menzler trott freges politisches testament
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Eckart Menzler-Trott
Ich wünsche die Wahrheit und nichts als die Wahrheit . . .
Das politische Testament des deutschen Mathematikers und Logikers Gottlob Frege. Eine Lektüre seines Tagebuchs vom 10. 3. bis 9. 5. 192/1~
Für meine Kinder Laura Charlotte Nimbusala Trott und Jacob Menzler
Der Geist stand rechts
"Die Studenten und Professoren, die Oberlehrer und Oberschüler waren - ich kann das selbst noch aus meiner jugendlichen Erfahrung her:lUS bezeugen - stramm anrirepublikanisch, monarchistisch. nationalistisch und revanchistisch. "'!
Wer dazu noch evangelischer Religion war, schien zur reaktionären Bestie verurteilt. Bekannt
"sind die konservalliven, nationalistischen, antidemokratischen und monarchistischen T endenzen, die auch nach 1918 den deutschen Protestamismus ungebrochen weiterhin geprägt haben. Der übersteigerte Nationalismus vieler Pastoren. Synodaler und Presbyter; der engagierte K.ampi der evangeüschen Kirche gegen den V ersailler Friedensvertrag mit seiner sogenannten ,Kriegsschuldlüge'. das leidenschaftliche Eintreten für militärische Stärke und Disziplin oder auch das sichtbare Mißtrauen gegenüber der Idee der Völkerversündigung und des Pazifismus seien kennzeichnend gewesen für die Heftigkeit der nationalen Enttäuschung und Erbitterung, die der unerwartete Zusammenbruch des kaiserlichen Deutschlands hervorrief. Das eigene polirische Ideal habe man weiterhin im christlichen Obrigkeitsstaat des 19.Jahrhunderts erblickt. "2
Ein Blick in die Neuauflage vonAnnin Mohlers "Die konservative Revolution"3 führt uns - allein für die politische Rechte - eine ebenso differenzierte wie weitläufige Übersicht über Positionen vor, die mit den läppischen Kennzeichnungen wie antidemokratisch, stramm monarchistisch, rechtsradikal, präfaschistisch oder antirepublikanisch bloß ungenau karikiert wären. Alle - so wird es uns anderswo meistens insinuiert, selbstverständlich ohne den leisesten Anflug von Nachweisen -, alle aus der deutschen Professorenschaft dachten eben damals rechts. Alle waren für ,.die Tilgung der Schmach von Versailles", wenn sie nicht gerade von Geburt Jude oder von "Prägung" Kommunisten waren. Mit diesem beschönigenden, und natürlich grundfalschen Hinweis sollen Analysen und Dif-
~ Eine gründliche und umfassende Studie zu Freges Tagebuch erscheint 1990 im Verlag Königshausen & Neumann, P. 0. Box 6007, 8700 Würzburg 1 Sebastian Haffner, Von Bismarck zu Hitler. Ein Rückblick. München (Knaur) 1989, S. 207f.
ferenzierungen vermieden, ja die Aufdeckung der Verstrickung unserer Geistesheroen in rechte, radikale Politik verhindert werden. Lohnt es sich wirklich nicht, zwischen völkisch-nationalen Ideen deutscher Beamter und denen des Freikorps "Oberland" zu differenzieren? Natürlich ist eine Differenzierung notwendig, aber es ist kein Wunder, daß das einzige hervorragende Buch über die politischen Ideen der deutschen Professorenschaft von einem Amerikaner geschrieben worden ist. Frirz Ringers "Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890-1922"4 wird deshalb auch von deutschen Professoren in der Frage nach dem Zusammenhang von Politik und Philosophie selten beachtet und noch weniger benutzt. Noch immer will der deutsche Universitätsbeamte die schmähliche, oft memmenhafte Vergangenheit seiner Berufskollegen mit der Bemerkung bemänteln, daß z. B. im Fall Frege diese Ansichten unoriginell, zwar trotzdem repräsentativ für die deutsche Professorenschaft seien, aber uninteressant und vemachlässigbar. Als Objekt für eine Analyse solle man sich jemanden heraussuchen, der _typischer, kraftvoller und origineller als Frege sei. Es fällt dann, auf Nachfrage, kein Name.
Freges politische Ansichten waren keineswegs repräsentativ für die deutsche Professorenschaft in der Weimarer Republik Mitte 1924. Zwar waren einzelne Komponenten seiner Ideen, wie der Franzosenhaß, der Anti-Semitismus, die Verleumdung der Sozialdemokratie als Verräter an deutscher Moral und Geschichte, oder das Entsetzen vor demokratischer Gleichheit tatsächlich unter einem als sehr orthodox verschrieenen Teil der deutschen Universitätsgelehrten virulent, aber eine ähnliche Zusammenstellung und individuelle Ausprägung, wie ich sie bei Frege vorfinde, habe ich weder bei Ringer oder Mohler, geschweige
2 W erner Koch, Widerstand der Bekennenden Kirche. Schwankend zwischen "Gottes Reich zur Linken" und .. zur rechten ... In: Widerstand und -Exil 1933-1945. Sonn: Bundeszentrale für politische Bildung 1986, S. 99 3 Qannstadt (Wissenschaftliche Buchgemein-
denn woanders lesen müssen. Die These einer "unoriginellen Repräsentativität" dient ausschließlich dazu, von Frege abzulenken.
Vom orthodoxen Nationalliberalen zu völkisch-nationalen Kampfideen
Der Mythos der Logik als Ort der schieren und hehren Reationalität ist zerschlissen. Frege, der Begründer des Logizismus, der scharfsinnige Vertreter einer modernen philosophischen Bedeutungstheorie, hat sich nach dem von Deutschland verlorenen Weltkrieg I eine eindeutig völkisch-rassistische Theorie der Gesellschaft zugelegt.
Was man beim "dunklen" Heidegger weiß, erscheint beim schärfsten Kritiker des "german moonshine" Frege unglaublich. Aber der Unterschied zwischen bei.:. den zeigt auch deutlich die Schwierigkeit und das Problem, einen stringenten Zusammenhang zwischen Freges politischer Theorie und seiner Theorie der Logik zu beweisen. Bei Heidegger, er wirkte ja- im Gegensatz zu Frege- mit seinen politischen Schriften und ließ viel davon in seine Vorlesungen, Seminare und veröffentlichten und unveröffentlichten Schriften einfließen, läßt er sich präzise angeben. Aber wie kann man beweisen, daß Wechselwirkungen zwischen Freges politischen Idee!:! - niedergelegt in seinem von kaum jemand anderen einsehbaren Tagebuch - und seinen mathemati_schen Theorien, ihren zugrundeliegenden Philosophien oder Entwürfen, in einem genau angebbaren Sinn existieren, vielleicht notwendig bestehen, und möglicherweise darüber hinaus aus der jeweiligen mathematischen Theorie herauszulesen sind (ohne vorherige Kenntnis der politischen Ansichten)? Ich kann nicht einmal das Gegenteil beweisen! Wozu aber dann Freges ganzen Bockmist publizieren? Zu wessen Nutzen und Beleh-
schaft) 1989. Hervorragend zur Epoche des deutschen Konservatismus in der Weimarer Republik: Kurt Lenk, Deutscher Konservatismus. Frankfurt/M. ( campus) 1989 • München (dtv) 1987 s Heinz-Albert Veraart, Geschichte des wissen-
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rung? Selbst wenn ein enger Zusammenhang zwischen Freges Logik und Politik nicht sofort kriminalistisch dingfest gemacht werden kann, ist das Problem -vor dem viele die Augen schließen, um es für nicht vorhanden erklären zu können - nicht erörtert. Und wenn ich es nicht lösen kann, heißt dies ja noch lange nicht, daß nicht irgendein FORVM-Leser es nicht könnte.
Hier geht es also um drei Dinge: . 1. Frege wünschte die Wahrheit, auch
die historische Wahrheit. Es wird also die politische Ansicht Freges bekannt gemacht und gegen skurrile Lesarten Einspruch erhoben. Und was hieße es, wenn Freges politische Theorie nicht notwendig mit seiner philosophisch-mathematischen Ideenwelt verbunden wäre; ebensowenig vielleicht, wie Newtons alchemische Vorlieben mit seiner Mechanik oder Ootik? Was hieße es, wenn man Freges ~athematische Idee eines Systems der Logik bloß mit seiner Vorliebe für die Monarchie parallelisieren könnte? Wir werden doch deshalb nicht enthoben, Freges GedankenabEteuer - zumindest für unser Wissen über "Frege und seine Zeit" - zu analvsieren.
2. Frege wün~chte die Publikation seines Nachlass es. und er hat in seinem Testament das Tagebuch ausdrücklich nicht in das V erbot der V erbreirung der mathematischen Schriften mit der Kennzeichnung ME eingeschlossen.;
,.Da mir vielleicht Zeit und Kraft zu ausführ. liehen Darlegungen fehlen werden, sollen hier wenigstens Einfälle verzeichnet werden. die vielleicht einer späteren Ausarbeitung wert sind",
schreibt er seinem Tagebuch voran, aber niemand wird dies ernsthaft als ein Publikationsverbot ansehen.
3. Michael Dummett und Imre T 6th haben beide die Nicht-Publikation des Tagebuches seitens der Herausgeber der Fregeschen Schriften öffentlich kritisiert>; Heinz-Albert Veraart hat diese Entscheidung der Nicht-Veröffentlichung jedoch für richtig gehalten, wie viele andere staatlich beamtete Philosophen auch/ Darüber hinaus hat Imre T6th in einem Kapitel eines Aufsatzes den Abriß einer Theorie gegeben, der zur Conclusio hat, daß Freges reaktionärer und vorsätzlich freiheitsbeschneidender "Logizismus" mit seiner ebenso reaktionären politischen Ansicht in Harmonie befindlich sei. s Die Diskussion um Freges Nachtseite hat längst begonnen; eine Verschleppung oder Verzögerung dieser Diskussion wäre deshalb lächerlich, eitel und ungezogen.
Wie sieht d·as Tagebuch aus? Das Tagebuch ist in einer 29seitigen maschinenschriftlichen Abschrift erhalten. Der erste Archivar der Fregeschen Schriften, der Parteigenosse Professor Dr. Heinrich Scholz, hat eine Abschrift 1937 von Freges Adopcivsohn Alfred Frege (vormals Fuchs) erhalten. Scholz hat sich für private Zwecke davon eine Abschrift machen lassen. Diese private Abschrift hat, im Gegensatz zu vielen anderen Materialien, den Bombenangriff vom 10. Oktober 1943 auf die alte Universität Münster überlebt. Sie ist im Ordner 31 des FreaeArchivs des Instituts für mathematis;he Logik J.n der Wilhelms-Universität zu Münster autbewahrt. Es scheint, daß sich vieie .-\bschreibefehler in die Abschrift eingeschlichen haben. Sie wurden hier stillschweigend verbessert.
An wen richtet sich das Tagebuch? F rege C"utt oft die deutsche Jugend an ~z. B 3. +. 1924; t6 . .J.. l92.J.' und schreiot zur Politik am 3. 5. l92.J.:
~Poiinscne Eriahrungen unci Einsichten können immer vom Vater dem Sonne überiietert weraen und so ein J ahrhunden:e J.iter. immer ergänzter :.md weitergebildeter Senatz .,on politischen Err.anrungen .. und Einsichten gesammelt weraen. . .. , Die Uberiiet'er,mg von Janrhunderten K.ann hier den richtigen Weg zeigen.~
F~ege wollte zu diesem Schatz beitragen. ienn er schreibt am lC. +. 1924:
"~icnt iür die Politik des .\ugenblicits Vorschiäge zu machen. fühle ich mtch oeruien. Meine Gcaan.Ken in der Politik zieien aur c:me iernere Zu.Kunit ~ ... ). "
Deshalb darf man dieses Tagebuch mit Fug und Recht sein politisches Testament nennen, wie dies Imre T 6th getan hat. Frege hat sein Tagebuch also nicht etwa allein für seinen Sohn geschrieben. So schreibt er am 26. 5. 1924:
,.Ich bitte jeden, der an den durch und durch
undeutschen Geist des Zentrums nicht glaubt ... ':
Dieses Tagebuch wendete sich an alle, die in Freges Augen das wieder erst herstellen mußten, was es zu bewahren gab: ein machtvolles, mit altem Ansehen ausgestattetes neues Deutsches Reich.
Frege · Heidegger · de Man
Die hier vorgelegten Auszüge aus dem politischen Testament des Professors der Mathematik in Jena, Dr. Gottlob Frege, sind das dezidierte politisch radikale Manifest eines rechtsextremen Denkers,
"der ohne Zweifel der größte Logiker des 19. Jahrhunderts gewesen ist"'l
Aber es ist auch ein Dokument des kulturpessimistischen, antimodernistischen Elitismus der deutschen Gelehrtenwelt in der Weimarer Republik. denn
,.Der typische Akademiker blieb völkisch und antisemitisch, ein Feind der Republik ... " 10
Freges Tagebuch ist eine Momentaufnahme. Sie zeigt, wie ein unbelehrbarer deutscher Akademiker sein nationalkonservatives Weltbild langsam zugunsren der völkisch-nationalen Kampfidee aufgibt. Man sieht, wie Freges scheinbar unbeugsame konservativ-monarchistische Grundhaltung sich aut1öst, während er mit sentimentaler Abhängigkeit Bismarck sowie den Soldaten und Militaristen Ludendorffund Hindenburg verbunden bleibt. Sein sturer deutschgläubiger protestantischer National-Konfessionalismus, seine verbissene Abneigung gegen die Republik, sein überspitzter alldeutscher Nationalismus der Kriegszeit endet im verbohrten Appell an die deutsche Jugend, die Niederlage von 1918, die dadurch entstandene ~Rechtslosigkeit" nicht zu akzeptieren, sondern sich auf den Sieg in einem künftig zu führenden Krieg gegen Frankreich vorzubereiten.
Der ehemalige Nationalliberale ergeht sich mit LudendorfE in der Abscheu vor dem Ultramontanismus, also jener Richtung, deren Vertreter der vom Papst geführten Kirche Vorrang vor dem Staat einräumten und die im "Zentrum" -Frege empfindet es als Krankheit, schädlich und undeutsch - ihren parteipolitischen Ausdruck fand. Frege sieht nur die Tücke der feindlichen Franzosen, grämt sich über die mit deutschem Gewerbefleiß konkurrierende Handelsmacht England, sucht nach Merkmalen, um alle Juden zweifelsfrei erkennen und aus Deutschland hinauswerfen zu können, pt1egt Gewerkschaftsfeindlichkeit und will den Theologen weltliche Betätigung
schaftliehen Nachlasses Gottlob Freges und sei- - 6 Michael Dummett, Frege. Philosophy of -<J Alfred Tarski, Einführung in die mathemati-ner Edition. Mit einem Katalog des ursprüngli- Lansuage. S. XII. London: Duckworth 1973; sehe Logik. Göttingen: Verlag Vandenhoek & chen Bestandes der nachgelassenen Schriften l~re Toch, Three Errors in :h.e Grundlagen Ruprecht 19885
, S. 32, Anm. 2 Freges. In: Matthias Schim (Hg.), Studien zu ot 18~4: Frege and non-euchdtan geomtrey, Frege I. Logik und Philosophie der Mathematik. in: Gerd W ech~ung ( ed. ), Freg~ Conference, IO Arthur Rosenberg, Entstehung und Geschich-Stuttgart _ Bad Canstatt (Frommann-Holz- p.l01-l08,Berhn(Ost):AkadermeVerlag1984 te der Weimarer Republik. Frankfurt am Main boog) 1976 1 siehe Anm. 5 8 siene Anm. 6 (Athenäum) 1988, S. 437
DEZEMBER 1989 Foto (unbekannter Meister): jung Frege 69
zugunsten der Arbeiter verbieten, und kommt so zur begeisterten Lektüre der Zeitschrift "Deutschlands Erneuerung", ein Propagandablatt aus der noch als völkisch Sektierer wirkenden Randgruppe der frühen Nationalsozialisten, deren Partei 1924 noch immer verboten ist. Frege, der ehemals zum "geistigen Leibregiment" (Dubois-Reymond) der Hohenzollern gehörte, beschimpfte maßlos die Sozialdemokratie als Verseuchung Deutschlands, als Krebs, der in der Stinkluft gedeiht und deren jüdische Führer jedes vaterländische Gefühl vermissen ließen. Ihm gilt der Parlamentarismus als undeutsch, und er will Arbeitern den Besitz von Aktien verweigern, da sie sonst Rechte auf Leistungen des Unternehmens hätten. Frege befürwortet die Austilgung des Marxismus oder wenigstens die Ausschließung dieser Menschen aus der Gesamtheit der Vollbürger. Man sieht förmlich die fremdstämmigen und verabscheuungswürdigen jüdischen Kreaturen, wie sie mit Hilfe der Börsenspekulation, kapitalistischer Besitzgier und verderblicher hre der Sozialdemokratie den guten Deutschen um den zu heckenden Reichsschatz, Recht, Reich und Vaterland, frech betrügen wollen.
Da hilft dem braven, gläubigen, aufrechten und harmlosen Deutschen nur der Erlöser. Seinen Geschichtspessimismus will er durch die Erneuerung der alten Religion J esu selbst kompensieren. Die Darstellung des Lebens J esu, meint Frege, müßte eine Religion stiftende Wirkung haben.
Freges Tagebuch ist in seiner Bedeutung gleichzusetzen mit den veröffentlichten und bisher unveröffentlichten Reden, Vorlesungen, Schriften und offenen Bekenntnissen Heideggers zum Nationalsozialismus, und der endlich publizierte Beiträge Paul deMans für die beigisehe Zeitung "Le Soir", in denen er, neben mindestens einem ausdrücklich antisemitischen Artikels am 4. März 1941, "Die Juden in der zeitgenössischen Literatur", das Geschäft der geistigen Kollaboration mit der nationalsozialistischen Besatzung und Barbarei betrieb.
Wie kommt es, daß drei aufklärerisch wirkende, weltbekannte und einfluiheiche Schulen bildende Gelehrte, allesamt das Zeichen, den Gedanken und den Iogos als die Mitte ihrer Theorie preisend, sich in den morastigen und verwerflichen U miefen eines häßlich chauvinistischen, gnadenlos anti-demokratischen und unaussprechlich schäbig anti-semitischen Denkens willentlich und ohne Not verstrickten, und dabei an einen Gott glaubten? Frege schrieb sein Tagebuch, das ihn als Mitdenker rechter Macht ausweist, im hohen Alter von 76 Jahren, de Man schrieb seine Scheußlichkeiten im Alter von 23, und der verschlagene, arrogante Heidegger war bei seinen böswillig le-
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Jgu, rv ~bolf ~idcr, w~rum muacr rin •• rtovrmbcr rommcn l t99
Watunt mußte ein 8. novembet fommen 1 Uon 'Ubolf ~idcr.
":11 ic b!m l. ~ugujl 1914 brg~tnn fur t)ruc(c:bl~nb rin lt~mpf, bcfrrn ~uag~ng rnc. • f~r•~cnb lPtrocn muQtc ubu Sein ober rtidJrfcin bcr bcutfc:bcn rl11tion lZ)Omo rc:b ~~f J~brbunbcrtc bin~ua, vicllci~t für immer. Wenn ~ucb mcnf~licbcr ncib unb ~b gtcr funm lPcfcntlicbcn, lP~brfcbcinlicb gr~ttcn ~ntcil e~n b(m /:)crcinbruc:b bicfcr tl) lt • fat~tjiro~:~br h•fd. fo 11btr nicb~, m~nbcr ci!lc innen• unb e~ullrnnolitifcbc ~t4tiauna ~; nrutf .• ,,,. \U btcfcm 1!,.~
benszerstörenden Denunziationen im besten Mannesalter. Hierbei spielt keine Rolle, daß Frege sein Tagebuch nicht veröffe[o~:tlichte und es auch später nicht in der Offendichkeit wirkte. Es geht um die Frage: ·
Konnte der NS-Ideologie vorausgehendes, vergleichbares oder sie überhöhendes Gedankengut jeden zu jeder Zeit ergreifen und faszinieren? Wie kam es, daß gerade die führenden Schichten, die deutsche Intelligenz, Ärzte, Techniker, Mathematiker, Ingenieure und Philosophen als erste zur NS-Ideologie, ja zur NSDAP gestoßen sind?
Auch soll hier das - ex post gesehen -unglaubliche Skandalon eines Lobes auf Adolf Hitler ("Adolf Hitler schreibt mit Recht ... ", Eintrag vom 5. 5. 1924) nicht zum Versuch mißbraucht werden, seine mathematischen und philosophischen Ideen zu denunzieren. Ausdrücklich wünsche ich, daß die Auseinandersetzung mit dem Werk Freges nicht durch den Hinweis auf seine politische W eltanschauung diskreditiert wird, wie ich auch nicht möchte, daß man Hobbes' Werke wegen seiner desaströsen Mathematikkennmisse etwa nicht liest.
Es ist möglich, daß wir Frege mit Heidegger und de Man als die letzten, großen Exorzisten von Subjektivität und Geschichte sehen müssen. Vielleicht ist ihnen allen gemeinsam ihre Arbeit als Protest gegen eine "gräßlich moderne Zeit" (Frege), eine "seinsyergessene, geistverlassene und unwahre Ordnung" (Heidegger) und "die Kennzeichnung des Denkens als bloße Theorie" (de Man). Wohin dieser Protest als "Sorge" führte, wissen wir:
Es scheint keinen Zusammenhang zwischen Genie, persönlicher Integrität und fortschrittlicher, lebensspendender Gesellschaftsauffassung zu geben. Das lernen wir - vor uns als Ausnahme die Mathematikerin Emmy Noether-, nach Heidegger und de Man nun auch bei Frege. Logik schützt nicht vor dem NS.
Freges politische Theorie
Es ist schwierig, eine konsistente Theorie der Fregeschen Ansichten zu er_stellen, denn es ist manch Widersprüchliches und Irritierendes dabei:
FORVM DER ANDEREN
Frege wollte die Wiederherstellung des wehrhaften, selbstbewußten und aufrechten Deutschen Reiches unter ständestaatlichem Vorzeichen. Frankreich, und das ist ein äußerer Grund des Darniederliegens des ,.Reiches" - wie Freae die Republik nennt -, hat Deucsc~hland überfallen, will es vernichten, uneerdrückt es zu Unrecht. Von diesem
·Frankreich, und das ist ein innerer Grund des Kranken Deutschland, kommen auch die Krankheiten. an denen das Deutsche Reich noch immer leidet: Liberalismus, die Ideen von 1789, und Bürgerrechte der Juden. Aus diesen Gründen muß die deutsche Jugend auf jeden Fall wieder Krieg gegen Frankreich führen. Dafür muß das Reich wieder gesund werden, aber eine Rückkehr zur Monarchie ist ausgeschlossen.
Ziel für den Augenblick ist ein Mann, der das allgemeine Vertrauen genießt; ein Mann, der Deutschland vom französischen Drucke zu befreien in der Lage wäre. Diesen Mann sah er früher in Ludendorff, den er aber zu sehr in Parteiengetriebe und Hiderputsch abgenutzt sieht, obwohl er mit dessen Gesinnung einverstanden ist. Später geht die Hoffnung auf Hindenburg über, aber der erscheint ihm dann doch als zu alt. Dieser ersehnte starke Mann muß nicht nur gegen Frankreich, sondern auch gegen die Feinde im inneren Deutschlands Krieg führen.
Um den Kampf führ~n zu können, benötigt Deutschland eine "vernünftige" Wirtschaftsordnung. Von ihr muß nicht nur das Geld für Reparationen und Rüstung abgeschöpft werden, sondern es muß insgesamt der Lebensstandard der Bevölkerung gehoben, die Funktionstüchtigkeit des Gewerbes gesichert werden. Durch Ansammlung eines Reichsschatzes, hohe Zölle auf ausländische Güter und hohe Steuern auf Grundbesitz, Beseitigung des Börsenmarktes und Einführung von Namensaktien soll dies gelin.gen. Ist nämlich der Lebensstan~ard der Armseen gehoben, können sie mcht mehr in die Fänge der Sozialdemokratie und des gewerkschaftlichen Terrors geraten.
Der starke Mann muß zunächst den aus England stammenden, völlig undeutschen Parlamentarismus, der das deutsche Reich schwächt, beseitigen. Er muß
FORVM
für die unbedingte Trennung von Staat und Kirche eintreten. Die Kirche muß strikt aus weltlichen Geschäften herausgehalten werden. So darf die Kirche, ebensowenig wie die Gewerkschaften, in Tarifangelegenheiten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber eingreifen. Es gilt die unantastbare Vertragsfreiheit, in die sich kein Dritter, weder Kirche und Staat, noch Korporationen irgendwelcher Form einmischen dürfen. So gelingt, weil sich jeder an seinem ihm von Gott, Stand und Gesellschaft zugewiesenen Platz weiß, die Überbrückung der Klassengegensätze. Damit entfällt auch ein Grund, warum der letzte Krieg von Deutschland verloren wurde: die Verfeindung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Der Sozialdemokratie, die keine Zukunft haben kann. ist zwar dann durch die neue Wirtschaftsordnung der Boden entzogen, aber noch agitieren ihre meist jüdischen Führer, die ihr Vaterland nicht lieben können. Deshalb muß ein Weg gefunden werden, zweifelsfrei Juden von NichtJuden zu trennen.
Juden müssen a Deutschland hinausgeworfen werden. Ein sicheres Merkmal aber für Juden angeben zu können, hält Frege für schwierig. Deshalb muß man sich darauf beschränken, die Gesinnung zu bekämpfen, durch deren Betätigung die Juden schädlich seien und eben diese Betätigung mit Verlust des Bürgerrechts und die Erschwerung der Erlangung des Bürgerrechts bestrafen. Eine Gesinnung der Juden ist der Marxismus. Notwendige Vorbedingung für ein starkes Reich also ist die Austilgung des Marxismus und die Ausschließung seiner Vertreter aus der Gesamtheit der Vollbürger. Ein weiterer Reichsfeind sind die Katholiken im ,.Zentrum". Sie nutzen das Parteiengetriebe, um Deutschland in möglichst vielen Teilstaaten zu separieren. Weil diese alle: die christlich-sozialen Theologen, die Juden, die Marxisten, die Gewerkschaft, die Parteien, der Parlamentarismus, die Republik, einzelne Teile des Staates und die Katholiken der Wiederherstellung des alten Ansehens des deutschen Reichs im Wege stehen, müssen sie streng bekämpft, der Parlamentarismus abgeschafft werden.
Der ersehnte starke iWann d~rf sich bei der Erringung seiner Ziele durchaus demagogischer Mittel bedienen, wenn es dem Volke nützt. Eine neue Religion soll die Deutschen dabei einen. Sie wird nicht von staatlich oder kirchlich angestellten Religionsdienern kommen. Es müssen freie Verkünder von etwas Neuern auftreten, nämlich der alten Religion Jesu selbst.
Im folgenden gruppiere ich die Zitatauswahl in neuer Anordnung, weil ich glaube, dag Freges gesellschaftspolitische Einstellung sehr stark vom deutschen
DEZEMBER 1989
Protestantismus geprägt war, gerade weil er weder die allzu Orthodoxen mochte, mit ihren ,.kläglichen Reimereien", noch die christlich-sozialen Theologen - meistens Antisemiten -, die sich in die Wirtschaft einmischten und bei den Unternehmern für die gepreßten Arbeiter sich einsetzten, die die Hauptlast des Aufbaus der Republik trugen, aber völlig verarmt waren. Frege vertritt, so vermute ich, den lutherischen Protestantimsus der Reformation. Werner Koch faßte ihn so zusammen: Man hat ,.angeblich genau gewußt, wo ,Gottes Reich zur Linken' (Schöpfung, Welt, Staat, das Gesetz der Natur und das Gesetz der Geschichte) anfängt und wo das ,Reich Gottes zur Rechten' (Offenbarung, Bibel, Kirche, Geist Gottes, ewiges Leben) beginnt.
In diesem auf solche Weise das ganze W eiegeschehen überschauenden und ordnenden ~'issen des Menschen konnte und mußte man den Ordnungsmächten in Natur, Staat und Geschichte ihre Eigengesetzlichkeit zugestehen. Daneben (und zwar theoretisch und praktisch beziehungslos daneben~) mochten dann Gottes Wort und Geist ihre besondere Herrschaft ausüben. Eine Herrschaft, die allein der Glaube erkennt und infolgedessen auch anerkennt. Eine Herrschaft, die beim einzelnen wie in der Gemeinde den Glauben ständig neu erweckt und erhält.
So durfte (und mußte!) im weltlichen Regiment geschehen, was im geistlichen Regiment immerhin einen umgekehrten Verlauf nehmen sollte. So durfte und
mußte das strenge Regiment des Herrn über ihre Knechte, verbunden mit einer gnadenlos strafenden Gerichtsbarkeit, neben dem Regiment der Bruderschaft in der Kirche bestehen: das ,linke' Reich Gott.es beziehungslos neben dem ,Priestertum aller Gläubigen' und neben der ,Freiheit der Kinder Gottes'. Wegen der gedanklich wie praktisch vollzogenen Trennung durfte das letztere nicht etwa als Modellfall oder Muster für irgendeine
Abb: Der ligionslos~ Prof Abbe in Jena
Art von Demokratie und bürgerlicher Freiheit erscheinen. Die Schwärmer und Wiedertäufer, die in ihrer Weise die im ,re~hten' (im eigentlichen) Reich Gottes gültigen Tatsachen auch auf das ,linke' das uneigendiche Reich, übertragen wollten, wurden eines groben Mißverständnisses beschuldigt und in den grausam geführten Bauernkriegen (unter ausdrücklicher Billigung der Reformatoren) unter Zuhilfenahme von ,Feuer und Schwert' eines anderen belehrt.
Das hier angewandte Vorstellungsund Ordnungsmodell nenne ich das , Wir-wissen-Bescheid-Modell'. Hier hat man keinen Zweifel, wie die Welt nach der stets gleichbleibenden ,natürlichen' Ordnung Gottes auszusehen hat: hierarchisch, patriarchalisch, konservativ. Dag , von oben her' regiert wird, entspricht die Herrschaft Gottes oben im Himmel ebenso wie die Erfahrung in Natur und Geschichte: ,Wir Kaiser Wilhelm II. von Gottes Gnaden .. .'
Die biblische Bundesgeschichte, in der Gott selber genau umgekehrt dadurch herrscht, daß er dem von ihm geliebten Menschen dient, die Geschichte des Sohnes, in der der Herr als Knecht erscheint, bleibt für die Anschauung und Ordnung der Welt ohne Konsequenz.'" (s. Anm. 2)
Theologie und Geschichte DieTrennung von Staat und Kirche
Frege notiert am 9. 4. 1024: ,.Ich selbst habe mich zu den Liberalen ge
rechnet".
Und zweifelsohne huldigt der ehemalige Nationalliberale dem Grundsatz von der Trennung von Staat und Kirche. Frege ist für die Religionsfreiheit und scharf gegen jede Einflußnahme von seiten der Religion auf Politik oder Wirtschaft. So heißt es am 11. 3. 1924:
"Auch Theologen haben .<>ich vor dem Kriege um die Hebung der wirtSchaftlichen Lage von ärmeren Arbeitnehmern bemüht. ( ... ) Sie versuchten es mit einem moralischen Drucke auf die reichen Arbeitgeber. In diesem Sinne wollten sie die öffentliche Meinung beeint1ussen durch ihre evangelisch-sozialen Kongresse ( ... ). Sie glaubten sich durch ihr Christentum verpflichtet, überall da, wo Arbeitgeber und Arbeitnehmer wegen der Festsetzung des Lohnes oder der Arbeitszeit in Meinungsverschiedenheiten gerieten, den Arbeitnehmern als den Armen zu Hilfe kommen zu müssen gegen die Arbeitgeber als die Reichen. Während Abbe auf eigene Kosten die wirtSchaftliche Lage der Arbeiter zu heben suchte, wollten es diese Theologen auf fremde Kosten. ( ... )"
· Wegen dieses letzten Unterschiedes verweigert Frege diesen Theologen die Kennzeichen ,.evangelisch" oder "christlich ... Er zweifle aber keinen Augenblick daran, daß
"Abbes großartiges Schenken aus wahrer christlicher Gesinnung hervorgegangen ..
sei. Der religionslose Abbe, der die
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Zeiss-Werke in die noch.heute bestehende Zeiss-Stiftung umwandelte, tat dies eben, weil er meinte, daß die Arbeiter den Unternehmensgewinn miterarbeitet, also Rechte daran erworben hatten, die sich mindestens aus Garantielohn, Invaliditäts- und Altersversicherung, Achtstundentag und vielem mehr zusammensetzen. Abbe tat dies für Frege vielleicht nicht aus Einsicht, aber auf jeden Fall aus ,. wahrer christlicher Gesinnung". Und zu dieser Tat konnte Abbe niemanden zwingen. Er schreibt am 18. 3. 1924:
.. Eine religiöse Pflicht ist eine Pflicht, über deren Erfüllung kein menschlicher Richter zu wachen und zu urteilen hat. ( ... )
Und am darauffolgenden 19. 3. 1924 heißt es:
.. Aus den religiösen Pflichten. die jemand hat, entstehen keine Rechte eines anderen gegen ihn. ( ... )"
Für Frege ist es undenkbar, daß Arbeiter mehr verlangen könnten, als den in völliger Vertragsfreiheit im beiderseitig bestätigten Kontakt ausgehandelten Lohn. Völlig auierhalb der Fregeschen Vorstellungskraft war die Möglichkeit, daß die Arbeiter gegenüber den Kapitalisten Rechte hätten, die sie sich erkämpfen dürften. Es gibt aber keine Rechte der Arbeiter. So schreibt Frege am 20. 4. 1924:
..Die Arbeitgeberschaft eines U nternehrnens kann ia bei besonders gutem Geschäftsgang den Arbeimehmern eine besondere Belohnung gewähren, um den Eifer anzuspornen und sie inniger mit dem Unternehmen zu verbinden."
Es gibt für Arbeiter nur Geschenke, und auch dabei möchte Frege noch ihre Verwendung einschränken:
,.Im allgemeinen, glaube ich. wird für Arbeiter die Anlage ihrer Ersparnisse in sicheren städtischen Sparkassen mehr zu empfehlen sein als die Erwerbung von Aktien",
aber nicht etwa, weil der Arbeiter seine Familie durchs Spekulieren ins Unglück stürzen könnte, sondern am 19. 4. 1924 heißt es:
.. Die Arbeiter zu Aktienbesitzer zu machen, scheine mir verfehle. Dann hätten sie auch Rechte hinsichdich der Leistung des Unternehmens."
Dies aber wäre für Frege der erste Schritt zur Revolution, denn in dem Eintrag für denselben Tag heißt es:
,.Prof. Abbe in Jena, der so sehr Arbeiterfreundliche, hat es nie zugegeben, daß seine Arbeiter einen entscheidenden Einfluß auf die Betriebsleitung ausübten, wiewohl er Wünsche gern entgegennahm und ihre Äussprache ermunterte."
Es könnte sonst so weit kommen, daß die Arbeiter mit sich selbst über den Lohn und Arbeitsqualität verhandeln.
Funktionalität der Religion
Am 20. 3. 1924 notiert Frege: ,.Kann man von den Religionen aus das Recht
zum Vorteil der ärmeren Volksgenossen umgestalten? Die Religion kann Einfluß haben auf die
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Gershorn Scholem über Frege
,.Die Philosophie in Jena ärgerte mich ziemlich. ( ... )Dagegen wurde ich von zwe: sehr entgegengesetzten Lehrern angezogen. Der eine war Paul Lincke. ( ... )Der andere.war Gottlob Frege, dessen ,G_rundlagen der ~rith~etik' i~h neben verwandter: Sehnfeen ~on Bachmann und L~u1s Coutura~ (I:~~e ~htlosoph1schen Prinzipien der Mat?e~atik) damals las. Ich horte Freges ~mstund1ge Vor~esun~ über ,.BegriffssehnEt . _( ... ).An Fr~gC:, der fast so alt war wie Eucken und Wie er emen weißen Ban trug, geftel m1r das_volhg unpompöse Auftreten, das sich so vorteilhaft von dem Eukkens abhog. Aber m Jena nahm kaum irgend jemand Frege ernst.
Martin Heidegger über Frege
"In diesem Zusammenhang möchte ich den Namen eines deutschen Mathematikers nicht unerwähnt lassen. G. Freges logisch-mathematische Forschungen sind meines Erachtens in ihrer wahren Bedeutung noch nicht gewürdigt, geschweige denn ausgeschöpft. Was er in seinen Arbeiten über ,Sinn und Bedeutung' (4: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik. Bd 100 (1892)), über ,Begriff und Gegenstand' (1: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie XVI ( 1892)) niedergeleot hat, darf keine Philosophie der Mathematik übersehen; es ist aber auch im gleich:n Maße wertVoll für eine allgemeine Theorie des Begriffs. Wenn Frege den Psychologismus im Prinzip wohl überwand, so hat doch Husserl erst in seinen ,Prolegomena zur reinen Logik' das Wesen, die relativistischen Konsequenzen und den theoretischen Unwert des Psychologismus systematisch und umfassend auseinandergelegt."
Ludwig Wittgenstein über Frege
,.Ich schrieb an Frege und legte einige meiner Einwände gegen seine Theorien dar: dann wartete ich ganz bange auf seine Antwort. Ich war hocherfreut, da er tatsächlich zurückschrieb und mich bat, ihn zu besuchen. I Als ich ankam, sah ich eine Reihe von Schulmützen, wie sie damals von den Jungen getragen wurden, und hörte deD Lirm der Knaben, die im Garten spielten. Freges Ehe war, wie ich später hörte, sehr traurig verlaufen: Die Kinder waren früh gestorben und dann auch bald seine Frau. Er hatte einen Adoptivsohn, dem er, soweit ich weiß, ein freundlicher und guter Vater war. I Ich wurde in Freges Arbeitszimmer geführt. Frege war ein adretter, kleiner Mann, der beim Reden im Zimmer herumhüpfte. Er fuhr regelrecht Schlitten mit mir. und ich war sehr niedergeschlagen. Doch zum Schluß sagte er: ,Sie müssen wiederkehren', und da faßte ich wieder Mut. I Danach habe ich mich noch mehrmals mir
Gesinnung der Gesetzgeber und diese Gesinnung kann weiter auf die Gestaltung des Rechts einwirken. Nie aber kann die Religion selbst Gesetzgeber sein wollen. Kann man von der Religion aus bestimmen, welche Gegenleistung im wirtschaftlichen Verkehr gleichwerti€; sei? Nein, damit hat die Religion nichts zu schaffen. Sie kann nicht beurteilen, welcher Preis z. B. für ein Kleidungsstück oder welcher Lohn für eine Arbeitsleisrung angemessen sei. Wenn beide Parteien einem V ertrage zustimmen, den sie miteinander schließen, kann man bis zum Beweise des Gegenteils annehmen, daß Leistung und Gegenleistung, wie sie im V ertrage bestimme sind, einander die Waage halten ...
Und am 1. 5. 1924 ergänzt er: ,. Wenn aber ein Dritter beim Abschluß des
Vertrages in der Weise mitgewirkt hat, daß er einen Zwang oder Druck auf die eine der Seiten ausgeübt hat, so ist der Vertrag kein freier mehr und die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung ist nicht anzunehmen. Wenn der Staat dieser Dritte ist, so ist sein Eingreifen nicht ein~ Tat des Rechts, sondern eine Tat der Willkür".
Auch die evangelischen christlichsozialen Theologen machen sich dieser Willkür schuldig, wenn sie versuchen bei den "reichen Arbeitgebern" zugunsren
Eckart Menzler~rott, Frege
der armen Arbeiter zu intervenieren oder dies gar in die Öffentlichkeit tragen, um auf die Arbeitgeber einen moralischen Druck auszuüben. Deshalb schreibt Frege am 22. 3.:
,.Die Gerechtigkeit ist die Grundlage des Reiches. Für den gerechten Richter darf das V ermögen einer im Rechtsstreit befindlichen Partei gar nichts ausmachen. Der Reiche darf, weil er reich ist, kein Vorreche haben vor dem Armen, aber auch umgekehrt darf der Arme, weil er arm ist. kein Vorrecht vor dem Reichen haben. Die Religion aber legt gern dem Reicheren Pflichten aur zugunsten der Ärmeren. Aber diese religiösen Pflichten sind keine Rechcspflichten. Wenn sie nicht streng auseinander gehalten werden, kann die Religion das Recht und damit den Staat gefährden ...
Religion darf also die Welt, so wie sie nun einmal ist, nicht antasten. Sie darf allerhöchstens bei Arbeitskonflikten beide Teile besänftigen, aber niemals Partei ergreifen oder etwa das Grundverhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Kost~n der Arbeitgeber kritisieren und so "Öl ins Feuer schütten". Welcher Platz bleibt da noch der Religion? Frege resümiert am 8. 5. 1924:
FORVM
ihm unterhalten. Frege wollte nie über etwas anderes reden als Logik und Mathematik; sobald ich ein anderes Thema anschnitt, äußerte er eine höfliche Floskel und
stürzte sich wieder in Logik und Mathematik."
,712. (Der Stil meiner Sätze ist außerordendich stark von Frege beeinflußt. Und wenn ich wollte, so könnte ich wohl diesen Einfluß feststellen, wo ihn auf den ersten
Blick Keiner sähe.)"
"Man kann sich nicht beurteilen, wenn man sich in den Kategorien nicht auskennt. (Freges Schreibart ist manchmal groß; Freud schreibt ausgezeichnet,und es ist ein
Vergnügen, ihn zu lesen, aber er ist nie groß in seinem Schreiben.)" 1951
Rudolf Carnap über Frege
"T owards the end of ehe semester Frege indicated that ehe new logic to which he had introduced us, could serve for ehe construceion of ehe whole of mathematics. This remark aroused our curiosiey. In ehe summer semester of 1913, my friend and I decided eo attend Frege's course "Begriffsschrift II". This time the entire dass consisted of the two of us and a retired major of the army who studied some of the new ideas in mathematics as a hobbv. It was from ehe major that I first heard about Cantor's set theory, which no professor had ever mentioned. In this small group Frege feit more at ease and thawed out a bit more. There were still no questions or discussions. Bur Frege occasionally made critical remarks about other conceptions, somecimes wich irony and eVJm. sarcasm. In particular he attacked ehe formalists, those who declared that numbers were mere symbols. Although his main works do not show much of his witty irony, there exists a delightfullittle satire "Ueber die Zahlen des Herrn Schubert" (I own a copy of this pamphlet which was privately published by Frege Qena, 1899)). ( ... ) ... Frege ( ... ) usually did not discuss general philosophical problems. It is evident from his works that he saw the great philosophical imporcance of the new instrument which he had created, but he did not convey a clear impression of this to his srudents. Thus, although I was intensely interested in his system of logic, I was not aw~e at chat time of its great philosophical significance."
Edmund Husserl über Frege
Er (Frege .. ) galt damals als ein scharfsinniger, aber weder als Mathematiker noch als Philosoph fruchtbringender Sonderling.
,. Wir bedürfen dringend einer Erneuerung der Religion. Die lutherische Kirche ist z. T. in Orthodoxie erstarrt. Die Lieder der Gesangbücher sind ( ... )ohne Kraft und ( ... )klägliche Reime-reien. ( ... ) Es müssen freie Verkünder von etwas Neuem auftreten, das aber eigendich etwas Altes ist, nämlich die alte Religion Jesu selbst ...
Und am folgenden Tag heißt es: ..Das Leben Jesu müßte erzählt werden nach
den Ergebnissen der deutschen Forschungen, ganz wahrheitsgemäß. ( ... ) Ein Leben Jesu, wie mir es vorschwebt, müßte, meine ich, eine Religion stiftende Wirkung haben, ohne daß das als Absicht hervorträte ...
Vernünftige Wirtschaftsordnung
,.Es ist begreiflich, daß es notwendig gehalten wird, die winschaftliche Lage der ärmeren Volksgenossen (sie! EMT), insbesondere der Arbeitnehmer zu heben. Weniger leuchtet die Forderung ein, es sei anzustreben die winschaftliche Lage der ärmeren Arbeitnehmer auf Kosten der Arbeitgeber zu heben. So kann es nicht gelingen, weil jede Last, die auf die Arbeitgeber gewälzt wird, weil sie Arbeitgeber sind, mit der Zeit auf die Arbeitnehmer zurückfallen muß. Dies Bestreben sehe ich als eine Geisteskrankheit an. ( ... ) sie verbreiten eine Scinkluf~, in der die Sozialdemokratie üppig wuchern kann, bis sie,
DEZEMBER 1989
zur Macht gelangt, an sich selbst zu Grundegeht~,
notiert Frege am 26. 3. 1924, und wiederholt sich am 2. 4. 1924:
,.Die Meinung, daß die wirtschaftliche Lage der ärmeren Arbeitnehmer auf Kosten der Arbeitgeber gehoben werden könne und müsse, hat schon vor dem Kriege weite Kreise des Deutschen Volkes weit über die Grenzen der Sozialdemokratie hinaus wie eine Seuche befallen und diese Verseuchung des- Deutschen Volkes dauert auch jetzt noch an. Bevor sie nicht gewichen ist, kann eine wirkliche Genesung des Deutschen Volkes nicht erhofft werden. Nur dadurch, daß die wirtschaftliche Lage des ganzen Volkes gehoben wird, kann die wirtschaftliche Lage der ärmeren Volksschichten dauerhaft gehoben werden."
Wie aber sah und sieht zur Zeit (8. 4. 1924) die Lage aus? Arbeiter und diejenigen Reichstagsabgeordnecen, die ihre Wahl den ärmeren Arbeitnehmern ihre Wahi verdanken, haben • bisher ihre politischen Rechte zu ihrem Schaden gebraucht. Möglichst niedrige Steuern war ihr leitender Gedanke. Daher ungenügende Kriegsrüstung, daher Krieg und schlechter Aus~g des Kr.ieges. Möglichst niedrige Steuern,
Oie Funktionalität der Philosophen
daher Kriegsanleihen, Verschuldung des Reiches. ( ... ) Die Reichsschulden dienen nun denen, die Vermögen haben zur Anlegung ihres Vermögens."
An dieser unproduktiven Anlageform aber sind die Arbeitnehmer selbst schuld, denn:
"Die Arbeiterführer aber wetterten gegen das Kapital, aber vorzugsweise gegen das in Reichsanleihen angelegte. Wer läßt sich gerne beständig als Ausbeuter von armen Arbeitern schimpfen. Dadurch kann man abgehalten werden, ein gewerbliches Unternehmen anzufangen und veranlaßt sein Geld in Reichsanleihen anzulegen zum Nachteil der ärmeren Mitbürger."
Der von der Sozialdemokratie aufgestachelte Arbeiter ist also an seiner derzeitigen Lage selbst Schuld, indem er seinen Arbeitgeber beschimpfte, so daß dieser sein Geld in Reichsanleihen anlegte, die der verschuldete Staat ausgeben mußte, weil ihm die von den Arbeitnehmern gewählten Reichstagsabgeordneten ein höheres Steueraufkommen verweigerten. Dazu hatten die Abgeordneten
"die Abneigung Geld zu bewilligen, besonders für Heereszwecke. Daher die zu geringe Heeresstärke. daher die Neigung, unserer Feinde, uns zu überfallen. daher der Weltkrieg, daher das Mißgeschick an der Mame und daher der unglückliche Ausgang des Weltkrieges, daher die ungeheuren, noch gar nicht abzuschätzenden Lasten, die der Frieden von V ersailles uns aufgebürdet hat. unsere U nfih.igkeit mit England im Handelswettbewerb zu stehen usw."
Der deutsche Arbeiter hat also den schlechten Ausgang des Weltkrieges selbst verursacht. Noch schlimmer, er hat zum eigenen Nachteil manche seiner Arbeitgeber in die Börsenspekulation getrieben:
,.Die Schwierigkeit Steuern vom Reichstage bewilligt zu erhalten, führte zu der Neigung, die nötigen Mittel durch Anleihen aufzubringen. Das war nur eine scheinbare Erleichterung der Lasten, die nur um so stärker die Zukunft bedrückten und durch Vermehrung der an der Börse gehandelten Wertpapiere die Börsenspekulation begünstigten zum Schaden des eigentlich schaffenden Volkes."
So heißt es im Eintragvom 17. 4. 1924. Die Eindämmung der Börsenspekulation ist unbedingt notwendig. Einen Nebeneffekt sieht er vermutlich darin, daß die jüdischen Händler ihre Arbeit verlieren werden, denn bei seiner Wirtschaftsordnung werden nur Deutsche mit·" vollem Bürgerrecht", also keine Deutsche jüdischen Glaubens berücksichtigt. Der Arbeiter hat durch falsche Entscheidungen das Volk und sich selbst in den Ruin geführt. - Wie also kann man jetzt die wirtschaftliche Lage des Volkes ändern?
,.Statt Schulden zu haben, sollte das Reich Geld zum Ausleihen haben .. ,
beginnt das Tagebuch am 18. 4. 1924 . Schon am 2. 4. hieß es:
,.Die Schulden und sonstige Verbindlichkeiten sind, wenn irgend möglich, nicht zu vermehren. Dagegen ist ein Reichsschatz anzusammeln.
73
Dieser Vorsatz muß mit alle~ Zähigkeit festgehalten werden."
Und am 8. 4. ergänzt er: ,. Wenn wir einen gewaltigen Reichsschatz
statt große Reichsschulden gehabt hätten. wievielleichter und billiger hätten wir die Lasten des Krieges tragen können. Und vielleicht hätten unsere Feinde im W eiekriege im Hinblick auf unsere Machtstellung es überhaupt nicht gewagt, uns zu bekriegen. Millionen von Menschen, die im Kriege gefallen sind, lebten dann wahrscheinlich noch, und ein gewaltiges Vermögen, das nun dem deutschen Volke verloren gegangen ist. könnte zur weiteren Hebung der Lebensstellung des deutschen Volkes dienen."
Wie soll der Reichsschatz zustande kommen? Dazu schreibt Frege am 5. -l-. 1924:
"Der Einfluß der Börsenspekulanten muß eingedämmt werden. deshalb ~uß die Auswahl der an den Börsen gängigen Wertpapiere möglichst beschränkt werden. Als Grundsatz muß aufgestellt werden: Nur Deutsche mit vollem Bürgerrecht dürfen Grundbesitz in Deutschland erwerben. Gesellschaften dürfen nur dann Grundbesitz erwerben. wenn Sicherheit vorhanden, daß nur Deutsche mit vo~ Bürgerrecht Mitglieder sein dürfen. Besitzer von deutschem Grund und Boden. welche nicht berechtigt sind. Grundbesitz zu erwerben, müssen die doppelte Grundsteuer bezahlen. Dazu werden also a1le Aktiengesellschaften gehören. Diese können ersetzt werden durch Gesellschaften, deren Teilhaber im Grundbuche verzeichnet sind. Für diese gilt dann bei Grundstückskäufen und -verkäufen dasselbe wie für jeden anderen Einzelbesitzer eines Grundstücks: Der Käufer ist verpflichtet. 20% (1/s) vom Wert außerdem zu bezahlen. Diese 20% des Kaufpreises fallen einem besonderen Reichsschatze zu. Das Reich darf aber nur über dessen Zinsen verfügen. ( ... ) Als Wert des Grundstücks muß der neue Besitzer mindestens die um 20% vermehrte Kaufsumme angeben und diese darf in den nächsten 10 Jahren nicht vermindert werden."
Und er fährt am nächsten Tag, dem 6. 4. fort:
"Neue Hypotheken und Grundschulden dürfen nicht eingetragen werden. 50 Jahre nach der Neuordnung müssen die auflastenden Hypotheken und Grundschulden abgetragen sein, sonst gehen sie in gewöhnliche Schulden ohne hypothekarische oder grundschuldliehe Sicherstellung über. ( ... )So werden die Hypothekenbanken mit der Zeit verschwinden und damit die Aktien. ( ... ) Es ist anzustreben. daß die Grundbesitzer allein die Steuern bezahlen."
Der zweite Schritt besteht darin: ,.Staatsanleihen müssen so schnell wie möglich
abbezahlt werden, damit auch diese Papiere von dem Wertpapiermarkte verschwinden. Je mehr Wertpapiere aus dem Markte verschwinden, desto mehr wird die Börsenspekulation eingeschränkt."
Und was können die Arbeiter für die neue Wirtschaftsordnung tun?
"Diejenigen. die keine Grundbesitzer sind. tragen ihre Lasten in Gestalt von W ahnungsmiete und Ackerpachten und hohen Preisen auf Lebensmittel und andere Waren."
Es scheint Frege nur recht und billig zu sein, daß die ärmeren Volksschichten, die ja angeblich die schlechte Lage verur-: sacht haben, auch den Hauptteil der.Lait
74
Freges Werk und Bedeutung Frege gilt als der eigentliche Begründer der sogenannten "Mathematischen Logik"
(also der heutigen Form der formalen Logik), als der Initiator des "Logizismus" in der Arithmetik, sowie als der Urheber der modernen Semantik. Sein zu Lebzeiten eher sporadischer Einfluß auf die philosophische Diskussion (so bei Husserl, Russell, Wirtgenstein und Carnap) hat etwa seit den fünfzigerJahrendes zwanzigsten Jahrhunderts, besonders im Bereich der analytischen Philosophie, erheblich z_ugenornmen. Nach grober Abschätzung dürfte Frege im angelsächsischen Sprachraum der zur Zeit nach Kant meistgelesene deutsche Philosoph sein.
Sein wissenschaftliches Hauptanliegen galt bekanntlich einer logischen Begründung der Arithmetik. Ihre Begriffe und Beziehungen sollten auf rein logische Begriffe und Beziehungen definitorisch zurückgeführt, ihre Grundsätze allein aus Definitionen rein logisch abgeleitet werden, mithin ohne der Erfahrung (Sinneswahrnehmung) oder der Anschauung einen Beweisgrund zu entnehmen. Daran aber, Mathematik durch Logik zu begründen, ist Frege - wie alle nach ihm - erfolgreich gescheitert ("Ich habe die Meinung aufgeben müssen, daß die Arithmetik ein Zweig der Logik sei und daß demgenäß in der Arithmetik alles rein. logisch bewiesen werden müsse.").
Gescheitert ist er, weil Bertrand Russell in seinem System einen es zerschlagenden Widerspruch entdeckte; erfolgreich war er, weil er einen vorher nicht erreichten Standard in der Strenge der Beweisführung innerhalb eines von präzisen Ausdrucksbestimmungen und Deduktionsregeln ausgehenden axiomatischen Autbaus der klassischen Quamorenlogik setzte. Außerdem entwickelte er die unverzichtbaren terminologischen Eckpfeiler einer exakten Wissenschaftssprache im "logisch-philosophischen" Kontext: Eigenname, Kennzeichnung, Begriff, Urteil, Satz, Sinn und Bedeutung.
Ersichtlich wird Freges Modernität- und damit seine "Unzeitgemäßheit" -auch aus den drei Grundsätzen, an die er sich nach eigenem Bekunden bei seiner U ntersuchung streng gehalten hat:
1. Es ist das Psychologische vom Logischen, das Subjektive vom Objektiven scharf zu trennen.
2. Nach der Bedeutung der Wörter muß im Satzzusammenhange, nicht in ihrer Vereinzelung gefragt werden.
3. Der Unterschied zwischen Begriff und Gegenstand ist im Auge zu behalten. Insofern kann er der "Ältervater" der sprachanalytischen Logikonzeptionen ge
nannt werden, obwohl seine Theorien und Thesen heute mehr denn je umstritten sind. Lange Zeit waren Freges Werke nicht Bestandteil des offiziellen mathematischen Diskurses, und er kam einem Unverständnis durch eine ungewöhnliche zweidimensionale Notation seiner Ideen entgegen, die er mit zupackender Polemik, trefflicher Schärfe, Hohn, Spott und beißendem Humor verteidigte. - Frege hat fast alle wichtigen Probleme ebenso klarsichtig und souverän identifiziert wie originell und deutlich beschrieben, die sich bei einer logischen Repräsentation beziehungsweise einer Beschreibung der natürlichen Sprache ergeben. Jede ernsthafte Bedeutungstheorie, wie z. B. diejenigen von Quine, Davidson, Grice oder Schiffer, ist immer noch gezwungen, Lösungen, Auswege oder Verwerfungen Fregescher Probleme vorzulegen. Freges Schriften und Ideen beeinflussen heute fast jedes Gebiet der Philosophie:
Begriffsschrift. Eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Denkens: in: G. Frege, Begriffsschrift und andere Aufsätze, zweite Auflage. Mit E. Husserls und H. Scholz' Anmerkungen herausgegeben von Ignacio Angelelli. Hildesheim (Georg Olms). Zweite Nachdruckauflage 1977.
Die Grundlagen der Arithmetik. Eine logisch mathematische Untersuchung über den Begriff der Zahl. Mit ergänzenden Texten kritisch herausgegeben von Christian Thiel. Harnburg (Felix Meiner) 1986
Grundgesetze der Arithmetik. Begriffsschriftlich abgeleitet. 2 Bände in einem Band. Hildesheim (Georg Olms) 1966
tragen. Zur besseren Funktionsfähigkeit des deutschen Gewerbes schlägt Frege vor, hohe Zölle auf ausländische Waren zu nehmen.
,.Über die Verteilung der Zolleinnahmen auf verschiedene Zwecke wird etwa immer auf 10 )ahre im Voraus von einer Volksvertretung beschlossen, für die jeder Vollbürger etwa vom 30 .. Lebensjahre an das gleiche Wahlrecht hat. (., .) Die ständigen Ausgaben jedoch, insbesondere die Kosten der Wehrmacht und die Beam-
Eckart Menzler.:rrott, Frege
tenbesoldungen sollen allein aus den Steuern der Grundbesitzer bestritten werden. Über die Verwendung im Einzelnen beschließt eine von den Grundbesitzern gewählte Versammlung. Das Wahlrecht zu dieser sei proportional der seit der letzten Wahl von derri Grundbesitzer oder dessen Vorgänger im Besitze seit der letzten Wahl bezahlten Grundsteuer." (7. 4. 1924)
Jedoch heißt es am 8. 4. 1924: "Jetzt sind wir weiter als je von der Bildung ei
nes Reichsschatzes entfernt und die ärmeren Volksgenossen sind weiter als je von der Auf-
FORVM
Kleine Schriften. Herausgegeben von Ignacio Angelelli. Hitdesheim (Georg Olms) 1967
Funktion, Begriff, Bedeutung. Herausgegeben von Günther Patzig. Göttingen (Vandenhoek & Ruprecht) 1980;
Logische Untersuchungen. Herausgegeben von Günther Patzig. Göttingen (Van-denhoek & Ruprecht) 1966 .
Nachgelassene Schriften. Erster Band. Zweite, revidierte Auflage, erweitert um einen Anhang "Nachschrift einer Vorlesung und Protokolle mathematischer Vorträge Freges", eingeleitet von LotharKreiser unter Mitwirkung von Günther Grosche. Unter Mitwirkung von Gottfried Gabriet und W alburga Rödding bearbeitet, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Hans Hermes, Friedrich Kambartel, Friedrich Kaulbach. Harnburg (Felix Meiner) 1983
Wissenschaftlicher Briefwechsel. Nachgelassene Schriften: Zweiter Band. Herausgegeben, bearbeitet, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Gottfried Gabrie!, Hans Hermes, Friedrich Kambartel, Chrisrian Thiel, Albert Veraart. Harnburg (Felix Meiner) 1976
Die Grundlagen der Arithmetik. Mit einem Nachwort herausgegeben vonjoachim Schulte. Ditzingen (Reclam) 1987
Freges Lebenslauf Friedrich Ludwig Gottlob Frege wurde am 8. 11. 1848 in Wismar (heute DDR) an
der Ostsee geboren. Sein Vater Carl Alexander Frege (1809- 1866) war Pfarrer, Begründer und Vorsteher einer privaten Mädchenschule.
Freges Mutter, Auguste Frege, geborene Bialloblotzky (gestorben 1878) war Lehrerin und nach de~ Tode ihres Mannes Leiterin der Mädchenschule.
Frege legte Ostern 1869 am Gymnasium zu Wismar das Abitur ab und studierte von 1869 bis 1870 an der UniversitätJena Mathematik, Chemie und Philosophie. Zu seinen Lehrern in Jena gehörte auch Ernst Abbe, der- in seiner Doppelfunktion als Universitätslehrer und Direktor der Forschung der Carl Zeiss-Werke- ihh während seiner späterer Universitätstätigkeit nach Kräften förderte. 1871-1873 studierte Frege füni Semester in Göttingen Mathematik, Physik und Philosophie und wurde am 12. 12. 1873 mit einer mathematischen Dissertation ,.Ueber eine geometrische Dars~ellung der imaginären Gebilde in der Ebene" zum Doktor der Philosophie promoviert.
187 4 kehrte Frege nach Jena zurück und habilitierte sich für Mathematik mit der Arbeit ,.Rechnungsmethoden, die sich auf eine Erweiterung des Größenbegriffs gründen". 1879 wurde er außerordentlicher Professor. 1880 wandte sich das Staatsministerium in Weimar an das Königliche Generalkommando des XI. Armeekorps zu Kassel, den Unteroffizier im 5. Thüringischen Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 94, Gottlob Frege, von den im gleichen Jahre stattfindenden Landeswehrübungen zu dispensieren, da sonst die Lehre eine nicht auszugleichende Störung erhalten würde. 1896 wurde Frege ordendieher Honorarprofessor an der armen Sommeruniversität Jena (mit einem Jahresgehalt von bloß 3000 RM aus der Carl Zeiss-Stiftung; eine Stelle, die nach seinem Tod gestrichen wurde) und erhielt 1903 den Titel eines Hofrats. Seine Frau, Margarete Lieseberg, starb 1905.
Das normale Berufsziel der akademischen Laufbahn, ein planmäßiges Ordinariat, das ihm Stimmrecht an der Fakultät verschafft hätte, hat Frege nicht erreicht. 1917 trat Frege von seinem Lehramt zurück. Bis zu seinem Tod am 26. 7. 1925, wahrscheinlich durch ein Magenleiden verursacht, lebte Frage in der Nähe von Wismar, in Bad Kleinen. Frege ist in Wismar begraben.
Den wissenschaftlichen Nachlaß vermachte er seinem Adaptivsohn Dipl.-Ing. Alfred Frege (vormals Alfred Fuchs)jder war während des Zweiten Weltkrieges stationiert war im Torpedoarsenal-West Montesson. Er fiel in Parisam 15. 6. 1944 und ist auf dem Friedhof von St. Andre-de-l'Eure begraben, vermudich unter der Grablage 6-18-1502.
sieht entfernt auf eine günstigere Gestaltung ihrer wirtschafeliehen Lage."
Denn der ,.ärmere Volksgenosse" ist von der Sozialdemokratie und
,.deren vaterlandslose meist jüdische Führer" (6. 5. 1924) .. verseucht" ... Ich vermute, daß der Terror viele in der sozialdemokratischen Gewerkschaften getrieben hat ..... (27. 4. 1924)
Wir wenden uns deshalb Freges Ansichten über die Sozialdemokratie und den Antisemitismus zu.
Gegen Sozialdemokratie, Liberalismus und Deutsche
jüdischen Glaubens
Frankreich hat Deutschland mit liberalen, ja sozialdemokratischen Ideen angesteckt.
,.Frankreich litt an einer gefährlichen Krankheit. Thiers glaubte, dal) sie durch Ausbrennen am sichersten geheilt werden könnte, und er
rannte sie aus.~ ( 13. 3.)
In der T ac v~rancwortete Thiers die Niederwerfung der Pariser Commune durch die Ermordung von ca. 30.000 Menschen. 11 Deutschland wurde aber von den Überresten angesteckt. Bismarck, so meint Frege, habe mit seiner "angeborenen Schaukraft" gesehen, daß die Sozialdemokratie keine Zukunft habe und hätte sie deshalb ebenfalls ausbrennen wollen, aber
,.sein Kaiser war anderer Meinung. So wurde der letzte Augenblick für das Ausbrennen verpaßt. Andere Staaten sahen, daß Deutschland durch die Krankheit geschwächt war. Dadurch gewannen sie Mut, Deutschland zu überfallen. Aber viele mußten es sein. die sich zu diesem Zwecke zusammenfanden. Wenige hätten es nicht fertig gebracht, Deutschland. auch das geschwächte, zu überwältigen." ( 13. 3.)
Am 16. 3. 1924 schreibt er: ,.Der Ausbreitung der Sozialdemokratie war
die sozialistische Verseuchung, ... , sehr förderlich. Der Theologe Stoecker, von dem der Kaiser meinte. daß etwas von einem Luther in ihm wäre, mag auch den Kaiser stark sozialistisch beeintlugt haben."
Nun war Adolf Stoecker ein Gegenspieler von Bismarck und Bebe!. Gerade aus der Bebeischen Sozialdemokratie hoffte er, viele Arbeiter für seine christlich-soziale, stark antisemitisch gesinnte Partei zu gewinnen, die dem Kaiser treu ergeben war.
.. Man hat gemeint, die Bürgerlichen hätten die Sozialdemokratie schärier bekämoien müssen. Aber wie konnten sie das ... ? W~en sie doch selbst schon größtenteils sozialistisch verseucht und hatten der Sozialdemokratie schon vielzuviel eingeräumt .. ,
kritisiert sich der ehemalige Nationalliberale reuig am 17. 3. Und desto schärfer beschimpft er nun die Sozialdemokraten.
"Das Reich litt 1914 an einem Krebs, nämlich der Sozialdemokratie. Immer wieder stößt man auf diese. ( ... )Die Führer der Sozialdemokratie, ohne jedes vaterländis(;he Gefühl, wie sie waren, machten jede Vergünstigung, die den Arbeitern gewährt wurde, zu ihrem Verdienst. Seht, sagten sie, das habt ihr jetzt uns zu verdanken, aber es ist natürlich längst nicht genug. Je ungebändigter ihr seid, desto mehr wird euch nachgegeben werden. So konnte es nie zu einer Befriedigung der Arbeiter kommen. ( ... ) nun nach der Revolution sind die schärferen Heilmittel nicht mehr anwendbar. Nun bleibt nichts anderes übrig als abzuwarten, bi;; der Marxismus an sich selbst zu Grunde gegangen ist. Die Arbeiter werden allmählich lernen, daß man sie zum Narren gehabt hat .....
tönt er am 24. 4. 1924. Die Sozialdemokraten haben nur wegen des schwachen Kaisers Wilhelm II. ihre Stellung erhalten können.
"Wilhelm, der Il. war zu unserem Unglück
11 .. Die Ideen der Gerechtigkeit und der Solidarität müssen die Gesetze derWeltsein und sie werden es sein." Commune, 21. Mai 1871. .. Die Sache der Gerechtigkeit, der Ordnung, der Humanität, der Zivilisation hat gesiegt." Adolphe Thiers, 22. Mai 1871.
DEZEMBER 1989 Logik schützt vor Magengeschwüren & Rassismus 75
nicht sachverständig in Kriegsangelegenheiten; daher seine Scheu vor kriegerischen Verwicklungen, sein Bestreben, Frankreich zu versöhnen. Aber all seine Liebenswürdigkeiten gegen Frankreich blieben wirkungslos. ( ... ) Ähnlich ging es ihm in der inneren Politik mit den Sozialdemokraten, deren vaterlandslose meist jüdische Führer der Monarchie aufs äußerste feindlich gegenüber standen." (6. 5.)
Und was sind überhaupt Sozialdemokraten?
"Demagogen ohne jedes deutsche Gefühl und meist auch wohl undeutscher Abstammung." Die spiegelten den Arbeitern eine angemessene Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage vor und fingen dadurch viele für Ihre Zwecke ein. ( ... ) Sinn für Wahrhaftigkeit fehlt ihnen gänzlich. So hatten sie leichte Arbeit, denn die Ausmalung glänzender Zukunftsbilder kostet nicht viel. Und die Arbeiter fielen darauf hinein? Es wird immer schwer es zu glauben ... ( ... ) ich vermute, daß derTerrorviele in die sozialdemokratischen Gewerkschaften getrieben hat, ..... (27. 4. 1924)
Klar scheint für Frege, daß eine sozialdemokratische Position argumentativ gar nicht vertreten werden kann, und schreibtarn 6. 5.
"Von einer Idee bei den Sozialdemokraten zu reden. ist ein ganz unzutreffender Ausdruck, der die Sozialdemokratie weit überschätzte. Statt einer Idee hatten sie nur ganz unklare Redensarten. die ihnen ein W olkenkukuksheim vorspiegelten und einen Haß einflößten gegen alle, die der Erreichung dieses Glückszustandes im Wege standen. ( ... ) Ich glaube nicht. daß alle Arbeiter so dumm waren. diesen Verlockungen Glauben zu schenken. aber der Terrorismus der Zielbewußten trieb sie in die Gewerkschaften hinein, WO sie dann SO erngeklemmt waren, daß sie sich nicht rühren konnten. Pflicht der Regierung wäre es nun gewesen, diesen Terrorismus zu brechen und das Recht zu schützen, das Recht der Arbeiter gegen ihre gewalttätigen Genossen und das Recht der Arbeitgeber; aber dann wären scharfe Mittel nötig gewesen und die wollte der Kaiser nicht anwenden aus Furcht, dann nicht mehr der Kaiser der Armen und Unterdrückten zu ein."
Aber nicht allein der schwache Kaiser ist daran schuld, daß
"sozialdemokratische, meist jüdische Führer"
brave Arbeiter mit Terror in ihre Gewerkschaft zwingen.
"Der Liberalismus hat den Juden Gleichberechtigung verschafft und dafür haben Juden hervorragende Stellungen in der Leitung des Liberalismus gewonnen und haben sie benutzt um Bismarck Steine in den Weg zu werfen. ( ... ) Und doch hatte der Liberalismus seine Berechtigung. Ich selbst habe mich zu den Liberalen gerechnet." (9. 4. 1924)
Der Liberalismus aber brachte "die Freizügigkeit auch für] uden, Geschenke
von Frankreich. Wir machen es den Franzosen so leicht, uns mit ihren Geschenken zu beglükken. ( ... ) Die Franzosen hatten uns doch vor 1813 schlimm genug behandelt und trotzdem diese blinde Bewunderung alles Französischen."
Nur das Deucschtum kann uns helfen: "Viel von unserm Unglück hat seinen Grund
darin, daß wir uns unseres Volkstums so wenig mit Stolz bewußt" sind. Wir· haben so viele· Fremdstimmige unter uns. die Anspruch machen als Deutsche angesehen zu werden unq un:o
76
ser Gerechtigkeitsgefühl verleitet uns dazu, dies Verlangen als berechtigt anzuerkennen. Unsere Vorfahren dachten vielfach anders." (9. 4. 1924)
Frege vermutet, daß seine Wismarschen Vorfahren mit Juden eher schlechte Erfahrungen gemacht haben, denn sie läuteten die Juden zu gewissen Jahrmarkestagen aus der Stadt ein und am Ende der Übernachtungsfrist aus. Warum dies geschah?
"Die alten Wismarschen werden wohl Erfahrung mit den Juden gemacht haben, die sie zu dieser Gesetzgebung bestimmt haben. Es wird wohl die jüdische Geschäftsgebarung gewesen sein, zugleich mit dem jüdischen Volkstum. das ja mit dieser Geschäftsgebarung eng zusammenhängt. Man hatte auch vielleicht gesehen, daß durch Gesetze, die solche Geschäftsgebarung verboten. wenig auszurichten war ...
Natürlich wurde dieses "LäuteGesetz" nicht deshalb kassiert, als 1867 der Norddeutsche Bund gegründet wurde, sondern die Beseitigung des Gesetzes geschah auf Grund der Berücksichtigung der Menschenrechte. Weiche Erfahrung hat nun Frege mit diesen vaterlandslosen, gesetzlosen Juden?
"So kam es, daß ich üble Erfahrungen mit Juden nicht machen konnte." (22. 4. 1924)
Dann folgt schon ein pöbeloder Rülpser:
"Ich habe den Antisemitismus eigentlich erst
in den letzten ] ahren so recht begreifen lernen. Wenn man Gesetze gegen die Juden geben will, muß man ein Kennzeichen angeben können. aus dem man sicher einen Juden erkennen kann. Darin habe ich immer die Schwierigkeit gesehen."
So spricht der Logiker, der keine schlechten Erfahrungen mit Juden hat machen können. Aber eben genau das will nichtS heißen, denn am 30. 4. hetzt er auf üble Weise:
,.Man kann anerkennen, daß es höchst achtbare Juden gibt und es doch für ein Unglück halten, daß es soviele Juden in Deutschland gibt und daß diese volle politische Gleichberechtigung mit den Bürgern arischer Abkunft haben; aber wie wenig ist mit dem W unsehe geschehen, daß die Juden in Deutschland ihre politischen Rechte verlieren oder besser noch aus Deutschland verschwinden mögen. Wollte man Paragraphen formen, die diesen Übelständen abhelfen sollten, so wäre zunächst die Frage zu beantworten: Wie kann man sicher J üden von Nichtjuden unterscheiden? Das mag vor 60 Jahren noch verhältnismäßig leicht gewesen sein. Jetzt scheint mir das sehr schwer. Vielleicht muß man sich darauf beschränken die Gesinnung zu bekämpfen, durch deren Betätigung der Juden so schädlich sind und eben diese Betätigung mit Verlust des Bürgerrechts und die Erlangung des Bürgerrechts zu erschweren."
Und schon am 23. 4. hatte er geschrieben:
"Ich meine. daß zu den Kräften, die zur Errichtung eines starken Reiches zusammenzufassen sind, der Marxismus nicht gehören kann. ( .... ) hiermit befinde ich mich. meine ich, ganz im Einklang mit dem, was General Ludendorff in demselben Heftel2 schreibt. Danach ist die Austilgung des Marxismus oder wenigstens seine. Ausschließung aus der Gesamtheit der Voll-
Logik schützt vor DeutSChlands Feinden
~ürge: eine nötige Vorbedingung für die Möglichkelt der von Dr. Weber angestrebten Errichtung eines starken Reiches."
Der Ausschluß von Juden, Marxisten und Sozialdemokraten aus dem Vollbesitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist für Frege Voraussetzung für ein neues ein drittes Reich. '
Deutschlands Feinde England und Frankreich
Für Frege ist es offensichtlich, daß die jungen Deutschen gegen Frankreich Krieg führen müssen. So betet er fast am 3. 4. 1924:
,.Junge Deutsche. vor Euch steht eine Aufgabe von furchtbarer Größe, die Aufgabe, das Vaterla~d wieder a~fzu~ic.hten. ~enn euch ein erfolg:etche.r Anlaut aut·d.teses Ztel gelungen ist. mögt thr wteder Feste tetem. Laßt euch die richtige Stunde angeben von unseren großen Heerführern im W elrkriege. Laßt die erst wägen. dann mögt ihr wagen ...
Am 16. 4. fast die gleiche Predigt: "Junge Deutsche ieiert jetzt kein Feste! Wartet
damit, bis ihr Deutschland durch einen Sieg über die Franzosen wieder zu einigem Ansehen unter den Völkern gebracht habt. Dann mögt ihr ein Anrecht haben. ein allgemeines Fest zu feiern; aber nehmt das nicht vorweg, ehe ihr irgend et
was Großes geleistet habt. Aber bis Deutschland wieder das alte Ansehen zurückerhalten hat. das es unter Wilhelm I. hatte. müssen vielleicht noch die Söhne und Enkel der jetzt lebenden jungen Deutschen Heldentaten verrichten."
Und wieder geht es am 21. +. gegen den Versailler Friedensvertrag:
,.Nicht eher. glaube ich, kann es bei uns besser werden. als bis das Recht den Boden zurückgewonnen hat, denn es an die Willkür verloren hat."
Wegen dieses ~U nrechcsvertrages" von V ~rsailles, so vermute ich, hat sich Frege auch so intensiv mit dem Recht auf Vertragsfreiheit als Nicht-Einmischung von seiten Dritter bei Arbeitskontrakten beschäftigt.
,. Wie werden wir aufatmen, wenn wir erst wieder festen Rechtsboden unter den Füßen fühlen ... Und am 5. 5.: ,.Adolf Hitler schreibt mit Recht im Aprilheft von ,Deutschlands Erneuerung', daß Deutschland nach dem Weggange Bismarcks ein klares politisches Ziel nicht mehr hatte. Er meint, man habe entweder mit England gegen Rußland oder mit Rußland gegen England vorgehen müssen. Beides scheint mir bedenklich. ( ... )Wir hätten etwas anderes tun müssen, nämlich die möglichste Stärkung unserer Landmacht. Wir hätten sie ja der französischen weit überlegen machen können und Frankreich hätte sich dann kaum auf den W eiekrieg mit uns eingelassen; denn bevor England und Rußland hätten wirksam eingreifen können, hätte Frankreich hilflos am Boden gelegen ...
Wir haben vorher gesehen, daß nach Frege alles innere Übel in Deutschland. die Sozialdemokratie, der Marxismus, der Sozialismus, der Liberalismus, die
12 ,.Deutschlands Erneuerung" 1924, Heft IV, S. 209. Ein völkisch-nationales Propagandablatt.
FORVM
Bürgerrechte und Freizügigkeit der Juden und anderes mehr, ausschließlich von Frankreich kommt. Es ist ihm ein Rätsel, daß man die Ideen der Franzosen angenommen habe, obwohl sie die Deutschen bis 1813 so schlecht behandelt hatten. Als ehemaliger Liberaler muß er sein damaliges Engagement tief bereuen, wenn er am 1. 4. 1924 sich wieder mit allem Pathos grämt:
"Heute vor 109 Jahren ward Bismarck dem Deutschen Volke geschenkt. Wie wenig hat es ihn zu würdigen gewußt. Wieviel häcce besser und glücklicher für Deutschland ausfallen können, wenn die Deucschen von ihm hätten lernen wotlen! Aber lieber von den Franzosen haben viele lernen wollen als von dem deutschesten Deutschen! Was die Franzosen uns verkündeten, nahmen viele Deutsche gläubig an; aber von den Taten der Franzosen wollten sie nichts lernen. Jetzt hämmern die Franzosen so auf uns ein, daß man denken soilte, auch durch den dicksten Schädel müßte eine Spur von Licht eindringen. Ach, die Fremden haben es so leicht, uns etwas einzubilden und wir haben es so schwer, etwas von unserer Wahrheit bei ihnen Eingang zu verschaffen. Ach ihr jungen Deutschen feiert jetzt keine Feste!"
Und mit der Genugtuung desjenigen, einstmals furchtbare Rache für alle Schmach zu nehmen, trägt er ins Tagebuch am 14. 5. ein:
"Eine überraschende Nachricht ist gekommen. nach der ~ scheint, daß Poincares Politik der V ernichcung Deutschlands völlig gescheitert ist."
Der Krieg ist den Franzosen für die Zukunft sicher.
Mit England ~erhält es sich ganz anders. Frege bedenkt immer, daß England in Konkurrenz zu Frankreich steht. Aus England jedoch kommt die deutschfremde Idee der Republik, der Parlamentarismus, der Demokratie, des Parteienwesens. Das aber ist zutiefst undeutsch und schwächt Deutschland.
,.Daß wieder ein machtvolles Kaisertum in Deutschland aufkomme, scheint es (England, EMT) sehr zu fürchten. Darum ist der Ausfall der Wahlen in Deutschland, die auf eine bevorstehende Vernichtung der republikanischen Verfassung hinzudeuten scheinen, gar nicht nach seinem Sinn, und um eine weitere Entwicklung in dieser Richtung zu verhindern, halten es vielleicht viele Engländer für vorteilhaft, die republikanische Regierungsform zu schätzen." {15. 4. 1924)
"Doch hat nicht die Erfahrung gezeigt, und zeigt es sich nicht immer aufs Neue, wie ungeeignet im Grunde das uns vom Westen zugeführte parlamentarische Wesen ist. Es ist nichts eigentlich deutsches, auf deutschem Boden Gewachsenes. Bismarck selbst hat sich vielleicht geirrt bei der Einführung seines Reichstagswahlrechts, das übrigens vom verfassungsgebenden Reichstage in mancher Hinsicht gegen Bismarcks Plan geändert worden ist."
Zwar sieht Frege die ehemalige Berechtigung dieser Bismarckschen Idee als ein Bollwerk gegen die Wiederkehr des Absolutismus an, erkennt aber heute nur mehr Entartung. So heißt es am 11. 4~:
.. Bei unserm Parteigetriebe ist nicht einzuse-
hen, wie auf dem Wege des Parlaments weiter zu kommen sei. Bald ballen sie die Parteien zusammen, bald widereinander. So erscheint die Bahn des Staatsschiffes aus Iaucer einzelnen Stücken zu bestehen, bald in dieser Richtung, bald in jener."
Und am 7. 5. schreibt er als Resümee: "Mit Betrübnis bemerke ich, in wieviele Par
teien das deutsche Volk zerklüftet ist, wie viel Reibungsflächen dadurch entstehen, wieviel Haß aufspritzt und wie gerade diejenigen, die einander sehr nahe stehen, in ihrem politischen Glauben am meisten aufeinanderhacken, weil sie sich dieselben Leute einander streitig machen. Gibt es denn gar keine Parceiführer, die soviel Einsiehe und Kraft haben. diesen Unsinn zu steuern? Gerade auf der rechten Seice scheint mir dieses Übel groß."
Die Gefahr für England aber, daß sich die deutschen Parteien einigen könnten, kommt von Frankreich. Frege am 15. 4.:
"Gerade Poincares Vorgenen gegen Deutschland hat wahrscheinlich den Parteien in Deutschland geschadet. denen die Engländer die Fortdauer ihrer Macht wünschen. Daraus entsteht, wie es scheint. ein Gegensatz zwischen Frankreich und England."
Denn, so heißt es einen Tag zuvor, am 14. 5.:
"Wenn England nicht die Früchte des Weltkriegs verlieren will, muß es dafür sorgen, daß Deutschland sich niemals soweit erholen kann, daß sein Wettbewerb ihm gefährlich werden kann, andererseits darf es Frankreichs Macht nicht anwachsen lassen wie zu Napoleon I. Zeiten."
Aber weil England sich beim Versailler Friedensschluß wohl von Frankreich hat übertölpeln lassen, hat es gegen Peincares Vernichtungspolitik gegenüber Deutschland interveniert.
Auch das Verhältnis zwischen Deutschland und England ist ein gänzlich ~nderes als dasjenige von Frankreich und Deutschland. Frege präzisiert dies so am 15. 3. 1924:
,.Deutschland und England standen vor dem Kriege im Wettbewerb miteinander hinsichdich mancher "Erzeugnisse des Gewerbefleißes. Die_ser sich immer verstärkende Wettbewerb mag ei-
DEZEMBER 1989 Abb.: Dr. Fritz weber, Richter & Freikorpsführer
ner der Gründe für Englands Eineritt in den Weltkrieg gewesen sein; denn auf Dauer wurde auch Englands Seemacht dadurch in Frage gestellt."
Nun war ein Wettbewerb hinsichdich gewerblicher Waren für die anderen Völker sehr nützlich. Da Deutschland aber nie England angegriffen hätte und das Ausscheiden eines Bewerbers die Aufgabe des gewerblichen Wettbewerbs bedeutet hätte, wäre es für Italien, Rußland, Norwegen, und andere besser gewesen, sie hätten sich auf die deutsche Seite geschlagen. Aber:
"Ihre Eroberungslust bestimmte sie, auf die Gegenseite zu treten ( ... )"
Dies war es aber nicht allein. Die Norweger
,.scheinen mit ihrem Gemüte auf englischer Seite gewesen zu sein. Dazu mag wohl viel die Kunst der Engländer beigetragen haben, die öffentliche Meinung der Welt zu beeintlussen. Der einzelne Engländer versteht es. mit solchem Schein von Unfehlbarkeit, besonders in wirtschaftlichen und politischen Fragen. seine Meinung auszusprechen, und fast alle Engländer ziehen dabei an demselben Strange und man ist es gewohnt, der Engländer U rceil in allen Handelsund Seeiahrcsangelegenheiten als maßgebend anzuerkennen, daß schwer dagegen anzukommen ist. Ich habe bemerkt, daß auch Deutsche, die sich in der Welt umgesehen haben. Ureeile aussprechen, die sie offenbar von Engländern gehört haben und deren Verbreitung für England nützlich ist. Man vergißt dabei. daß das Ureeil über einen Wettbewerber selten ganz ungefärbt ist ...
Und bei dieser Eintragung kann ich mich nicht des Gefühls enthalten. daß dies wohl die verärgerte Antwort a~f Sir Russels Entdeckung des Widerspruchs im Fregeschen System der Logik ist. Er sagt nämlich nicht, daß die Engländer etwa Unsinn reden, sondern ihn ärgert einfach, daß ihre Urteile als maßgebend angesehen werden, selbst von Deutschen, obwohl ein Urteil von Engländern über Deutsche selten ganz ungefärbt sei. Aber, und das klingt auch aus seinem Schweigen heraus, die Deutschen haben dieser maßgebenden Meinung nichts entgegengesetzt oder entgegenzusetzen.
Der Krieg gegen Frankreich erscheint Frege unvermeidlich, während man mit England in Frieden leben, aber den von ihm eingeschleppten Parlamentarismus als undeutsch bekämpfen kann und muß.
Das "Zentrum" der inneren Zerstörung Deutschlands
"Bismarck hat drei Parteien reichsfeindlich genannt: das Zentrum, die (liberale, EMT) Forcschrictsparcei und die Sozialdemokratie. Es sind dieselben Parteien, die später den Zusammenbruch des Reiches und die Revolution bewirkt haben. Als die gefährlichste dieser Parteien sah er das Zentrum an. Dieses hat die anderen beiden benutzt, um das Kaiserreich zu stürzen im Vertrauen darauf, daß seine eigene Stellung viel fester begründet sei, als die der Sozialdemokratie und der Forcschrictsparcei, die in unserer demo-
n
kratischen Partei (Deutsche Demokratische Partei, EMT) fortlebt. Die Zentrumspartei ist die Krankheit, an der Deutschland dauernd leidet; die anderen reichsfeindlichen Parteien, die jetzt und vielleicht später sich bilden werden ,sind im Grunde doch nur gefährlich durch den Beistand, den die Zentrumspartei ihnen gewährt." (12. 4.)
Und am 26. 5. 1924lautet der Eintrag: ,.Ich habe zwar den Ultramontanismus und.
seine Verkörperung im Zentrum für sehr schädlich für unser Reich und Volk gehalten und doch haben mich die Enthüllungen von Exz. Ludendorff in seinem Aufsatze im Aprilheft von Deutschlands Erneuerung'l einen Blick tun lassen in die Bestrebungen und Machenschaften des Ultramontanismus, der mich aufs tiefste beunruhigt hat. Ich bitte jeden, der an den durch und durch undeutschen Geist des Zentrums nicht glaubt. den angegebenen Aufsatz von Exz. Ludendorff nicht nur einmal, sondern wiederholt gründlich durchzulesen und zu durchdenken. Das ist der ärgste Feind, der Bismarcks Reichs unterwühlt hat.(.) In dieser Rede, die Bismarck nach seiner Entlassung auf dem Markte in Jena hielt. bezeichnete er, wenn ich mich recht erinnere, das Zentrum als den Hauptgegner seines Werkes, nicht der Sozialdemokratie. ( ... ) Sie werden immer nach dem Papst blicken, um von diesem ihre Weisungen u erhalten."
Während es ja für die nichtjüdischen Sozialdemokraten noch einen Ausweg gibt:
ftln der Tat. die Sozialdemokraten können sich aus dem Parteiterror befreien und schließen sich in Massen der Deutschvölkischen Freiheitspartei an und lernen sich dadurch als Deutsche fühlen. die ein deutsches Vaterland haben. Von den Ultramontanen ist eine solche Wandlung nicht zu erwarten ...
Auch arn 10. 4. meinte er: ..Ein Sozialdemokrat kann ein vaterlandslie
bender deutsch gesinnter Mann werden, ein Demokrat desgleichen. Aber kann es ein Zentrums-mann!"
Wohl kaum. Ich hätte derartige Auswege eigendich nicht erwartet, aber Frege denkt bei den Mitgliedern der Sozialdemokraten bestimmt an die durch ,.glänzende" ,. Wolkenkuckuksheime" verführten braven deutschen Arbeiter, die ja irgendwann einmal Fregesche Erkenntnisse gewinnen könnten.
Der starke Mann darf Demagoge sein, wenn
es dem Volke nützt
.. Für die Politik des Augenblicks bedürfen wir eines Mannes, der nicht nur die Gegenwart sieht, sondern dem ein Plan vorschwebt, wie er Deutschland vom französischen Drucke befreien kann. Der muß das allgemeine Vertrauen genießen. Aber wo ist ein solcher Mann? Ich habe auf Ludendorff gehofft, daß er es werden könne. Ich hoffe es kaum noch. Ich habe auf Hindeoburg gehofft; aber der ist vielleicht zu alt. Es gehört wohl jugendliche Frische dazu, um die Leute fortzureißen."
So sinniert Frege am 10. 4., und setzt die Gedanken arn 4. 5. fort:
"Heute ist Wahltag. Von dem Ausfall dieser Wahl wird viel abhängen. Ludendorff Führer der Deutschvölkischen Freiheitspartei. Als Poli-
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tiker hat er mich enttäuscht, obgleich ich mit seinem politischen Ansi~:hten, die er im Aprilheft von Deutschlands Erneuerungl.Z emwickelt hat, ganz übereinstimme; aber er kann nicht warten. Warum mußte er sich in den Hiclerputsch einlassen? Warum mußte er sich jetzt in das Parteigetriebe verwickeln lassen? Er nutzt sich so zu früh ab. Auf Hindenburg und den Kronprinzen setze ich jetzt wegen ihrer Zurückhaltungmehr Hoffnung."
Und da sollte er für die nahe Zukunft recht behalten. Der wahre Staatsmann muß verderblichen Strömungen im Volke kraftvoll widerstehen können.
., Vielleicht wird er demagogische Mittel dabei nicht ganz vermeiden können, aber es ist ein U ncerschied, ob sie zur eigenen Bereicherung oder dem Wohl des Volkes dienen sollen. Je demokratischer ein Staat eingerichtet ist, desto schwerer ist es für den Staatsmann. ohne Mittel auszukommen, die nur die reinste Vaterlandsliebe rechtiereigen kann",
schreibt er am 28. '4. 1924. Und Vaterlandsliebe ist etwas ganz besonders. Ein Mangel an Vaterlandsliebe bedeutet für Frege einen Mangel an politischer Einsicht.
.,Manchmal wirken auch wohl Vaterlandsliebe und Ehrgeiz zusammen. In Republiken wird oft der Ehrgeiz, die unedlere Wurzel politischer Einsicht, den Leiter des Staates an die höchste Stelle befördert haben. Dadurch mag Gewähr für ein gewisses Maß von politischer Einsicht gegeben sein." (3. 5.)
Bei der wahren Vaterlandsliebe spricht das Gemüt:
"Das Gemüt allein ist beteiligt, nicht der Verstand, und das Gemüt spricht. ohne vorher den Verstand zu rate gezogen zu haben. Und doch scheint zuweilen eine solche Gemütsbeteilig-. .mg zu einem richtigen. verstandesmäßigen Urteilen in staatlichen Fragen eriorder!ich zu sein." (2. 5.)
Freges gemütvolle Vaterlandsliebe ist in se;nen ehrgeizigen Urteilen in politisch~r Hinsicht übergeschäumt.
Deutschlands Erneuerung . Dreimal bezieht sich Frege explizit auf
das Aprilheft des Jahrgangs 1924 dervöl-
kisch-alldeucschen Zeitschrift "Deutschlands Erneuerung".
"Ich habe den Aufsatz ,Oberland' von Dr. Weber in Deutschlands Erneuerung aelesen. Die sich darin aussprechende Gesinn~ng hat meinen vollen Beifall. In den Ansichten und Urteilen weiche ich z. T. von ihm ab. Dem letzten Satze des zweiten Absatzes stimme ich bei." (23. 4.)
,.Als Politiker hat er (Ludendorff, EMT) mich enttäuscht, obgleich ich mit seinen politischen Ansichten, die er im Aprilheft von Deutschlands Erneuerungen entwickele hat, ganz übereinstimme;" (4. 5.)
..Adolf Hider schreibt mit Recht im Aprilheft von Deutschlands Erneuerung, daß Deutschland nach dem W ~::ggange Bismarcks ein klares politisches Ziel nicht mehr hatte." (5. 5.)
Wie kor:tmt es, daß sich Frege :msgerechnet aut diese drei Artikel in einer Publikation bezieht, die auch als Sprachrohr der immer noch verbotenen NSDAP fungierte? Ein Herausgeber dieser Zeitschrift war neben Houston St. Chamberlain, Max Wundt und anderen der Berliner Professor Dr. Dietrich Schafer, mit dem Frege korrespondierte, und mit dem er auch andere politische Schriften - die allerdings bis heute verschollen sind -austauschte. In "Deutschlands Erneuerung" veröffentlichte auch Rudolf Heß seine ersten Gedichte. Das Aprilheft aus dem Jahre 1924 ist eine Propagandanummer für die anstehenden Reichstagswahlen. Sie enthält die geschönten Hauptteile der Verteidigungsreden der Hider-Putschisten vor dem bayerischen Volksgericht, dessen Vorsitzender offen mit dem . NS sympathisierte. Dr. Weber war ein Führer des berüchtigten Freikorps ,.Oberland", das zur Niederschlagung der Räterepublik in München, zur Niederschlagung kommunistischer Aufstände im Ruhrgebiet 1920 und 1921 und zur Eroberung und Besetzung Oberschlesiens ,.eingesetzt" war. Ludendorffs Rede vom 29. 2. 1924 war ein Zeugnis paranoider V erwirrtheit. Er erfand eine Verschwörung von Katholiken und Juden, Bayern und Österreichem, die das Reich in separate Teilstaaten (wie es tatsächlich der rheini3ehe Katholik und Kölner Oberbürgermeister Dr. Konrad Adenauer anstrebte) zerschlagen wollten. Er pflegt die "Munitionsstreiks"-Legende, ein Streik - von Sozialdemokraten initiiert - der Deutschland die Niederlage brachte. Diese "marxistische" Gedanke~ weit hängt für ihn eng mit dem jüdischen Volk zusammen:
.,Für mich ist dieJudenfrage eine Rassenfrage, die jüdische Rasse ist der unsrigen entgegengesetzt, sie verdirbt die unsrige physisch, blutmäßig und moralisch. Die Juden sind Fremdkörper im deutschen Volke ... Zum Ende heißt es: "Er (Hider, EMT) verstand es, der völkischen Bewegung den Inhalt zu geben~ daß das Volk es instinktiv begriff: Hier ist etwas Sittlich-Hohes, vom dem Rettung kommen kann. ( ... ) Diese Bewegung war politisch großdeutsch, ( ... ).Sie war scharf national und wehrhaft, zudem rassisch eingestellt, daher judenfeindlich ...
FORVM
Und Adolf Hit! er kehrt Ansichten hervor, die im gleic.:hen Jahr im Manuskript seines Buc.:hes ,.Mein Kampf" erscheinen.
Wenngleich Frege von einigen Ansichten und Urteilen zum Teil abweicht, so stimmt er mir der dort vorhandenen und ausgesprochenen Gesinnung eindeutig überein. Frege sieht, daH eine bloge Restauration des alten, kranken, mit Krebsgeschwüren überwucherten und im Inneren zerfressenen monarchistischen Reiches nicht mehr möglich ist. In den polirischen Ansichten und Visionen der Hiderpurschisren sieht er einen Weg zu Deutschlands Erneuerung. Dennoch ist Freges Ansicht, obwohl sie nicht mehr weit vom NS wegstehend erscheint, keinesfalls deckungsgleich mit ihr: wenn man der NS- Bewegung zu diesem Zeitpunkt überhaupt eine einigermagen gemeinsame Theorie unterstellen möchte.
Frege war kein Parteigänger des NS. Wer F reges Tagebuch liest, wird kein "konservativer Revolmionär". Frege hat sich selbst nicht über seine politischen Ansichten gegenüber seinen Schülern geäugen. Selbst W'ittgenstein hat sich in einer Erinnerung gegenüber Peter Geach beschwert, daß Frege sich nur über Logik unterhalten wollte, und alle Versuche. auf ein anderes Thema zu gelangen. abwinkte. Dies geschah allerdings vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, und bis dahin hatte Frege so unterschiedliche Philosophen wie Gershorn Scholem. Marcin Heidegger, Ludwig Wirtgenstein und Rudolf Carnap beeint1ußt; den einen mehr, den anderen weniger.
-Vergebliche Entlastungsstrategien
Eine Entlastungsstrategie ist es, Frege in zwei Personen zu teilen, und den mathematischen Denker für bedeutsam zu halten, egal wie alt, krank oder senil er angeblich ist; den politischen Denker dagegen zu verschweigen, weil er sich nicht auf ,.fortschrittlich" trimmen läßt. und dies mit seiner Senilität, Krankheit oder Alter zu entschuldigen. Dann aber müßte begründet werden, warum Freges Alter, Senilität oder Magenleiden (vielleicht Magenkrebs ?) zu Anti-Semitismus, Franzosenhaß oder Anti-Parlamentarismus führte. Das wird nicht gelingen können.
Eine andere Entlastungsstrategie lebt von der Behauptung, daß man mit Freges Tagebuch-Eintragungen auch zu einer anderen Theorie seiner Ansichten kommen kann. Alles bisherigen anderslautenden Theorien oder Zusammenstellungen, seien sie von Heinz-Albert Veraare oder Michael Dummett, kann ich widerlegen. Sie sind aufgerufen, sich zum Beispiel Beatrice Webb's Methode des "lictleslips-of-paper-piled-:topically-and- · write-it-up" zu bequemen. Ich habe ver-
suc:-n. fre:.;es T <1:.;eow.::1emtri~e cn ::me Form ZU bnngen. die Fre~es rr{tennonen und BeweggrünJen se:-e.~ht Wird. J. h. ich habe die Toooi mci-1 T extmt:nge '-lmi Abiaui Jer Einr~:1gun~e:1 -;u zu :=mer ~osition ~eordnc~. cJie Frege damals <lrgumentativ vertreten konnre und dies tm Tagebuch auch ;:;t:macht hat. Freges Tagebuch läßt sich J.lso keinesfalls so ordnen. wie dies [mre Tothin der Emwicklungslinie eines Fregeschen Rassismus gemacht hat. der alles erklären solL und mit seinen logischen Einsichten par;:llldisiert wird. Es sei denn, man will Fre"e böswillig Gewalt antun. Dabei sollte ~r nicht außer Acht lassen, da!~ Frege zu seiner politischen Position ast gekommen ist. als er sich bereits von seiner Position des Logizismus getrennt hatte.
Eine triviale Konsequenz, die wir oft vergessen
Freges politis~.:he Ansicht war in dem damaligen Erfahrungsr::mm und Gedankenhorizont t:ine realistische. Und Jas zeitigt nur eine Konsequenz: Glaube und vertraue einer Koryphäe hüc.:hstens in Urteilen seines eigenen Fac.:hgebiets. Glaube und vertraue ihm augerhalb seines Fachgebiets nur soviel. wie du jedem anderen interessierten Laien glaubst. wenn ·er schwadroniert. Noch einmal: Logik sc.:hützte nic.:ht vor dem NS. Eine Erfahrung, die den (isterrcic.:hischen Emi-
Eckart Menzlcr-Trott, Frege
~ramen K.1.r: i?uDDt:"'" : 4 ..t.5 zum Schreiben ~eme~; Bucnes 6~~c:1te: Die •)tfe:1e Gesellsenart una ihre ~e:nae.
De:- ~ru:maii~e Lioe:-aie ~re:.:e. der noch l9C~ .• pariamem.1nscne una titerarische :Vlittel" mcht ranJ. um semen Gegner J. Thomac von seiner Logik zu überzeugen. weil der wut~te. dag Logik niemand zu irgendetwas ~wingen kann, und frech Unsinn verzapfte - also Frege davon überzeugte, daß man ohne Rüc.:ksicht auf Gründe und wissenschaftliche Standards jede Argumentation übergehen und totschweigen kann -, dieser Frege wurde im hohen Alter ein .. konservativer Revolutionär''. Er wurde ein Feind der offenen Gesellschaft. wie es Popper jetzt selbst geworden ist.
\Y! er aber etwa Thom,lS M,znn 's Genugtuung von 1919 kennt, endlich die standrechdic.:he Erschießung der für die Münchner Rätereoublik verantwortlichen jüdischen Ch.arisma.lker" eriebt zu haben - er schrieb gerade seinen .. Zauberberg" - oder die 1921 erschienen Morddrohungen des bayerischen Schriftstellers und ehemaligen Liberalen Ludwig Thoma gegen Kurt Tucholskv und Karl Kraus nachliest - gerade hatt'e er die Ermordung Kurt Eisners gekennzeichnet mit .,Als der Kar! in der Promenadenstraße ausrutschte" -, wird Frege schon deshalb mild beurteilen, weil der die Mordlust der Moralisten Mann oder Thoma nie geteilt hat. 0
DEZEMBER 1989 JVSTIZ· ET HVMAN RIGHT-f-ORVM - LOGEVM 79