münchen, 1994, s. 157-161 hermeneutik 157...

5
157 Hermeneutik 2. Methodenprobleme: Seit den 50er Jahren hat in erster Linie der aus der Psychologie stammende Behaviorismus die sozialwissenschaftliche Analyse sozialen Handelns bestimmt. Die Anwendung naturwissenschaft licher Methoden, die Orientierung an Gesetzen für nomologische Erklä rungen, abstrakte Modelle und die beobachtende Distanz der Forscher stehen dabei im Vordergrund. Seit Weber (1956), Mead und Schütz (1974) gab es aber immer auch eine sozialwissenschaftliche Methodologie, die sich am interpretativen Paradigma (Wilson 1973) orientiert. Die in der sozial wissenschaftlichen Hermeneutik entwickelten Verfahren und Techniken orientieren sich an Induktion, lebensweltlicher Authentizität und an Teil nahme (Soeffner 1989). y Behavioralismus; Entscheidungstheorie; Erklärung; Hermeneutik; Lebensweltana lyse; Phänomenologie/Phänomenologische Methode. Literatur: Habermas, J. 1981: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2, Frank furt/M. Kempski,]. von 1964: Brechungen, Reinbek. Lenk, H. (Hrsg.) 197780: Hand lungstheorien interdisziplinär, Bde. 14, München. Luhmann, N. 1981: Soziologische Aufklärung III., Soziales System, Gesellschaft, Organisation, Opladen. Maturana, H. 1982: Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit, Braunschweig/ Wiesbaden 1982. Mead, G.H. 1934: Mind, Seif and Society, Chicago. Miller, G.A. u.a. i960: Plans and the Structure of Behavior, New York. Parsons, T./Sbils, E.A. 1951: Toward a General Theory of Action, Cambridge, Mass. Schütz, A. 1974: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, Frankfurt/M. Schütz, A.lLuckmann, T. 1979: Strukturen der Lebenswelt, Bd. 1, Frankfurt/M. Skinner, B.F. 1953: Science and Human Behavior, New York. Soeffner, H.-G. 1989: Auslegung des Alltags Der Alltag der Auslegung, Frank furt/M. Weber, M. 1956: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen. Wilson, Th.P. 197}: Theorien der Interaktion und Modelle soziologischer Erklärungen, in: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklich keit, Bd. 1, Reinbek, 5479. Ulrich Klöti Hermeneutik Das Wort «Hermeneutik» (H.) ist ein im 17. Jh. gebildeter Fachausdruck, Abkürzung von griech. «egfj.rjV£VTLxf] xex vr l (lat.: ars interpretandi). In allgemeinster Bedeutung bezeichnet das Wort die Kunst, jemandem die Bedeutung oder den Sinn von etwas auszulegen (eg/J.riV£veLV = verkünden, dolmetschen, auslegen; lat.: interpretare), wobei diese Kunst ebensogut in schlichtem Können bestehen wie mehr oder weniger reflektiert ausgeübt sein mag. Die reflektiert ausgeübte Kunst kann eine «Handwerkslehre» einschließen, und als solche mag die H. darauf ausgehen zu sagen, wie man das Auslegen anzustellen hat, damit es gelingt; sie kann aber auch bloß sagen wollen, was Auslegen entgegen oberflächlichen, irrigen Mei nungen in Wahrheit ist. Der Bereich dessen, worauf sich eine so oder so ausgeübte hermeneutische (h.) Kunst erstreckt, kann dabei alles umfassen, Originalveröffentlichung in: Kriz, Jürgen u.a. (Hrsg.): Politikwissenschaftliche Methoden. München, 1994, S. 157-161

Upload: others

Post on 19-Oct-2020

2 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: München, 1994, S. 157-161 Hermeneutik 157 2.archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/16463/1/Fulda_Hermeneuti… · Historische Methode Als historische Methode (h. M.) wird nach

157 Hermeneutik

2. M e t h o d e n p r o b l e m e : Seit den 50er J ah ren ha t in ers ter Linie der aus der Psychologie s t a m m e n d e Behavior i smus die sozia lwissenschaf t l iche Analyse sozialen H a n d e l n s bes t immt . D ie A n w e n d u n g na tu rwis senscha f t ­licher M e t h o d e n , die O r i e n t i e r u n g an Gese tzen f ü r nomolog i sche Erk lä ­rungen , abs t rakte Model le u n d die beobach tende D i s t a n z der Forscher s tehen dabei im Vorde rg rund . Seit Weber (1956), Mead u n d Schütz (1974) gab es aber i m m e r auch eine sozia lwissenschaf t l iche Me thodo log i e , die sich am interpre ta t iven Parad igma (Wilson 1973) or ient ier t . D i e in der sozial­wissenschaf t l ichen H e r m e n e u t i k en twickel ten Verfahren u n d Techniken or ient ieren sich an I n d u k t i o n , lebenswel t l icher Au then t i z i t ä t u n d an Teil­n a h m e (Soeffner 1989).

y Behavioralismus; Entscheidungstheorie; Erklärung; Hermeneut ik ; Lebensweltana­lyse; Phänomenologie/Phänomenologische Methode.

Literatur: Habermas, J. 1981: Theorie des kommunikat iven Handelns , Bd. 2, Frank­fu r t /M. Kempski,]. von 1964: Brechungen, Reinbek. Lenk, H. (Hrsg.) 1977­80: H a n d ­lungstheorien ­ interdisziplinär, Bde. 1­4, München. Luhmann, N. 1981: Soziologische Aufklärung III., Soziales System, Gesellschaft, Organisation, Opladen. Maturana, H. 1982: Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit, Braunschweig/ Wiesbaden 1982. Mead, G.H. 1934: Mind, Seif and Society, Chicago. Miller, G.A. u .a . i960: Plans and the Structure of Behavior, N e w York. Parsons, T./Sbils, E.A. 1951: Toward a General Theory of Action, Cambridge, Mass. Schütz, A. 1974: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, Frankfur t /M. Schütz, A.lLuckmann, T. 1979: Strukturen der Lebenswelt, Bd. 1, Frankfur t /M. Skinner, B.F. 1953: Science and H u m a n Behavior, N e w York. Soeffner, H.-G. 1989: Auslegung des Alltags ­ Der Alltag der Auslegung, Frank­fur t /M. Weber, M. 1956: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen. Wilson, Th.P. 197}: Theorien der Interaktion und Modelle soziologischer Erklärungen, in: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklich­keit, Bd. 1, Reinbek, 54­79.

Ulrich Klöti

Hermeneutik

Das Wor t « H e r m e n e u t i k » (H. ) ist ein im 17. Jh . gebi ldeter Fachausdruck , A b k ü r z u n g v o n gr iech. «egfj.rjV£VTLxf] xexvrl (lat.: ars interpretandi). In allgemeinster Bedeu tung beze ichnet das W o r t die Kuns t , j e m a n d e m die Bedeu tung oder den Sinn v o n etwas auszulegen (eg/J.riV£veLV = v e r k ü n d e n , do lmetschen , auslegen; lat.: interpretare), w o b e i diese K u n s t ebensogu t in schlichtem K ö n n e n bes tehen wie m e h r ode r weniger ref lekt ier t ausgeübt sein mag. Die ref lekt ier t ausgeübte K u n s t k a n n eine « H a n d w e r k s l e h r e » einschließen, u n d als solche mag die H . darauf ausgehen zu sagen, wie man das Auslegen anzustel len hat , dami t es gelingt; sie k a n n aber auch b loß sagen wol len , was Auslegen entgegen oberf lächl ichen, i rr igen Mei ­nungen in Wahrhei t ist. D e r Bereich dessen, worau f sich eine so ode r so ausgeübte he rmeneut i sche (h.) K u n s t ers t reckt , k a n n dabei alles umfassen ,

Originalveröffentlichung in: Kriz, Jürgen u.a. (Hrsg.): Politikwissenschaftliche Methoden. München, 1994, S. 157-161

Page 2: München, 1994, S. 157-161 Hermeneutik 157 2.archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/16463/1/Fulda_Hermeneuti… · Historische Methode Als historische Methode (h. M.) wird nach

Hermeneu t ik 158

was f ü r jemanden einen Sinn oder eine Bedeutung hat, wenn es fü r den Bet ref fenden nur im Hinbl ick auf seinen Sinn bzw. seine Bedeutung der kuns tgerechten D e u t u n g bedarf , sich also nicht von selbst versteht. O b ­jekte der Betät igung h. Kuns t müssen daher nicht sprachliche oder andere menschliche Äußerungen sein. Sie können auch in sonstigen Gestalten, Ereignissen oder Zus tänden bestehen, die in irgendeiner Weise fü r jeman­den Zeichen sind oder einen wie auch immer eigens zu erschließenden Sinn haben.

1. Z u r Geschichte der He rmeneu t ik : Ausgebildet hat sich H . naheliegen­derweise an Gegenständen, die besonders eindringlich zur Deu tung her­ausfordern , weil sie versprechen, etwas zu erkennen zu geben, das einzig­artig wichtig, aber schwer verständlich oder leicht mißzuvers tehen ist. Exemplar isch ist das v o m Willen Got tes bzw. der Göt te r zu sagen. (Her­mes ist der Göt t e rbo te , der diesen Willen den Sterblichen in der ihnen eigenen Sprache übermit tel t . ) Wo, wie in der Antike, eine klassische, dau­erhaft überl ieferte D ich tung und eine Heilige Schrift existierten, kam deren rechtes Verständnis zu den vorrangigen h. Aufgaben hinzu. Die Ursp rünge der H . liegen daher in der ( jüdischen und christlichen) Theologie und in der Philologie der klassischen griechischen Poesie (Homer und Hesiod). Aus ihnen haben sich in der f rühen Neuze i t (Humanismus , Reformat ion) bereichsspezifische, phi lologisch­ und theologisch­hermeneut ische Kunst ­lehren entwickelt , während die Rezept ion des römischen Rechts gleichzei­tig eine juristische H . entstehen ließ. In all diesen Diszipl inen war das h. Geschäf t festgelegt auf das Interpret ieren historisch überlieferter Texte.

De r Gehal t solcher Texte beanspruchte lange eine normative, fü r alles Meinen und Verstehen im betreffenden Bereich maßgebliche Bedeutung, und die A u s ü b u n g h. Kuns t bestand nicht zuletzt darin, die auszulegenden Texte auf eine aktuelle Situation immer wieder neu anzuwenden . Mit der Aufk l ä rung und der weiteren Ausb i ldung des historischen Bewußtseins sowie des neuzeit l ichen Wissenschaftsverständnisses traten diese Züge f rühneuzei t l icher H . jedoch in den Hin t e rg rund zugunsten von Tenden­zen, die auf möglichst allgemein formul ier te Me thoden der Auslegung von Texten gerichtet waren. Aber erst Fr. Schleiermacher hat die H . völlig von inhaltl ichen normat iven Voraussetzungen abzulösen und zu einer allen be­reichsspezifischen Kunst lehren vorgeordneten, allgemeinen Methoden­lehre des Verstehens f r emder sprachlicher Äußerungen zu machen ver­sucht. Angeregt hiervon woll te dann W. Dilthey mi t dem Programm einer Psychologie, die z u m Nacher leben fremdseelischer Äußerungen verhelfen und dadurch deren Verstehen sichern sollte, die historischen Geisteswis­senschaften methodologisch fundieren . Ein K o m p e n d i u m der damit auf den "Weg gebrachten, als allgemeine geisteswissenschaftliche Methoden­lehre konzip ier ten H . hat u m die Mitte unseres Jahrhunder t s E. Betti (1967) verfaßt .

Page 3: München, 1994, S. 157-161 Hermeneutik 157 2.archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/16463/1/Fulda_Hermeneuti… · Historische Methode Als historische Methode (h. M.) wird nach

i59 He rmeneu t ik

Sich radikal abkehrend von aller Methodologie und v o m Verstehen als Nachbi lden f remden Seelenlebens im eigenen hatte M. Heidegger inzwi ­schen eine h. Phi losophie geschaffen, die das auslegende Verstehen nicht mehr auf sprachliche Äuße rungen beschränkte. «Sein und Zeit» (1927) thematisierte Verstehen vielmehr als G r u n d s t r u k t u r des menschl ichen D a ­seins, das sich auf Möglichkei ten seines In­der­Welt­Seins hin entwirf t , in der Ausbi ldung solchen Verstehens aber stets einem Vorverständnis un te r ­wor fen bleibt (§ 31 f.); und der spätere Heidegger dachte sich den Vollzug, den dieses Vorverständnis als ein Seinsverständnis in G r u n d w o r t e n unserer Sprache hat, einem schicksalhaften «Wahrheitsgeschehen» einbegriffen, in dem sich «Entbergung» und «Verbergung» unlösbar durchdr ingen . Ge­prägt von diesem seinsgeschichtlichen D e n k e n hat es dann H.-G. Gadamer ( i960) in «Wahrheit und Methode» u n t e r n o m m e n , die historischen Gei­steswissenschaften über St rukturen einer h. E r f ah rung zu verständigen, die vom methodologischen Selbstbewußtsein dieser Wissenschaften un te r des­sen Oberf läche verborgen gehalten werden . Kennze ichnend f ü r diese Strukturen sind nach Gadamer (1) die durch u n d durch sprachliche Ver­faßtheit unserer Weltorientierung, welche die Dimens ion der H e r m e n e u t i k universal und deren Anspruch ontologisch werden läßt; (2) eine Vorurteils­abhängigkeit allen Verstehens, die den Zei tenabstand zwischen In terpre t und zu In terpre t ierendem h. p roduk t iv macht und dafür spricht, sowohl die Unumgängl ichkei t inhaltlicher normat iver Voraussetzungen des h. Ge­schäfts als auch die Un t rennbarke i t von Verstehen und Appl ika t ion wie­deranzuerkennen; (3) ein Verstehen, das nicht so sehr H a n d l u n g einer e rkennenden Subjektivität ist als «Einrücken in ein Uber l ieferungsgesche­hen», in dem der H o r i z o n t der Gegenwar t mit demjenigen einer Vergan­genheit verschmilzt und sich die Vergangenheit mi t der Gegenwar t so ver­mittelt, daß die «Wirkungsgeschichte» überl ieferter Wahrheitsgehalte dabei ihre unwiderstehl iche Macht erweist.

2. He rmeneu t ik in den Sozialwissenschaften: Keiner der e rwähnten Mark ­steine, welche die H . im Lauf ihrer bisherigen Geschichte passiert hat, gäbe Anlaß, ihr einen mehr als marginalen Platz im R a h m e n einer A u s k u n f t über poli t ikwissenschaftl iche Me thoden e inzuräumen, hätte nicht / . Ha­bermas (1967) in einer umfangreichen, krit ischen Abhand lung («Zur Logik der Sozialwissenschaften») den Ansa tz diskutiert , den die phi losophische H . Gadamers fü r die Selbstreflexion der empirisch­analyt ischen H a n d ­lungswissenschaften im Hinbl ick auf das in diesen Wissenschaften stat t f in­dende und zu erforschende Sinnverstehen bietet, und wäre er dabei nicht zu dem Ergebnis gekommen, daß sich bei diesem Ansa tz eine überzeu­gende Beurteilung des Zusammenhangs ergibt, in dem sich der sinnverste­hende Sozialwissenschaftler mit seinen Ob jek ten , den zu vers tehenden Hand lungen und ihren P roduk ten sowie Akteuren , bef indet ­ eine Beur­teilung zumal, die sowohl der entsprechenden im Ansatz soz ia lphänome­

Page 4: München, 1994, S. 157-161 Hermeneutik 157 2.archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/16463/1/Fulda_Hermeneuti… · Historische Methode Als historische Methode (h. M.) wird nach

Hermeneutik 160

nologischer Lebensweltforschung (A. Schütz u.a.) als auch derjenigen der sprachanalytisch orientierten Soziologie (P. Winch) sowie der Linguistik (N. Chomsky u. a.) überlegen und für eine ideologiekritische Modifikation nach dem Modell der Psychoanalyse offen ist. Von besonderer sozialwis­senschaftlicher Relevanz erscheint dabei charakteristischerweise nicht eine H., die sich als Methodenlehre versteht, sondern eine, die geeignet ist, den Sozialwissenschaften in der Reflexion auf grundlegende Voraussetzungen ihrer Forschung eine orientierende Perspektive zu geben. Vor allem in der Kritik am Objektivismus der Geisteswissenschaften, der den wirkungsge­schichtlichen Zusammenhang des Forschers mit seinem Gegenstand ver­deckt, stimmt Habermas Gadamer emphatisch zu. Den eigentlichen Ertrag dieser Kritik sieht er in dem Nachweis, daß h. Verstehen notwendig auf die Artikulierung eines handlungsorientierenden Selbstverständnisses bezogen ist (vgl. Habermas 196-/: 168). Dieses Verstehen ist «seiner Struktur nach darauf angelegt, aus Traditionen ein mögliches handlungsorientierendes Selbstverständnis sozialer Gruppen zu klären» (ebd.: 170); es «ermöglicht eine Form des Konsensus, von dem kommunikatives Handeln abhängt» (ebd.). Gegen Gadamer aber macht Habermas geltend, daß der Anspruch der Kunst eines solchen Verstehens entweder in den Wissenschaften wirk­sam ist oder gar nicht (ebd.: 173). Entsprechende h. Verfahrensweisen sollen unumgänglich sein, sobald Forschungsdaten auf der Ebene kommu­nikativer Erfahrungen gesammelt werden und ein kategorialer Rahmen (ein «Schema der Weltauffassung») für die Forschung nicht blind übernom­men, sondern reflektiert gewählt werden möchte. Worin aber ­ außer in einer jeweiligen Applikation des allgemeinen Gedankens der «Horizont­verschmelzung» ­ sollen solche Verfahrensweisen des näheren bestehen? Einige Schritte in Beantwortung dieser Fragen hat Habermas (1981: 152­203) in seiner «Theorie des kommunikativen Handelns» unternom­men.

Wichtig wird das Thema der H. auch hier durch die Problematik des Sinnverstehens in den Sozialwissenschaften; und seine Berücksichtigung erfolgt wiederum, indem die Sicht der phänomenologischen sowie ethno­methodologischen Schule der verstehenden Soziologie ergänzt wird. Spezi­fisch für die Ergänzung ist, daß durch h. Verfahren Brüche im Sinnkonti­nuum, die das Verstehen behindern, identifiziert werden sollen ­ aber nicht nur, um beschrieben und erklärt zu werden (soweit sie im Gegenstand der Forschung bestehen), sondern auch (soweit sie den Forscher zunächst von seinem Gegenstand trennen) zu dem Zweck, durch Aufdeckung gemein­schaftlicher Voraussetzungen der Rationalität kommunikativen Handelns überwunden zu werden und die Forschung auf Ideologiekritik auszurich­ten. An der Relevanz einer so verstandenen H. hat die Politikwissenschaft daher nicht nur Anteil im Kontext neuerer, gegen den Behavioralismus gerichteter Tendenzen ihrer Rehistorisierung. Mindestens ebensosehr ist sie überall dort auf H. verwiesen, wo sie sich in der methodologischen

Page 5: München, 1994, S. 157-161 Hermeneutik 157 2.archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/16463/1/Fulda_Hermeneuti… · Historische Methode Als historische Methode (h. M.) wird nach

I 6 I Historische Methode

Perspektive der interpretat iven Soziologie bewegt oder gar sich dialektisch­kritisch orientiert .

A k t i o n s f o r s c h u n g ; B e h a v i o r a l i s m u s ; D i a l e k t i k ; E r k e n n t n i s i n t e r e s s e in d e r P o l i t i k ­w i s s e n s c h a f t ; E r k l ä r u n g ; E t h n o m e t h o d o l o g i e ; D i s k u r s a n a l y s e ; G e i s t e s w i s s e n s c h a f t e n ; G e s c h i c h t s t h e o r i e ; H i s t o r i s c h e M e t h o d e ; I d e o l o g i e / I d e o l o g i e k r i t i k ; L e b e n s w e l t a n a l y s e ; O b j e k t i v i t ä t / P a r t e i l i c h k e i t ; P a r a d i g m a ; P h ä n o m e n o l o g i e / P h ä n o m e n o l o g i s c h e M e t h o d e ; Q u a l i t a t i v e M e t h o d e n ; S o z i a l w i s s e n s c h a f t e n ; T h e o r i e u n d M e t h o d e .

L i t e r a t u r : Betü, E. 1967: A l l g e m e i n e A u s l e g u n g s l e h r e als M e t h o d i k d e r G e i s t e s w i s s e n ­s c h a f t e n , T ü b i n g e n (i tal . z u e r s t 1955). Dilthey, W. 1917: D e r A u f b a u d e r g e s c h i c h t l i c h e n W e l t in d e n G e i s t e s w i s s e n s c h a f t e n , in : G e s a m m e l t e S c h r i f t e n , B d . V I I , L e i p z i g / B e r l i n . Gadamer, H.­G. i960: W a h r h e i t u n d M e t h o d e , T ü b i n g e n . Habermas, J. 196­/: Z u r L o g i k d e r S o z i a l w i s s e n s c h a f t e n , F r a n k f u r t / M . Habermas, J. 1981: T h e o r i e d e s k o m m u n i k a t i ­v e n H a n d e l n s , 2 B d e . , F r a n k f u r t / M ­ Heidegger, M. 1927: Se in u n d Z e i t , T ü b i n g e n . Ricceur, P. 1973: H e r m e n e u t i k u n d S t r u k t u r a l i s m u s , M ü n c h e n ( f r z . z u e r s t 1969) . Ri­cceur, P. 1974: H e r m e n e u t i k u n d P s y c h o a n a l y s e , M ü n c h e n ( f r z . z u e r s t 1969) . Schleier­macher, Fr. 1959: H e r m e n e u t i k . H r s g . v o n H. Kimmerle. H e i d e l b e r g .

Hans F. Fulda

His to r i sche M e t h o d e

Als historische Me thode (h. M.) wi rd nach vorher r schendem Verständnis das in der ersten Häl f te des i9 . Jh . s maßgeblich in Deutschland (B.G. Niebuhr, L. von Ranke) entwickelte klassische Verfahren der historist ischen Geschichtswissenschaft bezeichnet, anhand eines Ensembles der Heur is t ik , Kritik, Interpretat ion und Darstel lung aus der Über l ie fe rung (den Quel len) historische Erkenntn is zu gewinnen. Ihre kanonische Beschreibung geht auf J. G. Droysen zu rück (1857); eine stärker praxisorientierte Version legte E. Bernheim vor ( ' 1880, 71912). Die nachhistorist ische Geschichtswissenschaft kennt demgegenüber keine singuläre h. M. mehr , sondern zeichnet sich durch einen Methodenplura l i smus aus, der auch den historischen Interessen der Poli t ikwissenschaft besser entspricht . Die historistische Geschichtswis­senschaft war v. a. politisch­ereignisgeschichtlich, ideengeschichtlich und individualbiographisch interessiert, werte te hauptsächlich Textquellen (Ur­kunden , Akten , Publizistik, Selbstzeugnisse) aus und setzte im Hinbl ick auf ihre Leis tungskraf t vornehmlich auf die Geniali tät ihrer großen Repräsen­tanten. Deshalb weist die von ihr entwickelte h. M. einerseits stark idealisti­sche und subjektivistische Züge auf, die in der modernen wissenschaf ts theo­retischen Diskussion höchst problematisch geworden sind. Anderersei ts hat diese h. M. sich in der Er fo rschung der polit ischen Ereignis­ und Ideenge­schichte sowie in der historischen Biographie als so f ruch tba r erwiesen, daß manche His tor iker in modif iz ier ter Form bis heute an ihr festhalten (neo­historistische Geschichtswissenschaft .)

1. Grundsätz l ich umfaß t die h. M. drei Arbeitsschri t te oder ­ k o m p o ­