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Nahrungsmittelallergien und Unverträglichkeiten bei Kindern und Jugendlichen
S. BuderusGFO‐Kliniken Bonn
St. Marien‐Hospital BonnAbt. Pädiatrie
Meine Eindrücke als pädiatrischer Gastroenterologe
• Fast kein Kind kommt zur „Gastro‐Abklärung“ ohne zum Teil ausgedehnte Allergieabklärung
• Nicht bekannt ist oft: Nicht jede Allergie hat etwas mit IgE zu tun, nicht jede Allergie kann im Blut „gemessen“ werden
• Viele Kinder haben schon diverse, meist „harte“ Diätversuche hinter sich
• Oft werden Nahrungsmittelunverträglichkeiten mit Allergien verwechselt (z.B. Laktosemalabsorption)
• Bestimmte Diagnosen sind sehr populär(z.B. Laktosemalabsorption)
• Andere wiederum nicht (Obstipation)
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Gliederung• Epidemiologie der Nahrungsmittelallergie
• Klassifikation der Nahrungsmittelunverträglichkeit
• Kuhmilch‐/Nahrungsmittelallergie bei Säuglingen
• Eosinophile Erkrankungen
• Zöliakie
• Exkurs: Allergieprävention
• Fazit
Aus: „Deutschland, wie es isst“Der BMEL‐Ernährungsreport 2016
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Prävalenz von Nahrungsmittelunverträglichkeiten in Europa
Graben
hen
rich
2016
NMA?!!
Epidemiologische Aspekte• Ca. 20% der Bevölkerung geben an, unter einer isolierten oder multiplen Nahrungs‐mittelunvertäglichkeit/‐allergie zu leiden
• Gesichert ‐ Säuglinge & Kinder ca. 6‐8%; Kuhmilch 2‐3(‐5)%‐ Erwachsene ca. 1‐4%
• Gastrointestinale Symptome:bis zu 50% der betroffenen Patienten
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Ganz aktuelle Daten zur KuhmilchallergieEuroPrevall, Shoemakers et al. 2015
Nahrungsmittelunverträglichkeit
Nahrungsmittel‐Allergie Nahrungsmittel‐Intoleranz
KH‐Malabsorption(Fruktose, Laktose, Sorbit, …)
Toxin‐Wirkung(z.B. Lebensmittelintoxikation)
Pharmakologische Wirkung(z.B. Medikamente, Histamin, Tyramin)
PsychogenPhysiologisch(z.B. Ballaststoffe)
Sofortreaktion(IgE‐vermittelt)
„typische NMA“
ErdnussKuhmilch …
bis zur Anaphylaxie
Verzögerte Reaktion(nicht‐IgE, ggf. kombiniert)
häufig GI‐SymptomeAber auch: Ekzem der Säuglinge
Allergische ProktokolitisEo‐ÖsophagitisFPIESEnteropathie, EGID
Nahrungsmittel‐Intoleranz
Immun‐vermittelt Nicht‐Immun‐vermitteltZöliakie
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Altersgruppen‐typische Nahrungsmittelallergene
Säuglinge Kinder Jugendliche Erwachsene
Kuhmilch Hühnerei Weizen
Soja Kuhmilch Baumnüsse
Hühnerei Erdnuss Soja
(Reis) Baumnüsse Fisch/Schalentiere
„Landesbesonderheiten“ (z.B. Sesam in Israel)
Soja Erdnuss
Fisch Pollen‐assoziiert(z.B. Apfel, Kirsche, Möhre)
Schalentiere Latex‐assoziiert(z.B. Banane, Avocado, Kiwi)
Die 10 häufigsten Nahrungsmittelallergene als Auslöser der Anaphylaxie
Worm et al. DÄ 2015
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Symptomspektrum IgE‐vermittelte NMAklarer Zusammenhang mit Nahrungsmittelverzehr/‐kontakt
Reaktion innerhalb von Minuten bis < 2 Stunden
Systemisch/Kardiovaskulär:AnaphylaxieSchock, HypotensionTachykardie (selten: Bradykardie)Benommenheit, SchwindelSynkope
Obere Atemwege:Nasensekretion, ‐kongestion, ‐schmerzenStridorHeiserkeitHustenreiz
Untere Atemwege: HustenDyspnoe, Obstruktionthorakales EngegefühlZyanose
Oropharyngeal:SchleimhautschwellungSchmerzen
Haut:Erythem (ggf. vorübergehend‐Flush)Ekzem bzw. EkzemverschlechterungUrtikaria, AngioödemHautbrennen/‐juckenAugen: Brennen, Rötung, Schmerzen, Schwellung periorbital, Tränen
GastrointestinalBauchschmerzen (ggf. kolikartig)Übelkeit/ErbrechenRefluxDurchfall
Mögliche gastrointestinale Symptomeeiner nicht‐IgE‐NMA
„verzögert“ – nach 2‐6 Stunden, selten Latenz bis 48 Stunden
• Säuglinge: Unruhe, häufiges Weinen, „Schreikind“
• Geblähtes Abdomen, Meteorismus
• Bauchschmerzen
• Spucken, Übelkeit, Erbrechen
• „Schlechtes“ Trinken, Dysphagie, Reflux
• Diarrhoe, z.T. blutig
• Gedeihstörung, Gewichtsverlust
• Obstipation (?)
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Kolik als Ausdruck einer Kuhmilchallergie
0123456789
Weinen (Stunden/Tag)
1 3 5 7 9 11 13 15 25
Alter (Wochen)
Weinen
MuttermilchKuhmilchKuhmilchfrei
Mütterl. Kost
SäuglingskostNach: Jacobsson et al., Lancet 1978
Überblick: Diagnostische Methoden Nahrungsmittelallergie/Nahrungsmittelunverträglichkeit
Spezifisch und differentialdiagnostisch
• AnamneseSymptom‐ und Ernährungsprotokoll
• Blut:BB mit Diff. ‐ Eosinophile?IgE, spez. IgEZöliakieserologieEntzündungsparameterMalabsorptionsparameterECP (?)
• EliminationskostProvokation (offen oder DBPCFC)
• Stuhl:HämoccultAusstrich ‐ Eosinophile?Entzündungsmarker a1‐Antitrypsin im Stuhl
• Haut:Prick‐TestAtopy‐Patch‐Test (?)
• Endoskopie mit Biopsieendoskopische Provokation?
• ImpedanzmessungpH‐Metrie
• Atemtests mit Kohlenhydraten
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Muttermilch assoziierte allergische Proktokolitis
• Klinik: Blutig tingierte, teils blutige, schleimige Stühle bei einem ansonsten gesunden Säugling
• Manifestationsalter:typischerweise 2‐8 Wochen alt, selten erste Lebenstage bzw. bis zu 12 Wochen
• Differentialdiagnosen: Analfissur, (infektiöse) Colitis, Gerinnungsstörung, intestinales Hämangiom, NEC, Volvolus, Meckel´ Divertikel
Studie: Muttermilch assoziierte allergische Proktokolitis
Lake, JPGN 2000
• 95 Säuglinge, retrospektiv untersucht• Initialsymptomatik:
100% blutig tingierte Stühle, 22% schmerzhafte Stuhlentleerung, 22% mildes Ekzem, 4,2% Durchfall
• Therapieansprechen65% Elimination von Kuhmilch 18,9% Elimination von Ei11,6% (n=11)nicht identifiziert, davon 7,4% (n=7/63,6%) Ansprechen auf Hydrolysat4,2% (n=4/36,4%) Ansprechen auf AS‐Nahrung
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Aktuelle Einschätzung:Therapeutische Optionen:
• Aufklären, beobachten und zuwarten• „aktive Optionen“ (s. dazu die LL GPA‐GPGE‐DGKJ, MoKi 2009):
• bei gestillten Kindern: allergenarme Ernährung der Mutter‐ bei fehlendem Effekt: Umsetzen auf Therapienahrung
• bei Flaschenmilch‐ernährten Kindern: Umsetzen auf Therapienahrung
• jeweils mit Re‐Exposition zur Diagnosesicherung
Eosinophile Ösophagitis• Symptome
Regurgitation/Erbrechenepigastrische SchmerzenDysphagieBolusimpaktion
• DiagnoseEndoskopie mit Biopsie histologisch: EosinophilieEosinophilie im BlutbildIgE und spez. IgE, ECPHauttestungen
• TherapieFluticason „ösophageal“visköses Budesonid (Rezeptur)Allergenvermeidung (wenn möglich)„6‐food‐elimination‐diet“Elementarkostsystemische SteroideMontelukast
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Patientencharakteristika(nach Liacouras et al. 2011, Soon et al. 2013, Chang & Anderson 2008)
• Geschlechterverhältnis: 3m/1w
• Pädiatrische Inzidenz zwischen 0,7 (NL) ‐1,6 (DK) bis 10/100000 (USA)
päd. Prävalenz zwischen 0,2 (UK)‐ 8,9 (AUS) bis 43/100000 (USA)
• Mancherorts in den letzten 15 Jahren deutliche Zunahme der Häufigkeit
• IgE‐Nahrungsmittelallergien: 15% bis 43%
• Allergische Rhinitis, Asthma, atop. Dermatitis:
40%‐75%, 14%‐70%, und 4%‐60%
• Sensibilisierungsraten gegen Aeroallergene z.T. bis 93%,
saisonale Schwankungen der ösoph. Symptomatik möglich
• Prognose und Verlauf der Erkrankung unklar
Therapiekonzept6‐Food‐Elimination Diet
1. Kuhmilch
2. Soja
3. Ei
4. Weizen
5. Erdnuss/Baumnüsse
6. Fisch und Meeresfrüchte
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Empirische Eliminationskost ‐ differenziertKagalwalla et al. 2011
N=36 aus 45 Pat, erfolgreiche 6‐Food‐Elimination Kostdavon 32 mit allerg. Diagnose, mittl. Alter 7,6J
Im Mittel: 5,6 Endoskopien und Prozedurdauer 16,8 Monate nur 4 Pat im Langzeitverlauf tolerant für alle 6 Nahrungsmittel
EOSINOPHILIC GASTROINTESTINAL DISEASES (ERKRANKUNGEN)
Erkrankungsgruppe EGID(E)
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Erkrankungsspektrum EGID(E)• Eosinophile Ösophagitis• Eosinophile Gastroenteritis
Nahrungsmittel‐allergische Enteropathie• Eosinophile Enterokolitis
Nahrungsmittelallergische Enterkolitis • Nahrungsmittel‐induzierte/allergische Proktitis• Parasitäre Infektionen• CED • GÖRK
Mechanismus: T‐zelluläre, oft auch IgE vermittelte,typischerweise „kombinierte“ immunologische Reaktion
Protein‐induzierte Enterokolitis I (FPIES)
• Leitsymptom: Erbrechen und Diarrhoe (oft blutig)in schweren Fällen: Azidose, Schock, wie „Sepsis“, Methämoglobinämie
• Weitere Symptome: Schlappheit/Lethargie, Blässe, Hypothermie, art. Hypotonie
• Alter: jünger als 9 Monate (meist 2‐6 Monate)• Symptome innerhalb < 24h nach NM‐Aufnahme,
zumeist innerhalb 2‐4 Stunden• Auslösende Proteine:
Kuhmilch Soja Reis (Mehr et al. 2009)selten: Hafer, Hühnchen, Lamm, Gemüse, Früchte
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Protein‐induzierte Enterokolitis II (FPIES)
• Endoskopie/Histologie: entzündliche Veränderungen (eosinophil‐granulozytäres Infiltrat)
• Sistieren bei Karenz, auslösbar bei Provokation• Nach Provokation:
Übelkeit/Erbrechen nach 1‐3h, Diarrhoe 2‐10h, Leukoanstieg um 3500 6‐8h, Thrombozytose manchmal verzögert bis 48h
• Therapie: auslösendes Protein meiden!• Toleranzentwicklung: ca. 50% n. 1 Jahr, fast 100% n. 3 Jahren• Verlaufsdiagnostik:
NM‐Provokation unter stationären Bedingungen
KUHMILCHALLERGIEBeispielhaftes Vorgehen – Diagnose und Therapie
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Kuhmilchproteinallergie (KMA)Konsensuspapier der GPGE, GPA und Ernährungs‐Kommission der DGKJ
Koletzko S, Niggemann B, Friedrichs F, Koletzko B 2009
Übersicht:Verlauf der Kuhmilchallergie
(Toleranzentwicklung)
Aus: Wood, Pediatrics 2003
Schoemaker et al.2015: EuroPrevall n. 1J 56,5% 100%
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ZÖLIAKIE
Bitte nicht vergessen!! Ein „altes“ Thema mit neuen Varianten
ca. 1/100! (0,9%) Deutsches Ärzteblatt 2015
Symptomatik Zöliakie
Klassische Zöliakie
• Durchfall (voluminös, schaumig)
• Bauchschmerz
• Blähungen, „dicker Bauch“
• Gewichtsverlust/Gedeihstörung
• Übelkeit, Erbrechen
• (Verstopfung)
Extraintestinal (Beispiele)• Allgemein:
Müdigkeit, Übellaunigkeit, Leistungsschwäche, „Leberwerterhöhung“, Eisenmangel, Pub. tarda
• Skelettsystem:Kleinwuchs, Knochen‐/Gelenk‐schmerzen, pathologische Frakturen, (Osteoporose),
• HautNagelauffälligkeiten, Zahn‐schmelzdefekte, Cheilitis, Stomatitis aphtosa
• ZNSVerhaltens‐/Wesensauffälligkeit, Depression, Ataxie
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Diagnose der ZöliakieESPGHAN‐Leitlinie 2012 (Husby et al. 2012)
Koletzko S, M
oKi
2013
Aktuelles ‐ ganz kurz ‐ zur Allergieprävention (Schäfer et al. Allergo J Int 2014)
• Muttermilch auch zur Prävention Nahrung der ersten Wahl, hier: ausschließliches Stillen über 4 Monate
• weder eine vorzeitige noch eine verzögerte (später als 5. Lebensmonat) Einführung von Beikost ist empfehlenswert
• Fisch in der Beikost scheint einen Allergie‐präventiven Effekt zu haben
• Prä‐ und Probiotika: derzeit noch keine generelle Empfehlung, dokumentierte präventiven Effekte bisher: geringere Prävalenz des atopischen Ekzems.
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FAZIT
• Nahrungsmittelallergien und –unverträglichkeiten:
Breites Spektrum von Symptomen und Erkrankungen
• Allergien vom IgE‐Typ, vom nicht‐IgE‐Typ und Intoleranzen ohneimmunologischen Mechanismus sollten differentialdiagnostisch klar zugeordnetwerden
• Bei primär gastrointestinaler Symptomatik – meist keine „typische IgE‐vermittelte Allergie“
• Die meisten nicht‐IgE‐Nahrungsmittelallergien (insbesondere bei Sgl. u.Kleinkindern) zeigen eine gute Prognose
• Eosinophile gastrointestinale Erkrankungen noch nicht sicher prognostischklassifizierbar
• Die Zöliakie bei GI‐Symptomen nie „vergessen“
• Bitte keine leichtfertigen „wir‐lassen‐mal‐weg“ Diäten
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Anamnese! und Befund
Blut (BB mit Diff, CAP,…)
NM‐Provokation („offen“ oder DBPCFC) NM‐Karenz
Diagnostik: Haut (SPT,…) Endoskopie
weitere
Therapie: Medikamente (z.B. Budesonid bei EoÖ), Therapienahrung
„Notfallset“ Schulung Ernährungsberatung Weitere (z.B SIT bei OAS)
NM‐Karenz
Kinder‐ und Jugendarzt
Päd. Gastroenterologe Päd. Allergologe Weitere Fachdisziplinen
Ernährungsfachkraft
Patient mit Symptomen und V.a. Nahrungsmittelunverträglichkeit/‐allergie
Ihre Päd‐Gastro‐Kooperationspartner
www.gpge.de
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit