m. heidegger die frühesten texte kampf gegen die »diesseitsauffassung «des lebens dieter thomä...

12

Upload: lucilla-guidi

Post on 18-Aug-2015

7 views

Category:

Documents


2 download

DESCRIPTION

Heidegger Handbuch / 2

TRANSCRIPT

978-3-476-02268-4 Thom (Hrsg.), Heidegger-Handbuch/2., berarbeitete und erweiterte Auflage 2013 Verlag J.B. Metzler (www.metzlerverlag.de)11.Die frhesten TexteKampf gegen die Diesseits-auffassung des LebensDieter Thom1. Einleitung. Robert Musil bemerkte im Mann ohne Eigenschaften: Es mu der Mensch in seinen Mg-lichkeiten,PlnenundGefhlenzuerstdurchVor-urteile,berlieferungen,SchwierigkeitenundBe-schrnkungenjederArteingeengtwerdenwieein Narr in seiner Zwangsjacke, und erst dann hat, was erhervorzubringenvermag,vielleichtWert,Ge-wachsenheitundBestand.(Musil193043/1981, Bd.1, 20) Folgt man dieser These, so gibt es einen ge-heimenZusammenhangzwischenderGreeines Denkers und den Beschrnkungen, denen er in sei-nerFrhzeitausgesetztwar.InderTatistesauf-schlussreich zu sehen, wie jemand zu Beginn seines PhilosophierensnochindieFesselnderTradition geschlagen ist und dann langsam die eigene Stimme zu Gehr bringt.Bei Martin Hei deg ger erklang die eigene Stimme nicht allzu frh, woraus sich folgt man Musil so-wohldieEinengungeninderJugendwiedann auch der Wert des spteren Werks erahnen lsst. Die ersten Texte, aus denen unverstellt, unverwechselbar Hei deg ger selbst herauszuhren ist, sind im Grunde erstdieVorlesungen,dieernachEndedesErsten Weltkriegs, also als Dreiigjhriger hielt (GA 56/57). In den Jahren davor entdeckt man kaum je etwas von der Kraft, von der die Texte ab 1919 auf einen Schlag strotzen. Die akademischen Schriften 19121916 (s. Kap. I.2) lassen Eigenstndigkeit nur in Nuancen er-kennen,sieerweckenfreilichauchnichtdenEin-druck, als ob Heidegger auf Gedeih und Verderb der Gedankenwelt ausgeliefert wre, mit der er sich hier beschftigt. Die Ablsung von den eher unaufflligen sprach- und erkenntnistheoretischen Positionen, an die er anknpft, kann also kaum eine schmerzliche, leidenschaftliche Angelegenheit gewesen sein. Diese frhenphilosophischenPositionen etwadieVer-teidigung des Realismus und die Betonung der Zeit-losigkeitderLogik sindnunaberihrerseitsnur Ausdruck tiefsitzender berzeugungen, die sich aus ganz anderen Quellen speisen. Dort also mssen die berlieferungen,SchwierigkeitenundBeschrn-kungen (Musil) gesucht werden, in denen Heideg-ger gefangen war.Aufschluss darber geben die frhesten Texte, die nichtzuseinemakademischenWerkimengeren Sinne zu zhlen sind. Einige wenige von ihnen die Ansprache ber Abraham a Sankta Clara aus dem Jahr1910undeinpaarGedichte wurdenschon 1983indieGesamtausgabeaufgenommen(GA13, 17).DasseseinerechtbeachtlicheZahlvonGe-dichten,vorallemabervonZeitschriften-Artikeln und -Rezensionen aus den Jahren 1910 bis 1913 gibt, ist durch Entdeckungen von Hugo Ott (1988, 62 ff.) undVictorFaras(1989,83 ff.)allgemeinbekannt geworden.DiemeistendieserTextesindseinerzeit inderkatholischenZeitschriftDerAkademikerer-schienen; sie sind inzwischen in der Gesamtausgabe neu gedruckt worden (GA 16, 331, 3336). Neben diesenvonHei deg gerselbstverfasstenTextensind nocheinigeZeitungsberichteausdemHeuberger Volksblatt ausfindig gemacht worden, die von dessen ffentlichen Auftritten in Mekirch 19091913 han-deln (Faras 1989, 76 f.; Denker 2000).2.EinsatzgegendenModernismus.Hei deg gerver-fgtinseinenfrhestenTextenberzweiRegister. Die Gedichte sind gezeichnet von einem melancholi-schen Ton, einer geradezu barocken Klage ber das IrdischeundVergngliche.DiesterbendePracht der herbstlichen Welt, des Lebens Flur, die nichts als ein Feld von Scherben ist, versetzen den Men-scheninmutlose[s]Zagen,dassichmitseinem Gegenstck, dem sehnende[n] Trumen und dem VertrauenaufdenEngelGnade,paart(GA16, 36; 13, 5 f.). Neben diesen besinnlichen Ton der Ge-dichtetrittderdurchwegpolemischeTonderArti-kel,dieHei deg geralsStudentverffentlicht.Zur Klage ber das Vergngliche gesellt sich hier die An-klagegegendiejenigen,dieamIrdischenfesthalten und sich ihm hingeben. An Abraham a Santa Clara schtzt Hei deg ger das furchtlose Dreinschlagen auf jedeerdhafte,berschtzteDiesseitsauffassungdes Lebens(GA13,3).Willstdugeistigleben,deine Seligkeiterringen,soempfiehltHei deg ger,dann I.Werk2 I.WerkverbannedenWillendesFleisches,dieLehreder Welt,desHeidentums[],erttedasNiederein dir (GA 16, 5). Heidegger verachtet die Gtzenbil-derdesGreuelsundderSnde,dieunbezhmte unbezhmbareNatur,dieheisse,niegesttigteLei-denschaft, die ihm bei Jens Peter Jacobsen begegnet (GA16,4).GefordertwirddieFreiheitgegenber der Triebwelt (GA 16, 7).InnerhalbderprinzipiellenGegenberstellung zwischen dem Glauben (Grabe tiefer und du wirst auf katholischen Boden stossen; GA 16, 8) und den Gottlosen lassen sich vier Gegner identifizieren, mit denen Hei deg ger sich vor allem herumschlgt: Dar-win wirft er vor, eine geschlossene biologische Welt zu etablieren, obwohl doch der bergang vom Tier zum wesentlich hher stehenden vernunftbegabten Menschen innerlich unmglich sei: so ist auch Hei-deggersAntwortaufdievonihmgestellteFrage KnnendiePferdedenken?negativ(zit.nach Denker 2000, 10, 13; vgl. GA 16, 5); den Sozialismus verwirfterwegendessennaturalistisch[er]Le-bensordnung(GA16,7;vgl.Denker2000,11 f.); Nietzsches Gottesleugnung und Neigung zum Le-ben als Rausch ist nach Heidegger Gift fr die Ju-gend (vgl. GA 16, 3 f.; Denker 2000, 11), welch letz-teres schlielich in Form von Augenblicksreize[n] von der Bewegung der Dekadenz, etwa dem Dandy OscarWilde,untersVolkgebrachtwird(GA16,3; 13, 3). All diese Gegner fgen sich nach Heidegger in dievonihmangegriffenePhalanxdesModernis-mus(GA16,7;16,19),unddaranwirddeutlich, dassersichhierengandieoffiziellekatholische Modernismus-Kritikhlt,wiesievonPapstPius X. seinerzeit kundgetan wurde (s. Kap. I.2.1; Schaeff-ler 1980; Thom 1990, 35 ff.).Doch der teils theologische, teils ideologische Bo-den, auf dem Heidegger sich bewegt, scheint bereits brchigzuwerden.IneinemBriefanEngelbert Krebs vom 19.7.1914 macht er sich lustig ber ppst-licheManahmen,mitdenenwohlsmtlichen Leuten, die sich einfallen lassen, einen selbstndigen Gedanken zu haben, das Gehirn ausgenommen und durchitalienischenSalatersetztwerdensolle(zit. nachOtt1988,83).UndineinemLebenslaufaus dem Jahr 1922 macht Hei deg ger gar geltend, dass er sein Theologie-Studium im Jahr 1911 nicht wie er anandererStelleerklrt ausgesundheitlichen Grnden aufgab, sondern wegen seiner bereits aus-geprgtenAbneigunggegendieDogmatikder Amtskirche(vgl.GA16,38gegenGA16,41;Ott 1988, 67 ff.; s. Kap. IV, Eintrge zu den Jahren 1911, 1913, 1919).Ein solch frher Bruch mit dem System des Ka-tholizismus, von dem er dann 1919 sprechen wird (vgl. Casper 1980, 341), ist durch Heideggers eigene Texte aus den Jahren 19101913 in keiner Weise ge-deckt.Dochmanmagihmzubilligen,dassesbei ihm eine Diskrepanz zwischen lauthals vorgebrach-ter Polemik und innerer Unsicherheit gab. Eine der wenigenStellen,indenenletzteresich fastschon im Tone des reifen Hei deg ger Bahn bricht, ist die folgende: Bei diesem Hin- und Herflattern, bei dem allmhlichzumSportgewordenenFeinschmecker-tum in philosophischen Fragen bricht doch bei vie-ler Bewusstheit und Selbstgeflligkeit unbewusst das Verlangenhervornachabgeschlossenen,abschlies-sendenAntwortenaufdieEndfragendesSeins,die zuweilensojhaufblitzen,unddiedannmanchen Tag ungelst wie Bleilast auf der gequlten, ziel- und wegarmenSeeleliegen.(GA16,11)Hierbeginnt man zu ahnen, warum Hei deg ger seinen in hohem Maelinientreuenpublizistischenundschulmi-gen akademischen Texten zum Trotz von den er-regendenJahre[n]zwischen1910und1914spre-chen konnte (GA 1, 56). Erregend waren sie zumal aufgrunddessen,wasHeideggerseinerzeitlasund aufnahm und was erst spter in seine eigenen Texte Eingang finden sollte. Er selbst hebt die Lektre von Kierkegaard ,Dostojewski ,Nietzsche ,Hegel ,Schel-ling,Rilke,TraklundDiltheyhervor(ebd.);dazu muss man noch Hlderlin zhlen, dessen Dichtung er1908kennenlerntundindieersichzuvertiefen beginnt, als Norbert von Hellingraths 1911/12 Vor-arbeitenzuseinerhistorisch-kritischenAusgabe (1913 ff.) verffentlicht (vgl. dazu der aufschlussrei-cheBriefwechselmitHellingrathsWitwe:Heideg-ger/Bodmershof 2000).3. Bruch und Kontinuitt. Man knnte berspitzt sa-gen,diesefrhestenTextestammtenausderZeit, bevor Heidegger Heidegger wurde. In ihnen ber-nimmt er Positionen, die ihm spter in weiten Teilen fremdseinwerden.ImRckblickkannmandiese TextedamitalsdasAndereHeideggersbezeich-nen alsAusdruckeinerGedankenwelt,indieer ungewollt(manknntefastsagen:gedankenlos) hineingewachsenist.Vonihrmusserdannfreilich ausgehen und sich abstoen.Die klassischen Reaktionsweisen, die im Umgang mitbermchtigenEinflssen,denenmanausge-setztwar,zurVerfgungstehen,sindstriktgegen-lufig:nachhaltigeIdentifikationeinerseits,ent-schiedener Widerspruch andererseits. In der positi-venwieindernegativenReaktionbehaltenjene 3 1.Die frhesten TexteEinflsseprskriptiveKraft,dennauchdieAbleh-nung muss sich bekanntlich vom Verneinten dessen Inhaltevorgebenlassen.GehtmandemEchoder ThemenderfrhestenTextebeiHeideggerselbst nach, so findet man beide hier skizzierte Reaktions-weisen:BruchundKontinuitt.Hei deg germeint spter geradezu einen Pfahl im Fleische zu spren, und damit meint er nun gerade nicht, im Sinne der Bibel (2. Kor. 12, 7), Satans Engel, sondern in ge-radezublasphemischerVerkehrung dieAusein-andersetzung mit dem Glauben der Herkunft (Brief an Jaspers vom 1. 7. 1935; HJ 157). Es ist hier nicht der Raum, Hei deg gers Kritik der Theologie und sein Verhltnis zur Religiositt zu resmieren (s. Kap. I.3; III.31; Kap. IV, Eintrge zu 190911, 1913, 191819). Deutlichistaberimmerhin,dasserindieserFrage mit sich hadert.Zum Teil wendet er sich auch in versteckter Form gegen die frhen Vorgaben. Geht man z. B. vom fr-henDreinschlagenaufdieerdhafteAuffassung des Lebens aus (s. o.; GA 16, 3), so erscheint Heideg-gerslangerWegberdasIn-der-Welt-seinvon SeinundZeitbiszurErdeimAufsatzDerUr-sprung des Kunstwerkes (s. Kap. I.16; II.3; II.7) als Abkehr von den eigenen Anfngen. Damit fllt auch ein eigentmliches Licht auf die Heimatverbunden-heit, die Hei deg ger in spten Texten zum Ausdruck bringt (z. B. Schpferische Landschaft: Warum blei-benwirinderProvinz?,GA13,913;DerFeld-weg, GA 13, 8790; Vom Geheimnis des Glocken-turms,GA13,113116;SpracheundHeimat, GA 13, 155180). Das spte Bild der Heimat ent-sprichtnmlichkeineswegsderfrhestenVorgabe, wonach das wahre Heimverlangen sein Ziel nur in Gotthabenkann(GA16,10).Brskgehtderreife Hei deg gergelegentlichberseinefrhestenTexte, die er im brigen selbst nie heranzieht oder zitiert, hinweg. 1911 klagt er: Heute wird die Weltanschau-ungnachdemLebenzugeschnitten,stattumge-kehrt. (GA 16, 11) Rund zehn Jahre spter heit es: Es ist schwerer, sich mit dem Leben auseinanderzu-setzen, als von einem System aus mit der Welt fertig zuwerden.(GA59,165)UndnatrlichlsstHei-deggerkeinenZweifeldaran,dasserebendieses Schwerereunternehmenwill:Philosophierenals prinzipielles Erkennen ist nichts anderes als der ra-dikaleVollzugdesHistorischenderFaktizittdes Lebens (GA 61, 111).WennauchdieUnterschiedebeeindrucken,die zwischendenfrhestenundspterenTextenHei-deg gersliegen,sogibtesnatrlichaucheineganze Reihe von Motiven, die sich durchhalten. Von seinen Lieblings-GegnernDarwin,Sozialismus,Dekadenz undNietzscheerfhrtnurletzterersptereineEh-renrettung (s. Kap. I.22; I.23). Auch stt man schon indenfrhestenTextenaufeineabschtzigeHal-tung gegenber dem grostdtischen sthetizismus unddemSubjektivismusdesErlebnisses(GA16, 11 f.),derHei deg gereinLebenlangtreubleiben wird. Doch die Konstanten, die sich durchhalten, be-treffennichtnursolcheatmosphrischenFragen, sondern auch begriffliche Punkte; dafr sei ein Bei-spiel kurz ausgefhrt.ImRahmenderArbeitReligionspsychologie undUnterbewutseindiskutiertHei deg gerauch William JamespragmatischeSichtdesreligisen LebensundbetontindiesemZusammenhangdie Unruhe(worry),dieUnzufriedenheitmitsich selbst (GA 16, 25). Hier tritt er gewissermaen ne-benbei fastknntemanmeinen:versehentlich auf die Schwelle, ber die er spter, um 1920, in sein eigenesGedankengebudegelangenwird.Dann wird er nmlich, anknpfend bei Pascal und beiAu-gustinus berhmtem Ausspruch Inquietum est cor nostrum,donecrequiescatinte(Unruhigistun-ser Herz, bis es ruhet in dir; Confessiones I,1), erkl-ren:DieBewegtheitdesfaktischenLebensistvor-gngig auslegbar, beschreibbar als die Unruhe (GA 58,62;61,93).SobahntdieUnruhe,gemeinsam mit der Bekmmerung, den Weg zum Begriff der Sorge (GA 61, 109), der im Zentrum von Sein und Zeit(SZ 41 ff.)stehenwird.IneinegroeUn-ruhe,inderwirunserSchicksalwirklichundim ganzensind,fhltsichHeideggerdannauchver-setzt, als er 1933 als Rektor der Universitt Freiburg einengeistig-volkliche[n]Auftragmeinterfllen zu mssen (GA 36/37, 3 f.).4. Die wunde Stelle des Individuums. Die Positionen, an die der spte Heidegger glatt anschliet oder von denenersichbrskabwendet,sindnunabernicht die interessantesten in den frhesten Texten. Brisant sind vielmehr die Unstimmigkeiten oder Zwischen-tne,diesichhierschonfinden,dennsieschreien nachVernderung:bersiekanneinAutornicht hinweggehen,alswrenichts.Genaueinesolche wunde Stelle gibt es in den frhesten Schriften in der Tat, und an ihr wird zuallererst zu laborieren sein.HeideggerwettertgegendenIndividualismus und dessen ruinse Folgen fr das religis-sittliche Leben (GA 16, 7); er uert sich hmisch ber die-jenigen, die ihr Ich restlos zur Entfaltung bringen wollen(GA16,4),undfeiertdieEntselbstungim Lichtglanz der Wahrheit (GA 16, 8). Dies fgt sich 4 I.WerkeininseineHaltunggegenberdemsogenannten Modernismus. Zur gleichen Zeit heit es bei ihm jedoch,ingeradezuumVerstndniswerbendem Ton: Ein berechtigter Egoismus [mu] wieder str-ker betont werden, der die [] Festlegung und Fort-bildung der eigenen Persnlichkeit als Grundforde-rungdenbrigenBestrebungenundBettigungen berordnet. (GA 16, 12)DieswirktwieeineklatanterSelbstwiderspruch, undHeideggergibtsichnichtallzuvielMhe,ihn auszurumen. Immerhin versucht er, die (positiv ge-sehene)Selbsterraffung(GA16,11)vom(negativ gesehenen)KultderPersnlichkeit(GA16,3)zu unterscheiden;erkommtdabeiabernichtzueiner klarenbegrifflichenTrennung.Deutlichwirdhier, dass die Spaltung in Krperliches und Geistiges, Irdi-schesundGttliches,vonderdiefrhestenTexte durchzogensind,nichteinfachzugunstendesEwi-gen aufgelst werden kann, auch wenn von ihm be-stndig die Rede ist (GA 16, 7, 11; 13, 7; 1, 22) und der Jenseitswert des Lebens betont wird (GA 13, 3). So findet sich in den frhesten Texten eben eine wunde Stelledort,wovomIndividuumodervomSelbst die Rede sein msste und zwar genau deshalb, weil es(wiebrigensauchdiePersonMartinHei deg ger) herausgefallen ist aus einer allgemeinen Ordnung, in die es sich selbstverstndlich einfgen msste.Die erste Aufgabe, die sich Heidegger also im An-schlussanseineeigenenfrhenTextestellt,isteine ErkundungdesSelbst(undnichtsosehrdes Seins, das von ihm im Rckblick zur einzig leiten-den Frage stilisiert wird; vgl. GA 1, 56; ZSD 81, 87). Es zeigtsich,dasserjeneersteAufgabesogleichan-nimmt:Inden19191921verfasstenAnmerkungen zuKarlJaspers PsychologiederWeltanschauungen wendet Hei deg ger sich dem historisch existierenden Selbst zu, um welches Selbst es sich letztlich in der Philosophie irgendwie handelt. Es geht nicht an, gele-gentlich die Personalitt einzufhren und auf sie dann das, in der Anmessung an irgendeine philosophische TraditionphilosophischGewonneneanzuwenden, sondern das konkrete Selbst ist in den Problemansatz zu bringen (GA 9, 35). An dieser Auskunft wird er-kennbar, wie Heidegger um Musils berspitzte Me-taphernochmalszubemhen dieZwangsjacke ablegt, die er in seiner Studienzeit getragen hat.LiteraturCasper, Bernhard: Martin Heidegger und die Theologische Fakultt19091923.In:FreiburgerDizesan-Archiv100 (1980), 534541. Denker, Alfred: Herr Studiosus Martin HeideggerundseineHeimatstadtMekirch(Bausteine zurBiographieMartinHeideggers,Teil1).In:Mekircher Heimathefte 7 (2000), 516. Faras, Victor: Hei deg ger und der Nationalsozialismus. Frankfurt a. M. 1989. Hei deg ger, Martin/Bodmershof,Immavon:Briefwechsel19591976. Stuttgart 2000. Musil, Robert: Der Mann ohne Eigenschaf-ten[19301943].Hg.AdolfFris.Reinbek1981. Ott, Hugo:MartinHeidegger.UnterwegszuseinerBiographie. Frankfurt a. M./New York 1988. Schaeffler, Richard: Der Modernismus-Streit als Herausforderung an das philoso-phisch-theologische Gesprch heute. In: Theologie und Phi-losophie 55 (1980), 514534. Thom, Dieter: Die Zeit des SelbstunddieZeitdanach.ZurKritikderTextgeschichte Martin Hei deg gers 19101976. Frankfurt a. M. 1990.2. Die ersten akademischen Schritte (19121916)Zwischen Neuscholastik, Neukantianismus und PhnomenologieMatthias Jung und Holger Zaborowski1. bersicht. Hei deg gers erste akademische Arbeiten ziehenberwiegendretrospektivInteresseaufsich. Erst in der Habilitationsschrift (insbesondere im fr denDruckverfasstenSchlusskapitel)undvorallem in den frhen Freiburger Vorlesungen seit 1919 ent-faltetsichseineigenstndigerAnsatz;vorhersteht HeideggersDenkenvornehmlichimZeicheneiner konfessionell-katholischgeprgtenPhilosophie.Fr das Verstndnis der spteren Texte ist es aber hchst aufschlussreichnachzuvollziehen,inwelcher(oft sehreigenwilligen)WeiseHei deg gerdiePrmissen dieserPhilosophieaufnimmt,verarbeitetunderste eigene Akzente setzt. All dies geschieht im Bann je-ner pauschalen Ablehnung der philosophischen Mo-derne, die Papst Pius X. 1907 mit seiner Enzyklika ge-gen den sog. Modernismus formuliert und in Form des sog. Modernisteneids auch allen Amtstrgern der katholischenKircheabverlangthatte.Nachseinem Theologiestudium19091911warHeideggerzum StudiumderPhilosophie(undderNaturwissen-schaften) bergewechselt und wurde um 1912 bereits als die groe philosophische Hoffnung fr die deut-schenKatholiken(Ott1988,75)gehandelt.Denn sein Interesse an der Philosophie und an den Natur-wissenschaften war zunchst ein apologetisches. Ihm ging es um die Verteidigung der katholischen Lehre gegendieHerausforderungenvonu. a.darwinisti-scher Weltanschauung, Relativismus und Nihilismus.5 2.Die ersten akademischen Schritte (19121916)VordiesemHintergrundmssendieakademi-schenErstlingswerkeverstandenwerden.Siesind vondemVersuchgeprgt,dastheologischeSchema Diesseits/JenseitszuphilosophischenKontrastie-rungen auszubauen, die sich einer Kritik der moder-nenPhilosophienutzbarmachenlassen:sodasBe-griffspaarreal/ideal,indessenRahmenHei deg ger einevomJenseitigenherkommendeKritikder Subjektphilosophie entwickeln will. Gleichzeitig ma-chen sich aber auch drei Tendenzen geltend, die zei-gen,dassauchHeideggersfrhePositionnichtein-fachmiteinerantimodernistischorientiertenNeu-scholastikidentifiziertwerdenkann:erstens Hei deg gers Augustinismus, der zu einer intensiven AuseinandersetzungmitLutherundprotestanti-schen Theologen fhren sollte, zweitens sein bereits sehrfrhausgeprgtes(undvorallemab1913/14 nicht nur kritisch orientiertes) Interesse an Philoso-phen wie u. a. Kant , Nietzsche und Kierkegaard und drittensdasInteresseanderSachlogikphilosophi-schen Fragens mit einem Anspruch auf strenge Wis-senschaftlichkeit,wiesieihmbesondersinHusserls SchrifteneindringlichvorAugengefhrtwird(s. Kap.I.4und7).SolsstsichimLaufedieserJahre eineEntwicklungbeobachten,die,vereinfachtge-sagt, weg von der Abstraktheit und Geschichtslosig-keit des neuscholastischen Systemdenkens hin zu ei-nem existenz-, erfahrungs- und geschichtsbezogenen Denken,wegvontranszendentenSetzungenhinzu phnomenal ausweisbaren Untersuchungen wie auch weg von einer oft stereotyp vorgetragenen Kritik an derModernezueinerdifferenzierteren,wennauch nach wie vor nicht unkritischen Sicht fhrt.2.LogikundPsychologismus-Kritik.Diebeideners-tenimengerenSinnakademischenArbeitenHei-deg gers erscheinen in konservativ-katholischen Or-ganen und sind durch die Bemhung geprgt, im ob willig oder notgedrungen akzeptierten Rahmen derkirchlichen,aristotelisch-scholastischenPhilo-sophieavancierteProblemstellungenderGegen-wartsphilosophiekritischaufzugreifen.Besonders deutlich wird dies in einem der frhesten akademi-schenTexteHeideggers,DasRealittsproblemin der modernen Philosophie von 1912. Diese Arbeit ist nach dem Muster einer groen Inklusion gebaut: sie beginnt und schliet mit einem Lob auf den kriti-schenRealismusdergriechischenPhilosophieund ihreslegitimenNachfahren,desaristotelisch-scho-lastischen Denkens. Um katholisches Profil ringend, kanzeltderjungeStudentKant(nichtweiterge-langtalsbiszurSetzungeinesmysterisenDinges an sich; GA 1, 2), Hegel mit seinem verstiegenen Idealismus(3)unddenwissenschaftlichrecht seichten(15)PragmatismusvonderWartedes scholastischen Realismus aus ab. Das Motiv der Psy-chologismus-Kritik,ThemaderDissertation,klingt mehrmalsan,undimselbenZugwirddieabsolute Geltung des Logischen betont. Hei deg gers Strategie istoffensichtlich:gegendensubjektivistischenEin-schlag der philosophischen Moderne soll die innere Affinittdestranszendenzorientiertenkatholischen RealismusunddernaturwissenschaftlichenMo-dernemitihremobjektivistischenGrundzugher-ausgestelltwerden.Derunabweisbare,epochema-chende Tatbestand der Naturwissenschaft (GA 4, 1) wird Heidegger zum Bundesgenossen gegen Imma-nentismus, Phnomenalismus etc. Mit der Anerken-nungdesnaturwissenschaftlichenRealismusstellt sichfreilichdasProblemdesVerhltnissesvonEr-fahrung und Denken (GA 1, 11) neu und bedrohlich frdentranszendentenCharakterdesscholasti-schen Realismus.Auch in dem Bericht Neuere Forschungen ber LogikausdemselbenJahrarbeitetHeideggersich an diesen Fragen ab. Im Zentrum steht die Psycholo-gismus-Kritik, mit deren Hilfe der Naturalisierung desBewutseins(19und63)entgegengesteuert werdensoll.DieDisjunktionenAkt/Inhalt,Sein/Geltung sollen die Objektivitt des Erkennens ange-sichtsderEinbettungdesLogischenindasPsychi-sche sichern, die Hei deg ger konzedieren muss. Sein BerichtlssteinebemerkenswerteVertrautheitmit den epochalen Neuanstzen in der Logik von Frege bisRussell/Whiteheaderkennen,konzentriertsich inhaltlich aber sehr stark auf den epistemischen und ontologischen Status des Logischen, den er mit Emil LaskimSinnedesGeltendenbestimmt.Heideg-gersForderung,dasReichdesGeltendenmsse jetztseinemganzenUmfangnachprinzipiellge-genberdemSinnlich-Seiendenebensowiegegen-berdembersinnlich-Metaphysischeninseiner reinen eigenen Wesenhaftigkeit herausgehoben wer-den (24), scheint bereits auf die Emanzipation der Geltungs-undWertphilosophievonreligis-meta-physischen Prmissen zu zielen. In einer Rezension von 1914 beklagt er dann sogar offen das Fehlen ei-nerwissenschaftstheoretischenEinstellunginner-halbderaristotelisch-scholastischenPhilosophie (49 ff.). Die Spannung zwischen dem dogmatischen RahmenundderEigenlogikphilosophischenFra-gens nimmt zu.Inseiner1913eingereichtenDissertationDie LehrevomUrteilimPsychologismusstehtHei deg ger 6 I.WerknochinnerhalbderskizziertenPosition.Vorgeprgt wird sie von seinem Lehrer Carl Braig (1896; 1908), nach Heideggers Zeugnis der letzte aus der berlie-ferungderTbingerspekulativenSchule,diedurch die Auseinandersetzung mit Hegel und Schelling der katholischen Theologie Rang und Weite gab (GA 1, 57).AngezeigtwirddamiteineSpannungzwischen der katholischen Seinslehre und der modernen Sub-jektphilosophie. Heidegger zeigt in der Wahl des Dis-sertationsthemaswieauchinderkonkreten,von HusserlsPsychologismus-Kritikmageblichbe-stimmten Ausfhrung ein im Kontext der Neuscho-lastik nur selten nachweisbare Interesse an zeitgens-sischerPhilosophie.Stattsiezuverdammenoder neuscholastisch auszugrenzen, geht es Hei deg ger da-rum,inseinerKritikAnstzederGegenwartsphilo-sophiesoaufzugreifen,dasssieseinapologetisches Interesse sttzen (dies ist ein mageblicher Grund fr HeideggersfrhesInteresseanHusserlsLogischen Untersuchungen). Subjektivitt und Individualitt er-scheinen in seiner Dissertation nur mit einem pejora-tiven Akzent, gltige Philosophie heit Ein- und Un-terordnungdesIchsinobjektiveSeinshierarchien ebendieselben,dieauchdiekirchlicheAutoritt verkndet.DieseKonzeptioneinerkatholisch-anti-modernistischorientiertenPhilosophiesollfreilich imgleichenZug(insbesondereinAnlehnungan Husserl )auchdenAnsprchenstrengerWissen-schaftlichkeitgengen,duldetdochderMonismus desletztenGanzen(187),umdessentwillenHei-deggerseineDissertationverfasstsehenwill,keine SpaltungderRealittinGlaubeundWissen.Die SpannungzwischendiesemwissenschaftlichenAn-spruchundderUnausweisbarkeitdesmetaphysi-schen Rahmens ist es denn auch, die ihn dem katholi-schen Denken zunehmend entfremdet. In der Disser-tation ist davon allerdings noch wenig zu bemerken; hier verschmilzt das antisubjektivistische Ordnungs-denkenderNeuscholastikmitHusserlsEinflusszu einer Kritik des Psychologismus, die grtes Gewicht auf den eigenstndigen Status des Logischen legt. Die logischeSphreundzumaldieUrteilsformener-scheineninihrerewigenStrengealseineArtPlatz-halter des Transzendenten, weshalb jeder Anthropo-logismus(110)abzuweisenist.DieNaturunseres Geistes, so beerbt Heidegger in einer logifizierten FormtraditionelletheologischeDualismen,istso-wenig logisch, da sie dem Logischen vielmehr gera-dezu als einem ihr Fremden gegenbersteht (110).Die Dissertation verteidigt dementsprechend den spezifischen Geltungssinn des Logischen sowohl ge-gen seine Naturalisierung zu empirischen Denkvor-gngenodergarVorstellungsverbindungen,als auch unddasistbemerkenswerter gegenmeta-physische Hypostasierungen. Sie schliet mit einem AusblickaufeinereinlogischeLehrevomUrteil (165),inderdermetaphysischeberbaudesscho-lastischenDenkenszwarnochanerkannt,aber gleichzeitig eigentmlich depotenziert und in seiner sachlichen Dignitt von der Logik abhngig gemacht wird. So schliet Heidegger in einem Passus, an des-senEndederStatusdesUrteilsmitLotzeimSinne desGeltensbestimmtwird,einemetaphysische Interpretation des Etwas, das da ist, mit erkennt-nistheoretischen Argumenten aus: Die Mglichkeit, ihm eine Stelle im Metaphysischen anzuweisen [] ist auszuschalten. Nicht etwa, weil es ein Metaphysi-schesnichtgibtoderwirdessenVorhandensein nicht erkennen knnten auf dem Weg der Schlussfol-gerung,wohlaber,weildasMetaphysischeniemit derUnmittelbarkeiterkanntwird,dieunsbeimIn-newerdendesfraglichenEtwaszuGebotesteht. (169 f.) Die Metaphysik wird gewissermaen episte-misch degradiert und muss ins zweite Glied zurck-treten. Erst dann, so schreibt Heidegger folgerichtig ganz am Ende der Dissertation, wenn die reine Lo-gik auf- und ausgebaut ist, wird man mit grerer Si-cherheitandieerkenntnistheoretischenProbleme herantretenknnenunddenGesamtbereichdes SeinsinseineverschiedenenWirklichkeitsweisen gliedern,derenEigenartigkeitscharfherausheben und die Art ihrer Erkenntnis und die Tragweite der-selben sicher bestimmen knnen (186 f.).3.SpannungenzwischenKategorienundLebens-flle. Auch Hei deg gers HabilitationsschriftDie Ka-tegorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus (verf-fentlicht 1916) hlt sich in den vorgezeichneten Bah-neneinertheologischgrundiertenDisjunktionvon EwigemundZeitlichem.Allerdingsistauchhier mitBlickaufHei deg gersspterenDenkweg be-zeichnend, dass die Schrift um einen Text kreist, der nicht mehr in die Zeit der von der Neuscholastik ide-alisierten, vor allem durch Thomas von Aquin ausge-fhrtenhochmittelalterlichenSynthesevonGlaube und Vernunft gehrt, sondern in die Sptscholastik. HeideggerhatspterdieWahldesThemasinden KontexteinerAuseinandersetzungmitderGe-schichtederprotestantischenTheologieunddes DeutschenIdealismusgestellt(GA16,42).Daher kann man diese Schrift als einen Text des bergangs charakterisieren:WerdieHabilitationsschriftretro-spektiv,alsovordemHintergrundderspteren Schriften Heideggers, liest, wird viele zentrale Denk-7 2.Die ersten akademischen Schritte (19121916)motive antizipiert finden, so etwa die Einsicht in die Irreduzibilitt des Individuums oder erste Spuren von berlegungen zu Zeitlichkeit und Geschichtlicheit.Im Vordergrund der Habilitationsschrift steht mit dem Traktat de modis significandi ein Text aus dem Umkreis mittelalterlicher Kategorienlehren, der von ThomasvonErfurtstammt,damalsaberallgemein Duns Scotus zugeschrieben wurde (Grabmann 1926, 120 ff.).DieserTextwirdalssystematischeQuelle betrachtet, die unmittelbar auf aktuelle Debatten be-zogen werden kann. In deutlichem Kontrast zu sei-nereigenstndigenPhilosophiegehtHei deg ger nochvonderKonstanzderMenschennaturaus und postuliert gar: Die Zeit, als historische Katego-riehierverstanden,wirdgleichsamausgeschaltet. (GA1,196)GerahmtwirddieseKonzeptioneiner philosophiaperennisfreilichvonlebensphilosophi-schenAkzenten,indenenschonderEinfluss Diltheys anklingt (s. Kap. I.8). Das Eigenste der Phi-losophie liege nmlich, so schreibt Heidegger, darin, denAnspruchaufGeltungundFunktionalsLe-benswertzuerheben.[]DiePhilosophielebtzu-gleich in einer Spannung mit der lebendigen Persn-lichkeit, schpft aus deren Tiefe und Lebensflle Ge-halt und Wertanspruch. (195 f.)GewidmetistdieSchriftallerdingsHeinrichRi-ckert,demFreiburgerNeukantianerundBetreuer derHabilitation,dessentranszendentalphilosophi-sche Denkart zusammen mit Husserls Phnomeno-logie und dem Neo- Fichteanismus von Emil Lask in derArbeitdurchgngigprsentist(vgl.Rickerts Gutachten und andere Dokumente in Heidegger/Ri-ckert2002).Hei deg gerskategorienlogischeExerzi-tien sind nicht nur von dem Anspruch getragen, die Aktualitt(spt-)scholastischenDenkenszude-monstrieren,siewirkenimhistorischenKontext (die Schrift entsteht in den ersten Jahren des Ersten Weltkriegs)undangesichtsderlebensphilosophi-schen,vonRickertwegfhrendenBezgeauchwie ein Sedativum gegen aufbrechende Beunruhigungen undKrisenerfahrungen.TranszendenteOrdnung, philosophischeSachlogikundindividuelleExistenz findenimmerschwererzusammen,undnichtum-sonstbeschwrtHei deg gerimmerwiederdenAn-satzLasksmitseinemBestreben,FormundInhalt, KategorialittundrealeGegenstndlichkeitzuver-klammernunddamitdenWegvomNeukantianis-mus in die Phnomenologie zu bahnen. Eine solche Denkbewegung kontrastiert allerdings merklich mit demtheologischenDualismus,andemHeidegger imvollenBewusstseinderdamiterzeugtenSpan-nung fast gewaltsam festzuhalten scheint.AmdeutlichstenwirddiesimSchlusskapitelder Schrift,dasumeineRekontextualisierungderrecht speziellen und formalen Analysen des Hauptteils be-mht ist. Hier stellt Hei deg ger heraus, dass das Kate-gorienproblemmitderFragenachdemUrteilund dem Subjektproblem verbunden werden msse. Die-sesSubjekterscheintnunaberunterdemZeichen desLebens,nichtmehralstranszendentaleKatego-rie.DieAbkehrvomNeukantianismusistdeutlich und die knappen lebensphilosophischen Andeutun-gen der Einleitung verdichten sich zu einem Begriffs-feld, in dem Ausdrcke wie lebendiges Leben, le-bendige Tat und vor allem lebendiger Geist domi-nieren.DieserGeist,Ausdruckeinerentschiedenen Historisierung des erkenntnistheoretischen Subjekts, wirdimSinnejenerwahrenhistorischenWeltan-schauung beschworen, die das Gegenstck zu einer vom Leben abgelsten Theorie (408) darstelle. In ei-ner Philosophie des lebendigen Geistes, der tatvol-len Liebe, der verehrenden Gottinnigkeit (410), die sichderAuseinandersetzungmitdemIdealismus Hegels zu stellen habe (bereits die Einleitung der Ha-bilitationsschrift steht unter einem Hegel-Zitat), will HeideggerdiebislanggrundlegendeDualittvon Idealem und Realem, von Jenseits und Diesseits ge-schichtsphilosophisch verflssigen.Dieses mehr angedeutete als entwickelte Konzept ist aber deutlich von einer tiefen Ambivalenz durch-zogen.EinerseitsfindetHei deg gerimscholastisch-mystischen Mittelalter eine im transzendenten Ur-verhltnisderSeelezuGottverankerte[]Form innerenDaseins(409),dieihmalsMusterbilddes lebendigen Geistes erscheint, andererseits konterka-riert die transzendentale Sinngebung die geschichtli-cheLebendigkeitdesSubjekts.Unmittelbarnach dem zitierten Passus findet sich daher der erstaunli-che Satz: Die Wertsetzung gravitiert also nicht aus-schlielich ins Transzendente, sondern ist gleichsam vondessenFlleundAbsolutheitreflektiertund ruhtimIndividuum.(409)Nochheitesfastbe-schwrend von der metaphysische[n] Verklamme-rungdurchdieTranszendenz,sieseizugleich QuellemannigfacherGegenstzlichkeitenundda-mitreichstenLebensdesimmanentpersnlichen Einzellebens(409).BaldwirdausdieserVerklam-merung aber eine Umklammerung werden, die dem faktischen Leben innerlich fremd ist.4.AufdemWegzurZeit.SeinemHabilitationsvor-trag Der Zeitbegriff in der Geschichtswissenschaft von1915/16hatHeideggereinZitatvonMeister Eckhartvorangestellt,dasdenGegensatzvonZeit 8 I.Werkund Ewigkeit betont. Dieser Evokation des spekula-tiv-theologischenRahmensfolgtdannallerdings eine stark dem Neukantianismus Rickerts verpflich-tete,wissenschaftstheoretischeAnalysederDiffe-renzvonphysikalischemundgeschichtswissen-schaftlichemZeitbegriff.Heideggerschlgteinen weitenBogenvonGalileibisEinsteinundPlanck , umdieFunktiondesZeitbegriffsinderPhysikim Sinne quantitativer Messbarkeit zu bestimmen. Die-sem quantitativen Begriff setzt er fr die Geschichts-wissenschafteneinenqualitativenentgegen,derin ZeitalternundEpochenzentriertistundseinein-haltliche Bestimmung in der Verdichtung Kristal-lisation einer in der Geschichte gegebenen Lebensob-jektivation (431) findet. Die historische Zeit kann deshalbauchnichtmathematischdurcheineReihe ausgedrckt werden, da es kein Gesetz gibt, das be-stimmt, wie die Zeiten aufeinanderfolgen. (431) In dieserscharfenUnterscheidungquantitativerund qualitativerZeitklingen,wenigstensausderRetro-spektive,schondiespterenZeitanalysenmitihrer Differenzierung chronologischer und kairologischer Charaktere an, whrend der Begriff der Lebensob-jektivationunverkennbardenEinflussDiltheys verrt. Der Zeitbegriff wird freilich durchgngig auf derEbenewissenschaftstheoretischerFunktions-analysenbehandelt,diegelebteZeitlichkeit,zentra-lesThemaHeideggersseitdenFrhenFreiburger Vorlesungen, spielt noch keine Rolle. So geht der Ha-bilitationsvortrageinenSchrittinRichtungaufden qualitativenZeitbegriff,ohnedochdieerkenntnis-theoretischeAusrichtungdesNeukantianismus grundstzlich in Frage zu stellen.LiteraturBraig, Carl: Vom Sein. Abri der Ontologie. Freiburg 1896. Ders.: Was soll der Gebildete von dem Modernismus wis-sen?In:FrankfurterZeitgemeBroschren28/1(1908), 127. Denker, Alfred/Gander, Hans-Helmuth/Zaborows-ki, Holger (Hg.): Hei deg ger und die Anfnge seines Denkens. Hei deg ger-Jahrbuch,Bd.1.Freiburg/Mnchen2004. Grabmann, Martin: Mittelalterliches Geistesleben. Abhand-lungenzurGeschichtederScholastikundMystik,Bd.1. Mnchen1926. Heidegger,Martin/Rickert,Heinrich: Briefe1912bis1933undandereDokumente.Hg.Alfred Denker.Frankfurta. M.2002. Lask,Emil:Gesammelte Schriften,Bd.I-III.Tbingen1923 f. Ott,Hugo:Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie. Frankfurt a. M./NewYork1988. Rickert,Heinrich:DerGegenstandder Erkenntnis [1892]. Tbingen 61928. Zaborowski, Holger: Hei deg ger and Medieval Philosophy. In: Eric Sean Nelson/Franois Raffoul (Hg.): The Bloomsbury Companion to Hei-deg ger. London 2013, 8796.3.Phnomenologie der ReligionDas frhe Christentum als Schlssel zum faktischen LebenMatthias Jung und Holger Zaborowski1.bersicht.Hei deg gersDistanzierungvomaristo-telisch-neuscholastischenDenken,wiesiesichin denFrhenSchriftenbereitsanbahnt,fhrtinden folgenden Jahren zum offenen Bruch mit dem Sys-temdesKatholizismus(BriefanKrebsvom 9.1.1919, in: Denker u. a. 2004, 67 f.) und zu einer be-ruflichenNeuorientierung.Ab1919arbeitetHei-deg ger als Assistent Husserls und stellt sein eigenes Denken ganz unter das Zeichen der Phnomenolo-gie. In dieser frhen Wende bleiben freilich theolo-gische und vor allem religise Motive in einer schwer zubestimmendenWeisenochwirksam.Sonimmt HeideggerimgenanntenSchreibendasChristen-tumunddieMetaphysik(dieseallerdingsineinem neuen Sinne) (67) ausdrcklich von seiner Distan-zierung aus und schreibt noch 1921 an Karl Lwith einenBrief,indemersichalschristlicherTheo-loge(Lwith1940/1986,30)bezeichnet.Explizit Theologisches hat Heidegger allerdings niemals pu-bliziert, vielmehr mit zunehmender Schrfe den Ge-gensatz von Philosophie und christlicher Theologie herausgestellt.Seinenzahlreichen,kryptischenund teilweisewidersprchlichenuerungenindiesem Zusammenhang wird man wohl am ehesten gerecht, wenn man sie einerseits als Hinweis auf starken Ver-nderungen unterworfene existenzielle Motivations-lagen,andererseitsalsAusdruckderberzeugung liest,diechristlicheTheologieseiradikalvonder Philosophiezutrennen,aberumihrereigenen ErnsthaftigkeitundWissenschaftlichkeitwillen dringendaufebenjenereligionsphnomenologi-schenUntersuchungenangewiesen,dieHei deg ger um 1920 in Angriff nimmt zeitgleich mit der ganz andersgeartetenReligionsphnomenologieMax Schelers ,dieunterdemTitelVomEwigenimMen-schen 1921 erscheint.VonHusserlzudiesemProjektermutigt,begibt sich Heidegger damit auf ein Gebiet, das in den ers-ten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts einen BrennpunktgeistigerAuseinandersetzungendar-stellte. Neben den neukantianischen Entwrfen von Paul Natorp (Religion innerhalb der Grenzen der Hu-manitt, 1908) und Hermann Cohen (Der Begriff der ReligionimSystemderPhilosophie,1915)istesvor allem Rudolf Otto, der mit seinem Buch Das Heilige 9 3.Phnomenologie der Religionvon1917derDiskussionneueImpulsegab.Ottos Suche nach einem apriorischen Wesenskern der Re-ligionen und seine scharfe Unterscheidung rationa-ler und irrationaler Aspekte des Religisen bildet zu-sammenmitdemgroenreligionsphilosophischen SyntheseversuchErnstTroeltschs(1912/1994)den Hintergrund, vor dem Hei deg ger das grundstrzend NeuartigeseinesAnsatzeszurGeltungbringen mchte. Den Impuls des radikalen Neuanfangs teilt er dabei mit der dialektischen Theologie, die sich in denJahrennachdemEndedesErstenWeltkriegs, ausgehendvonKarlBarthsberhmterAuslegung des Rmerbriefs (1919/22), entwickelt. Der Konver-genzpunkt dieser jngeren Anstze liegt in der Beto-nungindividuellerreligiserErfahrunggegenber propositionalverfasstendogmatischenSystemen ein zentraler Aspekt auch der pragmatischen Religi-onsphilosophie von William James, die seit der deut-schenbersetzungseinerVarietiesofReligiousEx-perience im Jahr 1907 intensiv diskutiert wurde (und mit der sich der junge Hei deg ger auch auseinander-gesetzt hat; s. Kap. I.1.3).2. Destruktion der Theologie und faktische Lebenser-fahrung.Heideggernimmtausderhierumrissenen zeitgenssischenDiskussionzahlreichePunkteauf, die er freilich immer mit dem Gestus radikalisieren-der Kritik versieht. Seine Neuakzentuierung des Er-fahrungsbegriffs schpft denn auch vornehmlich aus anderen, lteren Quellen. Diltheys lebensphilosophi-sche Konzeption einer geschichtlichen Hermeneutik religiserErfahrungspielteinewichtigeRolle,be-stimmendwerdenabereminenteGestalten,inde-nensichdiebleibendeDifferenzvonPhilosophie undreligiserErfahrungverkrpert:Begleiterim Suchen war der junge Luther und Vorbild Aristoteles , den jener hate. Ste gab Kierkegaard, und die Au-gen hat mir Husserl eingesetzt. (GA 63, 5) Das exis-tentielle Ringen um einen authentischen Lebensvoll-zugunddieunpersnlicheStrengephilosophischer Begriffsarbeitbildendiebeidengegenstzlichen Pole,zwischendenensichdiePhnomenologieder Religionentfaltet.ImRckblickaufdieFrhen SchriftenlsstsichdiesePolarittalsKippfigurdes lterenAnsatzesdeuten:Whrendinderneuscho-lastisch geprgten Phase die Aneignung zeitgenssi-scherPhilosophieimZeichentheologischerInter-essenstand,wirdnundasreligiseDenkenGe-genstandeinesradikalisiertenphilosophischen Erkenntnisinteresses,dassichnichtmehrtheolo-gisch vereinnahmen lsst. Diese atheologische Philo-sophie erhlt aber ihre eigentmliche Prgung eben dadurch, dass Heidegger sich mit ihrer Hilfe an sei-ner eigenen christlichen Herkunftstradition abarbei-tet. Dies wird schon daran deutlich, dass sein Projekt zwarunterdemProblemtitelPhnomenologieder Religion steht, sich im Unterschied zu anderen zeit-genssischenAnstzenaberausschlielichmit christlichenundberdiesnachdemKriterium existenziellerEindringlichkeitausgewhltenGlau-benszeugnissenbeschftigt.HeideggersReligions-phnomenologiebeschrnktsichbewusstaufdas phnomenologischeVerstehenderurchristlichen Religiositt(GA60,76)einschlielichihrerWir-kungsgeschichte.DieseEinschrnkunghatsicher biographische,vorallemaberauchsystematische Grnde:dasPhnomenderReligionsollnmlich nicht diesenVorwurfmachtHeideggerderneu-kantianischenReligionsphilosophieundvorallem dem Denken Troeltschs in einen schon feststehen-denbegrifflichenRahmeneingefgtwerden,als Exempel fr eine berzeitliche Gesetzlichkeit (76). Vielmehr soll die Binnenlogik der behandelten Ph-nomene selbst die geeignete Zugangsweise vorgeben. AusdiesemGrundgiltseinbesonderesInteresse auch Zeugnissen wie etwa ausgewhlten Briefen des Paulus oder Texten aus der mystischen und reforma-torischen Tradition, die nach Hei deg ger vor bzw. au-erhalbderSynthesevonbiblischemGlaubenund (diesenverfremdender)griechischerPhilosophie anzusiedelnseien.Undweiljenergeschichtliche Wirkungszusammenhang(Dilthey ),derdieRe-konstruktion dieser Binnenlogik nicht von vornher-einchancenloserscheinenlsst,frHei deg gerein christlichgeprgterist,scheidenandereReligionen aus.Aufflligisthierbei,dassHei deg gernichtnur, wie im Zuge dieses Ansatzes prima facie plausibel, Is-lam, Hinduismus und Buddhismus auer Acht lsst, sondernauchdasJudentum,dessenwirkungsge-schichtlicheVirulenzdamalsvonAutorenwieHer-mannCohen,LeoBaeckundFranzRosenzweig(s. Kap.III.3)hchsteindrucksvollbezeugtwurde.Je-denfallsgehtseineZuwendungzumUrchristentum methodisch mit dem Pldoyer fr einen bottom-up-Ansatzeinher,derdietop-down-Orientierungder damals zeitgenssischen Religionsphilosophie ber-windensoll.DerGegenbegriffzudieservollzugs-geschichtlichen Phnomenologie ist die objekt-ge-schichtliche(134)Betrachtungsweise,dievonei-nemexternenBeobachterstandpunktausreligise Vorstellungen und Praktiken analysiert, ohne zu be-achten,dasssolchePhnomeneerstdurchdieEin-bettungineinebestimmteLebensformalsSinnzu-sammenhnge verstndlich werden. Radikal ist diese 10 I.Werkmethodische Kritik insofern, als Hei deg ger sie nicht nur auf philosophische oder religionswissenschaftli-che Zugnge, sondern sogar auf die Theologie selbst bezieht. Unter dem Stichwort Tragweite der Unter-suchung fr die Theologie findet sich eine auch fr dasphilosophischeSelbstbewusstseindesjungen Heidegger aufschlussreiche Notiz: Es wird nicht zu vermeiden sein, da die Aufdeckung der Phnomen-zusammenhngedieProblematikundBegriffsbil-dungvonGrundausndertundeigentlicheMa-stbebeistelltfrdieDestruktionderchristlichen TheologieundderabendlndischenPhilosophie. (135)DieurchristlicheLebenserfahrungsolldie phnomenaleRessourceliefern,vonderausdas vollzugsmigeDefizitderabendlndischenBe-griffsbildung,ihrobjekt-geschichtlichesundsich im metaphysischen Denken niederschlagendes Vor-urteil sichtbar und kritisierbar wird.Hier zeigt sich dann allerdings schon ein methodi-schesProblem,dasHei deg gersambitiseUntersu-chungendurchgngigprgt:dasErkenntnisinteresse nmlich, das der Phnomenologe an die religise Er-fahrungdesUrchristentumsherantrgt,istebenein philosophisches, kein religises. Es erwchst nicht aus derBinnenlogikdesGlaubens,sondernbehandelt urchristlicheReligiosittalsdieparadigmatische Realisierung von Mglichkeiten faktischer Lebenser-fahrung.Derbottom-up-Zugangderphnomenolo-gischenHermeneutikkannzwardassubsumtions-logischeSchemaderReligionsphilosophievermei-den,nichtaberdieTransformationdesreligisen GeltungssinnsineineStrukturlogikdesfaktischen Lebens,diedemreligisenGlaubenuerlichund fremd bleibt. Damit ist eine Spannung zwischen phi-losophischemundreligisemVollzuggegeben,die Hei deg ger zunehmend bewusster wird, bis er sie dann in seinem Vortrag Phnomenologie und Theologie von1927einerVerhltnisbestimmungderbeiden Wissenschaften zugrunde legt (s. Kap. III.31).Seinereligionsphnomenologischeinschlgigen Arbeiten,allesamtfrheFreiburgerVorlesungen bzw. Vorlesungsentwrfe, sind in Bd. 60 der GA ge-sammelt. Es handelt sich um die Vorlesungen Ein-leitungindiePhnomenologiederReligionvom WS 1920/21 und Augustinus und der Neuplatonis-musvomSS1921,sowieumEntwrfezueiner nichtgehaltenenVorlesungausdemWS1918/19 DiephilosophischenGrundlagendermittelalterli-chen Mystik. Gerecht werden lsst sich diesen Tex-tennur,wennmansiealsSchriftendesbergangs versteht, mit entsprechend tentativen, von Semester zuSemestervariierendenBegriffs-Bildungen,die gegendieobjektgeschichtlicheTendenzdereinge-fhrtenBegrifflichkeitnichtseltengewaltsameine eigeneSprachestellen,mitderderVollzugscharak-ter des Verstehens zum Ausdruck kommen soll. Die EntwrfezurMystikvorlesungsindhierbesonders aufschlussreich.InderAuseinandersetzungmit Schleiermacher,besondersmitdenRedenberdie Religion, sowie Autoren wie Otto, Troeltsch und Rei-nachbetontHei deg gerdieNotwendigkeiteiner phnomenologischenEinstellungaufdasreligise Erlebnis (319), das manchmal eher neukantianisie-rend als Werterlebnis, dann mit Husserl als Aktkor-relat oder auch schon im Sinne einer Hermeneutik [] im historischen Ich (336) gefasst wird. Die Er-lebnis-undSubjektfixierungdieserSkizzenmacht dann in der Vorlesung Einleitung in die Phnome-nologie der Religion einem differenzierteren Struk-turmodell menschlicher Erfahrung Platz.Hei deg gersAusgangspunktistdiewiederund wiederbeschworenefaktischeLebenserfahrung alsTitelfrdieganzeaktiveundpassiveStellung des Menschen zur Welt (11). Auch die Philosophie tritt aus ihr nur heraus, um wieder in sie zurckzu-kehren. Ihr neuer Grundbegriff dient einer doppel-tenAkzentuierung.ZumeinensollderPrimatdes tatschlichimVollzugdesLebensErfahrbarenge-genberbegrifflichenKonstruktionenverteidigt werden: keine Theorien! (13). Zum anderen geht es um die Betonung eines ursprnglichen, der Sub-jekt-Objekt-DualittvorausliegendenWeltbezugs: Weltistetwas,worinmanlebenkann(ineinem Objekt kann man nicht leben) (11). Dieser Weltbe-zug lsst sich nach den drei Aspekten Umwelt-Mit-welt-Selbstwelt auffchern, wobei das Charakteristi-schederfaktischenLebenserfahrunggeradedarin bestehensoll,dasssiedieseDifferenzenselbst ebenso wenig erfhrt wie die Art und Weise des je-weiligen Bezugs selbst; vielmehr geht sie ganz im Er-fahrenderjeweiligenGehalteauf:waserfahren wird,dominiertsiesovollstndig,dasssiefrdas wiederErfahrungblindist.Heideggersiehtin dieserDominanzderGehaltegegenberderWeise ihrer Gegebenheit die abfallende (16) Tendenz der faktischenLebenserfahrung(diesichu. a.auchin derSynthesevonchristlichemGlaubenundmeta-physischer Tradition niederschlgt). Dieses deutlich religiseingefrbtePrdikatisteinVorluferder Uneigentlichkeit in Sein und Zeit.3.UrchristlicheReligiosittalsParadigmadesfakti-schenLebens?DadiekomplexeStrukturganzheitin der alltglichen Lebenspraxis gerade nicht erfahren, 11 3.Phnomenologie der ReligionsondernzugunstendominierenderGehalteber-gangenwird,suchtHeideggernacheinerspezifi-schenFormfaktischerLebenserfahrung,dienicht vomGehalt,sondernvomVollzugdominiertwird und sich deshalb als Paradigma der phnomenologi-schenAnalyseeignet.DiesesParadigmaliefertdie urchristlicheLebenserfahrung.UnterdemPrimat desVollzugstrittdiePrgungdesalltglichenLe-bensdurchdiejeweiligeUmweltzurckunddie Selbstwelt wird bestimmend. Das tiefste historische Paradigma fr den merkwrdigen Proze der Verle-gung des Schwerpunktes des faktischen Lebens und der Lebenswelt in die Selbstwelt und die Welt der in-nerenErfahrungengibtsichunsinderEntstehung desChristentums.DieSelbstwelttrittalssolcheins Leben und wird als solche gelebt. (GA 58, 61) Hei-deggersVorlesungzurEinfhrungindiePhno-menologiederReligionistdementsprechendvon der Absicht geleitet, am historischen Paradigma des Urchristentums exemplarisch aufzuzeigen, wie Voll-zugs-, Selbstwelt- und Zeitlichkeitsprimat ein Struk-turganzes bilden, in dem die Selbstvergessenheit des alltglichenSelbst,seinVerlorenseinanobjektive Gehalte,aufgehobenist.AusdieserPerspektive heraus analysiert und kritisiert Heidegger zeitgens-sischePositionenderReligionsphilosophie,voral-lemTroeltsch .DerHauptvorwurflautet:DieReli-gion ist fr ihn von vornherein Objekt. (GA 60, 29) UnddieTendenzzumObjektgeschichtlichenistes auch, gegen die sich Heidegger bei seiner Ausarbei-tungdesHistorischenwendet.AlsKontrastfolie der urchristlichen, genuin historischen Lebenserfah-rungdientihmdabeidashistorischeBewusstsein seiner zeitgenssischen Kultur. Hei deg ger entwickelt hier eine Typologie, die drei verschiedene Spielarten unterscheidet die platonische Abkehr von der Ge-schichte,dasSpenglerscheSich-der-Geschichte-AusliefernundverschiedeneKompromissformen (Dilthey,Simmel,Neukantianismus),derenge-meinsamer Nenner jedoch in dem Versuch, sich ge-gendasHistorischezubehaupten(38),gefunden werden kann. Geschichte ist hier Sache, Objekt, wo-rauf ich erkenntnismig eingestellt bin. (48)VordiesemzeitdiagnostischenHintergrundent-faltetHei deg ger,sichimmerwiedermitmetho-disch-grundstzlichenErwgungenunterbrechend, seineAnalysederurchristlichenLebenserfahrung. DieTextbasisistauerordentlichschmalundbe-schrnktsichaufdieltestenDokumentechristli-cherLebenserfahrung,nmlichdreipaulinische Briefe: den Galater- und die beiden Thessalonicher-briefe(dieEchtheitvon2.Thess.iststarkumstrit-ten). Unter der Prmisse Die christliche Religiositt lebt die Zeitlichkeit als solche (80) rckt Heidegger das Phnomen der Verkndigung ins Zentrum, wie essichindenBriefendarstellt,undzwardeshalb, weilinihmderunmittelbareLebensbezugder SelbstweltdesPauluszurUmweltundMitweltder Gemeindeerfabarist(80).DerInteraktionszu-sammenhang zwischen Paulus und seinen Gemein-den exemplifiziert die Mglichkeit einer nichtobjek-tivierenden Lebensform, die sich selbst durch ihren VollzugssinnunddessenZeitlichkeitbestimmt wei. So ist die Selbsterfahrung der thessalonischen Gemeinde in ihrem Wissen darum zentriert, dass sie durch die Verkndigung des Paulus Christen gewor-den sind. Dieses Wissen der Gemeindemitglieder ist keine kognitive Reprsentation, sondern wird als lei-tender Vollzugssinn stndig miterfahren und zwar so, da ihr jetziges Sein ihr Gewordensein ist. (94) HeideggerprpariertausdemTexteineHufung von Verben heraus, die den verbalen, pragmatischen Sinn des Gewordenseins zum Ausdruck bringen sol-len.Erbestehtdarin,dassalleGehalteundBezge desfaktischenLebensineinenumgreifendenVoll-zugssinneingebettetwerden,derdurchdieVerben und,durcheinWandeln vor Gott und ein Erharren (95) charakterisiert ist.DerGegenwartdesVergangenenkorrespondiert imErharrendieHoffnungaufdieParusie,die Wiederkehr Christi, die radikal anders [ist] als alle Erwartung(102)zuknftigeintreffenderEreig-nisse. Von diesen beiden miteinander verbundenen Polen aus bestimmt sich die existenzielle Zeitlichkeit desUrchristentums.Siezeichnetsichdadurchaus, dassihrWann[]aufkeineWeiseobjektivfa-bar(104)ist.DieParusiegiltimverkndetenund angenommenen Glauben als gewiss, kann aber hin-sichtlichihresZeitpunktesnichtbestimmtwerden. Nichtwann odersogarob sieeintritt,istent-scheidend,sondernwiesiediegelebteZeitlichkeit des Christen dadurch bestimmt, dass er an sie glaubt, sie erharrt. An diesem zeitlichen Bogen von dem GewordenseindurchdieVerkndigungzurErwar-tungderWiederkehrChristifasziniertHei deg ger derPrimatdesVollzugs.Zentralistder (150),dervondergelebtenZeitlichkeitausgefllte Augenblick. Die Chronologie objektiver Zeitpunkte wird durch die Kairologie des Selbstvollzugs zurck-gedrngt.AlldasistfreilichGnadenwirkung (121),RadikalisierungderFaktizittdesLebensim Harren auf eine Parusie, die geglaubt werden muss. MitdieserBetonungderexistenziellen,gefllten ZeitdeskairoserarbeitetHeideggersicheinen