marxens heilslehre und der jüdische messianismus

19
Claudia Römer Marxens Heilslehre und der jüdische Messianismus 1. Einleitung: Es gibt eine Unmenge a n Marx Biographien. In den meisten wird er in Bezug auf sein Werk gesehen, nur wen ige gehen auf den Menschen Karl Marx ein, und wenn, dann um ihn als den sich für das Wohle der Menschheit verzehrenden, oder als den Ursprungs allen Übels darzustellen. Kaum hat man sich intensiv mit dem Menschen Karl Marx beschäftigt, mit dem „Sein“ von Karl Marx, das sein Bewusstsein und sein Lebenswerk mitbestimmt hat. Karl Marx, der durch Familientradition zum Rabbiner Berufene, muss durch soziale und politische Gegebenheiten der Trierer Gesellschaft, in die er hineingeboren wird, auf e= inem anderen Gebiet sein Lebensunterhalt verdienen. Hier sieht Arnold Künzli; den Ursprung seiner Entfremdungstheorie.Diese Frustration seiner Berufung wird ihn sein Leben lang begleiten, eine Berufung, von der er durchdrungen ist, die sich in seiner Vorliebe zur Abstraktion, zum unablässigen Studium bewegt und motiviert, ein Studium, dass nie zu einem abschließenden Resultat führen kann, und auch nicht führen soll . Wie auch das Studium des Talmuds um des Studiums Willen stattfinden soll, nicht um davon zu leben. E. J. L esser beschrieb schon 1924 in seinem Aufsatz “Karl Marx als Jude“ auf wenigen Seiten präziser das Wesen von Marx, als manche dicke unlesbare Biographie:

Upload: claudia-roemer

Post on 04-Aug-2015

24 views

Category:

Documents


2 download

TRANSCRIPT

Page 1: Marxens Heilslehre und der Jüdische Messianismus

Claudia Römer

Marxens Heilslehre und der jüdische Messianismus

1. Einleitung:

    Es gibt eine Unmenge a n Marx Biographien. In den meisten wird er in Bezug

auf sein Werk gesehen, nur wen ige gehen auf den Menschen Karl Marx ein, und

wenn, dann um ihn als den sich für das Wohle der Menschheit verzehrenden, oder

als  den Ursprungs allen Übels darzustellen. Kaum hat man sich intensiv mit dem

Menschen Karl Marx beschäftigt, mit dem „Sein“ von Karl Marx, das sein

Bewusstsein und sein Lebenswerk mitbestimmt hat.   Karl Marx, der durch

Familientradition zum Rabbiner Berufene, muss durch soziale und politische

Gegebenheiten der Trierer Gesellschaft, in die er hineingeboren wird, auf e= inem

anderen Gebiet sein  Lebensunterhalt verdienen. Hier sieht Arnold Künzli; den

Ursprung seiner

Entfremdungstheorie.Diese Frustration seiner Berufung  wird ihn sein Leben lang

begleiten, eine Berufung, von der er durchdrungen ist, die sich in seiner Vorliebe

zur Abstraktion, zum unablässigen Studium bewegt und motiviert, ein Studium,

dass nie  zu einem abschließenden Resultat führen kann, und auch nicht führen

soll  . Wie auch das Studium des Talmuds um des Studiums Willen stattfinden

soll, nicht um davon zu leben.

   E. J. L esser  beschrieb schon 1924 in seinem Aufsatz “Karl Marx als Jude“ auf

wenigen Seiten präziser das Wesen von Marx, als manche dicke unlesbare

Biographie:

“(…) nur der kann den empirischen Charakter, Weltauffassung, Arbeitsweise und

Lebensführung von Marx verstehen, der die Beschaffenheit der Menschen kennt,

deren einziger Lebenszweck es ist, Talmud zu lernen“. Und er fragt:“ Wie soll ein

deutscher Professor einen Mann verstehen, der sein ganzes Vermögen in eine

revolutionäre Zeitung steckt, mit  dem Scheitern der Revolution und dem Verbot

der Zeitung verliert, mittellos in London ankommt – und sich von seinem Freund

Friedrich Engels ernähren lässt?. (…)Die soziale Revolution lag für diesmal

zerschmettert  am Boden. Aber die Theorie für die kommenden Klassenkämpfe

musste  aufgebaut und umgeschrieben werden= , denn aus den Büchern lernt der

Talmudist, die Welt kennen…“[1]

2.Pränatale Frustration:

  Wer Karl Marx kennen lernen will- schreibt Arnold Künzli in seiner Marx

Page 2: Marxens Heilslehre und der Jüdische Messianismus

Psychobiographie-, muss sich zunächst einmal dessen Vater sehr genau ansehen.

Werner Sombart nennt ihn einen „disäquilibrierten Assoziationsjuden“, ohne

sicheren Standpunkt im Leben. Heinrich Marx hatte sich von den

Glaubensvorschriften zwar entfernt, ohne in neuen Sozialordnungen Fuß zu

fassen. Heinrich Marx konvertierte zum Christentum. Seine Konversion war nicht

an erster Stelle durch die politischen Gegebenheiten bedingt, sondern , wie er in

einem Brief an seinen Sohn Karl  schrieb „ um sich gegen d ie entehrende

Behandlung und die Globaldiffamierung des Judentums#; zur wehr zu setzen“.

  Seine Mutter- Henriette Marx geborene Pressburg- hat ihrem; ältesten Sohn Karl

nach Meinung von Helmut Gollwitzer „das geistige Erbe des Judentums von

Kindesbeinen an mitgegeben.[3]“

Im alten Preußen war seit 1812; ein „Juden Edikt“ in Kraft, das zwar den Juden

einerseits alle bürgerlichen Rechte und Freiheiten gewährte, auf die die Christen

Anspruch hatten, sie auch zu akademischen Lehrämtern zuließ, jedoch die

Zulassung zum Staatsdienst von einem Plazet seiner Majestät des Königs

abhängig machte . Dieser Edikt wurde  auf das1815 zu Preußen geschlagene

Rheinland angewandt, so dass Heinrich Marx- der als Anwalt am

Appellationsgericht tätig war- ins Wanken geriet .

Mach dem Wiener Kongress war „Restauration“ die Parole in aller Munde, und

der den Juden ohnehin nicht freundlich gesinnte Friedrich Wilhelm III. war nur

allzu gerne bereit, sie aus dem „Christlichen Staate“ auszuschließen, den er im

Rahmen der Heiligen Allianz der Russen, Preußen und Österreicher zu errichten

trachtete. Man ließ also in dem Rheinland das napoleonische Judenedik t in Kraft

und verweigerte den rheinischen Juden die im Preußischen Edikt von 1812

gewährte „Gleichberechtigung mit Vorbehalten“   Diese Beschränkungen wurden

auch für das Rheinland verbindlich.Am 7.5.1822 verbot eine Verordnung des

Preußischen Innenministeriums den Juden ausdrücklich die Betätigung als

Anwalt. Um weiter in seinem Beruf arbeiten zu können konvertierte Heinrich

Marx zwischen April und August 1825 im erzkatholischen Trier zum

Protestantismus.Durch die Konversion seines Vaters und der Taufe des Sohnes

war Karl Marx von der transzendenten Potenz, die seinen Sonderauftrag religiös

legitimierte, brutal abgeschnitten worden.[4]Mit dieser Konversion des Vaters

kommt es zu der ersten Entfremdung noch vor der Geburt von Karl Marx. 

 

3.Entfremdungstheorie:

Page 3: Marxens Heilslehre und der Jüdische Messianismus

   Entfremdung bzw. „Selbstentfremdung“ ist das Leitmotiv, dass sich durch das

ganze schriftstellerische Werk von Karl Marx durchzieht.  Sie kann zwischen

zwei guten Freunden erfolgen, oder zwischen einem Liebespaar . Sie h= at mit

dem Problem der Sozialen Entfremdung zu tun, ist aber nicht damit identisch.

Beim Problem des Sozialen, so wie wir es heute verstehen, handelt es sich um

Fragen der Entfremdung zwischen Ungleichen, nicht Gleichberechtigten.

Letztendlich handelt es sich- aus Sicht von Marx- um die Entfremdung zwisch en

Herrschaft und Knechtschaft. Soziale Gerechtigkeit bedeutete die Aufhebung oder

Linderung der Spannung zwischen materiellen und ständischen Ungleichheiten, in

denen sich die Entfremdung zwischen Herrschaft und Knechtschaft in

Gesellschaft, Staat und Wirtschaft manifestiert?;. Aufhebung der Entfremdung

zwischen Herrschaft und Knechtschaft ist ein Problem der Freiheit. Soziale

Gerechtigkeit ist letztendlich auch eine Frage der Freiheit.Für Marx wurde die

Entfremdung zum philosophischen Grundbegriff seines theoretischen Werkes.

Das angestrebte Ziel sollte die Überwindung der Entfremdung sein.  Dabei hat er

sich nie die Frage nach dem Ursprung dieser Entfremdung gestellt, folglich erhält

man von ihm auch keine eindeutige Antwort auf die Frage nach eben diesem

Ursprung, sondern v iele und recht vage. Entfremdung trat seiner Meinung nach,

erst in dem Augenblick ein, da der produzierte Gegenstand zu einer Ware wurde,

die man veräußern kann, gegen an= dere Waren tauschen, oder gegen Geld

verkaufen konnte, da sich der Gegenstand dadurch dem Produzenten gegenüber

selbständig machte, und ein and= erer Mensch, indem er solche Gegenstände

aufkaufte, sammelte, eine wirtschaftliche Macht aufbaute, die sich gegenüber dem

Produzenten dieser Gegenstände fremd oder gar feindlich verhielt. Dadurch

erweiterte sich die Entfremdung zwischen den Produzenten und seinem Produkt

zu einer Entfremdung zwischen Mensch und Mensch.    Unter den verschiedenen

Ursachen der Entfremdung, die Marx aufzählte, nimmt die „Teilung der Arbeit

einen besonderen Platz ein: „Die Teilung der Arbeit ist der nationalökonomische

Ausdruck von der Gesellschaftlichkeit der Arbeit innerhalb der Entfremdung“.[5]

Für ihn findet Entfremdung statt zwischen Staat und Volk, dies heißt für ihn

zwischen Herrschaft und Knechtschaft.

 

Page 4: Marxens Heilslehre und der Jüdische Messianismus

4. Das „Soziale“: Die Spannung Herrschaft- Knechtschaft.

 

Das Problem von Herrschaft und Knechtschaft ist das zentrale Problem der

Marxsc= hen politisch- ökonomischen Schriften. Es ist aber auch das

bestimmende Ereignis am Beginn der Geschichte des Judentums- sagt Arnold

Künzli-:

„Am Eingang der israelitischen Geschichte steht eine Empörung. Denn der

gewaltsame Auszug aus Ägypten war eine Revolution(…) Die Träger der

Bewegung sind die unterdrückten hebräischen Männer gewesen, die an den

Ziegelöfen standen, Balken schleppten und Steine transportierten, Städte und

Festungen bau= ten. Sie hatten schwer zu arbeiten(…)Sie hatten keinen Ruhetag.

Niemand so= rgte für sie. Ihre Person war nicht geschützt, und ihre Aufseher und

Werkmeister durften sie ungestraft schlagen“[6]

Die Erinnerung an diese Zeit der Knechtschaft wie auch an die Tage der

Befreiung blieb bis zum heutigen Tag, unauslöschbar im Gedächtnis des Volkes.

An den Auszug aus Ägypten erinnern Feste und viele anderen Einrichtung en des

Judentums[7].

Bewusst oder unbewusst projiziert Marx dieses in ihm wieder lebendig gewordene

Urerlebnis des Judentums auf seine Zeit.; Noch war alles pure Theorie eines

Mannes der abseits der Welt nur in seiner Studierstube lebte. Ihn interessierte zu

diesem Zeitpunkt nur das Theoretische an der sozialen Frage, nicht das Praktische.

Es kam ihm ausschließlich auf die philosophische Auseinandersetzung an:

„ Wir haben die feste Überzeugung, dass nicht der Praktische Versuch, sondern

die theoretische Ausführung der kommunistischen Ideen die eigentliche Gefahr

bildet, denn auf praktische Versuche… kann man mit Kanonen antworten, sobald

sie gefährlich werden, aber Ideen… das sind Ketten, denen man sich nicht

entreißt, ohne sein Herz zu zerreißen…“

   Der Einbruch des „Sozialen“ in das Denken von Marx erfolgte während seiner

Tätigkeit an der“ Rheinischen Zeitung“ (1842-43). A= ls Chefredakteur war er

gezwungen sich mit der Realität zu befassen, dies hieße er musste sich mit den

Debatten des Rheinischen Landtages ü= ;ber ein Holzdiebstahlgesetz  befas= sen.

Er schrieb fünf lange Artikel zu diesem Thema, in denen der entscheide= nde

Durchbruch zur Wirklichkeit des Sozialen gelang.

Marx war nun, indem er als Redakteur einer Oppositionszeitschrift gezwungen

Page 5: Marxens Heilslehre und der Jüdische Messianismus

sich= mit den wichtigsten Diskussionsgegenständen des Rheinischen Parlamentes

zu befassen, auf die Existenz einer Gruppe von Menschen aufmerksam gemacht

wor den, die ein „Jüdisches Schicksal hatten, ohne Juden zu sein“ u nd mit denen

er sich identifizieren , die er zu seinem Volk Israel erwählen konnte, ohne sich

damit als Jude bekennen zu müssen. Die Erkennung der Armut ermöglichte Marx

seinen für sich schon im Abituraufsatz festgelegten Auftrag zu erfüllen: „Die

Menschen zu retten“ .[8]

Schon in dieser ersten Auseinandersetzung mit dem „Sozialen“ gab Marx zu

erkennen, dass er nicht nur ein Sozialreformer war, der die Armut beseitigen und

soziale Gerechtigkeit herstellen wollte, sondern dass es ihm um das Heil des

Menschen ging. Einen Menschen den er nicht abstrakt, sondern in seiner

Beziehung zur Gemeinschaft, und das hieß hier zum Staat. Er sah sich als der

Beauftragte das Heil der Menschheit als Volk zu suchen. Wenn der Staat

überhaupt eine Funktion und einen Sinn hätte, dann war es der, gewissermaßen

der Rahmen zu sein, der dieses Volk zusammenhielt. Er durfte aber nicht einzelne

Glieder seines Volkes entfremden, er müsste um seinen heilsgeschichtlichen

Auftrag erfüllen zu können ein wahrer Volksstaat sein.

   Wie man erkennen kann hat Marx sich auf rein intellektuellem Wege seinem

zweiten Thema genährt: Das „Problem von Herrschaft und Knechtschaft“. Es ist

das zentrale Problem der Marxschen politisch ökonomischen Schriften.

Entscheidender – meint Arnold Künzli in der schon erwähnten Marx

Psychographie- war die Begegnung mit Moses Hess. Dieser war nicht nur

Junghegelianer sondern auch Kommunist. Auch wenn Marx zuerst nur Spöttische

Bemerkungen für ihn übrig hatte, er nannte Hess mehrmals „Kommunisten

Rabbi“, eröffnete ihm dieser einen n= euen Blickwinkel. Hess gilt als derjenige

der Marx und Engels für den Kommunismus gewinnen konnte.

Ferner ist anzunehmen, dass Karl Marx von seiner Mutter schon in frühester

Kindheit die Geschichte des Auszuges aus Ägypten gehört hat. Dies könnte 

heißen: Karl Marx ist nicht durch das mitleidende Erlebnis sozialer

Ungerechtigkeiten auf das Problem des Sozialen gestoßen, sondern durch eine

Projektion des in i= hm wieder mächtig  gewordenen Urerlebnisses des Judentums

auf seine Zeit.[9] 

  

 5. Das Proletar iat- Volk Israel

Page 6: Marxens Heilslehre und der Jüdische Messianismus

   Seine Weltanschauung hatte er schon formuliert, nun fehlte ihm noch  der

entscheidende Faktor: Ein Volk.

Er findet es in den Arbeitern seiner Zeit. In einem Artikel aus dem Jahre 1844 für

den Pariser „Vorwärts“ schrieb er- die Parallele „Arbeiter-Jude“ ist hier besonders

evident:

„ Das Gemein wesen aber, von welchem der Arbeiter isoliert ist, ist ein

Gemeinwesen von ganz anderer Realität und ganz andrem Umfang als das

politische Gemeinwesen. Dies Gemeinwesen… ist das Leben selbst, das

physische und geistige Le= ben, die menschliche Sittlichkeit, die menschliche

Tätigkeit, der menschlic he Genuss, das menschliche Wesen.“

In den „Pariser Manuskripten“ heißt es: „ (…) die Nationalökonomie kennt den

Arbeiter nur als Arbeitstier, als ein auf d ie striktesten Lebensbedürfnisse

reduziertes Vieh(…) sie betrachtet ihn nicht in seiner arbeitslosen Zeit, als

Mensch.(…)Der Arbeiter, weit entfernt, alles kaufen zu können, sich selbst und

seine Menschheit verkaufen muß. Und „selbst in dem Z ustand der Gesellschaft,

welcher dem Arbeiter am günstigsten ist, ist die notwendige Folge für den

Arbeiter und früher Tod…“[10]

Und wenn man den Satz von Marx liest, dass die Nationalökonomen dem Arbeiter

nur so viel von seinem Produkt, zukommen lassen, „als nötig ist, nicht damit er als

Mensch, sondern als Arbeiter existiert, nicht damit er die Menschheit, sond ern

damit er die Sklavenklasse der Arbeiter Fortpflanzt“.[11]

Bewußt oder unbewusst identifiziert Marx den Arbeiter mit den Kindern Israels

in der ägyptischen Knechtschaft. Dieses Gleichnis hat auch das Bild des reifen

Marx vom Arbeiter bestimmt. So meinte er im „Kapital“: „ Der Ausgangspunkt

der Entwicklung, die sowohl den Lohnarbeiter wie den Kapitalisten erzeugt, war

die Knechtschaft des Arbeiters“[12]

Die Situation des Industriearbeiters aus Marxens Zeit entsprach auf verblüffende

Weise d er Situation der Israeliten in Ägypten.

Der Arbeiter wird Marx zum Sinnbild des Menschen schlechthin, folglich sprach

Marx immer weniger vom Arbeiter und immer mehr vom Menschen sprach. In

den „Pariser Manuskripten“ gibt er eine exakte Beschreibung vom Schicksal und

Auftrag des Arbeiters:

„Aus dem Verhältnis der entfremdeten Arbeit zum Privateigentum folgt ferner,

dass die Emanzipation der Gesellschaft vom Privateigentum etc, von der

Knechtschaft, in der politischen Form der Arbeiteremanzipation sich ausspricht,

Page 7: Marxens Heilslehre und der Jüdische Messianismus

nicht als wenn es sich nur um ihre Emanzipation handele, sondern weil in ihrer

Emanzipation die allgemein menschliche enthalten ist, diese ist aber darin

enthalten, weil die ganze menschliche Knechtschaft in dem Verhältnis des

Arbeiters zur Produktion involviert ist und die Knechtschaftsverhältni sse nur

Modifikationen und Konsequenzen dieses Verhältnisses sind.“[13]

Die Aufgabe bzw. die = von Marx dem Proletariat zugedachte Mission hat

heilsgeschichtlichen Charakter. Diese Mission ist mit der biblischen Prophetie des

Volkes Israel vollkommen identisch, teilweise bis in die Satzstruktur hinein- sagt

Arnold Künzli-ersetzt man Proletariat durch Israel, Klasse durch Volk und

umgekehrt- oft geradezu der Bibel entnommen zu seien scheint.

„Wie kann ich Abraham verbergen, was ich tue, sintemal er ein großes und

mächtiges Volk soll werden, und alle Völker auf Erden in ihm gesegnet werden

sollen?“[14]

Bei Marx hießt das:

„ Nur im Namen der allgemeinen Rechte der Gesellschaft kann eine besondere

Klasse sich die allgemeine Herrschaft vindizieren“.

Es ist geradezu wortwörtliche Umschreibung der Situation Israels in der ägyptisch

en Knechtschaft und der Mission Israels, die ganze Menschheit aus aller

Knechtschaft zu erlösen, indem es sich selbst befreit, wenn Marx weiter schrieb:

„ Damit die Revolution eines Volkes und die Emanzipation einer besonderen

Klasse der bürgerlichen Gesellschaft zusammenfallen, damit ein Stand für den

Stand der ganzen Gesellschaft gelte, dazu müssen umgekehrt alle Mängel der

Gesellschaft in einer anderen Klasse konzentriert, dazu muss ein bestimmter

Stand, der Stand des allgemeinen Anstoßes…sein, dazu muss eine besondere

soziale Sphäre für das historische Verbrechen der ganzen Sozietät gelten, so  die

Befreiung von dieser Sphäre als die allgemeine Selbstbefreiung erschei nt.Damit

ein Stand par Excellenze der Stand der Befreiung, dazu muss umgekehrt ein

anderer Stand d= er offenbare Stand der Unterjochung sein.“[15]

Anders gesagt, damit in Stand die Rolle des Volkes Israel spielen kann, muss ein

Stand der allgemei= nen Unterjochung gefunden werden. Damit sich das

Proletariat  aus einem zeit- und ortsgebundenen, temporären, historisch relativen

Knechtschaftsverhältnis in eine unbedingte heilgeschichtliche Potenz verwandeln

könnte, musste zunächst die Bourgeoisie zu einer solchen Potenz erhoben werden.

Im Deutschland seiner Zeit fand Marx einen solchen Stand nicht vor, folglich galt

es, einen solchen Stand erst einmal zu schaffen.

Page 8: Marxens Heilslehre und der Jüdische Messianismus

Dies sieht bei Marx folgendermaßen aus:

„… ein er Klasse mit radikalen Ketten, eine Klasse der bürgerlichen Gesellschaft,

welche keine Klasse der bürgerlichen Gesellschaft ist, eines Standes, welcher die

Auflösung aller Stände ist, einer Sphäre, welche einen universellen Charakter

durch ihre universellen Leiden besitzt und kein besonderes Recht in Anspruch

nimmt, weil kein besonderes Unrecht, sondern d as Unrecht schlecht hin an ihr

verübt wird…eine Sphäre endlich welche sich nicht emanzipieren kann, ohne sich

von allen übrigen Sphären der Gesellschaft zu emanzipieren, welche mit einem

Wort der völlige Verlust des Menschen ist, also nur durch die völlige

Wiedergewinnung des Menschen sich selbst gewinnen kann. Diese Auflösung der

Gesellschaft als ein besonderer Stand ist das Proletariat“[16]

Wenn das Proletariat die Auflösung der bisherigen Weltordnung verkündet, so

spricht es nurdas Geheimnis seines eigenen Daseins aus, denn es ist die faktische

Auflös ung der Weltordnung. Für Marx blieb das Proletariat sein Volk Israel, das

die Entfremdung des Menschen schlechthin repräsentierte. Es wird für ihn, zum

Vollstrecker eines geschichtlichen Auftrags:

„ Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das

ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was=

es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen = sein wird.

Sein Ziel und seine geschichtliche Aktion ist… unwiderruflich

vorgezeichnet.“[17]

In der „Deutschen Ideologie“ heißt es:

„ Das Prolet ariat kann… nur weltgeschichtlich existieren, wie der

Kommunismus… nur als weltgeschichtliche Existens überhaupt vorhanden sein

kann“.

In seinem Aufsatz „Die Klassenkämpfe in Frankreich“ aus dem Jahre 1850 

verwand Marx selbst die Parallele Proletariat- Volk Israel als er schrieb:

„ Das jetzige Geschlecht gleicht den Juden, die Moses durch die Wüste führt. Es

hat nicht nur eine neue Welt zu erobern, es muß untergehen um dem Menschen

Platz zu machen, die einer neuen Welt gewachsen sind“. 

Diese Idee behäl t Marx in seinen späteren Schriften bei, und im ersten Band des

„Kapitals“ schrieb er 17 Jahre später:

„ Wie dem auserwählten Volk auf der Stirn geschrieben stand, dass es das

Eigentum JHW’s ist, so drückt die Teilung der Arbeit dem Manufakturarbeiter

Page 9: Marxens Heilslehre und der Jüdische Messianismus

einen Stempel auf, der ihn zum Eigentum des Kapitals brandmarkt.“

Diese Idee, dass ein Volk als Volk berufen sein könnte, den heilsgeschichtlichen

Prozess der Menschheit bis zu seiner Vollendung im „Reich Gottes“ zu führen, ist

reines Judentum. Es sei zur Vollständigkeit auch gesagt, dass der Begriff der

„Auserwähltheit“ auch ein christlicher Begriff ist. Helmut Gollwitzer meint dazu

in seinem Aufsatz „Die Judenfrage-eine Christenfrage“:

„Christen und Juden sind eins in der Bekenntnis der Besonderheit Israels. Das

Israel „Auserwählt“ ist, das sagen nicht nur die Juden, sondern a uch die Christen;

denn das ist nicht eine anmaßende , hypernationalistisc he Behauptung, sondern

ein Satz des christlichen Grundbekenntnisses, des Neuen Testaments“.

 

6. Die Heilslehre

 

   Geschichte ist für Marx immer Heilsgeschichte. Er schrieb 1843 in seinen

Briefen an Ruge:

„ Wir treten nicht der Welt doktrinär mit einem neuen Prinzip entgegen: Hier ist

die Wahrheit, hier kniee nieder! Wir entwickeln aus den Prinzipien der Welt, neue

Prinzipien--- Unser Wahlspruch muss sein: Reform des Bewusstseins nicht durch

Dogmen, sondern durch Analysierung des mystischen, sich selbst unklaren

Bewusstseins…Es wird sich dann zeigen, dass die Welt längst den Traum von

einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewussts ein besitzen muss um es wirklich

zu besitzen. Es wird sich zeigen, dass die Menschheit keine neue Arbeit beginnt,

sondern mit Bewusstsein ihre alte Arbeit zustande bringt“.[18]

   Marx verwehrte sich vehement gegen jeglichen utopischen Weltentwurfs, jeder

dogmatischen Konstruktion einer kommunistischen Zukunft. Schon 1843 schrieb

er: „Indessen ist das gerade wieder der Vorzug der neuen Richtung, dass wir nicht

dogmati sch die Welt antizipieren, sondern erst aus der Kritik der alten Welt die

neue finden wollen.“Er meinte, „die Konstruktion der Zukunft und das

Fertigwerden für alle Zeiten sei nicht unsere Sache, und er sei nicht dafür, dass

wir eine dogmatische Fahne aufpflanzen, im Gegenteil:

„ Wir treten dann nicht der Welt doktrinär mit einem neuen Prinzip entgegen: Hier

ist die Wahrheit, hier kniee nieder! Wir entwickeln der Welt aus den Prinzipien

der Welt neue Prinzipien. Wir sagen ihr nicht: Laß ab von deinen Kämpfen, sie

sind dummes Zeug; wir wollen der die wahre Parole des Kampfes zuschreien .

Page 10: Marxens Heilslehre und der Jüdische Messianismus

Wir zei gen ihr nur, warum sie eigentlich kämpft, und das Bewusstsein  ist eine

Sache, die sie sich aneig nen muss, wenn sie auch nicht will“

  Die Veränderung der Welt soll te folglich nicht dadurch erfolgen, dass man sie in

ein philosophisches Schema zu pressen versucht, sondern dadurch, dass man sie

aus dem Traum über sich selbst aufweckt, dass man ihr ihre eigenen Aktionen

erklärt.Also, Reform des Bewusstseins, nicht neue Dogmen schaffen die neue

Welt. Diesem Programm ist Marx bis zu seinem Tode treu geblieben.

Die aus dieser Reform resultierende Gesellschaft entspricht der Charakterisierung

der „eschatologischen“ Erwartung : Eine Klassenlose Gesellschaft, ohne

Spannungen und Konflikte, in der der „Totale“ Mensch ohne Habenwollen, deren

Triebe, Begierden, Bedürfnisse, Sinne so geläutert, so vermenschlicht sind, dass

sie sich“ zu der Sache um der Sache willen“ verhalten und ihre egoistische

Natur… verloren haben. Während gleichzeitig ?2;die Natur ihre bloße

Nützlichkeit verloren hat und eine vermenschlichte Natur geworden ist, diese

Gesellschaft, die „die vollendete Wesensein= heit des Menschen mit der Natur,die

wahre Resurrektion der Natur, der durchgeführte Naturalismus des Menschen und

der durchgeführte Humanismus der Natur ist die wahrhafte Auflösung des

Widerstreites zwischen dem Menschen mit der Natur und mit dem Menschen?=

0;.s ist die heilsgesc hichtliche Vision die Marxens Vorstellungen vom

Endzustand des wahren Kommunismus beseelte. Heilsgeschichtlicher Schauplatz

kann nur die Gesellschaft sein.

Der fundamentale Unterschied zwischen dem biblischen und der Marxschen

Heilslehre ist, dass es in der Bibel Freiheit, Mündigkeit, Verantwortung des

Menschen hier und heute  angestrebt werden und Marxens Vorstellungen sind auf

die Zukunft ausgerichtet. Den gegenwärtigen Menschen trat er eher

mitVerachtung entgegen.

Seine Vorstellungen sind erst im Kommunismus möglich. In der Gegenwart gibt

es  nur ein Bewußtwerdungsprozeß, in Form der Einsicht in die

heilsgeschichtliche Notwendigkeit und in ein bewusstes Handeln.

Marxens Werk- sagt A.Künzli- ist einerseits eine ins Ökonomisch- Soziologisch-

Politische übersetzte Heilsgeschichte, die sich als Religionsersatz anbietet und es

ist andererseits geprägt durch den Radikalismus und Absolutismus der Marxschen

Psyche.

Man mag gegebenenfalls annehmen, Marx sei eine historische Notwendigkeit

gewesen. Trotzdem ist sein Werk aprioristischer Natur und kaum das Resultat

Page 11: Marxens Heilslehre und der Jüdische Messianismus

wissenschaftlichen Erforschens der Wirklichkeit.

  Manche Einsichten von Marx mö gen ihre Geltung bis heute behalten haben,

viele von den von ihm aufgeworfenen Probleme, wie die Entfremdung des

Menschen sind noch längst nicht gelöst. Aber dass dem Proletariat- wie es von

Marx gesehen wurde- in der Geschichte die Rolle zukomme, die in der biblischen

Heilsgeschichte dem Volke Israel aufgetragen ist. Dieser Glaube, auf dem das

ganze Werk von  Marx als einer heilsgeschichtlichen Grundlage ruht, hat sich

heute als ein Mythos erwiesen.

 

 

Quellen:

  [1] V= gl: Lesser: „ Karl Marx als Jude“ in Zeitschrift  „Der Jude“  8. Jahrgang,

1924= , Heft 3

[2] V= gl: Künzli, Arnold: „Karl Marx. Eine Psychographie“ S.: 76

[3] V= gl: Gollwitzer, Helmut: „Zum Verständnis= des Menschen beim jungen

Marx“ in Festschrift für Günther Dehn, 1957 S. 184

[4] V= gl: Künzli, Arnold: aaO S.: 77

[5] V= gl: Marx, Karl: „Manuskripte“ Bd 1 S.15= 3

[6] V= gl: Künzli, Arnold:: aaO<= /span>: S.: 557

Page 12: Marxens Heilslehre und der Jüdische Messianismus

[7] V= gl Max Eschelbacher, zitiert v. Arnold Künzli

[8] V= gl: Künzli, Arnold: aaO: S. 366

[9] V= gl: Künzli, Arnold: aaO: S. 559-560

[10] = Vgl: Marx, Karl: „Pariser Manuskripte“ Bd.1, S.: 43

[11] = Vgl: Marx, Karl: Pariser Manuskripte“ Bd.1, S.: 65

[12] = Vgl: Marx, Karl: „Das Kapital“ Bd.1, S.: 754

[13] = Vgl: Marx, Karl: „Pariser Manuskripte“ Bd 1. S.: 110

[14] = Vgl: 1. Buch Mose, 18.17,18

[15] = Vgl: Marx-Engels Werk, Bd 1 . S.: 388

[16] MEW, Bd.1 S.: 390

[17] Vgl.: MEW, Bd.2, S.38<= /p>

[18] Vgl.: Marx, Karl: „Deutsch- Französische Jahrbücher“8