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Maschinendynamik
VorlesungsmanuskriptProf. Dr.-Ing. Bodo HeimannProf. Dr.-Ing. Karl Popp †
2.3
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Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 5
2 Dynamik der starren Maschine 82.1 LAGRANGE’sche Gleichungen 2. Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102.2 Auswertung der Bewegungsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122.3 Analytische Losung der Bewegungsgleichung bei kons. Kraftfeld . . . . . . . . . . 122.4 Anlauf- und Abbremsvorgange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132.5 Ungleichformigkeitsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.6 Ubungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
2.6.1 Aufstellung der Bewegungsgleichung fur ein Viergelenkgetriebe . . . . . . 16
3 Aufstellung der starren Maschine 183.1 Schwingungsisolation bei harmonischer Erregung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
3.1.1 Krafterregung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193.1.2 Federkrafterregung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223.1.3 Unwuchterregung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233.1.4 Feder-Dampfererregung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
3.2 Schwingungsisolation bei transienter Erregung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263.2.1 Anregung durch einen Einheitsstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263.2.2 Anregung mit der Einheits-Sprungfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 273.2.3 Restamplitudenverhaltnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283.2.4 Relativer Isolierwirkungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
4 Torsionsschwingungen in Antriebssystemen 324.1 Strukturen der Torsionsschwingungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
4.1.1 Glatter Wellenstrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354.1.2 Wellenstrang mit Ubersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354.1.3 Verzweigter Antrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364.1.4 Vermaschter Antrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364.1.5 Vermaschter Antrieb mit Querverbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
4.2 Modellbildung von Torsionsschwingungssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364.2.1 Reduzierung auf die Modellstruktur des glatten Wellenstranges . . . . . . 364.2.2 Ermittlung von Ersatzfederkonstanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394.2.3 Zahnsteifigkeitsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
4.3 Freie Torsionsschwingungen diskreter linearer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . 414.3.1 Losung der homogenen Bewegungsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . 424.3.2 HOLZER-TOLLE-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444.3.3 Verfahren der Ubertragungsmatrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
4.4 Erzwungene Torsionsschwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
Seite 4 INHALTSVERZEICHNIS
4.5 Ubungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524.5.1 Bestimmung der tiefsten Eigenkreisfrequenz eines Schiffsantriebes mittels
des HOLZER-TOLLE-Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
5 Biegeschwingungen rotierender Wellen 555.1 LAVAL-Laufer in starren Lagern mit sym. Wellenquerschnitt . . . . . . . . . . . 55
5.1.1 Bewegungsgleichungen in raumfesten kartesischen Koordinaten . . . . . . 565.1.2 Bewegungsgleichungen in raumfesten komplexen Koordinaten . . . . . . . 575.1.3 Bewegungsgleichungen in mitrotierenden komplexen Koordinaten . . . . . 59
5.2 Der elastisch gelagerte LAVAL-Laufer mit symmetrischem Wellenquerschnitt . . 615.3 Rotoren mit Gleitlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635.4 Rotoren mit unrunder Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665.5 Einfluß der Kreiselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675.6 Instationarer Betrieb (Anlaufvorgang) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735.7 Ubungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
5.7.1 LAVAL-Laufer in starren Lagern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745.7.2 Auskragende Welle mit Kreiseleinfluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755.7.3 Aufstellung der linearisierten Bewegungsgleichung einer Zentrifuge und
Untersuchung der Stabilitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
6 Biegeschwingungen massebehafteter Balken 816.1 Der RAYLEIGH-Quotient zur Abschatzung der niedrigsten Eigenkreisfrequenz . 836.2 Rotierende Wellen mit kontinuierlicher Masseverteilung . . . . . . . . . . . . . . 856.3 Ubungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
6.3.1 Eigenkreisfrequenzermittlung mit dem RAYLEIGH-Quotienten fur einenBalken (eingespannt/gestutzt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
7 Massenausgleich und Auswuchten von Maschinen 897.1 Auswuchten starrer Rotoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 897.2 Massenausgleich an Koppelgetrieben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
8 Mathematischer Anhang 958.1 Modale Berechnung von Mehrfreiheitsgradsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . 958.2 Bimodale Berechnung von Mehrfreiheitsgradsystemen . . . . . . . . . . . . . . . 97
9 Literatur zur Maschinendynamik 100
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Kapitel 1
Einleitung
Gegenstand der Untersuchungen in der Maschinendynamik ist es, die Wechselwirkungen vonKraften und Bewegungen und die damit verbundenen Beanspruchungen von Maschinen auf-zudecken. Im Sinne der EU-Maschinenrichtlinie gilt als Maschine dabei die Gesamtheit vonuntereinander verbundenen Teilen oder Vorrichtungen, von denen mindestens eines beweglichist. Neben einer gewunschten Dynamik der Maschine, die ihrer geforderten Funktionalitat ent-spricht, kommt es aber haufig auch zu unerwunschten dynamischen Erscheinungen, insbesonderezu Schwingungen.
Maschinen bzw. ihre Bauteile stellen in der Regel elastische und mit Masse behaftete Strukturendar und sind somit schwingungsfahig.
Dynamische Probleme an Maschinen sind sehr alt und traten zuerst an Kraft- und Arbeitsmaschi-nen auf. Beispiele dafur sind Torsionschwingungen an Kolbenmotoren oder Biegeschwingungenbei Stromungsmaschinen.
Da diese Schwingungserscheinungen im Vergleich zur geforderten Bewegung meist ‘klein’ sind,ist es in vielen Fallen ausreichend, lineare Schwingungen zu untersuchen.
Trotz ihrer ‘Kleinheit’ konnen die Schwingungserscheinungen sehr gefahrlich werden. Das istz.B. bei Resonanzerscheinungen der Fall (etwa beim Resonanzdurchgang im Anlauf), bei denendie Frequenz der Anregung und die Eigenfrequenz eines Maschinenteils ubereinstimmen. Einanderes gefahrliches Phanomen sind die selbsterregten Schwingungen. Sie entstehen, wenn eineEnergiequelle vorhanden ist, die der Schwingungsstruktur standig Energie zufuhrt und damitdie Schwingung aufrechterhalt oder sogar anfacht, falls die zugefuhrte Energie nicht dissipiertwerden kann. Das System ist folglich einer andauernden dynamischen Belastung ausgesetzt. Diedaraus resultierenden Materialbeanspruchungen konnen zu Materialschadigungen fuhren, z.B.durch Werkstoffermudung und/oder Uberschreitung zulassiger Spannungen.
Mit dem Problem der Maschinenschwingungen muss sich der Ingenieur sowohl beim Entwurf, derKonstruktion und der Erprobung als auch wahrend des Betriebes von Maschinen und Anlagenauseinandersetzen. Dazu stehen ihm moderne rechnerische und experimentelle Hilfsmittel zurVerfugung.
Seite 6 Kapitel 1: Einleitung
Grundsatzlich lassen sich die Aufgaben der Maschinendynamik in drei Gruppen einteilen(Abbildung 1.1):
• Modellfindung (Ermittlung eines geeigneten mechanischen Ersatzmodells und – darausabgeleitet – eines der Berechnung zuganglichen mathematischen Modells (Bewegungsglei-chungen))
• Modellberechnung (rechnerische und experimentelle Ermittlung des Systemverhaltens aufder Grundlage der Modellvorstellung)
• Ergebnisinterpretation und Beeinflussung der Konstruktion.
Wahrend die zweite Aufgabe zunehmend rechnerunterstutzt ablauft, kann die erste und diedritte Aufgabe dem Ingenieur nicht abgenommen werden.
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Abbildung 1.1: Aufgaben der Maschinendynamik
Das vorgelegte Skript der einsemestrigen Vorlesung
MASCHINENDYNAMIK
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behandelt Probleme der Modellfindung und -berechnung auf den klassischen Teilgebieten:
• Berechnung starrer Maschinen (Kapitel 2),
• Schwingungsisolation von Maschinen (Kapitel 3),
• Torsionsschwingungen in Antriebssystemen (Kapitel 4),
• Rotordynamik (Kapitel 5),
• Biegeschwingungen des massebehafteten Balkens (Kapitel 6),
• Auswuchten und Massenausgleich von Maschinen (Kapitel 7) sowie
• Berechnung von Mehrfreiheitsgradsystemen (Kapitel 8).
Dabei stehen im wesentlichen diskrete Schwingungssysteme im Vordergrund, d.h. solche, de-ren Bewegungsgleichungen durch gewohnliche Differentialgleichungen beschrieben werden kon-nen. Außerdem werden die einfachsten mechanischen Modellvorstellungen, sogenannte Minimal-modelle, benutzt, die zur Aufklarung der wichtigsten Schwingungsphanomene geeignet sind.
Damit im Einklang wird weitestgehend auf die Darstellung numerischer Methoden verzichtet.
Aus der in Kapitel 9 zusammengestellten Literatur sollen vier Lehrbucher hervorgehoben wer-den, die die Auswahl und Darstellung des Stoffes stark beeinflußt haben:
• Holzweißig, F.; Dresig, H.: Lehrbuch der Maschinendynamik. Leipzig; Koln: Fachbuchver-lag 1992.
• Gasch, R.; Nordmann, R.; Pfutzner, H.: Rotordynamik. Berlin; Heidelberg: Springer 2002.
• Ulbrich, H.: Maschinendynamik. Stuttgart: Teubner 1996.
• Magnus, K.; Popp, K.: Schwingungen. Stuttgart: Teubner 2002.
Am Schluss dieser Einleitung mochten ich allen danken, die uber die Jahre hinweg an diesemSkript mitgearbeitet haben. Es sind dies Harald Aschemann, Marc Gerecke, Ines Hachmann,Johannes Kuhn, Arne Michaelsen, Bjorn Niemann, Christian Popper und Oliver Schutte.
Hannover, Oktober 2005
Bodo Heimann
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Kapitel 2
Dynamik der starren Maschine
Zur maschinendynamischen Untersuchung vieler im Maschinenbau verwendeter Mechanismenund Getriebe kann das Berechnungsmodell der starren Maschine benutzt werden. Dies ist dannzulassig, wenn die großte Erregerfrequenz (z.B. bewirkt durch die Antriebsdrehzahl) kleiner alsdie niedrigste Eigenfrequenz des untersuchten Systems ist und keine Eigenschwingungen von Ge-triebeelementen auftreten. In diesem Fall ist der kinematische Zustand (Lage, Geschwindigkeit,Beschleunigung) der einzelnen Getriebeelemente bei vorgegebener Antriebsbewegung festgelegt.
Die Getriebe lassen sich unterteilen in:
• gleichformig ubersetzende Getriebe (z.B. Zahnrad-, Riemen-, Zahnriemen-, Kettengetrie-be) und
• ungleichformig ubersetzende Getriebe (z.B. Koppelgetriebe, Kurvengetriebe).
Mit Hilfe eines Rechenmodells lassen sich wahrend der konstruktiven Entwicklung des Getriebesbzw. Mechanismus die statischen und dynamischen Lasten ermitteln, welche zur Dimensionie-rung der Gelenke, Lager und Fuhrungen benotigt werden. Zur Auswahl geeigneter Antriebs-motoren kann das erforderliche Antriebsmoment fur eine vorgegebene Antriebsbewegung (z.B.Anlauf, konstante Winkelgeschwindigkeit) berechnet werden.
Bei der Mehrzahl der Getriebe treten lediglich ebene Bewegungen der Getriebeglieder auf. Wei-terhin wird zum Antrieb meist nur ein Antriebsmotor verwendet. Im folgenden soll das Vorgehenzur Aufstellung der Bewegungsgleichung des Getriebes bzw. Mechanismus unter den vereinfa-chenden Annahmen:
• ebene Bewegung der Getriebeelemente,
• elastische Deformationen der Getriebeelemente vernachlassigbar,
• Erregerfrequenzen unterhalb der niedrigsten Eigenfrequenz,
• Lager, Gelenke, Fuhrungen usw. spielfrei,
• eine Antriebsgroße q(t): Schubantrieb q(t) ≡ x(t) oder Drehantrieb q(t) ≡ ϕ(t)
vorgestellt werden. Die Methodik laßt sich problemlos auch auf raumliche Mechanismen mit meh-reren Antriebsgroßen (z.B. Industrieroboter) ubertragen, wobei sich jedoch der mathematischeAufwand betrachtlich erhoht.
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Zur Beschreibung der kinematischen Großen des Getriebes werden Koordinatensysteme benotigt(Abbildung 2.1). Die Bewegungen der Getriebeglieder gegenuber dem Inertialsystem werdenim raumfesten Koordinatensystem x, y beschrieben. Der Schwerpunkt Si des Korpers i, welchervorteilhaft im korperfesten Koordinatensystem ξ, η angegeben wird, die Masse mi sowie dasauf den Schwerpunkt reduzierte Massentragheitsmoment JSi des Korpers i werden als bekanntvorausgesetzt. Am freigeschnittenen Korper i greifen außere Krafte Fij,x, Fij,y (Angriffspunkt xij ,yij) bzw. Momente Mij an, welche in Potentialkrafte bzw. konservative Krafte (Gewichtskraft,Federkrafte) sowie nichtkonservative Kraftgroßen (Dampferkrafte, Krafte aus technologischemProzeß usw.) gegliedert werden konnen.
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.
Abbildung 2.1: Koordinatensysteme zur Lagebeschreibung derStarrkorper
Im folgenden sollen die kinematischen Großen, die Schwerpunktsverschiebungen xSi , ySi sowieder Drehwinkel ϕi, fur jeden einzelnen Teilkorper i in Abhangigkeit von der Antriebsfunktionq(t) bzw. den zugehorigen Zeitableitungen formuliert werden (Tabelle 2.1).
Verschiebungen Geschwindigkeiten Beschleunigungen
xSi = xSi(q) xSi = x′Si(q)q xSi = x′′Si
(q)q2 + x′Si(q)q
ySi = ySi(q) ySi = y′Si(q)q ySi = y′′Si
(q)q2 + y′Si(q)q
ϕi = ϕi(q) ϕi = ϕ′i(q)q ϕi = ϕ′′i (q)q2 + ϕ′i(q)q
Tabelle 2.1: Kinematische Großen des i-ten Teilkorpers
Hierbei werden Ableitungen nach der Antriebskoordinate durch d( )dq = ( )′ und Ableitungen nach
der Zeit durch d( )dt = ˙( ) angegeben.
Die Funktion xSi(q) wird als Lagefunktion 0. Ordnung, die Funktion x′Si(q) als Lagefunktion
1. Ordnung sowie die zweite Ableitung nach der Antriebskoordinate x′′Si(q) als Lagefunktion
2. Ordnung bezuglich der Schwerpunktskoordinate xSi bezeichnet. Die Lagefunktionen zu denKoordinaten ySi sowie ϕi sind entsprechend definiert. Analog hierzu ist auch bezuglich der
Seite 10 Kapitel 2: Dynamik der starren Maschine
Anschlußpunkte von Federn, Dampfern usw. zu verfahren, deren Koordinaten (Anschlußpunkt-koordinaten xi, yi) als Funktion der Antriebskoordinate formuliert werden mussen.
Samtliche Lagefunktionen hangen ausschließlich von der Geometrie des untersuchten Systemsab. Sie sind somit unabhangig vom Zeitverlauf der Antriebskoordinate q(t) bzw. deren Zeitablei-tungen.
2.1 Aufstellung der Bewegungsgleichung mit den LAGRAN-GE’schen Gleichungen 2. Art
Die Bewegungsgleichung des untersuchten Systems laßt sich vorteilhaft uber die LAGRAN-GE’schen Gleichungen 2. Art ermitteln,
d
dt
(∂T (q, q)∂q
)− ∂T (q, q)
∂q+∂U(q)∂q
= Qnk(q) , (2.1)
in welche die kinetische Energie T (q, q), die potentielle Energie U(q) sowie die nichtkonservativegeneralisierte Kraft Qnk(q) einzusetzen sind.
Der kinematische Zustand ist fur das untersuchte zwanglaufige System mit einem Antrieb eindeu-tig durch die Antriebskoordinate q(t) festgelegt. Diese unabhangige Koordinate bezeichnet manauch als generalisierte Koordinate.
Zur Auswertung der LAGRANGE’schen Gleichungen mussen die kinetische Energie, potenti-elle Energie sowie die generalisierte Kraft in Abhangigkeit von der generalisierten Koordinateq(t) aufgestellt, gemaß der Differentiationsvorschrift abgeleitet und zusammengefugt werden. Imfolgenden soll dieses Vorgehen fur ein Getriebe mit N Gliedern verdeutlicht werden.
Fur ein feststehendes Gestell (Getriebeglied i = 1) ergeben sich N − 1 bewegte Getriebeglieder.
Zur Berechnung der kinetischen Energie des Gesamtsystems mussen die rotatorischen und trans-latorischen Energieanteile der einzelnen Korper i = 2, . . . , N formuliert und aufsummiert werden,
T =N∑i=2
[Ti,trans + Ti,rot ] =12
N∑i=2
[mi
(x2Si
+ y2Si
)+ JSiϕ
2i
]. (2.2)
Berucksichtigt man hier die kinematischen Gleichungen (Lagefunktionen gemaß Tabelle 2.1),so erhalt man die kinetische Energie des Gesamtsystems in Abhangigkeit von der generalisiertenKoordinate q
T (q, q) =12
N∑i=2
[mi
(x′
2Si
+ y′2Si
)+ JSiϕ
′2i
]q2 =
12J(q)q2 (2.3)
mit der generalisierten Masse
J(q) =N∑i=2
[mi
(x′
2Si
+ y′2Si
)+ JSiϕ
′2i
]. (2.4)
Die potentielle Energie
U(q) =N∑i=2
Ui,g +Nf∑j=1
Uj,Feder =N∑i=2
[mi g ySi(q)] +12
Nf∑j=1
cj [lj(q)− lj,0]2 (2.5)
2.1 LAGRANGE’sche Gleichungen 2. Art Seite 11
setzt sich zusammen aus den Anteilen infolge des Schwerkraftpotentials
Ug =N∑i=2
mi g ySi(q) (2.6)
sowie des Potentials diskreter Federn (Federkonstanten kj , entspannte Lange lj,0, Lange unterBelastung lj , Anzahl der Federn Nf )
UFeder =12
Nf∑j=1
cj [lj(q)− lj,0]2 . (2.7)
Zur Bestimmung der generalisierten Kraft Qnk(q) betrachtet man die virtuelle Arbeit δW nk dernichtkonservativen Krafte Fnkij,x, F
nkij,y bzw. Momente Mnk
ij (z.B. diskrete Dampfer, Umformkraftebei nichtlinearem Stoffgesetz usw.) infolge einer virtuellen Verschiebung δq ,
δW nk =∂Wnk(q)
∂qδq = Qnk(q)δq . (2.8)
Die Arbeit der nichtkonservativen Krafte Wnk(q) bestimmt sich zu
Wnk(q) =N∑i=2
Ni,w∑j=1
(Fnkij,xxij + Fnkij,yyij +Mnk
ij ϕi
) , (2.9)
wenn Ni,w die Anzahl der nichtkonservativen Kraftgroßen am Korper i angibt.
Durch Ableiten nach der generalisierten Koordinate q erhalt man die generalisierte Kraft
Qnk(q) =∂Wnk(q)
∂q=
N∑i=2
Ni,w∑j=1
(Fnkij,xx
′ij + Fnkij,yy
′ij +Mnk
ij ϕ′i
) . (2.10)
Nach dem Einsetzen der Ausdrucke in die LAGRANGE’schen Gleichungen 2. Art und Ausfuhrender Differentiationsvorschrift gewinnt man die Bewegungsgleichung des Getriebes
J(q)q +12J ′(q)q2 + U ′(q) = Qnk(q) , (2.11)
welche mit den Anfangsbedingungen
q(t = 0) = q0 und q(t = 0) = q0 (2.12)
die Losung q(t) festlegt. Zu bemerken ist, daß die Bewegungsgleichung im allgemeinen nichtlinearvon q sowie q abhangt, hingegen linear in q ist.
Eine weitere Darstellungsform der Bewegungsgleichung,
J(q)q +12J ′(q)q2 + U ′(q) +Q?(q) = Qan , (2.13)
liefert die Aufspaltung der generalisierten Kraft Qnk(q) in die Antriebskraftgroße Qan sowie denrestlichen Anteil infolge der verbleibenden nichtkonservativen Krafte bzw. Momente Q?(q),
Qnk(q) = Qan −Q?(q) . (2.14)
Seite 12 Kapitel 2: Dynamik der starren Maschine
2.2 Auswertung der Bewegungsgleichung
Bei der Auswertung der Bewegungsgleichung lassen sich zwei unterschiedliche Problemstellungenunterscheiden:
• direktes Problem: Bestimmung von q(t) als Losung der Differentialgleichung fur die jewei-ligen Anfangsbedingungen und die vorgegebene Antriebskraftgroße.
• inverses Problem: Bestimmung der benotigten Antriebskraft bzw. des benotigten Antriebs-momentes fur eine vorgegebene Antriebsfunktion q(t),
Vorgegebene Antriebsfunktion q(t)
Bei bekannter Antriebsfunktion q(t) kann die hierfur erforderliche Antriebskraftgroße (An-triebskraft bzw. Antriebsmoment) berechnet werden, da die linke Seite der Bewegungsgleichungvollstandig gegeben ist.
In der Anwendung wird haufig ein Drehantrieb mit konstanter Winkelgeschwindigkeit verwendet
q(t) ≡ ϕ(t) = Ωt mit Ω = const . (2.15)
Das zur Realisierung erforderliche Motordrehmoment berechnet sich zu
Man = Qan =12J ′(Ωt)Ω2 + U ′(Ωt) +Q∗(Ωt) . (2.16)
Vorgegebene Antriebskraftgroße Qan(t)
Zur Untersuchung des Betriebsverhaltens (Anlauf-, Bremsvorgange) des Getriebes bzw. Mecha-nismus kann die Zeitlosung q(t) infolge einer vorgegebenen Antriebskraftgroße Qan(t) (Antriebs-moment bzw. Antriebskraft) berechnet werden.
Zur Losung des Anfangswertproblems ist ausgehend von den Anfangswerten des Systems,
q(t = 0) = q0 , q(t = 0) = q0 , (2.17)
aufgrund der meist nichtlinearen Bewegungsgleichung die Verwendung numerischer Integrations-verfahren (z.B. RUNGE-KUTTA-Verfahren) zur Bestimmung der Zeitlosung q(t) erforderlich.
Lediglich fur einfache Funktionen Qan(t) ist eine analytische Losung berechenbar.
2.3 Analytische Losung der Bewegungsgleichung bei konserva-tivem Kraftfeld
Durch Anwendung des Arbeitssatzes auf das zu untersuchende Getriebe erhalt man
T (q, q) + U(q) = T (q0, q0) + U(q0) +
q∫q0
(Qan(q)−Q?(q)) dq (2.18)
mit den Anfangsbedingungen q(t = 0) = q0 , q(t = 0) = q0 .
2.4 Anlauf- und Abbremsvorgange Seite 13
Die Anwendbarkeit dieses Verfahrens schließt nichtkonservative Krafte bzw. Momente aus, dievon Zeitableitungen der gesuchten Antriebsfunktion abhangig sind. Treten z.B. große Damp-fungskrafte bzw. -momente auf (proportional zu q), muß die Losung uber numerische Integrati-onsverfahren ermittelt werden.
Die potentielle Energie sowie die Arbeit der nichtkonservativen Krafte bzw. Momente lassen sichzusammenfassen zu
W (q, q0) = −U(q) + U(q0) +
q∫q0
(Qan(q)−Q?(q)) dq . (2.19)
Das Einsetzen des obigen Ausdrucks in den Arbeitssatz fuhrt auf
T (q, q) =12J(q)q2 = T (q0, q0) +W (q, q0) . (2.20)
Diese Beziehung laßt sich nach q(q) auflosen
q(q) = ±
√2 [T (q0, q0) +W (q, q0)]
J(q), (2.21)
so daß die Ordnung der hochsten Ableitung gegenuber der Bewegungsgleichung reduziert werdenkann. Aus diesem Grund bezeichnet man den Arbeitssatz als ein 1. Integral der Bewegungsglei-chung.
Die obige Darstellung beschreibt das Systemverhalten in der Phasenebene (q,q-Ebene) und istinsbesondere zur Analyse nichtlinearer Systeme geeignet.
Zur Bestimmung der Antriebsfunktion wird zunachst geschrieben
q(q) =dqdt
⇒ dt =dqq(q)
⇒ t(q) = t(q0) +
q∫q0
dqq(q)
, (2.22)
wobei t(q0) = 0 gilt.
Nach dem Einsetzen von q(q) ergibt sich die Funktion t(q), deren Umkehrfunktion q(t) diegesuchte Antriebsfunktion darstellt,
t(q) = ±q∫
q0
√J(q)
2 [T (q0, q0) +W (q, q0)]dq ⇒ Antriebsfunktion q(t) . (2.23)
2.4 Anlauf- und Abbremsvorgange
Die Losung der Bewegungsgleichung in der allgemeinen Form
J(q)q +12J ′(q)q2 + U ′(q) +Q?(q) = Qan (2.24)
kann wesentlich vereinfacht werden, falls die Schwankungen der generalisierten Masse um einenMittelwert klein sind,
J(q) ≈ Jmittel = Jm = const , (2.25)
Seite 14 Kapitel 2: Dynamik der starren Maschine
und nur kleine Anderungen der potentiellen Energie auftreten (z.B. bleibt die Lage des Ge-samtschwerpunktes bei der Bewegung ungefahr konstant, gleiches gilt fur die gespeicherte Feder-energie). Dann konnen die folgenden Ausdrucke gegenuber den Tragheitstermen vernachlassigtwerden:
U(q) ≈ const , (2.26)Q?(q) ≈ 0 . (2.27)
Das Bewegungsverhalten des Getriebes bzw. Mechanismus wird mit obigen Vereinfachungennaherungsweise durch die einfachste Form
Jmq = Qan bzw. q =Qan
Jm(2.28)
beschrieben. Die Zulassigkeit dieser Vereinfachungen sollte jedoch stets nach Berechnung derZeitlosung q(t) uberpruft werden.
Beispiel: Konstantes Antriebsmoment
Die Antriebsfunktion q(t) ≡ ϕ(t) erhalt man fur ein konstantes Antriebsmoment
Qan = M(ϕ) = M0 = const (2.29)
nach zweifacher Integration zu
ϕ(t) =M0
2Jmt2 + ϕ0t+ ϕ0 . (2.30)
Fur die Anlaufzeit ta aus dem Ruhezustand bis zur Winkelgeschwindigkeit Ω ergibt sich
ϕ(ta) = Ω =M0
Jmta ⇒ ta =
JmΩM0
, ϕa = ϕ(ta) =JmΩ2
2M0. (2.31)
Beispiel: Linear abfallendes Motormoment
Das Einsetzen des Antriebsmomentenverlaufs
Man(ϕ) = M0
(1− ϕ
Ω
), wobei Ω = ϕmax , (2.32)
in die Bewegungsgleichung liefert
ϕ =M0
Jm− M0
JmΩϕ ⇒ ϕ+ βϕ = βΩ (2.33)
mit der Abkurzung β = M0JmΩ .
Die Losung dieser Differentialgleichung 2. Ordnung gelingt nach Uberfuhrung in eine Differenti-algleichung 1. Ordnung mittels der Substitution z = ϕ
z + βz = βΩ , (2.34)
zu deren Losung die Anfangsbedingung fur einen Anlaufvorgang aus dem Ruhezustand einzu-setzen ist,
z(t = 0) = ϕ(t = 0) = 0 ⇒ z(t) = Ω(1− e−βt
). (2.35)
2.5 Ungleichformigkeitsgrad Seite 15
Hieraus gewinnt man mit ϕ(t = 0) = ϕ0 = 0 durch einfache Integration nach der Zeit diegesuchte Antriebsfunktion
ϕ(t) = ϕ0 + Ω
t∫0
[1− e−βτ
]dτ =
Ωβ
(βt− 1 + e−βt
). (2.36)
Die Antriebsfunktion und deren zeitliche Ableitungen sind in Abbildung 2.2 dargestellt. Manerkennt, daß sich die Winkelgeschwindigkeit asymptotisch dem Maximalwert Ω nahert.
! #"$ &%
"
% '' (
') (
*
*
+ , -
Abbildung 2.2: Antriebsfunktion fur linear abfallendes Antriebsmoment
2.5 Ungleichformigkeitsgrad
Der Ungleichformigkeitsgrad δ stellt ein Maß zur Beschreibung der Schwankungen der Winkel-geschwindigkeit ϕ = ω dar, die das Antriebs- bzw. Abtriebsglied einer Maschine wahrend einesArbeitszyklus im stationaren Betriebszustand aufweist. Hierbei wird die Differenz von großterund kleinster Winkelgeschwindigkeit wahrend des Arbeitszyklus auf den arithmetischen Mittel-wert ωm bezogen
δ =ωmax − ωmin
ωm=
2 (ωmax − ωmin)ωmax + ωmin
. (2.37)
Aus maschinendynamischer Sicht sind kleine Ungleichformigkeitsgrade wunschenswert, da an-sonsten infolge der periodischen Winkelgeschwindigkeitsanderungen nachfolgende Maschinen-gruppen (z.B. Arbeitsmaschinen) zu Schwingungen (meist Torsionsschwingungen) angeregt wer-den konnen. Eine konstruktive Moglichkeit zur Verringerung der Ungleichformigkeit stellt dieVerwendung von Schwungradern dar, die durch periodische Energiespeicherung bzw. -abgabeausgleichend auf den Winkelgeschwindigkeitsverlauf wirken.
Zur Bestimmung des Ungleichformigkeitsgrades soll noch einmal der allgemeine Ausdruck
q(q) = ±
√2 [T (q0, q0) +W (q, q0)]
J(q)(2.38)
Seite 16 Kapitel 2: Dynamik der starren Maschine
betrachtet werden. Fur den Fall, daß der Arbeitsausdruck W (q, q0) gegenuber der kinetischenEnergie vernachlassigt werden kann, ergibt sich
q(q) ≈
√2T (q0, q0)J(q)
⇒ qmin =
√2T (q0, q0)Jmax
, qmax =
√2T (q0, q0)Jmin
. (2.39)
Hiermit bestimmt sich der Ungleichformigkeitsgrad δ fur W (q0, q0) T (q0, q0) vereinfacht zu
δ ≈2
(√Jmax −
√Jmin
)√Jmax +
√Jmin
. (2.40)
2.6 Ubungsaufgaben
2.6.1 Aufstellung der Bewegungsgleichung fur ein Viergelenkgetriebe
Das vorliegende Viergelenkgetriebe besteht aus vier Korpern, wobei Korper 1 das unbewegte Ge-stell darstellt (Abbildung 2.3). Das Koppelglied 3, welches die Antriebsbewegung von Korper2 auf das Getriebeglied 4 ubertragt, soll als masseloser Korper modelliert werden. Zur Aufstel-lung der Bewegungsgleichungen mussen somit fur die Teilkorper 2 sowie 4 die Lagefunktionenbzw. die kinematischen Gleichungen in Abhangigkeit von der generalisierten Koordinate q ≡ ϕ2
formuliert werden.
Abbildung 2.3: Viergelenkgetriebe
Unter Verwendung der Naherungen l4ϕ4 ≈ r sin(q) und ϕ4 1 gilt (Tabelle 2.2):
ϕ2 = q ϕ2 = ϕ′2q
ϕ4 = rl4
sin(q) = ϕ4(q) ϕ4 = rl4
cos(q)q = ϕ′4(q)q
xS4 = l2 = const xS4 = 0
yS4 = l2 ϕ4(q) = l
2rl4
sin(q) yS4 = r2ll4
cos(q)q = y′S4(q)q
Tabelle 2.2: Kinematische Gleichungen
2.6 Ubungsaufgaben Seite 17
Die allgemeine Form der Bewegungsgleichung lautet
J(q)q +12J ′(q)q2 + U ′(q) = Qnk . (2.41)
Bezuglich der potentiellen Energie ergibt sich ein Anteil fur das Getriebeglied 4
U(q) ≈ m4 g yS4(q) ⇒ U ′(q) = m4 gl
2ϕ′4(q) = m4 g
r
2l
l4cos(q) . (2.42)
Die generalisierte (nichtkonservative) Kraft bestimmt sich zu
Qnk = Qan = M2ϕ′2 = M2 . (2.43)
Zur Ermittlung der generalisierten Masse werden die Anteile der Korper 2 sowie 4 benotigt,
J(q) = JS2 ϕ′22 +
[m4 y
′2S4 + JS4 ϕ
′24
]= JS2 +
(m4
l2
4+ JS4
)ϕ′
24 = JS2 + JB4
(r
l4cos(q)
)2
.
(2.44)
Die Ableitung der generalisierten Masse nach der generalisierten Koordinate lautet
J ′(q) = 2 JB4 ϕ′4 ϕ
′′4 = −2 JB4
(r
l4
)2
cos(q) sin(q) = −JB4
(r
l4
)2
sin(2q) . (2.45)
Nach dem Einsetzen in die Bewegungsgleichung Gl. (2.41) erhalt man die Bewegungsgleichung(mathematisches Modell) des Mechanismus[
JS2 + JB4
(r
l4
)2
cos2(q)
]q − 1
2
[JB4
(r
l4
)2
sin(2q)
]q2 +m4 g
r
2l
l4cos(q) = M2 . (2.46)
Bei konstanter Antriebswinkelgeschwindigkeit Ω lautet das erforderliche Antriebsmoment
Man = M2 = −JB4Ω2
2
(r
l4
)2
sin(2ϕ2) +m4 gr
2l
l4cos(ϕ2) . (2.47)
Seite 18
Kapitel 3
Aufstellung der starren Maschine
Die Gestaltung der Aufstellung von Maschinen stellt ein wichtiges Arbeitsfeld der Maschinen-dynamik dar. Dies lasst sich darauf zuruckfuhren, dass die Aufstellungsorte wie Erdboden, Bau-werksdecken und Tragkonstruktionen elastische sowie dampfende Eigenschaften aufweisen unddemnach das Gesamtsystem Maschine und Fundamentierung als ein schwingungsfahiges Feder-Dampfer-Masse-System zu interpretieren ist. Somit stellt sich dem Konstrukteur die Aufgabe,durch geeignete Wahl der Systemparameter ein gewunschtes dynamisches Verhalten des Gesamt-systems zu erreichen.
Die aktive Schwingungsisolation von Maschinen ist durch konstruktive Maßnahmen gekenn-zeichnet, die zu einer Reduzierung der von der Maschine auf den Baugrund ausgeubten Kraftefuhren. Diese Krafte konnen zum einen aus einem unvollkommenen Massenausgleich bewegterMaschinenelemente (z.B. Koppelglieder, Rotoren), zum anderen aus dem Arbeitsprozess (z.B.bei Umformmaschinen) resultieren.
Bei der passiven Schwingungsisolation wird das mechanische System so abgestimmt, dass Weger-regungen der Fundamentierung nicht auf die Maschine ubertragen werden. Die passive Schwin-gungsisolation ist bei empfindlichen Messgeraten von großer Wichtigkeit, da ansonsten Messsto-rungen auftreten und z.B. Trittschall zu einer Geratebeschadigung fuhren kann.
Die Erregergroßen lassen sich in zwei Gruppen gliedern, die sich hinsichtlich ihrer methodischenBehandlung unterscheiden:
Bei periodischen Erregergroßen wird der Schwingungsisolation der eingeschwungene, stationareBetriebszustand zugrunde gelegt. Da jede periodische Funktion in eine FOURIER-Reihe ent-wickelt werden kann, ist bei linearen Schwingungssystemen (Superpositionsprinzip, Verstar-kungsprinzip) eine getrennte Untersuchung der einzelnen harmonischen Frequenzanteile zulassig.Das Schwingungssystem antwortet auf eine harmonische Erregerfunktion mit einer harmonischenAusgangsfunktion gleicher Frequenz, aber verschiedener Amplitude und Phase. Hierbei wird dieErregeramplitude mit einer frequenzabhangigen komplexen Funktion – der komplexen Ubertra-gungsfunktion – bewertet. Anhand des Betrages dieser komplexen Ubertragungsfunktion lassensich im Frequenzbereich Maßnahmen zur Schwingungsisolation ableiten, so dass die Erregergroßebei der Ubertragung reduziert wird.
Bei transienten Erregergroßen (nichtperiodische Ubergangssignale, z.B. Rechteckstoß, Halbsinus-stoß) wird zur Beurteilung der Schwingungsisolation die Systemantwort im Zeitbereich unter-sucht. Die im speziellen Anwendungsfall zur Schwingungsisolation geeigneten Maßnahmen lassensich bereits am Beispiel des Einmassenschwingers (Minimalmodell) ableiten. Im folgenden wer-den fur ein einfaches 1-FHG-System die Bewegungsgleichungen fur verschiedene Erregerarten
3.1 Schwingungsisolation bei harmonischer Erregung Seite 19
aufgestellt. Die Berechnung und Interpretation der jeweiligen komplexen Ubertragungsfunktionerlaubt dann Aussagen uber die Bedingungen fur eine Schwingungsisolation.
3.1 Schwingungsisolation bei harmonischer Erregung
3.1.1 Krafterregung
Die Bewegungsgleichung fur das in Abbildung 3.1 skizzierte 1-FHG-System unter Einwirkungeiner harmonischen Erregerkraft mit konstanter Amplitude lautet in komplexer Schreibweise
mx+ bx+ cx = F0ejΩt , (3.1)
wobei komplexe Großen durch Unterstreichung gekennzeichnet werden.
Abbildung 3.1: Krafterregung
Haufig wird diese Gleichung einer Zeittransformation unterzogen
τ = ω0t , (3.2)
wobei ω0 =√
cm die Eigenkreisfrequenz darstellt.
Die Ausfuhrung der Transformation auf die Eigenzeit τ liefert eine Darstellung der Bewegungs-gleichung, bei der die Anzahl der variablen Einflussgroßen auf eine dimensionslose Kennzahl,das LEHR’sche Dampfungsmaß D, reduziert wird,
x′′ + 2Dx′ + x =F0
cejητ . (3.3)
Hierbei werden die Abkurzung d( )dt = d( )
dτdτdt = ( )′ω0, das Frequenzverhaltnis η = Ω
ω0und das
LEHR’sche Dampfungsmaß D = b2mω0
= b2√mc
eingefuhrt.
Zur Bestimmung der partikularen Losung der DGL wird ein Ansatz nach Art der rechten Seiteaufgestellt und in die Bewegungsgleichung eingesetzt,
x = xejητ ⇒[−η2 + j2Dη + 1
]x =
F0
c. (3.4)
Als partikulare Losung ergibt sich
x =F0
c
1(1− η2) + j (2Dη)
=F0
c
1√(1− η2)2 + (2Dη)2
ej arctan
−2Dη
1−η2
, (3.5)
Seite 20 Kapitel 3: Aufstellung der starren Maschine
wobei der Zusammenhang zwischen der Krafterregung und der Auslenkung durch eine komplexeFunktion H(η)
H(η) =x
F0=
1c
1(1− η2) + j (2Dη)
(3.6)
angegeben wird, deren Betrag als Amplitudenfrequenzgang |H(η)|
|H(η)| = 1cV3(η) =
1c
1√(1− η2)2 + (2Dη)2
(3.7)
und deren Phasenverlauf als Phasenfrequenzgang ϕ(η)
ϕ(η) = arctan(−2Dη1− η2
)(3.8)
bezeichnet werden (Abbildung 3.2, dort ϕ(η) ≡ ψ3(η) ).
0 0.5 1 1.5 2 2.5 30
1
2
3
4
5
6
0 0.5 1 1.5 2 2.5 30
30
60
90
150
180
D = 0
D = 0
D = 0
D = 0.1
D = 0.1
D = 0.3
D = 0.3
D = 0.5
D = 0.5
D = 0.707
D = 0.707
D = 1
D = 1
D = 3
D = 3
D = 5
D = 5
V3( )´
Ã3( )´
´
´
Abbildung 3.2: Vergroßerungsfunktion V3(η) und Phasengang ψ3(η)fur Krafterregung
3.1 Schwingungsisolation bei harmonischer Erregung Seite 21
Der Amplitudenfrequenzgang und die Vergroßerungsfunktion V3(η)
V3(η) =1√
(1− η2)2 + (2Dη)2(3.9)
unterscheiden sich lediglich um den konstanten Faktor 1/c.
Ziel der aktiven Schwingungsisolierung ist die Reduzierung der von der Maschine in den Bo-den eingeleiteten Kraft. Hierzu wird die Losung der Dgl. in den Ausdruck fur die Bodenkrafteingesetzt,
FB(η, t) = cx+ bx =F0
cV3(η)ejϕ(η)ejητ [c+ jbω0η] . (3.10)
Mit dem Maximalwert der Bodenkraft
FB,max = F0V3(η)
√1 +
(bΩc
)2
= F0V3(η)√
1 + (2Dη)2 (3.11)
ergibt sich das Verhaltnis von Bodenkraft zu Erregerkraft zu
FB,max
F0=
√1 + (2Dη)2√
(1− η2)2 + (2Dη)2= V2,3(η) . (3.12)
Die in den Boden eingeleitete Kraft kann gegenuber der Erregerkraft reduziert werden, wenn dieBedingung
V2,3(η) =
√1 + (2Dη)2√
(1− η2)2 + (2Dη)2< 1 (3.13)
erfullt wird. Die Vergroßerungsfunktion V2,3 ist Abbildung 3.3 zu entnehmen.
V2,3( )´
´0 0.5 1 1.5 2 2.5 30
1
2
3
4
5
6
D = 0
D = 0.1
D = 0.3
D = 0.5
D = 0.707
D = 1
D = 3D = 5
Abbildung 3.3: Vergroßerungsfunktion V2,3(η)
Seite 22 Kapitel 3: Aufstellung der starren Maschine
Aus der graphischen Darstellung wird deutlich, dass fur Frequenzverhaltnisse mit
η >√
2 bzw. ω0 =√
c
m<
Ω√2
⇒ V2,3 < 1 (3.14)
die in den Boden eingeleitete Kraft kleiner als die Erregerkraft ist und somit aktive Schwingungs-isolation vorliegt. Weiterhin wirkt sich im uberkritischen Bereich eine geringe außere Dampfungpositiv aus, so dass schwach gedampfte Systeme eine geringe Bodenkraft ermoglichen. Allerdingsmuss sichergestellt sein, dass wahrend des Anlaufvorgangs die Resonanz ohne unzulassige Am-plitudenuberhohungen durchfahren werden kann (z.B. mit Hilfe von Zusatzdampfern wahrendder Resonanzdurchfahrt).
Wenn aus konstruktiven Grunden eine solche ”tiefe Abstimmung “nicht moglich ist, muss zu-mindest eine Verstarkung der Erregerkraft vermieden werden. Durch eine hohe Abstimmung desSchwingungssystems (große Federsteifigkeit, kleine Masse) wird erreicht, dass die Erregerkrafteunverstarkt auf das Fundament ubertragen werden.
Bei der Abstimmung ist jedoch stets zu beachten, dass bei einer:
• tiefen Abstimmung die niedrigste Erregerfrequenz
• hohen Abstimmung die hochste Frequenz
aus dem Erregerfrequenzspektrum maßgeblich sind.
3.1.2 Federkrafterregung
Wird das Schwingungssystem durch harmonische Fußpunktbewegung einer zusatzlichen Federzu Schwingungen angeregt (Abbildung 3.4), lautet die Bewegungsgleichung
mx+ bx+ (c+ cu)x = cuu0ejΩt (3.15)
bzw.x′′ + 2Dx′ + x = κu0e
jητ , (3.16)
in der κ =cu
c+ cudas Steifigkeitsverhaltnis bezeichnet.
Abbildung 3.4: Federkrafterregung
Der harmonische Losungsansatz liefert analog zur Krafterregung
x(η, τ) = κu01√
(1− η2)2 + (2Dη)2ejϕ(η)ejητ = κu0V3(η)ejϕ(η)ejητ . (3.17)
3.1 Schwingungsisolation bei harmonischer Erregung Seite 23
Fur die in den Boden eingeleitete Kraft gilt
FB = cx
[1 + j
bΩc
]= u0
c cuc+ cu
√1 + (2Dη)2√
(1− η2)2 + (2Dη)2ej[ϕ+ψ]ejητ (3.18)
bzw.FB(η) = u0 c κV2,3(η)ej[ϕ+ψ]ejητ , (3.19)
wobei ψ = arctan(bΩc
)= arctan(2Dη) ist.
Die Vergroßerungsfunktion fur die Bodenkraft entspricht der Vergroßerungsfunktion V2,3, sodass bezuglich der Schwingungsisolation entsprechend dem Fall der Krafterregung vorgegangenwerden kann.
3.1.3 Unwuchterregung (Harmonische Krafterregung mit veranderlicherAmplitude)
Die Bewegungsgleichung des in Abbildung 3.5 skizzierten 1-FHG-Systems unter Unwuchter-regung ergibt sich in komplexer Schreibweise zu
(m+mu)x+ bx+ cx = murΩ2ejΩt . (3.20)
Abbildung 3.5: Unwuchterregung
Das Durchfuhren der Zeittransformation auf Eigenzeit liefert
x′′ + 2Dx′ + x =mu
m+murΩ2
ω20
ejητ = κrη2ejητ , (3.21)
mit dem Massenverhaltnis κ = mum+mu
, der Eigenkreisfrequenz ω0 =√
cm+mu
sowie dem
LEHR’schen Dampfungsmaß D = b2(m+mu)ω0
= b
2√c(m+mu)
.
Der Losungsansatz nach Art der rechten Seite fuhrt auf
[−η2 + j2Dη + 1]x = κrη2 ⇒ x = κrη2
(1− η2) + j(2Dη)= κrV1(η)ejϕ(η) . (3.22)
Durch Zerlegung des komplexen Faktors in diesem Ausdruck erhalt man die Vergroßerungsfunk-tion fur die Unwuchterregung
V1(η) =η2√
(1− η2)2 + (2Dη)2= η2V3(η) (3.23)
Seite 24 Kapitel 3: Aufstellung der starren Maschine
0 0.5 1 1.5 2 2.5 30
1
2
3
4
5
6
D = 0
D = 0.1
D = 0.3
D = 0.5
D = 0.707
D = 1 D = 3
D = 5
V1
h
0 0.5 1 1.5 2 2.5 30
30
60
90
120
150
180
D = 0
D = 0
D = 0.1
D = 0.3
D = 0.5
D = 0.707
D = 1 D = 3 D = 5
y*
1
h
Abbildung 3.6: Vergroßerungsfunktion V1(η) und Phasengang ψ1(η)fur Unwuchterregung
sowie den Phasenfrequenzgang
ϕ(η) = arctan(−2Dη1− η2
). (3.24)
Analog zur Krafterregung lasst sich die Bodenkraft durch Einsetzen bestimmen,
FB,max = cx+ bω0x′ = κrV1(η)[c+ jbΩ] = κcrV1(η)
√1 + (2Dη)2ej[ϕ+ψ] , (3.25)
wobei ψ(η) = arctan(2Dη) ist.
Zusammengefasst ergibt sich fur die Bodenkraft infolge Unwuchterregung folgender Ausdruck,
FB(η, τ) = κcrV4(η)ej[ϕ+ψ]ejητ , (3.26)
mit der Vergroßerungsfunktion
V4(η) =η2
√1 + (2Dη)2√
(1− η2)2 + (2Dη)2, (3.27)
3.1 Schwingungsisolation bei harmonischer Erregung Seite 25
die in Abbildung 3.7 dargestellt ist. Man erkennt, dass zur aktiven Schwingungsisolation mitkleinen Bodenkraften eine hohe Abstimmung (η 1) gewahlt werden muss.
V4( )´
´0 0.5 1 2 2 2.5 30
1
2
3
4
5
6D = 0
D = 0.1
D = 0.2
D = 0.25
D = 0.5
D = 0.4
D = 0.707
D = 1
D = 2
D = 5
D = 10
Abbildung 3.7: Vergroßerungsfunktion V4
3.1.4 Feder-Dampfererregung
Das in Abbildung 3.8 dargestellte Ersatzmodell dient zur Untersuchung der passiven Schwin-gungsisolation. Hierbei wird das Schwingungssystem durch eine harmonische Bewegung des Fuß-punktes einer Feder-Dampfer-Parallelschaltung angeregt.
Abbildung 3.8: Feder-Dampfererregung
Die Bewegungsgleichung lautet
mx+ bx+ cx = cu+ bu = [c+ jbΩ]u0ejΩt = cu0
√1 +
(bΩc
)2
ejΩtejψ . (3.28)
Es gilt ψ = arctan(bΩc
).
Nach der Zeittransformation ergibt sich
x′′ + 2Dx′ + x = u0
√1 + (2Dη)2ejψ(η)ejητ . (3.29)
Seite 26 Kapitel 3: Aufstellung der starren Maschine
Uber einen harmonischen Losungsansatz berechnet sich die komplexe Amplitude der Schwin-gungsantwort zu
x(η) = u0
√1 + (2Dη)2√
(1− η2)2 + (2Dη)2ej[ϕ+ψ] = u0V2,3(η)ej[ϕ(η)+ψ(η)] , (3.30)
wobei ϕ(η) = arctan(−2Dη1−η2
)lautet.
Eine passive Schwingungsisolation liegt dann vor, wenn das Verhaltnis
xmax
u0=|x|u0
= V2,3(η) < 1 (3.31)
betragt. In diesem Fall wird lediglich ein entsprechend kleiner Anteil der Wegerregung auf dieMaschine bzw. das zu isolierende Gerat ubertragen (Abbildung 3.3).
3.2 Schwingungsisolation bei transienter Erregung
Die Untersuchung von Schwingungssystemen unter transienter Erregung (nichtperiodische Uber-gangsvorgange, wie z.B. Rechteckstoß, Sinusstoß, usw.) ist zur Auslegung der Schwingungsiso-lation bei Umformmaschinen von Bedeutung.
Die allgemeine Form der Bewegungsgleichung des abgebildeten Minimalmodells (Abbildung3.9) lautet
mx+ bx+ cx = F (t) (3.32)
bzw.
x′′ + 2Dx′ + x =F (τ)c
= g(τ)F0
c. (3.33)
F t( )
( )t
Abbildung 3.9: Minimalmodell fur transiente Erregung
3.2.1 Anregung durch einen Einheitsstoß
Infolge des Kraftstoßes erfahrt das ruhende mechanische System (Abbildung 3.9) gemaß derintegralen Form des Impulssatzes eine Impulsanderung
I =
0+ε∫0−ε
F (t)dt = m[x(0 + ε)− x(0− ε)] = mx(0 + ε) . (3.34)
3.2 Schwingungsisolation bei transienter Erregung Seite 27
Bei einem Einheitsstoß (I = 1) betragt diese Impulsanderung (infolge der Normierung auf Ei-genzeit mit der Dimension Lange)
I =
0+ε∫0−ε
F (τ)mω2
0
dτ = x′(0 + ε) ⇒ I = 1 ⇒ x′(0 + ε) =I√mc
= I = 1 . (3.35)
Somit ergibt sich die Losung der Dgl. aus der allgemeinen homogenen Losung (0 ≤ D ≤ 1)
xhom(τ) = e−Dτ [A cos(ντ) +B sin(ντ)] (3.36)
durch Anpassung an die Anfangsbedingungen unmittelbar nach dem Stoß (zum Zeitpunkt t =0 + ε)
x(0 + ε) = x(0− ε) = 0 und x′(0 + ε) =I√mc
= 1 , (3.37)
wobei die Abkurzung ν =√
1−D2 eingefuhrt wird.
Die Stoßubergangsfunktion oder Gewichtsfunktion xst ,
xst(τ) =1νe−Dτ sin(ντ) , (3.38)
ist fur 0 ≤ D ≤ 1 in Abbildung 3.10 dargestellt.
Mit der Gewichtsfunktion lassen sich uber das DUHAMEL’sche Faltungsintegral
xpart(τ) =
τ∫0
xst(τ − ξ)g(ξ)dξ =1ν
τ∫0
e−D[τ−ξ] sin (ν(τ − ξ)) g(ξ)dξ (3.39)
die partikularen Losungen fur beliebige, insbesondere nichtperiodische Erregungen g(τ) ermit-teln.
0 ¼¿
2¼ 3¼ 4¼
D = 0
D = 1
D = 0.1D = 0.3D = 0.5
D = 0.707
-1
-0.5
0
st
0.5
1
0 ¼¿
2¼ 3¼ 4¼0
0.5
1
1.5
2D = 0
D = 1
D = 0.1D = 0.3
D = 0.5
D = 0.707
sp
Abbildung 3.10: Gewichtsfunktion xst und Sprungubergangsfunktion xsp
3.2.2 Anregung mit der Einheits-Sprungfunktion
Die Antwort des Schwingungssystems (Abbildung 3.9) auf eine Anregung mit der Einheits-Sprungfunktion
g(τ) = 1(τ) =
0 fur τ < 01 fur τ ≥ 0
(3.40)
Seite 28 Kapitel 3: Aufstellung der starren Maschine
bezeichnet man als Sprungubergangsfunktion xsp. Diese ergibt sich gemaß dem DUHAMEL’schenFaltungsintegral als Integral der Gewichtsfunktion xsp(τ). Die Sprungubergangsfunktion be-stimmt sich fur 0 ≤ D ≤ 1 zu
xsp(τ) = 1− e−Dτ(
cos(ντ) +D
νsin(ντ)
). (3.41)
und ist in Abbildung 3.10 dargestellt.
3.2.3 Restamplitudenverhaltnis
Zur Vereinfachung der Untersuchung der Schwingungsisolation soll im folgenden der Sonderfalldes ungedampften Systems mit D = 0 betrachtet werden.
Zur Beurteilung der Isolationseigenschaft dient das Restamplitudenverhaltnis bzw. Restkraftver-haltnis. Das Restkraftverhaltnis ist definiert als das Verhaltnis des Maximalwertes der Boden-kraft zu dem Maximalwert der Erregerkraft, welches auch als Verhaltnis der entsprechendenVerschiebungsamplituden ausgedruckt werden kann,
VR|D=0 =FB,max
Fmax=
√x2(τs) + x′2(τs)
gmax. (3.42)
Hier bezeichnet τs die Stoßdauer, x(τs) die Auslenkung sowie x′(τs) die Geschwindigkeit zumZeitpunkt τ = τs.
Abschirmung liegt dann vor, wenn das Restkraftverhaltnis
VR|D=0 < 1 (3.43)
ist. Ansonsten (VR|D=0 > 1) wird die auf den Baugrund ubertragene Kraft großer als die Erre-gerkraft, so dass Verstarkung auftritt.
Beispiel: Rechteckstoß
Der Einfluß der Stoßdauer τs auf den Maximalwert der Bodenkraft bzw. Auslenkung ist dann be-sonders interessant, wenn sie kurzer als die halbe Periodendauer T der Sprungubergangsfunktionist (andernfalls ergibt sich das Maximum der Bodenkraft bei τ < τs),
ts <T
2bzw. τs <
ω0T
2= π . (3.44)
Infolge des Rechteckstoßes
g(τ) =F (τ)c
=
0 τ < 0F0c fur 0 ≤ τ ≤ τs
0 τ > τs
(3.45)
bestimmt sich die Losung der Bewegungsgleichung mit der Sprungantwort zu
x(τ) =
0 τ < 0F0c [1− cos(τ)] fur 0 ≤ τ ≤ τsx(τs) cos(τ − τs) + x′(τs) sin(τ − τs) τ > τs
. (3.46)
3.2 Schwingungsisolation bei transienter Erregung Seite 29
Die Losung fur τ > τs lasst sich mit ψ = arctan(x′(τs)x(τs)
)umschreiben in
x(τ) =√x(τs)2 + x′(τs)2 cos(τ − τs − ψ) , (3.47)
deren Maximalwert xmax =√x(τs)2 + x′(τs)2 lautet.
Somit lasst sich mit der maximalen Bodenkraft
FB,max = cxmax = c√x(τs)2 + x′(τs)2 = F0
√(1− cos(τs))2 + (sin(τs))2 (3.48)
bzw.FB,max = F0
√2[1− cos(τs)] = 2F0 sin
(τs2
)(3.49)
das Restkraftverhaltnis zuVR|D=0 = 2 sin
(τs2
)(3.50)
berechnen (Abbildung 3.11).
D = 0D = 0.3
D = 0.5
0 ¿S
V ¿( SR )
0,5¼ ¼ 1,5¼0
0,4
0,8
1,2
1,6
2
Abbildung 3.11: Restkraftverhaltnis fur einen Rechteckstoß
Die Auswertung der Abschirmbedingung ergibt dann die der jeweiligen Stoßdauer zugeordneteEigenkreisfrequenz ω0, bei der aktive Schwingungsisolation vorliegt
sin(τs
2
)<
12
⇒ ω0ts2
<π
6⇒ ω0 =
√c
m<
π
3ts. (3.51)
Hieraus wird ersichtlich, dass – zur aktiven Schwingungsisolation bei Rechteckstoßen – die Ei-genkreisfrequenz ω0 um so niedriger gewahlt werden muss, je großer die Stoßdauer ts ist. Fureinen Stoß der Dauer ts = 40 ms bestimmt sich die obere Grenze fur die Eigenkreisfrequenz zu
ω0,max =π
3 · (0, 04 s)= 26, 18 s−1 . (3.52)
3.2.4 Relativer Isolierwirkungsgrad
Der relative Isolierwirkungsgrad stellt ein Maß dafur dar, um wieviel die Bodenkraft bei Einfugenzusatzlicher Federn gegenuber der Bodenkraft bei direkter Lagerung auf dem Baugrund reduziertwerden kann (Abbildung 3.12). Hierzu wird die Differenz von maximaler Bodenkraft FB,G bei
Seite 30 Kapitel 3: Aufstellung der starren Maschine
direkter Grundung und maximaler Bodenkraft FB,G+F unter Verwendung zusatzlicher Federnauf die maximale Bodenkraft bei direkter Grundung bezogen,
Irel =FB,G − FB,G+F
FB,G= 1−
FB,G+F
FB,G, (3.53)
wobei der relative Isolierwirkungsgrad Werte zwischen Null und Eins annehmen kann(0 ≤ Irel ≤ 1).
Fur eine gute aktive Schwingungsisolation sind relative Isolierwirkungsgrade nahe bei Eins mitkleinen Bodenkraften anzustreben, wohingegen bei relativen Isolierwirkungsgraden nahe bei Nullnur eine geringe Reduzierung der in das Fundament eingeleiteten Krafte infolge der zusatzlichenFedern erreicht wird.
a) b)
Abbildung 3.12: Schwingungssysteme: a) Lagerung auf Baugrund, b)Lagerung auf Zusatzfedern
Beispiel: Rechteckstoß
Die in den Boden eingeleitete Kraft FB,G bei direkter Lagerung auf dem Baugrund ergibt sichmit ω0,G =
√cG/m zu
FB,G = 2F0 sin(ω0,Gts
2
), (3.54)
wahrend die Kraft FB,G+F bei Verwendung zusatzlicher Federn lautet
FB,G+F = 2F0 sin(ω0,G+F ts
2
)(3.55)
mit ω0,G+F =√
cGcF(cG+cF )m . Damit berechnet sich der relative Isolierwirkungsgrad zu
Irel = 1−sin
(ω0,G+F ts
2
)sin
(ω0,Gts
2
) . (3.56)
Fur kurze Stoße mit ω0,its 1 konnen die Sinusfunktionen jeweils durch ihre Argumente ersetztwerden, so dass fur den relativen Isolierwirkungsgrad gilt
Irel ≈ 1−ω0,G+F
ω0,G= 1−
√cF
cF + cG= 1− 1√
1 + cGcF
= 1− 1√1 +
f20,G
f20,F
. (3.57)
In Abbildung 3.13 ist der relative Isolierwirkungsgrad fur zwei Rechteckstoße verschiedenerDauer in Abhangigkeit vom Verhaltnis f0,G/f0,F dargestellt. Man erkennt, dass z.B. fur einenrelativen Isolierwirkungsgrad von 80% gilt:
Fur den gleichen Isolierwirkungsgrad muss beim Stoß mit der großeren Dauer also tiefer abge-stimmt werden.
3.2 Schwingungsisolation bei transienter Erregung Seite 31
ts = 0, 05 s f0,F = f0,G
5 cF = cG25
ts = 0, 15 s f0,F = f0,G
10 cF = cG100
Tabelle 3.1: Abstimmung fur gleichen relativen Isolierwirkungsgrad
1 5
ts = 0,05 s
ts = 0,15 s
10 15 20 250
20
40
[%]
80
100
f f0,G 0,F/
I el( /f f0,G 0,F)
Abbildung 3.13: Relativer Isolierwirkungsgrad (f0,G = 4Hz )
Seite 32
Kapitel 4
Torsionsschwingungen inAntriebssystemen
Die Vermeidung bzw. Reduzierung von Torsionsschwingungen ist bei den meisten Maschinen mitrotierenden Bauteilen von entscheidender Bedeutung, da sie einen wesentlichen Einfluss auf dieLebensdauer sowie auf das Betriebsverhalten bzw. Arbeitsergebnis (z.B. bei Druckmaschinen)haben.
Die Untersuchung der Torsionsschwingungssysteme ist historisch durch bedeutende Schadens-falle motiviert, die mit der Entwicklung der Kolbenmaschine als Antriebsmotor fur die luft-,wasser- und landgestutzten Fahrzeugsysteme (Zeppelin, Schiffe, Pkw) einhergingen. Zum prak-tischen Einsatz der Kolbenmaschine als Antriebsaggregat ist die Nachschaltung eines (gleichfor-mig ubersetzenden) Zahnradgetriebes zur Anpassung der Motorkennlinie an einen großen Ab-triebsdrehzahlbereich erforderlich. Als einfuhrendes Beispiel soll ein Funfgang-Vorgelegegetriebebetrachtet werden (Abbildung 4.1).
Abbildung 4.1: Funfgang-Schaltgetriebe (5 Vorwartsgange, 1 Ruck-wartsgang)
Seite 33
Die Antriebsbewegung wird von der Antriebswelle AN uber die Vorgelegewelle VG auf die Ab-triebswelle AB ubertragen. Die Vorgelegerader sind mit der Vorgelegewelle fest verbunden, wo-hingegen die Zahnrader auf der Abtriebswelle als Losrader, auf Walzelementen gelagert, aus-gefuhrt sind. Die Zahnrader der Vorgelegewelle und der Abtriebswelle kammen standig mitein-ander, wobei zur Momentenubertragung ein Abtriebszahnrad, mittels einer Schaltvorrichtung,uber eine Zahnkupplung mit der Abtriebswelle verbunden wird. Zur Realisierung des Ruck-wartsganges kann die Drehrichtung der Abtriebswelle uber die Schaltung des Zahnrades SRR,das infolge des Zwischenrades entgegengesetzt zur Antriebsrichtung dreht, umgekehrt werden.Einen Sonderfall stellt die Gangstufe 4 dar, bei der die Antriebswelle direkt mit der Abtriebswellegekuppelt wird. Der Antrieb erfolgt uber das Schwungrad SR.
Zur Berechnung des Bewegungsverhaltens soll im folgenden ein raumliches Ersatzmodell fureinen Teil des Getriebes vorgestellt werden (Abbildung 4.2).
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-
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Freiheitsgrade Antriebswelle Vorgelegewelle Abtriebswelle
Translation xan, yan, zan xv, yv, zv xab, yab, zab
Torsion ϕLan, ϕRan ϕLv , ϕ
Rv ϕLab, ϕ
Rab
Kippbewegung ψan, θan ψv, θv ψab, θab
Abbildung 4.2: Raumliches Ersatzmodell des Funfgang-Getriebes
Hierbei werden zur Modellierung vereinfachende Annahmen getroffen:• Statisch bestimmte Lagerung der Wellen (Fest-, Loslagerung).• Die Bewegungen der Wellen werden durch jeweils 7 Koordinaten beschrieben:
– Koordinaten, welche die Starrkorperbewegung angeben:
∗ Translatorische Verschiebung des Schwerpunktes: x, y, z∗ Verdrehung (Kippung) der Welle um die y-Achse: ψ∗ Verdrehung (Kippung) der Welle um die z-Achse: θ
– Koordinaten, welche die elastische Deformation (Torsion) kennzeichnen:
Seite 34 Kapitel 4: Torsionsschwingungen in Antriebssystemen
∗ Verdrehung des linken Wellenabschnitts: ϕL
∗ Verdrehung des rechten Wellenabschnitts: ϕR
• Schwingungen um einen stationaren Arbeitspunkt (konst. Antriebswinkelgeschwindigkeit,ϕs = Ω = const).
• Linearisierung der nichtlinearen Steifigkeiten (Spiel, progressive Kennlinie) fur Wellenla-gerung und Zahnradkontakt im Arbeitspunkt.
Das raumliche Ersatzmodell fur das Getriebe weist 21 FHG auf. Die Einordnung des Schaltge-triebes in das Gesamtsystem Antriebsstrang ist Abbildung 4.3 zu entnehmen:
Infolge der nachgeschalteten Komponenten des Antriebsstranges erhoht sich die Anzahl der zurBeschreibung erforderlichen Freiheitsgrade auf 29 FHG.
Die Antriebswelle ist uber das Keilwellenprofil (Zahnsteifigkeit 22) mit dem Schwungrad SRverbunden, dessen Winkelgeschwindigkeit fur einen bestimmten Arbeitspunkt als konstant an-genommen werden soll. Da somit die Bewegung an einem Ende der Schwingerkette vorgegebenist, handelt es sich um ein gefesseltes Schwingungssystem.
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Abbildung 4.3: Getriebe im Gesamtsystem Antriebsstrang
Die Kopplung des nachgeschalteten Antriebsstranges mit der Abtriebswelle des Schaltgetriebeserfolgt ebenfalls uber ein Keilwellenprofil (Zahnsteifigkeit 16). Bei der Kardanwelle ist zu beach-ten, daß diese Baugruppe ein nichtlineares Ubertragungsverhalten aufweist, wenn die Winkel-stellung der Ein- und Ausgangswelle zueinander einen allgemeinen Wert annimmt. Eine lineareWinkelgeschwindigkeitsubertragung ist z.B. bei einer parallelen Anordnung der Wellen gegeben.
Die zur Berechnung der Torsionsschwingungen geeigneten Ersatzmodelle fuhren in der Regel auflineare Differentialgleichungssysteme, wobei jedoch haufig eine große Anzahl von Freiheitsgradenauftritt.
4.1 Strukturen der Torsionsschwingungssysteme Seite 35
4.1 Strukturen der Torsionsschwingungssysteme
Bezuglich der Struktur lassen sich die Torsionsschwingungssysteme wie folgt untergliedern:
4.1.1 Glatter Wellenstrang
Dieses in Abbildung 4.4 dargestellte Ersatzmodell, welches sich aus einer Reihenschaltung(Schwingerkette) von diskreten masselosen Drehfedern sowie aus diskreten Drehmassen zusam-mensetzt, ist einfach zu berechnen. Das Modell dient zur Untersuchung von Torsionsschwingun-gen der Kurbelwelle bei Mehrzylindermaschinen, wobei die Erregerkrafte an den Drehmassenangreifen.
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!( *) *+ , *- *.
( ) + , -
Abbildung 4.4: Glatter Wellenstrang
4.1.2 Wellenstrang mit Ubersetzungen
Das Ersatzmodell in Abbildung 4.5 findet Anwendung bei der Untersuchung von Zahnradge-trieben mit konstanter Ubersetzung. Das kinematische Schema ist auch hier durch eine Baum-struktur gekennzeichnet, so daß eine Uberfuhrung auf die Form des glatten Wellenstranges mitmodifizierten Drehmassen sowie Steifigkeiten gelingt. Das einfuhrend vorgestellte Beispiel desFunfgang-Schaltgetriebes laßt sich zur Untersuchung von Torsionsschwingungen auf diese Er-satzmodellstruktur reduzieren.
Abbildung 4.5: Wellenstrang mit Ubersetzung
Seite 36 Kapitel 4: Torsionsschwingungen in Antriebssystemen
4.1.3 Verzweigter Antrieb
Diese Struktur ist dadurch charakterisiert, daß sich das kinematische Schema an einer Stelle invoneinander getrennte Zweige aufteilt (Abbildung 4.6). Eine Uberfuhrung auf die einfachsteStrukturform (glatter Wellenstrang) gelingt nicht mehr. Zur Berechnung konnen die einzelnenZweige von außen bis zur Verzweigungsstelle durchlaufen werden. Die Kopplung der Teilstruk-turen erfolgt dann uber die geometrischen Zwangsbedingungen an der Verzweigungsstelle.
Abbildung 4.6: Verzweigter Antrieb
4.1.4 Vermaschter Antrieb
Bei vermaschten Antriebsstrangen (Abbildung 4.7) wird der Kraftfluß zunachst auf verschiede-ne Zweige aufgeteilt und anschließend wieder zusammengefuhrt. Mit dieser Konstruktionsweisekann durch gegeneinander verspannte Getriebezweige Spielfreiheit im Antriebsstrang erreichtwerden (Anwendung bei Druckmaschinen).
4.1.5 Vermaschter Antrieb mit Querverbindung
Bei dieser – nur in speziellen Anwendungen gewahlten – Bauweise (Abbildung 4.8) bestehtzusatzlich zum vermaschten Antrieb eine Querverbindung innerhalb der Masche.
4.2 Ausgewahlte Probleme der Modellbildung von Torsions-schwingungssystemen
4.2.1 Reduzierung auf die Modellstruktur des glatten Wellenstranges
Im Rahmen der Ersatzmodellbildung werden haufig Torsionssysteme mit Ubersetzungen auf dieStruktur des glatten Wellenstranges uberfuhrt. Hierbei mussen mit den jeweiligen Ubersetzungs-verhaltnissen gewichtete reduzierte Steifigkeiten sowie reduzierte Massentragheitsmomente be-
4.2 Modellbildung von Torsionsschwingungssystemen Seite 37
Abbildung 4.7: Vermaschter Antrieb
Abbildung 4.8: Vermaschter Antrieb mit Querverbindung
stimmt werden. Auf diese Weise identifizierte Systemabschnitte, deren Steifigkeiten groß gegen-uber den restlichen Torsionssteifigkeiten sind, konnen jeweils in einer entsprechenden Drehmassezusammengefasst werden, so daß sich die Modelldimension und somit der Berechnungsaufwandreduzieren lasst.
Die Ermittlung der reduzierten Federsteifigkeiten sowie Massentragheitsmomente soll nachfol-gend anhand eines Beispiels betrachtet werden (Abbildung 4.9).
Der Reduktion werden energetische Betrachtungen zugrunde gelegt, da sowohl kinetische als auchpotentielle Energie des reduzierten Ersatzmodells denen des Ausgangsmodells entsprechen mus-sen.
Zunachst soll die Bestimmung der reduzierten Torsionssteifigkeiten vorgestellt werden. Der Wel-lenstrang des Ausgangsmodells ist bis zur Ubersetzung mit dem reduzierten Modell identisch.Damit ergeben sich die Koordinaten des reduzierten Systems zu
ϕr1 = ϕ1 sowie ϕr2 = ϕ21 (4.1)
und das reduzierte Massentragheitsmoment zu
Jr1 = J1 . (4.2)
Seite 38 Kapitel 4: Torsionsschwingungen in Antriebssystemen
Abbildung 4.9: Reduzierung des Torsionsschwingungssystems aufden glatten Wellenstrang
Da die potentielle Energie, die in der ersten Torsionsfeder gespeichert ist, bei dem reduziertenModell und dem Ausgangsmodell gleich sein muß,
U1 =12c1 [ϕ21 − ϕ1]
2 =12cr1 [ϕr2 − ϕr1]
2 =12cr1 [ϕ21 − ϕ1]
2 , (4.3)
bestimmt sich aus dem Koeffizientenvergleich die reduzierte Torsionssteifigkeit
cr1 = c1 . (4.4)
Analog hierzu lautet die potentielle Energie bezuglich der Torsionsfeder 2
U2 =12c2 [ϕ3 − ϕ22]
2 =12cr2 [ϕr3 − ϕr2]
2 . (4.5)
Fuhrt man in diese Beziehung die Walzbedingung
ϕ21r21 = −ϕ22r22 ⇒ ϕ22 = −r21r22
ϕr2 (4.6)
ein, so ergibt sich nach dem Einsetzen mit
U2 =12c2
[ϕ3 +
r21
r22ϕr2
]2
=12c2
(r21r22
)2 [−r22r21
ϕ3 − ϕr2
]2
(4.7)
die reduzierte Torsionssteifigkeit
cr2 = c2
(r21r22
)2
(4.8)
sowie eine Gleichung fur die reduzierte Koordinate der Drehmasse 3
ϕr3 = −r22r21
ϕ3 . (4.9)
Zur Berechnung der reduzierten Massentragheitsmomente wird die Identitat der kinetischenEnergie von Ausgangsmodell und reduziertem Modell herangezogen. Die der Koordinate ϕr2
4.2 Modellbildung von Torsionsschwingungssystemen Seite 39
zugeordnete kinetische Energie bestimmt sich zu
T2 =12Jr2 (ϕr2)
2 =12
[J21ϕ
221 + J22ϕ
222
]=
12
[J21 (ϕr2)
2 + J22
(r21r22
)2
(ϕr2)2
], (4.10)
woraus das reduzierte Massentragheitsmoment
Jr2 = J21 + J22
(r21r22
)2
(4.11)
ermittelt werden kann.
Fur die Drehmasse 3 gilt entsprechend
T3 =12Jr3 (ϕr3)
2 =12J3ϕ
23 =
12
[J3
(r21r22
)2]
(ϕr3)2 , (4.12)
so daß das reduzierte Massentragheitsmoment lautet
Jr3 = J3
(r21r22
)2
. (4.13)
4.2.2 Ermittlung von Ersatzfederkonstanten
Bei abgesetzten Wellen mit Abschnitten unterschiedlichen Durchmessers sowie bei Wellen mitkontinuierlicher Querschnittsanderung besteht zur Ermittlung der Modellparameter die Notwen-digkeit der Berechnung resultierender Gesamtfederkonstanten.
Die resultierende Gesamttorsionssteifigkeit bestimmt sich fur eine Reihenschaltung mehrererEinzelfedern zu
1cTges
=n∑i=1
1cTi
(4.14)
sowie im Fall einer Parallelschaltung zu
cTges =n∑i=1
cTi . (4.15)
Die Torsionsfederkonstante ergibt sich fur einen Wellenabschnitt mit konstantem Querschnitt zu
cTi =GITili
, (4.16)
wobei G den Schubmodul, ITi das Torsionsflachentragheitsmoment und li die Lange des Wellen-abschnitts bezeichnet.
Fur einen Wellenabschnitt mit veranderlichem Torsionsflachentragheitsmoment ITi(x) lautet dieTorsionsfederkonstante
cTi =G
li∫0
dxITi(x)
. (4.17)
Seite 40 Kapitel 4: Torsionsschwingungen in Antriebssystemen
Zum Vergleich untereinander verschiedener Torsionsfedern cTi werden haufig die Langen lri vonTorsionsfedern herangezogen, die sich bei Vorgabe eines konstanten Torsionsflachentragheitsmo-mentes IT0 ergeben,
lri =IT0
ITili . (4.18)
Somit wird einer kleineren Torsionssteifigkeit
cT1 < cT2 (4.19)
eine Torsionsfeder vorgegebenen Torsionsflachentragheitsmomentes mit großerer Lange
lr1 > lr2 (4.20)
zugeordnet. Die berechneten Federlangen sind demnach den Torsionsnachgiebigkeiten propor-tional.
4.2.3 Zahnsteifigkeitsmodell
Ein einfacher Ansatz zur Berucksichtigung der Zahnsteifigkeit besteht in der Beschreibung derSteifigkeit einer Zahnradpaarung durch eine lineare Feder in Richtung der Eingriffslinie, die sichals Tangente an die Grundkreise der Zahnrader ergibt (Abbildung 4.10). Der Eingriffswinkelbestimmt sich bei einer Evolventen-Normalverzahnung zu α0 = 20.
!
!
Abbildung 4.10: Ersatzmodell zur Berucksichtigung der Zahnsteifigkeit
Die Bewegungsgleichungen fur die freigeschnittenen Zahnrader 1 und 2 lauten mit der FederkraftFz und den Grundkreisradien rgi
J1ϕ1 = −Fzrg1 ,
(4.21)J2ϕ2 = −Fzrg2 .
Die Federkraft ergibt sich zuFz = cz (rg1ϕ1 + rg2ϕ2) , (4.22)
4.3 Freie Torsionsschwingungen diskreter linearer Systeme Seite 41
wenn die Verschiebungen der Federendpunkte in Abhangigkeit von den Drehwinkeln der Zahn-rader ausgedruckt werden.
Durch Betrachtung der rechtwinkligen Dreiecke mit den Eckpunkten: Walzpunkt, Beruhrpunktvon Eingriffslinie und jeweiligem Grundkreis sowie des entsprechenden Zahnradmittelpunkteslassen sich die Grundkreisradien substituieren,
cosα0 =rg1r1
=rg2r2
. (4.23)
Die Bewegungsgleichung fur die freie Torsionsschwingung einer Zahnradpaarung bestimmt sichnach Einsetzen der obigen Beziehungen zu[
J1 00 J2
] [ϕ1
ϕ2
]+
[czr1
2 cos2 α0 czr1r2 cos2 α0
czr1r2 cos2 α0 czr22 cos2 α0
] [ϕ1
ϕ2
]=
[00
]. (4.24)
4.3 Freie Torsionsschwingungen diskreter linearer Systeme
Die freien Torsionsschwingungen diskreter linearer Systeme (diskrete Drehfedern, diskrete Dreh-massen) mit mehreren Freiheitsgraden werden durch ein (gewohnliches) homogenes Differenti-algleichungssystem
Mq + Kq = 0 (4.25)
beschrieben, wobei M die symmetrische Massenmatrix und K die symmetrische Steifigkeits-matrix bezeichnen. Die Symmetrie der Steifigkeitsmatrix ergibt sich nach dem Satz vonMAXWELL-BETTI, wonach eine Kraft F1 mit Angriffspunkt x1 an der Stelle x2 zu einer gleichgroßen Durchsenkung fuhrt, wie eine Kraft F2 = F1 mit Angriffspunkt x2 an der Stelle x1.
Bei der Untersuchung von Torsionssystemen unterscheidet man hinsichtlich der Randbedingun-gen:
Gefesselte Torsionssysteme liegen dann vor, wenn die Bewegung des Schwingungssystems anmindestens einem Ende vorgegeben ist, d.h. eine beliebige freie Starrkorperdrehung des Systemsohne elastische Verformung unmoglich ist. Dies ist dann gegeben, wenn ein Ende entweder festeingespannt oder mit einer so großen Drehmasse verbunden ist, daß die Ruckwirkung der Tor-sionsschwingung auf die Bewegung der Drehmasse vernachlassigt werden kann.
Mathematisch entspricht einem gefesselten Schwingungssystem eine regulare Steifigkeitsmatrix
det(K) 6= 0 ⇔ K regular . (4.26)
Freie bzw. ungefesselte Systeme sind dadurch charakterisiert, daß jede beliebige Starrkorperdre-hung eine Losung der Bewegungsgleichung darstellt. Die Enden des Torsionsschwingungssystemskonnen sich frei bewegen. Kennzeichnend fur ungefesselte Systeme ist eine singulare Steifigkeits-matrix
det(K) = 0 ⇔ K singular . (4.27)
Beispiel:
Zur Beschreibung der freien Torsionsschwingungen des skizzierten freien Systems mit zwei Dreh-massen (J1, J2) und einer dazwischenliegenden Drehfeder (Drehfederkonstante c) sollen die Dreh-koordinaten ϕ1 und ϕ2 verwendet werden (Abbildung 4.11).
Seite 42 Kapitel 4: Torsionsschwingungen in Antriebssystemen
Abbildung 4.11: 2-FHG-Torsionsschwingungssystem
Die Bewegungsgleichungen ergeben sich aus dem Drallsatz (EULER) zu
J1ϕ1 = −c (ϕ1 − ϕ2)sowie J2ϕ2 = c (ϕ1 − ϕ2) .
Faßt man die beschreibenden Koordinaten in einem Vektor q zusammen
q =[ϕ1
ϕ2
], (4.28)
so ergeben sich die Bewegungsgleichungen in Matrizenschreibweise zu[J1 00 J2
] [ϕ1
ϕ2
]+
[c −c−c c
] [ϕ1
ϕ2
]=
[00
]bzw. Mq + Kq = 0 . (4.29)
Die Steifigkeitsmatrix K des ungefesselten Systems ist singular, was durch Bilden der Determi-nante uberpruft werden kann
det (K) = c2 − c2 = 0 . (4.30)
4.3.1 Losung der homogenen Bewegungsgleichung
Zur Losung des homogenen Differentialgleichungssystems wird ein komplexer Ansatz gewahlt
q = v ejωt , (4.31)
welcher nach dem Einsetzen auf das allgemeine Eigenwertproblem fuhrt[K− ω2M
]v = 0 . (4.32)
Die gesuchten nichttrivialen Losungen des Eigenwertproblems, die Eigenwerte ωi, ergeben sichaus dem charakteristischen Polynom bzw. der charakteristischen Gleichung
det(K− ω2M
)= 0 . (4.33)
Durch Einsetzen der Eigenwerte ωi in das singulare Gleichungssystem[K− ωi
2M]vi = 0 (4.34)
4.3 Freie Torsionsschwingungen diskreter linearer Systeme Seite 43
erhalt man anschließend die zu den Eigenwerten ωi gehorigen Rechtseigenvektoren vi. Da dieseEigenvektoren vi aus einem singularen Gleichungssystem berechnet werden, sind sie nur bis aufeinen Faktor bestimmt, so daß eine Komponente beliebig gewahlt bzw. eine Normierung desEigenvektors vorgenommen werden kann.
Wahrend die Eigenwerte ωi die Kreisfrequenz der freien Torsionsschwingungen darstellen, gebendie Komponenten des Rechtseigenvektors das zugehorige Amplitudenverhaltnis, die Eigenform,an.
Beispiel:
Der komplexe Losungsansatz fuhrt fur das vorhergehende Beispiel auf das allgemeine Eigenwert-problem
q = v ejωt ⇒[c− J1ω
2 −c−c c− J2ω
2
] [v1v2
]=
[00
], (4.35)
wobei v die Rechtseigenvektoren sind.
Aus dem charakteristischen Polynom
det[c− J1ω
2 −c−c c− J2ω
2
]= ω2
(J1J2ω
2 − c (J1 + J2))
= 0 (4.36)
konnen die Eigenwerte zu
ω1 = 0 sowie ω2 = ±
√c (J1 + J2)J1J2
(4.37)
bestimmt werden.
Die Eigenwerte sind bei dem vorliegenden dampfungsfreien linearen System stets reell. Setztman die Eigenwerte in das singulare Gleichungssystem ein, so erhalt man
ω1 = 0 ⇒ cv11 − cv21 = 0 (4.38)
bzw.
ω2 = ±
√c (J1 + J2)J1J2
⇒[c− c (J1 + J2)
J2
]v12 − cv22 = 0 . (4.39)
Normiert man jeweils die erste Komponente des Eigenvektors z.B. zu 1, so ergeben sich diereellen Eigenvektoren zu
v1 =[v11
v21
]=
[11
]und v2 =
[v12v22
]=
[1−J1J2
]. (4.40)
Man erkennt, daß dem Eigenwert ω1 = 0 die Starrkorperbewegung (v11 = v21) zugeordnet ist,
wahrend der Eigenwert ω2 = ±√
c(J1+J2)J1J2
eine Gegentaktschwingung (v12 > 0, v22 < 0) kenn-zeichnet.
Die Eigenbewegung des Systems wird beschrieben durch
q1 = v12 [A1 +A2t] + v12 [A3 cos (ω2t) +A4 sin (ω2t)] ,
(4.41)q2 = v21 [A1 +A2t] + v22 [A3 cos (ω2t) +A4 sin (ω2t)] ,
wobei die Konstanten Ai aus den Anfangsbedingungen bestimmt werden mussen.
Seite 44 Kapitel 4: Torsionsschwingungen in Antriebssystemen
4.3.2 HOLZER-TOLLE-Verfahren
. . .
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*
3 3
Abbildung 4.12: Torsionsschwingerkette
Das HOLZER-TOLLE-Verfahren stellt ein rekursives numerisches Verfahren zur naherungswei-sen Ermittlung der n Eigenkreisfrequenzen sowie der zugehorigen Eigenformen von Torsions-schwingerketten mit n Freiheitsgraden dar (Abbildung 4.12).
Hierzu wird fur die Eigenbewegung ein harmonischer Ansatz gewahlt,
ϕi = ϕi cos (ωt) . (4.42)
Bei einer Eigenbewegung andern sich die Verdrehwinkel ϕi der einzelnen Drehmassen gemaß demobigen Ansatz nach derselben Zeitfunktion (Eigenkreisfrequenz ω), wobei die Amplituden stetsin einem charakteristischen Verhaltnis zueinander stehen. Da das Verhaltnis durch eine Normie-rung nicht verandert wird, kann fur eine Drehmasse (z.B. die erste) die Amplitude ϕ1 vorgegebenwerden. Die verbleibenden Amplituden sind mit dieser Vorgabe festgelegt. Die beliebig normier-te Gesamtheit der Amplituden ϕi, die fur die jeweilige Eigenschwingung charakteristisch ist,bezeichnet man als Eigenform.
Zu einer geschatzten Eigenkreisfrequenz ω werden rekursiv die Schwingungsamplituden ermit-telt. Die Amplitude ϕ1 der ersten Drehmasse J1 wird willkurlich zu Eins gewahlt. Die Amplitudender in der Schwingerkette nachfolgenden Drehmassen berechnen sich dann rekursiv zu
ϕi+1 = ϕi −ω2
ci
i∑k=1
Jkϕk . (4.43)
Ein Eigenwert und die zugehorige Eigenform sind dann gefunden, wenn gilt
n∑k=1
Jkϕk = 0 . (4.44)
In der Regel ist die geschatzte Eigenkreisfrequenz ω ungleich der gesuchten Eigenkreisfrequenz ω,so daß die Abbruchbedingung nicht erfullt ist. Dann muß die Schatzung der Eigenkreisfrequenzso lange verbessert werden, bis die Restgroße ∆ kleiner als eine gewahlte Schranke ε ist
∆ =n∑k=1
Jkϕk < ε . (4.45)
4.3 Freie Torsionsschwingungen diskreter linearer Systeme Seite 45
Fur eine effiziente Suche wird man ausgehend von einem Startwert fur die Eigenkreisfrequenzdie Restgroße berechnen und den Schatzwert fur die Eigenkreisfrequenz stufenweise erhohen. Beijedem Vorzeichenwechsel kann dann der gesuchte Wert uber eine Linearinterpolation aus demaktuellen und dem vorhergehenden Schatzwert bestimmt werden. Mit dieser Eigenkreisfrequenzkann aus der Rekursionsgleichung die entsprechende Eigenform ermittelt werden.
Das Suchspektrum muß vergroßert bzw. die Schrittweite fur die Inkremente der Eigenkreisfre-quenzen mussen verkleinert werden, wenn fur ein n-FHG-System nicht samtliche n Eigenwerteund Eigenformen gefunden werden konnten.
4.3.3 Verfahren der Ubertragungsmatrizen
Die Idee des Verfahrens der Ubertragungsmatrizen besteht in einer Aufteilung der Struktur ingleichartige Felder (z.B. Torsionsfeder, Drehmasse) und der Definition von Zustandsvektoren,die sowohl kinematische als auch kinetische Zustandsgroßen enthalten und das Systemverhaltenan den Endpunkten der Felder beschreiben.
Zur Berechnung von Torsionsschwingungen wird der stationare, eingeschwungene Zustand be-trachtet, wobei als Zustandsgroßen der Drehwinkel (kinematische Zustandsgroße) und das Tor-sionsmoment (kinetische Zustandsgroße) verwendet werden.
Fur die einzelnen Feldarten muß der Zusammenhang zwischen den Zustandsgroßen am linkenRand und den Zustandsgroßen am rechten Rand des Feldes aus Gleichgewichtsbeziehungen(Drallsatz) sowie kinematischen Zwangsbedingungen (Ubersetzungsverhaltnis einer Getriebes-tufe) hergeleitet bzw. einem Katalog entnommen werden. Dieser Zusammenhang wird in Formeiner Matrizengleichung formuliert
zRi = UizLi , (4.46)
wobei zRi =[ϕM
]Ri
den Zustandsvektor am rechten Rand des Feldes i, zLi =[ϕM
]Li
den
Zustandsvektor am linken Rand des Feldes i und Ui =[U11 U12
U21 U22
]i
die Ubertragungsmatrix
des Feldes i bezeichnet.
Die Ubertragungsmatrix Ui liefert also bei bekanntem Zustandsvektor zLi am linken Feldrandden Zustandsvektor zRi am rechten Rand des Feldes. Zur Veranschaulichung sollen im folgendenfur haufig auftretende Felder die Ubertragungsmatrizen hergeleitet werden.
Ubertragungsmatrix fur eine Drehmasse:In Abbildung 4.13 ist eine freigeschnittene Drehmasse dargestellt. Die kinematische Zwangs-bedingung fur den Drehwinkel ϕLi am linken bzw. ϕRi rechten Rand lautet
ϕLi = ϕRi = ϕi . (4.47)
Aus dem Drallsatz (EULER) fur die Drehmasse i mit dem Massentragheitsmoment Ji folgt derZusammenhang zwischen den kinetischen Zustandsgroßen ML
i am linken und MRi am rechten
FeldrandJiϕi = MR
i −MLi . (4.48)
Fur eine Torsionsschwingung im eingeschwungenen Zustand (harmonische Bewegung) gilt
ϕi = ϕi cos (ωt) ⇒ ϕi = −ω2ϕi cos (ωt) = −ω2ϕi , (4.49)
Seite 46 Kapitel 4: Torsionsschwingungen in Antriebssystemen
Abbildung 4.13: Freigeschnittene Drehmasse
so daß sich die kinetische Zustandsgroße am rechten Feldrand in Abhangigkeit von den Zustands-großen am linken Feldrand ausdrucken lasst,
MRi = −ω2Jiϕ
Li +ML
i . (4.50)
Fasst man die Gleichungen in Matrizenschreibweise zusammen, ergibt sich[ϕM
]Ri
=[
1 0−ω2J 1
]i
[ϕM
]Li
bzw. zRi = MizLi . (4.51)
Somit lautet die Ubertragungsmatrix fur eine starre Drehmasse
Mi =[
1 0−ω2J 1
]i
. (4.52)
Man sieht an der Besetzung der Diagonalen mit Elementen des Betrages Eins, daß der linke Zu-standsvektor vollstandig nach rechts ubertragen wird. Das Nebendiagonalelement hat zur Folge,daß ein Zusatzbeitrag (Tragheitswirkung der Drehmasse) bezuglich des Momentes entsteht. DieEigenkreisfrequenzen ω der Torsionsschwingungen sind hierbei zunachst als Unbekannte anzu-setzen. Sie konnen erst nach Einsetzen der Randbedingungen fur das aus den Feldern zusam-mengesetzte Gesamtsystem bestimmt werden.
Ubertragungsmatrix fur eine masselose Drehfeder:
Fur die in Abbildung 4.14 skizzierte Torsionsfeder gilt bezuglich des Torsionsmomentes
MRi = ML
i+1 . (4.53)
Abbildung 4.14: Freigeschnittene Drehfeder (masselos)
Um die Transformation fur den Verdrehwinkel zu erlangen, wird das Torsionmoment in Abhan-gigkeit von den Drehwinkeln ϕLi+1 auf der rechten sowie ϕRi auf der linken Seite des Drehfeder-feldes formuliert,
MLi+1 = MR
i = ci(ϕLi+1 − ϕRi
)⇒ ϕLi+1 = ϕRi +
1ciMRi . (4.54)
4.3 Freie Torsionsschwingungen diskreter linearer Systeme Seite 47
Die Gleichungen konnen wiederum in Matrizenschreibweise zusammengefasst werden,[ϕM
]Li+1
=[
1 1ci
0 1
] [ϕM
]Ri
bzw. zLi+1 = FizRi , (4.55)
so daß sich die Ubertragungsmatrix fur eine masselose Drehfeder i wie folgt ergibt,
Fi =[
1 1c
0 1
]i
. (4.56)
Ubertragungsmatrix fur eine massebehaftete Getriebeubersetzung
Fur die Kinematik der in Abbildung 4.15 skizzierten Zahnradpaarung i gilt (Abwalzen derZahnrader)
ϕLi rH,i = −ϕRi ri2 ⇒ ϕRi = −ri1ri2
ϕLi = −uiϕLi , (4.57)
wobei das Ubersetzungsverhaltnis der Getriebestufe i durch ui = ri1ri2 = −ϕ
Ri
ϕLiangegeben wird.
!" #$%'&()%'"! *%'+ ,.-0/2143
Abbildung 4.15: Massebehaftete Zahnradubersetzung
Durch Betrachtung der Zahnradumfangskraft
FU =MLi − ω2 Ji1 ϕ
Li
ri1=−MR
i − ω2 Ji2 ϕRi
ri2(4.58)
lasst sich die Ubertragungsgleichung fur die Torsionsmomente
MRi =
ω2 Ji1 ϕLi −ML
i
ui+ ω2 Ji2 ui ϕLi (4.59)
ermitteln. Nach der Formulierung der Transformation in Matrizenschreibweise[ϕM
]Ri
=
[−u 0
ω2J1u + ω2J2u − 1
u
]i
[ϕM
]Li
bzw. zRi = Gi zLi (4.60)
Seite 48 Kapitel 4: Torsionsschwingungen in Antriebssystemen
kann die Ubertragungsmatrix fur die massebehaftete Getriebeubersetzung
Gi =
[−u 0
ω2J1u + ω2J2u − 1
u
]i
(4.61)
angegeben werden.
Die Anwendung des Verfahrens der Ubertragungsmatrizen soll im folgenden anhand eines ein-fachen Beispiels vorgestellt werden (Abbildung 4.16).
Nach der Unterteilung des Systems in die entsprechenden Felder (Torsionsfedern, Drehmassen)werden an den Randern dieser Felder die Zustandsvektoren eingefuhrt, welche die Drehwinkelsowie die Schnittmomente beschreiben.
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(. 0/
. /
Abbildung 4.16: Torsionsschwingungssystem
Somit kann fur jedes Feld eine Matrizengleichung aufgestellt werden, die die Ubertragung desZustandsvektors am linken Feldrand auf den Zustandsvektor am rechten Rand angibt
zL1 = F1zR0 ,
zR1 = M1zL1 ,
zL2 = F2zR1 ,
zR2 = M2zL2 . (4.62)
Man erkennt, daß durch sukzessives Einsetzen der Zustandsvektoren eine Matrizengleichunggewonnen werden kann, welche die Ubertragung vom ersten Zustand des Gesamtsystems auf denletzten Zustand des Gesamtsystems beschreibt. Der entscheidende Vorteil ist hierbei, daß dieDimension der Gesamtubertragungsmatrix Uges der Dimension einer Feldubertragungsmatrixentspricht,
zR2 = M2 F2 M1 F1 zR0 = UgeszR0 . (4.63)
Zur Ermittlung der Eigenfrequenzen muß diese allgemeine Ubertragungsgleichung an die Rand-bedingungen des vorliegenden Systems angepasst werden.
Die feste Einspannung bewirkt, daß der Verdrehwinkel beim Zustand 0 identisch Null ist. Ebensomuß fur den Zustand 2R das Moment am freien Ende gleich Null sein,
ϕR0 = 0 ,
(4.64)MR
2 = 0 .
4.4 Erzwungene Torsionsschwingungen Seite 49
Somit lautet die an die gegebenen Randbedingungen angepasste Gesamtubertragungsgleichungausfuhrlich [
ϕR20
]=
[U11
(ω2
)U12
(ω2
)U21
(ω2
)U22
(ω2
) ]ges
[0MR
0
]. (4.65)
Hieraus erhalt man folgende Gleichung
U22,ges
(ω2
)MR
0 = 0 ⇒ U22,ges
(ω2
)= 0 . (4.66)
Berucksichtigt man, daß die Elemente der Gesamtubertragungsmatrix Funktionen der Eigen-kreisfrequenzen sind, so stellt U22,ges
(ω2
)= 0 ein Polynom dar, aus dem die gesuchten Eigen-
kreisfrequenzen berechnet werden konnen (charakteristisches Polynom).
Eine analytische Nullstellenbestimmung gelingt nur fur Systeme kleiner Ordnung, so daß in derRegel numerisch vorgegangen werden muß. Hierzu wird der Betrag der obigen Funktion fur dis-krete geschatzte Eigenkreisfrequenzen berechnet, wobei die Stufung hinreichend fein zu wahlenist (Determinantensuchmethode). Bei Vorzeichenwechseln konnen die Nullstellen des Polynoms,die Eigenkreisfrequenzen ω, mittels linearer Interpolation bestimmt werden.
Sind die Eigenkreisfrequenzen berechnet, so verbleibt zur vollstandigen Losung der Schwingungs-analyse die Ermittlung der Eigenformen. Gibt man hierbei fur die Auslenkung am rechten Randdes Gesamtsystems eine (willkurliche) Amplitude ϕR2 vor, so laßt sich das Einspannmoment
ϕR2 = U12,gesMR0 ⇒ MR
0 =1
U12,gesfur ϕR2 = 1 (4.67)
berechnen. Damit ist der Startvektor zR0 vollstandig bekannt und die nachfolgenden Zustands-vektoren sind durch sukzessives Einsetzen bestimmbar.
Wahrend sich die Ubertragungsmatrizen bei unverzweigten Torsionsschwingungssystemen vor-teilhaft einsetzen lassen und eine einfache Bestimmung der Eigenwerte sowie Eigenformen er-moglichen, geht dieser Vorteil bei verzweigten bzw. vermaschten Systemen verloren.
Weiterhin gilt, daß die Berucksichtigung von Drehdampfern zwar grundsatzlich moglich ist undentsprechende Ubertragungsmatrizen angegeben werden konnen. Ein erheblicher Nachteil be-steht jedoch darin, daß die – bei gedampften Systemen – komplexen Eigenwerte in der komple-xen Ebene gesucht werden mussen. Daher ist bei komplizierteren Systemen von der Anwendungdes Verfahrens abzuraten und die Verwendung des Verfahrens der finiten Elemente vorzuziehen.
4.4 Erzwungene Torsionsschwingungen
Eine mogliche Klassifizierung erzwungener Schwingungen besteht in einer Einteilung hinsichtlichder Zeitabhangigkeit der Erregergroßen. Neben transient erregten Torsionsschwingungen, die z.B.bei Kupplungs- und Bremsvorgangen auftreten konnen, besitzen in der Praxis die periodischerregten Torsionsschwingungen die großte Bedeutung.
Diese treten insbesondere bei Kolbenmaschinen auf, wo infolge der Massen- bzw. Fluidkrafteperiodische Momente in die Kurbelwelle eingeleitet werden. Zur Auslegung der Kurbelwelle sinddaher dynamische Berechnungen unverzichtbar.
Bei Zahnradgetrieben bewirken periodisch auftretende Zahnstoße infolge fehlerhafter Zahnraderhochfrequente Torsionsschwingungen, die neben der Funktionsbeeintrachtigung zu einer erhohtenLarmemission fuhren.
Seite 50 Kapitel 4: Torsionsschwingungen in Antriebssystemen
Ein besonderes Phanomen stellen parametererregte Schwingungen dar, die auf periodisch ver-anderliche Steifigkeiten oder Massentragheitsmomente zuruckzufuhren sind. Ein Beispiel hierfursind Systeme, bei denen einem Zahnradgetriebe ein ungleichformig ubersetzendes Getriebe nach-geschaltet ist.
Die periodisch erregten Torsionsschwingungen diskreter linearer Systeme werden allgemein durchdas Differentialgleichungssystem (M-D-K-System)
Mq + Dq + Kq = f(t) (4.68)
beschrieben, wobei der Vektor der Erregerkraftgroßen f(t) durch eine endliche FOURIER-Reiheangenahert werden kann. Nach dem Ubergang auf die komplexe Schreibweise (unterstricheneGroßen) folgt
f(t) → fn(t) =n∑
k=−nfke
jkΩt . (4.69)
Unter Beachtung des fur lineare Systeme gultigen Superpositionsprinzips kann die Gesamtlosungdurch Uberlagerung der Einzellosungen fur die jeweiligen Harmonischen der Erregerkraftgroßengewonnen werden.
Daher soll zunachst allgemein die partikulare Losung qk
infolge der k-ten Harmonischen fk desAnregungsspektrums ermittelt werden,
Mqk
+ Dqk
+ Kqk
= fk = fkejkΩt . (4.70)
Mit dem harmonischen Ansatzqk
= qkejkΩt (4.71)
und dessen Zeitableitungenqk
= jkΩqkejkΩt = jkΩq
k(4.72)
sowieqk
= −k2Ω2qkejkΩt = −k2Ω2q
k(4.73)
erhalt man nach Einsetzen in die Bewegungsgleichung die Matrizengleichung[−k2Ω2M + jkΩD + K
]qk
= fk (4.74)
bzw. abgekurztS (jkΩ) q
k= fk , (4.75)
in der die komplexe Matrix S (jkΩ) die dynamische Steifigkeitsmatrix darstellt,
S (jkΩ) =[−k2Ω2M + jkΩD + K
]. (4.76)
Nach Multiplikation mit der zu der dynamischen Steifigkeitsmatrix inversen Matrix berechnetsich der Vektor der komplexen Amplituden q
kinfolge der k-ten Harmonischen fk zu
qk
=[−k2Ω2M + jkΩD + K
]−1 fk = H (jkΩ) fk . (4.77)
Die komplexe Matrix
H (jkΩ) =[−k2Ω2M + jkΩD + K
]−1 = S (jkΩ)−1 (4.78)
4.4 Erzwungene Torsionsschwingungen Seite 51
bezeichnet man als Frequenzgangmatrix oder auch als dynamische Nachgiebigkeitsmatrix.
Damit lautet die Teillosung bezuglich der k-ten Harmonischen
qk
= H (jkΩ) fkejkΩt . (4.79)
Das komplexe Matrixelement Hrs (jkΩ) (r-te Zeile, s-te Spalte)??qr?
k
=
? ? ? ?? ? ? ?? Hrs (jkΩ) ? ?? ? ? ?
?
fsejkΩt
??
k
(4.80)
gibt hierin den Einfluß der s-ten Erregerkraftgroße fsk
auf die r-te Koordinate qrk
an.
Gemaß der Approximation der periodischen Erregerfunktion durch eine endliche FOURIER-Reihe berechnet sich die Gesamtlosung q der erzwungenen Torsionsschwingungen als Summeder Einzellosungen q
k
q =n∑
k=−nqk
=n∑
k=−nH (jkΩ) fke
jkΩt . (4.81)
Bei der konstruktiven Auslegung von Torsionssystemen, bei denen periodische Erregungen auf-treten, muß vermieden werden, daß Erregerkreisfrequenzen mit Eigenkreisfrequenzen zusammen-fallen,
ωi 6= kΩ , (4.82)
da ansonsten Resonanzuberhohungen auftreten konnen.
Hierzu kann das Resonanzschaubild bzw. CAMPBELL-Diagramm dienen, das anhand eines Bei-spiels vorgestellt werden soll. Im Resonanzschaubild werden auf der Abszisse die Grunderreger-kreisfrequenz Ω und auf der Ordinate die Eigenkreisfrequenzen ωi des Torsionsschwingungssy-stems aufgetragen.
Die bei M-D-K-Systemen von der Erregerkreisfrequenz unabhangigen Eigenkreisfrequenzen er-geben im Resonanzschaubild zur Abszisse parallele Geraden.
Zur Bestimmung der Resonanzstellen werden in das Resonanzschaubild die Funktionen
f?k (Ω) = kΩ (4.83)
eingetragen, welche fur jede Harmonische k die Erregerkreisfrequenz in Abhangigkeit derGrunderregerkreisfrequenz Ω angeben (Geradenschar der Steigung k).
Jeder Schnittpunkt der Erregerfrequenzfunktionen und der Eigenkreisfrequenzen stellt eine Re-sonanzstelle dar. Da die Kraftamplituden mit zunehmender Erregerkreisfrequenz im allgemeinenabnehmen, mussen die Eigenkreisfrequenzen konstruktiv derart beeinflusst werden, daß zumin-dest die Resonanzen bezuglich der Grunderregerkreisfrequenz bzw. der niedrigen Harmonischenaußerhalb des Arbeitsbereiches der Maschine liegen.
Beispiel: Resonanzschaubild fur einen MotorradmotorMan erkennt in dem dargestellten CAMPBELL-Diagramm (Abbildung 4.17), das innerhalbdes Drehzahlbereiches von 2000 bis 6000 U/min die Harmonischen 4. bis 11. Ordnung mit derersten Eigenfrequenz, die Harmonischen 9. bis 25. Ordnung mit der zweiten Eigenfrequenz Re-sonanzstellen aufweisen.
Seite 52 Kapitel 4: Torsionsschwingungen in Antriebssystemen
!"# $% &'()+*,.-/1032547698
:;=<=<>@?=?ACB=BDCE=E
F GIH
J=K=K=K
LCM N=O P=Q RTS=S
UCVCV=V WCX=X=X
Y[Z
Abbildung 4.17: CAMPBELL-Diagramm bzw. Resonanzschaubild
4.5 Ubungsaufgaben
4.5.1 Bestimmung der tiefsten Eigenkreisfrequenz eines Schiffsantriebes mit-tels des HOLZER-TOLLE-Verfahrens
Der Schiffsantrieb ist aus einem Sechszylinder-Dieselmotor mit Schwungscheibe aufgebaut, vonder eine Welle unmittelbar zur Schiffsschraube fuhrt. Das Ersatzmodell (Bild 4.18) besteht ausden Massentragheitsmomenten J1 bis J6 der sechs Kurbeleinheiten (Massentragheitsmoment desKurbelwellenabschnittes sowie Massentragheitsmomente von Pleuel und Kolben), dem Massen-tragheitsmoment J7 des Schwungrades sowie dem Massentragheitsmoment J8 der Schraube undder beschleunigten Wassermasse. Die Drehmassen sind jeweils durch Torsionsfedern der Steifig-keit ci verbunden.
Der Rechnung werden folgende Zahlenwerte zugrunde gelegt:
• J1 = J2 = . . . = J6 = 256Nms2 ,
• J7 = 7500Nms2 ,
• J8 = 2400Nms2 ,
• c1 = c2 = . . . = c6 = 67, 5 · 106Nm ,
• c7 = 1, 35 · 106Nm .
Wie ersichtlich wird, ist die Steifigkeit c7 der Welle zwischen Schwungrad und Wasserschrau-be wesentlich kleiner als die Federsteifigkeiten zwischen den Kurbeleinheiten. Daher kann eineAbschatzung der Grundfrequenz erfolgen, indem die Drehmassen J1 bis J7 zusammengefasstwerden. Fur das freie System mit zwei Drehmassen berechnet sich die Eigenkreisfrequenz zu
4.5 Ubungsaufgaben Seite 53
Abbildung 4.18: Ersatzmodell eines Schiffsantriebs
(siehe Beispiel in Kapitel 4.3.1)
ω2 =c7
(J8 +
7∑i=1
Ji
)J8
(7∑i=1
Ji
) = 712s−2 ⇒ ω = 26, 68s−1 . (4.84)
Die Auswertung der Rekursionsgleichung
ϕi+1 = ϕi −ω2
ci
i∑k=1
Jkϕk (4.85)
ist fur die Naherung ω2 = 712s−2 in Tabelle 4.1 dargestellt.
In einem zweiten Schritt wird die Naherung ω2 = 700s−2 verwendet (Tabelle 4.2), um einenzweiten Punkt in der Nahe des Nulldurchganges zu gewinnen, mit dem die Nullstelle der Rest-wertfunktion ∆
(ω2
)durch lineare Interpolation gewonnen werden kann.
Damit bestimmt sich die gesuchte niedrigste Eigenkreisfrequenz mittels linearer Interpolation zu
ω12 =
[700 +
(712− 700)(−18, 019− 165, 676)
(0− 165, 676)]
s−2 = 710, 823s−2 ⇒ ω1 = 26, 66s−1 .
(4.86)
Drehmasse i Ji[Nms2
]ϕi [rad] ci [Nm]
∑ik=1 Jk ϕk
[Nms2
]1 256 1 67, 5 · 106 2562 256 0,997300 67, 5 · 106 511,3087173 256 0,991906 67, 5 · 106 765,2367334 256 0,983834 67, 5 · 106 1017,0983615 256 0,973106 67, 5 · 106 1266,2134916 256 0,959750 67, 5 · 106 1511,9094337 7500 0,943802 1, 35 · 106 8590,4238878 2400 -3,586851 -18,019 = ∆
Tabelle 4.1: Berechnung fur ω2 = 712s−2
Seite 54 Kapitel 4: Torsionsschwingungen in Antriebssystemen
Drehmasse i Ji[Nms2
]ϕi [rad] ci [Nm]
∑ik=1 Jk ϕk
[Nms2
]1 256 1 67, 5 · 106 2562 256 0,997345 67, 5 · 106 511,3203673 256 0,992043 67, 5 · 106 765,2832744 256 0,984106 67, 5 · 106 1017,2144955 256 0,973557 67, 5 · 106 1266,4452006 256 0,960424 67, 5 · 106 1512,3137287 7500 0,944741 1, 35 · 106 8597,8688458 2400 -3,513414 165,676 = ∆
Tabelle 4.2: Berechnung fur ω2 = 700s−2
Seite 55
Kapitel 5
Biegeschwingungen rotierenderWellen
Das grundlegende Ersatzmodell der Rotordynamik, eines wichtigen Teilgebietes der Maschi-nendynamik, stellt der LAVAL-Laufer dar. In der einfachsten Form wird die Nachgiebigkeitder Wellenlagerung vernachlassigt und der Wellenquerschnitt als symmetrisch vorausgesetzt(Abbildung 5.1). An dem LAVAL-Laufer in starren Lagern mit symmetrischem Wellenquer-schnitt sollen nachfolgend die Schwingungsphanomene infolge Unwuchterregung vorgestellt wer-den.
!"$#&%
Abbildung 5.1: LAVAL-Laufer in starren Lagern mit außerer Dampfung
5.1 LAVAL-Laufer in starren Lagern mit symmetrischem Wel-lenquerschnitt
Der LAVAL-Laufer besteht aus einer elastischen Welle (Kreisquerschnitt, Biegesteifigkeit c, Mas-se vernachlassigt), die in ihrer Mitte mit einer dunnen, starren Scheibe (Masse m, polaresMassentragheitsmoment Jp) besetzt ist (Abbildung 5.1). Das Ersatzmodell sieht einen zen-trischen Sitz der Scheibe auf der Welle vor, d.h. der Wellenmittelpunkt (des Wellenelementesam Scheibensitz) W fallt mit dem Mittelpunkt der Scheibe zusammen. Wesentlich fur den Er-regungsmechanismus ist, daß der Schwerpunkt S der Scheibe z.B. aufgrund einer inhomogenenMasseverteilung eine Exzentrizitat ε aufweist und somit nicht mit dem Mittelpunkt der Scheibe
Seite 56 Kapitel 5: Biegeschwingungen rotierender Wellen
bzw. dem Wellenmittelpunkt W identisch ist. Bei einer Auslenkung der Welle (Biegelinie) ergibtsich eine Abweichung des Wellenmittelpunktes W von der Verbindungslinie der Lagerstellen.Der Durchstoßpunkt O dieser Verbindungslinie, die auch als Lagermittenachse bezeichnet wird,durch die Scheibenebene dient als Referenzpunkt zur Beschreibung der Scheibenbewegung.
Zur Berucksichtigung von außerer Dampfung z.B. infolge von Fluidkraften eines umgebendenMediums wird die Dampfungskraft proportional zur Absolutgeschwindigkeit des Wellenmittel-punktes W bzw. des Scheibenmittelpunktes angesetzt, wobei der Proportionalitatsfaktor bezug-lich der außeren Dampfung mit da bezeichnet wird.
Die Bewegungsgleichungen fur den LAVAL-Laufer sollen zunachst in raumfesten kartesischenKoordinaten angegeben werden.
5.1.1 Bewegungsgleichungen in raumfesten kartesischen Koordinaten
Als Ursprung des raumfesten Koordinatensystems wird der Durchstoßpunkt O der Lagermit-tenachse gewahlt (Abbildung 5.2). Aus dem Impulssatz (NEWTON II) ergeben sich fur dieScheibe die Gleichungen
mzS = −c zW − dazW ,
myS = −c yW − dayW , (5.1)
aus dem Drallsatz (EULER)
Jpϕ = M + ε (c yW + dayW) cosϕ− ε (c zW + dazW) sinϕ . (5.2)
Abbildung 5.2: Raumfestes kartesisches Koordinatensystem
Mit den kinematischen Zwangsbedingungen
zS = zW + ε cosϕ ,
yS = yW + ε sinϕ (5.3)
5.1 LAVAL-Laufer in starren Lagern mit sym. Wellenquerschnitt Seite 57
lauten die Bewegungsgleichungen fur den LAVAL-Laufer
zW +damzW +
c
mzW = εϕ sinϕ+ εϕ2 cosϕ ,
yW +damyW +
c
myW = −εϕ cosϕ+ εϕ2 sinϕ (5.4)
sowie mit der Substitution Jp = mk2T (Tragheitsradius kT )
ϕ =M
mk2T
+ε
mk2T
(c yW + dayW) cosϕ− ε
mk2T
(c zW + dazW) sinϕ . (5.5)
Fur Scheiben mit einem großen Tragheitsradius kT kann Gl.(5.5) vereinfacht werden,
ϕ =M
mk2T
furε
mk2T
1 . (5.6)
Sonderfall: Stationarer Betrieb
Fur ein Antriebsmoment M = 0 ergibt sich fur die Drehkoordinate ϕ
ϕ = 0 , ϕ = Ω = const. , ϕ = Ωt+ β . (5.7)
Damit lassen sich die Gln. (5.4) nach Durchfuhrung der Transformation auf Eigenzeit τ verein-fachen zu
z′′W + 2Daz′W + zW = εη2 cos (ητ + β) ,
y′′W + 2Day′W + yW = εη2 sin (ητ + β) (5.8)
mit der Eigenkreisfrequenz ω0 =√
cm , τ = ω0t, dem LEHR’schen Dampfungsmaß Da = da
2√mc
sowie dem Frequenzverhaltnis η = Ωω0
.
Fur die weiteren Betrachtungen soll zunachst dieser stationare Zustand vorausgesetzt werden.
5.1.2 Bewegungsgleichungen in raumfesten komplexen Koordinaten
Zur Beschreibung der Rotationsbewegung der Kreisscheibe ist insbesondere die Darstellung inkomplexen Koordinaten von Vorteil, da zum einen die Bewegungsgleichungen eine einfache Formannehmen und zum anderen auch deren Losung sehr anschaulich wird.
Die stationare Bewegung der Scheibe wird gemaß Abbildung 5.3 durch die komplexen Zeigerzum Mittelpunkt der Scheibe W
rW = zW + jyW (5.9)
sowie zum Schwerpunkt S der Scheibe
rS = rW + εej(ητ+β) (5.10)
beschrieben.
Aus dem Impulssatz folgtmrS = −crW − darW (5.11)
Seite 58 Kapitel 5: Biegeschwingungen rotierender Wellen
Abbildung 5.3: Raumfestes komplexes Koordinatensystem
und daraus die Bewegungsgleichung in raumfesten komplexen Koordinaten
r′′W + 2Dar′W + rW = εη2ej(ητ+β) . (5.12)
Die stationare Losung dieser Differentialgleichung bestimmt sich zu
rW = rWej(ητ+β+ψ) , (5.13)
wobei der Betrag des Zeigers zum Scheibenmittelpunkt W den Bahnradius des Scheibenmittel-punktes
rW =εη2√
(1− η2)2 + 4Da2η2
= εV1 (η) (5.14)
angibt und der Winkel
ψ (η) = arctan(
2Daη
1− η2
)(5.15)
die Phasenverschiebung des Zeigers zum Scheibenmittelpunkt W relativ zum Zeiger der Unwucht(vergl. Kapitel 3.1). Der Bahnradius ist somit der Exzentrizitat proportional und andert sichgemaß der Vergroßerungsfunktion V1 (Unwuchterregung). Die Maximalauslenkung des Scheiben-mittelpunktes W ergibt sich bei η ≈ 1 angenahert zu
rW,max =∣∣rW,max∣∣ ≈ ε
2Da. (5.16)
Fur einen gewahlten Arbeitspunkt η bzw. Ω bewegt sich der Scheibenmittelpunkt W mit ei-ner konstanten Auslenkungsform auf einer Kreisbahn, so daß fur ein Wellenelement lediglicheine statische Beanspruchung vorliegt. Die Phasenverschiebung der Linie OS (Verbindung vomDurchstoßpunkt der Lagermittenachse zum Massenschwerpunkt der Scheibe S) relativ zur LinieWS (Richtung der Schwerpunktexzentrizitat) wird durch den Winkel ψ beschrieben, welcher fureinen gewahlten Arbeitspunkt η bzw. Ω festliegt. Die Lage des Dreiecks OWS ist in Abbildung5.4 in Abhangigkeit vom Frequenzverhaltnis η dargestellt.
5.1 LAVAL-Laufer in starren Lagern mit sym. Wellenquerschnitt Seite 59
Man erkennt, daß der Nacheilwinkel mit zunehmendem Frequenzverhaltnis ansteigt (ψ < 0, weilals Voreilwinkel definiert), wobei sich charakteristische Werte fur η = 1 (ψ = −90) sowie furη → ∞ (ψ → −180) ergeben. Fur η → ∞ tritt demnach der Effekt der Selbstzentrierung auf,bei dem der Schwerpunkt S auf der Lagermittenachse liegt und sich der Scheibenmittelpunktauf einer Kreisbahn mit dem Radius der Exzentrizitat ε bewegt.
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Abbildung 5.4: Ortskurve fur Scheibenmittelpunkt W und Schwer-punkt S (Da = 0, 05; ε = 1; β = 0)
5.1.3 Bewegungsgleichungen in mitrotierenden komplexen Koordinaten
Bei dieser Darstellungsart wird die Bewegung der Scheibe in einem komplexen Koordinatensy-stem ξ, η beschrieben, welches mit der gleichen Winkelgeschwindigkeit wie die Scheibe rotiert(Abbildung 5.5).
Die Transformation eines im mitrotierenden Koordinatensystem gegebenen Zeigers ρiins raum-
feste komplexe Koordinatensystem ergibt sich zu
ri = ρiejητ , (5.17)
die hierzu inverse Transformation bestimmt sich zu
ρi= rie
−jητ . (5.18)
Auf den Zeiger zum Scheibenmittelpunkt W angewendet, lautet die Transformation vom raum-festen in das mitrotierende komplexe Koordinatensystem
ρW
= rWe−jητ , (5.19)
Seite 60 Kapitel 5: Biegeschwingungen rotierender Wellen
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Abbildung 5.5: Mitrotierendes komplexes Koordinatensystem
wahrend die inverse Transformation durch
rW = ρWejητ (5.20)
beschrieben wird. Die Bewegungsgleichung in mitrotierenden Koordinaten lasst sich also unmit-telbar durch Einsetzen der Gl. (5.20) in die Gl. (5.12) bestimmen,
ρ′′W
+ 2 (Da + jη) ρ′W
+(1− η2 + j2Daη
)ρ
W= εη2ejβ . (5.21)
Diese Darstellungsform ist besonders zur Einfuhrung der inneren Werkstoffdampfung (linear-viskoses Werkstoffgesetz nach VOIGT-KELVIN) geeignet, welche der Anderungsgeschwindigkeitdes Bahnradius ρ
Wproportional ist. Die innere Dampfungskraft ergibt sich mit dem Proportio-
nalitatsfaktor fur innere Dampfung di in mitrotierenden komplexen Koordinaten zu
FDi = diρW
= diω0ρ′W
, (5.22)
so daß die Bewegungsgleichung fur den LAVAL-Laufer mit außerer und innerer Dampfung lautet
ρ′′W
+ 2 (Da +Di + jη) ρ′W
+(1− η2 + j2Daη
)ρ
W= εη2ejβ . (5.23)
Hierin gibt Di = di2mω0
das LEHR’sche Dampfungsmaß bezuglich der inneren Dampfung an.
Untersuchung des Stabilitatsverhaltens
Eine Aussage zur Stabilitat kann anhand einer Untersuchung der homogenen Differentialglei-chung gewonnen werden. Hierzu wird der Ansatz
ρW
= ρWeλt (5.24)
in die homogene Differentialgleichung eingesetzt. Asymptotische Stabilitat liegt dann vor, wenndie Losungen der charakteristischen Gleichung
λ2 + 2 (Da +Di + jη)λ+ 1− η2 + 2jDaη = 0 , (5.25)
5.2 Der elastisch gelagerte LAVAL-Laufer mit symmetrischemWellenquerschnitt Seite 61
die Eigenwerte
λ1,2 = − (Da +Di + jη)±√
(Da +Di)2 + 2jDiη − 1 , (5.26)
einen negativen Realteil aufweisen. Fur kleine Dampfungen (Da, Di 1) gilt mit√
1 + x ≈ 1+ x2
λ1,2 = [−Da −Di ±Diη] + j [−η ± 1] , (5.27)
so daß asymptotische Stabilitat fur Frequenzverhaltnisse
η < 1 +Da
Di(5.28)
vorliegt. Die graphische Darstellung dieses Zusammenhanges zeigt Abbildung 5.6.
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Abbildung 5.6: Stabilitat bei außerer und innerer Dampfung
Demnach ist beim Vorliegen innerer Dampfung die Stabilitat im uberkritischen Frequenzbereich(η ≥ 1) von der außeren Dampfung abhangig und somit Instabilitat moglich.
Falls keine außere Dampfung vorliegt, fuhrt die innere Werkstoffdampfung zur Instabilitat derBewegung. Ansonsten ist im uberkritischen Frequenzbereich ein mit zunehmender Frequenz an-steigender Minimalwert fur die außere Dampfung erforderlich, um eine stabile Bewegung zugewahrleisten. Dieses Stabilitatsphanomen ist insbesondere bei walzgelagerten Rotoren von Be-deutung, wenn keine Dampfung durch umgebende Fluide vorhanden ist (z.B. bei Elektromoto-renlaufern).
5.2 Der elastisch gelagerte LAVAL-Laufer mit symmetrischemWellenquerschnitt
Die Annahme einer starrer Wellenlagerung ist in einer Vielzahl von Anwendungsfallen nicht auf-recht zu erhalten. Bei vielen Konstruktionen weist die Lagerung eine zur Wellennachgiebigkeitgroßenordnungsmaßig vergleichbare Nachgiebigkeit auf. Hierbei ist die Steifigkeit in vertikalerRichtung haufig großer als in horizontaler Richtung. Daher soll nachfolgend das ErsatzmodellLAVAL-Laufer mit anisotroper, d.h. unterschiedlicher Lagersteifigkeit in horizontaler sowie ver-tikaler Richtung behandelt werden (Abbildung 5.7).
Die resultierende Steifigkeit in z-Richtung
cz =2c cvc+ 2cv
(5.29)
Seite 62 Kapitel 5: Biegeschwingungen rotierender Wellen
Abbildung 5.7: LAVAL-Laufer mit anisotroper Lagersteifigkeit
bzw. die resultierende Steifigkeit in y-Richtung
cy =2c chc+ 2ch
(5.30)
lassen sich als Reihenschaltung der Wellensteifigkeit c und der Lagersteifigkeit in vertikaler Rich-tung 2cv bzw. der Lagersteifigkeit in horizontaler Richtung 2ch berechnen.
Damit lauten die Bewegungsgleichungen fur einen anisotrop gelagerten, ungedampften (di =da = 0) LAVAL-Laufer in raumfesten kartesischen Koordinaten
zW + ω20zzW = εΩ2 cos Ωt ,
yW + ω20yyW = εΩ2 sinΩt , (5.31)
wobei sich die Eigenkreisfrequenz ω0z =√cz/m bezuglich der z-Koordinate und die Eigenkreis-
frequenz ω0y =√cy/m bezuglich der y-Koordinate ergeben.
Mit einem harmonischen Ansatz kann die partikulare Losung zu
zW = εΩ2
ω20z−Ω2 cos Ωt = Az cos Ωt
yW = εΩ2
ω20y−Ω2 sinΩt = Ay sinΩt (5.32)
bestimmt werden, welche nach Quadrieren und anschließender Summation die Gleichung einerEllipse beschreiben,
z2W
A2z
+y2
W
A2y
= 1 . (5.33)
Bei Winkelgeschwindigkeiten Ω in der Nahe der Resonanzstellen durchlauft der Scheibenmit-telpunkt W eine langgestreckte Ellipse, wobei die großere Achse in z-Richtung (ω0z) bzw. inRichtung der y-Achse (ω0y) liegt.
Eine weitergehende Einsicht in das Losungsverhalten kann durch die komplexe Darstellung derLosung erlangt werden
rW = zW + jyW =Az +Ay
2ejΩt +
Az −Ay2
e−jΩt = r+ ejΩt + r− e−jΩt , (5.34)
5.3 Rotoren mit Gleitlagerung Seite 63
bei der diese als Summe zweier Zeiger mit positiver (in Richtung der physikalischen Drehungder Scheibe) sowie negativer Drehrichtung formuliert wird.
Diese Darstellung macht deutlich, daß die Ellipse in negativer Drehrichtung durchlaufen wird(Gegenlauf ), wenn fur die Betrage der Zeiger r+ < r− gilt. Eine Analyse der partikularen Losungzeigt, daß dieses fur Winkelgeschwindigkeiten im Intervall ω0y < Ω < ω0z erfullt ist (fur cy < cz),wahrend fur Winkelgeschwindigkeiten Ω < ω0y sowie Ω > ω0z Gleichlauf vorliegt, bei dem dieBahnkurve des Scheibenmittelpunktes gleichsinnig mit der Winkelgeschwindigkeit durchlaufenwird (Abbildung 5.8). Bedingt durch den auf der Bahnkurve veranderlichen Bahnradius wirdder Wellenwerkstoff bei anisotroper Lagerung dynamisch beansprucht.
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Abbildung 5.8: Gleich- und Gegenlaufbereiche(η = Ω
ω0; ω0 =
√cm ; ω0y = 0, 85ω0; ω0z = 0, 95ω0; ε = 1
)
5.3 Rotoren mit Gleitlagerung
Zur Ermittlung der fur die dynamischen Untersuchungen notwendigen Lagersteifigkeiten undLagerdampfungen ist es notwendig, die REYNOLD’schen Gleichungen fur das Stromungsfeldim Lagerspalt zu losen.
Aufgrund stark nichtlinearer Wechselwirkungen zwischen Rotor und Gleitlagerstromung sindnumerische Berechnungen mit einer hohen Unsicherheit behaftet und haufig nicht in Uberein-stimmung mit experimentellen Ergebnissen zu bringen. Der wesentliche Vorteil der Gleitlagerbesteht in dem Einbringen außerer Dampfung in das Schwingungssystem, als Nachteil ist eine
Seite 64 Kapitel 5: Biegeschwingungen rotierender Wellen
aufgrund selbsterregter Schwingungen mogliche Instabilitat der Bewegung zu nennen, die es zuvermeiden gilt.
Der Betriebszustand geometrisch ahnlicher Gleitlager wird durch eine dimensionslose Kenngroße,die SOMMERFELD-Zahl
So =FΨ2
BDηOlΩ(5.35)
charakterisiert (So > 1 Schwerlastbereich, So < 1 Schnellaufbereich). Hierin bezeichnen F diestatische Lagerlast, Ψ = (D − d)/d das relative Lagerspiel, B die Lagerbreite, D den Lager-schaleninnendurchmesser, d den Wellenzapfendurchmesser, ηOl die dynamische Viskositat undΩ die Winkelgeschwindigkeit des Rotors. Der Mittelpunkt des Wellenzapfens verlagert sich inAbhangigkeit von der SOMMERFELD-Zahl So auf einer halbkreisformigen Bahn, welche furΩ →∞ in den Mittelpunkt der Lagerschale lauft (Abbildung 5.9).
Abbildung 5.9: Querschnitt eines Kreiszylinder-Gleitlagers
Zur naherungsweisen Berechnung werden in einem Arbeitspunkt linearisierte Beziehungen furdie Steifigkeit sowie die Dampfung der Gleitlagerung verwendet und der Rotor als starr ange-nommen.
Die Kraft auf den freigeschnittenen starren Rotor[FzFy
]=
[czz czycyz cyy
] [zL
yL
]+
[dzz dzydyz dyy
] [zL
yL
](5.36)
wird in einem kartesischen Koordinatensystem in Abhangigkeit von den Wellenverschiebungenim Lager (zL, yL) sowie den Geschwindigkeiten (zL, yL) formuliert. Die Elemente der Steifigkeits-matrix cij = cij (So) und die Elemente der Dampfungsmatrix dij = dij (So) konnen fur sehrschmale Lager (B D, Kurzlagertheorie) oder sehr breite (B D) nach der REYNOLD’schenGleichung berechnet oder im allgemeinen Fall experimentell in Abhangigkeit von der SOMMER-FELD-Zahl fur den speziellen Lagertyp (Kreiszylinderlager, Zitronenlager, Kippsegmentlagerusw.) bestimmt werden. Von entscheidender Bedeutung fur den Entstehungsmechanismus derselbsterregten Schwingungen ist die Tatsache, daß die Steifigkeitsmatrix K (czy 6= cyz) sowie dieDampfungsmatrix D (dzy 6= dyz) unsymmetrisch sind. Der unsymmetrische Teil der Federma-trix hat zur Folge, daß das Kraftfeld der Feder nicht mehr konservativ ist. Bei einem Umlaufdes Scheibenmittelpunktes W entscheidet die Drehrichtung, ob dem Schwingungssystem Energiezugefuhrt oder Energie abgefuhrt wird. Sofern die zugefuhrte Energie nicht durch Dampfungs-vorgange dissipiert werden kann, nimmt die Gesamtenergie mit der Umlauffrequenz zu, und dasSchwingungssystem fuhrt selbsterregte Schwingungen aus.
5.3 Rotoren mit Gleitlagerung Seite 65
Die Bewegungsgleichungen fur den gleitgelagerten Rotor ergeben sich zu[m/2 0
0 m/2
] [zW
yW
]+
[dzz dzydyz dyy
] [zW
yW
]+
[czz czycyz cyy
] [zW
yW
]=
12εΩ2m
[cos ΩtsinΩt
](5.37)
bzw.Mx + Dx + Kx = f . (5.38)
Zur Gewinnung einer Stabilitatsaussage wird mit dem Ansatz fur die homogene Losung xh =xhe
λt das charakterische Polynom
det(λ2M + λD + K
)= 0 (5.39)
berechnet, dessen Losungen λ1,2 fur asymptotische Stabilitat einen negativen Realteil aufweisenmussen.
Als Naherung soll nachfolgend der dampfungsfreie Fall betrachtet werden,
det(λ2M + K
)= det
[m2 λ
2 + czz czycyz
m2 λ
2 + cyy
]= 0 , (5.40)
woraus die Eigenwerte
λ21,2 =
1m
[− (czz + cyy)±
√(czz + cyy)
2 − 4czzcyy + 4czycyz
](5.41)
folgen. Stabilitat liegt fur λ21,2 ≤ 0 vor, so daß gelten muß
czz + cyy = spK > 0 , czz cyy − czy cyz = detK > 0 . (5.42)
Unter Berucksichtigung von cij = cij (So) lasst sich aus dieser Beziehung eine der Stabilitatsgren-ze (Dauerschwingung, Re λ = 0) zugeordnete SOMMERFELD-Zahl bestimmen. Diese kannbei gegebenen Lagerdaten nach der entsprechenden Grenzwinkelgeschwindigkeit Ωgr , oberhalbderer aufklingende Biegeschwingungen auftreten, aufgelost werden.
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Abbildung 5.10: Grenzdrehzahl des starren Laufers
In Abbildung 5.10 ist die Grenzdrehzahl in Abhangigkeit von der SOMMERFELD-Zahl furverschiedene Gleitlagerbauarten dargestellt. Hieraus geht hervor, daß durch Verwendung vonZitronenlagern als einfachste Form der Mehrflachengleitlager im Vergleich zum Kreislager eineAusweitung des Stabilitatsbereiches erreicht werden kann.
Seite 66 Kapitel 5: Biegeschwingungen rotierender Wellen
5.4 Rotoren mit unrunder Welle
Rotoren mit unterschiedlichen Biegesteifigkeiten besitzen als Laufer elektrischer Maschinen (z.B.zweipolige Synchronmaschinenlaufer) praktische Bedeutung. Zur Untersuchung der hieraus re-sultierenden Schwingungsphanomene wird ein LAVAL-Laufer mit anisotroper Wellensteifigkeituntersucht (Abbildung 5.11). Um zeitinvariante Matrizen zu erhalten, werden die Bewegungs-gleichungen in einem mitrotierenden komplexen Koordinatensystem ξ, η formuliert.
Abbildung 5.11: Wellenquerschnitt und mitrotierendes komplexesKoordinatensystem
Hierzu konnen die Ergebnisse aus Kapitel 5.1.3 weiterverwendet werden, wo fur den LAVAL-Laufer mit isotroper Wellensteifigkeit c (kreisformiger Wellenquerschnitt) die Bewegungsglei-chung in mitrotierenden komplexen Koordinaten
ρW
+(dam
+ j2Ω)ρ
W+
(c
m− Ω2 +
jdaΩm
)ρ
W= εΩ2ejβ (5.43)
hergeleitet wurde, welche nach Zerlegung in Realteil ξW = Re ρW sowie Imaginarteil ηW =Im ρW ubergeht in[
ξWηW
]+
[dam −2Ω2Ω da
m
] [ξWηW
]+
[cm − Ω2 −daΩ
mdaΩm
cm − Ω2
] [ξWηW
]= εΩ2
[cosβsinβ
]. (5.44)
In dieser Darstellung kann die Steifigkeit cξ der anisotropen Welle in ξ-Richtung durch Ersetzenvon c in der oberen Zeile sowie die Steifigkeit cη in η-Richtung durch Ersetzen von c in derunteren Zeile eingefuhrt werden,[
ξWηW
]+
[dam −2Ω2Ω da
m
] [ξWηW
]+
[ cξm − Ω2 −daΩ
mdaΩm
cηm − Ω2
] [ξWηW
]= εΩ2
[cosβsinβ
]. (5.45)
Mit einem Maß fur die Unrundheit der Welle
µ =ω2
0η − ω20ξ
ω20ξ + ω2
0η
(5.46)
5.5 Einfluß der Kreiselwirkung Seite 67
(µ = 0 fur kreisrunde Welle) ergeben sich fur die Eigenkreisfrequenzen ω20ξ = cξ/m sowie
ω20η = cη/m mit einer mittleren Eigenkreisfrequenz ω2
0 =(ω2
0ξ + ω20η
)/2 folgende Darstellungen
ω20ξ = (1− µ)ω2
0
ω20η = (1 + µ)ω2
0 . (5.47)
Nach Transformation auf die (mit der mittleren Eigenkreisfrequenz definierten) Eigenzeit τ = ω0tlauten die Bewegungsgleichungen fur den LAVAL-Laufer mit unrundem Querschnitt in starrenLagern[
ξ′′Wη′′W
]+
[2Da −2η2η 2Da
] [ξ′Wη′W
]+
[1− µ− η2 −2Daη
2Daη 1 + µ− η2
] [ξWηW
]= εη2
[cosβsinβ
].
(5.48)
Asymtotische Stabilitat liegt dann vor, wenn samtliche Eigenwerte λ einen negativen Realteilaufweisen. Aus der charakteristischen Gleichung
det[λ2 + 2Daλ+ 1− µ− η2 −2ηλ− 2Daη
2ηλ+ 2Daη λ2 + 2Daλ+ 1 + µ− η2
]= 0 (5.49)
folgt die Stabilitatsbedingung (1− η2
)2 − µ2 + 4Daη2 > 0 . (5.50)
Wie aus Abbildung 5.12 hervorgeht, treten bei unrunden Querschnitten (µ > 0) im damp-fungsfreien Fall (Da = 0) stets Kreisfrequenzintervalle ∆η auf, in denen die Bewegung instabilwird. Der Instabilitatsbereich kann jedoch fur einen gegebenen unrunden Querschnitt µ durchErhohen der außeren Dampfung verkleinert bzw. vollstandig beseitigt werden.
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Abbildung 5.12: Stabilitatsbereiche des LAVAL-Laufers mit unrun-dem Querschnitt
5.5 Einfluß der Kreiselwirkung
Die vorausgehenden Untersuchungen zur Rotordynamik wurden anhand des LAVAL-Laufersdurchgefuhrt, bei dem die massebehaftete Scheibe mittig auf der Welle angeordnet ist. Auf-grund dieser symmetrischen Konfiguration ergibt sich bei Durchsenkungen der Scheibe keine
Seite 68 Kapitel 5: Biegeschwingungen rotierender Wellen
Verdrehung. Sofern die Scheibe bzw. Drehmasse unsymmetrisch bezuglich der Lager angeord-net ist oder sich außerhalb der Lager befindet (z.B. Drehmaschinenspindel), fuhrt eine radialeAuslenkung des Scheibenmittelpunktes W zu einer Schragstellung der Scheibe. Bei einer rotie-renden Scheibe muß die mit der Schragstellung verbundene Drallanderung durch entsprechendeMomente erzwungen werden. In Abhangigkeit von den Abmessungen der Drehmasse kann sichdieser Kreiseleinfluß stabilisierend oder destabilisierend auswirken.
Zur Aufstellung der Bewegungsgleichungen soll die Drehmasse freigeschnitten werden(Abbildung 5.13). Uber den Impulssatz (NEWTON II) konnen die Bewegungsgleichungenfur die translatorischen Koordinaten z sowie y, durch Anwendung des Drallsatzes (EULER) dieBewegungsgleichungen fur die kleinen Verdrehungen (definiert im Sinne einer Rechtsschraube)θS um die z-Achse sowie ψS um die y-Achse bestimmt werden.
Abbildung 5.13: Koordinatensysteme fur die freigeschnittene Drehmasse
Fur die Berechnung der Drallkomponente Lz in Richtung der z-Achse gilt (negativen Drehsinndes Rotors beachten)
Lz ≈ JaθS + JpΩψS , (5.51)
analog hierzu lautet die Drallkomponente Ly in Richtung der y-Achse
Ly ≈ JaψS − JpΩθS . (5.52)
Damit ergeben sich nach EULER mit den Momenten Mi auf die Drehmasse
Mz =d (Lz)
dt= JaθS + JpΩψS ,
(5.53)
My =d (Ly)
dt= JaψS − JpΩθS
sowie nach NEWTON II mit den auf die Drehmasse wirkenden Kraften FSi
FSz = mzS ,
FSy = myS . (5.54)
Das System wird somit durch vier unabhangige Koordinaten beschrieben, die in einem Lagevek-tor
xS = [zS ψS yS θS]T (5.55)
zusammengefaßt werden konnen. In Richtung dieser Koordinaten wirken die zugeordneten Kom-ponenten des Kraftgroßenvektors
FS = [Fz My Fy Mz]T . (5.56)
5.5 Einfluß der Kreiselwirkung Seite 69
Der Kraftgroßenvektor FS hat nach dem Gegenwirkungsgesetz (actio = reactio) den gleichenBetrag, aber die entgegensetzte Richtung zum Kraftgroßenvektor FW, welcher auf die freige-schnittene Welle wirkt
FS = −FW . (5.57)
Der Zusammenhang des Kraftgroßenvektors FW und des entsprechenden Lagevektors des Schei-benmittelpunktes (Wellenmittelpunktes W) wird mit der Steifigkeitsmatrix K durch
FW = KxW (5.58)
bzw. in der invertierten Form mit der Nachgiebigkeitsmatrix H durch
xW = K−1FW = HFW (5.59)
angegeben. Die Elemente der Steifigkeitsmatrix K, die Steifigkeitskoeffizienten cij , lassen sichmittels Vorgabe von Einheitsverschiebungen ermitteln. Ebenso konnen die Elemente der Nachgie-bigkeitsmatrix, die Einflußzahlen hij , durch Vorgabe von Einheitskraftgroßen bestimmt werden.Fur eine isotrope Welle in isotropen Lagern ergeben sich mit dem Kraftgroßenvektor
FS = −FW = −
c11 c12 0 0c21 c22 0 00 0 c11 −c120 0 −c21 c22
zW
ψW
yW
θW
. (5.60)
die Bewegungsgleichungen in Matrizenschreibweise zum 0 0 00 Ja 0 00 0 m 00 0 0 Ja
zS
ψS
yS
θS
+
0 0 0 00 0 0 −JpΩ0 0 0 00 JpΩ 0 0
zS
ψS
yS
θS
+
c11 c12 0 0c21 c22 0 00 0 c11 −c120 0 −c21 c22
zW
ψW
yW
θW
=
0000
.
(5.61)
Nach Einfuhrung der komplexen Koordinaten rS = rW + εej(Ωt+β) mit rS = zS + jyS, rW =zW + jyW sowie ψ
W= ψ
S= θS + jψS vereinfacht sich die Matrizengleichung zu[
m 00 Ja
] [rW
ψW
]+
[0 00 −jJpΩ
] [rW
ψW
]+
[c11 −jc12jc21 c22
] [rW
ψW
]=
[mεΩ2
0
]ej(Ωt+β) .
(5.62)
Die Berechnung der Eigenkreisfrequenzen ω0,i gelingt mittels des homogenen Losungsansatzes[rW
ψW
]=
[rW0
ψW0
]ejωt . (5.63)
Das charakteristische Polynom
mJaω4 −mJpΩω3 − (mc22 + Jac11)ω2 + Jpc11Ωω + c11c22 − c212 = 0 (5.64)
fuhrt auf vier reelle, von der Winkelgeschwindigkeit Ω abhangige Eigenkreisfrequenzen ωi =ωi (Ω) (Abbildung 5.14).
Man erkennt, daß die Eigenwertfunktionen ωi = ωi (Ω) zentralsymmetrisch zum Ursprung sind.
Seite 70 Kapitel 5: Biegeschwingungen rotierender Wellen
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Abbildung 5.14: Eigenkreisfrequenzen unter Kreiseleinfluß
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3 33
Abbildung 5.15: Eigenbewegungen der Scheibe fur Ω →∞
Von besonderer Bedeutung fur die erzwungenen Schwingungen wird sich der Verlauf des Ei-genwertes ω2 = ω2 (Ω) erweisen, welcher mit zunehmender Winkelgeschwindigkeit Ω gegen dieAsymptote (Jp/Ja) Ω strebt. Die zugehorige Eigenbewegung der Scheibe lasßt sich als eine Nu-tationsbewegung im Gleichlauf charakterisieren (Abbildung 5.15).
Die Eigenwertfunktion ω1 = ω1 (Ω) strebt fur Ω → ∞ gegen die Asymptote ω∗ =√c11/m,
wobei die Scheibe eine Pendelschwingung (rein translatorisch) im Gleichlauf ausfuhrt.
Der Eigenwert ω3 = ω3 (Ω) nahert sich fur Ω →∞ von unten dem Betrag Null. Die zugeordnetelangsame Eigenbewegung ist hierbei eine Prazessionsbewegung im Gegenlauf.
Das Verhaltnis von polarem Massentragheitsmoment Jp zu axialem Tragheitsmoment Ja be-stimmt sich fur einen zylindrischen Rotor zu
JpJa
=12mR
2
112m (3R2 +H2)
=6
3 +(HR
)2 . (5.65)
5.5 Einfluß der Kreiselwirkung Seite 71
Fur scheibenformige Rotoren (H R) ergibt sich mit dem VerhaltnisJpJa
= 2 (5.66)
eine Asymptote unter dem Winkel δ = arctan 2 = 63, 5 im CAMPBELL-Diagramm(Abbildung 5.14).
Bei Unwuchterregung treten Resonanzstellen auf, falls die Winkelgeschwindigkeit Ω mit einerEigenkreisfrequenz ωi = ωi (Ω) zusammenfallt. Gemaß dem partikularen Losungsansatz fur Un-wuchterregung [
rW
ψW
]=
[rW
ψW
]ej(Ωt+β+γ) (5.67)
bewegt sich der Scheibenmittelpunkt W im stationaren Zustand gleichsinnig zur Winkelge-schwindigkeit auf einer Kreisbahn (Gleichlauf).
Dieser Gleichlaufbewegung ist im CAMPBELL-Diagramm die sogenannte Anlaufgerade ΩGl = Ω(Winkelhalbierende bei gleichem Maßstab fur Abszisse und Ordinate) zugeordnet. In Abhan-gigkeit von der Rotorgeometrie ergeben sich die biegekritischen Winkelgeschwindigkeiten alsSchnittpunkte der Anlaufgeraden Ω mit einer Eigenkreisfrequenz ωi = ωi (Ω), wobei im Sonder-fall der Unwuchterregung (Gleichlauferregung) nur die Eigenkreisfrequenzen ω1 (Ω) sowie ω2 (Ω)mogliche Schnittpunkte liefern.
Fur den Fall eines scheibenformigen Rotors (H R) existiert nur eine kritische Winkelgeschwin-digkeit, da lediglich die Eigenwertfunktion ω1 = ω1 (Ω) einen Schnittpunkt mit der Anlaufge-raden (δ = 45) aufweist, wahrend die Eigenwertfunktion ω2 = ω2 (Ω) gegen die Asymptote(Jp/Ja) Ω mit einem Winkel von δ = 63, 5 > 45 zur Abszisse strebt (Abbildung 5.16).
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Abbildung 5.16: Biegekritische Winkelgeschwindigkeiten fur einenscheibenformigen Rotor unter Kreiseleinfluß
Bei langgestreckten, walzenformigen Rotoren mit H >√
3R verlauft die Asymptote mit einemdaraus resultierenden Verhaltnis von
JpJa
< 1 (5.68)
unter einem Winkel δ < 45 zur Abszisse, so daß zwei biegekritische Winkelgeschwindigkeiten(zwei Schnittpunkte mit der Anlaufgeraden im CAMPBELL-Diagramm) auftreten (Abbildung5.17).
Seite 72 Kapitel 5: Biegeschwingungen rotierender Wellen
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Abbildung 5.17: Biegekritische Winkelgeschwindigkeiten fur Roto-ren mit H >
√3R unter Kreiseleinfluß
Erzwungene Bewegungen des Gegenlaufs, wo der Scheibenmittelpunkt W gegensinnig zur Win-kelgeschwindigkeit umlauft, konnen bei isotrop gelagerten Rotoren mit kreisformigen Querschnittdann auftreten, wenn gegenlaufige Erregerkrafte vorhanden sind. Periodische Erregerkrafte mitkonstanter Richtung, z.B. bei Kolbenmaschinen oder Stutzenerregung eines Rotors, fuhren inder komplexen Darstellung zu gleich- und gegenlaufigen Anteilen
F = F cos Ωt =F
2[ejΩt + e−jΩt
], (5.69)
so daß die Bewegungsgleichungen fur den in Abbildung 5.18 dargestellten Laufer (mit Kreisel-einfluß, ohne Unwucht) lauten
[m 00 Ja
] [rW
ψW
]+
[0 00 −jJpΩ
] [rW
ψW
]+
[c11 −jc12jc12 c22
] [rW
ψW
]=
[F20
] (ejΩt + e−jΩt
).
(5.70)
Abbildung 5.18: Welle mit Erregung durch periodische Kraft kon-stanter Richtung
Zur Bestimmung der partikularen Losung kann aufgrund der Linearitat von dem Superpositi-onsprinzip Gebrauch gemacht und der Gegenlaufanteil[
rW
ψW
]Gg
=[rW
ψW
]Gg
e−jΩt (5.71)
einzeln betrachtet werden. Diesem ist im CAMPBELL-Diagramm die Anlaufgerade des Gegen-laufes ΩGg = −Ω zugeordnet. Wie aus Abbildung 5.19 ersichtlich, treten neben den biegekri-
5.6 Instationarer Betrieb (Anlaufvorgang) Seite 73
tischen Winkelgeschwindigkeiten des Gleichlaufes stets zwei biegekritische Winkelgeschwindig-keiten des Gegenlaufes auf. Die Rotorgeometrie besitzt demnach keinen Einfluß auf die Anzahlder biegekritischen Winkelgeschwindigkeiten des Gegenlaufes.
Abbildung 5.19: Biegekritische Winkelgeschwindigkeiten bei Gleich-und Gegenlauferregung
Im CAMPBELL-Diagramm lassen sich weiterhin die biegekritischen Winkelgeschwindigkeitender hoheren Harmonischen (z.B. der zweiten Harmonischen mit dem Index II) in einfacher Weisedurch die Geraden ±kΩ bestimmen.
5.6 Instationarer Betrieb (Anlaufvorgang)
Bei uberkritisch betriebenen Rotoren ist fur den Betreiber die Kenntnis des Verlaufs der Wel-lenauslenkung beim Durchlauf durch die Eigenkreisfrequenz notwendig, um Stabilitatsproblemezu vermeiden.
Nachfolgend soll der Anlauf eines LAVAL-Laufers in starren Lagern gemaß Kapitel 5.1 miteiner konstanten Winkelbeschleunigung ϕ = α = const . betrachtet werden. Aufgrund des sym-metrischen Wellenquerschnittes kann die Untersuchung auf z.B. die Auslenkung in z-Richtungbeschrankt werden.
Mit ϕ = αt = ατω0
sowie ϕ = 12αt
2 = 12ατ2
ω20
folgt aus der Bewegungsgleichung Gl. (5.1) fur dieAuslenkung in z-Richtung nach Transformation auf die Eigenzeit τ = ω0t
z′′W + 2Daz′W + zW = εα sin
(ατ2
2
)+ εα2τ2 cos
(ατ2
2
), (5.72)
wobei die Abkurzung α = α/ω20 eingefuhrt wird.
Seite 74 Kapitel 5: Biegeschwingungen rotierender Wellen
Die Losung dieser Differentialgleichung kann unter Verwendung des DUHAMEL’schen IntegralsGl. (3.39) zu
zW (τ) =εe−Daτ√1−D2
a
τ∫0
[α sin
(αξ2
2
)+ α2ξ2 cos
(αξ2
2
)]eDaξ sin
[√1−D2
a (τ − ξ)]dξ (5.73)
bestimmt werden (0 ≤ Da ≤ 1). Abbildung 5.20 zeigt, daß es bei tief abgestimmten Syste-men mit einer hinreichend großen Beschleunigung moglich ist, die Resonanzuberhohungen beimDurchlaufen der Eigenkreisfrequenz klein zu halten. Die maximale Auslenkung ergibt sich furα = 0, 01 und D = 0, 01 bei einer Kreisfrequenz ϕ = 1, 2ω0 > ω0 zu zmax ≈ 14, 4ξ < 50ξ und istsomit kleiner als die maximale Resonanzamplitude.
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Abbildung 5.20: Instationare Unwuchterregung mit konstanter Win-kelbeschleunigung α
5.7 Ubungsaufgaben
5.7.1 LAVAL-Laufer in starren Lagern
Fur einen ungedampften LAVAL-Laufer in starren Lagern nach Kapitel 5.1 sollen die Fre-quenzbereiche angegeben werden, in denen die unwuchtbedingte Wellenauslenkung unterhalbeines oberen Grenzwertes R mit R > ε liegt.
Die Bewegungsgleichung lautet nach der Transformation auf Eigenzeit τ = ω0t in raumfestenkomplexen Koordinaten
r′′W + rW = εη2ejητ . (5.74)
Der partikulare Losungsansatz rW = rWejητ liefert nach dem Einsetzen in die Bewegungsglei-
chung die Bestimmungsgleichung fur den Betrag der Wellenauslenkung
|rW| = rW =εη2
|1− η2|, (5.75)
5.7 Ubungsaufgaben Seite 75
welcher gemaß der Aufgabenstellung kleiner als R sein muß.
Zur Losung von Gl. (5.75) ist eine Fallunterscheidung erforderlich:
unterkritischer Frequenzbereich η < 1:(1− η2
)> 0
Das Auflosen nach η fuhrt aufεη2 < R
(1− η2
), (5.76)
woraus die Bedingung
η <
√R
R+ εbzw. Ω < ω0
√R
R+ ε(5.77)
abgeleitet werden kann.
uberkritischer Frequenzbereich η > 1:(η2 − 1
)> 0
Das Auflosen nach η fuhrt aufεη2 < R
(η2 − 1
), (5.78)
woraus die Bedingung
η >
√R
R− εbzw. Ω > ω0
√R
R− ε(5.79)
resultiert.
Die hieraus folgenden Erregerfrequenzbereiche
Ω < ω0
√R
R+ ε
sowie
Ω > ω0
√R
R− ε, (5.80)
in denen der Betrag |rW| der Wellenauslenkung kleiner als R = |rW zul | ist, sind in Abbildung5.21 dargestellt.
5.7.2 Auskragende Welle mit Kreiseleinfluß
Die Bewegungsgleichung fur die in Abbildung 5.22 dargestellte, mit einer Scheibe (Massem, polares Massentragheitsmoment Jp, axiales Massentragheitsmoment Ja, Unwuchtradius ε)besetzte Welle (Lange des auskragenden Wellenabschnitts l, Biegesteifigkeit EI) lautet gemaßKapitel 5.5m 0 0 00 Ja 0 00 0 m 00 0 0 Ja
zS
ψS
yS
θS
+
0 0 0 00 0 0 −JpΩ0 0 0 00 JpΩ 0 0
zS
ψS
yS
θS
+
c11 c12 0 0c21 c22 0 00 0 c11 −c120 0 −c21 c22
zW
ψW
yW
θW
=
0000
.
In dieser Bewegungsgleichung mussen noch die Steifigkeitsmatrix K bzw. die Steifigkeitskoeffi-zienten cij fur die vorliegende Geometrie ermittelt werden.
Nachfolgend sollen zur Bestimmung der Steifigkeitskoeffizienten cij zunachst die Einflußzahlenhij , welche unmittelbar der Formelsammlung des Instituts fur Mechanik entnommen werdenkonnen, herangezogen werden.
Seite 76 Kapitel 5: Biegeschwingungen rotierender Wellen
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0
Abbildung 5.21: Frequenzbereiche mit zulassigen Wellenauslenkun-gen |rW| < R
Abbildung 5.22: Auskragende, mit einer dunnen Scheibe besetzte Welle
Die Durchsenkung z des auskragenden Teils der Welle ergibt sich mit den Einflusszahlenh11 = l3
3EI“1“ (infolge der Einheitskraft Fz = “1“) und h12 = − l2
2EI“1“ (infolge des Ein-heitsmomentes My = “1“) zu zS = h11Fz + h12My = l3
3EIFz −l2
2EIMy. Analog hierzukann der Drehwinkel ψSy mit den Einflußzahlen h21 = − l2
2EI“1“ (infolge der EinheitskraftFz = “1“) sowie h22 = l
EI“1“ (infolge des Einheitsmomentes My = “1“) bestimmt werden,
ψS = h21Fz + h22My = − l2
2EIFz + lEIMy. Mit der Nachgiebigkeitsmatrix Hxz =
[h11 h12
h21 h22
]lautet somit die Kraft-Verschiebungs-Beziehung bezuglich der xz-Ebene[
zS
ψS
]=
[h11 h12
h21 h22
] [FzMy
]=
[l3
3EI − l2
2EI
− l2
2EIlEI
] [FzMy
], (5.81)
woraus durch einfache Inversion die Steifigkeitsmatrix Kxz sowie die Steifigkeitskoeffizienten cijermittelt werden konnen,
Kxz =1
h11h22 − h21h22
[h22 −h12
−h21 h11
]=
[c11 c12c21 c22
]=
[12EIl
6EIl2
6EIl2
4EIl3
]. (5.82)
5.7 Ubungsaufgaben Seite 77
Somit lautet die gesuchte Steifigkeitsmatrix fur die auskragende Welle12EIl
6EIl2
0 06EIl2
4EIl3
0 00 0 12EI
l −6EIl2
0 0 −6EIl2
4EIl3
, (5.83)
so daß sich die Bewegungsgleichungen nach einer Koordinatentransformation gemaß Kapitel 5.5bestimmen zu
m 0 0 00 Ja 0 00 0 m 00 0 0 Ja
zW
ψW
yW
θW
+
0 0 0 00 0 0 −JpΩ0 0 0 00 JpΩ 0 0
zW
ψW
yW
θW
+
12EIl
6EIl2
0 06EIl2
4EIl3
0 00 0 12EI
l −6EIl2
0 0 −6EIl2
4EIl3
zW
ψW
yW
θW
=
mεΩ2 cos (Ωt+ β)
0mεΩ2 sin (Ωt+ β)
0
(5.84)
5.7.3 Aufstellung der linearisierten Bewegungsgleichung einer Zentrifuge undUntersuchung der Stabilitat
Die Zentrifuge ist mit einer starren Welle in einem Kugelgelenk (3 rotatorische FHG) sowie einemisotropen Lager (Lagersteifigkeit c, Lagerdampfung d, Abstand l2 vom Koppelgelenk) gelagert(Abbildung 5.23).
S
x1
y1
z1
xz
yz
zz
ϕ
θ
ψ
ε
l1
l2
c
d
g
m, Ja, Jp
Abbildung 5.23: Ersatzmodell einer Zentrifuge
Der Schwerpunkt S der Zentrifuge (Masse m, polares Massentragheitsmoment Jp, axiales Mas-sentragheitsmoment Ja, Abstand zum Kugelgelenk l1) soll infolge einer Unwucht um den Betragε von der Drehachse abweichen. Zur Beschreibung der Bewegung der Zentrifuge wird ein Koor-dinatensystem xz, yz, zz gewahlt, welches mit der Zentrifuge um die kleinen Winkel α bzw. β
Seite 78 Kapitel 5: Biegeschwingungen rotierender Wellen
relativ zu der xI -Achse bzw. yI -Achse des Inertialsystems I verdreht ist, die große Drehbewe-gung der Zentrifuge um die z-Achse jedoch nicht ausfuhrt.
Die Drallkomponente in Richtung der xI -Achse ergibt sich zu
Lx ≈ Jaϕ+ JpΩψ , (5.85)
in Richtung der yI -Achse zuLy ≈ Jaψ − JpΩϕ . (5.86)
Unter Verwendung der Ausdrucke fur die außeren Momente auf die Zentrifuge (Bezugspunkt:Kugelgelenk)
Mx = −(cl2ϕ+ dl2ϕ)l2 +mgl1ϕ+mεΩ2l1 cos ΩtMy = −(cl2ψ + dl2ψ)l2 +mgl1ψ +mεΩ2l1 sinΩt (5.87)
gewinnt man durch Auswerten des Drallsatzes (EULER)
d
dt(Lx) = Mx bzw.
d
dt(Ly) = My (5.88)
die Bewegungsgleichung der Zentrifuge in Matrizenschreibweise[Ja 00 Ja
] [ϕ
ψ
]+
[dl22 JpΩ−JpΩ dl22
] [ϕ
ψ
]+
[cl22 −mgl1 0
0 cl22 −mgl1
] [ϕψ
]=
[mεΩ2l1 cos ΩtmεΩ2l1 sinΩt
]oder abgekurzt
Mx + (D + G) x + Kx = f . (5.89)
Hierbei bezeichnet
D =[dl22 00 dl22
](5.90)
die Dampfungsmatrix und
G =[
0 JpΩ−JpΩ 0
](5.91)
die Matrix der gyroskopischen Krafte.
Zur Untersuchung der Stabilitat soll die homogene Bewegungsgleichung in die Zustandsraumdar-stellung uberfuhrt werden. Nach Einfuhrung eines Zustandsvektors z = [x, x]T erhalt man dieZustandsdifferentialgleichung (Differentialgleichung 1. Ordnung, aber verdoppelte Dimension)
d
dt
[xx
]=
[0 E
−M−1K −M−1 (D + G)
] [xx
]bzw. z = Az , (5.92)
mit der als Systemmatrix bezeichneten Matrix
A =[
0 E−M−1K −M−1 (D + G)
]. (5.93)
Die Eigenwerte ergeben sich als Losungen des charakteristischen Polynoms
det (λE−A) =(Jaλ
2 + dl22λ+ γ)2 + J2
pΩ2λ2 = 0 , (5.94)
wobei die Abkurzung γ = cl22 −mgl1 fur die resultierende Steifigkeit benutzt wird.
Das System ist genau dann
5.7 Ubungsaufgaben Seite 79
• asymptotisch stabil, wenn samtliche Eigenwerte einen negativen Realteil aufweisenRe λi < 0,
• stabil, wenn keine Eigenwerte mit positiven Realteilen auftreten und der RangabfallRg (λiE−A) = n− vi von mehrfachen Eigenwerten mit verschwindendem Realteil gleichder Vielfachheit vi ist,
• instabil, wenn mindestens ein Eigenwert mit positivem Realteil auftritt oder wenn beimehrfachen Eigenwerten mit verschwindendem Realteil der Rangabfall unvollstandig ist.
Im folgenden erscheint die Betrachtung verschiedener Sonderfalle sinnvoll, die sich fur bestimmteWerte fur γ bzw. d ergeben.
1. Ungedampftes System (d = 0), resultierende Steifigkeit γ = cl22 −mgl1 = 0
Die Eigenwerte bestimmen sich zu
λ1,2 = ±j JpΩJa
sowie λ3,4 = 0 . (5.95)
Das System ist stabil, da keine Eigenwerte mit positivem Realteil auftreten und der Ran-gabfall bezuglich des mehrfachen Eigenwertes λ3,4 = 0 vollstandig ist.
2. Gedampftes System (d 6= 0), resultierende Steifigkeit γ = cl22 −mgl1 = 0
Die Eigenwerte lauten
λ1,2 = −dl22
Ja± j
JpΩJa
sowie λ3,4 = 0 . (5.96)
Das System ist asymptotisch stabil, da keine Eigenwerte mit positivem Realteil auftretenund der Rangabfall bezuglich des mehrfachen Eigenwertes λ3,4 = 0 vollstandig ist.
3. Ungedampftes System (d = 0), resultierende Steifigkeit γ = cl22 −mgl1 6= 0
Das System ist stabil, wenn die Eigenwerte
λ1,2 = −j JpΩ2Ja
[1±
√1 +
4γJaJ2pΩ2
],
(5.97)
λ1,2 = jJpΩ2Ja
[1±
√1 +
4γJaJ2pΩ2
]
rein imaginar (Re λi = 0) sind. Dies ist fur
γ > −J2pΩ
2
4Ja(5.98)
gegeben, so daß sich mit steigender Winkelgeschwindigkeit Ω der Stabilitatsbereich ver-großert.
Seite 80 Kapitel 5: Biegeschwingungen rotierender Wellen
4. Gedampftes System (d 6= 0), resultierende Steifigkeit γ = cl22 −mgl1 6= 0
Die Eigenwerte bestimmen sich zu
λ1 = − dl222Ja
+ jJpΩ2Ja
+
√(dl2 − jJpΩ)2 − 4γJa
2Ja,
λ2 = − dl222Ja
+ jJpΩ2Ja
−
√(dl2 − jJpΩ)2 − 4γJa
2Ja,
λ3 = − dl222Ja
− jJpΩ2Ja
+
√(dl2 − jJpΩ)2 − 4γJa
2Ja,
λ4 = − dl222Ja
− jJpΩ2Ja
−
√(dl2 − jJpΩ)2 − 4γJa
2Ja. (5.99)
Das System ist asymptotisch stabil, wenn D und K positiv definit sind, unabhangig vonder Matrix der gyroskopischen Krafte G (Satz von THOMSON-TAIT). Dies kann mitd > 0 und γ > 0 erreicht werden.
Seite 81
Kapitel 6
Biegeschwingungen massebehafteterBalken
Die Berechnung analytischer Losungen fur kontinuierliche Schwingungssysteme beschrankt sichpraktisch auf einfache Systeme mit zumindest bereichsweise konstanter Steifigkeits- und Mas-senverteilung. Dennoch konnen analytische Losungen von großem Nutzen sein, wenn
• grundsatzliche Parametereinflusse untersucht werden sollen (z.B. Einfluß von Normalkraf-ten auf die Eigenfrequenzen usw.),
• Uberprufungen numerischer Methoden sowie numerischer Ergebnisse fur komplexe Systemeanhand vereinfachter Modelle notwendig sind.
Zur Ermittlung der Bewegungsgleichungen des massebehafteten Balkens soll ein freigeschnitte-nes Balkenelement betrachtet werden (Abbildung 6.1). Die nachfolgenden Betrachtungen be-schranken sich auf doppelt symmetrische Balkenquerschnitte, bei denen der Schubmittelpunktund der Schwerpunkt des Querschnitts zusammenfallen. In diesem Fall bewirken die Schubspan-nungen infolge von Querkraften kein Torsionsmoment um die Balkenlangsachse, so daß Biege-und Torsionsschwingungen entkoppelt sind.
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Abbildung 6.1: Freigeschnittenes Balkenelement
Aus dem Impulssatz (NEWTON II) folgt
ρAdx w = Q+∂Q
∂xdx −Q ⇒ ρAw = +
∂Q
∂x, (6.1)
Seite 82 Kapitel 6: Biegeschwingungen massebehafteter Balken
aus dem Drallsatz ergibt sich unter Vernachlassigung der Drehtragheit (ρIy ≈ 0)
Mby −Mby −∂Mby
∂xdx +
[Q+
∂Q
∂xdx
]dx = 0 ⇒
∂Mby
∂x≈ Q . (6.2)
Die Bewegungsgleichung fur die freien Schwingungen eines massebehafteten Balkens lautet nachEinfuhrung der Biegemomenten-Krummungs-Beziehung Mby = −EIyw′′
ρAw +(EIyw
′′)′′ = 0 , (6.3)
wobei die Abkurzungen d/dx = ( )′ und d/dt = ˙( ) benutzt werden. Zur Losung dieser partiellenDgl. kann der Separationsansatz
w(x, t) = W (x) sin (ωt+ β) (6.4)
dienen, so daß die Losung w(x, t) als Produkt einer Ortsfunktion W (x) und einer harmonischenZeitfunktion angesetzt wird. Nach Einsetzen des Separationsansatzes in die partielle Dgl. gewinntman eine gewohnliche Dgl. (
EIyW′′)′′ − ρAω2W = 0 , (6.5)
mit der die – den jeweiligen Randbedingungen zugeordnete – Ortsfunktion W (x) bestimmtwerden kann. In Tabelle 6.1 sind fur einige ausgewahlte Lagerungen die zugehorigen Randbe-dingungen angegeben.
Der Tabelle 6.2 konnen die homogenen Differentialgleichungen von ausgewahlten balkenformi-gen Kontinuumsschwingern sowie die zugehorigen Eigenkreisfrequenzen entnommen werden. Vonbesonderer praktischer Bedeutung ist der Balken unter Belastung durch eine Langskraft. Die-ser Fall tritt z.B. bei Rahmenfundamenten (konstante Druckkraft) sowie bei Turbinenschaufeln(veranderliche Zugkraft infolge der Zentrifugalbeschleunigung) auf.
Symbol Bezeichnung Randbedingungen
eingespannt w(0, t) = 0 ; w′(0, t) = 0
gelenkig gelagert w(0, t) = 0 ; M(0, t) = 0
frei M(0, t) = 0 ; Q(0, t) = 0
querkraftfrei w(0, t) = 0 ; Q(0, t) = 0
Tabelle 6.1: Randbedingungen fur ausgewahlte Lagerungen
6.1 Der RAYLEIGH-Quotient zur Abschatzung der niedrigstenEigenkreisfrequenz Seite 83
Einflußgroße DGL der freien Schwingung Eigenkreisfrequenz ωi, (i = 1, 2, . . .)
Langskraft F
F FEI
l
z
rrA
EIr′′′′ + ρAr − Fr′′ = 0
(Zug: F > 0, Druck: F < 0)ωi =
π2i2
l2
sEI
ρA
s1 +
Fl2
π2i2EI
Rotationstragheit ρIund Querschubkraft κG
e<<1e =
p2 2
i Il
Al2
EIr′′′′ + ρAr − ρI
1 +
E
κG
r′′ +
ρ2I
κG¨r = 0
(Timoschenko-Balken,Rechteck: κ = 5/6)
ωi =π2i2
l2
sEI
ρA
1−
ε
2
1 +
E
κG
Winkelgeschwindigkeit ΩW
e<<1
EIw′′′′ + ρAr − ρIr′′ − 2ρIΩw′′ = 0
EIr′′′′ + ρAw − ρIw′′ − 2ρIΩr′′ = 0
(Kreiselwirkung rotierender Wellen)
ωi =π2i2
l2(1−ε)
24 IΩA
±
sIΩ
A
2
+EI
ρA(1 + ε)
35
Geschwindigkeit v0
v0
FF
EIr′′′′ + ρAr −F − ρAv20
r′′ − 2ρAv0r
′ = 0
(bewegte Riemen Bander, Faden, . . . )
ωi =πi
l
"sF
ρA+π2i2EI
ρAl2− v0
#
Masse der Flussigkeitpro Langeneinheit µ =ρFAF , Geschwindigkeitder Flussigkeit c, Innen-druck p, Stromungsquer-schnittsflache AF
EIr′′′′+(ρA+ µ) r+µc2 + pAF − F
r′′+2cµr′ = 0
(flussigkeitsdurchstromtes Rohr)
ωi =πi
l
"sF − pAF
ρA+ µ+
π2i2EI
(ρA+ µ) l2− c
#
Tabelle 6.2: Parametereinflusse auf den kontinuierlichen Balken
6.1 Der RAYLEIGH-Quotient zur Abschatzung der niedrigstenEigenkreisfrequenz
Die Grundlage des Verfahrens stellt der Energieerhaltungssatz fur konservative Schwingungs-systeme dar, wonach die Summe aus kinetischer Energie T und potentieller Energie U konstantist
T + U = Tmax = Umax = const . . (6.6)
Die Gesamtenergie kann hierbei als maximaler Betrag der kinetischen Energie Tmax bzw. alsmaximaler Betrag der potentiellen Energie Umax formuliert werden.
Angewendet auf den massebehafteten Balken laßt sich die kinetische Energie zu
T (t) =12
l∫0
ρAw2(x, t)dx , (6.7)
die potentielle Energie zu
U(t) =12
l∫0
EIyw′′2(x, t)dx (6.8)
Seite 84 Kapitel 6: Biegeschwingungen massebehafteter Balken
bestimmen. Mit dem harmonischen Losungsansatz
w(x, t) = W (x) sin (ωt+ β) (6.9)
konnen die maximale kinetische Energie sowie die maximale potentielle Energie ermittelt undgleichgesetzt werden,
Tmax =12ω2
l∫0
ρA [W (x)]2 dx = Umax =12
l∫0
EIy[W ′′(x)
]2 dx . (6.10)
Die Auflosung dieser Beziehung liefert die als RAYLEIGH-Quotient bezeichnete Bestimmungs-gleichung fur die Eigenkreisfrequenz,
ω2 =
l∫0
EIy [W ′′(x)]2 dx
l∫0
ρA [W (x)]2 dx, (6.11)
in welche die zugehorige Eigenform W (x) einzusetzen ist. Da diese Eigenform i.a. jedoch unbe-kannt ist, konnen anstatt dessen Naherungen W (x) in den RAYLEIGH-Quotienten eingesetztwerden. Die Auswertung des RAYLEIGH-Quotienten unter Verwendung der Naherungen W (x)liefert eine obere Schranke ω fur den gesuchten Eigenwert ω
ω2 ≤ ω2 =
l∫0
EIy
[W ′′(x)
]2dx
l∫0
ρA[W (x)
]2dx
. (6.12)
Wie sich zeigen laßt, gilt diese Minimalaussage nur fur die erste Eigenkreisfrequenz. DerRAYLEIGH- Quotient liefert somit eine Abschatzung ω1 (obere Grenze) der ersten Eigenkreis-frequenz ω1 zu einer der ersten Eigenform angenaherten Ortsansatzfunktion W (x).
Nur unter der praktisch nicht relevanten Bedingung, daß die Ortsansatzfunktion zu einer ho-heren Eigenkreisfrequenz keine Anteile bezuglich der niedrigeren Eigenformen enthalt, ist eineAbschatzung auch fur hohere Eigenkreisfrequenzen gesichert. Zur Abschatzung der hoheren Ei-genkreisfrequenzen werden daher geeignetere Naherungsverfahren (RITZ-Verfahren, Verfahrenvon GALERKIN) verwendet.
Die Gute der Abschatzung der ersten Eigenkreisfrequenz hangt vom Ingenieurgefuhl des Bear-beiters ab, d.h. eine von der Eigenform W (x) stark abweichende Naherung W (x) fuhrt lediglichzu einer groben Abschatzung.
Die Naherungsfunktionen fur die Auslenkungsform W (x) mussen zumindest den geometrischenbzw. wesentlichen Randbedingungen genugen (zulassige Funktionen). Genauere Abschatzungengelingen, wenn zudem auch die dynamischen bzw. restlichen Randbedingungen erfullt werden(Vergleichsfunktionen).
Falls zusatzliche diskrete Federn bzw. diskrete Zusatzmassen berucksichtigt werden mussen,sind die Energieausdrucke im RAYLEIGH-Quotienten entsprechend zu erganzen (Vorsicht beiVergleichsfunktionen, wenn Zusatzenergien bereits uber dynamische Randbedingungen erfaßtsind !).
6.2 Rotierende Wellen mit kontinuierlicher Masseverteilung Seite 85
6.2 Rotierende Wellen mit kontinuierlicher Masseverteilung
Die Bewegungsgleichungen werden fur eine rotierende massebehaftete Welle mit zunachst kreis-formigem Querschnitt (Durchmesser d = const .) formuliert, wobei die Biegesteifigkeit durch EIaund die konstante Massebelegung durch µ = ρA angegeben werden (Abbildung 6.2).
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_ 8a`Wb[cdfe `=ghjikC>lK$4%5mL NQPSR ZNWV AK
nEoqpOrYs3trWu&vKwAbbildung 6.2: Rotierende Welle mit kontinuierlicher Massebelegung
Die Bewegungsgleichungen einer rotierenden Welle mit kontinuierlicher Masseverteilung lautenin kartesischen Koordinaten mit der Winkelgeschwindigkeit Ω
EIazIV − ρIa [z′′ + 2Ωy′′] + ρAz = 0 ,
EIayIV − ρIa [y′′ − 2Ωz′′] + ρAy = 0 . (6.13)
Da infolge der kontinuierlichen Masseverteilung stets Balkenabschnitte vorhanden sind, die sichbei einer Durchsenkung schragstellen, sind Kreiseleffekte unvermeidlich.
Zur Darstellung in komplexen raumfesten Koordinaten wird die Transformation r = z + jyverwendet,
EIarIV − ρIa
[r′′ − j2Ωr′′
]+ ρAr = 0 . (6.14)
Fur eine Untersuchung der Stabilitat sollen die Bewegungsgleichungen in mitrotierenden kom-plexen Koordinaten bestimmt werden. Hierzu werden die Transformationsgleichung und derenZeitableitungen
r = ρejΩt, r =[ρ+ jΩρ
]ejΩt, r =
[ρ+ j2Ωρ− Ω2ρ
]ejΩt (6.15)
in die Gl. (6.14) eingesetzt, woraus die Darstellung in mitrotierenden komplexen Koordinatenfolgt,
EIaρIV − ρIa
[ρ′′ + Ω2ρ′′
]+ ρA
[ρ+ j2Ωρ− Ω2ρ
]= 0 . (6.16)
Seite 86 Kapitel 6: Biegeschwingungen massebehafteter Balken
Aufgelost nach Real- und Imaginarteil mit ρ = ξ + jη ergibt sich
EIaρA
ξIV − IaA
[ξ′′ + Ω2ξ′′
]+
[ξ − 2Ωη − Ω2ξ
]= 0 ,
EIaρA
ηIV − IaA
[η′′ + Ω2η′′
]+
[η − 2Ωξ − Ω2η
]= 0 . (6.17)
Fur eine beidseitig gelenkig gelagerte Welle sind die Randbedingungen[ξ(0, t)η(0, t)
]=
[ξ(l, t)η(l, t)
]=
[00
]sowie
[ξ′′(0, t)η′′(0, t)
]=
[ξ′′(l, t)η′′(l, t)
]=
[00
](6.18)
zu berucksichtigen.
Mit Hilfe des Separationsansatzes[ξ(x, t)η(x, t)
]=
[u(t)v(t)
]sin
(nπxl
)(6.19)
werden die partiellen Differentialgleichungen in gewohnliche Differentialgleichungen uberfuhrt,
Mx + Gx + Kx = 0 , (6.20)
wobei
M =
[IaAn2π2
l2+ 1 0
0 IaAn2π2
l2+ 1
](6.21)
die Massenmatrix,
G =[
0 −2Ω2Ω 0
](6.22)
die Matrix der gyroskopischen Krafte,
K =
IaAn2π2
l2
[Eρn2π2
l2− Ω2
]− Ω2 0
0 IaAn2π2
l2
[Eρn2π2
l2− Ω2
]− Ω2
(6.23)
die Steifigkeitsmatrix und
x =[uv
](6.24)
der Lagevektor ist.
Wie deutlich wird, kann der Ubergang auf unrunde Querschnitte in der vorliegenden Form derBewegungsgleichung leicht vollzogen werden, indem in der oberen Zeile Ia durch Iξ, in der unterenZeile Ia durch Iη ersetzt wird.
Das Stabilitatsverhalten ergibt sich mit dem Ansatz[u(t)v(t)
]=
[AB
]ejωt (6.25)
aus der charakteristischen Gleichung
det
IξAn2π2
l2
[Eρn2π2
l2− Ω2 − ω2
]− Ω2 − ω2 −2jΩω
2jΩω IηAn2π2
l2
[Eρn2π2
l2− Ω2 − ω2
]− Ω2 − ω2
= 0 ,
(6.26)
6.3 Ubungsaufgaben Seite 87
deren Losungen ω = ω (Ω) Funktionen der Erregerkreisfrequenz Ω sind. Fur die rotierendeWelle mit kontinuierlicher Massenverteilung ergeben sich (wegen n = 1, 2, . . .) unendlich vieleEigenkreisfrequenzen, wobei Resonanz auftritt, wenn eine dieser Eigenkreisfrequenzen ω mit derUmlaufkreisfrequenz Ω (Unwuchterregung) zusammenfallt (Abbildung 6.3).
1 10 100 1000 10000 1e+05
1
10
100
1000
10000
1e+05
Instabilität
Resonanz
Resonanz
W
W
w1
l=3000mm n=1
20
10
h
Abbildung 6.3: Eigenkreisfrequenzen einer rotierenden Welle mitkontinuierlicher Massebelegung
6.3 Ubungsaufgaben
6.3.1 Eigenkreisfrequenzermittlung mit dem RAYLEIGH-Quotienten fureinen Balken (eingespannt/gestutzt)
Fur den in Abbildung 6.4 skizzierten Balken (Biegesteifigkeit EI, Massebelegung µ = ρA,Lange l) soll die niedrigste Eigenkreisfrequenz mit dem RAYLEIGH-Quotienten abgeschatztwerden.
EI A, m = r
l
Abbildung 6.4: Balken mit Randbedingung eingespannt/gestutzt
Als Ansatzfunktion wird die statische Biegelinie unter Eigengewicht
w1 (ξ) = 3ξ2 − 5ξ3 + 2ξ4 (6.27)
Seite 88 Kapitel 6: Biegeschwingungen massebehafteter Balken
mit der Abkurzung ξ = x/l verwendet, deren Ableitungen nach x lauten (Kettenregel)
w′1 (ξ) =1l
[6ξ − 15ξ2 + 8ξ3
],
w′′1 (ξ) =1l2
[6− 30ξ + 24ξ2
]. (6.28)
Wie ersichtlich, erfullt die Ansatzfunktion sowohl die geometrischen Randbedingungen
w1 (ξ = 0) = 0 , w′1 (ξ = 0) = 0 und w1 (ξ = 1) = 0 (6.29)
als auch die dynamische Randbedingung
w′′1 (ξ = 1) = 0 , (6.30)
so daß die Ansatzfunktion als Vergleichsfunktion bezeichnet werden kann.
Der RAYLEIGH-Quotient ergibt sich mit der Substitution ξ = x/l zu
ω21 ≤
1∫0
EI(w′′1(ξ))2dξ
1∫0
µ(w1(ξ))2dξ
. (6.31)
Der Zahlerausdruck berechnet sich nach Einsetzen der Ansatzfunktion zu1∫
0
EI(w′′1(ξ))2dξ =EI
l4
1∫0
[36 + 900ξ2 + 242ξ4 − 360ξ + 12 · 24ξ2 − 60 · 24ξ3
]dξ (6.32)
und schließlich zu1∫
0
EI(w′′1(ξ))2dξ =EI
l4
[36 + 300 +
242
5− 180 + 4 · 24− 15 · 24
]=
365EI
l4. (6.33)
Entsprechend lautet der Nennerausdruck1∫
0
µw21 (ξ) dξ = µ
1∫0
[9ξ4 + 25ξ6 + 4ξ8 − 30ξ5 + 12ξ6 − 20ξ7
]dξ
1∫0
µw21 (ξ) dξ = µ
[95
+257
+49− 5 +
127− 20
8
]=
19630
µ . (6.34)
Hiermit bekommt man die obere Schranke fur die niedrigste Eigenkreisfrequenz
ω21 ≤
453619
EI
µl4bzw. ω1 ≤ 15, 451
√EI
µl4, (6.35)
welche lediglich 0, 21% großer ist als die exakte Eigenkreisfrequenz
ω1,exakt = 15, 428
√EI
µl4, (6.36)
die man durch Losen der Balkendifferentialgleichung fur die gegebenen Randbedingungen erhalt.
Seite 89
Kapitel 7
Massenausgleich und Auswuchtenvon Maschinen
Ziel aller Massenausgleichs- bzw. Auswuchtmaßnahmen ist die Beeinflussung der Masseverteilungin der Weise, daß resultierende Massenkrafte vermieden oder zumindest auf ein zulassiges Maßreduziert werden.
7.1 Auswuchten starrer Rotoren
Unsymmetrien und Inhomogenitaten bezuglich der Masseverteilung von Rotoren beeinflussenden Auswuchtzustand, welcher gekennzeichnet ist durch
• den Abstand des Schwerpunktes von der Drehachse (statische Unwucht) und
• die Winkelabweichung der Haupttragheitsachse zur durch die Lagerung vorgegebenenDrehachse (dynamische Unwucht).
Bei ausschließlich unterkritischem Betrieb des Rotors (Ω < 0, 5 ω0) ist zur Festlegung vonAuswuchtmaßnahmen die Untersuchung eines starren Rotors ausreichend. In Abbildung 7.1ist ein starrer Rotor dargestellt, dessen Schwerpunkt S von der Drehachse abweicht (statischeUnwucht) und dessen zentrale Haupttragheitsachse nicht parallel zur Drehachse ist (dynamischeUnwucht).
Ziel der nachfolgenden Untersuchung ist die Bestimmung der unwuchtbedingten Krafte, welchevom Rotor auf die Lager A und B ubertragen werden.
Zur Beschreibung der Kinematik sowie der Kraftgroßen werden ein raumfestes komplexes Koor-dinatensystem x, y, z (z-Achse identisch mit der Drehachse) sowie ein korperfestes mitrotie-rendes Koordinatensystem ξ, η, z gewahlt.
Der Zeiger zum Schwerpunkt eines freigeschnittenen scheibenformigen Rotorelementes lautetmit der Winkelgeschwindigkeit Ω des Rotors
r = x+ jy = (ξ + jη)ejΩt . (7.1)
Durch zweimalige Differentiation nach der Zeit erhalt man die Schwerpunktsbeschleunigung
r = x+ jy = −Ω2(ξ + jη)ejΩt (7.2)
Seite 90 Kapitel 7: Massenausgleich und Auswuchten von Maschinen
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ST
U
-VO
Abbildung 7.1: Starrer Rotor mit statischer und dynamischer Unwucht
und nach einer Integration bezuglich der Masse m die resultierende Zentrifugalkraft des Rotors
F = −∫m
[x+ jy]dm = mΩ2(ξS + jηS)ejΩt , (7.3)
wobei ξS , ηS die Koordinaten des Rotorgesamtschwerpunktes im korperfesten Koordinatensy-stem bezeichnen.
Zur Berechnung der aus der Abweichung von zentraler Haupttragheitsachse und Drehachse re-sultierenden Momentenwirkung,
M = Mx + jMy , (7.4)
sind die mit dem Hebelarm z gewichteten Fliehkraftanteile aller Rotorelemente aufzuintegrieren
M = j
∫m
Ω2z(ξ + jη)ejΩtdm = −jΩ2ejΩt(Jzξ + jJzη) , (7.5)
wobei die Deviationsmomente
Jzξ = −∫m
zξdm sowie Jzη = −∫m
zηdm (7.6)
eingefuhrt wurden.
Mit diesen Vorbetrachtungen konnen jetzt die Gleichgewichtsbeziehungen bezuglich der Kraftein der x-y-Ebene,
FA + FB + F = 0 , (7.7)
7.1 Auswuchten starrer Rotoren Seite 91
sowie bezuglich der Momente in x- und y-Richtung aufgestellt werden. Hierbei gilt zu beruck-sichtigen, daß die von der Lagerkraft FA und der Fliehkraft F hervorgerufenen Momente denKraften selbst um π/2 vorauseilen (Vorfaktor j),
jFA(a+ b) + jFb+M = 0 . (7.8)
Nach dem Einsetzen der Gl. (7.3) sowie Gl. (7.5) lassen sich die Kraft im Lager A
FA =Ω2
a+ b[−mb(ξS + jηS) + Jzξ + jJzη] ejΩt (7.9)
und die Kraft im Lager B
FB = − Ω2
a+ b[ma(ξS + jηS) + Jzξ + jJzη] ejΩt (7.10)
bestimmen. Man erkennt, daß die Zeiger der Lagerkrafte mit Ω umlaufen, wegen der dynami-schen Unwucht (zentrale Haupttragheitsachse nicht parallel zur Drehachse) jedoch eine Phasen-verschiebung zueinander aufweisen.
Zum Auswuchten eines Rotors mit statischer und dynamischer Unwucht mussen Massekorrek-turen in (mindestens) zwei Auswuchtebenen vorgenommen werden.
Nachfolgend wird der Fall betrachtet, daß zwei Ausgleichsmassen m1 bzw. m2 in den Auswucht-ebenen z1 bzw. z2 angebracht werden.
Damit ergibt sich die resultierende Fliehkraft mit den Ausgleichsmassen (Abbildung 7.1)
F = [m(ξS + jηS) +m1(ξ1 + jη1) +m2(ξ2 + jη2)] Ω2ejΩt (7.11)
und das resultierende Moment
M = [m1z1(ξ1 + jη1) +m2z2(ξ2 + jη2)− Jzξ − jJzη] j Ω2ejΩt . (7.12)
Der starre Rotor ist genau dann ausgewuchtet (FA = FB = 0), wenn die resultierende Fliehkraftund das resultierende Moment identisch Null sind,
F = 0 , M = 0 , (7.13)
so daß die Ausdrucke in den eckigen Klammern verschwinden mussen. Hieraus konnen jeweilsdie Auswuchtmassen sowie deren Anbringungsort (Abstand zur Drehachse und Phasenwinkel)bestimmt werden,
m1(ξ1 + jη1) =mz2(ξS + jηS) + Jzξ + jJzη
z2 − z1,
(7.14)
m2(ξ2 + jη2) =mz1(ξS + jηS) + Jzξ + jJzη
z2 − z1.
Seite 92 Kapitel 7: Massenausgleich und Auswuchten von Maschinen
7.2 Massenausgleich an Koppelgetrieben
Durch den Massenausgleich von Mechanismen wird angestrebt, mittels geeigneter Massekorrek-turen die Anderungen der Lage des Gesamtschwerpunktes des Getriebes wahrend der Bewegungmoglichst klein zu halten bzw. im Idealfall Anderungen des Gesamtschwerpunktes vollstandigzu vermeiden.
Hiermit werden nachfolgende Ziele erreicht:
• Reduzierung der Schwankungen des Antriebsmomentes bzw. der Antriebskraft infolge An-derung des Schwerkraftpotentials (Arbeit der Gewichtskraft bei Schwerpunktverschiebungin Kraftrichtung),
• Reduzierung bzw. Vermeidung von Massenkraften Fx = −mxS bzw. Fy = −myS , welchevom Getriebe auf das Fundament ubertragen werden, wenn der Gesamtschwerpunkt eineBeschleunigung (xS , yS) erfahrt.
Beispiel I: Viergelenkgetriebe
Das Vorgehen soll anhand des Beispiels eines Viergelenkgetriebes beschrieben werden, welchesin Abbildung 7.2 dargestellt ist.
Abbildung 7.2: Massenausgleich von Mechanismen am BeispielViergelenkgetriebe
Das Viergelenkgetriebe besteht aus dem ruhenden Gestell 1 sowie den bewegten Getriebeglie-dern: dem Antriebsglied 2, dem Koppelglied 3 und dem Abtriebsglied 4. Die ebenen Bewegungender massebehafteten Getriebeglieder werden vorteilhaft in einem raumfesten komplexen Koor-dinatensystem beschrieben.
Die Koordinaten der Massenschwerpunkte Si der einzelnen Getriebeglieder i sind jeweils in einemkorperfesten komplexen Koordinatensystem ξi, ηi formuliert, wobei die ξi-Achse in Richtungder entsprechenden Verbindungslinie der Gelenke gewahlt wird.
Damit ergeben sich der komplexe Zeiger zum Schwerpunkt des Getriebegliedes 2
rS2= xS2 + jyS2 = (ξS2 + jηS2)e
jϕ2 , (7.15)
7.2 Massenausgleich an Koppelgetrieben Seite 93
der Zeiger zum Schwerpunkt des Getriebegliedes 3
rS3= xS3 + jyS3 = l2e
jϕ2 + (ξS3 + jηS3)ejϕ3 (7.16)
sowie der Zeiger bezuglich des Schwerpunktes
rS4= xS4 + jyS4 = l1 + (ξS4 + jηS4)e
jϕ4 . (7.17)
Die Lagekoordinaten des Getriebes (ϕ2, ϕ3, ϕ4) sind durch die Zwangsbedingung
l2ejϕ2 + l3e
jϕ3 = l1 + l4ejϕ4 (7.18)
miteinander gekoppelt.
Der Zeiger zum Gesamtschwerpunkt ergibt sich damit zu
rS =
4∑i=2
mirSi
4∑i=2
mi
=m2rS2
+m3rS3+m4rS4
m2 +m3 +m4. (7.19)
Mit Hilfe der Zwangsbedingung laßt sich eine Lagekoordinate eliminieren, so daß z.B. die Lage-koordinate ϕ4 als Funktion der Koordinaten ϕ2 und ϕ3 ausgedruckt werden kann
ejϕ4 =l2l4ejϕ2 +
l3l4ejϕ3 − l1
l4. (7.20)
Nach dem Einsetzen der Ausdrucke fur die Zeiger zum Schwerpunkt der Teilkorper kann derZeiger zum Gesamtschwerpunkt ermittelt werden
rS =ejϕ2
m2 +m3 +m4
[m2(ξS2 + jηS2) +m3l2 +m4(ξS4 + jηS4)
l2l4
]+
ejϕ3
m2 +m3 +m4
[m3(ξS3 + jηS3) +m4(ξS4 + jηS4)
l3l4
](7.21)
+m4
m2 +m3 +m4
(l1 − (ξS4 + jηS4)
l1l4
).
Der Zeiger zum Gesamtschwerpunkt ist von den Lagekoordinaten ϕ2 und ϕ3 abhangig. DerSchwerpunkt ist dann konstant, wenn die Ausdrucke in den eckigen Klammern verschwinden.
Fur den Sonderfall, daß die Schwerpunkte der Getriebeglieder auf der jeweiligen Verbindungslinieder Gelenke (ξi-Achse) liegen (ηS2 = 0, ηS3 = 0, ηS4 = 0), lauten die Bedingungen fur einenkonstanten Schwerpunkt
m2ξS2 +m3l2 +m4ξS4
l2l4
= 0 , m3ξS3 +m4ξS4
l3l4
= 0 . (7.22)
Beispiel II: Schubkurbelgetriebe
Das zu untersuchende Schubkurbelgetriebe besteht aus drei bewegten Getriebegliedern(Abbildung 7.3). Das Antriebsglied 2, welches uber ein Drehgelenk im Gestell 1 gelagert ist,ist uber das Koppelglied 3 mit dem Abtriebsschieber 4 verbunden. Da die Getriebeglieder 2 und3 als Stabe realisiert sind, liegen die Schwerpunkte jeweils auf der Stabachse (ηS2 = ηS3 = 0).
Seite 94 Kapitel 7: Massenausgleich und Auswuchten von Maschinen
Abbildung 7.3: Massenausgleich fur ein Schubkurbelgetriebe
Mit den Zeigern zum Schwerpunkt der Getriebeglieder
rS2= ξS2 e
jϕ2 ,
rS3= l2 e
jϕ2 + ξS3 ejϕ3 , (7.23)
rS4= l2 e
jϕ2 + l3 ejϕ3
ergibt sich der Zeiger zum Gesamtschwerpunkt des Schubkurbelgetriebes zu
rS =
4∑i=2
mirSi
4∑i=2
mi
=ejϕ2
m2 +m3 +m4[m2ξS2 + (m3 +m4)l2] +
ejϕ3
m2 +m3 +m4[m3ξS3 +m4l3] .
(7.24)
Der Zeiger ist dann unabhangig von den Lagekoordinaten ϕ2 und ϕ3, wenn die Ausdrucke inden eckigen Klammern identisch Null sind,
m2ξS2 + (m3 +m4)l2 = 0 und m3ξS3 +m4l3 = 0 . (7.25)
Bei Betrachtung der sich hieraus ergebenden Bedingungen fur die Lage der Schwerpunkte imkorperfesten Koordinatensystem
ξS2 = −m3 +m4
m2l2 sowie ξS3 = −m4
m3l3 (7.26)
wird deutlich, daß ein vollstandiger Massenausgleich praktisch nicht zu realisieren ist. Die bedeu-tendste Anwendung des Schubkurbelgetriebes besteht im Bereich der Verbrennungskraftmaschi-nen, wo das Getriebe zur Ubertragung der Gaskrafte auf die Kurbelwelle eingesetzt wird. Hierfuhrt der unvollkommene Massenausgleich gemaß dem Schwerpunktsatz zu einer periodischenBelastung der Motorlagerung, die in einer FOURIER-Reihe darstellbar ist. Die hoheren Harmo-nischen dieser Massenkrafte bewirken dann die Anregung unerwunschter Strukturschwingungen(Karosserie, Einbauten usw.) im horbaren Frequenzbereich.
Seite 95
Kapitel 8
Mathematischer Anhang
8.1 Modale Berechnung von Mehrfreiheitsgradsystemen
Die Ermittlung der Losung von Bewegungsgleichungen linearer Mehrfreiheitsgradsysteme isthaufig dadurch charakterisiert, daß infolge von Kopplungen zwischen den einzelnen Bewegungs-gleichungen
• Ungenauigkeiten bei der numerischen Losung entstehen und
• ein hoher Zeitaufwand notwendig ist.
Bei der modalen Berechnung werden die Bewegungsgleichungen mittels einer Koordinatentrans-formation entkoppelt, so daß eine unabhangige Losung der einzelnen Gleichungen moglich wird.Die gesuchte Losung in den ursprunglichen Koordinaten wird anschließend durch eine Ruck-transformation gewonnen. Neben einem Zeitgewinn stellt sich als wesentlicher Vorteil diesesVerfahrens dar, daß der Bearbeiter ein verbessertes Verstandnis des Losungsverhaltens erlangt.
Die modale Berechnung ist bei Systemen anwendbar, die durch die Bewegungsgleichungen
Mx + Dx + Kx = f (8.1)
beschrieben werden, wobei die Massenmatrix M und die Steifigkeitsmatrix K symmetrisch seinmussen. Bezuglich der Dampfungsmatrix wird gefordert, daß diese gemaß der Bequemlichkeits-hypothese
D = αM + βK (8.2)
als Linearkombination der Massenmatrix M und der Steifigkeitsmatrix K darstellbar ist.
Beim Verfahren der modalen Berechnung ist zunachst das Eigenwertproblem des ungedampf-ten Systems mit D = 0 zu losen. Der harmonische Losungsansatz x = vejωt fuhrt nach demEinsetzen in die homogenen Bewegungsgleichungen Mx + Kx = 0 auf das allgemeine Eigen-wertproblem [
K− ω2M]v = 0 , (8.3)
welches nur fur die Eigenwerte ωk nichttriviale Losungen vk aufweist. Die Eigenwerte ωklassen sich als Nullstellen des charakteristischen Polynoms det
[K− ω2M
]= 0 bestimmen.
Die zugehorigen Rechtseigenvektoren vk konnen jeweils aus dem singularen Gleichungssystem[K− ω2
kM]vk = 0 ermittelt werden.
Seite 96 Kapitel 8: Mathematischer Anhang
Um die Eigenschaften der Eigenvektoren zu bestimmen, wird Gl. (8.3) umgestellt
Kvk = ω2kMvk (8.4)
und mit einem anderen Eigenvektor vlT links vormultipliziert
vlTKvk = ω2kvl
TMvk . (8.5)
Durch Transponieren dieser Gleichung erhalt man mit M = MT sowie K = KT
vkTKvl = ω2kvk
TMvl . (8.6)
Nach entsprechendem Vorgehen gewinnt man durch Unformen des Eigenwertproblems fur denEigenwert ωl
Kvl = ω2l Mvl (8.7)
nach Vormultiplizieren mit dem Eigenvektor vkT und anschließendem Transponieren die Glei-chung
vkTKvl = ω2l vk
TMvl . (8.8)
Subtrahiert man diese Gleichung von Gl. (8.6), erhalt man
(ω2k − ω2
l )vkTMvl = 0 , (8.9)
woraus fur ungleiche Eigenwerte ωk 6= ωl folgt
vkTMvl = 0 (8.10)
und mit Gl. (8.6) auchvkTKvl = 0 . (8.11)
Nach diesen — als Orthogonalitatsrelationen bezeichneten — Gleichungen sind unterschiedlicheEigenvektoren sowohl zur Massenmatrix M als auch zur Steifigkeitsmatrix K orthogonal.
Die Entkopplung der Bewegungsgleichungen gelingt mit der Modaltransformation auf die Mod-alkoordinaten y
x = Vy , (8.12)
wobei die Modalmatrix V =[v1
...v2... · · ·
...vn
]aus den n Rechtseigenvektoren aufgebaut ist.
Das Einsetzen des Ansatzes in die Bewegungsgleichungen liefert
MVy + DVy + KVy = f (8.13)
und nach Vormultiplikation mit der transponierten Modalmatrix
VTMVy + VTDVy + VTKVy = VT f . (8.14)
Unter Ausnutzung der Orthogonalitatsrelationen konnen die Matrizenprodukte zu Diagonalma-trizen vereinfacht werden:
VTMV = diag(vkTMvk) = diag(m?k)
VTKV = diag(vkTKvk) = diag(k?k) (8.15)VTDV = diag(αvkTMvk) + diag(βvkTKvk) = diag(αm?
k + βk?k) = diag(d?k) .
8.2 Bimodale Berechnung von Mehrfreiheitsgradsystemen Seite 97
Damit erhalt man n (k = 1, 2, . . . , n) entkoppelte Gleichungen fur die – den Eigenwerten ωkzugeordneten – Modalkoordinaten yk
m?k yk + d?k yk + k?k yk = g?k , (8.16)
mit der modalen Masse m?k, der modalen Dampfung d?k = αm?
k + βk?k, der modalen Steifigkeitk?k und der modalen Kraft g?k = vkT f .
Nach der unabhangigen Losung dieser n Gleichungen kann die Losung in den physikalischenKoordinaten x aus den modalen Koordinaten y
x = Vy bzw. xi =n∑k=1
vik yk (8.17)
zusammengesetzt werden, wobei die i-te Komponente vik des k-ten Eigenvektors vk den Anteilder k-ten Modalkoordinate yk an der i-ten physikalischen Koordinate xi angibt.
8.2 Bimodale Berechnung von Mehrfreiheitsgradsystemen
Dieses Verfahren ist zur Berechnung der Losung der Bewegungsgleichungen linearer Mehrfrei-heitsgradsysteme
Mx + Dx + Kx = f (8.18)
geeignet, wobei keine Symmetrieanforderungen an die Massenmatrix M oder die Steifigkeitsma-trix K gestellt werden. Weiterhin ist eine allgemeine Form der Matrix D zulassig, die sowohlDampfungsterme als auch gyroskopische Anteile (schiefsymmetrisch) enthalten kann.
Das Verfahren basiert auf der Transformation der Bewegungsgleichungen in die Zustandsraum-darstellung, in der nach Entkopplung der Gleichungen (Diagonalisierung der Matrizen) die Lo-sung ermittelt werden soll. Hierzu wird ein Zustandsvektor
z =[
xx
](8.19)
definiert, der gegenuber dem Lagevektor x des Differentialgleichungssystems eine verdoppelteDimension aufweist. Durch Linksmultiplikation der Gl. (8.18) mit der inversen Massenmatrix,Auflosen nach x und Einfugen in das Matrizenschema erhalt man die Zustandsgleichung
ddt
[xx
]=
[0 E
−M−1K −M−1D
] [xx
]+
[0
M−1f
]bzw. (8.20)
z = Az + b ,
mit der Systemmatrix A und dem Eingangsvektor b.
Die Losung der homogenen Zustandsgleichung z = Az fuhrt mit dem komplexen Losungsansatzz = veλt auf das spezielle Eigenwertproblem
[A− λE]v = 0 . (8.21)
Seite 98 Kapitel 8: Mathematischer Anhang
Die i.a. komplexen Eigenwerte λk berechnen sich als Nullstellen des charakteristischen Polynomsdet [A− λkE] = 0 und liefern nach dem Einsetzen ein singulares Gleichungssystem
[A− λkE]vk = 0 (8.22)
fur die zugeordneten (i.a. komplexen) Rechtseigenvektoren vk.
Die Losung des Eigenwertproblems[AT − λkE
]wk = 0 mit der transponierten Systemmatrix
fuhrt auf dasselbe charakteristische Polynom det[AT − λkE
]= 0 und somit auf dieselben Ei-
genwerte λk (Eigenwerte invariant bezuglich Transponierung), welche nach dem Einsetzen in dassingulare Gleichungssystem [
AT − λkE]wk = 0 (8.23)
die Bestimmungsgleichungen fur die (i.a. komplexen) Linkseigenvektoren wk zum Eigenwert λkergeben.
Zur Bestimmung der Eigenschaften von Links- und Rechtseigenvektoren wird Gl. (8.22) umge-formt,
Avk = λkvk , (8.24)
woraus nach Linksmultiplikation mit dem Linkseigenvektor wlT hervorgeht
wlTAvk = λkwl
Tvk . (8.25)
Ebenso ergibt sich aus der umgeformten Gl. (8.23)
ATwl = λlwl , (8.26)
nach Linksmultiplikation mit dem Rechtseigenvektor vkT
vkTATwl = λlvkTwl , (8.27)
und schließlich nach dem Transponieren
wlTAvk = λlwT
l vk . (8.28)
Aus der Subtraktion der Gl. (8.25) von der Gl. (8.28) gewinnt man
(λl − λk)wTl vk = 0 (8.29)
und somit fur ungleiche Eigenwerte λl 6= λk die Orthogonalitatsrelationen bezuglich der zuunterschiedlichen Eigenwerten gehorigen Rechts- und Linkseigenvektoren
wTl vk = vkTwl = 0 . (8.30)
Zur Normierung der zum gleichen Eigenwert gehorigen Rechts- und Linkseigenvektoren wird dasSkalarprodukt wT
k vk = vkTwk = ak eingefuhrt. Mittels der Normierungen
w?k =
wk√ak
sowie v?k =vk√ak
(8.31)
8.2 Bimodale Berechnung von Mehrfreiheitsgradsystemen Seite 99
laßt sich die Orthogonalitatsrelation angeben zu
w?l v
?k =
0 l 6= k
fur1 l = k
. (8.32)
Die auf diese Weise normierten Rechtseigenvektoren sollen in einer Rechtsmodalmatrix
V =[v?1
...v?2... · · ·
...v?2n
](8.33)
und die normierten Linkseigenvektoren in einer Linksmodalmatrix
W =[w?
1
...w?2
... · · ·...w?
2n
](8.34)
zusammengefaßt werden.
Zur Transformation der Zustandsgleichung auf Diagonalform dient der Ansatz z = Vy, welchernach dem Einsetzen auf
Vy = AVy + b (8.35)
und nach Linksmultiplikation mit der transponierten Linksmodalmatrix auf
WTVy = WTAVy + WTb (8.36)
fuhrt. Unter Ausnutzung der Orthogonalitatsrelation lassen sich die Matrizenprodukte als Dia-gonalmatrizen schreiben:
WTV = E ,
WTAV = diag(λg) = Λ . (8.37)
Die entkoppelte Zustandsgleichung bestimmt sich hiermit zu
y = Λy + g (8.38)
bzw. die 2n Gleichungen fur die modalen Koordinaten zu
yk = λkyk + gk , (8.39)
wobei g = WTb den modalen Kraftvektor und gk die modale Kraftkomponente angeben.
Nach der Losung der 2n unabhangigen Gleichungen konnen mit der Transformation der Zu-standsvektor
z = Vy bzw. die Zustandsgroßen zi =2n∑k=1
vik yk (8.40)
und somit auch die gesuchte Losung x berechnet werden.
Seite 100
Kapitel 9
Literatur zur Maschinendynamik
Dresig, H.; Rockhausen L.: Aufgabensammlung Maschinendynamik. Leipzig; Koln: Fachbuch-verlag 1994
Dresig, H.; Vul’fson, J.I.: Dynamik der Mechanismen. Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wis-senschaften 1989
Gasch, R.; Knothe, K.: Strukturdynamik, Band 1: Diskrete Systeme. Berlin; Heidelberg: Sprin-ger 1987
Gasch, R.; Knothe, K.: Strukturdynamik, Band 2: Kontinua und ihre Diskretisierung. Berlin;Heidelberg: Springer 1989
Gasch, R.; Nordmann, R.; Pfutzner, H.: Rotordynamik. Berlin; Heidelberg: Springer 2002
Hagedorn, P.; Otterbein, S.: Technische Schwingungslehre: Lineare Schwingungen diskreter me-chanischer Systeme. Berlin; Heidelberg: Springer 1987
Holzweißig, F.; Dresig, H.: Lehrbuch der Maschinendynamik. Leipzig; Koln: Fachbuchverlag1992
Kramer, E.: Dynamics of Rotors and Foundations. Berlin; Heidelberg: Springer 1993
Kramer, E.: Maschinendynamik. Berlin; Heidelberg: Springer 1984
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