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Leseprobe aus: Eller, Grimm, Individuelle Lehrpläne für Kinder, ISBN 978-3-407-29165-3 © 2012 Beltz Verlag, Weinheim Basel http://www.beltz.de/de/nc/verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn=978-3-407-29165-3

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Page 1: Leseprobe aus:Eller, Grimm,Individuelle Lehrpläne für ... · Agency for Education,Zentralamt für Unterrichtswesen 2004), aus denen eine große Fürsorge und Wertschät- zung für

Leseprobe aus: Eller, Grimm, Individuelle Lehrpläne für Kinder, ISBN 978-3-407-29165-3© 2012 Beltz Verlag, Weinheim Basel

http://www.beltz.de/de/nc/verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn=978-3-407-29165-3

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Vorwort

Die Grundlagen für dieses Buch entstanden sowohl ausder Unterrichtspraxis an der Freiherr-vom-Stein-Schule,eine Grundschule in Rodgau, Kreis Offenbach als auchaus unseren Fortbildungsveranstaltungen für Lehre-rinnen und Lehrer zum Komplex individuelle Lernplänefür Kinder. Die Schule verfügt lediglich über eine zusätz-liche Lehrerstelle für den offenen Ganztagsbetrieb. Da-rüber hinaus hat sie für den Unterricht mit individu-ellen Lernplänen keine weiteren Ressourcen.

Das Buch wurde also nicht aus der Sicht einer reich-lich versorgten, abgehobenen Modellschule geschrieben,sondern aus den Ideen und Erfahrungen einer ganz nor-malen deutschen Schule. Die vorgestellten Materialiensind praxiserprobt. Es werden Wege gezeigt, wie bei allenUnzulänglichkeiten individuelle Lernpläne entwickeltwerden können – nicht perfekt, aber für alle praktikabel.Deshalb kann das vorgestellte Lernen mit individuellenLernplänen von jeder Schule mit spezifischen Abwand-lungen nachvollzogen werden.

Die verschiedenen Ausgangssituationen der Schu-len sowie Probleme und Erwartungen von Lehrerinnenund Lehrern sind uns sowohl von der eigenen Schuleals auch von unseren Fortbildungsveranstaltungen be-kannt. Rückmeldungen der Schülerinnen und Schüler,der Eltern, des Kollegiums sowie der Teilnehmerinnenund Teilnehmer an unseren Fortbildungsveranstaltun-gen wurden in das Buch einbezogen.

Der Weg unserer Schule zu individuellen Lernplänenbegann mit einer Fehleinschätzung. Als offene Ganztags-schule boten wir an den Nachmittagen von Montag bisDonnerstag eine von Lehrkräften geleitete Hausaufga-benhilfe für Kinder mit Lernschwächen an. Sie wurdenvon den Klassenlehrerinnen und Klassenlehrern ausge-wählt und nahmen für einen begrenzten, vorher festge-legten Zeitraum daran teil. Wir hatten die gute Absicht,diese Kinder zu fördern.

Was wir nicht bedachten, waren die Reaktionen derbetroffenen Eltern und Kinder. Sobald ein Kind ausge-wählt war, führte dies in der Regel zur Besorgnis der El-tern über dessen Leistungsstand. Viele fragten, ob ihrKind denn so schwach sei, dass es an diesem Nachhilfe-unterricht teilnehmen müsse. Die Kinder wurden durchihre Auswahl beschämt, auch weil sie für viele sicht-bar nachmittags zu dieser speziellen, defizitorientiertenHausaufgabenhilfe kommen mussten.

Obwohl es an den Nachmittagen noch die Betreu-ung und weitere Angebote gab, die allerdings überwie-gend nicht von Lehrerinnen und Lehrern geleitet wur-den, mussten wir befürchten, dass der Ganztagsbetriebin ein schiefes Licht geriet: »Vormittag für alle, Nach-

mittag überwiegend für die Schwachen«. Dies musstezu einem Scheitern unserer Ganztagsschule führen. Wirbildeten deshalb eine Planungsgruppe, die ein Förder-konzept für die Schule erarbeiten sollte.

Durch die Arbeit dieser Gruppe gewannen wir eineneue Sicht, die mit folgenden Thesen beschrieben wer-den kann:

Fördern ist mehr als Defizite beseitigen.Fördern setzt präventiv ein.Förderung brauchen alle Kinder, leistungsstarke undleistungsschwache.Förderung muss der Heterogenität der Kinder ge-recht werden.Fördern setzt an den Stärken der Kinder an. JedesKind kann etwas.Beim Fördern sollte Selektion vermieden werden.Fördergruppen sollten in der Regel heterogen zu-sammengesetzt sein.Fördern umfasst nicht nur Förderkurse, sondernden gesamten Unterrichtsbereich, ja sogar das Schul-klima.Fördern ist primäres Anliegen des Unterrichts.Fördern setzt einen Unterricht voraus, in dem alleKinder möglichst individuell lernen können.Fördern braucht effektive Lernformen.Fördern muss emotionale Komponenten des Unter-richts und der Schule berücksichtigen.Fördern muss Kinder stärken.

Wir ersetzten die defizitorientierte Hausaufgabenhilfedurch anspruchsvolle Förderkurse, die wir heterogenzusammensetzten. Im Vordergrund standen nicht mehrdie Aufarbeitung von Defiziten aus dem Unterricht, son-dern herausfordernde Vorhaben für die Kinder.

Dazu ein Beispiel: In dem Förderkurs »Mit Schriftgestalten« setzten sich die Kinder mit dem Gestalten undVerzieren von Buchstaben in mittelalterlichen Hand-schriften auseinander. Sie schrieben mit Tuschfedern,probierten verschiedene Handschreibtechniken undComputerschriften, beschäftigten sich mit Schriftkunst(Kalligraphie) und gestalteten Briefe und Schmuckblät-ter.

Es konnten damit sowohl Kinder mit besonderen gra-fischen und künstlerischen Fähigkeiten als auch Kindermit feinmotorischen und Raum-Lage-Problemen geför-dert werden. Durch die heterogene Zusammensetzungdes Kurses konnte jedes Kind seine Stärken einbringenund damit andere Kinder motivieren. Die Arbeit verhalfden Kindern zu mehr Selbstbewusstsein und schuf da-mit eine günstige Bedingung für jedes Lernen.

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8 Vorwort

Das neue Förderkonzept der Schule führte aber auchzu einer Weiterentwicklung des Unterrichts. Wir woll-ten Kinder stärker individuell fördern. Uns fasziniertendie in der Dokumentation von Reinhard Kahl gezeigtenSchulen (Kahl 2004). Beeindruckt waren wir auch vonden schwedischen und finnischen Lehrplänen (Ministryof Education and Science in Sweden and NationalAgency for Education, Zentralamt für Unterrichtswesen2004), aus denen eine große Fürsorge und Wertschät-zung für das einzelne Kind spricht. Diese Lehrpläne be-schreiben auch individuelle Lernpläne.

Natürlich konnten wir nichts davon kopieren, aberwir überlegten, was unter unseren Voraussetzungen um-gesetzt und in einen Prozess der Schulentwicklung gege-ben werden konnte. Dieser Weg wird in Kapitel 3 diesesBuches beschrieben. Es ist ein Weg, der trotz gelegent-licher Rückschläge ständig weiterführt, auf dem wir abernie am Ziel angelangen werden, weil es immer wiederetwas zu verbessern und anzupassen gibt. LebenslangesLernen ist nicht nur von den Kindern, sondern auch vonuns gefordert.

Wir weisen aber ausdrücklich darauf hin, dass un-ser Weg nicht mit dem Umsetzen von Rezepten undHandlungsanleitungen begann, sondern mit einer Ein-stellungsveränderung bei uns Lehrerinnen und Lehrernzum Kind und zum Lernen. Dazu sollen die Kapitel 1und 2 anregen. Dort zeigen wir auch, wie notwendig dieIndividualisierung des Unterrichts ist und welche Pro-bleme der Schule und unseres Berufes dadurch einer Lö-sung näher gebracht werden.

Aus unserer eigenen Erfahrung können wir jede Leh-rerin und jeden Lehrer ermutigen, sich auf individuelle

Lernpläne für Kinder einzulassen. Die anfängliche undvielleicht auch noch spätere Mehrarbeit wird kompen-siert durch positive Erfahrungen, auf die wir in Kapitel 7hinweisen.

Die politischen Entscheidungsträger sollten einenRahmen schaffen, der diese Bemühungen der innovati-onsbereiten Schulen unterstützt. Die politische Diskus-sion über Heterogenität muss die ideologischen Gräbender siebziger Jahre verlassen und zu pragmatischen Lö-sungen der angestauten Probleme führen. Statt die im-mensen Reparaturkosten von Schulmängeln zu finan-zieren, sollten Rahmendbedingungen für Schulen ge-schaffen werden, die es ihnen ermöglichen, die gestelltenAufgaben zu erfüllen.

Wir danken dem Kollegium der Freiherr-vom-Stein-Schule in Rodgau, dessen Entwicklungsarbeit und Pra-xisbeispiele in dieses Buch einflossen. Unser Dank giltauch dem Förderverein der Schule für die moralischeund materielle Unterstützung bei der Realisierung derindividuellen Lernpläne und nicht zuletzt den Eltern so-wie den Kindern für die konstruktiven Rückmeldungen.

Resonanz und Nachfrage unserer Fortbildungsver-anstaltungen durch viele Schulen zeigen uns, dass wirmit den individuellen Lernplänen ein zentrales Anliegenund ein weitgehend ungelöstes Problem der Grundschu-len anrühren. Wir glauben, dass die Auseinandersetzungdamit überfällig ist und die Schulentwicklung, nicht nurder Grundschulen, in den nächsten Jahren maßgeblichbestimmen wird.

Wir freuen uns auf Kritik, Anregungen und Fragen zudiesem Buch.

Vorwort zur 2. Auflage

Seit dem Erscheinen der 1. Auflage etablierte sich das in-dividuelle Lernen an unserer Schule. Das manifestiertsich auch in der Einrichtung der Klassenräume als an-regender Lernumgebung. Sinnbild dafür ist der rundeTisch, den wir in Kapitel 4.5 vorstellen. Er befindet sichmittlerweile in den meisten Klassenräumen. Die posi-tiven Erfahrungen zeigen sich nicht nur bei den Lern-erfolgen, sondern auch im Sozialverhalten der Kinder.

Die Einführung des flexiblen Schulanfangs zumSchuljahresbeginn 2011/2012 war deshalb ein konse-quenter Schritt im Rahmen dieser Entwicklung. KeinKind wird mehr vom Schulbesuch zurückgestellt. DieJahrgänge 1 und 2 werden gemeinsam unterrichtet. Kin-der können nach einem, nach zwei oder nach drei Jahrenin die Jahrgangsstufe 3 versetzt werden. Das Kollegiumtraut sich zu, Bedingungen zu schaffen, die es den Kin-dern erlauben, derart individuell zu lernen.

Neben Aktualisierungen zeigt diese überarbeitete Auf-lage eine differenziertere Sicht auf Heterogenität und aufdie Auswirkungen des individuellen Lernens. Wenn je-des Kind entsprechend seinen Potenzialen lernen kann,wenn die unterschiedlichen Stärken zum Tragen kom-men, wird die Heterogenität größer. Wir erzeugen alsoLeistungsunterschiede, allerdings auf hohem Niveau.

Individuelles Lernen ist heute aktueller denn je. Auchmit dieser 2., überarbeiteten und aktualisierten Auflagebieten wir Lehrkräften und Schulen Hilfen, die notwen-dige Weiterentwicklung zu realisieren.

Rodgau, im Januar 2012 Ursula EllerWendelin Grimm

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7. Was wir gewinnen – was uns entlastet

Wer seinen Unterricht auf individuelle Lernpläne um-stellen möchte und sich die notwendigen Schritte an-sieht, wird ein Gebirge von Arbeit auf sich zukommensehen. Methodische und didaktische Neuorientierung,Vorbereitung der Lernmaterialien, individuelle Lern-ziele, differenzierte Aufgabenstellungen und Rückmel-dungen an Kinder und Eltern sind besonders am Anfangsehr zeitaufwendig. Es darf aber nicht übersehen wer-den, dass dafür andere Arbeiten entfallen, dass das Ar-beiten insgesamt entspannter, erfolgreicher und befrie-digender wird.

Da Unterrichtsvorhaben langfristig geplant und vor-bereitet werden, entfällt der Vorbereitungsdruck vonheute auf morgen. Wenn die Lerneinheiten initiiert wur-den und die Organisationsstrukturen klar sind, läuft derUnterricht weitgehend auch ohne Einwirkung der Lehr-kraft. Dafür sorgen die Angebote und die zunehmendeSelbstständigkeit der Kinder. Allenfalls ergänzendes Ma-terial zu neuen Fragestellungen, die aus dem Unterrichterwachsen, ist zu organisieren.

Das aufwendige, täglich wiederkehrende Planen vonStundenlektionen erübrigt sich. Die Energie für die Vor-bereitung perfekter Stunden mit minutengenauen Ab-läufen kann nun in sinnvollere Bereiche fließen. Esbleibt Zeit für die Unterstützung der Kinder, für Lern-gespräche, für Beobachtungen und – endlich auch zumDurchatmen.

Entscheidend für die Arbeitsbelastung der Lehre-rinnen und Lehrer ist nicht nur der zeitliche, sondern inhöherem Maße der nervliche Aufwand und die Arbeits-zufriedenheit.

Diese steigt durch die Erfolge mit individuellen Lern-plänen, denn:

Die Leistungen der Kinder steigen.Das Arbeitsverhalten der Kinder wird besser.Es gibt weniger Leistungsversagen, das Nichtverset-zungen und Sonderschulüberweisungen nach sichzieht.Da alle Kinder entsprechend ihren Anforderungenarbeiten, gehen Verhaltensauffälligkeiten deutlichzurück. Leistungsstarke Kinder sind ausgelastet, leis-tungsschwache sind nicht überfordert und könnenmit weniger Hilfen arbeiten.Auf Teilleistungsschwächen kann besser eingegangenwerden.Die Schule wird menschlicher. Die gesamte Arbeits-atmosphäre für Kinder und Lehrkräfte bessert sich.

Individuelle Lernpläne finden eine hohe Akzeptanzbei den Eltern. Sie zeigen eine höhere Wertschätzungder Schule und damit auch gegenüber den Lehrkräf-ten.Die notwendige Teamarbeit wird von Lehrerinnenund Lehrern geschätzt. Sie können sich austauschenund Probleme gemeinsam lösen. Das belastende Ein-zelkämpfertum wird abgelöst durch ein sich gegen-seitig unterstützendes Team.

Das Lernen in größeren Zeitblöcken bietet nicht nur denKindern einen weitgehend entspannten Tagesrhythmus,es kehrt produktive Ruhe in die Schule ein, die – wie Er-fahrungen zeigen – sowohl von Kindern als auch vonLehrkräften geschätzt wird.

Zur Arbeitszufriedenheit der Lehrkräfte und zu denLeistungen der Kinder schrieb uns eine Teilnehmerin ei-ner unserer Fortbildungsveranstaltungen:

»Sehr geehrte Frau Eller,

am Grundschultag 2006 in Fulda-Johannesberg nahm ichan der AG zu den individuellen Lernplänen teil, die Sie ge-meinsam mit Herrn Grimm leiteten. Damals überzeugtenSie mich mit Ihren Ausführungen, dass ich hiermit einenWeg gefunden hatte, meine pädagogischen Ziele umzuset-zen. Nun, kurz vor Ende des Schuljahres, möchte ich Ihnenrückmelden, dass meine Erstklässler (15 Kinder mit einerSchere in der Ausgangslage von mindestens 3 Jahren) nachintensiver Vorbereitung und Einführung der individuellenLernpläne (zuerst Mathematik, dann Deutsch) sich her-vorragend mit der Arbeit in den Plänen auskennen, alle al-tersgerechten Texte weitgehend sinnentnehmend lesen kön-nen und Mathematik das Lieblingsfach der meisten Kinderist (nicht Sport!). Ich möchte mich bedanken für den Mut,den Sie mir auf der o.g. AG vermittelt haben, mein päda-gogisches Wirken endlich so zu realisieren, wie ich mir dasschon immer gewünscht habe. Auch einige meiner Kolle-ginnen konnte ich überzeugen, so dass in einer 2. Klassewenigstens in Mathematik mit individuellen Lernplänengearbeitet wird und die kommende 1. Klasse ebenfalls da-mit arbeiten wird. …

Mit freundlichen Grüßen aus Fulda

S. SchultheisRektorin der Ottilienschule Fulda-Niesig«

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