metakognition im unterricht - pymagix.compymagix.com/dokumente/metakognition im lernprozess.pdf ·...
TRANSCRIPT
PrimarlehrerInnenseminardes Kanton Zürichs
Metakognition im LernprozessBedeutung und Umsetzung
im Primarschulunterricht
Hausarbeit 1Psychologie/Pädagogik
Autor:lic. phil.I
Pierre-Yves Martin(Gruppe 3)
Examinator:lic. phil.I
Ivo Grossrieder
Dezember 1999
AbteilungOerlikon
© PY.Martin 1999 1
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag zur Frage: "Wie werden meine SchülerInnen zuselbstständigen und effizienten LernerInnen?". Konkret geht es dabei um den Teilbereich"Metakognition". Zentraler Inhalt der Metakognition ist das "bewusste Nachdenken über dasDenken" oder im didaktischen Rahmen das "bewusste Denken über das Lernen". Die vorlie-gende Arbeit befasst sich mit der Frage, was Metakognition genau ist, welchen Platz sie ineinem effizienten Lernprozess einnimmt und wie sie in den Köpfen der Schüler verankert wer-den kann.Es wird dabei eine breiten Definition von "Metakognition" verwendet, die dieses Wort alsSammelbegriff für folgende Teilaktivitäten sieht: (1) Bewusstes Nachdenken über das Vorwis-sen zu einem bestimmten Thema, (2) aufnehmen, reflektieren und anwenden von Wissenüber das Lernen und von Lernstrategien, (3) Selbstüberwachung und -kontrolle des Lernpro-zesses (Selbstreflexion).Metakognition in diesem Sinne wird als wichtiger Bestand des selbstständigen Lernens identi-fiziert. Die Arbeit postuliert weiter, dass Selbstreflexion (die das klassische metakognitiveThema schlechthin ist), die eigentliche Voraussetzung für ein selbstständiges Weiterentwik-keln der Lernfähigkeit ist.Ein wichtiger Teil der Arbeit ist der Analyse und Entwicklung von praktischen Einsatzmöglich-keiten für die Schule gewidmet. Es wird davon ausgegangen, dass ein Grundstock an Lern-wissen und Lernstrategien durch den Lehrer vermittelt werden sollte. Die Arbeit versucht indiesem Zusammenhang konkrete Vorschläge bezüglich der zentralen Inhalte zu machen. DerGrundgedanke dabei ist, dass der Schüler eine Idee davon haben sollte, wie das Lernen funk-tioniert (biologische Grundlagen, Voraussetzungen, Einflussfaktoren usw.) und die wichtigstenStrategien zur sinnvollen Steuerung eines Lernprozesses kennen sollte (z.B. zielorientiertePlanung). Die vorliegende Arbeit macht dann Vorschläge, wie die Schüler dazu gebracht wer-den können, dass sie aufbauend auf diesem Wissen ihren Lernprozess kontrollieren, steuernund selbstständig weiterentwickeln. Zentrale Elemente sind hier einerseits verschiedene For-men des Verbalisierens (wie Klassengespräche oder "Lernkonferenzen"), andererseits ein aufder Vorlage von Guldimanns (1996) Vorschlägen entwickeltes "Monitoringblatt", dass als In-strument zur Einübung metakognitiver Techniken verwendet werden kann.
© PY.Martin 1999 2
1. Einleitung.............................................................................................3
2. Fragestellungen ..................................................................................3
3. Effizientes, selbstständiges Lernen..................................................43.1. Einleitung .................................................................................................................... 43.2. Lernkompetenz........................................................................................................... 43.3. Die Einflussfaktoren des effizienten Lernens.......................................................... 5
4. Metakognition......................................................................................84.1. Definition und Abgrenzung der Teilbereiche........................................................... 84.2. Die Funktion der Metakognition................................................................................ 94.3. Die Funktionsweise und Voraussetzungen ........................................................... 11
5. Umsetzung der Erkenntnisse im Unterricht ...................................135.1. Grundsätzliche Überlegungen ................................................................................ 135.2. Metakognitiv orientierte Arbeitsorganisation........................................................ 135.3. Lernwissen aufbauen............................................................................................... 14
5.3.1. Bemerkung ..................................................................................................... 145.3.2. Überblick über mögliche Inhalte ..................................................................... 14
5.4. Lernstrategien und -techniken kennen- und benutzen lernen............................. 155.4.1. Planungsstrategien und -techniken ................................................................ 165.4.2. Arbeitsplatz- und Abeitszeitgestaltung............................................................ 165.4.3. Vernetzungs- und Merkstrategien................................................................... 165.4.4. Motivationstechniken ...................................................................................... 175.4.5. Allgem. Problemlösungsstrategien kennen .................................................... 175.4.6. Didaktische Überlegungen zur Strategievermittlung....................................... 18
5.5. Selbstreflexive Fertigkeiten trainieren ................................................................... 195.5.1. Probleme der Selbstreflexion.......................................................................... 195.5.2. Voraussetzungen schaffen ............................................................................. 205.5.3. Eine Gesprächskultur pflegen......................................................................... 20
5.6. Selbstreflexive Techniken und Instrumente .......................................................... 215.6.1. Die Lernkonferenz (Conferencing).................................................................. 215.6.2. Die Lernpartnerschaft (Peer-Coaching).......................................................... 215.6.3. Das Monitoringblatt ......................................................................................... 225.6.4. Der Arbeitsrückblick (Evaluation).................................................................... 27
6. Ergänzende organisatorische Bemerkungen.................................28
7. Schlusswort.......................................................................................28
8. Literaturverzeichnis und Anhang ...................................................29
© PY.Martin 1999 3
1. Einleitung
Die technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen unserer Zeit verlangen zuneh-mend nach flexiblen und vor allen lernfähigen Menschen. Entsprechend wird die Schule mitder Forderung konfrontiert, nicht nur Sachwissen zu vermitteln und zu erziehen, sondern demSchülern zu einer eigentlicher Lernkompetenz zu verhelfen. Während diese Aufgabe im zür-cherischen Lehrplan noch relativ bescheiden in einigen Sätzen explizit erwähnt wird, ist sieseit dem Beginn der Ära Buschor zum Bildungsauftrag Nr.1 erhoben worden. Das „Haus desLernens“, wie unser Bildungsdirektor die Schule der Zukunft gerne bezeichnet, soll unsereKinder zu selbstständigen, flexiblen und interessierten Lernexperten reifen lassen. Diese„Schlüsselqualifikation“ wird es den Erwachsenen von morgen ermöglichen, die kommendenAufgaben der Gesellschaft (und in einem übergeordneten Rahmen der Menschheit) zu bewäl-tigen und dem stetigen Wandel sinnvoll zu begegnen.Diese Überlegungen sind natürlich nicht nur das Anliegen der Zürcher Bildungsdirektion, son-dern werden in der ganzen westlichen Welt, v.a. unter dem Impuls der Wirtschaft, mehr oderweniger vehement gefordert.
Dass die meisten Lehrer grundsätzlich mit diesen Überlegungen einverstanden sind, stehttrotz gewisser Widerstände ausser Frage. Die Widerstände sind zum Teil dadurch zu erklären,dass der Weg von der Idee zur konkreten Umsetzung für Viele unklar ist: Was heisst „Lernenlernen“ genau? Und wie bringe ich als Lehrer meine Schüler dazu, eine solche Lernkompetenzzu entwickeln?
Die vorliegende Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, einen Teil dieser Fragen zu beantworten.Insbesondere möchte ich mich auf einen Teilbereich konzentrieren, der unter dem Etikett„Metakognition“ oder „Selbstreflexion“ in Expertenkreisen rege diskutiert wird, aber noch kaumin das Bewusstsein der Lehrer vorgedrungen ist.
2. Fragestellungen
Dabei werde ich mich an folgenden Fragen orientieren, die um zwei Schwerpunkten gegliedertsind:
1. Theoretische Analyse
1.1 Welche Rolle spielen Metakognition und Reflexion im Lernprozess?
2. Umsetzung der Erkenntnisse
2.1. Mit welchen Methoden und Instrumenten können die Erkenntnisse auf diesem Gebietim Unterricht umgesetzt werden?
2.2. Was sind die Vor- und Nachteile der verschiedenen Methoden und Instrumente?
© PY.Martin 1999 4
2.3 Wie können diese Erkenntnisse und Instrumente im Unterricht eingeführt und imLernverhalten der Schüler verankert werden?
Zur Beantwortung dieser Fragen werde ich mich einerseits auf ausgewählte Literatur stützen(siehe Literaturverzeichnis). Andererseits sollen aber im Sinne des Themas auch eigene Lern-und Lehrerfahrungen reflektiert werden.
3. Effizientes, selbstständiges Lernen
3.1. Einleitung
Bevor ich mich mit den Begriffen „Metakognition und Reflexion“ befasse, werde ich versuchen,das Thema in einen übergeordneten Zusammenhang zu stellen.
3.2. Lernkompetenz
Wenn von "Aufbau von Lernkompetenz" die Rede ist, stellt sich zuerst einmal die Frage, wasmit diesem Begriff genau gemeint ist und welche Ziel damit verbunden sind.Der Überlegungen der Zürcher Bildungsdirektion folgend möchte ich "Lernkompetenz" wiefolgt definieren:
"Lernkompetenz meint die Fertigkeit, effizient und selbstständig neues Wissen zuerwerben und für konkrete Problemlösungs- und Handlungssequenzen nutzbar zumachen"
Wenn hier von "Effizienz" die Rede ist, meine ich damit in Anlehnung an Encarta (MicrosoftEnzyklopädie, 99)
"Den möglichst rationellen Einsatz von Ressourcen zur Erreichung eines maximalenErgebnisses"
An einem Beispiel aus dem Bereich des Lernens illustriert heisst das: Wenn zwei Schüler diegleiche Lernaufgabe bekommen und für das Lernen gleich viel Zeit zur Verfügung haben undder eine in der anschliessenden Prüfung besser abschneidet als der andere, war der erste inseinem Lernen effizienter als der zweite (unter Ausklammerung situativer Prüfungsfaktoren,wie z.B. Stress).
Die zentrale Frage ist nun, welche Faktoren dafür verantwortlich sind, dass gewisse Leuteeffizienter lernen als andere. Kennt man diese Faktoren, kann man versuchen, gezielt aufdiejenigen einzuwirken, die veränderbar sind. Gelingt dies, so wird eine grössere Lerneffizienzerreicht. Dabei sollte man die zweite Prämisse der Lernkompetenz nicht vergessen, nämlichdass diese Fertigkeit schlussendlich selbstständig nutzbar sein sollte.
© PY.Martin 1999 5
3.3. Die Einflussfaktoren des effizienten Lernens
Die Effizienz des Lernens, wie auch der Lernprozess allgemein, wird von einer Reihe vonFaktoren beeinflusst. Die Klassifikation dieser Faktoren kann auf verschiedene Arten erfolgen.Für die vorliegende Arbeit habe ich die Unterteilung in interne/personale und externe Faktorengewählt, wobei auch eine Gliederung in emotionale/motivationale, kognitive, soziale und "phy-sikalische" Faktoren denkbar gewesen wäre1.Die Teilfaktoren, die meiner Meinung nach in puncto Lerneffizienz im Vordergrund stehen,wurden im nachfolgenden Schema zusammengefasst (siehe Abbildung 1, nächste Seite).Obwohl es nicht das Ziel dieser Arbeit ist, detailliert auf alle Punkte einzugehen, lohnt es sichzum Zwecke eines guten Gesamtüberblicks, kurz auf die einzeln Faktoren einzugehen.
Die wichtigsten externen Faktoren, die die Lerneffizienz beeinflussen, sind:
1. LernumgebungDie Beschaffenheit des Arbeitsplatzes und der Räume beeinflussen die Lernleistung nichtunwesentlich. Zahlreiche Versuche zeigen z.B., dass die kognitive Leistung und Ausdauerin einer lärmigen, unruhigen Umgebung herabgesetzt wird.
2. Art der AufgabeUm ein effizientes Lernen zu ermöglichen, sollte der Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe sogewählt werden, dass der Lernende weder über- noch unterfordert ist. Ausserdem sollte siefür den Lernenden ein gewisses Interesse haben.
3. Didaktischer RahmenDie Art der didaktischen Darbietung wird oft als der entscheidendste Faktor für ein effizien-tes Lernen betrachtet und zählt deshalb zu den klassische Aufgaben der Lehrer2. Entspre-chend besteht ein Grossteil der Lehrerausbildung darin, den angehenden Lehrkräften mög-lichst effiziente didaktische Methoden zu vermitteln.
4. Beziehung Lernender-LehrerBesonders Kinder lernen oft gerne, weil sie den Lehrer oder die Lehrerin mögen. Aber auchErwachsene lernen besser (oder machen eher Überstunden) wenn sie ihre Vorgesetztenmögen.
5. Soziales UmfeldWächst eine Kind in einer Umgebung auf, in der das Lernen gross geschrieben und ent-sprechend vorgelebt und unterstützt wird, wird es eher gute Lernleistungen zeigen als einKind, das in einem uninteressierten oder gar ablehnenden Umfeld aufwächst.
1 Beide Klassifikation lassen sich mehr oder weniger zusammenführen. Emotional/motivationale und
kognitive Faktoren können tendenziell als intern angesehen werden. Soziale Faktoren werden übli-cherweise als externe Faktoren bezeichnet. Problematisch wird es bei den physikalischen Faktoren,die sowohl interne Phänomene abdecken (z.B. die verschiedenen "Fähigkeiten", wie etwa die "gene-relle" Intelligenz) als auch externe Faktoren wie etwa die Art der Aufgabe.
2 Im Folgenden wird aus praktischen Gründen die männliche Formen verwendet. Gemeint sind aberjeweils beide Geschlechter.
Abb
. 1:
Sch
ema
der E
influ
ssfa
ktor
en d
es e
ffizi
ente
n Le
rnen
s©
PY
. Mar
tin 9
9
Inte
rne,
per
sona
le F
akto
ren
Exte
rne
Fakt
oren
Effiz
ienz
des
Lern
ens
1. F
ähig
keite
n-
Kogn
itive
F.
(IQ, G
edäc
htni
s, K
onze
ntra
tions
f.)-
Emot
iona
le F
.-
Phys
isch
e F.
-
Sozi
ale
F.
3. S
elbs
tbild
-Se
lbst
konz
ept
-Se
lbst
wirk
sam
keits
erw
artu
ngen
-At
tribu
tions
stil
2.M
otiv
atio
n un
d Ei
nste
llung
- A
ntrie
b/B
edür
fnis
se-
Eins
tellu
n g z
um L
erno
bj.
4. V
orw
isse
n-
Bere
ichs
spez
ifisc
hes
Wis
sen
-W
isse
n um
das
eig
ene
Vor
wis
sen
-Al
lg. l
erns
pezi
fisch
es W
isse
n-
Spez
ifisc
he L
erns
trate
gien
und
-tec
hnik
en-
Allg
. Pro
blem
lösu
ngst
rate
gien
6. S
elbs
tref
lexi
ve F
ertig
keite
n
5. E
rfah
rung
-Pr
ozed
ural
es T
rans
ferw
isse
n-
Um
setz
ungs
wis
sens
2.A
rt d
er A
ufga
be- S
chw
ierig
keits
grad
- Anr
eiz
(Inte
ress
anth
eits
grad
)- Z
iel
1.Le
rnum
gebu
ng- L
ärm
, Tem
p.- A
rt de
s A
rbei
tspl
atze
s- M
ater
ial
3.D
idak
tisch
er R
ahm
en-
Did
akt.
Qua
lität
der
Ein
führ
ung
-U
nter
stüt
zung
wäh
rend
der
Lös
ung
der A
ufga
be
5. S
ozia
les
Um
feld
- Unt
erst
ützu
ng d
urch
die
Elte
rn- L
erne
inst
ellu
ng d
er K
lass
e / p
eer g
roup
4.B
ezie
hung
Ler
nend
er-L
ehre
r
6
© PY.Martin 1999 7
Auf der anderen Seite stehen die internen oder personalen Einflussfaktoren, die im lernen-den Menschen selbst liegen. Dazu zähle ich gemäss Abbildung 1:
1. FähigkeitenDiese Fähigkeiten, von denen der IQ die bekannteste ist, bezeichnen die mehr oder weni-ger stabilen Grundvoraussetzungen eines Menschen. Obwohl sie einen relativ grossenAnteil der individuellen Unterschiede in puncto Lerneffizienz erklären, sollen sie hier nichtweiter thematisiert werden, da sie wegen ihrer Änderungsresistenz didaktisch nur bedingtinteressant sind.
2. Motivation und EinstellungDie Motivation oder der Antrieb zu lernen, sowie die generelle Einstellung zur Sache, be-einflussen nicht nur die Intensität, sondern auch die Ausdauer, mit der man sich dem Ler-nen widmet. Die Motivation hängt wesentlich von den Bedürfnissen des Menschen ab.
3. SelbstbildDie Sicht, die man von sich selber hat, beeinflusst einerseits die Art des Herangehen an ei-ne Arbeit. Ist man überzeugt, die Sache verstehen und Problem bewältigen zu können, wirdman mit einer hohen Motivation und Ausdauer ans Werk gehen. Andererseits wird manwährend des Prozesses eine viel stärkere Ausdauer an den Tag legen und sich selbst ge-zielter verstärken können als bei einem negativen Selbstbild.
4. VorwissenSpricht man vom Einfluss des Vorwissen im Lernprozess, muss man unterscheiden zwi-schen Bereichswissen (auch "deklaratives" Wissen genannt) und Strategiewissen ("proze-dural"). Das Vorwissen im Bereich der Lernaufgabe ist deshalb wichtig, weil es gewisseAnknüpfungspunkte ("Ankerpunkte“) für das neue Wissen bietet und so dem Lernendenhilft, die neue Information sinnvoll zu organisieren und zu integrieren. Auf die Bedeutungvon lernspezifischem Wissen und Strategiewissen wird im folgenden Kapitel ausführlicheingegangen.
5. ErfahrungUnter "Erfahrung" verstehe ist eine besondere Form des Vorwissens. Zum Einen ist Erfah-rung eine Art Fertigkeit, die es mir erlaubt, vorhandenes prozedurales Wissen auf neueLernsituationen zu übertragen (prozedurales Transferwissen). Zum Anderen ist sie aberauch die Fertigkeit zur Umsetzung von Wissen in konkrete Handlungen (Umsetzungswis-sen). Wenn man etwas ähnliches schon mehrmals gemacht hat, wird man "aus Erfahrung"eine neue Abfolge von Handlungen oder Gedankenschritten wesentlich schneller aufneh-men und umsetzen können. Ein guter Turner wird z.B. viel schneller Schwimmen lernen alsein Nichtsportler, obwohl die Bewegungen für beide neu sind, weil er seinen Körper genau-er steuern kann (man sagt, er habe mehr "Körpererfahrung").
© PY.Martin 1999 8
6. Reflexive FertigkeitenReflexive Fertigkeiten werden in Expertenkreisen immer häufiger als gewichtige Determi-nante des effizienten und vor allem des selbständigen Lernens diskutiert. Was genau dar-unter verstanden wird und welche Rolle diese Faktoren spielen, wird gemäss der ursprüng-lichen Fragestellung in den folgende Kapiteln untersucht.
Diesem Überblick sei noch beigefügt, dass sich viele Faktoren wechselseitig beeinflussen.Diese komplexen Wechselwirkungen werden in einem rein deskriptiven Schema nicht model-liert.Weiter sollten wir nicht vergessen, dass es neben den Unterschieden in Sachen Lerneffizienz,um die es hier geht, auch allgemeine Lerngesetze gibt, die für alle gültig sind und die hier nichtbehandelt werden. So wird hier zum Beispiel der Faktor Zeit ausgeklammert. Tatsächlich lässtsich ein Grossteil der real vorkommenden interpersonalen Unterschiede in puncto Wissenoder Fertigkeiten auf eine unterschiedlich lange Lern- oder Übungszeit zurückführen. Faktischhaben Experten oder Könner auf einem Gebiet nicht nur optimaler gelernt als die Anderen,sondern schlicht und einfach auch viel mehr Zeit in die Sache investiert. Aus der Sicht einesLehrers ist diese Tatsache aber deshalb weniger entscheidend, weil die zur Verfügung ste-hende Lernzeit in der Schule mehr oder weniger fix ist. Aus dieser Zeit gilt es das Beste zumachen.
4. Metakognition
4.1. Definition und Abgrenzung der Teilbereiche
Der Begriff "Metakognition" ist in der Fachliteratur relativ neu. Das erklärt zum Teil, warum dieFachleute sich nach wie vor nicht einig sind, wie dieser Begriff genau zu definieren ist. Ent-sprechend herrscht ein ziemliches Definitionswirrwarr, das die Orientierung innerhalb derTheorien und den Vergleich zwischen verschiedenen Theorien erschwert. Eine kurze Be-schäftigung mit dieser Frage drängt sich deshalb auf.Etymologisch betrachtet heisst "Metakognition" so etwas wie "über das Wissen stehend". DieVerwirrung entsteht zum Teil dadurch, dass damit nicht geklärt ist, ob damit "Wissen über daseigene (inhaltliche) Wissen", "Wissen über den Wissenserwerb (Lernstrategien)" oder "Be-trachtung des eigenen Wissenserwerbsprozesses" im Sinne von "Selbstüberwa-chung(Monitoring)" gemeint ist.Die meisten Autoren, die auf diesem Gebiet tätig sind, haben deshalb eingesehen, dass sicheine Präzisierung aufdrängt. Es wird oft postuliert, man solle zwischen "deklarativem" und"prozeduralem" metakognitivem Wissen unterscheiden (z.B. Guldimann, 1996; Brown, 1984,zit. nach Guldimann, 1996). Deklaratives metakognitives Wissen bezeichnet "inhaltliches"Wissen, wobei so verschiedene Dinge unter diese Rubrik eingeordnet werden wie "Wissenüber die Welt und bestimmte Sachverhalte", "Wissen über sein eigenes kognitives System"und "Wissen über (Lern)strategien" (Guldimann, 1996; S.29). Prozedurales metakognitivesWissen bezeichnet nach Meinung des gleichen Autors "Planung eigener Lernprozesse" und
© PY.Martin 1999 9
"Steuerung und Überwachung diese Prozesses". Daneben unterscheidet Guldimann (1996)noch eine dritte Kategorie, die er als "Sensitivität für eigene kognitive Aktivitäten" im Sinne von"Reflexion" bezeichnet.Diese Unterteilung scheint mir nicht überzeugend zu sein. Einerseits, weil die Autoren andererBereich die Begriffe "deklaratorisch" und "prozedural" früher schon anders definiert haben(siehe dazu u.a. Gutscher&Hornung, 1994). Das Problem liegt dabei v.a. im Begriff "prozedu-ral". Ist zum Beispiel das Wissen um Prozesse (z.B. Lern-, oder Problemlösungsstrategien)nun "deklaratorisch" oder "prozedural"? Nach Guldimann (1996) wäre es "deklaratorisch". An-dere Autoren bezeichnen dieses Wissen aber (dem Terminus entsprechen) als das eignetlicheprozedurales Wissen. Um einer weiteren Verwirrung entgegen zu wirken, sollte man diesebeiden Ausdrücke meiner Meinung zu Gunsten klarerer Begriffe fallen lassen.
Im Folgenden werde deshalb folgende Definitionen verwenden:
Metakognition
"Metakognition ist der Oberbegriff für die bewusste Beschäftigung mit::
1. Wissen um das Vorwissen: - Wissen, was man zu einem Thema weiss und nicht weiss
2. Lernwissen: - Wissen um Lerngesetzmässigkeit(Allg. lernspezifisches Wissen)
- Kenntnis von Lernstrategien und Techniken- Kenntnis allgemeiner Problemlösungsstrategien
3. Selbstreflexion: - Selbstbeobachtungs- und Selbstkontrollfertigkeiten
Die so definierten Teilaspekte der Metakognition sind in Abbildung 1 gestrichelt eingerahmt.Bemerkt sei an dieser Stelle noch, dass einige Autoren "Metakognition" mit "Selbstreflexion"gleichsetzen und die Punkte "Wissen um das Vorwissen" und "Lernwissen" ausklammern. Indieser Arbeit soll aber die breite Definition verwendet werden, da sie für die Schule mehr Ein-satzmöglichkeiten eröffnet.
4.2. Die Funktion der Metakognition
Metakognition hat grundsätzlich eine Hauptfunktion: Einem Menschen mehr Kontrolle übersein eigenes Leben zu geben.Dazu nutzen alle metakognitiven Methoden eine eigentümliche Fähigkeit, die der Menschnach heutigem Wissensstand als einziges irdisches Lebewesen zu besitzen scheint: Die Fä-higkeit, über sich selbst nachzudenken (siehe dazu u.a. Bischof, 1989). Diese Fähigkeit istbei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich ausgebildet. Sie kann aber trainiert werden,was sie auch pädagogisch interessant macht (wegen ihrer Trainierbarkeit sollte man eher voneiner Fertigkeit sprechen).
© PY.Martin 1999 10
An diesem Punkt stellt sich mir als Pädagoge die grundsätzliche ethische Frage, ob ein sol-ches Training überhaupt wünschenswert ist. Über die Vor- und Nachteile einer ausgeprägtenselbstreflexiven Haltung haben im Laufe der Geschichte schon etliche Philosophen, Psycholo-gen und andere Geisteswissenschaftler nachgedacht und referiert. Aus meiner Sicht stehenfolgende Vor- und Nachteile im Zentrum:- Der wohl grösste Vorteil einer gut ausgeprägten Selbstreflexion ist die damit verbundene
Möglichkeit zur bewussten Analyse, Planung, und Steuerung des eigenen Lebens. EigeneZiele können bewusst gesteckt und Prozesse zu deren Erreichung geplant werden. DieAusführung kann dann selbst kontrolliert und optimiert werden.
- Der wohl gewichtigste Nachteil liegt drin, dass man sich verstärkt der eigenen Unzulänglich-keit und Bedeutungslosigkeit bewusst wird. Diese Erkenntnis ist manchmal zweifellos schwerzu ertragen.
Gerade der oben erwähnte Nachteil wirft die Frage auf, ob im Bereich des Selbst Unwissen-heit manchmal nicht besser ist als Wissen. Macht es zum Beispiel Sinn, einem geistig schwa-chen Kind zu lehren, wie es sich selbst beobachten und somit auch mit anderen vergleichenkann? Obwohl es hart tönen mag würde ich die Frage mit "ja" beantworten. Denn eigene Un-zulänglichkeit spielen im Leben eines Menschen auch dann eine Rolle, wenn man sie nichtbewusst wahrnimmt. Im Sinn der Tiefenpsychologie werden mir negative Emotionen das mit-teilen, was ich nicht bewusst sehen kann oder will. Werden diese Unzulänglichkeiten aberbewusst, kriege ich eine Chance korrigierend darauf einzuwirken. Das wird mich ein Stücknäher an das höchste aller Ziele bringen, nämlich Freude am Leben zu haben und einen sinn-vollen Beitrag an das Wohl der Anderen leisten zu können. Deshalb plädiere ich entschiedenfür die Vermittlung von selbstreflexiven Techniken in der Schule, nicht nur in Zusammenhangmit dem Lernen. Allerdings sollte dies immer von einer bewussten Auseinandersetzung mitden emotionalen Folgen eines solchen Tuns einher gehen.
Nach diesem kleinen ethisch-philosophischen Exkurs möchte ich wieder etwas konkreter wer-den. Bevor ich mich in Kapitel 5 den Fragen der Vermittlung und des Trainings von metako-gnitiven Denkmustern und Techniken in der Schule zuwende, soll das oben postulierte, über-geordnete Ziel präzisiert und gegliedert werden (Abbildung 2).
Übergeordnetes Ziel
"Mehr Kontrolle über sein eigenes Leben zu erlangen"
Teilziele:
1. Selbstständigkeit:Die Schüler sollen in die Lage versetzt werden, selbstständig lernen zu können.
2. Optimierung der LerneffizienzDie Schüler sollen in der gleichen Zeit mehr lernen.
Abbildung 2: Ziele der Metakognition
© PY.Martin 1999 11
4.3. Die Funktionsweise und Voraussetzungen
Die Funktionsweise der Metakognition kann an folgendem Prozessmodell erklärt werden (Ab-bildung 3):
1. Bestimmen der Ausgangslage und der Ziele
2. Analyse verschiedener möglicher Strategien
3. (Zielorientiere) Auswahl und Syntheseder besten Elemente
4. Anwendung bei gleichzeitiger Selbstkontrolle
5. Auswerten der Resultate
Abbildung 3: Metakognitiver Arbeitsprozess
Das entscheidende Schlagwort, das die eigentliche Metakognitivität ausmacht, ist die "be-wusste Wahrnehmung und Reflexion". Diese Wahrnehmung und Reflexion ist dabei nie"frei schwebend", sondern stets in einem Prozess oder einer Tätigkeit eingebunden. Man kannsich nur beim Tun oder Denken beobachten. Man arbeitet also an einem Problem, einem Ler-ninhalt oder denkt über etwas nach und beobachtet sich dabei gleichzeitig. Man pendelt dabeidauernd zwischen der Ebene der Tätigkeit und der Ebene des externen metakognitiven Beob-achters hin und her. Um sein Handeln oder Denken beurteilen zu können, bedarf es also nichtnur einer Selbstbeoachtungsfertigkeit, sondern auch eines gewisses inhaltliches und prozess-gebundenes Vorwissen.Viele Lehrer tragen diesen Wechselwirkungen zu wenig Rechnung. Sie lassen ihre Schüler ineinzelne Stunden über ihre eigenen Lernerfahrungen berichten, gehen dann aber nicht weiterdarauf ein. Mit anderen Worten findet kein Pendeln zwischen den Ebenen statt. Das Ziel wäreaber zum Einen, dass dieses Pendeln während der Ausführung konkreter Prozesse geschieht.Das punktuelle Verbalisieren von Lerngewohnheiten durch die Schüler ist sicherlich ein ersterSchritt dazu. Die "kathartische" Vorstellung, dass alleine schon dieses An- oder Aussprechender Dinge diese besser machen, mag in einer Psychotherapie aus psychohygienischer Sichtnoch Sinn machen, genügt aber in diesem Kontext nicht. Es braucht zusätzlich metakognitivbegleitete Arbeit an einem Prozess und einen Lehrerinput, der zum Verständnis und zur Opti-mierung des Lernprozesses beiträgt (siehe dazu Kapitel 5). Diese Inputs wirken wie eine Art"Treibstoff", die die Schüler zum weiterem Denken und Vergleichen anregen.Diese Voraussetzungen können als "extern" bezeichnet werden, da sie von einer anderenPersonen als dem Lernenden oder Denker organisiert werden, in unserem Falle vom Lehrer.
Bew
usste Wahrnehm
ung
© PY.Martin 1999 12
Im tätigen Menschen selbst lassen sich aufgrund der bisherigen Erläuterungen folgende Vor-aussetzungen für ein erfolgreiches metakognitives Lernen definieren (siehe Abb.4):
1. Selbstreflexionsfertigkeit- Sich selbst beobachten und kontrollieren können
2. Selbstkenntnis: - Sein Vorwissen kennen- Seine Stärken und Schwächen kennen
3. Lernwissen - Lerngesetzmässigkeit kennen(Allg. lernspezifisches Wissen)
- Kenntnis von Lernstrategien und Techniken haben- Kenntnis allgemeiner Problemlösungsstrategien haben
Abbildung 4: "Interne" Voraussetzungen der erfolgreichenMetakognition
Der Schüler muss wie schon erwähnt die Fertigkeit erlernt haben, zwischen 2 Ebenen hin undher zu pendeln. Dann muss er überzeugt sein, dass er sich selbst beobachten, kontrollierenund verbessern kann. Das erfordert wiederum Selbstvertrauen und/oder positive Erfahrungenauf diesem Gebiet. Weiter muss er wissen, wo seine Schwächen und "blinden Flecken" liegen,um seine Aufmerksamkeit darauf zu fokussieren. Und schliesslich braucht er wie oben erläu-tert ein gewisses Lernwissen, um seine Tätigkeit mit einem "Sollwert" vergleichen zu können.Sind diese internen und externen Voraussetzungen erfüllt, steht einem erfolgreichen metako-gnitiv orientierten Handeln nichts mehr im Wege.
Da die Arbeit an den Voraussetzung ein wichtiger didaktischer Ansatzpunkt ist, wird im Fol-genden noch ausführlich davon die Rede sein (siehe Kapitel 5).
© PY.Martin 1999 13
5. Umsetzung der Erkenntnisse im Unterricht
5.1. Grundsätzliche Überlegungen
Auf dem Weg zur praktischen Umsetzung sind im Bereich Metakognition einige Hürden zunehmen. Im Moment klafft in diesem Feld eine besonders grosse Lücke zwischen Theorie undPraxis. Die wenigen wissenschaftlich fundierten und evaluierten Umsetzungsmethoden sindmeistens noch relativ wenig weit entwickelt (wie z.B. die von Guldimann, 1996) oder deckennur kleine Teilbereiche der Metakognition ab (wie z.B. die sonst sehr gute Methode bewussterAufmerksamkeitssteuerung von Schöll, 1997). Auf der anderen Seite existiert ein ziemlicheFülle von mehr oder weniger metakognitiven Methoden, die aus persönlichen Erfahrungenheraus entstanden sind. Diese Methoden sind teilweise intuitiv einleuchtend (wie z.B. die Vor-schläge von Ackermann, 1992). Meistens sind sie aber keine zusammenhängenden Metho-den, sondern kleine Teiltechniken, die nicht bewusst aufeinander abgestimmt sind. Was dieseTechniken dann unter dem Strich wirklich bringen, bleibt oft unklar.Im Rahmen dieser Arbeit wird es mir nicht möglich sein, all diese Mängel zu beheben. Auchkann es hier nicht das Ziel sein, einen mehr oder weniger vollständigen Überblick über dievorhandenen Methoden und Techniken zu geben. Ich werde aber versuchen, zu verschiede-nen theoretisch hergeleiteten Voraussetzungen und Teilschritten einige konkrete Impulse undIdeen zu geben, auch wenn sie noch nicht ganz ausgereift sein sollten. Dabei soll immer der"pädagogische Spagat" versucht werden, nämlich einerseits kindgerecht zu vereinfachen, an-dererseits aber wissenschaftlich korrekt zu bleiben. Dies ist besonders bei einem recht ab-strakten Thema wie dem Vorliegenden nicht immer einfach.Trotz dieser Schwierigkeit plädiere ich dafür, schon früh mit der bewussten Auseinanderset-zung mit dem Lernen zu beginnen. Einerseits ist ein früh erlerntes, unreflektiertes Lernverhal-ten im Nachhinein schwer zu korrigieren. Andererseits braucht das Erwerben und das frucht-bare Einsetzen eines metakognitiven Bewusstseins sehr viel Zeit und Übung. Aus diesenÜberlegungen bin ich der Meinung, dass man ab der Mittelstufe damit beginnen kann, ja sogarsollte. Unter gewissen Umständen sind verschiedene Elemente auch schon in der Unterstufeumsetzbar. Auf alle Fälle sollten sie aber im Laufe der obligatorischen Schulzeit in irgend einerForm eingeführt und umgesetzt werden, um sicherzustellen, dass das "oberstes Ziel" erreichtwird. Und diese ist und bleibt, den Schüler zu befähigen effizient und selbstständig lernenund arbeiten zu können.
5.2. Metakognitiv orientierte Arbeitsorganisation
Eine der wichtigsten und ersten Massnahmen, die ich als Lehrer treffen sollte, betrifft die ge-nerell Arbeitsorganisation.Einerseits sollte ich während meines Unterrichts bewusst Zeit für die Diskussion metakogni-tiver Element einplanen. Es aus meiner Perspektive ist es ein Fehler zu meinen, dieses Wis-sen könne durch eine paar geschickte Nebensätze während der üblichen Lektionen übermitteltwerden. Sicherlich kann das einmal vermittelt Wissen auf diese Weise wiederholt, gefestigt
© PY.Martin 1999 14
und an konkreten Beispielen klarifiziert werden. Es ersetzt aber auf keinen Fall eine bewussteund strukturierte Vermittlung von Basiswissen durch den Lehrer. Diese ist deshalb sowichtig, weil Kinder zwar in der Lage sind, relativ abstrakte Idee und Zusammenhänge zu be-greifen, aber von sich aus erst viel später auf diese Ebene wechseln. Vermittelt man ihnendieses Grundlagenwissen nicht auf strukturierte Art und Weise, werden die Schüler zumeist ankleinen "Tricks" haften bleiben, ohne die Funktion dieser Teiltechniken in einem grösserenZusammenhang zu erkennen. Weiter sollten die Kinder aber auch ein offizielles Forum für denAustausch von Erfahrungen haben. Auf beide Aspekte (Wissensvermittlung und Diskussions-forum) wird weiter unter zurückgekommen.In Zusammenhang mit der Arbeitsorganisation sollten die Schüler dann selbstverständlichauch Zeit und Raum erhalten, um die neuen Erkenntnisse und Techniken auszuprobieren undzu üben. So sollten sie zum Beispiel einige Stunden pro Woche (Faustregel: Je älter, je mehr)zur Verfügung haben, in denen sie ihr Lernen selber planen und steuern können.Der ganze Unterricht sollte folglich so organisiert sein, dass sich gemeinsame Blöcke mit Leh-rerinput /Diskussion und selbstständiges Lernen abwechseln.
5.3. Lernwissen aufbauen
5.3.1. Bemerkung
Die Frage, was die Schüler in welchem Alter über das Lernen wissen sollten und vor allem wiedieses Wissen zu vermitteln ist, ist schwierig zu beantworten und würde genügend Stoffe fürumfangreich Bücher bieten.Eine persönliche und zweifellos entwicklungsfähige Auswahl von Inhalten folgt im nächstenKapitel. Grundsätzlich muss vor der Klasse aber immer das Ziel der Beschäftigung mit demThema "Lernen" betont werden. Ausserdem sollte diese Wissensvermittlung von den bereitsvorhandenen Vorstellungen der Schüler ausgehen. Und schliesslich sollte das Thema so sau-ber strukturiert und schriftlich festgehalten werden wie ein "traditionelles" M&U-Thema. In die-sem Zusammenhang plädiere ich für einen "Lernordner" mit verschiedenen Registern, weil dieInhalte so immer ergänzt und überarbeitet werden können.
5.3.2. Überblick über mögliche Inhalte
Gestützt auf eine frühere Arbeit (Martin, 1998) schlage ich persönlich folgende Inhalte vor3:
1. Definition von Lernen ("von was reden wir?")
Grundsätzlich scheint mir eine kognitiv/neobehavioristische orientierte Definition sinnvoll,die sich mehr oder weniger an folgender Formel orientiert:
3 Aus wissenschaftlicher Sicht ist Vieles rund um das Thema "Lernen" nach wie vor unklar. Jede Auswahl ist des-
halb auf mehr oder weniger unsichere Thesen gestützt
© PY.Martin 1999 15
"Lernen = Neue Information aufnehmen, vernetzen und speichern,so dass man nachher etwas anders macht als vorher"
Die Auseinandersetzung mit dieser Definition sollte auf die verschiedenen Teilaspektdieser Definition eingehen (z.B. Lernen ist ein Prozess, der etwas in uns bewirkt; Be-schäftigung mit dem Begriff Information)
2. Funktion des Lernens ("wieso lernen wir, wieso lernen Tiere?")Die Frage nach dem biologischen Sinn des Lernens kann hier diskutiert werden, ge-nauso wie die emotionalen Bedürfnisse, die damit befriedigt werden.
3. Funktionsweise des Lernens ("wie und wo findet lernen statt?")
Die Beschäftigung mit dieser Frage sollte einerseits die Vermittlung von elementaremphysiologischem Wissen beinhalten (Lernen passiert vor allem im Kopf; Unser Gehirnbesteht aus Nervenzellen; Lernen hat hauptsächlich mit Veränderungen dieser Nerven-zellen zu tun usw.). Andererseits sollte die Vernetzung und Gliederung der Informationbeim Lernen anhand von Beispielen thematisiert werden. In diesem Zusammenhangkönnen auch die Begriffe "bewusstes/unbewusstes Lernen und Handeln" diskutiertwerden. Dies ist besonders im Hinblick auf die Einführung von selbstreflexiven Techni-ken wichtig. Weiter bieten sich das Thema "Gedächtnis, Behalten/ Vergessen" an, dasich auf diesem Gebiet einige interessante Experimente durchführen lassen (Wir schau-en uns eine Liste von Worten an und testen, wieviel wir nach gewissen Zeitabständennoch wissen). Dieses Thema macht auch den Sinn des Wiederholens deutlich und kannauch gut mit dem Bereich Lerntechnik verbunden werden. Last but not least sollten denSchülern deutlich gemacht werden, dass das Lernen Zeit braucht.
4. Einflussfaktoren des effizienten Lernens("Was beeinflusst ob, ich gut lerne oder nicht?")Generell können auf vereinfachte Art und Weise alle Faktoren diskutiert werden, die inAbbildung 1 aufgeführt wurden (interne Faktoren wie Motivation, Aufmerksamkeit, Fä-higkeiten, Vorwissen; externe Faktoren, wie Lernumgebung, Art der Aufgaben, Um-feld). Diese Punkte sind deshalb besonders interessant, weil sie konkrete Idee zur Opti-mierung der Lernprozesse geben und so das Feld für das nächstes Kapitel ebnen.
5.4. Lernstrategien und -techniken kennen- und benutzen lernen
Wie oben erwähnt sollte die Vermittlung von elementarem Lernwissen meiner Meinung nachimmer mit Blick auf das Ziel "besser lernen lernen" erfolgen. Mit anderen Worten heisst das,dass der "grauen" Theorie praktische Anwendungsmöglichkeiten folgen sollten. Diese könnenwie folgt gegliedert werden:
© PY.Martin 1999 16
5.4.1. Planungsstrategien und -techniken
Aus dem kognitiven Grundwissen (z.B.: "Wissen ist in unseren Köpfen geordnet", "lernen tunwir immer, entweder bewusst oder unbewusst. Bewusst lernen heisst aber das lernen, was wirwollen und nicht etwas anderes") lässt sich die Notwendigkeit einer klaren Planung der Lern-tätigkeiten ableiten. In diesem Zusammenhang kann dem Schüler auch der Link zwischeneiner sinnvollen Planung und der Freude am Lernen mit seinen motivierende Aspekten be-wusst gemacht werden.Insbesondere sollen die Schüler aber die Schritte einer sinnvollen Planung kennen undbenutzten lernen. Konkret meine ich damit:
1. Ziele setzenSinnvolle Ober- und Zwischenziele setzen können. Diese sollten den Schüler herausfor-dern, aber gleichzeitig erreichbar sein. Der Zusammenhang zwischen Zielerfüllung (d.h.Erfolg) und Motivation kann hier klar aufgezeigt werden.
2. Analyse von Ist-Zustandes und DiskrepanzZuerst geht es darum, zu erkennen, wo man bezüglich des Zielbereichs steht (wasweiss ich schon (Vorwissen)). Dann muss die Lücke zwischen diesem Zustand und demZielzustand bestimmt werden.
3. Massnahmen auswählenGeeignete Massnahmen und Strategien auswählen können um die Lücke zum Ziel zuschliessen. Dies setzt wiederum das Vorhandensein eines Grundstocks an mehr oderweniger spezifischen Massnahmen voraus.
Weiter sollte dem Schüler klar werden, dass diese Planungsphase Teil eines Kreislaufs ist:Planung, Durchführung, Auswertung, Planung usw. (im Folgenden werde ich diese grund-legende Arbeitsmodell als PDA-Modell bezeichnen)
5.4.2. Arbeitsplatz- und Arbeitszeitgestaltung
Der Schüler sollte ergonomische Erkenntnisse anwenden können (z.B. regelmässig, abernicht zu viel aufs Mal lernen, Pausen machen und sich bewegen und essen, für anspruchs-volle Gedächtnisaufgaben ruhige Orte suchen, usw.)
5.4.3. Vernetzungs- und Merkstrategien
Es ist wichtig, dass der Schüler lernt, Lerninhalte so zu organisieren, dass sie an sein Vor-wissen angeknüpft werden können (oder dieses allenfalls ersetzen können). Das beinhaltetein Sichten des Vorwissens und ein brainstormingartiges generieren von Fragen zum Thema.Weiter sollten gedächtnisunterstützende Merkstrategien erworben werden (wie im BereichSprache z.B. Wörterkartei, Lernen im Wortfeld, "Eselbrücken" usw.)
© PY.Martin 1999 17
5.4.4. Motivationstechniken
Sich selber motivieren und diese Motivation aufrecht erhalten können, ist eine der wichtigstenVoraussetzungen für ein erfolgreiches selbstständiges Lernen. Insbesondere spielt hier dieoben erläuterte sinnvolle Zielsetzung eine wichtige Rolle. Weiter beinhaltet dies auch dieFertigkeit, sich selber belohnen zu können, wo eine externe Belohnung ausbleibt. Geradedies ist für Kinder gut nachvollziehbar, aber nicht unbedingt einfach. Ganz wichtig sind in die-sem Zusammenhang auch Techniken, die dem Lerner helfen, immer wieder auftauchendeMotivationskrisen zu überwinden. Die Kinder können hier zum Teil sehr gute eigene Tech-niken weitergeben.
5.4.5. Allgemeine Problemlösungsstrategien kennen
Allgemeine Problemlösungsstrategien sind dort wichtig, wo man an ein bisher unbekanntesProblem stösst. Edelmann (1996) hat u.a. folgende Strategien beschrieben:
1. Klarifizierung des Problems1. Benennung des Ziels der Problemlösung2. Auflistung der gegeben Information3. Selektion der relevanten Infomation
2. Prüfen, ob ein ähnliches Problem bereits gelöst wurde
(bis zu diesem Punkt entspricht diese Strategie der allg. Planungsstrategie)
(wenn (2) nicht zutrifft):
3. Rasche Sammlung von möglichen Lösungsansätzenohne Prüfung ihrer Durchführbarkeit (Brainstorming-Technik)
4. Systematische Prüfung der Sammlung5. Ausprobieren der besten Ansätze6. Bewerten der Ergebnisse und Verfeinerung des Lösungsansatzes
(auch Punkt (5) und (6) lassen sich wieder in das PDA-Modell überführen)
Wichtig scheint mir in diesem Zusammenhang die konzeptuelle Verknüpfung mit dem PDA-Modell. Grundsätzlich sollen die Kinder nicht mit Dutzenden von losen Strategien und Techni-ken "bombadiert" werden, sondern einige grundlegende Modelle kennenlernen, die aus-baufähig sind und die in verschiedenen Situationen eingesetzt werden können (eventuelle mitleichten Abwandlungen).Inhaltlich liegt mir die Problemlösungsstrategie "selbstständige Suche nach fehlender In-formation" am Herzen. Sie ist zentral für jeden selbstständigen Lernprozess und sollte spezi-ell und immer wieder geübt werden.
© PY.Martin 1999 18
5.4.6. Didaktische Überlegungen zur Strategievermittlung
Es stellt sich immer wieder die Frage, wie man die Schüler am Besten dazu bringt, neueStrategien aufzunehmen und zu verwenden. Ein Teil der Didaktiker und Pädagogen lehnt einsolches Unterfangen sogar ganz ab. Ihre Begründung lautet, man könne die Kinder nichtzwingen auf eine bestimmte Art und Weise zu denken. Obwohl diese Bedenken ernst zu neh-men sind, greifen sie meiner Meinung nach zu kurz. Es gibt zweifellos Strategien und Techni-ken, die besser sind als andere und zwar unabhängig vom Lerntyp. So ist zum Beispiel dieStrategie des geplantes und reflektierten Angehens von Problemen in fast allen Fällen effizi-enter als eine blinde Versuchs- und Irrtumsstrategie. Es lohnt sich deshalb, die Schüler miteffizienten Strategien und den entsprechenden Techniken (wie die oben beschriebenen) ver-traut zu machen. Allerdings werden die Schüler in den seltensten Fällen ohne Widerstand voneiner ihnen vertrauten und mehr oder weniger funktionierenden Strategie auf eine neue wech-seln. Etwas Existierendes aufzugeben bedeutet immer eine gewisse Verunsicherung. Au-sserdem wird der Schüler schnell einmal eine Reaktanz (siehe u.a. Wortmann & Brehm,1975)4 aufbauen, wenn er sich in seinen Freiheiten beschnitten fühlt. Es ist deshalb als Lehrerwichtig, einige Grundsätze zu befolgen:
1. Ernst nehmen und Wertschätzen der existierenden Strategien2. Erklären, weshalb man neue Strategien einführt3. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der alten und neuen Strategien analysieren4. Dem Schüler nach einer intensiven Beschäftigung mit der neuen Strategie die Freiheit
lassen, Teile der neuen Strategie nicht zu verwenden oder weiterzuentwickeln. Diesmuss allerdings begründet werden können.
In Anlehnung an die obigen Grundsätze sowie mit Blick auf die präzise Vermittlungstechnikvon Schöll (1997) ergibt sich folgender Lernprozess:
1. Problem darlegen (Lehrerinput)2. Reflexionsphase. ("Wie machst du so etwa normalerweise?", im Plenum diskutieren)
Verbalisieren3. Strategie oder Technik vorstellen (bei Betonung der Vorteile und unter Vergleich zum
Bisherigen, Lehrerinput)4. Üben der vorgestellten Strategie/Technik an konkreten Beispielen (dem Modell folgend,
individuell) Phase des "Zwangs" (alle müssen es so versuchen)
5. Reflexionsphase (Erfahrungen und Vergleich mit "alter" Strategie, Analyse der Resul-tate, im Plenum)
6. Anwendung an neuen Problemen und Weiterentwicklung der Strategie (individuell)
4 Die Reaktanztheorie besagt, dass ein Mensch instinktiv versucht, Freiheit, die ihm ohne sein Einver-
ständnis genommen werden, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen. Und zwar auch, wenn dieÄnderung offensichtlich zu seinem Vorteil ist.
© PY.Martin 1999 19
Beim Präsentieren der Strategien (Phase 2) empfiehlt es sich, die Methode des sogenannten"Anleitungsmodell (modeling)" zu verwenden (Guldimann, 1996). Nach dieser Methode sollteder Lehrer beim Erklären einer Strategie oder eines Sachverhaltes nicht nur unmittelbar the-menbezogene Äusserungen machen, sondern all die Überlegungen und Erfahrungen äussern,die er selbst bei der Erarbeitung des Themas gemacht hat (z.B.: "Das habe ich am Anfangnicht verstanden. Ich habe dann dies und jenes gemacht, um dieses Problem zu beheben","ich habe mich zuerst gefragt, ob dies oder jenes, was ich schon kenne, nicht besser ist", "ichhatte da Mühe, mich zu konzentrieren und habe deshalb zwischendurch etwas anders ge-macht", usw.). Solche Erklärungen können selbstverständlich beim Erklären irgend einesSachverhaltes gemacht werden. Der Sinn der Sache ist, dass man dem Schüler zeigt, welcheStrategien erfahrene Lerner benutzten, um an ein Ziel zu gelangen (z.B. etwas Neues zu ver-stehen) und was sie bei Problemen tun. Zum Einen wird dieses Modell dann von den Schülernteilweise kopiert (Modell-Lernen). Zum Anderen baut es beim Schüler die falsche Vorstellungab, dass "Intellektuelle", wie z.B. Lehrer, absolut problemlos lernen und nur sie selbst dauerndauf Schwierigkeiten stossen.
5.5. Selbstreflexive Fertigkeiten trainieren
Metakognitiv orientiertes Lernen bedingt einerseits ein aktivierbares und umsetzbares Wissen,wie es oben skizziert wurde (Lernwissen, Strategien), andererseits aber auch die Fähigkeit zurSelbstbeobachtung. Erst diese ermöglicht es dem Lerner, sich selbstständig weiterzuentwik-keln. Im Folgenden wird dieser zentrale Bereich genauer unter die Lupe genommen. Gene-rellen Überlegungen folgen im Kapitel 5.6. konkrete Techniken und Instrumente, die in diesemZusammenhang in der Schule eingeführt werden können. Ziel ist es dabei einerseits, demSchüler zu zeigen, dass es sich lohnt, sich bewusst selbst zu beobachten. Andererseits sollenihm einige konkrete Werkzeuge zur Selbstanalyse und -kontrolle in die Hand gegeben werden.
5.5.1. Probleme der Selbstreflexion
Sich selber unverzerrt wahrzunehmen ist eine der schwierigsten menschlich Aufgaben über-haupt und grundsätzlich nur teilweise erreichbar. Spätestens seit Freud ist klar, dass dermenschliche Geist oft Mühe hat, sich selber unverfälscht wahrzunehmen. In sich selber hineinschauen bedeutet immer auch unangenehme Dinge oder eigene Grenzen sehen. Obwohl dasThema Lernen nicht so sensibel ist wie andere Bereiche der Psyche, wird auch hier über dieschulischen Lernerfahrung ein Teil des Selbstkonzeptes aufgebaut. Ein Schüler, der erlebt,dass andere schneller und effizienter lernen als er, wird daraus schnell einmal mehr oder we-niger generelle und stabile Schlüsse ziehen ("ich bin dumm", "ich kann nicht rechnen", usw.).Es muss in diesem Zusammenhang wiederholt werden, dass solche Selbstbilder auch ohnebewusste Selbstreflexion aufgebaut werden. Die Selbstreflexion kann vielmehr ein Mittel sein,um störende Vorstellung zu erkennen und zu ändern. Bewusste Selbstreflexion bedeutet aberimmer sich ein Stück weit nach aussen zu öffnen. Das braucht einerseits Vertrauen in seine
© PY.Martin 1999 20
Umwelt, andererseits eine gute Portion Selbstsicherheit. Die Schaffung eines solchen Klimasund die Stärkung der Selbstsicherheit der Schüler gehören deshalb zu den wichtigsten Aufga-ben eines Lehrers.
5.5.2. Voraussetzungen schaffen
Um Vertrauen in seine (schulische) Umwelt haben zu können, muss der Schüler sicher sein,dass das Offenlegen von Schwächen nicht ausnützt wird. Mit anderen Worten darf es nichtvorkommen, dass ein Schüler wegen einer persönlichen Äusserung ausgelacht oder sonstirgendwie degradiert wird. Als Lehrer sollte ich im Gegenteil immer dafür bemüht sein, dassdas Zugeben von Schwäche als Stärke wahrgenommen wird.Neben dem Klima unter den Schülern sollte auch das Verhältnis zwischen Lehrer und Schülerauf Vertrauen basieren. Dass ein Lehrer einen Schüler nicht an seinen Schwächen festnagelnund erniedrigen sollte, ist "common sense". Leider wird es in der Praxis immer wieder beob-achtet.
5.5.3. Eine Gesprächskultur pflegen
Die wohl beste Art, zum Denken anzuregen, ist das Gespräch. Das Verbalisieren steht auch inden meisten Psychotherapierichtungen im Zentrum der Bemühungen. In der Schule ist diePlenumsdiskussionen eine wichtige und weit verbreitete Art eines solchen Gesprächs. Nebenvielen Vorteilen hat diese spezielle Form des Austausches auch Nachteile. Schüler, die sehrscheu, nicht besonders redegewandt oder eher "bequem" sind, kommen nicht zu Wort, oder"hängen ab". Eine Diskussion sollte deshalb immer vor- und nachbereitet werden. Zum Bei-spiel sollten sich die Schüler vor der Diskussion einige Notizen zur Hauptfrage machen undnach dem Gespräch wichtige Erkenntnisse schriftlich festhalten. Während der Diskussionbraucht es vor allem bei jüngeren Kinder eine aktive Moderation, die sicherstellt, dass dasGespräch beim Thema bleibt und nicht immer dieselben reden. Ausserdem braucht es hin undwieder persönliche Gespräche zwischen Lehrer und Schüler, da individuelle oder schwerereProbleme mit Vorteil im Einzelgespräch besprochen werden.Wichtig ist neben dem "Wie" eines Gesprächs auch das "Was", also das Thema (wie z.B. "Wiegehst du selbst mit dieser Situation um?", "Was kannst du in diesem oder jenem Zusammen-hang gut, was nicht?", usw.). Themen, die wirklich zur Selbstreflexion anregen werden leideroft vernachlässigt. Ein Grund für diesen Sachverhalt ist vielleicht in der Meinung zu suchen,dass man die Schüler nicht zu Egozentrismus erziehen sollte. Ein gute Selbstkenntnis ist abermeiner Meinung nach die Voraussetzung für nachhaltiges soziales Handeln. Ich plädiere des-halb dafür, die Kinder oft mit Fragen über sich selbst zu konfrontieren.
© PY.Martin 1999 21
5.6. Selbstreflexive Techniken und Instrumente
Neben den eher allgemeine Anregung zur Selbstreflexion im oben beschriebenen Sinne gibtes eine Reihe von Methoden und Strategien, die auf das selbstreflexive Lernen zielen. Diefolgenden Beispiele wurden teilweise schon angesprochen, da sie auch als Lernstrategienangesehen werden können. Sie werden hier nochmals etwas ausführlicher vorgestellt, weil siezumeist im Zentrum der metakognitiven Literatur stehen (z.B. bei Guldimann, 1996).
5.6.1. Die Lernkonferenz (Conferencing)
Die Lernkonferenz ist ein spezielle Form der Plenumsdiskussion. Grundsätzlich handelt essich um ein Gespräch über das Lernen. In der Praxis wird in diesem Zusammenhang oft derBegriff "Klassenrat" verwendet, wobei dies etwas verwirrend ist. Ein Klassenrat sollte nämlichnicht in erster Linie lernspezifische Probleme behandeln, sondern sich mit sozialen Problemenund Fragen in der Klasse beschäftigen. In der Die Lernkonferenz hingegen wird speziell überdas Lernen und die Erfahrungen mit dem Lernen diskutiert. Die Schüler sollen auf diese Artihre eigenen und die neu erworbenen Strategien "öffentlich" darlegen und analysieren können,sowie Einblick in die Erfahrungen und die Ideen der Anderen bekommen. Die Lernkonferenzersetzt aber den Klassenrat nicht. Deshalb sollten meiner Meinung nach beide Formen ihrenfesten Platz im Stundenplan haben (siehe dazu auch Kapitel 6). Die Lernkonferenz sollte aufjeden Fall regelmässig stattfinden (mindestens 2x pro Monat). Besonders wichtig ist sie imZusammenhang mit neu eingeführten Strategien und Techniken, weil dann viele neue Erfah-rungen entstehen. Wenn gerade keine solchen Themen aktuell sind, kann die Zeit entwederfür die Vermittlung von neuem Lernwissen und Strategien oder für die Planung von selbst-ständigen Arbeiten verwendet verwendet werden. Methodisch und organisatorisch geltendiesselben Regeln wie für ein allgemeines selbstreflexives Gespräch (siehe oben).
5.6.2. Die Lernpartnerschaft (Peer-Coaching)
Lernpartnerschaft bedeutet im weitesten Sinn "von Mitschülern lernen und Mitschülern beimLernen helfen". Jeder Lehrer weiss aus eigener Erfahrung, dass das Erklären von Dingen vielzur eigenen Klarifizierung und Bewusstmachung beiträgt. Insbesondere "gute" Schüler profitie-ren in diesem Sinn, wenn sie einem Klassenkameraden etwas erklären können. Entgegen derlandläufigen Meinung bin ich auf der anderen Seite nicht sicher, ob der schwächere Schüler,dem etwas auf diese Art und Weise erklärt wird, immer signifikant von solchen Erklärungenprofitiert. Die Darbietungen eines Mitschülers sind oft wenig gegliedert und relativ konfus undtragen nicht unbedingt zur Klarifizierung eines umfassenden Problems dar. Die These, wo-nach der "Tutor" mehr lernt als der "Tutee", wird durch mehrere wissenschaftlichen Studiengestützt (u.a. Webb, 1989; Dansereau, 1988; beide zitiert nach Guldimann, 1996).Allerdings kann ich als Lehrer auch hier einige didaktische Tips und Regeln vermitteln, wieetwas sinnvollerweise erklärt wird. Mit der Zeit werden sich die Schüler auch in diesem Be-reich verbessern.
© PY.Martin 1999 22
Für die Lernpartnerschaft spricht weiter, dass ich als Lehrer nicht überall sein kann und "Assi-stenten" deshalb eine wichtige Hilfe und Ergänzung sind. Ausserdem verlangen nicht alle Pro-bleme nach umfassenden Erklärungen. Oft handelt es sich lediglich um schnell beantworteteDetailfragen.Der Begriff "Peer-Coaching" wird von einigen Autoren (u.a. Guldimann, 1996) enger gefasstals oben beschrieben. Peer-Coaching bezeichnet dort die Bildung von festen Teams (zumeist2er-Teams), die über eine längere Zeitdauer zusammenarbeiten. Die Teams können nachverschiedenen Methoden zusammengesetzt werden. Eine Möglichkeit wäre, einen guten undeinen schwächeren Schüler zusammenzutun. Ein wichtiges Kriterium scheint mir dabei aberdie gegenseitige Sympathie zu sein. Leute, die sich gar nicht mögen, sollten auch nicht ge-zwungen werden zusammen zu arbeiten.Das Ziel solcher Teams ist nicht nur die Hilfe bei Sachproblemen, sondern das gegenseitigeBeobachten der Lernstrategien. Die Schüler sollen regelmässig dazu aufgefordert werden,sich dort Notizen zu machen, wo der andere Probleme hat oder besonders gute Lernstrategi-en verwendet. Die Teams sollen auch zusammen an der Vorbereitung der Lernkonferenz ar-beiten ("Welche unserer Beobachtungen passen zum Thema?", "Was wollen wir präsentie-ren?", "Wo möchten wir mehr wissen?").Solche Lernpartnerschaften haben sich in verschiedenen Studien als ergiebig herausgestellt,wenn auch bei Erklärungen der Erklärende mehr lernt als der Unterrichtete. VerschiedeneForschungsergebnisse sind bei Guldimann (1996, S. 137-139) zusammengefasst.
5.6.3. Das Monitoringblatt
Ein metakognitiv orientierter Lernprozess beginnt nach dem PDA-Modell (siehe Kapitel 5.3.1.)mit einem Planungsprozess. Insbesondere beinhaltet die Planung die Punkte: (1) Festsetzungeines Ziels, (2) Sichtung des eigenen Vorwissen, (3) Bestimmung der "Lücke" zwischen Ist-und Sollzustand und (4) Bestimmung der Massnahmen/Strategie zur Schliessung der Lücke.Nach einer solchen Planung folgt die Ausführung. Während dieser Phase können immer wie-der Fehler passieren (ich komme vom Thema ab, ich ziehe meine Strategie nicht durch, usw.)oder Probleme auftreten (z.B. dass sich die gewählte Strategie als ungeeignet erweist). Sinn-vollerweise sollten dann möglichst schnell und selbstständig Korrekturen gemacht werdenkönnen. Gefragt ist also ein Instrument, dass dem Schüler hilft, sich selbstständig zukontrollieren (diese Kontrolle wird im Englischen als "monitoring" bezeichnet).Guldimann (1996) schlägt vor, eine spezielle Arbeitsblattgestaltung einzuführen, die eine sol-che Kontrolle erleichtert. Kernpunkt ist die Einrichtung einer vertikalen Spalte auf jeder Ar-beitsseite (siehe Abbildung 5 auf der nächsten Seite). In dieser Spalte notiert sich der SchülerFragen, Bemerkungen, Hinweise und sonstige Kommentare zum Thema, das er gerade erar-beitet.Das Beispiel zeigt meiner Meinung nach die zwei Seiten der Methode. Positiv ist die grosseReflexions- und Verknüpfungsarbeit, die vom Schüler geleistet wird (der übrigens in der Real-schule ist!). Andererseits wird aber auch deutlich, dass die Vorlage zu wenig Struktur bietet.Dem Schüler ist nicht klar, was er wo hinschreiben sollte.
© PY.Martin 1999 23
Auf diese Weise geht die Übersicht verloren und eine nachträgliche Evaluation des Lernpro-zesses (siehe nächstes Kapitel) wird schwierig. Ich plädiere deshalb für eine klarer gegliederteVorlage, deren Konzeption sich an den Theorien dieser Arbeit orientiert. Eine solche Vorlageist auf den nächsten zwei Seiten abgebildet. Der Vergleichbarkeit wegen habe ich es mit fikti-ven Antworten zum Thema "Skelett" ausgefüllt.Die Arbeitsvorlagen bestehen immer aus mindestens zwei Blätter. Das Monitoringblatt 1(Abb. 6a) dient zum Einen der Planung (linke Spalte). Dafür sind die wichtigsten Schritte vor-gegeben (Sichtung des Vorwissens, Ziele, Strategien/Methoden). Bereits in diesem Stadiumsoll der Schüler reflexiv tätig werden, indem er zu den gewählten Strategien ein kurze Begrün-dung beifügt. Auf der rechten Seite des Blattes befindet sich eine "Monitoringspalte". DerSchüler soll dort Probleme und Gefühle festhalten, mit denen er während der Arbeit konfron-tiert wird. Wie es der Name suggeriert, soll das Blatt nicht nur einmal ausgefüllt werden,
Abbildung 5:Beispiel einer "Monito-ring"-Seite. Aus Guldi-mann (1996, S. 141)
Them
a:
Das
Ske
lett
1. W
as w
eiss
ich
scho
n zu
m T
hem
a (V
orw
isse
n)
- Jed
er M
ensc
h ha
t ein
Ske
lett
- Ske
lett
ist a
us K
noch
en
2. H
aupt
ziel
(e) m
eine
r Arb
eit (
plus
wei
tere
Zie
le)
- Wis
sen,
wie
ein
Ske
lett
gena
u au
ssie
ht- W
isse
n, w
ieso
wir
ein
Ske
lett
habe
n(-
Ske
lette
von
Tie
ren
ansc
haue
n)- I
ch w
eiss
etw
a, w
ie d
as S
kele
tt au
ssie
ht, u
nd k
enne
die
wic
htig
sten
Tei
le
3. W
ie e
rrei
che
ich
mei
n Zi
el(e
) (St
rate
gie
und
Met
hode
n)?
Wie
so m
ache
ich
es s
o (B
egrü
ndun
g)?
- Ich
scha
ue im
Kin
derl
exik
on n
ach
(das
ver
steh
e ic
h m
eist
ens g
ut)
- Ich
such
e in
der
Bib
lioth
ek e
in B
uch
über
den
Kör
per
(es
hat
dor
t zu
fast
jede
m T
hem
a Bü
cher
)- I
ch ze
ichn
e ei
n Sk
elet
t ab
(ic
h ka
nn m
ir D
inge
bes
ser m
erke
n, w
enn
ich
sie
zeic
hne)
- Ich
scha
ue im
Inte
rnet
- Ich
rufe
mei
ne C
ousi
n an
, der
Arz
t ist
,
Prob
lem
e (L
ösun
gsvo
rsch
läge
links
ein
trage
n!)
-Ich
wei
ss n
icht
vie
l übe
r die
ses
Them
a!
- Das
Ske
lett
ist z
u ko
mpl
izie
rt, u
mal
les z
u ke
nnen
- Der
Tex
t im
Kin
derl
exik
on is
tw
irr!
- Die
Büc
her i
n de
r Bib
lioth
ek si
ndau
sgel
iehe
n!
Gef
ühle
bei d
er A
rbei
t
Das
The
ma
ist
kom
isch
abe
rin
tere
ssan
t!
- Es i
st im
mer
ein
Stre
ss, b
isic
h da
s ric
htig
eM
ater
ial h
abe!
-Das
Zei
chne
nis
t sch
wie
rig,
aber
es m
acht
Spas
s!
Abbildung 6a: Monitoringblatt 1 (Planung) mit fiktivem Beispiel
"Mon
itorin
gspa
lte"
24© PY.Martin 1999
Neu
es W
isse
n (h
ier n
ur Z
usam
men
fass
ung
notie
ren)
Das
Bild
aus
dem
Kin
derl
exik
on z
eigt
, das
s da
s Sk
elet
t aus
seh
r vi
elen
Kno
chen
best
eht (
Zahl
).
Auf e
inem
sepa
rate
n Bl
att i
st d
as S
kele
tt, d
as ic
h ge
zeic
hnet
hab
e
Die
wic
htig
sten
Tei
le si
nd: R
ücke
n, (u
sw.).
..
Die
ein
zeln
en K
noch
en si
nd m
it G
elen
ken
verb
unde
n
Bem
erku
ng u
nd Id
een
(run
d um
das
The
ma)
-Wie
so b
leib
en d
ie K
noch
en g
anz u
nd a
lles a
nder
e ve
rfau
lt, w
enn
man
jem
ande
nbe
gräb
t?- H
aben
Sch
neck
en k
ein
Skel
ett ?
!?.
Kon
trol
lfrag
en- B
in ic
h no
ch b
eim
The
ma
(sie
he Z
iele
)?- W
as fe
hlt m
ir no
ch, u
m m
ein
Ziel
zu
erre
icht
?- I
ch w
eiss
noc
h ni
cht g
enau
, wie
so w
ir e
in S
kele
tt ha
ben
Prob
lem
e (a
uf P
lanu
ngs-
blat
t übe
rtrag
en!)
Ich
vers
tehe
den
Tex
t im
Kin
derl
exik
on n
icht
gan
z.=
> Ic
h m
uss e
inen
ande
ren
Text
find
en!
Abbildung 6b: Monitoringblatt 2 (Wissenserwerb) mit fiktivem Beispiel
Gef
ühle
-Ers
taun
lich!
-Das
gur
kt m
ich
an!
- Ich
wer
dela
ngsa
m m
üde!
=>
Pau
se!
25© PY.Martin 1999
© PY.Martin 1999 26
sondern, den Lernprozess begleiten und kontrollieren. Einerseits soll der Schüler von Zeitzu Zeit kontrollieren, welche Ziele und Strategien er bearbeitet hat (die "erledigten" Punktekönnen in der mittleren Spalte abgehackt werden). Andererseits sollen auftretende inhaltlicheund methodische Probleme festgehalten werden ("Problemspalte"). Für diese wird jeweilsfortwährend eine Lösung gesucht. Als Resultat dieser Suche werden die Strategien und Me-thoden angepasst (linke Spalte wird ergänzt). Wenn nötig werden auch die Ziele umformuliert.Auf diese Weise soll dem Schüler bewusst werden, wie ein plangesteuerter Lernprozess funk-tioniert. Die "Gefühlsspalte" soll der emotionalenSelbstreflexion dienen. Der Schüler soll dortrelativ frei eintragen, was das Thema und der Lernprozess bei ihm auslöst. Auch dort sollendas Bewusstmachen von Schwierigkeiten gleich zu einem Lösungsansatz führen (siehe dazuauch Blatt 2 (Abb. 6b)). Auf eine separate Spalte habe ich aus Platzgründen aber verzichtet.Monitoringblatt 2 (Abb. 6b) ist das eigentliche Arbeitsblatt. Das neu erarbeitet Wissenwird hier summarisch festgehalten ("Neues Wissen", linke Spalte oben)5. Auch hier sollenProbleme und Gefühle im Zusammenhang mit der Arbeit in der Montoringspalte festgehaltenwerden. Wichtig ist aber, dass die methodischen Probleme auf das Planungsblatt übertragenwerden und dort gleich nach Lösungen gesucht wird. Inhaltliche Bemerkungen oder Idee, diedem Schüler während der Arbeit in den Sinn kommen, können im "Bemerkungs- und Ideen-feld" notiert werden. Dieses Feld erlaubt es dem Schüler, kreative Verknüpfungen herzustel-len. Diese helfen, das Wissen besser zu verankern und können Ausgangspunkt für weiteresLernen und Forschen sein. Das "Kontrollfeld" stellt sicher, dass der Schüler von Zeit zu Zeitein Auge auf das Planungsblatt wirft und so nicht von seinen Zielen abweicht. Ausserdem sollhier der verbleibende "Weg zum Ziel" abgeschätzt und weiter geplant werden. Ist die Arbeitnoch nicht beendet, nimmt der Schüler das nächste Blatt (vom Typ "Wissenserwerb") usw.
Dieses System gewährleistet eine umfassende metakognitive Planung und Kontrolle desLernprozesses. Weiter bilden die Blätter eine strukturierte und somit ergiebige Grundlage fürdie Evaluation des Prozesses (siehe nächstes Kapitel). Diesen Vorteilen steht die relativ gro-sse Komplexität des Systems gegenüber. Wird es aber schrittweise eingeführt und von zahl-reichen praktischen Beispielen begleitet, sind die Schüler meiner Meinung nach gegen Endeder Primarschule durchaus in der Lage, ein solches Instrument mit Gewinn zu verwenden.Faktisch ist es meistens so, dass präzis vorstrukturierte Unterlagen einfacher zu verwendensind als offene, unstrukturierte. Voraussetzung ist aber, das die einzelnen Begriffe und Dimen-sion verstanden werden. Beim Thema "Planung" muss zum Beispiel vor allem das Setzen vonZielen geübt werden. Weiter wird es für die Schüler am Anfang vermutlich etwas schwierigsein, diese Planung während des Lern- oder Arbeitsprozesses stets im Hinterkopf präsent zuhaben und beim Wahrnehmen eines Problems die Planung auch anzupassen (was unter an-derem ein recht virtuoses "Pendeln" zwischen den Ebenen erfordert). Anfänglich wird die Zeit,die der Schüler für das Ausfüllen der Blätter verwendet, sicherlich einen wichtigen Teil dergesamten Lernzeit ausmachen. Mit anderen Worten wird sich der Schüler unter Umständenmehr mit dem Erlernen metakognitiver Methoden und Techniken beschäftigen, als mit demThema selbst. Diese Zeit ist aber sicher nicht verloren, da gerade hier das "selbstständig ler-
5 Für ausführliche Notizen oder grössere Zeichnung können Beiblätter verwendet werden.
© PY.Martin 1999 27
nen lernen" konkret geübt wird. Es ist aber sicherlich nicht sinnvoll, die Schüler zu zwingen,ein solch aufwendiges System immer einzusetzen. Von Zeit zu Zeit sollte es aber doch vorge-schrieben werden, in der Hoffnung, dass die Grundelemente mit der Zeit verinnerlicht undselbstständig, d.h. ohne Vorlage, benützt werden.Die praktische Erprobung des Instrumentes in der Schule steht noch aus. Erst sie könnte er-härtete Aussagen über die Vor- und Nachteile der "Monitoringblätter" erlauben und die Rich-tung weisen für Anpassungen und Weiterentwicklungen.
5.6.4. Der Arbeitsrückblick (Evaluation)
Die "alte" Forderung nach mehr Nachbearbeitung erhält aus einer metakognitiven Perspektiveneues Gewicht. Tatsächlich ist der Schritt des Nachdenken über das, was man gemacht hat(und wie man es gemacht hat) aus metakognitiver Sicht genauso wichtig wie eine bewusstePlanung und ein selbstständiges Prozessmonitoring. Tatsächlich ist es so, dass in dieser Pha-se Arbeitsprozesse (und inhaltliche Resultate) aus einer überblickenden Distanz betrachtetwerden können. Diese Distanz kann man während des Prozesses nicht haben, da man zusehr "in der Sache verfangen" ist. Die Evaluation ist in diesem Sinn auch der Moment, in demman Strategien vergleichen und weiterentwickeln kann.Mit Vorteil macht man solche "entwickelnde Evaluation" zusammen mit Anderen. Man kannso von den Erfahrungen der Anderen profitieren und gemeinsam an besseren Lösungen undStrategien arbeiten. Die Lernkonferenz (siehe Kapitel 5.6.3.) ist deshalb ein ideales Gefäss füreine solche Evaluation. Es ist aber wichtig, dass dafür alle Schüler ähnliche Voraussetzungenhaben (d. h. an einer ähnlichen Aufgabe gearbeitet haben) und dass sie sich schon selbst-ständig oder in kleinen Gruppen (z.B. mit ihrem Lernpartner, siehe 5.6.4.) Gedanken über ih-ren Lernprozess gemacht haben. Die Monitoringblätter bieten dafür ein ideal Grundlage, weilsie viele konkrete Informationen enthalten. Die Rolle des Lehrers ist dabei folgende: (1) Erstellt konkrete Fragen, die das Thema einengen (z.B. "Wo hattest du bei dieser Aufgabe Pro-bleme?", "Was hast du getan, um diese Probleme zu beheben?"; "Welche Strategie hast dubei der Planung ausgewählt? Welche haben sich bewährt, welche nicht?"). (2) Er moderiertdas Gespräch und lenkt es in eine konstruktive Richtung. Das Ziel kann z.B. sein, dass ineffi-ziente Lernstrategien in effizienterer umgeformt werden. (3) Er sorgt dafür, dass die erarbei-teten neuen Erkenntnisse gesichert werden (z.B. durch schriftliches Festhalten und Ergän-zen/Ändern der Unterlagen im "Lernordner").Neben dieser Evaluation in der Lernkonferenz empfiehlt es sich für einen Lehrer aber auch,von Zeit zu Zeit individuell mit den Schülern über deren Erfahrungen und Probleme währendeines Lernprozesses zu diskutieren. Diese ist insbesondere bei Schülern wichtig, die Mühehaben mit dem abstrakten, metakognitiven Denken und die deshalb in einer Plenumsdiskussi-on nicht immer mitkommen.
© PY.Martin 1999 28
6. Ergänzende organisatorische Bemerkungen
Obwohl der Lernplan dies nicht explizit vorsieht, macht es gestützt auf den Überlegungen die-ser Arbeit Sinn, eine Stunden pro Woche für das Vermitteln von Lernwissen und Strategien zuverwenden (Lehrerinput) und eine zweite Stunde für die Lernkonferenz (Verarbeitung derSchülererfahrungen) einzuplanen. Diese beiden Stunden können z.B. als M&U-Stunden dekla-riert werden. Daneben sollte es für den Schüler aber auch während der restlichen Unterrichts-zeit zur Gewohnheit werden, sein Lernen bewusst zu planen, zu kontrollieren und auszuwer-ten. Wie in Kapitel 5.2. ausgeführt sind dafür die nötigen Freiräume zu schaffen. Insbesonderesollen die Schüler die Gelegenheit haben, immer grössere Lernabschnitte selber zu planenund auszuführen.Was das "Einstiegsalter" betrifft, so kann hier nur wiederholt werden, dass mit der Methodedes individualisierten Lernens schon früh begonnen werden kann, wenn man die Inhalte ent-sprechend anpasst und mehr Zeit für das Einführen und Üben einsetzt. Ab Beginn der Mittel-stufe muss aber meiner Meinung nach damit begonnen werden, um eine gute Verankerungbeim Schüler sicherzustellen.
7. Schlusswort
Erfolgreiches selbstständiges Lernen beinhaltet gezwungenermassen metakognitive Elemen-te. Nur ein bewusstes, reflektiertes Lernen ermöglicht es dem Menschen, sich effizient undschnell an neue Situation anzupassen und Entwicklungen mitzubestimmen. Gerade dieseletzte Komponente wird in der Welt von morgen von entscheidender Bedeutung sein. Wer inder Lage ist, grössere Zusammenhängen zu erkennen, kreativ zu denken und sich neue Kom-petenzen selbstständig anzueignen, dem wird die Zukunft zahlreiche Chancen und Möglich-keiten eröffnen. Die Anderen werden hingegen immer nur vom Strom mitgerissen und laufendauernd Gefahr, auf einem gesellschaftliches Abstellgleis zu landen. Es ist deshalb unserePflicht als Lehrer, unser Möglichstes dazu beizutragen, dass unsere Schüler zu selbstständi-gen, effizienten und begeisterten Denkern und Lernern werden.Die Schwierigkeiten beginnen wie immer bei der Umsetzung solcher globaler "Glaubensbe-kenntnisse". Die vorliegende Arbeit hatte sich deshalb zum Ziel gesetzt, ein zentralen Elementdes "Lernen lernens" auszuleuchten und in konkrete Handlungsstrategien und -Instrumenteumzusetzen. Da dieser Teil bis jetzt in der Forschung eher vernachlässigt wurde, war hier ei-niges an Eigenentwicklung nötig. Der nächste Schritt ist nun die praktische Erprobung dervorgeschlagenen Organisation und Instrumente. Diese Arbeit hat dafür den Grundstein gelegt.Aufbauend auf den praktischen Erfahrungen wird in Zukunft hoffentlich ein Prozess der Diffe-renzierung und Weiterentwicklung der hier und anderweitig erarbeiteten metakognitiven Ele-mente in Gang kommen.
© PY.Martin 1999 29
8. Literaturverzeichnis
Ackermann, E. (1992). Mit Kindern Schule machen. Zürich: Verlag Lehrer(innen) Schweiz.
Bischof, N. (1989). Das Rätsel Ödipus. München: Piper.
Edelmann, W. (1996). Lernpsychologie. Weinheim: Psychologische Verlags Union.
Erhard, T. (1995). Metakognition im Unterricht. Frankfurt a. M.: Lang.
Guldimann, T. (1996). Eigenständiger lernen. Bern: Haupt.
Guldimann. T. Förderung eigenständiger Lernerinnen und Lerner [Online]. Available:http://www.ph-weingarten.de/telereg/fachbeitraege/eigenstaendiges lernen/ eigenstaendi-ges lernen.html [Stand 5.15.99].
Gutscher H. & Hornung R. (1994). Gesundheitspsychologie: Die sozialpsychologische Per-spektive. In P. Schwenkmezger & P. Schmidt (Hrsg.), Lehrbuch der Gesundheitspsycho-logie (S. 65-87). Stuttgart: Enke.
Konrad, K. (1997). Lernen eigenständig reflektieren, überwachen und kontrollieren. Landau:Verlag Empirische Pädagogik.
Martin, P.Y. (1998). Grundlagen und Regeln für ein effizientes Lernen und Lehren. Unveröf-fentlichte Abschlussarbeit in allgemeiner Didaktik. SPG Zürich.
Microsoft (1998). Encarta Enzyklopädie Plus 99 [CD-Rom].
Rogers, C. (1979). Lernen in Freiheit. Münster: Kösel.
Schöll, G. (1997). Fördern der Aufmerksamkeit in der Grundschule. Münster: Waxmann.
Schunk, D. H., Zimmermann, B. J. (199?). Selfregulation of learning and performance. Hills-dale: Erlbaum.
Wortmann, C. B. & Brehm, J.W. (1975). Responses to uncontrollable outcomes: An integrationof reactance theory and the learned helplessness model. In: Berkowitz, L.E. (Ed.): Advan-ces in experimental social psychology, Vol. 8. (pp. 277-336). New York: Academic Press.
Them
a:
1. W
as w
eiss
ich
scho
n zu
m T
hem
a (V
orw
isse
n)
2. H
aupt
ziel
(e) m
eine
r Arb
eit (
plus
wei
tere
Zie
le)
3. W
ie e
rrei
che
ich
mei
n Zi
el(e
) (St
rate
gie
und
Met
hode
n)?
Wie
so m
ache
ich
es s
o (B
egrü
ndun
g)?
Prob
lem
e (L
ösun
gsvo
rsch
läge
links
ein
trage
n!)
Gef
ühle
bei d
er A
rbei
t
"Mon
itorin
gspa
lte"
© PY.Martin 1999
5.N
eues
Wis
sen
(hie
r nur
Zus
amm
enfa
ssun
g no
tiere
n)
6.B
emer
kung
und
Idee
n (r
und
um d
as T
hem
a)
7.K
ontr
ollfr
agen
- Bin
ich
noch
bei
m T
hem
a (s
iehe
Zie
le)?
- Was
fehl
t mir
noch
, um
mei
n Zi
el z
u er
reic
ht?
Prob
lem
e (a
uf P
lanu
ngs-
blat
t übe
rtrag
en!)
Gef
ühle
© PY.Martin 1999