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OKTOBER 10/2010
it estimmu DAS MAGAZIN DER HANS-BÖCKlER-STIFTUNG . WWW.MAGAZIN-MITBESTIMMUNG.DE
METAllBETRIEBE . Wird der Krisenkonsens bei Zarges aufgekündigt? GLEICHSTEllUNG · Ex-Ministerin Bergmann über den Widerstand der Wirtschaft MULTIMEDIA · inter-cool 3.0 zeigt die Alltagskultur Jugendlicher
Geschäftsmodell Schule Wie die Bildung privatisiert wird
Eine unfertige Welt JUGENDKULTUR Die Ausstellung "inter-cool 3.0: Jugend Bild Medien" im Dortmunder U-Turm verbindet die materielle Kultur Jugendlicher mit medialen Welten und mit bildender Kunst. Wer will,
kann dabei selbst mitmachen.
Von ANJA SCHEVE . Journalislin in Willen
Weiße Kabel hängen von der Decke, der
Fußboden ist holperig, und die Luft schmeckt
noch etwas nach Staub im Dortmunder U
Turm, dem ehemaligen Gär- und Lagerhoch
haus der Union-Brauerei, als hier die inter
coo l 3.0 eröffnet wird. Inter-Was? Der
kryptische ame steht für den Versuch, die
Alltagskultur Jugendlicher, die Medienwel
ten, in denen sie sich bewegen, erfahrbar zu
machen, aber auch für eine Reise in das
Grenzgeb iet zwischen Jugendkultur und
Kunst. Zum Konzept gehört, dass jugendli
che sich selbst präsentieren und dass ihre
materielle Kultur ausgestellt wird. Dazu
kommen zahlreiche Arbeiten von Medien
künstlern. In der dritten Etage des Industrie
denkmals strahlen einem grelle, neon farbige
Holzmodule entgegen, die wie hingewürfelt
im Raum vertei lt sind. Sie dienen mal als
Sitzecke oder Stehpult, mal als Bildschirm
oder Spielekonsole. Hier läuft, liegt oder hängt, was im Leben
junger Leute eine Rolle spielt: Filme über
Selbstdarstellung, Schönheit oder angesagte
60 Mitbestimmung 10/20 10
Styles. Zu sehen ist etwa der Klassiker
"Technoviking": das 4-Minuten-Video, das
der Videofilmer Matthias Fritsch im Jahr
2000 auf der Fuckparade, einer Gegenver
anstaltung zur Loveparade, aufgenommen
hatte und das seitdem im etz millionenfach
verbreitet, mit neuer Tonspur versehen, be
arbeitet und kommentiert worden ist: Ein
Tänzer taucht darin auf, der wie ein Krieger
aus der Vorzeit, ein Wikinger, gestylt ist -
eine Chiffre genauso wie die Lieblingsklei
dung und Lieblingssymbole jugendlicher in
Vitrinen und auf Bügeln: Outfits aus noch
unbeschwerten Loveparade-Zeiten, ange
sagte Schuhe der Marken Clarks oder Con
verse, Totenkopf-Devotionalien von der
Kette bis zum Gürtel oder Designertoys -
Kunststofffiguren, die stark überzeichnete
Charaktere und Fantasiewesen zeigen.
Neben Videos, interaktiven lnstallatio
nen und Straßenkunst bilden Fotoarbeiten
ei nen Schwerpunkt. Sie stammen von Ju
gend li chen, aber auch von renommierten
Künstlern wie dem britischen Künstler und
Fotografen Slinkachu. Er ist vor allem für
seine "Little People", kleine Modelleisen
bahnfiguren wie den kleinen kateboardfah
rer, bekannt geworden, der auf einem Foto
im Dortmunder U-Turm eine Orangenscha
le als Halfpipe benutzt. Sehenswert ist auch
"Toygiants - Black", ein Werk des Künstler
ehepaars Daniel und Geo Fuchs. lhre schwar
zen Spielzeughelden treten dem Betrachter
vor weißem Hintergrund als überdimensio
nale, geschlossene Einheit entgegen - eine
irreale Welt inmitten der Wirklichkeit.
Ganz anders, realer, sind die vielen Port
räts junger Leute. Die Forografin Olga Kess
ler hat beispielsweise in ihrer Serie jugend
liche aus Dortmund-Hörde porträtierr. EII1
Stadtteil unweit de Ausstellu ngsones, der
unter den Folgen der Deindustrialisierung
leidet und sich, wie viele der Jugendlichen,
in einer ebenso spannenden wie unsicheren
Umbruch phase befindet. Doch die Ausstel
lung will nicht nur reale und virtuelle Le
benswelten Jugendlicher schaffen - ie will
auch selbst zur Kreativität anregen. So
YOUTUBE-I KONE
"TECHNO VIKING"
AUS DEM JAHR
2000: Krieger aus der Vorzeit
~ sieht man Jugendliche mit Nieten und Aufnähern an einer
Kutte basteln, Familien, die gerade gezeichnete Figuren an
die Decke projizieren, oder finnische Studenten, die sich im
schwarzen Gothic-Outfit spontan als lebende Objekte zur
Verfügung ste ll en.
" ur so kann man zeigen, wie vielfältig und kreativ die
Jugend ist", sagt Birgit Richard, die das Ganze konzipiert hat
und die neben Inke Arns vom gastgebenden Hartware Me
dienKunstVerein Kuratorin der Ausstellung ist. Richard, im
Ruhrgebiet aufgewachsen, hat hier einst mit ihren Forschun
gen zur Jugendkultur begonnen. Wenn sie den U-Turm, der
bis 1994 den Bierbrauern gehörte, einen "coolen Ort" nennt,
dann denkt man, dass die Jugendsprache auf sie abgefärbt
hat. Heute arbeitet Richard als Professorin für eue Medien
an der Goethe-Universität Frankfurt und ist Vertrauensdo
zentin der Hans-Böckler-Stiftung, die das Projekt finanziell
unterstützt. Der größe Teil der Ausste llungsinhalte ist auch
über die deutsch-englische Web-Plattform präsent. Auch hier
können Jugendliche eigene Arbe iten einste ll en und damit die
Schau ständig weiterentwickeln. Ein eigener Kana l auf dem
Internetportal YouTube wartet auf Video beiträge von jungen
Kreativen . "Somit schaffen wir die Chance der globalen Zu
sammenarbeit über das Internet in und um die Ausstellung
herum", betont Ausstellungsmacherin Richard.
Die Arbeiten bleiben nach Ende der Ausstellung in Dorr
mund Ende November nicht nur im Internet weiterhin sicht
bar. Als Teil des TWINS-Programms der europäischen Kul
turhauptstadt Ruhr 2010 reist die Ausste llung in den
nächsten zwei Jahren weiter ins britische Leeds, ins finnische
Tampere und schließlich nach Wien. Eine klassische Wander
ausstellung ist das Projekt aber nicht. "Was reist, ist nur der
materie ll e Kern, an den durch Ergänzungen vor Ort in den
Partnerstädten mit Jugendlichen weitere Elemente angelagerr
werden", erklärt Richard. Kunst und Kultur sollen für Kinder
und Jugendliche nur der Anstoß sein , sich kreativ mit Themen
auseinanderzusetzen, die ihnen selbst wichtig sind. _
MEHR INFORMATIONEN
IdPl www.inter-cool.de Webseite der Ausstellung "inter
cool 3.0: Jugend Bild Medien". Sie ist bis 2B. November
2010 im Hartware MedienKunstVerein im Dortmunder U,
Leonie-Reygers-Terrasse, 44137 Dortmund, zu sehen.
www.youtube_com/user/lnterCooI3punktO
Der Youtube-Kanal zur Ausstellung
Katalog: Birgit Richard und Heinz-Hermann Krüger (Hrsg.):
INTER- COOL 3.0: JUGEND BILD MEDI EN. München,
Wilhelm Fink Verlag 2010. 34,90 Euro