matuz zum verfahren mit betrugsmachenschaften

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  • 8/19/2019 Matuz Zum Verfahren Mit Betrugsmachenschaften

    1/12

    Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg 

    JOSEFMATUZ 

    Zum Verfahren mit Betrugsmachenschaften im

    osmanischen Reich des 16. Jh.

    Originalbeitrag erschienen in:Giampiero Bellingeri (Hrsg.): Studi eurasiatici in onore di Mario Grignaschi.Venezia: Libraria Universitaria Ed., 1988, S. 119-128

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    JOSEF MATUZ

    ZUM VERFAHREN MIT BETRUGSMACHENSCHAFTEN IM

    OSMANISCHEN REICH DES 16. JH.

    Eine der wichtigen juristischen Institutionen des Osmanenstaates war

    das ausgedehnte Beschwerderecht. Im Rahmen dieser Einrichtung war

    bekanntlich jeder Untertan, der sich in seinen Rechten verletzt fühlte,

    unabhängig von seiner gesellschaftlichen Stellung und Religionszugehö-

    rigkeit befugt, sich mit seinem Anliegen entweder an die Provinzverwal-

    tung ' oder aber unmittelbar an die Hohe Pforte zu wenden. Dieses im

    Prinzip uneingeschränkte

    2

     Beschwerderecht wurde recht häufig in

    Anspruch genommen 3

    , weil die regelrechte Kadi-Gerichtsbarkeit wegen

    der generellen Bestechlichkeit der Richter ' keine Gewähr dafür bot,

    daß derjenige, der Recht

    hatte,

    dieses Recht tatsächlich auch

    b e k a m .

    Da andererseits aber ein nach dem Religionsgesetz

    (gen at) getroffenes

    Urteil eines Kadis unumstößlich war

    5 , so tat man gut daran, dem Rich-

    ter einen einschlägigen Ferman — u.zw. noch bevor er den Beschluß

    ergehen ließ — vorzulegen. So lief man weniger Gefahr, daß der Kadi —

    in Mißachtung des Großherrlichen Befehls — wagen würde, eine offen-

    bar falsche Entscheidung zu treffen 6 •

      Die Bewohner der ungarischen Stadt Debrecen wandten sich beispielsweise wiederholt an

    Zöl

    Mahmüd,

    den Beglerbeg von Ofen, wenn sie sich in ihrem gewohnten Lebenswandel gestört fühl-

    ten; vgl. FEKETE, Lajos: Debrecen väros leveltäränak török oklevelei [--- Die türkischen Urkunden

    des Archivs der Stadt Debrecen] ,

    Levatdri Közlemimek [=

    Archivalische Mitteilungen], III

    (1926), S. 42-67.

    2

     Provinzgouverneure, Beglerbegs wie Sandschakbegs, versuchten allerdings wiederholt, die

    Beschwerdeführer, die gegen sie Eingaben an die Pforte richteten, als Kriminelle zu diffamieren.

    Vgl. JOSEF MAruz:

    Das Kanzleiwesen Sultan Süleymöns des Prächtigen,

    Wiesbaden 1974, S. 66.

    3

     Wir können mit jährlich ungefähr fünfhundert Sultansurkunden rechnen, die auf Petitionen hin

    erlassen wurden; vgl. ibid., S. 119.

    4

     Vgl. HANS SoBoTrA:

    Das Amt des Kadi im Osmanischen Reich,

    maschinenschr. phil. Diss.,

    Münster (Westf.) 1954, S. 149f.

    5

     Vgl. MATUZ,

    Kanzleiwesen,

    S. 66.

    6

     Vgl. ibid.

    119

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    Die Sachen, in denen man sich an die Pforte wandte, waren mannig-

    faltiger

    7

     Art: Es konnte sich um zivil-, finanz-, steuerrechtliche Ange-

    legenheiten, aber auch um Rechtssachen handeln, die nach unserer

    modernen Rechtsauffassung eigentlich Kriminalfälle sind

    8

    Ob die Petition in schriftlicher Form vorgelegt oder aber zur Nieder-

    schrift in der Kanzlei

    9

     mündlich vorgetragen wurde °°, erging in jedem

    Falle an den zuständigen Kadi ein im Namen des Sultans ausgestellter

    entsprechender Ferman, der vermutlich bereits während der Zeit Sultan

    Süleymäns des Prächtigen als

     hükm-i gikeet auf eine Beschwerde hin

    erlassener [großherrlicher] Befehl bezeichnet wurde: Kommt ja das

    Wort gik iy t

    Beschwerde, Klage in Fermanen solcher Art

    ohne Aus-

    nahme vor.

    Der Ferman, der dem gegenwärtigen Beitrag zugrundeliegt, stellt

    einen solchen hükm-i svikäyet

    dar. Die Ende Januar 1547 an den Kadi

    von

    Eski

    Zağra 12

     gerichtete Originalurkunde befindet sich im Istanbuler

    Archiv des Ministerpräsidiums

    13

    . Wie von der Faksimilewiedergabe

    ersichtlich, ist sie durch Wasserschäden etwas verunstaltet. Zum Inhalt

    hat der Ferman die Machenschaften eines betrügerischen Ehepaars, das

    gegen das Religionsgesetz versucht, seinen Garten an zwei Personen zu

    verkaufen, um damit den doppelten Gewinn zu erlangen.

    Vor der Erörterung des Falles bzw. dessen religionsgesetzlicher Ana-

    lyse sollen vorab Text und Übersetzung geboten werden.

    '

    Hiervon vermittelt

    Das osmanische Registerbuch der Beschwerden (şikayet

    defteri)

    vom Jahre

    1675. Österreichische Nationalbibliothek, Cod. mixt. 683.

    Hans Georg

    Majer (ed.), Bd. I, Wien

    1984,

    eine gute Ahnung.

    8

     Vgl.

    MATUZ,

    Kanzleiwesen,

    S.

    107.

    9

     Ibid., S. 66.

    10

     Ibid.

     

    Dieses ausgedehnte

    Beschwerderecht

    dürfte nebenher bemerkt m.E. ein wichtiges Indiz für

    die hohe Entwicklungsstufe sowohl für den rechts- wie sozialstaatlichen Charakter des Osmani-

    schen Reiches in der Blütezeit darstellen.

    12

     Im Original

    Zağra Eskisi;

    hier handelt es sich um das heutige

    Stara Zagora

    in Bulgarien, das

    sich unweit der türkisch-bulgarischen Grenze,

    nord-östlich von Edirne,

    befindet. Vgl.

    D.E. PIT-

    CHER:

    An historical geography of the Ottoman Empire, from earliest time to the end of the 16th

    century, Leiden 1972,

    Karte XXVI.

      Başbakanlık Arşivi,

    Ali Emini Tasnifi, Kanuni.

    12 0

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    TEXT:

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    122

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    6/12

    TRANSKRIPTION:

    Süleyman

    bin

    Selim I-21

    än, muzaffer däymä

    (1 )

    Müfatıhar ül-quiät vel-lıükkäm, ma`den

     ü

    -fal vel-keläm, Mevlänä, Zağra Eskisi

    qätisi, zide failühü Tevqie-i refi'-i hümäyün väşil oliğaq maclüm ola

    ki:

    (2 )

    el-lıäletü häzihi därende-yi fermän-i hümäyün,

    'Ali näm kimesne, dergäh-i mueal-

    läma eartu Iıil Ğdüb: "Qatä-yi mezkürda säkin Muştafä näm kimesne mülk bağ-

    eesini gerele baqa bey' üdüb

    (3 )

    qabt-i semen ve teslim-i mebie dtdükden şorga eavreti ile müväta'a ddüb eavreti:

    `Benüm

     ür' ddyü biläf-i ğer'-i qavim ätı

    ara bey' eyledi. Meeä häzä mezkür

     

    (4 )

    balla bäğeeyi bey' eyledükde mezbüra cavreti süküt dtmiğ idi. Selle görülmesin

    taleb öderim ddyü bildürdi. Eyle olsa buyurdum ki

    (5 )

    hükm-i ğerif-i läzim ül-ittibäcum varduqda ihtär-i huşamä qilub göresin. Bu

    qatiyye muqaddemä bir defa şorilub g

    er'-i qavime müväf iq

    (6 )

    olinmamiğ ise, ber müğeb-i ğer'-i qavim teftiğ ve tefalılıuş ddüb göresin. Fil-väqic

    qatiyye 'art olinduffi gibi olub mezkür Muştafä mülk bägeesini

    (7)

    burıa bey' Ğdüb qabi-i semen ve teslim-i meb ' eyleyüb şogra eavreti ile müväta'a

    üdüb eavreti `benümdür' ddyü tıiläf-i g

    er'-i qavim ätıara bey' eyleyüb

    (8 )

    ve hayf-i beyede mezbüra eavreti süküt dtdügi mulıaqqaq olub ve mezkür Muştafä

    [ve] cavreti ğirretle meghürlar ise ki gerele säbit ve zähir ola,

    (9) daevälarini işğä dtmeyüb ğerele lıükm üdüb bäğeeyi bilip alivöresin. Kimesneye

    hiläf-i ğer'-i qavim iğ dtdürmeyesin.

    (10)

    Tezvir

    ve telebbüsden lıazer ödüb baqq-i şarilıa ve ğere-i ğerife täbie olasin. Temer-

    rüd ddeni sigidüb 'inäd ddeni yazub

    (11)

    bildüresin. Tekrär gikäyet Ğtmelü eylemeyesin. 'S' öyle bilesin, ealämet-i ğerife ili-

    mäd qilasin. Talıriren fi

    (12)

    eväyili zillıiğğe sene seläs ve tıamsin ve tiseamiye,

    bi -ma qämi

    Edirne.

    123

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    ÜBERSETZUNG:

    [Tugral Süleymän, Sohn Selim Chans, immer siegreich

      1 )

    Ruhmvoller der Kadis und Richter, Fundgrube von Tugend und Weisheit, Mev-

    länä, Kadi von

    ski

    Zağra,

    wachsen möge seine Tugend. Sobald der erhabene

    Großherrliche Befehl

    (tevqn

    einlangt, möge bekannt werden:

      2 )

    Gegenwärtig hat der Inhaber des Großherrlichen Befehls, 'Alt an meine Hohe

    Pforte ein Gesuch gerichtet, in dem er folgendes mitteilte: «Eine in dem erwähn-

    ten Gerichtsbezirk wohnhafte Person namens

    Muştafä hat mir gemäß dem Reli-

    gionsgesetz seinen Privatbesitz [bildenden] Garten verkauft.

      3 )

    Nach Erhalt des Preises und Übergabe der Quittung simulierte er [es] zusammen

    mit seiner Ehefrau und seine Ehefrau sagte: Es ist meins , und sie hat den

    Privatbesitz [bildenden] Garten, gegen das bestehende Religionsgesetz, [nochmals]

    einem anderen verkauft.

      4)

    Obwohl der Erwähnte mir den Garten verkaufte, schwieg seine Ehefrau zu

    Erwähntem. Nun fordere ich gemäß dem Religionsgesetz die Untersuchung».

    Wenn es sich so verhält, befehle ich,

      5 )

    daß du, sobald der erhabene Befehl, dem man gehorchen muß, einlangt, eine

    Einberufung der Kontrahenten durchführst und [die Angelegenheit] untersuchst.

    Wenn nach dieser Angelegenheit nicht ein früheres Mal gefragt worden ist und

    nach dem feststehenden Religionsgesetz entschieden

      6 )

    worden ist, sollst du gemäß dem feststehenden Religionsgesetz die Angelegenheit

    untersuchen und erforschen und überprüfen. Sollte sich die Angelegenheit tatsäch-

    lich so verhalten, wie sie dargelegt wurde, und der erwähnte Muştafä seinen Pri-

    vatbesitz [bildenden] Garten

      7 )

    an ihn [den 'AH] verkauft haben, und nach Erhalt des Preises und Übergabe der

    Quittung er [es] zusammen mit seiner Ehefrau simulierte, und seine Ehefrau

    sagte: «Es ist meins» und den Privatbesitz [bildenden] Garten gegen das beste-

    hende Religionsgesetz [nochmals] einem anderen verkaufte,

      8 )

    und wenn es sicher ist, daß seine Ehefrau im Unrecht des Verkaufs zu Erwähn-

    tem schwieg, und der erwähnte Muştafä [und] seine Ehefrau berüchtigte Übeltäter

    verkörpern, so daß es gemäß dem Religionsgesetz feststeht und offenkundig ist,

    sollst

      9 )

    du die Behauptungen von ihnen [= Muştafä und seine Ehefrau] nicht annehmen,

    und gemäß dem Religionsgesetz urteilen, und ihm [--= All] den Garten zurückge-

    ben lassen. Du sollst niemanden gegen das feststehende Religionsgesetz vorgehen

    lassen.

      1 0)

    Du sollst dich vor Verfälschung und Einmischung hüten und dich dem erhabenen

    Religionsgesetz fügen. Diejenigen, die sich widersetzen, sollst du zum Schweigen

    bringen und diejenigen, die Widerstand leisten, sollst du

      1 1 ) schriftlich melden. Du sollst zur wiederholten Klage keinen Anlaß geben. Das

    sollst du wissen. Du sollst dem erhabenen Zeichen Vertrauen schenken. Geschrie-

    ben in

      1 2 ) der ersten Dekade des

    zilbiğğe

    des Jahres 953 [= 23.1.- 1.2.1547]

    in der Residenz

    12 4 

    dirne.

  • 8/19/2019 Matuz Zum Verfahren Mit Betrugsmachenschaften

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    KOMMENTAR:

    Bei der Ausstellung dieses Fermans in

    Edirne,

    vom 23.1.- 1.2.1547,

    befand sich

    Sultan Süleymän

    der Prächtige in derselben Stadt

    14,

    die ihm

    als Winterresidenz besonders für seine Jagdaufenthalte diente. So auch

    sicherlich in den Wintermonaten 1546/47, jedoch war er auch, zusam-

    men mit seinem Großwesir, damit beschäftigt, dringende Staatsangele-

    genheiten zu erledigen .

    Obwohl die Ausstellung dieses Fermans nicht in Istanbul,

    sondern in

    Edirne

    erfolgte, haben wir es an dieser Stelle keineswegs mit einer un-

    kanzleimäßigen Urkunde

    16

    zu tun, da Diwansitzungen am jeweiligen

    Aufenthaltsort des Sultans, also sowohl im Feldlager als auch beim

    Jagdbesuch in

    Edirne,

    abgehalten wurden, wobei außer einem Wesir,

    der als Verteidiger der Hauptstadt (mulgifiz)

    zurückblieb und einem

    ihm unterstellten defterdär,

    alle Mitglieder daran teilzunehmen hatten

    17 •

    Zwar wurden im Diwan nur die wichtigsten Staatsangelegenheiten

    besprochen, doch gab man Petitionen der Untertanen und das Ausstel-

    len der Urkunden an anwesende Diwanmitglieder, bzw. kompetente

    Beamte zur Entscheidung weiter 18.

    Nach dieser kurzen Einleitung soll nun der urkundenwissenschaftliche

    Bereich dieses Fermans untersucht werden. Da es sich, wie bereits oben

    erwähnt, nicht um eine unkanzleimäßige Urkunde handelt, sind von der

    Norm keine Abweichungen festzustellen. Die Urkunde, in einem dem

    hiikm-Typus üblichen Mischduktus

    19 geschrieben, läßt sich der

    gikäy t

    A zuordnen: Hiermit wird dem Kadi nahegelegt, den Fall gemäß dem

    Religionsgesetz zu entscheiden und nicht die Faktizität der Vorfalls als

    Bedingung für die Ausführung des Befehls anzusehen

    20•

    Bei den einzelnen Elementen des Formulars sind sowohl die Invoca-

    tio, die dueä-Formel, wie auch die Inscriptio

    (elqäb) des Kadis von der

    14

    Vgl.

    İSMAIL

    HAMI

    DANIŞMEND:

    İzahlı Osmanlı Tarihi Kronolojisi,

    II, Istanbul

    1948, S.

    250f.

    15

    CELALZADE MUŞTAFÄ:

    Geschichte

    Sultan Süleymän Känünis

    von 1520-1557 oder Tabaqät UI-

    Memälik ve Derecät ül

     Mesälik,

    Petra

    Kappert (ed.), Wiesbaden

    1981, S.

    8 7.

    16 Vgl.

    MATUZ,

    Kanzleiwesen, S. 74f.

    17 Ibid.

    S.

    13f .

    18 Ibid.

    S.

    13 .

    19 In nese,

    übergehendes

    diväni.

     

    Vgl.

    MATUZ,

    Kanzleiwesen,

    S.

    1 0 8 .

    12 5

  • 8/19/2019 Matuz Zum Verfahren Mit Betrugsmachenschaften

    9/12

    Regel nicht abweichend, wobei auch die

    tuğra,

    der Großherrliche

    Namenszug als echt erscheint. Weiter weisen Einleitung der Exposito

    durch

    el

     

    hğlet ül

     

    hözihi,

    Salutatio und Notificatio ebenfalls keine Abwei-

     

    chung auf. Wie gut der Schreiber dieses Fermans seines Handwerks

    kundig war, zeigt sich auch darin, daß er, neben der Schlußformel

    düyü

    bildürdi

    «das hat er mitgeteilt» und der Disposito-Einleitungsformel

    buyurdum

    ki

    die ganze Disposito, mit fünf Teilen als Idealtyp, kom-

    plett einfügt 21

    • Somit ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß der

    erste Teil der Sanctio:

    kimesneye hilei şere 

    i qavim iş i tdürmeyesin

    «du

    sollst niemanden gegen das feststehende Religionsgesetz vorgehen las-

    sen», die Comminatio:

    temerrüd

     edeni sigidüb einöd üdeni yazub bildüre-

    sin

    «Diejenigen,

    die sich widersetzen, sollst du zum Schweigen bringen

    und diejenigen, die Widerstand leisten, sollst du schriftlich melden» und

    der zweite Teil der Sanctio

    şöyle bilesin

    «das sollst du wissen» sich von

    den herkömmlichen Urkunden auch nicht unterscheiden.

    Als einzige Abweichung von der Norm muß das Fehlen der für beide

    şikäyet

     

    ypen charakteristische Aufbewahrungsformel, die gewöhnlich

    nach dem zweiten Teil der Sanctio folgt, angesehen werden . Demge-

    genüber weisen die Corroboratio: alğmet 

    i şerife ietimğd qilasin «du

    sollst dem erhabenen Zeichen Vertrauen schenken» und das Datum, in

    der Form einer Buchstabendatierung in arabischer Form, keine Anoma-

    lien auf.

    Dieser Ferman, der außer dem Nicht-Vorhandensein der Aufbewah-

    rungsformel im urkundenwissenschaftlichen Bereich keine Abweichun-

    gen beinhaltet, zeigt, daß sowohl der Verfasser dieses Fermans als auch

    generell die Bediensteten des Diwans bestausgebildetste Beamte waren,

    die ihren Dienst in

    Edirne

    versahen.

    Um die Rechtslage in diesem Betrugsfall, der sicherlich nicht zu den

    häufigeren Petitionen zählt, besser verstehen zu können, soll an dieser

    Stelle ein Exzerpt aus dem islamischen Recht unternommen werden.

      Verkaufen heißt nach

    Ibn Qeisim «ein besitzmäßiges Objekt gegen

    eine Gegenleistung gemäß gesetzlicher Vorschrift in den Besitz eines

    2'

    Zu der in dieser Urkunde vorkommenden

    Dispositio vgl. ANTON C.

    SCHAENDLINGER:

    Die

    Schreiben Süleymäns des Prächtigen an Vasallen, Militärbeamte, Beamte und Richter aus dem

    Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien,

    unter Mitarbeit von Claudia Römer, Wien

    1986, besonders

    Urkunde 2 u. 3.

    22

     Vgl.

    MATUZ,

    Kanzleiwesen,

    S. 110f.

    126

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    10/12

    anderen übertragen, oder einen zulässigen Nutzen gegen einen besitz-

    mäßigen Preis in den zeitlich unbeschränkten Besitz eines Anderen

    übertragen» . Sieht man zunächst einmal von

    der

    Rolle der Ehefrau

    des Verkäufers ab, so basiert der Privatbesitz bildende Gartenverkauf

    Mustafäs an 'AH auf durchaus legalen Fundamenten, da es sich von den

    drei Arten des Verkaufs und Kaufs im islamischen Recht um den

    Verkauf einer Sache, welche gegenwärtig und wahrnehmbar ist, han-

    delt, wobei diese

    Art

    zulässig ist. Ferner handelt es sich hier um einen

    rechtsgültigen Verkauf einer Sache, welche rein, nutzbar und Besitz des

    Verkaufenden ist und alle sechs Elemente des Kaufs- und Verkaufsge-

    schäfts, Verkäufer, Käufer, das Verkaufsobjekt, der Preis, Angebot und

    Annahme, sind vorhanden. So weit so gut, würde nicht in diesem

    Augenblick die Ehefrau des erwähnten Mustafä in Erscheinung treten

    mit der Forderung, daß das Grundstück ihr gehöre, und sie es schon

    zwischenzeitlich an einen anderen Interessenten verkauft habe. Somit

    tritt wohl der Abschnitt des islamischen Gesetzes in Erscheinung, daß

    nicht nur Abmachungen, die ungenau oder zweideutig sind, sondern

    alle Hasard-Geschäfte (darunter z.B. auch Versicherungskontrakte) —

    wegen der Möglichkeit von karar

    (d.i. Täuschung) — im Gesetz scharf

    verurteilt und von vornherein für ungültig erklärt werden .

    Nach dieser Sachlage wird wohl der geschädigte und betrogene eAli

    seinen rechtmäßig gekauften Garten erhalten, wenn... wenn die Anga-

    ben in seiner Bittschrift an die Pforte stichhaltig sind und nicht etwa

    er

    betrügerischer Machenschaften zu bezichtigen sein wird... wenn der

    Kadi 'Alls Recht tatsächlich erkennt... wenn der Richter trotz des

    Großherrlichen Befehles sich nicht anmaßen wird, etwa gegen Schmier-

    gelder trotz alledem zugunsten der mutmaßlich betrügerischen Eheleute

    zu urteilen.

    Das Ehepaar wird aber schlimmstenfalls mit einem blauen Auge

    davonkommen: Höchstens wird es mit dem Garten zugunsten `Alis her-

    ausrücken müssen. Denn eine strafrechtliche Verfolgung von Amts

    wegen mit anschließender Gefängnisstrafe, wie das hier und heute der

     Zitiert nach

    EDUARD SACHAU:

    Muhammedanisches Recht,

    Stuttgart-Berlin

    1897,

    S.

    275.

      Ibid.S.

    271.

     5Ibid.

     6

    TH.

    W.

    JUYNBOLL:

    Handbuch des islamischen Gesetzes,

    Leiden-Leipzig 1910,

    S.

    263f.

    12 7

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    Fall wäre, wird das mutmaßliche Gaunerpärchen dem dort und damals

    geltenden Recht nach nicht zu befürchten brauchen. Ob dieser

    Umstand die Eheleute veranlassen wird, künftig keinen Rechtsbruch

    mehr zu begehen, soll dahingestellt bleiben.

    12 8

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