ludwig jost zu seinem 75. geburtstage

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DIE NATURWISSENSCHAFTEN 28. Jahrgang I5. November x94o Heft 46 Ludwig J ost zu seinem 75. Geburtstage. Von HEINRICH WALTER, Stuttgart. Am I3. November dieses Jahres feiert Professor Dr. LUDWIG JosT in Heidelberg seinen 75- Geburts- tag. Zahlreiche Schfiter des In- und Auslandes, nicht nur diejenigen, denen es verg6nnt ist, ihn pers6nlich zu kennen, sondern auch die sehr vieI gr6gere Zahl derer, die seinen Werken ihre Kennt- nisse in Pflanzenphysiologie verdanken, gedenken in Dankbarkeit an diesem Tage ihres verehrten Leh- rers. Wenn JosT 1915 yon PFEFrZR sagte: ,,Jeder, der sich mit Physiologie besch~ftigt, mugte sein Schiller werden; ein Pftan- zenphysiologe, der nichlLs von PFEFFER gelernt hgtte, ist nieht denkbar", so gilt das in bezug auf ihn selbst in einem noch viel weite- ren Sinne. Seitdem 19o 4 seine ,,Vorlesungen fiber Pflanzenphysiologie", die in fast alle ~Veltsprachen fibersetzt wurden, zum ersten Male erschienen, gab es wohl kaum einen Botaniker, der sie nicht zum Studium der Pflanzen- physiologie benutzte und dem es nicht besondere Freude bereitete, seinen klaren, sachlichen und kritischen Ausffihrungen zu folgen. Als Verf. wghrend des Weltkrieges mit dem Studinm der Naturwissen- schaften in RuBland be- gann, da war fiir ihn der Name JosT schon ein ga.nz bestimmter Begriff. Wie groB war deshalb seine Freude, als er 192o seine erste Assistentenstelle gerade unter JoSTS Leitung antreten und 12 Jahre als dessen Mitarbeiter tgtig sein durfte. Seit der io. Auflage des ,,Lehrbuches der Bo- tanik ffir Hochschulen" im Jahre 19o9 fibernahm JosT auch die Bearbeitnng des physiologischen Teiles durch 7 Auflagen hindurch nnd erweiterte dadurch seinen Einflug als Hochschullehrer auf einen noch viel gr6geren Kreis. JosT ist yon Geburt Karlsruher und besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt. 1883 wandte er sich dem Studium der Naturwissenschaften an der Universit~t Heidelberg zu, an der da- NW, I94 c. reals als Botaniker PFITZER iehrte. 1885 ging er an die Kaiser Wilhelm-Universitgt in Stral3- burg und arbeitete dort unter DE BARYS Leitung an seiner Doktordissertation fiber die Atmungs- organe der Pflanzen. Die fiberragende Pers6n- lichkeit DE BARYS hinterlieB einen nachhaltigen Eindruck bei dem jungen Studenten, wie aus der sp/iteren Schrift yon JosT (I93 o) ,,Zum hundertsten Geburtstag- ANTON DE BARYS" hervorgeht. StraBburg sollte fortan auch J OSTs eigentliche Wir - kungsst/itte bleiben, bis er 1918 der Gewalt weichend auf Grund eines Auswei- sungsbefehles diese Stadt verlassen muBte und in Heidelberg eine Zuflucht fand. Nur zweimaI war er w~ihrend dieser Zeit auch an anderen Hochschulen t~tig: gleieh nach der Pro- motion, als er bei GOEBEL in Marburg ein Semester lang Assistent war, und kurz bevor er die Nachfolge yon SOLMS-LAUBACH in Strat3- burg antrat, als er einem Rule an die Landwirt- schaftliche Hochschule in Bonn folgte. Der Zusammenbruch nach dem ~Veltkriege, der auch in seiner Familie eine bittere Lficke gerissen hatte, der Verlust des Elsag und des geliebten Stral3- burgs lasteten auf JosT schwer und machten ihm das Eingew6hnen an der Universit~it Heidelberg, die ihn nach dem Tode yon KLEBS als dessen Nachfolger berief, nnter den sehr viel ungfinstigeren Arbeitsbedingungen nicht leicht. Wie grog mug heute die Freude des Jubilars dar- fiber sein, dab das Jahr seines 75- Geburtstages mit dem Jahr der endgiiltigen l~tiekkehr Strai3- burgs in das Deutsche Reich zusammenf~llt. Es kann nicht die Aufgabe des Verf. sein, in diesem kurzen Aufsatz die wissenschaftliche Arbeit JoSTS als Forscher und Lehrer in ihrem ganzen groBen Umfange zu wiJrdigen. Es seien nur zwei der hervorstechendsten Merkmale seiner Forscher- t~tigkeit hervorgehoben: das ist die Vie]seitigkeit 47

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DIE NATURWISSENSCHAFTEN 28. Jahrgang I5. November x94o Heft 46

Ludwig J ost zu seinem 75. Geburtstage. Von HEINRICH WALTER, Stuttgart .

Am I3. November dieses Jahres feiert Professor Dr. LUDWIG JosT in Heidelberg seinen 75- Geburts- tag. Zahlreiche Schfiter des In- und Auslandes, nicht nur diejenigen, denen es verg6nnt ist, ihn pers6nlich zu kennen, sondern auch die sehr vieI gr6gere Zahl derer, die seinen Werken ihre Kennt- nisse in Pflanzenphysiologie verdanken, gedenken in Dankbarkeit an diesem Tage ihres verehrten Leh- rers. Wenn JosT 1915 yon PFEFrZR sagte: ,,Jeder, der sich mit Physiologie besch~ftigt, mugte sein Schiller werden; ein Pftan- zenphysiologe, der nichlLs von PFEFFER gelernt hgtte, ist nieht denkbar", so gilt das in bezug auf ihn selbst in einem noch viel weite- ren Sinne. Seitdem 19o 4 seine ,,Vorlesungen fiber Pflanzenphysiologie", die in fast alle ~Veltsprachen fibersetzt wurden, zum ersten Male erschienen, gab es wohl kaum einen Botaniker, der sie nicht zum Studium der Pflanzen- physiologie benutzte und dem es nicht besondere Freude bereitete, seinen klaren, sachlichen und kritischen Ausffihrungen zu folgen. Als Verf. wghrend des Weltkrieges mit dem Studinm der Naturwissen- schaften in RuBland be- gann, da war fiir ihn der Name JosT schon ein ga.nz bestimmter Begriff. Wie groB war deshalb seine Freude, als er 192o seine erste Assistentenstelle gerade unter JoSTS Leitung antreten und 12 Jahre als dessen Mitarbeiter tgtig sein durfte.

Seit der io. Auflage des ,,Lehrbuches der Bo- tanik ffir Hochschulen" im Jahre 19o9 fibernahm JosT auch die Bearbeitnng des physiologischen Teiles durch 7 Auflagen hindurch nnd erweiterte dadurch seinen Einflug als Hochschullehrer auf einen noch viel gr6geren Kreis.

JosT ist yon Geburt Karlsruher und besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt. 1883 wandte er sich dem Studium der Naturwissenschaften an der Universi t~t Heidelberg zu, an der da-

NW, I94 c .

reals als Botaniker PFITZER iehrte. 1885 ging er an die Kaiser Wilhelm-Universitgt in Stral3- burg und arbeitete dort unter DE BARYS Leitung an seiner Doktordissertation fiber die Atmungs- organe der Pflanzen. Die fiberragende Pers6n- lichkeit DE BARYS hinterlieB einen nachhaltigen Eindruck bei dem jungen Studenten, wie aus der

sp/iteren Schrift yon JosT (I93 o) ,,Zum hundertsten Geburtstag- ANTON DE BARY S" hervorgeht.

StraBburg sollte fortan auch J OST s eigentliche Wir - kungsst/itte bleiben, bis er 1918 der Gewalt weichend auf Grund eines Auswei- sungsbefehles diese Stadt verlassen muBte und in Heidelberg eine Zuflucht fand. Nur zweimaI war er w~ihrend dieser Zeit auch an anderen Hochschulen t~tig: gleieh nach der Pro- motion, als er bei GOEBEL in Marburg ein Semester lang Assistent war, und kurz bevor er die Nachfolge yon SOLMS-LAUBACH in Strat3- burg antrat, als er einem Rule an die Landwirt- schaftliche Hochschule in Bonn folgte.

Der Zusammenbruch nach dem ~Veltkriege, der auch in seiner Familie eine bittere Lficke gerissen hatte, der Verlust des Elsag und des geliebten Stral3- burgs lasteten auf JosT schwer und machten ihm das Eingew6hnen an der

Universit~it Heidelberg, die ihn nach dem Tode yon KLEBS als dessen Nachfolger berief, nnter den sehr viel ungfinstigeren Arbeitsbedingungen nicht leicht. Wie grog mug heute die Freude des Jubilars dar- fiber sein, dab das Jahr seines 75- Geburtstages mit dem Jahr der endgiiltigen l~tiekkehr Strai3- burgs in das Deutsche Reich zusammenf~llt.

Es kann nicht die Aufgabe des Verf. sein, in diesem kurzen Aufsatz die wissenschaftliche Arbeit JoSTS als Forscher und Lehrer in ihrem ganzen groBen Umfange zu wiJrdigen. Es seien nur zwei der hervorstechendsten Merkmale seiner Forscher- t~tigkeit hervorgehoben: das ist die Vie]seitigkeit

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714 X,¥A, LTt~R. ~ Ludwig Jost zu

der Arbeitsrichtung und die klare und stets sehr kritische Einstellung den verschiedensten Pro- blemen gegenfiber. JosT ist nicht der Begrilnder einer Schule, in der eine bestimmte Arbeitsrichtung bis in ihre letzten Konsequenzen verfolgt wird. Seine erstaunliche Literaturkenntnis lieB ihn die Unvollst~ndigkeit der L6sm~g vieler Probleme mit kritischem Blicke erkennen und veranlaBte so ihn oder dutch ihn seine Schiller immer wieder zur Arbeit auf den verschiedensten Gebieten.

Sein Hauptarbeitsgebiet ist die Physiologic im weitesten Sinne, denn such bei den mehr anatomisch- entwicklungsgeschichtlichen Arbeiten herrscht fast framer eine bestimmte physiologische Frage- stellung vor. JOSTS Lebenswerk f~illt ja such in den Zeitabschnitt der Botanik, in dem namentlich in Deutschland die Physiologic wohl den H6hepunkt ihrer Vormachtstellung errang. Unter den phy- siologischen Problemen sind es wieder diejenigen aus dem Gebiete der Reizphysiologie, die Jos~' besonders am Herzen liegen. Schon 1897 Welldet er sich der Untersuchung der periodischen Be- wegungen der B1/itter von dVii~nosc~ ~pudiea und 1898 den nyctitropischen ]3ewegungen zu. 19o2 folgt die kritische Besprechung der Perzeption des Schwere- reizes, die die eigentlichen Untersuchungen fiber Geotropismus in den jahren 1912 bis 1926 einleitet.

Waren JosTs Kollegs durch ihren logischen Aufbau, die klare Sprache und die scharfe Krit ik ftir den H6rer stets ein GenuS, so zeigte sich bei der Besprechung der Reizphysiologie, seines eigent- lichsten Arbeitsgebietes, seine ganze Meisterschaft. Die Besch/iftigung mit reizphysiologischen Fragen fiihrte dann in den letzten Jahren seiner Hoch~ schult~itigkeit zu zellphysiologischen Untersuchun- gen fiber Potentialdifferenzen an Zellmembranen und nach der Emeritierung, als er seine Forschert~tigkeit am Kaiser ~Vilhelm-Institut ftir medizinische For- schung zu tleidelberg fortsetzte, noch zu eingehen~ den Untersuchungen der \Vnchsstof~e, fiber deren Physiologie 4 Arbeiten in jfingster Zeit erschienen.

In die Zeit zwischen die filteren und jfingeren reizphysiologisehen Arbeiten f~llt die Bearbeitung der ersten und zweiten Auflage seiner ,,Vorlesungen fiber Pflanzenphysiologie' '.

Durch seine grol3e Objektivit~it in wissenschaft- lichen Fragen und die Sch~rfe seiner Kritik, die zwar stets gerne die wir!dichen Verdienste anderer anerkannte, sich aber niemals durch noch so geist- reiche oder plausible Erkl/irungen blenden lieS, sondern stets die eindeutige experimentelle Be- grfindung verlangte, war J o s r wie kein anderer dazu berufen, eine zusammenfassende Darstellung der Pflanzenphysiologie zu geben. In diesen seinen Eigenschaften liegt auch der ungeheure Erfolg be- grtindet, den seine ,,Vorlesungen" im In- und Aus- lande erzielten. Als dann vor zwei Jahrzehnten die Frage der Bearbeitung der 4. Auflage an ihn herantrat, da liel3 ihm seine, in diesem Falle gewiB zu weir gehende Gewissenhaftigkeit es nicht m6g- lich erscheinen, das Gesamtgebiet der inzwischen immer umfangreicher gewordenen Pflanzenphysio-

seinem 75- Geburtstage. Die Natur- wissenschaften

logie zu bearbeiten. Er behielt ffir sich nur den ibm n~iherliegenden Formwechsel und Ortswechsel und fiberlieg den chemischen Tell seinem Freund BENECKE. Auch die Bearbeitung des physiologi- schen Teiles im ,,Lehrbuch der Botanik" lehnte JOST yon der 17. Auflage an ab. Trotz aller l~ber- redungsversuche liel3 er sich nicht davon abbringen, dab eine jfingere Kraf t eine vollst~ndige Um- arbeitung vornehmen mfisse.

Es entsprach ganz seiner vielseitigen und groB- ztigigen Pers6nlichkeit, dab JosT die Arbeitsrich- tung seiner Assistenten niemals irgendwie zu be- stimmen suchte. Im Gegenteil: er f6rderte, wo er nur konnte, ihre Eigenart und war stets mit seinem grol3en Wissen behilfIich, wenn sie auch eine ganz andere Richtung einschlugen oder gar entgegen- gesetzter 3/feinung waren. Die botanischen Collo- quien, die in den letzten Jahren such im weiteren Kreise zusammen mit den benachbarten Hoch- schulen abgehalten wurden, erhielten durch die Pers6nlichkeit JOSTS, um den sich die Jfingeren scharten, einen ganz besonderen Reiz. Trotz des grot3en Altersunterschiedes und seines abgekl/irten Wissens lies JosT dabei durch seine liebens- wtirdige, humorvolle Art in Diskussion und bei geselligem Beisammensein hie das Gefiihl des Ab- standes aufkommen. Er war f~ir uns Jfingere stets der v~terliche Freund.

JosTs Emerit ierung fiel in eine bewegte und filr die Hochschulen kritische Zeit, in eine Zeit, da jiingere KrMte ungestilm vorw~irts dr~ngten und da- bei dem Alter nicht immer die Ehrerbietung ent- gegenbrachten, auf die es auf Grund seiner Leistun- gen Anspruch hatte. DaB aber die deutsche Hoch- schule und dam.it die deutsche Wissenschaft auch in der Zeit des Niederganges und der Zersetzung in ihrem eigentlichen Kern gesund blieb und die Krise fiberwand, das verdanken wir gerade solchen M/in- nern wie JosT, die keinen Wert darauf legten, in der breiten Offenflichkeit sich feiern zu lassen, die ihre fruchtbare wissenschaftliche Arbeit nicht um der Ehre und nicht um eines Vorteils willen, son- dern aus reiner innerer Berufung heraus leisteten.

~Vie sehr aber auch diese M~inner unter der Schmach des Vaterlandes litten und sich nach einer Erneuerung Deutschlands sehnten, geht aus den Worten hervor, die JosT am Schlusse seiner Rede zur Reichsgrfindungsfeier am 18. Januar 193 o in bezug auf das deutsche Volk sagte: ,,Es muB ge- ffihrt werden von einem Mann, vor dessert Filhrer- eignung alle sich beugen. M6ge unser Volk den Ftihrer linden, der es hinausfiihrt aus aller inneren, aus alter/~ul3eren Not - - m6ge es ihu bald l inden." Diesen Ffihrer hat das deutsche Volk gefunden in einer Gr6Be, wie es niemand zu hoffen wagte!

Der \¥unsch, den wir heute JOST zu seinem 75. Geburtstage aussprechen, ist, dab ihm noch viele Jahre beschieden sein m6gen, dab er im Grol3deutschen Reich eine neue Bltite der deutschen Wissenschaft, such an seiner frtiheren Wirkungs- st~ttte, dem wieder deutschen StraBburg, noch lange miterlebt.