Verfugung stellt, steht derKleinstaat unter Umstanden vor der Wahl, auf die fraglichen Guter zu verzichten oderdiese unter gegebenenfalls hohen diseconomies of scale selbst zu produzieren. Kor-ruptionsbekampfung in den staatlichen Kerninstitutionen, die fur seine Souveranitat undIdentitat besonders wichtig sind (Gantner und Eibl 1999: 80), kann der Kleinstaat grund-satzlich nicht outsourcen.

Betreiben Kleinstaaten Korruptionsbekampfung selbst, so durften sie sich grundsatzlichan moglichst kostengunstigen Massnahmen und erfolgreichen auslandischen Modellenorientieren. Der Erlass von Antikorruptionsnormen (beispielsweise Gesetze, Verwal-tungsvorschriften, Verhaltenskodices) ist mit verhaltnismassig niedrigen Kosten verbunden,gerade wenn auslandische oder internationale Normen adaptiert werden konnen.16 Um-setzung und Uberwachung der Normeinhaltung hingegen konnen betrachtliche Kostenbedeuten. So bringen praventive Instrumente wie Personalrotation, Mehraugenprinzip,Schulungen, die Schaffung von internen Antikorruptionseinheiten und Hinweisgebersys-temen (vgl. Korte 2007: 292-313), aber auch die Einrichtung spezialisierter Straf-verfolgungsbehorden (vgl. Willert 2008) haufig zusatzliche Ausgaben mit sich, die gerade imkleinstaatlichen Regierungssystem sorgfaltig gegenuber anderen Verwendungsmoglichkeitenabgewogen werden mussen. Im Zweifelsfall durften schlanke Regelwerke nicht nur, aberinsbesondere im Kleinstaat sinnvoller sein als komplexe Normkataloge, die wegen Nicht-durchsetzbarkeit zu Uberregulierungen mutieren und dann Korruption eher begunstigen(Tanzi 1998: 566-67). Mitunter ziehen Kleinstaaten daraus Vorteile, dass sie bestimmtePolitikfelder nicht oder kaum regulieren und auch nur begrenzt beaufsichtigen, doch bei derKorruptionspravention und -eindammung konnen kleinstaatliche Regierungssysteme ‘‘ausder Not ihres defizienten Verwaltungsapparats’’ (Geser 1992: 641) wohl keine Tugendmachen.

16 Die Ubernahme auslandischen Rechts ist naturlich kein Alleinstellungsmerkmal von Kleinstaaten. Sie ist gleich-

wohl kleinstaatentypisch, denn kleine Regierungssysteme konnen es sich grundsatzlich uberhaupt nicht leisten, ‘‘das

Rad neu zu erfinden’’ – ausser, es geht um die Schaffung oder den Erhalt von Nischen, wobei sich Kleinstaaten hier

teilweise gegenseitig kopieren. Die Adaption ganzer auslandischer Rechtsbereiche spart nicht nur betrachtliche

Ressourcen, sondern ermoglicht zudem, bei der Personalrekrutierung relativ problemlos Rechtsexperten (etwa

Richter) aus den betreffenden grosseren Landern anwerben zu konnen.

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Vom eingangs skizzierten Kostenstandpunkt her konnte das optimale Korruptionsniveauin kleinen politischen Systemen hoher sein als in grosseren Landern, weil fur Kleinstaatennicht die Ausbalancierung von Korruptionskosten und Korruptionsbekampfungskosten(vgl. Klitgaard 1988: 26-27) im Mittelpunkt stehen durfte, sondern lediglich die Erreichungeines Grades an Korruptionsverbreitung, der die Hauptziele Souveranitat, Identitat undProsperitat nicht signifikant beeintrachtigt. Diese Annahme zur abschliessenden Frage derAufgabenintensitat (Gantner und Eibl 1999: 74) legt nahe, dass die Burger in Kleinstaatenmoglicherweise mit einem gewissen Korruptionsniveau aufgrund der Ressourcenknappheitund spezifischer politischer Prioritaten leben mussen, unabhangig von sonstigen strukturel-len Faktoren (vgl. 3.1.). Unter Umstanden entwickeln sie vor diesem Hintergrund allerdingskorruptionspraventive Einstellungen, denn eine massive korruptive Ausnutzung der klein-staatlichen Schwachen konnte systemgefahrdend sein (vgl. 3.2.).

5. Beispiel Liechtenstein

Einige der in den vorigen Abschnitten angestellten Uberlegungen sollen im Folgenden amBeispiel des Kleinstaats Liechtenstein punktuell (vgl. Fussnote 7) veranschaulicht unddiskutiert werden. Zunachst werden das allgemeine Korruptionsniveau und Ressourcender Korruptionsbekampfung angesprochen. Die darauf folgenden Absatze behandelnkorruptionsfordernde und korruptionshemmende Strukturen in den Bereichen Politik,Verwaltung, privater Sektor und Ausland. Der Abschnitt endet mit einer Besprechungausgewahlter Elemente der liechtensteinischen Korruptionsbekampfung. Die not-wendigerweise eher knappen Ausfuhrungen stutzen sich gemass dem Format dieses primarkonzeptionellen Beitrags nicht auf umfangreiche Feldstudien, sondern auf einige Experten-interviews (vgl. Fussnoten 1 und 19) sowie die Auswertung einschlagiger Dokumente undSekundarliteratur.

Von den bekannten Korruptionsindices17 wird Liechtenstein wie die meisten Mikrostaa-ten nicht erfasst. Die Kriminalstatistik des Furstentums weist fur die Jahre 2006 und2007 keinen einzigen Fall polizeilich erfasster Korruption aus (Landespolizei Liechtenstein2008). Dies spricht zwar auf den ersten Blick fur ein einzigartig niedriges Korruptionsni-veau, das die oben (3.2.) skizzierte Vermutung bestimmter korruptionspraventiverEinstellungen in Kleinstaaten moglicherweise stutzt. Aber abgesehen von der Tatsache,dass Korruption grundsatzlich ein enorm hohes Dunkelfeld aufweist (unter Umstandenbis zu 95%, vgl. Dolling 2007: 7), ist hier noch zu berucksichtigen, dass die liechtenstei-nischen Strafverfolgungsbehorden wohl kaum die personelle Ausstattung haben, um zu-mindest komplexe Wirtschafts- und Korruptionsstraftaten (etwa im weltweit tatigen Hilti-Konzern) erfolgreich zu ermitteln. Das Furstentum beschaftigt sieben Staatsanwalte und83 Landespolizeibeamte, die samtliche Bereiche strafbarer Handlungen abdecken mus-sen.18 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit das Verbot der (Auslands-)Bestechung (sowie anderer Delikte) in Liechtenstein tatsachlich durchgesetzt und uber-pruft werden kann. Ein anschauliches Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Ruckfuh-rung korruptiv erworbener und im Furstentum deponierter Geldsummen: Durch mehrere

17 Etwa den folgenden Instrumenten von Transparency International: Corruption Perceptions Index, Bribe Payers

Index und Global Corruption Barometer.18 Zum Vergleich: Die allein auf Korruptionsfalle spezialisierte ‘‘Gemeinsame Ermittlungsgruppe Korruption’’ des

kleineren deutschen Bundeslands Schleswig-Holstein umfasst sieben Staatsanwalte, 21 Ermittlungsbeamte und wei-

tere Mitarbeiter (Willert 2008: 26).

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parallele Falle in der Grossenordnung des ‘‘Abacha-Falles’’ (vgl. Lampert und Schachle2009: 768-69) ware das Justizsystem des Kleinstaats nach Einschatzung einer Mitarbeiterinder liechtensteinischen Regierung uberfordert. Im Verhaltnis zur geringen Bevolkerungszahlverfugt Liechtenstein zwar uber eine vergleichsweise grosse Anzahl an Mitarbeitern in denStrafverfolgungsbehorden, die relativ eindeutig als Folge von diseconomies of scale (vgl.Gantner und Eibl 1999; Kocher 2002) interpretiert werden kann. Gemessen an der Aufgabe,unter Umstanden komplexe Korruptionsfalle – moglicherweise mit internationalem Bezug –aufzuklaren, erscheint die Personaldecke allerdings sehr dunn.

Politik und Verwaltung in Liechtenstein werden von den zwei Volksparteien Fortschrittli-che Burgerpartei (FBP) und Vaterlandische Union (VU) dominiert, in denen fast die ge-samte politische Elite des Furstentums organisiert ist. FBP und VU teilen sich denKleinstaat insofern auf, als sie zahlreiche einflussreiche Positionen in Politik, Verwaltungund staatsnahen Einrichtungen nach Parteienproporz besetzen (Michalsky 1991). Dieseklientelistische Personalpolitik wird zumindest von Wissenschaftlern des Liechtenstein-In-stituts19 nicht als korruptives Verhalten eingestuft, auch wenn ihrer Ansicht nach nichtimmer ausreichend qualifizierte Personen ausgewahlt werden. Die oben (3.1.) theoretischskizzierte, kleinstaatentypische starke Konkordanzorientierung hat in Liechtenstein unteranderem eine Dauerkoalition von FBP und VU zur Folge (Marxer und Pallinger 2009: 917;Waschkuhn 1994: 169). Unabhangig von Wahlergebnissen sind ein betrachtlicher politischerEinfluss und die Einbindung der wichtigsten parteipolitischen Akteure praktisch immergewahrleistet. Dieser dauerhafte Zugang zur Macht konnte hier – auch ohne Machtmiss-brauch im engeren Sinne – eine gewisse elitenintegrierende Funktionalitat (vgl. 2.1.) entfal-ten. Die weitgehende Nichtexistenz von Berufspolitikern in Liechtenstein wird von denbefragten Wissenschaftlern wie erwartet (vgl. 3.2.) als positiv aus korruptionspraventiverPerspektive gesehen. Die Experten nehmen die verhaltnismassig grosse Gefahr kor-ruptionsbegunstigender Interessenkonflikte aufgrund der personellen Amter- und Funk-tionshaufungen (vgl. 3.1.) als nicht problematisch wahr – Ihrer Ansicht nach seien dievielfaltigen Aufgaben in einem hochentwickelten Kleinstaat anders nicht zu erfullen. Dasgrosste Korruptionspotential sehen sie ohnehin auf Ebene der Gemeinden, die faktisch nureiner begrenzten Kontrolle der Landesregierung unterliegen und mitunter gefahrdet sind,von Familienclans dominiert zu werden (vgl. Waschkuhn 1994: 353).

Die ausserordentlich starke Stellung des Fursten im politisch-administrativen System(Pallinger 2008) scheint auf den ersten Blick angesichts mangelnder Kontrollmechanismeneher korruptionsforderlich: Der Monarch beziehungsweise der von ihm bevollmachtigteErbprinz hat ein reales Vetorecht im Gesetzgebungsprozess sowie enorme Vetomacht beider Besetzung von Spitzenpositionen in Exekutive und Judikative. Laufende Gerichtsver-fahren konnen vom Fursten niedergeschlagen werden, er selbst geniesst lebenslange Immu-nitat. Das Volk kann dem Fursten zwar das Misstrauen aussprechen, uber Konsequenzenentscheidet das Furstenhaus jedoch selbst (Art. 13ter liechtensteinische Verfassung). DerMonarch ist steuerbefreit, obwohl das ausserst wohlhabende Furstenhaus zu den grosstenWirtschaftsakteuren im Kleinstaat zahlt (vgl. Kieber 2010; Ritzer 2009). Die befragten Wis-senschaftler des Liechtenstein-Instituts schatzen die tatsachliche Rolle des Fursten – beialler kritischen Distanz – im Hinblick auf Korruption allerdings tendenziell als eher positivein, namlich als gewisses Korrektiv zur Allmacht der Parteien. Offenbar konnen tradierte

19 Eine fruhere Version dieser Studie wurde mit vier Forschungsbeauftragten – einem Politologen, einem Historiker

und zwei Juristen – des Liechtenstein-Instituts (Bendern, Liechtenstein) diskutiert.

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deviante politische Strukturen in Kleinstaaten entgegen der oben skizzierten Uberlegungen(2.1.) auch kontextspezifisch korruptionseindammende Wirkung entfalten und dadurch –trotz korruptionsnaher Handlungen20 – womoglich ihre Legitimitat erhalten oder nochmehr Legitimitat gewinnen.

Korruption kann – wie oben (2.1.) skizziert wurde – unter Umstanden in der Grauzoneprotektionistischer und Abhangigkeiten schaffender Wirtschaftspolitik gedeihen, die primardem Ziel dient, kaum wettbewerbsfahige kleinstaatliche Wirtschaftszweige aus Ge-meinwohlerwagungen zu unterstutzen. Ein hoher Mitarbeiter des liechtensteinischen Amtesfur Personal und Organisation ausserte in einem Gesprach im Vorfeld dieser Studie seinenUnmut uber die strikte Aufsicht der Europaischen Kommission uber die offentliche Auf-tragsvergabe im Furstentum. Sie erschwere es, gezielt ortsnahe Anbieter auszuwahlen, wasdie Verwaltung seiner Auffassung nach legitimerweise zumindest in bestimmten Fallen an-strebe. Konstellationen wie der recht offensichtliche Missbrauch der zwei unter normalenMarktbedingungen kaum lebensfahigen liechtensteinischen Tageszeitungen durch die beidengrossen Parteien als Propagandainstrumente (siehe Fussnote 9) bewegen sich zumindest imGrenzbereich zur Korruption. Durch die von den befragten Wissenschaftlern betonte Pro-fessionalisierung der liechtensteinischen Landesverwaltung in den letzten Jahren und dervom Verwaltungspraktiker hervorgehobenen supranationalen Einbindung und Kontrolledes Kleinstaats21 durften die Gelegenheitsstrukturen zumindest fur massive Korruption imBereich der offentlichen Auftragsvergabe und Aufgabenerfullung auf zentralstaatlicherEbene mittlerweile eher begrenzt sein. Die stark exportabhangige Wirtschaft des Fursten-tums muss sich nach Ansicht der liechtensteinischen Forscher besonders flexibel an die Er-fordernisse im Ausland anpassen, da sie keinen nennenswerten Schutz durch die Regierungdes Kleinstaats erwarten konne. Dies gelte – wie oben (3.2.) theoretisch vermutet – etwaauch fur Antikorruptionsanforderungen.

Die Bereitstellung einer Finanzinfrastruktur zur Unterstutzung von Korruption inanderen Landern kann – wie oben (2.2.) umrissen wurde – im Falle entsprechenderRahmenbedingungen mit betrachtlichen okonomischen Vorteilen fur Kleinstaaten ver-bunden sein. In Liechtenstein wurden beachtliche Geldsummen korrupter Machthaberdeponiert, wie exemplarisch der Prozess um die Ruckfuhrung des ‘‘Abacha’’-Vermogenszeigt (vgl. Lampert und Schachle 2009: 768-69). Das Furstentum wurde vom Tax Jus-tice Network in den Financial Secrecy Index (2009) aufgenommen, auch wenn das Landunter den dort aufgefuhrten Jurisdiktionen mit restriktiven Transparenzregelungen imFinanzbereich einen der hinteren Platze einnimmt. Der 2009 auf internationalen Druckhin eingeleitete Kurswechsel der liechtensteinischen Regierung zur Neuregelung des Fi-nanzmarkts, Einhaltung der OECD-Standards und Kooperation in Steuerfragen (Regie-rung des Furstentums Liechtensteins 2009) durfte indirekt auch eine Abkehr von einerPolitik sein, die von Korruption in anderen Staaten bislang zumindest mittelbarprofitierte. Inzwischen zeigt sich Liechtenstein anders als oben vermutet relativ koope-rativ bei der Ruckfuhrung illegal entwendeten und im Furstentum gelagerten Vermogens

20 Ein offensichtliches Beispiel fur Machtmissbruch des Fursten zum eigenen Vorteil ist der Fall Wille (Frowein

und Hofling 1995). Furst Hans-Adam II. erklarte, einen angesehen Juristen nach Ausserung einer von ihm nicht

geteilten Verfassungsinterpretation nie mehr in einem offentlichen Amt bestatigen zu wollen. Liechtenstein wurde

deshalb vom Europaischen Gerichtshof fur Menschenrechte verurteilt. Innerstaatlich blieb der Fall ohne Folgen

fur den Monarchen. Es existieren auch Belege fur Beeinflussungen von Gerichtsverfahren durch Furst Hans-Adam

II. (Ritzer 2010). Kieber (2010: 639-45) wirft dem Fursten Machtmissbrauch zum personlichen Vorteil unter ande-

rem in der Steuer-, Einburgerungs- und Personalpolitik vor.21 Liechtenstein ist im Unterschied zur Schweiz Mitglied des Europaischen Wirtschaftsraums (Gstohl 2001).

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(‘‘asset recovery’’). Im Hinblick auf Auslandskorruption durch liechtensteinischeWirtschaftsakteure hat der Kleinstaat zudem im Gegensatz zu den oben skizziertenUberlegungen auch die Bestechung auslandischer Beamter unter Strafe gestellt (§ 307Abs. 1 des liechtensteinischen Strafgesetzbuches). Allerdings haben die liechtensteinischenStrafverfolgungsbehorden – wie am Anfang dieses Abschnitts dargelegt – wohl nichtannahernd die notigen Ressourcen zur erfolgreichen Aufklarung und Verfolgungtransnationaler Korruptionsfalle.

Abschliessend sollen noch einige Aspekte der liechtensteinischen Korruptionsbekamp-fungspolitik aus dem Blickwinkel der oben (4.) entwickelten Modelluberlegungen be-trachtet werden. Wie vermutet konzentriert der Kleinstaat seine Korruptionseindammungbislang auf den Kernbereich der staatlichen Verwaltung. So sind beispielsweise Beste-chung und Bestechlichkeit im privaten Sektor nicht unter Strafe gestellt. Allerdings kon-nen auch korruptive Handlungen seitens des einflussreichen Fursten nicht strafrechtlichverfolgt werden. Im Hinblick auf die seit Mitte der 1990er Jahre stark institutionalisiertezwischenstaatliche Korruptionsbekampfung fallt auf, dass Liechtenstein und San Marinolange Zeit die einzigen Europarats-Mitgliedstaaten waren, die nicht der 1999 im Rahmendes Europarats gegrundeten Staatengruppe gegen Korruption (GRECO) (hierzu Wolf2007: 38-41) beitraten. Wie oben hinsichtlich der Kosten-Nutzen-Erwagungen von Klein-staaten bei der Korruptionsbekampfung vermutet, ist dies zumindest im Falle Liechten-steins nach Angaben einer Regierungsmitarbeiterin nicht auf politische Grundezuruckzufuhren, sondern der tatsachlich nicht unbetrachtliche personelle und administra-tive Aufwand einer GRECO-Mitgliedschaft22 erschien dem Furstentum schlicht zu gross.

Der Umstand, dass Liechtenstein der Staatengruppe gegen Korruption zum 1. Januar2010 dennoch beitrat, ist aus der Sicht eines Mitarbeiters des liechtensteinischen Amtes furAuswartige Angelegenheiten primar dem 2009 eingeleiteten Politikwechsel zur Imageverbes-serung im Ausland durch mehr internationale Kooperation in Kriminalitatsfragen zuzu-schreiben. Deshalb hat Liechtenstein auch jungst das Strafrechtsubereinkommen uberKorruption des Europarats von 1999 gezeichnet und die UN-Konvention gegen Korruption(hierzu Webb 2005) ratifiziert, um die es sich nach der Unterzeichnung 2003 sechs Jahrelang kaum nennenswert gekummert hatte.23 Die europaischen Kleinstaaten Andorra undMonaco sind schon seit langerem GRECO-Mitglieder, haben allerdings die UN-Konven-tion gegen Korruption nicht unterzeichnet. Dies zeigt, dass sich Kleinstaaten (wenn uber-haupt) nur selektiv an internationalen Antikorruptionsregimen beteiligen, was den unter 4.geausserten Uberlegungen zur ressourcenbewussten kleinstaatlichen Korruptionsbekamp-fung entspricht (vgl. Wolf 2010: 113). Der aktuelle Fall Liechtenstein belegt uberdies, dasskonzertierter politischer Druck aus dem Ausland Kleinstaaten mitunter sehr schnell zu Ver-haltensanderungen bewegen kann (vgl. 3.2.), wobei der Politikwechsel bei der Kor-ruptionsbekampfung hier offenbar nur eine Kollateralerscheinung der internationalinduzierten Offnung zu mehr Transparenz in Steuerfragen darstellt.

22 Zu nennen ist hier insbesondere die Beteiligung an verschiedenen Evaluierungen im eigenen Land und in anderen

Mitgliedstaaten sowie jahrlich ca. funf mehrtagige Plenarsitzungen in Strassburg mit der Diskussion und Beschluss-

fassung uber Dutzende komplexe Evaluierungsberichte.23 Liechtenstein hatte sich ursprunglich auch deshalb gegen das europaische Antikorruptionsregime und fur die

Mitwirkung am UN-Antikorruptionsregime entschieden, weil dessen Monitoringsystem weniger administrativ auf-

wendig zu werden versprach. Die plotzliche Ratifizierung der UN-Konvention durch das Furstentum erfolgte so

rasch, dass zuvor nicht alle verbindlichen Vorgaben – etwa im Strafrecht – umgesetzt wurden.

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6. Schlussbetrachtung

Die wichtigsten in den vorigen Abschnitten entwickelten Annahmen konnen als ‘‘Elementeeiner Theorie’’ wie folgt thesenartig zugespitzt werden:

1) Innerstaatliche Korruption ist fur sehr kleine Lander in den allermeisten Fallen insbe-sondere aufgrund der Fehlallokation knapper Ressourcen mit erheblichen Nachteilenverbunden, ausser sie dient in besonderer Weise der Erreichung der kleinstaatlichenZiele Souveranitat, Identitat und Prosperitat (siehe 2.1.).

2) Das Ausnutzen von Auslandskorruption ist fur Kleinstaaten eine profitable Option,ausser es gefahrdet unter bestimmten Rahmenbedingungen Hauptziele wie Souveranitat,Identitat oder Prosperitat (siehe 2.2.).

3) Kleinstaaten neigen zu spezifischen Strukturen, die innerstaatliche Korruption poten-tiell begunstigen (etwa eingeschrankter politischer Wettbewerb, zahlreiche Inte-ressenkonflikte, tradierte Elitenprivilegien, schwache institutionalisierte Kontrollen,grosse Handlungsspielraume einzelner Entscheidungstrager, wirtschaftliche Kar-tellisierungstendenzen, schwache Medien, fehlende Zivilgesellschaft und Nichtbeach-tung durch grossere Lander) (siehe 3.1.).

4) Gleichwohl weisen Kleinstaaten auch potentiell korruptionseindammende Strukturenauf (beispielsweise ein hohes Mass sozialer Kontrolle, kaum ausgepragte Berufspolitik,weniger Moglichkeiten fur Amterpatronage, eine relativ geringe Regulierungsdichte, einkollektives Bewusstsein existentieller Verletzbarkeit bei deviantem Verhalten und einerasche Adaptionsfahigkeit hinsichtlich des Regelungsumfelds in Verbindung mit einergrossen Abhangigkeit vom Ausland (siehe 3.2.).

5) In welcher Form die unter 1) bis 4) skizzierten Strukturmerkmale zusammenwirken,hangt von landesspezifischen, nicht-kleinstaatentypischen Konstellationen ab (unter an-derem Gesellschaftsstruktur, Aufbau des politischen Systems, Wirtschaftsstruktur, poli-tische Kultur, Nachbarstaaten, Einbindung in internationale Regime). Je nach Kontextkonnen diese kleinstaatentheoretisch nicht generalisierbaren Merkmale die oben disku-tierten strukturellen Faktoren jeweils verstarken, abschwachen oder auch keinen signifi-kanten Effekt haben.24

6) Kleinstaaten handeln notwendigerweise hochselektiv und widmen sich erst dann undnur so lange in nennenswertem Umfang der Korruptionsbekampfung, wie ihre primarenStaatsziele durch Korruption bedroht sind und keine anderen prioritaren Aufgaben an-stehen. Die kleinstaatliche Antikorruptionspolitik konzentriert sich auf den Kernbereichder staatlichen Institutionen und ressourcenschonende Massnahmen (siehe 4.).

Wie ist das Fallbeispiel Liechtenstein im Hinblick auf diese Thesen zusammenfassend zuinterpretieren? In Ermangelung umfangreicher Feldstudien konnen nur einige vorsichtigeund vorlaufige Schlussfolgerungen gezogen werden. Innerstaatliche Korruption scheint furdas Furstentum Liechtenstein kein besonderes Problem darzustellen; darauf deuten unter an-derem Experteninterviews und die polizeiliche Kriminalstatistik hin. Generell kor-ruptionspraventiv durften die lange rechtsstaatliche Tradition Liechtensteins und die engeKooperation mit der relativ korruptionsfreien Schweiz wirken. Aus der Aussenperspektivekorruptionsbegunstigende oder korruptionsnahe Strukturen wie etwa der eingeschrankte

24 Peters (2010: 95–96) weist allerdings darauf hin, dass auch politische Institutionen und Regimetypen auf der

Meso- und Makroebene (unabhangig von der Staatsgrosse) generell kaum auf bestimmte Korruptionsniveaus

schliessen lassen.

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politische Wettbewerb, Interessenkonflikte wegen Amterhaufungen, die aussergewohnlichstarke Position des Fursten, protektionistische und kartellistische Tendenzen in der Wirt-schaft, die parteinahen Medien und die schwache Zivilgesellschaft werden offenbar als nichtsehr bedenklich wahrgenommen, sondern teilweise als landestypisch (vgl. Staatsziel Identitat)oder kleinstaatennotwendig, jedenfalls nicht stark dysfunktional gedeutet. Hier ist auch zuberucksichtigen, dass sich Liechtenstein als sehr wohlhabendes Land etwaige kor-ruptionsbedingte Ressourcenfehlallokationen in begrenztem Umfang wohl noch eher leistenkein als andere Kleinstaaten. Es entspricht den oben formulierten Annahmen zur Antikor-ruptionspolitik im Kleinstaat, dass der Korruptionsbekampfung in Liechtenstein – etwa inForm der Ratifizierung der UN-Konvention gegen Korruption – lange Zeit offenbar keinebesondere Prioritat beigemessen wurde. Ebenso nachvollziehbar ist es, dass sich das Fursten-tum hier bislang auf den offentlichen Sektor konzentrierte, aus Ressourcengrunden zunachstnur fur die Mitwirkung in einem einzigen internationalen Antikorruptionsregime entschiedund dass der massive auslandische Druck im Zuge der Steuerhinterziehungsaffare zu einerraschen Anpassung des stark vom Ausland abhangigen Kleinstaats fuhrte. Zumindest in fru-heren Jahren profitierte der Finanzplatz Liechtenstein allerdings auch von Geldern aus kor-rupten Handlungen im Ausland, wie es die oben entwickelten Annahmen nahelegen.

Die hier vorgelegte theoretische Pilotstudie zum Thema ‘‘Korruption und Kleinstaat’’muss durch empirische Untersuchungen erganzt, korrigiert und fortgefuhrt werden, wobeizunachst die oben formulierten Thesen in moglichst komparativ uberprufbare Teilannah-men und messbare Indikatoren herunterzubrechen sind. Besonders interessant durftenempirische Erkenntnisse hinsichtlich der hier formulierten Annahmen zu korruptionspra-ventiven Einstellungen in kleinen Sozialsystemen oder dem ‘‘Leben mit einem gewissen Kor-ruptionsniveau aus kleinstaatlich-strukturellen Grunden’’ sein. Korruption stellt jedenfallsganz offensichtlich ein Phanomen dar, das auch und gerade im Hinblick auf Kleinstaatendifferenzierter Analysen bedarf.

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—— (2009). Korruption und Aussenwirtschaftspolitik. Zu den politischen Rahmenbedingungen des

Siemens-Falls. In Graeff, P., K. Schroder und S. Wolf (Hrsg.), Der Korruptionsfall Siemens. Analy-

sen und praxisnahe Folgerungen des wissenschaftlichen Arbeitskreises von Transparency International

Deutschland. Baden-Baden: Nomos (63–76).

—— (2010). Assessing Eastern Europe’s anti-corruption performance: views from the Council of Eur-

ope, OECD, and Transparency International. Global Crime 11(2): 99–121.

Wolf, S., S. van Buiren und C. Humborg (2009). Germany. In Transparency International (Hrsg.),

Global Corruption Report 2009. Corruption and the Private Sector. Cambridge: Cambridge Univer-

sity Press (331–37).

Corruption and Small States: Elements of a Theory

The article deals, from a theoretical perspective, with corruption as a particular phenomenon of

deviant behaviour in very small countries, especially micro states: Are these states more prone or

more immune to corruption? Is there a specific cost-benefit ratio in very small countries with

regard to corruption? Do these states develop particular anti-corruption policies? The paper

starts with a short cost-benefit analysis regarding very small countries and corruption. Then

specific factors are identified which may either increase or decrease the level of corruption in

such states. The following section presents an ideal-type model based on four steps to analyse

and explain anti-corruption policies in very small countries. Finally, some of the assumptions

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� 2011 Swiss Political Science Association Swiss Political Science Review (2011) Vol. 17(1): 51–74

Page 24: Korruption und Kleinstaat. Elemente einer Theorie

developed in the previous sections are discussed with regard to the case of Liechtenstein. The

article is a preliminary theoretical analysis which aspires to stimulate further empirical studies.

Corruption et petits Etats : Elements d’une theorie

Le papier analyse, dans une perspective theorique, la corruption dans les petits Etats. Est-ce qu’il

y a des specificites politiques et economiques dans ces pays qui influencent soit le niveau de la

corruption soit l’intensite des mesures anti-corruption? Dans ce papier, apres une analyse couts-

avantages de la corruption dans les petits Etats, les facteurs augmentants ou reduisants le niveau

de corruption sont etudies. La section subsequente du papier est consacree aux conditions sous

lesquelles les petits Etats organisent la lutte anti-corruption. Des implications theoriques sont

discutees utilisant la Principaute de Liechtenstein comme cas exemplaire. Le papier est un travail

preliminare qui veut stimuler des analyses empiriques.

Sebastian Wolf studierte Politikwissenschaft an der Technischen Universitat Darmstadt und absolvierte anschlies-

send ein europarechtliches Aufbaustudium an der Universitat des Saarlandes. Er promovierte an der TU Darm-

stadt und arbeitete von 2005 bis 2007 als Sektionsreferent am Deutschen Forschungsinstitut fur offentliche

Verwaltung in Speyer. Seit 2007 ist Sebastian Wolf wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universitat Konstanz,

seit 2010 zudem Lehrbeauftragter an der Universitat Liechtenstein. Seine Forschungsinteressen sind europaische

Integration, Rechtspolitologie, Korruptionsbekampfung und Kleinststaaten. Weitere Informationen und eine

Publikationsliste sind abrufbar unter http://www.polver.uni-konstanz.de/seibel/mitarbeiter/sebastian-wolf/.

Korrespondenzadresse: Universitat Konstanz, Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft, Fach 89, Univer-

sitatsstr. 10, D-78457 Konstanz. Telefon: +49 (0) 7531 88 4803; Email: [email protected]

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� 2011 Swiss Political Science Association Swiss Political Science Review (2011) Vol. 17(1): 51–74