lektorat: steff urgast, lann hornscheidt druck...
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© w_orten & meer GmbH, Berlin 2015
1. Auflage 2015
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlag/Satz: zanko.loreck.de
Lektorat: Steff Urgast, Lann Hornscheidt
Druck: Oktoberdruck AG, Berlin
Papier: RecyStar Polar Recyclingpapier, FSC-zertifiziert mit Blauem Engel
Printed in Germany
CD-Presswerk: Flight 13 Duplications, Karlsruhe
ISBN 978-3-945644-00-3
w_orten & meer GmbH
Verlag für antidiskriminierendes Handeln
Hasenheide 73, 10967 Berlin
E-Mail: [email protected]
www.wortenundmeer.net
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Vorwort
07
Spoken Word:
Vielfalt
11
Liebe mich, weil ... – Ein Hoch auf die Introvertierten
14
Menschliche Korrektheit
20
Enttäuschung in 24 Stunden
23
Handwörterbuch
27
In der Luft
29
Liebe Cis-Leute
30
Kurzgeschichte:
Einreise in Zeitlupe
35
Lyrische Prosa:
Im Herzen des Herzens einer anderen Sprache
53
Theatermonolog:
Das Licht ist weder gerecht noch ungerecht
83
Zitate und poetische Umrahmung
122
Danksagung
123
Videos
125
Audio-CD
126
7
V o r w o r t
Jayrôme C. Robinet legt einen Band vor. Ich glaube, es ist sein
erster. Er ist auf meinem Schoß zu liegen gekommen in verschiede-
nen Cafés, auf Bahnfahrten, in Zwischenwelten, in die hinein ich
die Lyrik stets mitnehme, damit sie mich behütet. Gute Lyrik kann
schützen vor schädlichen Welteinflüssen. Der Band von Jayrôme
C. Robinet ist ein kleiner Schutzschild. Er enthält das Leben seines
Dichters bis zu diesem Punkt.
Dieses Leben, möchte man sagen, ist die Sprache und die
Sprachfindung, denn Robinet ist ein Sprachwandler. Einer, der
zwischen dem Deutschen, dem Französischen wandelt, zwischen
dem Soziolekt Berlins und der großen Sprachideeblase, die in vie-
len aufsteigt, wenn sie »Frankreich« hören. In dieser komischen
Blase schwirren bei US-Amerikaner_innen Bilder von unrasierten
Körperteilen, langen und vor allem kunstvollen Zungenküssen, dem
Eiffelturm und Croissants herum. Bei Deutschen, wie nun schon
beim zugezogenen Dichter Robinet (»in meinem Mund liegt Post
aus Frankreich«) schwirrt da manchmal auch noch der Krieg drin,
Groß- und Urgroßväter, Verdun und Holzbeine, schwarz-weiß Fotos
vom Triumphbogen. Clichés: ein wahrhaft französisches Wort. Und
so weiß Robinet von seiner Erfahrungswelt zu künden: als einer, der
sich dessen bewusst ist.
Bewusstsein ist überhaupt auch so ein Wort. Nicht französisch,
aber eines für den Dichter Robinet, denn er wird sich seiner selbst
zunehmend bewusst in diesem Band, in den Texten, die vor dem
geneigten Auge der Lesenden zu liegen kommen, obwohl sie ganz
spezifisch und oft für das Ohr als ersten Adressaten geschaffen wor-
den sind. Doch das funktioniert. Lyrik und Dramatisches für die
Bühne kann beide befreunden: das Auge und das Ohr. Keine Lektü-
re-vor-Sorgen also!
8
Der Band enthält den Zyklus »Im Herzen des Herzens einer an-
deren Sprache« – ein schönes Titelspiel aus Etel Adnan’s Band »Im
Herzen des Herzens eines anderen Landes« – sowie den Monolog
»Das Licht ist weder gerecht noch ungerecht«. Diese Personenrede
ist eine Zugreise durch ein »Ich« hindurch, im inneren Monolog.
Ein junger Mann, der früher als Frau gelebt hat, reist seinen Eltern
entgegen, um ihnen die wichtigsten Sätze seines Lebens zu sagen.
Sätze in Gesichter zu sprechen, die längst zu lesen verstanden ha-
ben. Solche Reisen unternehmen wir alle, aber sicher sind sie nicht
immer von solcher Schwere, solcher Bedeutung, von dieser Motiva-
tion. Er beschreibt es gut, dieses eigene Drama und wird es selbst
spielen, wenn sein Bühnenstück 2015 Premiere feiert. So ist er also
mehr als ein Sprachwandler. Er hat so viele Häute ab- und neue an-
gelegt, dass er sich immer wieder neu verstehen lernen muss. Und
angekommen nun, gibt er Auskunft über die Fragen und beweist
Humor für seine Welt und seine Lage, nein besser: seinen Stand
darin. Der sich nun auch nach Breitbeinigkeit fragt, nach Männlich-
keiten, nach immer wieder – verdammten – Clichés.
Mit Nerven aus glänzendem Draht (so ein schönes Bild des
Dichters) spricht Robinet über die Sprache und erkennt doch, dass
es Dinge gibt, die nur ein gewisses Schweigen sagt. Und damit ist
ein Dichter, ein lebenskluger Mensch von bester Herkunft – näm-
lich zwischen allen Welten und von daher erfahren im Darüber und
Darunter – in unseren Regalen aufgetaucht. Willkommen, Robinet,
wir werden und wollen von Dir lesen und hören!
Nora Gomringer, Oktober 2014
12
Aber wenn der Adler so klug ist, soll er einfach tiefer fliegen.
Gründlicher.
Untergründlicher.
Glückwunsch!
Bund und Land, Land und Bund, Hand in Hand,
freuen sich mitzuteilen, wie sie Ermittlung simulieren.
Staatsgewalt geschickt verpackt.
»Terrorzelle« oder »Abschiebeknast«:
Es agiert das gleiche Terrorpack.
Ich hab die Dinge mal beim Namen genannt:
Statt Tetra Pak sage ich Formsaft und Milch im Quadrat.
Statt Selbstmord: vom Druck der Gesellschaft umgebracht.
Statt Staatsgewalt: Gewalt vom Staat.
Es war einmal ein kroatisches Ehepaar,
das 40 Jahre in Berlin lebt und arbeitet,
seit jeher seine eigene kleine Änderungsschneiderei betreibt
und nie, nicht ein einziges Mal, während dieser 40 Jahre,
während dieses fast halben Jahrhunderts,
von der deutschen Bekanntschaft zu sich nach Hause eingeladen
wurde.
Bin ich als weißer Franzose willkommen?
Einfach nur, weil ich so schlau bin?
Wegen meinem IQ? Sprich, meinem Impertinenz-Quotient?
Oder aufgrund vom Hautpigment in meinem Passdokument?
Dem Klangfundament von meinem Akzent?
Meinem Naturtalent als Kunstproduzent?
Oder meinem Baguette-Temperament?
Oh là là, isch weiß:
Wegen all die wichtigö französischö Wörter
13
in die deutschö Sprachö.
Oui, meine Damen und Ehren und alle anderen,
was würden Sie ohnö unserö französischö Wörter machen?
Lebenswischtigö Wörter sind das!
Ohne Balkon würden Sie abstürzen, nicht einmal auf der Terrasse
landen und weder Parterre noch vis-à-vis hätte es jemand gesehen.
Nicht einmal ein Adler.
Es war einmal eine Zweisprachigkeit:
Sie war hochgeschätzt.
Ja, deux langues!
Bei anderen heißt das Doppelzüngigkeit.
Nein, auf dem Schulhof darfst du nicht auf hüm-kisch oder
aha-bisch schwätzen, Schatz, du musst Deutsch reden.
Doppelte Standards gekoppelt mit Doppelbindung:
Das macht halt doppelt Spaß!
»Wasch’ mir den Pelz, aber mach’ mich nicht nass.«
»Fühl’ dich zu Haus! Aber nimm’ nicht so viel Platz ...«
Doppelte Standards gekoppelt mit Doppelbindung
machen halt doppelt Spaß!
Doppelte Standards gekoppelt mit Doppelbindung
machen halt doppelt Spaß!
Ich glaube, ein Land mit multipler Persönlichkeit
braucht mindestens den Doppelpass.
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wegen der Dauergeräuschkulisse hier, das brummende Gepäckför-
derband, die Plastikwannen, die gegeneinanderknallen, wenn sie
mit einem Ruck in Richtung der nächsten Person geschoben wer-
den ... Zum Zweiten ist ungewiss, welche Lautsprache ich und die
anderen verstehen.
Eine weitere Uniform, die am Durchgang vom Metalldetektor
steht, streckt den rechten Arm aus, Handfläche nach vorne. Stopp.
Ich darf nicht weiter. Liegt es an dem Beutel Konfetti, den ich im
Herzen trage? Ein Mitbringsel für meine Freundin. Ich will sie mit
Papierhurras zuschütten. Ich bewundere ihren Ungehorsam.
An mir vorbei läuft eine Abfolge von Jacken, Laptops, Gürteln,
Armbanduhren, Münzen, Reisepässen wie Waren an der Super-
marktkasse, jedoch hier ohne Trennstab als Besitzmarkierung.
Ich streichele mir durch den Bart. Keine reine Übersprunghand-
lung: Ich liebe, wie meine Barthaare, die erst mit 34 angefangen
haben zu wachsen, sich an meinen Fingerspitzen zugleich weich
und rau anfühlen.
Der Dienstanzug lädt mich nun doch ein, die Schwelle des Me-
talldetektors zu betreten, indem er winkende Bewegungen macht,
als würde er mir beim Einparken helfen.
Ich piepe nicht.
Der Konfettibeutel scheint zugelassen.
Nichtsdestotrotz zeigt er auf meine Schuhe. Meine geliebten
Motorradschuhe und ich soll sie ausziehen. Ich hasse das. Ich will
mich nicht entschuhen. Ich mag meine Füße nicht. Ich finde sie zu
klein, dafür zu breit, daher trage ich immer Schuhe, die drei Num-
mern zu groß für mich sind. Die Uniform wird es sicherlich merken.
Ich erröte innerlich. Sogar mein erstes Glück trägt Schuhe. Es war
Sommer und ich zehn und ein Wunder geschah. Einfach so, ohne
mich vorher zu fragen. Meine Eltern schenkten mir süße, schmale,
dunkelblaue Lack-Ballerinas und auf einmal wirkten meine beiden
Kuben ganz anders, auf einmal sahen sie so niedlich aus, unerklär-
lich lang und elegant. Lange habe ich gedacht, jeder Mensch müsste
{ T H E A T E R M O N O L O G }
D A S L I C H T I S T W E D E R G E R E C H T
N O C H U N G E R E C H T
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warum Leute wie ich immer so viel reden?
ich bin nicht Leute wie ich
ich bin einfach nervös, weil
morgen ist mein Geburtstag, wissen Sie?
ja
nein, natürlich wissen Sie es nicht
und meine Eltern auch nicht
sie haben keine Ahnung
meine Eltern wissen nicht einmal, dass sie das nicht wissen
ehrlich gesagt, bezweifle ich, dass sie mich am Bahnhof
wiedererkennen
höchstwahrscheinlich werden sie auf dem Bahnsteig direkt an mir
vorbeigehen
ihr Blick wird vielleicht kurz in meinen Blick tauchen
um dann weiter die Menge der Reisenden nach ihrem Kind
abzusuchen
glauben Sie es nicht?
das mit den Eltern, die nicht auf dem Schirm haben, wie ihr Sohn
aussieht und das Datum seines Geburtstages verpeilen?
mein Vorher und Nachher
Sie schauen so
sehr hübsch
als ich Sie gesehen habe, habe auch ich gedacht, dass meine Reise
im Arsch ist
Ellbogenkrieg auf der Armlehne
Small Talk
mais c’est la vie
also
warum meine Eltern mich vermutlich nicht wiedererkennen?
wissen Sie, in Frankreich bringt nicht der Storch die Babys
ein Vogel, mit einer Hängematte im Schnabel und einem
Neugeborenen drin, mir scheint das plausibel
aber in Frankreich werden Mädchen in einer rosafarbenen Rose
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geboren
und Jungs in einem Wirsingkohl
fabelhaft, nicht wahr?
nun aber, wenn das wirklich der Grund ist, weshalb Frauen
scheinbar auf Rosa stehen, dann müssen Männer, die aus dem Kohl
entspringen, allesamt das Grün lieben
jetzt fragen Sie sich
was soll der Quatsch
was hat ein Wirsingkohl damit zu tun, dass meine Eltern vergessen
haben, wie ich aussehe?
Moment
sitzen Sie bequem?
ich finde, wir machen das wunderbar mit der Mittelarmlehne
darf ich Ihnen etwas zu essen anbieten?
zu trinken?
ein Glas Rotwein?
auf Reisen habe ich immer eine Tasche voll
nicht mit Weinflaschen, tut mir leid
ich trinke keinen Wein
ab und zu verkoste ich nur ein kleines Radler in einer Kneipe bei
mir im Kiez
ein Radlerchen
na gut, »früher«
was schätzen Sie, wie alt ich bin?
morgen werde ich eins
vraiment
morgen ist mein erster Geburtstag
morgen am 21. Juni
bei Ausbruch des Sommers
wird es genau 365 Tage her sein, dass ich eine zweite Geburt
erlebte
nennen wir das mal so
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morgen ist es exakt ein Jahr her, dass ich mir die Katze zulegte
meinen neuen Vornamen ausgewählt
und vor allem
dass ich mit Testosteron angefangen habe
voilà
so einfach ist das
das einzige Problem ...
meine Eltern wissen das nicht
und auf dem Bahnsteig erwarten sie ihre Tochter
wollen Sie das Abteil wechseln?
Bitteschön
werfen Sie auch einen Blick in die Liege- und Schlafwagen
die Leute werden sich sicher freuen, wenn Sie in ihrem
Schlafzimmer aufkreuzen
ohne gültige Reservierung
danke, dass Sie mir ein bisschen Zeit widmen
vielleicht nicht freiwillig
aber danke
dreizehn Stunden
das ist doch nicht die Welt
ehrlich gesagt, habe ich mit Ihnen ein kleines Hähnchen zu rupfen
wieso hält der Zug schon an?
wo sind wir hier?
Berlin-Spandau
wir haben die Stadt noch nicht einmal verlassen und unser Abteil
ist bereits voll
ok
ich vergesse die ganze Geschichte mit Papa und Mama besuchen
tue uns allen einen Gefallen
oder nicht?
ich steig jetzt aus