modul b: wer trÄgt die verantwortung? · rundgangs werden die aufgeführten fragen im plenum...
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M O D U L B :W E R T R Ä G T D I E V E R A N T W O R T U N G ?
Unterrichtseinheiten zur Frage der Verantwortung in globalen Wertschöpfungsketten
H O L Z
Dr. Jürgen Meyer StiftungKaiser-Wilhelm-Ring 27 – 29
50672 Köln
www.Juergen-Meyer-Stiftung.de
Hamburger Stiftung für WirtschaftsethikMax-Brauer-Allee 22
22765 Hamburg
Telefon +49 (0)40 8 78 79 05-70
www.stiftung-wirtschaftsethik.de
Autorinnen: Silke Stahn & Lisa Probst (Konzept),
Simone Meinke (Thema Holz)
Gestaltung: IconScreen.de
Schrift: Open Sans/Open Sans Condensed,
Google Fonts, Designer: Steve Matteson,
Apache License 2.0
März 2019
Herausgeber:
2 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
L E R N Z I E L E U N D K O M P E T E N Z E N
Die gesamte Lernentwicklung soll im Bereich der morali-
schen und politischen Urteilsbildung stattfinden. Die da-
für nötigen Kompetenzen sind in die drei Bereiche
„Selbstkompetenz“, „Soziale Kompetenz“ und „Lernme-
thodische Kompetenz“ unterteilt, wobei viele Kompeten-
zen nicht allein einem der Bereiche zugeordnet werden
können.
Die SuS1 erkennen ein Dilemma, eine Zwangslage oder
einen Konfliktfall. Dafür benötigen sie die Fähigkeit, sich
geeignete Informationen oder Grundlagenwissen darü-
ber zu beschaffen, dieses Wissen zu analysieren und zu
strukturieren und es gegebenenfalls zielgerichtet zur Lö-
sung von Aufgaben anzuwenden oder als Orientierungs-
hilfe dafür zu verwenden.
In einem weiteren Schritt bewerten die SuS das Dilem-
ma, die Zwangslage oder den Konfliktfall, indem sie die
gesichteten Informationen und das erworbene Wissen
darüber kritisch reflektieren. Dazu benötigen sie die Fä-
higkeit, die eigenen Werte und Leitbilder überhaupt ab-
zufragen und ein eigenes Urteil daraus zu entwickeln.
Außerdem erlernen sie die Fähigkeit, die eigenen Urteile
sowie die Urteile anderer zu hinterfragen und möglicher-
weise auch zu revidieren. Dafür ist die Fähigkeit des Per-
spektivwechsels zentral. Auch lernen die SuS, das eigene
Urteil zu begründen und die Begründungen anderer zu
bewerten.
E I N F Ü H R U N GDie Sensibilisierung für moralische Probleme und die
Stärkung ethischer Diskurs- und Urteilsfähigkeit sind we-
sentliche Ziele wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher
Fächer, spielen aber in der Unterrichtspraxis oftmals nur
eine untergeordnete Rolle. Viele Lehrerinnen und Lehrer
beklagen diese geringe Relevanz der ethischen Reflexion
und Diskussion in ökonomisch-gesellschaftlichen Fä-
chern vor allem in Berufsschulen und sehen gleichzeitig
didaktische und lernpsychologische Defizite auch in der
(eigenen) Ausbildung, die durch einen Mangel an Materi-
alien und Fortbildung zusätzlich verstärkt werden.
Das vorliegende Unterrichtskonzept VIEW! Verantwor-tung in Wirtschaft setzt an dieser Stelle an: Es besteht
aus einem Grundmodul sowie weiteren branchen- bzw.
problemspezifischen Modulen und kann sofort im Un-
terricht eingesetzt werden. Lernpsychologisch baut
VIEW! auf einem (u. a. von Lind, Reinhardt und Retzmann)
weiterentwickelten Stufenmodell Kohlbergs auf und legt
seinen Schwerpunkt auf die Reflexion der Begründungen
moralischer Urteile aus unterschiedlichen Perspektiven.
Den einzelnen Themen- bzw. Branchenmodulen ist kon-
zeptionell gemein, dass sie bei der Bewertung der jewei-
ligen Problemlage stets die Sachanalyse eng mit der mo-
ralischen Urteilsbildung verknüpfen, sodass keine
isolierte Moralwertung stattfindet, sondern eine inte-
grierte Reflexion moralischer Aspekte bei ökonomischen
Problemen ermöglicht wird.
Einführung
1 SuS steht im folgenden Text für Schüler und Schülerinnen.
V I E W ! V E R A N T W O R T U N G I N W I R T S C H A F T
Ein didaktisches Konzept zur Förderung der moralischen Urteilsbildung
im politischen und ökonomischen Kontext
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 3
Einführung
Schließlich handeln2 die SuS, nachdem sie ein Dilemma
erkannt und die Situation bewertet haben, indem sie dis-
kutieren und Lösungswege erarbeiten. Sie lernen dabei,
das eigene Handeln und Verhalten als mündige Ent-
scheidung argumentativ zu vertreten. Außerdem erlan-
gen sie die Fähigkeit und Bereitschaft, zwischen verschie-
denen Handlungsweisen bewusst zu wählen und
Werte- und Interessenkonflikte im Zusammenwirken mit
anderen zu klären. Und sie üben sich darin, die direkten
und indirekten Folgen von Handlungen abzuschätzen.
In Modul A liegt der Fokus auf Erkennen und Bewerten,
in Modul B auf Bewerten und Handeln.
Die Zielgruppe sind Schüler*innen beruflicher und allge-
meinbildender Schulen (Sek. I und II).
2 Handeln ist hier im eingeschränkten Sinne gemeint: Die Lernenden handeln, indem sie etwas miteinander aus bestimmten Rollen heraus aushandeln und sich mögliche Lösungswege erarbeiten.
4 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
M O D U L B
6 L E I T F A D E N F Ü R L E H R E R I N N E N U N D L E H R E R
20 M AT E R I A L F Ü R D E N U N T E R R I C H T
21 B1 Verantwortung: Wer ist wofür, weswegen verantwortlich?
22 B2 Einführung in die Branche und den Problemfall
28 B3 Rollenkarten und Expert*innenrunde
41 B4 Hebel der Veränderung in drei Bereichen
Inhaltsverzeichnis
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 5
Leitfaden Modul B
M O D U L B :L E I T F A D E N F Ü R L E H R E R I N N E N U N D L E H R E R
Didaktische Handreichungen und Hinweise für die Vertiefung
Quellen / Recherche Vertiefung Literatur Arbeitsauftrag Recht Information
6 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
B 1 D I E F R A G E D E R V E R A N T W O R T U N G
Ein komplexer, globaler Konflikt- oder Problemfall ist Ge-
genstand des Moduls und wird einer Sachanalyse unter-
zogen, um anschließend zu einem fundierten Sach- und
Werturteil zu gelangen. Die Schüler*innen werden zur
Fragestellung des Moduls geführt:
»Wer ist verantwortlich für die Abholzung der Urwälder und damit die Zerstörung des Lebensraums sibirischer Ureinwohnerinnen
und Ureinwohner?«
Z I E L E D E R S E Q U E N Z B 1
1. Die Schülerinnen und Schüler aktivieren ihr
Vorwissen zum Konflikt- oder Problemfall.
2. Sie lernen den Begriff der Verantwortung kennen.
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Einstieg
Museumsgang: Aktivierung von Vorwissen und
Hinführung zur Fragestellung von Modul B.
Inputphase
Der Begriff Verantwortung wird durch einen
Kurzvortrag der Lehrkraft erklärt. Die SuS
bekommen dazu das Arbeitsblatt B1.
Dieses Modul ist in die folgenden Sequenzen aufgeteilt.
B1. DIE FRAGE DER VERANTWORTUNG: Einstieg in
das Thema und Input zum Begriff Verantwortung.
B2. KONFLIKT- ODER PROBLEMANALYSE: Die Se-
quenz beinhaltet einen Einführungstext/-film in den Kon-
flikt- oder Problemfall sowie die Darstellung der Wert-
schöpfungskette.
B3. DIE EXPERT*INNENRUNDE: In der
Expert*innenrunde nehmen die Schüler*innen die Pers-
pektive eines Akteurs im Konfliktfall ein und diskutieren
aus dessen Position vor einem Gremium die Vielschich-
tigkeit des Konflikts/Problems hinsichtlich der Verant-
wortung. Am Ende der Expert*innenrunde soll von allen
Akteuren ein Punkte-Plan mit möglichen Hebeln der Ver-
änderung formuliert werden. Danach verlassen die
Schüler*innen wieder ihre spezifische Akteursperspekti-
ve und reflektieren die jeweilige Argumentation und die
dahinterstehenden Werte, Prinzipien und Normen.
B4. HEBEL DER VERÄNDERUNG: In der letzten Se-
quenz lernen die Schüler*innen bereits existierende He-
bel der Veränderung kennen, die sie am runden Tisch
vorstellen und mit ihrem eigenen Punkte-Plan verglei-
chen.
Leitfaden – B1 Die Frage der Verantwortung
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 7
Leitfaden – B1 Die Frage der Verantwortung
pinnt werden, die den Urteilsbildungsprozess im Verlauf
von Modul B dokumentiert.4 Um ein Sach- und Werturteil
bilden zu können, benötigen die Lernenden Faktenwis-
sen, das über den bis dato zusammengetragenen Wis-
senspool der Schüler*innen hinausgeht. Diese Sachana-
lyse bezieht sich nicht nur auf den politisch-ökonomischen
Konflikt- oder Problemfall, der Betrachtungsgegenstand
ist, sondern auch auf die Begrifflichkeiten, die in diesem
Zusammenhang auftauchen. Wenn man gemeinsam die
Frage der Verantwortung klären will, sollte zunächst eine
Definition von „Verantwortung“ in einer kleinen Input-phase betrachtet und ggf. diskutiert werden. Das dazu
gereichte Informationsblatt B1 beinhaltet eine Auswahl
an Erläuterungen zu diesem Begriff. Unter Rückbezug
auf Modul A kann wiederholt werden, dass Verantwor-
tung universell, aus einer Rolle heraus oder individuell
getragen werden kann. Ob eine Gruppe oder ein Unter-
nehmen für eine Handlung, Handlungsfolgen oder einen
Zustand Verantwortung tragen muss, ist in der wissen-
schaftlichen Debatte nach wie vor umstritten. Dass es
dazu unterschiedliche Auffassungen gibt und noch keine
verbindliche Einigung erzielt wurde, sollte auch gegen-
über den Schüler*innen dargestellt werden.
Bevor die Klasse zum Lesen des Einführungstextes
kommt, sollten für alle das Thema, die Fragestellung zum
Konflikt- oder Problemfall, der Begriff Verantwortung
und das Ziel des Moduls klar sein: Es gilt, die Frage der
Verantwortung zu diskutieren und mögliche Hebel der
Veränderung für den Konflikt- oder Problemfall zu be-
trachten. Ein Ablaufplan für die Schüler*innen ermög-
licht an dieser Stelle Transparenz und Struktur.
G U T Z U W I S S E N
ALS EINSTIEG IN DAS THEMA wurde der Museums-
gang ausgewählt, eine Methode, die sonst zur Ergebnis-
präsentation von Schüler*innen eingesetzt wird.3 Dazu
muss die Lehrkraft vor Unterrichtsbeginn entweder im
Klassenraum selbst, auf dem Flur oder in einem Extra-
Raum Bilder aufhängen, die wie in einem Museum be-
trachtet werden können. Um Emotionalisierung nicht als
Mittel zum Zweck zu degradieren und dennoch die Rea-
lität darzustellen, liegt die Kunst darin, in der Bildauswahl
den Mittelweg zu wählen: die Darstellung des Konfliktes,
ohne dabei einen Dualismus von Opfer und Täter in den
Köpfen der Lernenden zu produzieren. Die Bilder sollten
viele Facetten eines Themas zeigen. Zum Thema Holz
bietet es sich z. B. an, sowohl Fotos von einzelnen Mö-
beln oder Holzprodukten, Werbung und Slogans der Mö-
belkaufhäuser sowie von Ureinwohner*innen Sibiriens
als auch von Produktionsschritten oder abgeholzten
Wäldern zu zeigen. Nach Beendigung des Museums-
rundgangs werden die aufgeführten Fragen im Plenum
besprochen:
„Welche Eindrücke hat der Museumsgang bei euch
hinterlassen?“
„Was assoziiert ihr mit den Bildern?“
„Erinnert ihr diesbezüglich Nachrichtenmeldungen?“
„Wer trägt eurer ersten Einschätzung nach die
Verantwortung für die Zerstörung der Lebensräume
von Ureinwohner*innen in Sibirien?“
Die „Schuldfrage“ wird meist ohne explizite Aufforderung
im Gesprächsverlauf thematisiert und leitet damit zur
Fragestellung des Moduls über, die sich wie ein roter Fa-
den durch alle Sequenzen zieht: Wer trägt die Verant-
wortung für den Konflikt oder das Problem? Die ersten
intuitiven Antworten einzelner Schüler*innen sollten auf
weißen Moderationskarten festgehalten und gut sicht-
bar unter der Fragestellung auf eine Metaplanwand ge-
3 Vgl.: Bundeszentrale für politische Bildung, online unter: www.bpb.de/lernen/unterrichten/grafstat/148881/museumsgang [29.05.17].
4 Auf dieser Metaplanwand sollte als Überschrift die Fragestellung des Moduls stehen (siehe Einführungstexte zu Themen). Darunter befinden sich mögliche Antworten auf diese Frage in unterschiedli-chen Farben. Auf weißen Moderationskarten stehen die Verantwor-tungsträger, die die Schüler*innen nach der Museumsrunde benennen, ohne tiefergehende Informationen. Auf gelben Karten werden die Urteile festgehalten, die nach dem Lesen des Einführungstextes und der Besprechung der Wertschöpfungskette gefällt werden. Nach der Expertenrunde sollten die benannten Verantwortungsträger noch einmal hinterfragt und ein abschließen-des Urteil gefällt werden. Zu betonen ist, dass jeder für sich ein eigenes Urteil fällen kann und darüber nicht Konsens herrschen muss. Die Lernenden können mit Hilfe der Metaplanwand beobachten, wie sich ein anfänglich getroffenes Urteil mit dem Zugewinn an Sachkenntnis verändern kann.
8 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
A B L A U F P L A N / C A . 4 5 – 6 0 M I N U T E N
Sachanalyse
Mit Hilfe des Einführungstextes B2, der eine
Übersicht zum Konflikt/Problem ermöglicht und
wichtige Akteure nennt, beginnt die vertiefende
Sachanalyse. Der Arbeitsauftrag im Text B2 sollte
zunächst in Kleingruppen bearbeitet und an-
schließend im Plenum diskutiert werden. Die
erste Spalte auf dem Arbeitsblatt B2 (B2 „Fragen
zur Konflikt- und Problemanalyse“) soll von den
SuS ausgefüllt werden. Der Begriff Wertschöp-
fungskette wird ggf. geklärt.
Reflexion
Falls ein Filmbeitrag gezeigt wird, sollte im
Anschluss besprochen werden, aus welcher
Perspektive der Beitrag gemacht wurde und
wem darin die Verantwortung oder Schuld
zugeschrieben wird.
Überleitung in die Expertenrunde
Bevor die SuS in die Gruppenarbeitsphasen
gehen, sollte die erste Frage des Arbeitsblattes B2
(Fragen zur Konflikt- und Fallanalyse) bearbeitet
werden. Die SuS ordnen sich einem der Akteure
für die Expert*innenrunde zu.
B 2 K O N F L I K T - O D E R P R O B L E M A N A L Y S E
Die Lehrkraft kann entscheiden, ob sie vertiefende Infor-
mationen zum Konflikt- oder Problemfall nur durch den
Einführungstext erarbeiten lässt oder zusätzlich einen
Filmbeitrag zeigt. Wird sich für einen Filmbeitrag ent-
schieden, wird diese Sequenz um das zweite Ziel ergänzt.
Z I E L E D E R S E Q U E N Z B 2
1. Die Lernenden erarbeiten sich einen Überblick
zum Konflikt- oder Problemfall mit Hilfe vertiefen-
der Informationen und der Wertschöpfungskette.
2. Sie reflektieren den Filmbeitrag hinsichtlich seiner
Perspektive auf den Konflikt oder das Problem.
Leitfaden – B2 Konfl ikt- oder Problemanalyse
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 9
Leitfaden – B2 Konfl ikt- oder Problemanalyse
Nach dem Filmbeitrag sollten folgende Fragen im Ple-
num kurz beantwortet und ggf. diskutiert werden:
1. Welche Akteure wurden im Film genannt?
2. Aus welcher Perspektive (meist kritische, zivilgesell-
schaftliche Perspektive) wird das Geschehen im Film
hauptsächlich dargestellt?
3. Wem wird die Verantwortung/Schuld zugewiesen?
Es ist wichtig, den Schüler*innen ins Bewusstsein zu ru-
fen, dass Journalist*innen in erster Linie die Bürger*innen
aufklären sollen. Um Interesse an einem Geschehen
(meist fernab der eigenen Lebenswelt) zu wecken, wer-
den diese komplexen Ereignisse häufig in eine Geschich-
te verpackt. Eine Geschichte lässt sich wesentlich besser
mit einer Person (meist das Opfer) im Mittelpunkt erzäh-
len. Dadurch entsteht bei Zuschauer*innen eine Emotio-
nalisierung, die in der Reflexion bewusst gemacht wer-
den sollte.
DIE SACHANALYSE beginnt mit dem Arbeitsblatt B2,
das eine detailliertere Einsicht in den Konflikt liefert,
ohne dabei zu tief in die Perspektive der einzelnen Ak-
teure einzutauchen – vergleichbar mit der Vogelperspek-
tive. In das Arbeitsblatt B2 tragen die Schüler*innen be-
reits die genannten Akteure ein.5 Die restlichen Spalten
werden erst in der Vorbereitungsphase für die
Expert*innenrunde ausgefüllt. Je nach Vorwissen der
Lerngruppe muss an dieser Stelle der Begriff Wertschöp-
fungskette6 geklärt werden. Wird ein Filmbeitrag genutzt,
sollte bei der Auswahl beachtet werden, dass darin meh-
rere Akteure Erwähnung finden, die auch in der Wert-
schöpfungskette auf dem Arbeitsblatt B2 aufgeführt
sind.
Der Einführungstext und auch die Rollenkarten
können durch Zeitungsberichte ergänzt werden.
Hier würde sich die Sachanalyse durch die Übung,
Informationen aus Medienberichten zu filtern und
zu reflektieren, ergänzen.
Es kann auch eine Dokumentation oder ein Nach-
richtenbeitrag gezeigt werden. Je nach Thema
lassen sich informierende und sachliche Beiträge
finden. Es sollte in jedem Fall darauf geachtet
werden, dass der Film nicht zu stark mit einer
Täter-Opfer-Perspektive oder Dramatisierung
arbeitet, sondern mehrere Akteure darstellt. Ein
gelungenes Beispiel zum Thema Holz:
https://www.youtube.com/watch?v=tw_g21P8ab4.
Auch die ARD-Reportage „Die Ausbeutung der
Urwälder“ (https://www.ardmediathek.de/ard/
player/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3JlcG9ydGFnZS-
BfIGRva3VtZW50YXRpb24gaW0gZXJzdGVuL2EyZWN-
lYTExLWM5NmYtNDRhZC05MmVkLWY5MzA5OD-
FiMWE0MA/die-ausbeutung-der-urwaelder) bietet
einen guten Überblick, dauert jedoch 45 Minuten.
5 Die Fragen zur Text- und Filmanalyse orientieren sich an den sechs Kategorien für einen konflikt- und problemorientierten Ansatz im PGW-Unterricht nach Hermann Giesecke: 1. Welche unterschiedli-chen Perspektiven gibt es auf einen Konfliktfall?, 2. Welche verschiedenen Interessen sind erkennbar?, 3. Welche Ursachen werden für den Konflikt genannt, 4.Welche Folgen (für wen?) hat diese oder jene Handlungsstrategie, wenn sie sich durchsetzt?, 5. Wie ist die Rechtslage?, 6. Wie könnte eine Lösung des Konfliktes aussehen, die die Beteiligten zu befriedigen vermag? Ausführlichere Darstellung und kritische Auseinandersetzung mit diesem Ansatz in: Giesecke 2000, S. 122–130.
6 Die Wertschöpfungskette bezeichnet „[…] die gesamte Kette von Produktionen und Dienstleistungen für ein Produkt oder ein Unternehmen. Die Wertschöpfungskette beginnt beim Anbau eines Rohstoffes (z. B. Landwirtschaft) oder Abbau eines Rohstoffes (Bergbau) und reicht über die Weiterverarbeitung und Produktions-stufen bei Zulieferern oder dem Unternehmen selbst sowie über den Handel und Zwischenhandel bis hin zur Nutzungsphase bei Geschäftskunden oder privaten Verbraucher/innen. Der Begriff schließt seit neuestem überdies die Wiederverwendung und/oder Entsorgung abgenutzter Produkte ein, weil diese wiederum Rohstoffe für andere Produkte im selben Unternehmen oder in anderen Unternehmen darstellen. Die Wertschöpfungskette umfasst folglich sämtliche Aspekte des Lebenszyklus eines Produktes“. Lexikon der Nachhaltigkeit, online unter: https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/wertschoepfungsketten_1738.htm [29.05.17]. Diese Definition wird hier zugrunde gelegt, für den Unterricht wird jedoch eine vereinfachte und auf den Konfliktfall reduzierte Wertschöpfungskette genutzt. Die Auswahl der Akteure in der Produktionskette ist daher nur eine mögliche Auswahl und kann nach Bedarf verändert werden.
10 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
G U T Z U W I S S E N
Die beteiligten Akteure am Konfliktfall sind nun
bekannt. Bevor die Vorbereitungsphase auf die
Expert*innenrunde beginnt, sollte die Lehrkraft die
didaktische Reduktion transparent machen.7 Meist
werden in der vorherigen Sequenz mehr Akteure
genannt, als in der Expert*innenrunde vertreten
sind. Die Auswahl der Akteure wird durch die
folgenden zwei Fragen bestimmt:
1. Wer ist Teil des Konfliktes oder des Problems?
2. Wer ist Teil der Lösung dieses Konfliktes oder des Problems? Dabei wird von der Annahme ausgegan-
gen, dass Lösungen arbeitsteilig erfolgen, d. h. sie sind in
den Bereichen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu fin-
den und überschneiden sich häufig oder bedingen ein-
ander. Für VIEW! wurde sich bewusst dagegen entschie-
den, dass „klassische Opfer“8 an der Expert*innenrunde
teilnehmen. Ureinwohner*innen, deren Lebensgrundla-
ge zerstört wird, sind ein Beispiel für solche Akteure.
Je nach Schwerpunkt und gewünschtem Schwierig-
keitsgrad kann die Lehrkraft andere Akteure
auswählen, Akteure hinzuzufügen oder die Anzahl
der Akteure reduzieren. So würde ein Verzicht auf
die Rolle des Fortstwirtschaftsunternehmens zur
Vereinfachung führen, der Sektor Wirtschaft wäre in
der Expert*innenrunde durch den Möbelkonzern
aber weiterhin präsent. Um die Ziele des Projektes
zu erreichen, sollten unbedingt die bereits vorge-
stellten Fragen für die Auswahl der Akteure und
anschließend die Fragen von Giesecke aus der
Perspektive des Akteurs beantwortet werden.
B 3 D I E E X P E R T * I N N E N R U N D EDie bereits begonnene Sachanalyse wird hinsichtlich un-
terschiedlicher Perspektiven auf den Konflikt- oder Prob-
lemfall durch ausgewählte Akteure vertieft. Die
Expert*innenrunde dient dem Austausch von Argumen-
ten und die Reflexion der Analyse der geäußerten Sach-
und Werturteile aus der Expert*innenrunde.
Z I E L E D E R S E Q U E N Z B 3
1. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten sich in
ihre Rolle ein.
2. Die Lernenden diskutieren die Frage der Verant-
wortung als Akteure in einer Expert*innenrunde.
3. Sie reflektieren die Argumentationsstruktur mit
Hilfe des Reflexionshauses.
A B L A U F P L A N / 9 0 M I N U T E N
Vorbereitungsphase
In den Akteursgruppen bearbeiten die SuS die
Fragen auf den Rollenkarten und füllen die
restlichen Felder des Arbeitsblattes B2 zu ihrem
Akteur aus. Jede Gruppe formuliert einen
Lösungsvorschlag für den Punkte-Plan.
Expert*innenrunde
Im Fishbowl diskutieren die Akteure die Frage der
Verantwortung. Am Ende steht die Verabschie-
dung eines Punkte-Plans.
Reflexionshaus
Die gesammelten Argumente der
Beobachter*innen werden im Plenum in das
Reflexionshaus sortiert.
Leitfaden – B3 Die Expert*innenrunde
8 Unter „klassischen Opfern“ werden hier Personen verstanden, die aufgrund der Rahmenbedingungen vor Ort oder anderen Gegebenheiten keinen Handlungsspielraum haben, selbst ihre Rechte und Interessen zu vertreten, da es z. B. gesetzlich keine Möglichkeit gibt, eine Gewerkschaft zu gründen oder jegliche Form des Protestes niedergeschlagen wird. Diese Umstände erfordern eine Interessenvertretung von außen, damit der Konflikt oder das Problem gelöst werden kann.
7 Die didaktische Reduktion aller Fälle erfolgte nach dem konflikt- oder problemorientierten Ansatz von Hermann Giesecke. Vgl.: Giesecke 2000, S. 123 ff.
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 11
Leitfaden – B3 Die Expert*innenrunde
einzelner Schüler*innen erhalten, dass sie es besonders
bereichernd fanden, eine Person oder ein Unternehmen
zu vertreten, dessen Meinung und Sichtweise sie per-
sönlich nicht befürworten. Bevor es in die Gruppenar-
beitsphase geht, müssen bei Gruppen ohne Erfahrung
mit dem „Fishbowl“ die Methode und der Ablauf genauer
erklärt werden. Die Schüler*innen sollen in jeder Ak-
teursgruppe eine*n „Beobachter*in“ auswählen, die*der
nicht als Expert*in in den Fishbowl muss, sondern die
Aufgabe hat, die in der Diskussion genannten Argumente
ihrer*seiner Gruppe zu notieren. Die Aufzeichnungen
werden in der anschließenden Reflexion genutzt. Zusätz-
lich stehen der Arbeitsauftrag und hilfreiche Fragestel-
lungen zum Kern der Aufgabe ebenfalls auf den Rollen-
karten. Wenn möglich, können Laptop-Stationen
aufgebaut werden, die den Schüler*innen bei der Re-
cherche ergänzender Informationen zur Verfügung ste-
hen. Internetlinks finden sich ebenfalls auf den Rollen-
karten.
DIE MODERATOR*INNEN haben während der Vor-
bereitungsphase auf die Expertenrunde den Auftrag,
sich Informationen zu den jeweiligen Standpunkten der
Akteure einzuholen. Diese Rolle ist sehr anspruchsvoll,
da die Positionen der Akteure erkannt und zueinander in
Beziehung gesetzt werden müssen. Außerdem sind die
Moderator*innen für die Verlesung der Gesprächsre-
geln und deren Einhaltung während der
Expert*innenrunde zuständig. Um diese Aufgabe gut
und in der entsprechenden Zeit lösen zu können, sollte
die Lehrkraft Verständnisfragen oder Unsicherheiten mit
den Moderator*innen besprechen, bevor das Rollenspiel
beginnt. Selbstverständlich steht sie auch für Fragen in den
Akteursgruppen zur Verfügung.
Dagegen kann man einwenden, dass doch gerade diese
Personen mit in die Expert*innenrunde geladen werden
müssten, um ihrer Meinung Gehör zu verschaffen, denn
um sie gehe es schließlich. Das stimmt zwar, jedoch er-
füllt dieser Akteur aufgrund der Umstände nicht das
zweite Kriterium für die Auswahl, nämlich dass er Teil der
Lösung ist. Zudem löst diese Rolle bei manchen Lernen-
den eine starke Betroffenheit aus. Daher sollen solche
Akteure, statt selbst vertreten zu sein, eine Stimme in
Gestalt einer NGO oder einer anderen zivilgesellschaftli-
chen Organisation erhalten, die einen etwas distanzier-
teren Blick ermöglicht und gleichzeitig auf die Bedürfnis-
se, Rechte und Schwierigkeiten der Betroffenen
aufmerksam macht.
Je nach Thema kann es ebenfalls schwierig sein, die Rolle
des Staates in der Expert*innenrunde zu repräsentie-
ren. Die Rollen von diktatorisch regierten Staaten, Solda-
ten, Milizen oder religiösen Fundamentalist*innen sind
in einer Expert*innenrunde schwer zu vertreten, da die-
se schnell als alleinige Täter*innen dastehen, was die
Gefahr birgt, dass die Expert*innenrunde hauptsächlich
aus Anschuldigungen und Rechtfertigungen besteht.
Ähnlich verhält es sich mit der Rolle privatwirtschaftlicher
Akteure, wenn diese sich in rücksichtsloser Weise geset-
zeswidrig verhalten.9 Andererseits birgt die Repräsentati-
on solcher Akteure die Chance, den Faktor der Machtver-
teilung in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zu begreifen
und anhand ihrer Argumentationsstruktur für
Schüler*innen sichtbar zu machen.10 Wir haben uns für
dieses Unterrichtsmaterial nach Abwägung der Vor- und
Nachteile dafür entschieden, dass der Staat Russland in
der Expert*innenrunde vertreten ist, weil er trotz der im
Land verbreiteten Probleme mit Korruption ein Verant-
wortungsträger ist, der über Veränderungspotenzial ver-
fügt. Die indigene Bevölkerung wird dagegen von der
(fiktiven) NGO „Weltweit Wälder retten“ vertreten, die ih-
rerseits als Mitglied in dem standardsetzenden Zertifizie-
rungsgremium ein Spiegel der verschiedenen und zum
Teil gegenläufigen Interessen der Stakeholder ist.
NUN BEGINNT DIE VORBEREITUNGSPHASE: Die
Schüler*innen sollen sich nach Interesse einem Akteur
zuordnen. Es lohnt sich, darauf hinzuweisen, dass es
spannend sein kann, einen Akteur zu vertreten, der zu-
nächst unattraktiv wirkt oder gegen den man einen mög-
lichen Vorbehalt hat. Während der Durchführung von
VIEW!-Einheiten haben wir mehrfach die Rückmeldung
9 Ein Beispiel dafür ist der Besitzer der eingestürzten Textilfabrik Rana Plaza, der durch Korruption Bauvorschriften umgangen hat (siehe dazu zum Beispiel: Der Spiegel, online unter: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-101368207.html [17.01.15]).
10 Machtverteilung ist häufig ein Grund, warum letztlich eine oder mehrere Lösungen für einen Konflikt oder ein Problem in der Realität nicht greifen. Viele Schüler*innen finden es zu Recht seltsam, dass es scheinbar viele Lösungsansätze (im Unterricht) gibt, aber der Konflikt oder das Problem in der Realität weiterhin bestehen bleibt. Hier liegt die Kritik an der starken Handlungsorien-tierung von Unterricht begründet. Sie kann ein Gefühl von Irritation, Realitätsferne, bis hin zur Ablehnung bei den Lernenden hervorru-fen, ist aber zu lösen, indem Machtverteilung als Einflussfaktor bei Entscheidungen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft mit beleuchtet wird. Dafür bietet das Reflexionshaus ein gutes Instrument. Vgl.: Gagel 2000, S. 310 ff.
12 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
D A S R E F L E X I O N S H A U S
Zuvor findet jedoch der wichtigste Teil des Moduls statt –
die Reflexion. Der Austritt aus den Rollen sollte von der
Lehrerin oder dem Lehrer deutlich angekündigt werden.
Fürs Erste erfolgt eine Reflexion auf der Metaebene, um
den Schüler*innen Raum zu geben, über ihre Empfin-
dungen, die rollenunabhängige Meinung, zu sprechen
und den Gesprächsverlauf insgesamt zu bewerten. Eine
Auswahl an Fragestellungen, die eine emotionale (E), methodische (M) und inhaltliche (I) (an der Oberflä-
che) Reflexion abdecken:
E: Wie haben Sie sich in Ihrer Rolle gefühlt?
E: Teilen Sie die Argumentationsweise des gespielten
Akteurs oder haben Sie eine ganz andere Meinung
dazu? Hat sich Ihre Meinung während des Spiels
verändert?
E: Wie war die Stimmung während des Spiels?
M: Was hat mir die Methode Fishbowl gebracht?
M: Was hat gut, was hat nicht so gut funktioniert?
I: Zu welchem Ergebnis hat die Expert*innenrunde ge
führt?
I: Was ist unklar geblieben, wo brauchen wir
vertiefende Informationen, Begriffsdefinitionen?12
Nachdem diese erste Reflexion abgeschlossen ist,
kommt das Reflexionshaus aus Modul A erneut zum Ein-
satz. Falls Sie nur Modul B verwenden, schauen Sie sich
bitte die umfangreicheren Erläuterungen zum Umgang
mit dem Reflexionshaus im Leitfaden zu Modul A an. Die
Argumente aus der Expert*innenrunde wurden von den
Beobachter*innen notiert und sollen nun gemeinsam
nach ihrer Reichweite in das Haus sortiert werden. Dies
ermöglicht auch hier eine Sichtbarmachung der dahin-
terliegenden Werte, Prinzipien und Normen, die als Be-
zugspunkt für die Argumentation genutzt werden. Mit
Hilfe des Analyseinstruments lassen sich die Argumente
erneut überprüfen und gegebenenfalls revidieren.
Man darf jedoch nicht unterschätzen, wie schwierig es
teilweise ist, Argumente als solche aus dem Diskussions-
verlauf während der Expert*innenrunde zu filtern und
diese dann im zweiten Schritt einer Ebene im Haus zuzu-
ordnen. Eine mögliche Entlastung für die Schüler*innen
ist die Auflistung der Argumente während der Vorberei-
tungsphase auf die Expert*innenrunde, die dann wäh-
renddessen nur noch ergänzt werden müssen.
DIE EXPERT*INNENRUNDE11 findet im Fishbowl
statt. Sie verläuft idealerweise ohne Eingreifen der Lehr-
person. Nur zu passenden Gelegenheiten sollte sie ei-
nen Gong oder eine Glocke läuten, bei der dann die
Expert*innen im inneren Fishbowlkreis ausgetauscht
werden. Bis auf die Beobachter*innen sitzt jede Person
möglichst einmal im Innenkreis, die Moderator*innen
bleiben die gesamte Zeit über dort sitzen. Im Verlauf der
Diskussion ergibt sich meist eine Patt-Situation: Die Ak-
teure schreiben sich gegenseitig die Verantwortung zu
oder weisen diese grundsätzlich zurück. Es geht darum,
diesen Prozess empathisch auszuhalten. Am Ende der
Expert*innenrunde soll dennoch der sogenannte Punk-
te-Plan beschlossen werden, um somit einer möglichen
Frustration der Lernenden vorzubeugen. Dafür hatte
jede Akteursgruppe in der Vorbereitungsphase unter an-
derem den Auftrag, einen Hebel der Veränderung zu for-
mulieren, der aus ihrer Sicht realistisch ist. Diese Vor-
schläge werden nun ausgetauscht und drei finale Punkte
festgelegt. Um die Moderator*innen in ihrer Rolle zu
entlasten, kann dieser Punkte-Plan von der Lehrkraft no-
tiert und gut sichtbar im Klassenzimmer aufgehängt wer-
den. In der Sequenz B3 kommt der Punkte-Plan zum Ein-
satz.
Mögliche Methodenübersicht zur Interaktion im
Unterricht und deren Vor- und Nachteilen:
S. Reinhardt: Politik Methodik. Handbuch für die
Sekundarstufe I und II, Cornelsen Verlag 2007.
J. Detjen: Politische Bildung, Oldenbourg Verlag
2007.
Leitfaden – B3 Die Expert*innenrunde
11 Die Expert*innenrunde ist an die Methode der Podiumsdiskussion angelehnt. Es steht dabei ein kontrovers diskutiertes Thema zur Debatte, bei dem das Ergebnis noch nicht feststeht. „Das Ziel ist, mit einer lebendigen Abbildung eines örtlichen, regionalen oder gesamtgesellschaftlichen ‚Reizthemas‘ die unterschiedlichen Ansichten, Einsichten, Begründungen, Empfehlungen und – viel-leicht auch konsensfähigen – Lösungsvorschläge kennenzulernen.“ Reinhardt 2007, S. 132.
12 Vgl.: Reinhardt 1999, S. 115.
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 13
Leitfaden – B3 Die Expert*innenrunde
Die*der Geschäftsführer*in des Möbelhauses argumen-
tiert mit ihrer*seiner Aufgabe, Gewinnvorgaben des Ar-
beitgebers erfüllen zu müssen, um seinen eigenen Job
langfristig zu sichern. Das Möbelunternehmen selbst
könnte auf den wirtschaftlichen Druck verweisen,
dem es sich ausgesetzt sieht. Es muss Rohstoffe günstig
erwerben, um gegen seine Konkurrenten bestehen zu
können, denn das Kaufverhalten der Konsument*innen orientiert sich stark am Preis. Der
Forstbetrieb sieht sich auf dem russischen Markt be-
nachteiligt, weil er sich selbst an alle Gesetze hält, wäh-
rend Mitbewerber Korruption und mangelhafte Kontrol-
len ausnutzen und sich so Vorteile verschaffen. NGOs
argumentieren beispielsweise mit universellen Werten
wie der Würde des Menschen. Der Staat kann aber
ebenfalls diese universellen Prinzipien als Bezugspunkt
nehmen und erklären, warum er deren Einhaltung noch
nicht gewährleisten kann.
14 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
Leitfaden – B3 Reflexionshaus
R E F L E X I O N S H A U S – E R L Ä U T E R U N G
ZU A: DIE ENTSCHEIDUNG/HANDLUNG
BERÜCKSICHTIGT NUR MICH ALS PERSON.
— Ich habe einen Nachteil zu erwarten,
wenn ich anders entscheide.
— Mein Arbeitsplatz/meine Wohnung etc. ist in Gefahr.
— Meine Familie ist direkt betroffen.
Geschäftsführer*in des Möbelkonzerns: „Wenn ich die
Gewinnvorgaben des Unternehmens nicht erreiche, verliere
ich meinen Arbeitsplatz.“
ZU B: DIE ENTSCHEIDUNG/HANDLUNG
ERFÜLLT NORMEN UND REGELN, DIE
DIE UMWELT/ROLLE/SITUATION VON MIR
ERFORDERT/ ERWARTET.
— Ich handle so, wie es meine Rolle erfordert.
— Ich handle so, wie ich es auch von anderen
in meiner Gemeinschaft erwarten würde.
Forstbetrieb: „Wenn wir in Russland keine Abnehmer*innen
finden, müssen wir unser Holz exportieren. Andernfalls stün-
den 500 Arbeitsplätze auf dem Spiel.“
Möbelkonzern: „Wir verwenden nur Holz aus zertifizierter
Forstwirtschaft. Zugleich verlangen unsere Kund*innen
günstige Produkte.“
ZU C: ICH ENTSCHEIDE/HANDLE SO, WEIL
ES SICH UM EINE UNIVERSELLE, FÜR ALLE
MENSCHEN IMMER GÜLTIGE REGEL HANDELT.
(KANT)
— Die Würde des Menschen erfordert genau dieses
Handeln. (Menschenrechte)
NGO: „Es ist moralisch nicht in Ordnung, wenn wir auf Kos-
ten der Menschen in Sibirien billig Holz und Möbel kaufen.“
Staat: „Der Schutz unserer Lebensräume und Wälder ist sehr
wichtig, flächendeckende Kontrollen wären jedoch zu teuer.
Auf die Einnahmen aus der Forstwirtschaft sind wir angewie-
sen, um wichtige staatliche Aufgaben erfüllen zu können.“
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 15
Leitfaden – B3 Die Expert*innenrunde
S T O L P E R S T E I N E I N D E R D U R C H F Ü H R U N G
Wenn es besondere kommunikative Dynamiken gab,
sollte die Lehrkraft explizit thematisieren und erörtern,
was in den Gesprächsabschnitten passiert ist, wozu es
im weiteren Verlauf geführt hat und warum. Ein Beispiel
aus einer Durchführung des VIEW!-Moduls zu Handys:
Ein sehr redegewandter und schauspielerisch talentierter
Schüler hatte die Rolle eines NGO-Vertreters, der auf die
Bedingungen in den Coltan-Minen des Kongos aufmerk-
sam machte. In seinem Redebeitrag zählte
er viele Missstände mit Hilfe von Fakten auf und
klagte einzelne Akteure an, um bei ihnen Empörung her-
vorzurufen.
„Sie wissen doch, dass die Mineralien in Ihren Handys
aus den Krisengebieten des Kongos stammen. Sie wissen
auch um die Kinderarbeit dort und dass viele aufgrund
der schlecht ausgebauten Stollen sterben. Können Sie
damit leben, das Blut dieser Kinder in Ihren Handys zu
haben? Würden Sie Ihre Kinder dort in diesen Minen ar-
beiten lassen? Sie sind doch nur geldgierig und auf Ihren
Profit aus – warum kostet denn sonst ein Handy von Ih-
nen 700 Euro und bei den Menschen im Kongo kommen
fünf Cent an?“
Der Schüler rutschte in die Rolle des Moralisten und pro-
duzierte dadurch einerseits betretenes und beschämtes
Schweigen, andererseits Zynismus und Widerstand. Die
vermeintlichen Täter – Vertreter des Handykonzerns –
wehrten sich als Einzige gegen die Beschuldigungen:
„Haben Sie denn etwa kein Handy? Oder glauben Sie an-
dere Konzerne vertreiben Handys ohne Konfliktminerali-
en? Außerdem können wir doch nichts dafür, dass da
Bürgerkrieg herrscht. Gründen Sie doch eine Fair-Trade-
Coltan-Mine, dann kaufen wir von Ihnen!“
Die Expert*innenrunde verkam zu einer Talkshowrun-
de13, in der keine Diskussion über Inhalt auf sachlicher
Ebene stattfand, sondern die Performance im Vorder-
grund stand. Eine Dynamik, die den gleichen Effekt hatte,
wie es Wolf Wagner in seiner „Verelendungstheorie“14
beschreibt. Da die Rolle der Moderator*innen die Regel-
einhaltung und Lenkung des Gesprächs beinhaltet, ge-
hört es zu ihren Aufgaben, darauf zu achten, dass das
Gespräch konstruktiv bleibt. Wenn es trotzdem zur be-
schriebenen Dynamik kommt, sollte die Lehrkraft entwe-
der eine kurze Ansage zur Methode (Expert*innenrunde,
kein Talkshowformat) machen oder aber den Ablauf
nicht unterbrechen und in der Reflexion auf den Ge-
sprächsverlauf eingehen.
13 Bei der Methode Talkshow verteidigen die Schüler*innen konträre Positionen zu einem Streitthema in zugespitzter Argumentation. „Talkshows bergen das Problem, dass sie von vielen Lernenden häufig eher als reines Unterhaltungsereignis (‚Krawall-Talk‘) und weniger als sachliche Diskussionsrunde verstanden werden“. Bei dieser Methode liegt der Unterhaltungswert im Fokus, für VIEW! ist es aber von Bedeutung, dass das Gespräch nicht in einem Schlagabtausch von polemischen Argumenten endet, sondern unterschiedliche Ansichten des Konflikt- oder Problemfalls mit entsprechender Expertise ausgetauscht werden, an dessen Ende der Punkte-Plan steht. Reinhardt 2007, S. 131
14 „Die Vertreter der Verelendungstheorie brandmarken meist die niederdrückenden Wirkungen des Kapitalismus richtig. Weil sie sich dabei aber immer auf die übelsten und existenzbedrohenden Fälle konzentrieren, denn an ihnen wird die zerstörerische Kraft des Kapitalismus am deutlichsten, entsteht der asketische und moralische Eindruck, daß alle, denen es besser geht, bereits privilegiert sind und sich ihrer Besserstellung eigentlich schämen müßten […]“. Hier fokussiert sich die (Kapitalismus-)Kritik ausschließlich auf das Leiden der Opfer und blendet die positiven Aspekte aus. Wagner: Verelendungstheorie. Die hilflose Kapitalismuskritik, Frankfurt/Main 1976, S. 234 ff.
16 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
Leitfaden – B4 Hebel der Veränderung
G U T Z U W I S S E N
Wenn man einen Konflikt- oder Problemfall hat, der die
drei Bereiche Politik, Gesellschaft und Wirtschaft betrifft
und noch dazu aufgrund der Wertschöpfungskette glo-
bal verstrickt ist, fällt es aufgrund seiner Komplexität
schwer, die Frage der Verantwortung zu klären. In der
Wirtschaft, in der Unternehmen die Handlungsträger
sind, wird diese Frage besonders umstritten diskutiert.
Meist wird dies in der Expertenrunde dann deutlich,
wenn Unternehmensvertreter*innen z. B. argumentie-
ren, sie hätten die Produktion an einen Subunternehmer
abgegeben und seien nicht für die Bedingungen dort
verantwortlich oder aber sie seien für nichts von all dem
verantwortlich. Da die Bereiche Wirtschaft und Ethik (in
der Konkretisierung u. a. die Verantwortung) nicht selbst-
verständlich ineinandergreifen und auch in der Wissen-
schaft über die Verbindung dieser beiden Sphären dis-
kutiert wird, sollte dies den Lernenden ebenfalls
transparent gemacht werden.
Wenn man nun mögliche Hebel der Veränderung be-
trachtet, können je nach Bereich unterschiedliche Ver-
antwortungsträger15 benannt und zu einem Handlungs-
träger gemacht werden:
1. DIE GESELLSCHAFT in Form von Individuen, z. B.
westliche*r Konsument*in, Farmbesitzer*in, Beamt*in
im Produktionsland, aber auch Organisationen wie NGOs
oder Gewerkschaften.
2. DIE WIRTSCHAFT in Form von Unternehmen.
3. DIE POLITIK, repräsentiert durch den Staat,
Staatsvertreter*innen, staatliche Institutionen und in
dem jeweiligen Land bestehende Gesetzgebung.
Eine Sonderrolle nehmen Presse und überstaatliche Ak-
teure ein, sie lassen sich nicht den drei Bereichen zuord-
nen. Dennoch können sich auch hier Hebel der Verände-
rung befinden, z. B. indem die Presse über einen
B 4 H E B E L D E R V E R Ä N D E R U N G
Wie löst man nun den Konflikt bzw. das Problem? Die
Frage wurde bereits innerhalb des Punkte-Plans von den
Schüler*innen beantwortet, soll jedoch im letzten Teil
des Projektes vertieft werden.
Z I E L E D E R S E Q U E N Z B 4
1. Die Schülerinnen und Schüler lernen verschiede-
ne Bereiche kennen, in denen Hebel der Verän-
derung angesetzt werden können.
2. Die Lernenden ordnen Beispiele aus der Realität
diesen Bereichen zu.
3. Sie bewerten die zusammengetragenen Hebel
der Veränderung hinsichtlich ihrer Durchsetzbar-
keit und ihrer Folgen für die Beteiligten.
4. Sie vergleichen den Punkte-Plan mit bereits
bestehenden Lösungsansätzen.
A B L A U F P L A N / 9 0 M I N U T E N
Input „Hebel der Veränderung“
Im Plenum wird gemeinsam das Arbeitsblatt B4
mit den drei sich überschneidenden Bereichen
gelesen und Fragen dazu beantwortet.
Gruppenarbeitsphase „Hebel der Veränderung“
Die SuS lernen bereits bestehende Hebel der
Veränderung kennen. Mit Hilfe von Texten und
Filmen tragen sie Informationen zusammen. Dazu
bekommen sie das Arbeitsblatt B4 mit dem
Arbeitsauftrag und der Link-Liste. Die Ergebnisse
ihrer Recherche sollen an einer Wandzeitung
visualisiert werden.
Runder Tisch
Die Hebel der Veränderung werden von den SuS
am runden Tisch mit Hilfe der Wandzeitung
vorgestellt. Zuletzt werden die Lösungsmöglich-
keiten mit dem eigenen Punkte-Plan verglichen.15 Die Auswahl der Lösungsansätze folgt ebenfalls der in B2
genannten Frage, wer Teil der Lösung des Konflikts/Problems ist, unter der Annahme, dass die Lösung arbeitsteilig erfolgt.
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 17
Leitfaden – B4 Hebel der Veränderung
Missstand informiert und auf diese Weise einen Diskurs
anstößt oder die Vereinten Nationen Empfehlungen
oder Mahnungen vergeben.
An die Sequenz B4 lässt sich vielfältig anknüpfen
und vertiefen:
— Welches politische System herrscht
in dem relevanten Land?
— Was sind Interessensvertretungen,
warum sind sie wichtig?
— Was sind die Vereinten Nationen,
wie arbeiten sie?
— Was für eine Rolle spielen die OECD oder die
WTO bei globalen Handelsbeziehungen?
— Wie ist die Rechtslage in der EU bezüglich
Handelsbeziehungen?
Zu den drei Bereichen lernen die Schüler*innen nun He-
bel der Veränderung kennen. Bevor sie
in die Gruppenarbeitsphase gehen, sollte für alle
verständlich sein, welches Ziel mit dem Arbeitsauftrag
verfolgt wird.16 Die Auswahl an Links zu Texten und Film-
material über bereits bestehende Hebel der Verände-
rung sollen von den Lernenden an Laptop-Stationen
oder im Computerraum bearbeitet werden.
1) Was fällt Ihnen auf?
2) Wo liegen Gemeinsamkeiten/Unterschiede?
3) Welche Kritikpunkte haben Sie?
4) Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen,
damit sich langfristig etwas ändert?
Des Weiteren sollen die Schüler*innen ihre Recherche-
ergebnisse so aufbereiten, dass sie an einer Wandzei-
tung von allen anderen Lernenden nachvollzogen und
verstanden werden können. Diese Wandzeitung könnte
die Überschrift „Bereits bestehende Hebel der Verände-
rung für den/das Konflikt/Problem xy“ tragen und zeigt
folgende Abbildung:
An die Pfeile oder dahinter können die Ergebnisse der
Schüler*innen gepinnt werden. Nach 20 Minuten kom-
men die Gruppen zu einem großen „runden Tisch“17 zu-
sammen, stellen ihre Hebel der Veränderung vor und
diskutieren die Fragen aus dem Arbeitsauftrag B4.
16 Siehe Arbeitsblatt mit Arbeitsauftrag für B4.
17 „R. T“. ist eine pol.-ugs. Bezeichnung für den Versuch, politische Problemlösungen zu erarbeiten, wobei die gegebenen (verfas-sungs-)politischen Einrichtungen und Entscheidungsmechanismen (z. B. Parlamente und parlamentarische Beratung) zunächst nicht eingeschaltet werden. Vielmehr soll durch die Beteiligung aller (aktiven, betroffenen) Gruppen und der Vertreter der entscheiden-den politischen Kräfte eine möglichst einvernehmliche Lösung (»am runden Tisch«) erzielt werden, die möglicherweise dann den politisch zuständigen Entscheidungsgremien vorgelegt wird.“ Die Methode „runder Tisch“ ist an diese Definition angelehnt, wobei es hier nicht zentral ist, zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, sondern die vorgestellten Lösungen kennenzulernen und hinsichtlich ihrer Konsequenzen sowie Vor- und Nachteile zu diskutieren. Bundeszentrale für politische Bildung, online unter: http://www.bpb.de/nachschlagen/ lexika/18160/runder-tisch [20.01.15].
Abbildung 3
18 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
Leitfaden – B4 Hebel der Veränderung
Machtgefälle kann ein Faktor sein: Die großen Möbelkon-
zerne nutzen ihre finanzielle und politische Macht, um
sich auf russischem Boden große Waldgebiete für ihre
Produktion zu sichern. Durch die Möglichkeit der Korrup-
tion werden rechtliche Vorschriften umgangen.
Ein anderer Stolperstein ist in der häufigen Nennung der
Konsument*innen als Hebel der Veränderung versteckt.
Dies zeigte sich bisher in jeder Durchführung des Projek-
tes daran, dass die Schüler*innen darüber diskutierten,
ob es „etwas bringt“, wenn sie zum Beispiel weniger oder
keine billig produzierten Möbel kaufen. Ob dies eine Aus-
wirkung auf Politik, Wirtschaft oder den Rest der Gesell-
schaft hat, wird kritisch gesehen, sollte jedoch von dem
Wunsch, eine persönliche und bewusste Haltung zu be-
ziehen (auf Rückbezug von Werten und Prinzipien, die
man vertritt), unterschieden werden. Es wird kontrovers
diskutiert, ob Konsumveränderung oder -verzicht über-
haupt eine politische Handlung darstellt und eine Wir-
kung erzielt oder nicht. Die einzelnen Bürger*innen als
Akteure werden trotzdem als Hebel der Veränderung
einbezogen, da ein starker Lebensweltbezug zu den
Schüler*innen vorliegt.
Bestenfalls werden für die Recherche der Schüler*innen
zu möglichen Hebeln der Veränderung drei bis vier Texte
und / oder Filmmaterialien angeboten. Bei der Auswahl
sollte sich an den drei Bereichen aus Abbildung 3 orientiert
werden. Exemplarisch folgen drei Beispiele für das Thema
Holz:
1. Artikel aus der Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschich-
te: „Grundlagen der supranationalen Waldpolitik.“
Siehe: http://www.bpb.de/apuz/260684/grundlagen-
der-supranationalen-waldpolitik?p=all
2. Audiobeitrag des Bayerischen Rundfunks: „Über den
Möbelkonsum in der westlichen Gesellschaft.“ Siehe:
https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/
notizbuch/ueber-den-moebelkonsum-in-der-westli-
chen-gesellschaft-100.html
3. Filmbeitrag „Klimaschutz in Russland – der Wert der
Wildnis.“ Siehe: https://www.youtube.com/
watch?v=lYNp5KluHr4
S T O L P E R S T E I N E I N D E R D U R C H F Ü H R U N G
Die Hebel der Veränderung den entsprechenden Berei-
chen zuzuordnen, kann bisweilen schwerfallen, da diese
Bereiche ineinandergreifen und auch voneinander ab-
hängig sind.
Daher die Idee der sich überlappenden Bereiche für die
ineinander verflochtenen Beziehungen von Politik, Ge-
sellschaft und Wirtschaft. Ein Hebel der Veränderung in
einem Bereich zieht Konsequenzen für die jeweils ande-
ren Bereiche nach sich, die mit den Schüler*innen disku-
tiert werden können.18 Die Wahl der Visualisierung sollte
den Schüler*innen transparent und verständlich ge-
macht werden. Wie bereits bei der didaktischen Redukti-
on zu B2 beschrieben, erfolgt die Lösung arbeitsteilig. Es
herrscht häufig eine Interessenabhängigkeit zwischen
den Bereichen, was einer der Faktoren ist, warum be-
stimmte Hebel der Veränderung nicht in Bewegung ge-
setzt werden und andere schon. Beispielweise hat der
russische Staat als Eigentümer der Waldflächen ein Inte-
resse daran, seine Einnahmen zu steigern. Das ist nur
dann möglich, wenn die Holzindustrie ertragreich ist.
Diese Konstellation könnte ein Grund dafür sein, dass
der Staat seine Bevölkerung nicht in dem Maße schützt,
wie es die Verfassung (Artikel 69) vorschreibt. Auch das 18 Vgl.: Giesecke 2000, S. 126–127.
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 19
Leitfaden Modul B
M O D U L B :M AT E R I A L F Ü R D E N U N T E R R I C H T
B1 Wer ist wofür, weswegen verantwortlich?B2 Einführung in die Branche
B3 Rollenkarten und Expert*innenrundeB4 Lösungsansätze und Hebel der Veränderung
20 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
W E R ?
— Individuen (individuell)
— Gruppen/Unternehmen (korporativ):
Es ist strittig, ob neben Individuen auch Korporatio-
nen (Unternehmen) oder Gruppen Verantwortung
tragen können. Dabei spricht eine mögliche Nicht-
verantwortung von Unternehmen nicht die im
Unternehmen agierenden Mitarbeiter*innen von
ihrer individuellen Verantwortung frei.
W O F Ü R ?
— Handlungen und Unterlassungen:
Es ist strittig, ob Individuen/Unternehmen für den
Missbrauch hergestellter Produkte Verantwortung
tragen können. Müssen z. B. Unternehmen Verant-
wortung übernehmen, wenn ihr Klebstoff als Droge
missbraucht wird?
— Es ist strittig, ob Individuen/Unternehmen Verantwor-
tung für die einzelnen Unternehmen in ihrer Liefer-
kette tragen können, z. B. „Subsubsubunternehmen“.
P R O B L E M / K O N F L I K T
— Die zunehmende Arbeitsteilung und die Verlagerung
von Produktionsabläufen in alle Teile der Welt haben
den Radius von möglicher Verantwortung in den
letzten Jahrzehnten stark vergrößert.
— Es gibt viele Interessengruppen (Stakeholder), die
einbezogen werden sollten: Eigentümer*innen und
Mitarbeiter*innen des Unternehmens, Kund*innen,
Bürger*innen und Gemeinden im direkten Umfeld,
Menschen, die weltweit betroffen sind, Zulieferer,
Subunternehmen, Staat und Umwelt.
Es entsteht ein Spannungsfeld zwischen unterneh-merischer Verantwortung und wirtschaftlichem Erfolg (auch eine Verantwortung des Unternehmens),
das sogar zum Konflikt werden kann, wenn die Gewinn-
erzielung des Unternehmens und die Übernahme von
Verantwortung gegenüber einzelnen Interessengruppen
sich entgegenstehen. Es ist strittig, was die „richtigen“
moralischen Normen sind. Dies muss in einer Gesell-
schaft ausgehandelt werden.
B 1 W E R I S T W O F Ü R , W E S W E G E N
V E R A N T W O R T L I C H ?
V E R A N T W O R T U N G K A N N
— universell bestehen: Jeder Mensch trägt die Verantwortung, Menschen in
Not zu helfen.
— aufgrund einer bestimmten Rolle bestehen: Bademeister*innen sind verantwortlich für die
Sicherheit im Schwimmbad.
— aufgrund von Handlungsfolgen bestehen: Mir kippt die Kaffeekanne auf dem Tisch um. Ich bin
verantwortlich dafür.
— freiwillig übernommen werden: Ich helfe der alten blinden Dame über die Straße.
Z U S C H R E I B U N G V O N V E R A N T W O R T U N G
— kann in zwei Richtungen stattfinden
1. prospektiv (zukünftig) Verantwortung in Bezug auf:
Person (Eltern)
Zustand (Polizei)
Gegenstand (Journalist*in)
2. retrospektiv (rückwirkend)Verantwortung in Bezug auf:
Handlung
Handlungsfolgen
B1 Verantwortung: Wer ist wofür, weswegen, verantwortl ich?
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 21
B2 Einführung – Verantwortung in globalen Wertschöpfungsketten
F A K T E N Z U M U R W A L D
— Rund 31 Prozent der Landoberfläche der Erde sind
mit Wäldern bedeckt. Weltweit sind die Waldflächen
sehr unterschiedlich verteilt. Nach den jüngsten Daten
der Food and Agriculture Organization (FAO) der
Vereinten Nationen entfielen im Jahr 2015 rund
54 Prozent des Bestandes auf nur fünf Staaten.
Russland verfügt demnach mit einer Waldfläche von
815 Millionen Hektar über einen Anteil von einem
Fünftel.
— Alle zwei Sekunden wird ein Stück Wald von der
Größe eines Fußballplatzes vernichtet. Inzwischen
existieren in Europa fast gar keine natürlichen
Urwälder mehr. Bereits in zwei Jahrzehnten könnte
ein Drittel der heute noch bestehenden Urwälder
abgeholzt sein.19
— Auch die sibirischen Urwälder sind in den Fokus der
Holzindustrie geraten. Dort lebten einst indigene
Völker von der Jagd und der Rentierzucht. Von einst
zwei Millionen Menschen sind ca. 200.000 in den
sibirischen Wäldern geblieben, ihre Zukunft ist durch
die Abholzung des Waldes jedoch gefährdet.
— Der russische Staat verabschiedete 2006 ein Gesetz
(Wald-Kodex) im russischen Unterhaus (Duma) zur
privatwirtschaftlichen Nutzung der Urwälder. Es
sieht vor, dass die Wälder in Parzellen aufgeteilt und
diese dann versteigert werden. Die Pächter erwer-
ben so das Recht, die Flächen für bis zu 99 Jahre zu
nutzen. So wurde internationalen Großkonzernen
der Holzindustrie die Möglichkeit eröffnet, die
Urwälder forstwirtschaftlich zu erschließen. Die
indigenen Völker hatten in dem Bieterverfahren
keine Chance, weil ihnen die finanziellen Mittel
fehlen.
— Durch Rodung und Abholzung der Wälder kommt es
nicht nur zur Zerstörung der Lebensräume der
einheimischen Bevölkerung. Auch die Folgen für das
Klima und die Artenvielfalt sind erheblich. 20 Pro-
zent der klimaschädlichen CO2-Emissionen werden
durch die Abholzung der Wälder verursacht.
B 2 E I N F Ü H R U N G –V E R A N T W O R T U N G
I N G L O B A L E N W E R T S C H Ö P F U N G S K E T T E N
Die weltweite Nachfrage nach Holz als Rohstoff steigt
stetig an. Russland verfügt über ein Fünftel der weltwei-
ten Waldfläche, Forstbetriebe sind ein wesentlicher Wirt-
schaftsfaktor des Landes. Doch durch die teils illegale
Abholzung von Urwäldern verlieren vielerorts
Ureinwohner*innen ihren Lebensraum und ihre Lebens-
grundlage.
Fragestellung: »Wer ist verantwortlich für die Abholzung
der Urwälder und damit die Zerstörung des Lebensraums sibirischer Ureinwohnerinnen
und Ureinwohner?«
A R B E I T S A U F T R A G
1. Bitte überlegen Sie in Kleingruppen (zwei bis drei
Teilnehmer*innen), wo in der beschriebenen
Wertschöpfungskette Ihrer Meinung nach die
Verantwortung für die Abholzung sibirischen
Urwalds und die Zerstörung von Lebensräumen
der Ureinwohner*innen anzusiedeln wäre.
Beziehen Sie dabei auch die Beteiligten ein, die
im Text beschrieben werden und nicht in der
Grafik (Wertschöpfungskette) auftauchen.
Versuchen Sie, Ihre Einschätzung zu begründen.
2. Gerne können Sie Markierungen in der Grafik
dafür vornehmen.
19 Quelle: https://dgvn.de/inhaltsarchiv/themenschwerpunkte/waelder-abholzung/.
22 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
— In den Böden der Wälder sind große Mengen
Kohlenstoff gespeichert, die bei der Abholzung als
Treibhausgas (Kohlendioxid) in die Atmosphäre
abgegeben werden.
— Schätzungen zufolge leben weltweit 60 Millionen
Menschen in Abhängigkeit von Wäldern. Sie leben in
enger Symbiose mit der Natur und nutzen den Wald
nachhaltig für ihr Überleben.
B2 Einführung – Verantwortung in globalen Wertschöpfungsketten
F A K T E N Z U R H O L Z I N D U S T R I E
— Die gesamte deutsche Holzindustrie (inklusive
Möbelindustrie) erwirtschaftete im Jahr 2017 mit
151.917 Beschäftigten in mehr als 900 Betrieben
einen Umsatz von 35,6 Milliarden Euro.20 Der Bedarf
an Holz hat in den vergangenen Jahren stark zuge-
nommen. Nicht nur Möbel werden aus Holz herge-
stellt, sondern auch Bauholz, Spielzeug und Dekoarti-
kel. Zudem wird Holz vermehrt als Energiequelle
genutzt. Mit dem weltweiten Anstieg der Bevölkerung
nimmt auch der Holzverbrauch zu.
— Allein in Deutschland hat sich der Gesamt-Holzver-
brauch zwischen 2007 und 2011 von 134 auf
140 Millionen Kubikmeter erhöht. In der deutschen
Forstwirtschaft werden jedoch nur zwischen 70 und
80 Millionen Kubikmeter geerntet. Somit steigen
zwangsläufig die Importe nach Deutschland. Durch
die hohe Nachfrage ist Holz zu einem gefragten
Rohstoff geworden, und der Holzhandel ist ein
lohnendes Geschäft.
— Durch die gestiegene Nachfrage nach dem Rohstoff
Holz boomt auch der illegale Holzhandel. Der WWF
berichtet in einer Studie aus dem Jahr 2008, dass
knapp die Hälfte des aus Russland exportierten
Holzes illegal geschlagen wurde. Da die Einfuhr von
illegal geschlagenem Holz in die EU verboten ist,
wird das Holz nach China oder Südkorea verkauft. In
China wird es dann weiterverarbeitet, um als fertiges
oder halbfertiges Holzprodukt schließlich doch auf
dem europäischen Markt zu landen. Um die illegale
Abholzung zu verhindern, müssten weltweit mehr
Kontrollen durchgeführt werden. Dies wird er-
schwert durch Korruption und Personalmangel bei
den Behörden der Herkunftsländer. Um Kontrollme-
chanismen zu verbessern und Korruption einzudäm-
men, wurde in Russland auf Initiative des WWF für
die Einführung von Forst-Zertifikaten geworben.
2008 wurde die erste Fassung zur Umsetzung eines
nationalen Standards21 zur Zertifizierung22 von
Forstbetrieben in Russland veröffentlicht. Diese
Zertifizierungen haben das Ziel, Forstwirtschaft
ökologisch nachhaltig, ökonomisch und sozial zu
gestalten. Um diese Ziele zu erreichen, sitzen
staatliche Akteure, Vertreter*innen der Holz- und
Möbelindustrie sowie NGOs in einem Gremium
zusammen.
21 Jedes Land setzt die Standards für seine Zertifizierung selbst. Maßgebend dafür sind die internationalen Standards. Abweichun-gen sind möglich, wenn beispielsweise wie in Russland traditionell große Waldflächen abgeholzt werden. Dies kann dann in den nationalen Standard übertragen werden (Quelle: https://www.greenpeace.de/themen/walder/waldnutzung/der-fsc-siegel-fur-guten-wald-und-gutes-holz).
22 Ein weltweit bekanntes Zertifikat ist FSC (Forest Stewardship Council). Die konkrete Entwicklung wurde maßgeblich durch das Engagement von WWF, Greenpeace, Gewerkschaften und Interessensvertreter*innen indigener Völker (NGOs) vorangebracht. Um das Zertifikat zu bekommen, müssen die Forstbetriebe festgelegte Standards erfüllen. Ziel und Herausforderung des FSC ist eine ökologisch nachhaltige, sozial förderliche und ökonomisch rentable Bewirtschaftung von Wäldern weltweit. Um diese drei recht unterschiedlichen Anforderungen an das Zertifizierungssys-tem zu berücksichtigen, besteht der FSC aus drei Kammern, einer Umweltkammer, einer Sozialkammer und einer Wirtschaftskammer, in denen Umweltorganisationen, Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaften, Mitglieder indigener Völker und Unternehmen vertreten sind, um gemeinsam über die Standards des FSC zu diskutieren. Der FSC hat zehn international verbindliche Prinzipien und 56 Kriterien für die Forstwirtschaft entwickelt, die bei der Bewirtschaftung der Wälder berücksichtigt werden. Unabhängige Kontrolleur*innen und Zertifizierer*innen prüfen vor Ort, ob die Forstbetriebe ihre Standards einhalten. Das Gütesiegel bekommen nicht nur die Forstbetriebe, sondern es wird die ganze Produktions-kette zertifiziert. So können auch Unternehmen das FSC-Zertifikat bekommen, wenn sie in ihrer Produktionskette zu jedem Zeitpunkt nachweisen können, dass ihre Produkte aus zertifizierten Forstbetrieben kommen. Ein Zertifikat wird für fünf Jahre ausgestellt, dann erfolgt eine erneute Überprüfung (Quelle: http://www.fsc-deutschland.de/preview.waldzertifizierung-unterscheiden.a-829.pdf; https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/fsc-siegel-20151118-green-peace_0.pdf).
20 Quelle: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Branchenfokus/Industrie/branchenfokus-holz-und-moebelindustrie.html.
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 23
B2 Einführung – Verantwortung in globalen Wertschöpfungsketten
F A K T E N Z U R M Ö B E L I N D U S T R I E
— Sich nach individuellen Wünschen einzurichten, ist
zum Trend geworden. Daher steigt die Nachfrage
nach Möbeln stetig an.
— Viele große Möbelhäuser weltweit bieten ihre Produk-
te im unteren Preissegment an und wollen so auch
Konsument*innen mit kleinerem Budget die Möglich-
keit bieten, ihre Wohnungen nach eigenen Vorstellun-
gen zu gestalten.
— Zugleich haben sich die Kund*innenansprüche
gewandelt: Wurden früher Maßanfertigungen in der
Tischlerei beauftragt, dominiert heute günstige
Massenware für die Selbstmontage. Design und
Preis haben an Stellenwert gewonnen, die Ansprü-
che an die Haltbarkeit der Produkte sind hingegen
weniger hoch – Möbel müssen nicht mehr ein
halbes Leben lang halten, sondern werden häufiger
ausgetauscht.
— Um konkurrenzfähige Preise anbieten zu können,
müssen Möbelhersteller ihre Kosten für die Produk-
tion möglichst gering halten. Weil sich die steigende
Nachfrage nach dem Rohstoff Holz jedoch auch auf
die Preise auswirkt, unterhalten große Möbelhäuser
oft eigene Forstbetriebe. Diese Subunternehmen
pachten große Waldgebiete, zum Beispiel in Sibirien,
und verfügen dort dann auch über Abholzrechte.
— Beispielsweise hat Ikea im Nordosten Sibiriens eine
Fläche von 295.000 Hektar Wald gepachtet, darunter
befinden sich schützenswerte Urwälder. Aus diesem
Grund wird immer wieder Kritik laut. Umweltorgani-
sationen prangern an, dass trotz Zertifizierungen,
die eine nachhaltige Forstwirtschaft versprechen,
großflächig Abholzung in den letzten intakten
Urwäldern Sibiriens durchgeführt wird.
Wandel im Konsumverhalten beim Möbelkauf nach Preissegmenten (Marktanteil in Prozent). Quelle: Udo Kiel/Anja Henke: Branchenanalyse Möbelindustrie 2018
24 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
F A K T E N Z U R U S S L A N D
— Russland ist mit etwa 17 Millionen Quadratkilome-
tern flächenmäßig der größte Staat der Erde.
— Mehr als ein Achtel der bewohnten Landmasse der
Erde gehört zu Russland.
— Zwar hat Russland 144 Millionen Einwohner*innen,
gehört aber zu den am dünnsten besiedelten
Ländern (ca. acht Einwohner*innen pro Quadratkilo-
meter).
— Russland ist unter anderem Mitglied des UN-Sicher-
heitsrates, aller UN-Unterorganisationen, der OSZE
(Organisation für die Sicherheit und Zusammenar-
beit in Europa) und des Europarates.
B2 Einführung – Verantwortung in globalen Wertschöpfungsketten
— Wenngleich Russland als Schwellenland eingestuft
wird, ist es die sechstgrößte Volkswirtschaft der
Welt.
— Expert*innen schätzen, dass Russland 20 bis
30 Prozent der weltweiten Rohstoffreserven besitzt.
— Im internationalen Vergleich liegt Russland auf Platz
135 von 180 Staaten, die auf Korruption geprüft
wurden (Korruptionswahrnehmungsindex 2017).
— Die Arbeit von NGOs wird in Russland eingeschränkt.
Seit 2015 ist es der Regierung per Gesetz erlaubt,
NGOs auf „schwarze Listen“ zu setzen. Wer mit
diesen Organisationen zusammenarbeitet, muss mit
hohen Strafen rechnen.
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 25
Q U E L L E N U N D R E C H E R C H E
— http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-
fakten/globalisierung/52727/waldbestaende
— https://dgvn.de/inhaltsarchiv/themenschwer-
punkte/waelder-abholzung/
— https://www.greenpeace.de/themen/waelder/
urwaelder-sibiriens
— https://www.researchgate.net/publica-
tion/260552383_Forstpolitik_in_Russland_im_
Rahmen_der_Reformprozesse
— https://www.gfbv.de/de/news/internationaler-
tag-der-indigenen-voelker-9-august-2832/
— http://www.faszination-regenwald.de/info-cen-
ter/zerstoerung/klimawandel.htm
— https://www.wwf.de/themen-projekte/waelder/
schutzgebiete/waldschutz/
— https://de.wikipedia.org/wiki/Russland
— https://www.2030report.de/sites/default/files/
bericht2030/Kapitel_2-18-1_Maraz-Holz.pdf
— http://www.wwf.de/fileadmin/user_upload/PDF/
WWF_Holzimporte_April2008.pdf
— https://www.greenpeace.de/themen/walder/
waldnutzung/der-fsc-siegel-fur-guten-wald-und-
gutes-holz
— https://www.boeckler.de/pdf/p_fofoe_
WP_082_2018.pdf
— https://www.moebelindustrie.de/presse/index.
html?NID=2442
— https://www.youtube.com/watch?v=tcxerSyTDNg
V E R E I N F A C H T E W E R T S C H Ö P F U N G S K E T T E H O L Z
Der Forstbetrieb ist der Rohstofflieferant für die weiter-
verarbeitende Industrie. Er ist für den Umfang der Abhol-
zung verantwortlich, für eine nachhaltige Bewirtschaf-
tung und Aufforstung. Die Weiterverarbeitung des
Rohholzes aus den Forstbetrieben findet in Sägewerken
oder in Schälwerken statt. Hier wird das Holz für die Mö-
belindustrie weiterverarbeitet. Ein anderer Teil des Roh-
holzes wird direkt in der Holzwerkstoffindustrie zu Span-
platten o. ä. verarbeitet. Auch solche Produkte werden
wiederum an die Möbelindustrie verkauft, die aus Mas-
sivholz und Holzwerkstoffen Möbel für den Handel her-
stellt. Möbelhäuser bieten die fertigen Produkte in ihren
Filialen oder im Internet an. Am Ende der Wertschöp-
fungskette stehen die Konsument*innen, die das ferti-
ge Produkt kaufen.
B2 Einführung – Verantwortung in globalen Wertschöpfungsketten
Forstbetrieb
Weiterverarbeitung
Möbelindustrie
Handel
Konsument*in
26 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
B2 Fragen zur Konfl ikt- und Fal lanalyse
F R A G E N Z U R K O N F L I K T- U N D F A L L A N A LY S E
Bitte lesen Sie Ihre Rollenkarte und gegebenenfalls auch den Einführungstext noch einmal genau durch und beantworten in Ihrer Gruppe die folgenden Fragen:
1. Wer ist beteiligt?
2. Welche Interessen und Ziele hat Ihr Akteur?
3. Welche Ursachen werden für das Problem oder
den Konflikt genannt?
4. Trägt Ihr Akteur Verantwortung?Wenn ja, wofür?
5. Was könnte Ihr Akteur tun? Welche Veränderungen
könnte er bewirken?
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 27
Die anderen Teilnehmer*innen an der
Expert*innenrunde sind:
— Geschäftsführer*in eines Möbelkonzerns
— Geschäftsführer*in eines Unternehmens der
Holz- und Forstwirtschaft
— Mitglied der NGO „Weltweit Wälder retten“
— Vertreter*in des Staates Russland
F A K T E N Z U I H R E R R O L L E
DAS UN-WALDFORUM: Im Januar 2017 einigten sich
die Mitgliedstaaten des UN-Waldforums (United Nations
Forum on Forests) erstmals auf einen strategischen Plan
für Wälder (United Nations Strategic Plan for Forests).
Die nachhaltige Waldbewirtschaftung ist somit ein von
der gesamten internationalen Staatengemeinschaft an-
erkanntes Ziel und erreicht dadurch einen hohen politi-
schen Status.
Im Jahr 2015 verabschiedeten die Vereinten Nationen
die Agenda 2030. Alle Mitgliedstaaten verpflichten sich
darin, die Umgestaltung zu einer ökologisch verträgli-
chen, sozial gerechten und wirtschaftlich leistungsfähi-
gen Weltgemeinschaft zu unterstützen. Die Agenda um-
fasst 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die
Sustainable Development Goals (SDGs).
Laut dem Ziel Nr. 15 der Agenda 2030 wollen die Mit-
gliedstaaten „terrestrische Ökosysteme bewahren und
wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern,
Wälder nachhaltig bewirtschaften, die Wüstenbildung
bekämpfen, Landdegradation und den Verlust der Arten-
Die weltweite Nachfrage nach Holz als Rohstoff steigt ste-
tig an. Russland verfügt über ein Fünftel der weltweiten
Waldfläche, Forstbetriebe sind ein wesentlicher Wirt-
schaftsfaktor des Landes. Doch durch die teils illegale
Abholzung von Urwäldern verlieren vielerorts
Ureinwohner*innen ihren Lebensraum und ihre Lebens-
grundlage.
Fragestellung: »Wer ist verantwortlich für die Abholzung
der Urwälder und damit die Zerstörung des Lebensraums sibirischer Ureinwohnerinnen
und Ureinwohner?«
A R B E I T S A U F T R A G
1. Bitte lesen Sie sich die unten stehenden Fakten
für Ihre Rolle genau durch. Gerne können Sie
kurze, weitergehende Recherchen unternehmen.
2. Sie bekommen kurze Texte über die
Teilnehmer*innen der Expert*innenrunde. Wenn
Sie noch weitere Informationen benötigen,
bitten Sie auch die einzelnen Gruppen, Ihnen
etwas über ihre Rolle mitzuteilen. Verwenden Sie
diese Informationen für Ihre Moderation. Bitte
arbeiten Sie auch mit den untenstehenden Tipps
für die Moderation.
B3 Rollenkarte Moderation UN-Waldforum
B 3 R O L L E N K A R T E N U N D E X P E R T * I N N E N R U N D E
R O L L E N K A R T E M O D E R AT I O N U N - W A L D F O R U M
Sie sind Vertreter*in des Waldforums der Vereinten Nationen.Sie berufen eine Expert*innenrunde mit verschiedenen Akteurenaus der Holz- und Forstwirtschaft sowie der Möbelindustrie ein,
um über die Ursachen und Folgen der Abholzungsibirischer Urwälder zu diskutieren.
28 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
B3 Rollenkarte Moderation UN-Waldforum
DIE VEREINTEN NATIONEN (englisch: United Na-
tions, UN) sind ein zwischenstaatliches Bündnis von
193 Mitgliedstaaten. Sie haben sich zur Einhaltung der in
ihrer Charta festgehaltenen Ziele und Prinzipien ver-
pflichtet. Vor dem Hintergrund zweier Weltkriege und
des Scheiterns des Völkerbundes wollten die Unterzeich-
nenden ein Staatenbündnis schaffen, das künftige Kriege
verhindert und Kooperation ermöglichen soll. Dieser Rol-
le wurden die UN im Laufe ihrer Geschichte nicht immer
gerecht. Dennoch sind die UN die erste Organi sation, die
die über 200 Jahre alte Idee eines Staatenbundes wir-
kungsvoll umgesetzt hat. Die zentralen Ziele der UN sind
im ersten Kapitel der Charta aufgelistet:
— Weltfrieden und internationale Sicherheit wahren
— friedliche Schlichtung aller Streitigkeiten
— Verzicht auf Gewaltanwendung
— Gleichheit und nationale Souveränität aller Staaten
achten
— freundschaftliche Zusammenarbeit zur Friedens-
sicherung fördern
— internationale Zusammenarbeit fördern, um
wirtschaftliche, soziale, kulturelle und humanitäre
Probleme zu lösen
— Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten
ungeachtet der Rasse, des Geschlechts, der Sprache
oder der Religion
Alle Mitgliedstaaten, also auch Russland, sind
zugleich Mitglieder des UN-Waldforums.
Q U E L L E N U N D R E C H E R C H E
— http://www.bpb.de/internationales/weltweit/
vereinte-nationen/48577/ziele-und-grundsaetze
— http://www.menschenrechtsabkommen.de/
hoher-kommissar-fuer-menschenrechte-1299/
— https://www.bmel.de/DE/Wald-Fischerei/
Waldpolitik/_texte/UNFF7-Resolution-a.html#1
— https://www.bmel.de/DE/Wald-Fischerei/
Waldpolitik/_texte/2030-Agenda.html
— http://www.bmz.de/de/ministerium/ziele/2030_
agenda/index.html?follow=adword
vielfalt beenden und umkehren“. Auf dieser Basis soll die
globale Waldfläche bis 2030 um drei Prozent vergrößert
werden – das entspricht 120 Millionen Hektar. Zudem
setzen die UN das Ziel, dass alle Wälder weltweit nach-
haltig bewirtschaftet werden. Das UN-Waldforum hat da-
mit eine globale Waldstrategie geschaffen.
Weltweit steigt die Nachfrage nach Holz. Die nachhaltige
Bewirtschaftung der Wälder sollte daher auch im Inter-
esse der Unternehmen sein, um zukünftig über ausrei-
chende Mengen des Rohstoffs verfügen zu können.
DIE GLOBALEN ZIELE FÜR WÄLDER: Das UN-Wald-
forum diskutiert mit seinen Mitgliedstaaten sowie exter-
nen Akteuren wie Unternehmen und NGOs, wie sich die
globalen Ziele für Wälder erreichen lassen. Auf dem Weg
dorthin gibt es zahlreiche Herausforderungen, wie die
immer kürzere Lebensdauer von Möbeln als Folge der
Niedrigpreispolitik; illegale Abholzung als Folge von Kor-
ruption sowie unzureichender Kontrollen; die Vergabe
von Zertifikaten, die sich an Standards orientieren, deren
Kriterien nicht immer gleichgewichtet nach ökologischen,
nachhaltigen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekten ge-
staltet werden, sondern oft stark von den Interessen ein-
zelner Akteure geprägt sind.
Die globalen Ziele für Wälder lauten:
— Umkehr des weltweiten Waldverlusts durch nachhal-
tige Waldbewirtschaftung, einschließlich Schutz,
Wiederherstellung, Aufforstung und Wiederauffors-
tung, und erhöhte Bestrebungen, eine Degradation
der Wälder zu verhindern.
— Steigerung des von den Wäldern ausgehenden
ökonomischen, sozialen und ökologischen Nutzens,
unter anderem durch Verbesserung der Lebens-
grundlagen für die Menschen, die vom Wald
abhängig sind.
— Deutliche Vergrößerung der Fläche der geschützten
Wälder weltweit und anderer nachhaltig bewirtschaf-
teter Waldflächen sowie des Anteils von Waldpro-
dukten aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern.
— Umkehr des Rückgangs offizieller Entwicklungshilfe
für nachhaltige Waldbewirtschaftung und Mobilisie-
rung deutlich erhöhter, neuer und zusätzlicher
finanzieller Mittel aus allen Bereichen für die
Umsetzung nachhaltiger Waldbewirtschaftung.
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 29
B3 Rollenkarte Moderation UN-Waldforum
M O D E R AT I O N
BEGRÜSSUNG/EINFÜHRUNG
— Allgemeine Begrüßung der Gäste; kurze Einführung,
Fragestellung der Expert*innenrunde vorstellen.
— Alle Gäste kurz einzeln vorstellen (Infos aus Stich-
punkten aus den Gruppen).
— Zeitplan vorstellen (ca. 20–30 Minuten).
— Einstieg in die Diskussion: ersten Gast mit Frage
konfrontieren und um sein Statement bitten. Dann
freundlich zum nächsten Gast wechseln: Es muss in
der ersten Runde jeder Gast kurz (max. zwei bis drei
Minuten!) Zeit haben, etwas zu sagen. Ist die Runde
abgeschlossen, wird die allgemeine Diskussion
eröffnet: Falls es nicht „von selbst“ weitergeht, den
ersten Gast bitten, auf einen Punkt näher einzuge-
hen (Tipp: dafür Stichpunkte während der Einfüh-
rungsrunde machen).
— Während der Diskussion mindestens ein bis zwei
Mal kurz Zwischenergebnis zusammenfassen und
dann neue Frage stellen.
— Zum Abschluss bitten Sie die Teilnehmenden, dass sie ihren Vorschlag für eine mögliche Lösung des Falls vorstellen sollen. Auch hier
muss jeder Gast kurz zu Wort kommen. Die Vorstel-
lung soll kurz und knapp sein.
GESPRÄCHSREGELN
— Auf allgemeine Diskussionsregeln verweisen!
Nicht einfach unterbrechen; ausreden lassen (falls
Handzeichen gemacht werden, muss die Reihen-
folge notiert werden).
— Erst mal frei sprechen lassen, aber wenn es häufig
Unterbrechungen gibt oder immer nur dieselben
Personen sprechen, dann:
– freundlich einhaken und steuern
– merken, wer sich wann zu Wort meldet und
dann „aufrufen“
– Redezeiten begrenzen
– stillere Teilnehmer*innen ermutigen und mit
gezielter Frage wieder in Diskussion einbinden
– auch mal jemanden bitten, sich kurz zu fassen.
30 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
B3 Rollenkarte NGO (Nichtregierungsorganisation)
Die anderen Teilnehmer*innen an der
Expert*innenrunde sind:
— Geschäftsführer*in eines Möbelkonzerns
— Geschäftsführer*in eines Unternehmens der
Holz- und Forstwirtschaft
— Vertreter*in des Staates Russland
F A K T E N Z U I H R E R R O L L E
— Die NGO „Weltweit Wälder retten“, für die Sie tätig
sind, ist seit Ende der 1990er-Jahre Mitglied eines
Gremiums, das Standards für die Zertifizierung von
Holz aus russischen Urwäldern erarbeitet. Dabei
arbeiten Sie eng mit der indigenen Bevölkerung, der
russischen Waldwirtschaft und der Möbel industrie
zusammen. Das zertifizierte Holz soll bestimmte
ökologische und soziale Anforderungen erfüllen,
also zum Beispiel aus nachhaltig bewirtschafteten
Wäldern stammen und unter Bedingungen geerntet
worden sein, die Menschenrechte und bestimmte
Arbeitsrechte nicht verletzen.
— Ihre Organisation steht in einem Konflikt, da sie auf
der einen Seite mit der Holzindustrie zusammen-
arbeitet und sich auf der anderen Seite für die
Rechte der indigenen Bevölkerung und den Schutz
der Wälder einsetzt. Auf die massive Kritik an ihrer
Arbeit im Zertifizierungs-Gremium reagiert sie mit
folgendem Statement: „Der nationale russische
Zertifizierungsstandard sieht vor, dass Kahlschläge,
wie sie traditionell üblich sind, nicht im Konflikt mit
dem Zertifikat stehen. Diese Regelung mag ökolo-
gisch vielleicht fragwürdig sein, ist aber der Konsens
der Verhandlungen mit den anderen Mitgliedern des
Gremiums und wird somit von uns mitgetragen.“
Die weltweite Nachfrage nach Holz als Rohstoff steigt ste-
tig an. Russland verfügt über ein Fünftel der weltweiten
Waldfläche, Forstbetriebe sind ein wesentlicher Wirt-
schaftsfaktor des Landes. Doch durch die teils illegale
Abholzung von Urwäldern verlieren vielerorts
Ureinwohner*innen ihren Lebensraum und ihre Lebens-
grundlage.
Fragestellung: »Wer ist verantwortlich für die Abholzung
der Urwälder und damit die Zerstörung des Lebensraums sibirischer Ureinwohnerinnen
und Ureinwohner?«
A R B E I T S A U F T R A G
1. Bitte lesen Sie sich die unten stehenden Fakten
für Ihre Rolle genau durch. Gerne können Sie auch
kurze, weitergehende Recherchen unternehmen.
2. Bearbeiten Sie die Tabelle B2 mit Hilfe Ihrer
Rollenkarte und mit dem Einleitungstext B1.
3. Bereiten Sie sich mit Argumenten für die
anschließende Expert*innenrunde vor.
4. Notieren Sie sich einen denkbaren Lösungsvor-
schlag für das Problem der Abholzung sibiri-
schen Urwalds und die Zerstörung von Lebens-
räumen der Ureinwohner*innen, der aus Ihrer
Rolle heraus sinnvoll und machbar wäre.
R O L L E N K A R T E N G O ( N I C H T R E G I E R U N G S O R G A N I S AT I O N )
Sie sind Mitglied der NGO „Weltweit Wälder retten“. Ihre Organisationtritt für die Rechte der indigenen Bevölkerung ein,
gibt ihr eine Stimme und versucht Lösungen zu finden,um das Überleben dieser Völker zu sichern.
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 31
B3 Rollenkarte NGO (Nichtregierungsorganisation)
— Während andere NGOs aufgrund der Kritik bereits
ausgetreten sind, will Ihre Organisation weiter in
dem Gremium mitarbeiten und sich dort dafür
einsetzen, Verbesserungen an den Standards zu
erzielen. „Weltweit Wälder retten“ ist auch mit
Vertreter*innen in Sibirien vor Ort, um mit Unter-
stützung westlicher Regierungen Waldflächen zu
pachten, die ausschließlich der indigenen Bevölke-
rung zur Verfügung stehen sollen. Sie helfen den
Einheimischen, ihre Waldflächen vor illegaler
Abholzung zu schützen, indem Sie zusammen mit
Ihren Partnern Kontrolleur*innen einsetzen und
Aufklärungsarbeit leisten.
— Um den Menschen vor Ort auch nach dem Auslau-
fen der Förderprogramme die Finanzierung der
Pacht zu ermöglichen, planen Sie derzeit verschiede-
ne Projekte. So arbeiten Sie mit einer russischen
Universität zusammen, um das Kohlenstoffspeicher-
volumen der gepachteten Waldflächen zu ermitteln
und anschließend zum Beispiel über den Verkauf
von CO2-Zertifikaten23 Einnahmen zu generieren. In
den kommenden Jahren wollen Sie außerdem den
Ökotourismus ausbauen und so Erlöse für die
Begleichung der Pacht erzielen.
— Ihre Organisation kritisiert die Gesetzgebung der
russischen Regierung, die durch die Privatisierung
der Waldflächen die Zerstörung der Lebensräume
der Menschen mit zu verantworten hat. Sie berufen
sich dabei auf den strategischen Plan des UN-Wald-
forums, in dem sich die 197 Mitgliedstaaten dafür
ausgesprochen haben, nachhaltige Waldbewirt-
schaftung zu fördern und die Menschen, die vom
Wald abhängig sind, zu schützen.
— Im Artikel 69 der russischen Verfassung heißt es:
„Die Russländische Föderation garantiert die Rechte
der kleinen Urvölker in Übereinstimmung mit den
allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des
Völkerrechts und den völkerrechtlichen Verträgen
der Russländischen Föderation.“ Nach Ansicht Ihrer
Organisation lässt sich dieser Artikel kaum mit dem
Raubbau in Sibirien vereinbaren.
K R I T I K A N I H R E R O R G A N I S AT I O N
— Ihnen wird zuweilen vorgeworfen, zu eng mit
Konzernen und dem russischen Staat zusammenzu-
arbeiten, die gleichzeitig an der Finanzierung des
Nachhaltigkeitsstandards beteiligt sind.
— Verschiedentlich werden Sie auch dafür kritisiert,
durch die Mitarbeit in dem Gremium einen zu
schwachen Nachhaltigkeitsstandard zu unterstützen,
statt für strengere Kriterien einzutreten.
Q U E L L E N U N D R E C H E R C H E
— https://www.youtube.com/watch?v=lYNp5KluHr4
— http://www.bpb.de/internationales/europa/
russland/analysen/138758/analyse-fsc-wald-
zertifizierung-in-russland?p=all
— https://www.wwf.de/themen-projekte/waelder/
verantwortungsvollere-waldnutzung/fsc-was- ist-
das/studie-waldzertifizierung-nach-fsc-in-nord-
westrussland/
— https://www.greenpeace.de/themen/waelder/
maengelexemplar-qualitaetssiegel
— https://de.wikipedia.org/wiki/Indigene_kleine_
Völker_des_russischen_Nordens
— http://www.constitution.ru/de/part3.htm
23 Ein CO2-Zertifikat entspricht der Einsparung von einer Tonne CO2 durch ein Klimaschutzprojekt. Das Kyoto-Abkommen ermöglicht, durch Erwerb und Stilllegung eines solchen Zertifikates eine Tonne CO2 auszugleichen, die an anderer Stelle emittiert wird (Quelle: https://www.arktik.de/CO2-ausgleich/CO2-zertifikate).
32 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
Die anderen Teilnehmer*innen an der
Expert*innenrunde sind:
— Geschäftsführer*in eines Möbelkonzerns
— Geschäftsführer*in eines Unternehmens der
Holz- und Forstwirtschaft
— Mitglied der NGO „Weltweit Wälder retten“
F A K T E N Z U I H R E R R O L L E
— Als Abgeordnete*r der Duma24 gehören Sie zu den
Mitinitiator*innen des russischen Wald-Kodex (siehe
Einleitungstext).
— Russlands Wirtschaft basiert zum größten Teil auf
Exporten von Rohstoffen. Dabei ist der russische
Staat meist an Firmen beteiligt, die Exportgeschäfte
betreiben. Mit dem neuen Wald-Kodex möchte die
Regierung den Anteil der Exporte der russischen
Forstindustrie erhöhen. Russlands Waldbestände
erstrecken sich über einen großen Teil des Landes,
jedoch werden sie wirtschaftlich noch kaum genutzt.
Um dies zu ändern, können seit der Verabschiedung
des Wald-Kodex ausländische und inländische
Firmen russische Wälder pachten und bewirtschaf-
ten. Davon erhofft sich der russische Staat hohe
Einnahmen.
— Damit das Holz aber nicht in großen Mengen einfach
nur exportiert und im Ausland weiterverarbeitet
wird, erhebt der Staat hohe Ausfuhrzölle auf
unbearbeitetes Rundholz. Der erhobene Exportzoll
ist in etwa so hoch wie der Einkaufswert. Die
Ausfuhrzölle für Rundholz werden allerdings
umgangen, indem das Holz schon dann als bearbei-
tet gilt, wenn es lediglich geschält wurde. So kann
Die weltweite Nachfrage nach Holz als Rohstoff steigt ste-
tig an. Russland verfügt über ein Fünftel der weltweiten
Waldfläche, Forstbetriebe sind ein wesentlicher Wirt-
schaftsfaktor des Landes. Doch durch die teils illegale
Abholzung von Urwäldern verlieren vielerorts
Ureinwohner*innen ihren Lebensraum und ihre Lebens-
grundlage.
Fragestellung: »Wer ist verantwortlich für die Abholzung
der Urwälder und damit die Zerstörung des Lebensraums sibirischer Ureinwohnerinnen
und Ureinwohner?«
A R B E I T S A U F T R A G
1. Bitte lesen Sie sich die unten stehenden Fakten
für Ihre Rolle genau durch. Gerne können Sie auch
kurze, weitergehende Recherchen unternehmen.
2. Bearbeiten Sie die Tabelle B2 mit Hilfe Ihrer
Rollenkarte und mit dem Einleitungstext B1.
3. Bereiten Sie sich mit Argumenten für die
anschließende Expert*innenrunde vor.
4. Notieren Sie sich einen denkbaren Lösungsvor-
schlag für das Problem der Abholzung sibiri-
schen Urwalds und die Zerstörung von Lebens-
räumen der Ureinwohner*innen, der aus Ihrer
Rolle heraus sinnvoll und machbar wäre.
B3 Rollenkarte Staat Russland
R O L L E N K A R T E S TA AT R U S S L A N D
Sie vertreten den russischen Staat in Ihrer Funktion alsVorsitzende*r des Duma-Komitees für Rohstoffe,
Natur und Umweltschutz.
24 Die Duma ist das Unterhaus, die direkt vom Volk gewählte 2. Parlamentskammer der Föderationsversammlung von Russland. Das Wort Duma (dt.: Gedanke) leitet sich vom altslawischen und russischen dumat’ (dt.: nachdenken) her und bezeichnet generell eine beratende Versammlung oder Körperschaft, z. B. einen Stadtrat, aber auch deren Versammlungshaus (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Duma).
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 33
B3 Rollenkarte Staat Russland
das Holz zu günstigen Preisen ins Ausland transpor-
tiert werden, auch ohne dass es in Russland
weiterverarbeitet wurde.
— Russland hat zudem ein Förderprogramm ins Leben
gerufen. Es wurden knapp 30 Milliarden Euro zur
Verfügung gestellt, um die heimische Holz- und
Möbelindustrie zu unterstützen. Die Binnennachfra-
ge auf dem russischen Markt bleibt jedoch verhal-
ten, trotz der Förderung. Deshalb hat das Industrie-
ministerium an einige Firmen Quoten zum Export
von Holz vergeben. Diese Quoten sind begehrt und
bergen somit die Gefahr der Korruption.
— Die russische Forstwirtschaft hat in den vergange-
nen Jahren massive Einsparungen beim Personal in
der Forstwirtschaft betrieben. So gestaltet sich die
Aufforstung der Wälder und damit eine nachhaltige
Entwicklung schwierig. Die ausländischen Pächter
sind zwar zur Aufforstung angehalten, es fehlt
jedoch an Kontrollen, um die Einhaltung der Regeln
sicherzustellen.
K R I T I K A M R U S S I S C H E N S TA AT
— Als Folge von Einsparungen gibt es kaum noch
Kontrolleure, die den illegalen Holzeinschlag
verhindern können.
— Das russische System aus Regulierung und Kontrolle
ist so lückenhaft, dass internationale Forstbetriebe
viel Holz ins Ausland transferieren können.
— Seitens des Staates werden zu wenige Maßnahmen
ergriffen, um die im Land verbreitete Korruption
einzudämmen.
Q U E L L E N U N D R E C H E R C H E
— https://eia-international.org/our-work/forests/
— https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/
Maerkte/suche,t=russische-holzverarbeiter-
investieren-ueber-13-milliarden-euro-in-neue-
anlagen,did=1799570.html
— https://de.wikipedia.org/wiki/Natalja_Wladimi-
rowna_Komarowa
— https://www.dw.com/de/russischer-wirtschaft-
fehlen-reformen/av-43680050
— https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/
dn053483.pdf
— https://www.researchgate.net/publica-
tion/260552383_Forstpolitik_in_Russland_im_
Rahmen_der_Reformprozesse
— http://www.bpb.de/internationales/europa/
russland/analysen/138758/analyse-fsc-wald-
zertifizierung-in-russland?p=all
34 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
B3 Rollenkarte Möbelkonzern
Die weltweite Nachfrage nach Holz als Rohstoff steigt ste-
tig an. Russland verfügt über ein Fünftel der weltweiten
Waldfläche, Forstbetriebe sind ein wesentlicher Wirt-
schaftsfaktor des Landes. Doch durch die teils illegale
Abholzung von Urwäldern verlieren vielerorts
Ureinwohner*innen ihren Lebensraum und ihre Lebens-
grundlage.
Fragestellung: »Wer ist verantwortlich für die Abholzung
der Urwälder und damit die Zerstörung des Lebensraums sibirischer Ureinwohnerinnen
und Ureinwohner?«
A R B E I T S A U F T R A G
1. Bitte lesen Sie sich die unten stehenden Fakten
für Ihre Rolle genau durch. Gerne können Sie auch
kurze, weitergehende Recherchen unternehmen.
2. Bearbeiten Sie die Tabelle B2 mit Hilfe Ihrer
Rollenkarte und mit dem Einleitungstext B1.
3. Bereiten Sie sich mit Argumenten für die
anschließende Expert*innenrunde vor.
4. Notieren Sie sich einen denkbaren Lösungsvor-
schlag für das Problem der Abholzung sibiri-
schen Urwalds und die Zerstörung von Lebens-
räumen der Ureinwohner*innen, der aus Ihrer
Rolle heraus sinnvoll und machbar wäre.
R O L L E N K A R T E M Ö B E L K O N Z E R N
Sie sind Geschäftsführer*in eines international tätigen Konzerns.In Ihren Möbelhäusern bieten Sie Einrichtungsgegenstände
zu günstigen Preisen an. Das Credo des Unternehmens lautet:„Designermöbel, die sich jeder leisten kann.“
Die anderen Teilnehmer*innen an der
Expert*innenrunde sind:
— Geschäftsführer*in eines Unternehmens der
Holz- und Forstwirtschaft
— Mitglied der NGO „Weltweit Wälder retten“
— Vertreter*in des Staates Russland
F A K T E N Z U I H R E R R O L L E
— Die gesamte Möbelindustrie erzielte 2017 in
Deutschland einen Umsatz von knapp 18 Milliarden
Euro. Als Marktführer kam ihr Unternehmen
allein in Deutschland auf 5 und weltweit auf 30 Milli-
arden Euro Umsatz. Sie beschäftigen
120.000 Mitarbeiter*innen und unterhalten 320 Fili-
alen in 25 Ländern.
— Sie möchten vielen Menschen die Möglichkeit geben,
ihr Zuhause individuell einzurichten. Daher arbeiten
Sie ständig daran, Ihre Produkte zu niedrigen
Preisen anbieten zu können.
— Um weiter wachsen zu können, setzt Ihr Unterneh-
men auf steigende Konsumraten, also darauf, dass
die Menschen künftig einen größeren Teil ihres
Einkommens für Möbel ausgeben.
— Die Produktion Ihrer Möbel findet weltweit statt.
Zudem pachten eigene Tochterunternehmen
Waldflächen, um dort Holz zu ernten. Dies ist im
Norden Russlands besonders attraktiv, weil die
Regierung Waldgebiete für mehrere Jahrzehnte an
private Unternehmen verpachtet.
— Trotz negativer Berichterstattung über Kahlschläge
sind Ihr Unternehmen sowie seine Tochterfirmen für
nachhaltige Forstwirtschaft und die Nutzung
entsprechender Rohstoffe zertifiziert. Sie halten sich
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 35
B3 Rollenkarte Möbelkonzern
— Als Mitglied und Geldgeber im Gremium zur
Festlegung des Nachhaltigkeits-Standards wird
Ihrem Unternehmen oftmals vorgeworfen, sich mehr
im Sinne Ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen
einzusetzen und weniger für eine nachhaltige
Forst- und Holzwirtschaft sowie die Rechte der
indigenen Völker.
— Ihr Unternehmen wirbt damit, dass sich Kund*innen
immer nach neuesten Trends einrichten sollten, und
ermöglicht durch niedrige Preise die Erfüllung von
Konsumwünschen. Mit diesem Geschäftsmodell,
sagen Ihre Kritiker*innen, trage der Konzern zur Ver-
kürzung der Lebensdauer von Produkten bei. Möbel
würden somit zu Wegwerfartikeln.
Q U E L L E N U N D R E C H E R C H E
— https://www.nachhaltigkeitspreis.de/wettbewer-
be/unternehmen/preistraeger- unterneh-
men/2017/ikea-deutschland-gmbh-co-kg/
— https://www.youtube.com/watch?v=bQlASv_gq3s
— https://www.fsc-deutschland.de/de-de/wald-
wahrheiten/wie-werden-fsc-wlder-in-ihrem-land-
bewirtschaftet/fsc-aus-den-lndern/russland-
karelien
— http://www.bpb.de/internationales/europa/
russland/analysen/138758/analyse-fsc-wald-
zertifizierung-in-russland?p=all
— https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/
notizbuch/ueber-den-moebelkonsum-in-der-
westlichen-gesellschaft-100.html
streng an die nationalen Standards in Russland.
Kahlschläge gehören dort in einem bestimmten
Umfang zur üblichen Bewirtschaftung. 30 Prozent
des vom Unternehmen bewirtschafteten Waldes
sind gesetzlich gegen Kahlschläge geschützt.
— Nachhaltigkeit spielt eine große Rolle im Konzern,
denn die Möbelproduktion ist sehr ressourceninten-
siv. Sie sind Mitglied eines Gremiums, das die
Standards für den Erwerb von Nachhaltigkeits-Zerti-
fikaten festlegt, und arbeiten dort eng mit NGOs
zusammen. Sie setzen sich für die nachhaltige
Bewirtschaftung von Wäldern ein und fordern den
Erhalt schützenswerter Urwälder und damit auch
den Schutz des Lebensraums indigener Völker. Um
illegal geschlagenes Holz in Ihrer Lieferkette zu
vermeiden, beauftragen Sie Kontrolleur*innen, die
Herkunft zugekauften Holzes zu überprüfen.
— Ihr Unternehmen wurde 2018 für den Sonderpreis
„Ressourceneffizienz“ der Stiftung Deutscher
Nachhaltigkeitspreis25 in die Top drei gewählt – unter
anderem weil Sie in Ihren Kaufhäusern auf erneuer-
bare Energien setzen, Abfälle möglichst vollständig
recyclen und Produkte aus recycelten Materialien
herstellen.
K R I T I K A M M Ö B E L K O N Z E R N
— Trotz Nachhaltigkeits-Zertifikats werden für Ihre
Möbel im Norden Sibiriens großflächig Waldgebiete
abgeholzt. Zwar handelt Ihr Unternehmen nach dem
nationalen Zertifizierungsstandard, aber großflächi-
ge Kahlschläge können nach Ansicht vieler NGOs
letztlich nicht für eine nachhaltige Forstwirtschaft
stehen.
25 Der Deutsche Nachhaltigkeitspreis zeichnet – laut Eigendarstellung – jedes Jahr kreative Lösungen für die Herausforderungen von morgen aus: „Europas größte Auszeichnung für ökologisches und soziales Engagement würdigt Spitzenleistungen der Nachhaltigkeit – in so unterschiedlichen Kategorien wie Wirtschaft, Forschung, Architektur und Kommunen. Mit dem Preis fördert die Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis e. V. gemeinsam mit der Bundes-regierung und weiteren Partnern mutige Akteure und Ideen mit Vorbildfunktion.“ (Quelle: https://www.nachhaltigkeitspreis.de/ueber-uns/).
36 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
B3 Rollenkarte Unternehmen der Holz- und Forstwirtschaft
Die anderen Teilnehmer*innen an der
Expert*innenrunde sind:
— Geschäftsführer*in eines Möbelkonzerns
— Mitglied der NGO „Weltweit Wälder retten“
— Vertreter*in des Staates Russland
F A K T E N Z U I H R E R R O L L E
— Das Familienunternehmen hat seinen Stammsitz in
Deutschland und beschäftigt insgesamt ungefähr
3000 Mitarbeiter*innen weltweit. Seit Anfang der
1990er-Jahre ist das Unternehmen in der Branche
tätig und wächst kontinuierlich. Die gefertigten
Produkte finden ihre Abnehmer in der Möbelindust-
rie, im Holzfachhandel sowie in Baumärkten.
— Das Unternehmen hat kürzlich einen großen
russischen Holz- und Forstwirtschaftsbetrieb
übernommen. Durch die Fusion stehen Ihnen nun
rund 100.000 Hektar gepachtete Waldfläche zur
Rohstoffgewinnung im Norden Sibiriens zur Verfü-
gung. Als zertifiziertes Unternehmen halten Sie sich
streng an die vorgegebenen nationalen Standards
zur Abholzung.
— Durch die Fusion sichern Sie rund 500 Arbeitsplätze
vor Ort und ermöglichen durch Ihr Kapital dringend
notwendige Investitionen.
— Russlands Forstwirtschaft hat für die Zukunft sehr
gute Prognosen als Wachstumsmarkt, so dass Ihr
Unternehmen mit guten Geschäften in den kom-
menden Jahren rechnet.
— Der russische Staat hat der Fusion auch deshalb
zugestimmt, weil er an der Produktion für den
heimsichen Markt interesiert ist. Allerdings stellt sich
Die weltweite Nachfrage nach Holz als Rohstoff steigt ste-
tig an. Russland verfügt über ein Fünftel der weltweiten
Waldfläche, Forstbetriebe sind ein wesentlicher Wirt-
schaftsfaktor des Landes. Doch durch die teils illegale
Abholzung von Urwäldern verlieren vielerorts
Ureinwohner*innen ihren Lebensraum und ihre Lebens-
grundlage.
Fragestellung: »Wer ist verantwortlich für die Abholzung
der Urwälder und damit die Zerstörung des Lebensraums sibirischer Ureinwohnerinnen
und Ureinwohner?«
A R B E I T S A U F T R A G
1. Bitte lesen Sie sich die unten stehenden Fakten
für Ihre Rolle genau durch. Gerne können Sie auch
kurze, weitergehende Recherchen unternehmen.
2. Bearbeiten Sie die Tabelle B2 mit Hilfe Ihrer
Rollenkarte und mit dem Einleitungstext B1.
3. Bereiten Sie sich mit Argumenten für die
anschließende Expert*innenrunde vor.
4. Notieren Sie sich einen denkbaren Lösungsvor-
schlag für das Problem der Abholzung sibiri-
schen Urwalds und die Zerstörung von Lebens-
räumen der Ureinwohner*innen, der aus Ihrer
Rolle heraus sinnvoll und machbar wäre.
R O L L E N K A R T E H O L Z - U N D F O R S T W I R T S C H A F T
Sie sind Geschäftsführer*in eines Unternehmens in derHolz- und Forstwirtschaft. Für Ihren Arbeitgeber suchen Sie weltweit
nach neuen Märkten und Investitionsmöglichkeiten.
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 37
B3 Rollenkarte Unternehmen der Holz- und Forstwirtschaft
Q U E L L E N U N D R E C H E R C H E
— https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/
Maerkte/suche,t=russische-holzverarbeiter-
investieren-ueber-13-milliarden-euro-in-neue-
anlagen,did=1799570.html
— https://www.nzz.ch/articleEN6DG-1.74287
— https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/
Maerkte/suche,t=so-importieren-deutsche-fir-
men-russisches-rundholz,did=1464838.html
der Absatz durch die geringe Binnenmarktnachfrage
in Russland als schwierig dar. Sie nutzen deshalb die
Möglichkeit, geschlagenes Rundholz als bearbeitetes
Holz zu deklarieren, um es dann unter Wegfall der
hohen Ausfuhrzölle günstig nach Deutschland zu
exportieren.
— Das Problem der illegalen Abholzung ist Ihnen
bekannt und ist auch für Ihren Forstbetrieb relevant.
Sie kritisieren, dass der Staat zu wenig unternehme,
um der illegalen Abholzung entgegenzuwirken. Als
Folge von Einsparmaßnahmen gebe es nicht
ausreichend Personal, um Kontrollen durchzufüh-
ren. Daher entstehe Unternehmen, die sich an die
Regeln hielten, gegenüber Wettbewerbern ein
Nachteil. Auch seien behördliche Abläufe sehr
langwierig, um beispielsweise legal an Quoten für
die Ausfuhr von Holz zu kommen. Korruption
scheine hier oft der einzige Weg, um erfolgreich zu
sein.
— Da Ihr Unternehmen nun schon einige Zeit in
Russland tätig ist, fällt immer öfter auf, dass zwar die
meisten anderen Unternehmen vor Ort auch
zertifiziert sind, diese sich jedoch aus Ihrer Sicht
nicht konsequent an die vereinbarten Standards
halten. Sie fordern deshalb das Zertifizierungsgremi-
um und den Staat auf, bessere Kontrollen einzufüh-
ren und die Korruption zu bekämpfen.
K R I T I K A M U N T E R N E H M E N
— NGOs kritisieren, Ihr Unternehmen trage dazu bei,
dass der Urwald als günstiger Rohstofflieferant
ausgenutzt werde.
— Statt die heimische russische Wirtschaft zu unter-
stützen, werden die Betriebe im Ausland für die
Weiterverarbeitung beliefert.
— Immer wieder wird behauptet, Ihr Unternehmen
beteilige sich an korrupten Geschäften um die
Vergabe von Quoten für den Export von Holz aus
Russland.
38 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
B3 Beobachter*in während der Expertenrunde
B E O B A C H T E R * I N W Ä H R E N D D E R E X P E R T E N R U N D E
Bitte wählen Sie eine*n Teilnehmer*in aus, die*der in-
nerhalb Ihrer Akteursgruppe ebenfalls den Einführungs-
text und die Rollenkarte liest, sich aber danach nicht auf
die aktive Diskussion in der Expertenrunde vorbereitet,
sondern die wichtigsten Argumente ihres*seines Akteurs
während der Diskussion mitschreibt. Die Argumente sol-
len anschließend analysiert werden und werden dafür in
die Kopie B2 Haus/Reflexionstabelle eingetragen.
A B L A U F W Ä H R E N D U N D N A C H D E R E X P E R T * I N N E N R U N D E
1. Bitte nehmen Sie die Kopie des Reflexionshauses
und lesen Sie sich den Text gut durch. Klären Sie
eventuelle Fragen mit der Kursleitung.
2. Nehmen Sie sich einen kleinen Stapel Moderati-
onskarten und einen Flipchart-Marker.
3. Wenn die Expert*innenrunde beginnt, notieren
Sie bitte in Stichworten die Hauptargumente der
Vertreter*innen Ihrer Akteursgruppe. Wiederho-
lungen müssen nicht mitgeschrieben werden!
Wählen Sie für sich die drei wichtigsten Argu-
mente aus.
4. Wenn die Expert*innenrunde beendet ist,
werden Sie im Plenum gemeinsam mit den
anderen Beobachter*innen die gesammelten
Argumente vorstellen und in das Reflexionshaus
an der Metaplanwand pinnen.
5. Das Plenum ist beteiligt – es kann diskutiert
werden.
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 39
Reflexionshaus
R E F L E X I O N S H A U S
ZU A: DIE ENTSCHEIDUNG/HANDLUNG
BERÜCKSICHTIGT NUR MICH ALS PERSON.
— Ich habe einen Nachteil zu erwarten,
wenn ich anders entscheide.
— Mein Arbeitsplatz/meine Wohnung etc. ist in Gefahr.
— Meine Familie ist direkt betroffen.
ZU B: DIE ENTSCHEIDUNG/HANDLUNG
ERFÜLLT NORMEN UND REGELN, DIE
DIE UMWELT/ROLLE/SITUATION VON MIR
ERFORDERT/ERWARTET.
— Ich handle so, wie es meine Rolle erfordert.
— Ich handle so, wie ich es auch von anderen
in meiner Gemeinschaft erwarten würde.
ZU C: ICH ENTSCHEIDE/HANDLE SO, WEIL
ES SICH UM EINE UNIVERSELLE, FÜR ALLE
MENSCHEN IMMER GÜLTIGE REGEL HANDELT.
(KANT)
— Die Würde des Menschen erfordert genau dieses
Handeln. (Menschenrechte)
40 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
2. BEREICH WIRTSCHAFT
2.1 Unternehmen — Risikomanagement, d. h. Reaktionen der Unterneh-
men auf Skandale oder Kritik (Reputation/Image).
— Unternehmerische Sozialverantwortung (Corporate
Social Responsibility), umschreibt den freiwilligen
Beitrag der Wirtschaft zu einer nachhaltigen
Entwicklung, die über die gesetzlichen Forderungen
(Compliance) hinausgeht.
2.2 Standardgebende Organisationen (Zertifizierer etc. …)
— Zertifizierung zum Nachweis der Einhaltung von
Umwelt- und Sozialstandards, z. B. Zertifizierung von
nachhaltig erzeugtem Kakao.
2.3 Handelsabkommen — Abkommen zwischen Staaten, die den Handel
regeln, z. B. Freihandelszonen, Zollunion oder
multilaterale Handelsabkommen (GATT).
3. BEREICH GESELLSCHAFT
3.1 NGOs (Nichtregierungsorganisationen) — Sie vereinen Interessen für ein spezielles Thema
(z. B. bessere Löhne für Kakaobäuerinnen und
-bauern) und versuchen durch Druck, Kampagnen
oder Kooperationen (auch mit Unternehmen) ihre
Ziele zu erreichen.
3.2 Bürgerinnen und Bürger — Als Konsument*in.
— Als Arbeitnehmer*in, als Unternehmer*in,
als Aktionär*in.
B 4 L Ö S U N G S A N S Ä T Z E U N D H E B E L D E R V E R Ä N D E R U N G
Jeder Bereich beinhaltet verschiedene Akteure, die in
ihrem Handeln aufeinander einwirken. Deshalb über-
schneiden sich die Bereiche und sind nicht voneinander
getrennt zu betrachten. Beispielsweise können Nicht-
regierungsorganisationen mit Unternehmen und/oder
Politik zusammenarbeiten, indem sie Verträge oder
Abkommen schließen.
1. BEREICH POLITIK
1.1 Globale über- bzw. zwischenstaatliche Akteure — UN: hat meist eine empfehlende bis mahnende Rolle.
— Organisationen wie die OECD oder WTO: Sie regeln
im Wesentlichen die wirtschaftliche Beziehungen
ihrer Mitglieder (Welthandel).
1.2 Staatlicher Verbund EU — Ein über die wirtschaftlichen Beziehungen hinaus-
gehender Verbund von Staaten.
1.3 Nationale Rahmenbedingungen — Darunter fallen vor allem gesetzliche Rahmenbedin-
gungen (z. B. das deutsche Grundgesetz). Darüber
hinaus gibt es politische Steuerungsmechanismen,
z. B. Schwerpunkte und Ziele setzen, Arbeitskreise
bilden, Kooperationen mit Wissenschaft, Wirtschaft
etc. eingehen.
B4 Hebel der Veränderung in drei Bereichen
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 41
B4 Hebel der Veränderung in drei Bereichen
A R B E I T S A U F T R A G
1. Bilden Sie Kleingruppen von vier bis fünf Perso-
nen und ordnen Sie sich einem Hebel der
Veränderung (Text- oder Filmmaterial) zu.
2. Bereiten Sie die Informationen so auf, dass sie
an einer Wandzeitung veröffentlicht werden und
vor der restlichen Gruppe verständlich vorge-
stellt werden können.
A R B E I T S A U F T R A G R U N D E R T I S C H
1. Nachdem eine Gruppe ihren Hebel der Verände-
rung vorgestellt hat, diskutieren Sie bitte
folgende Frage: Welche Konsequenzen hat
dieser Hebel für die beteiligten Akteure?
2. Wenn alle Gruppen vorgestellt haben, verglei-
chen Sie die vorgestellten Hebel mit Ihren
eigenen Lösungsvorschlägen aus der
Expert*innenrunde. Welche Gemeinsamkeiten/
Unterschiede gibt es?
3. Abschließend diskutieren Sie bitte folgende
Frage: Warum gestaltet sich die Umsetzung der
Hebel der Veränderung schwierig?
42 V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft
F A Z I T – A U S B L I C K
1. FREIWILLIGE ABKOMMEN haben kaum Sanktionen oder gelten als zu
schwach, da sie häufig in ähnlicher Form bereits in der nationalen Rechtspre-
chung verankert sind. Beispiele:
— ILO-Kernarbeitsnormen der UN
— UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte von John Ruggie
— UN Global Compact
2. NATIONALE REGIERUNGEN haben zwar umfangreiche rechtliche Rah-
menbedingungen, doch häufig mangelt es an der Fähigkeit oder dem Willen,
diese umzusetzen. Die Gründe dafür sind sehr vielfältig, z. B. Überlastung des
Justizsystems, Armut, Bürgerkriege oder Korruption.
3. UNTERNEHMEN befinden sich im Zwiespalt zwischen ihren eigenen Rege-
lungen (CSR) oder z. B. einer Verpflichtung des Global Compact und den gesetz-
lichen Rahmenbedingungen in den Produktionsländern. Lange und komplexe
Wertschöpfungsketten können Kontrollen und Veränderungen für Unterneh-
men schwierig und langwierig machen.
4. DIE MACHT- UND INTERESSENVERTEILUNGEN zwischen den betei-
ligten Akteuren können sehr unterschiedlich gelagert sein und Prozesse stark
beeinflussen oder sogar ganz behindern.
B4 Hebel der Veränderung in drei Bereichen
V I E W ! Verantwortung in Wirtschaft 43