open source in der telekommunikation

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originalarbeiten Open Source in der Telekommunikation W. REICHL OVE, h BRUSIC Der Pinguin Tux als Logo des Open Source-Betriebssystems GNU/Linux ist salonffihig geworden. Die Stadtverwaltung MLinchen hat entschieden, alle 14000 stiidtischen Computer auf Linux umzustellen, was ihr von der Opposition den Vorwurf eingetragen hat, Software von ,,Feierabendprogrammierern" einzu- setzen. Open Source-Software ist aber mehr als unkoordinierte Zusammenarbeit von Amateurprogrammie- rern, sondern kann als alternative Softwareentwicklungsmethode verstanden werden, die auf Evolution basiert. Dieser ArUkel beschreibt im ersten Teil die Open Source-Lizenzen, den Prozess der Entwicklung von Open Source-Software im Gegensatz zum herk6mmlichen Software-Engineering sowie die 6kono- mischen und rechtlichen Grundlagen der Entwicklung und des Einsatzes von Open Source-Software, und geht im zweiten Teil auf die Erfahrungen der OFEG beim Einsatz der Open Source-Software for Telekom- munikation ein. Schwerpunkt ist dabei Asterisk, eine Nebenstellenanlagensoftware, die unter GNU/Linux auf einem Standard-PC I-~iuft. Schl#sselw6rter: Open Source-Software; Asterisk; GNU/Linux; (~FEG Open source in telecommunications. The penguin Tux is in the news. The city council of Munich has decided to use the open source operating system GNU/Linux for its 14000 desktop and server computers. Open source software development is often seen as anarchic process and frowned upon from commercial software engineering's point of view. The remarkable success of open source software can be explained by the evolutionary process of the development of complex systems. The first part of this article describes the open source development process and shows the justification of open source software from an economic and a legal point of view. Open source can be used in telecommunications as a simple and low cost means for prototyping. (~FEG has built a test bed for VolP using Asterisk as PBX software on Linux and a standard PC. The lessons learnt will be shown in the second part of this article. Keywords: open source software; Asterisk; GNU/Linux; OFEG 1. Open Source-Software - ein Widerspruch in sich Die Stadtverwaltung M(3nchen hat im Jahr 2003 entschieden, alle 14000 st&dtischen Computer von Microsoft Windows auf das Open Source-Betriebssystem GNU1/Linux 2 umzustellen, was ihr vonder Opposition den Vorwurf eingetragen hat, Soft- ware yon ,,Feierabendprogrammierern" zu verwenden3. Was ist 1 GNU steht dabei fQr ,,GNU's Not UNIX", eine rekursive Definition einer AbkLirzungvon Richard Stallman. D. h.: GNU = GNU's not UNIX = {[(GNU's not UNIX)'s not UNIX]'s not UNIX}'s not UNIX ad infinitum. 2 Die Schreibweise GNU/Linux soil darauf hinweisen, dass Linux der Kern des Betriebssystems ist, die ebrigen BestandteUeeiner kom- pletten Distribution aber von Richard Stallmans GNU stammen. 3 M0nchner Stadtrat segnet Konzept zur Linux Migration ab (16. Juni 2004 http://www.heise.de/newsticker/meldung/48313). Wie der Spiegel On-line am 4. August 2004 berichtet, wurde die Ausschreibung for die Software Grundausstattung vorl&ufig zurL)ckgestellt, da ,,rechtliche und finanzielle Risiken" zu pr0fen seien. Diese erg&ben sich aus den umstrittenen EU-Pl&nen for Software-Patente. Oberb0rgermeister Christian Ude (SPD) betonte aber, dass die Stadt am Linux-Projekt festhalte. (http:// www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,311597,00.html) 4 In der deutschen Literatur wird Software als jeder digitalisierte Inhalt verstanden. Computerprogramme sind Software, die ablauf- f~hig sind, also tnstruktionen f~r einen Computer (Prozessor) ent- halten. FDr diesen Artikel werden Programme und Software syno- nym verwendet. Open Content wird hier nicht betrachtet. Open Source-Software und warum veranlasst der Einsatz von Open Source-Software zu solchen Reaktionen? Bei Open Source-Software steht dem Anwender zus&tzlich zum lauff&higen Programm auch der Quellcode zur Verfegung. Kopieren, ver&ndern und weitergeben der Programme ist er- laubt, ohne Lizenzgeb~Jhren bezahlen zu mElssen. Im weiteren Sinne ist Open Source-Software 4 aber eine alternative Soft- wareentwicklungsmethode, die im Widerspruch gesehen wer- den kann zur Sichtweise von Software als Produkt eines industriellen Prozesses, zum Konzept des Eigentums an Software nach marktwirt- schaftlichen Gesichtspunkten und zum vertrauten Konzept des Urheberrechts.4 Eigentlich d0rfte es Open Source-Software in ernst zu neh- mender Form gar nicht geben, denn wie k5nnen Feierabendpro- grammierer unkoordiniert komplexe Software entwicketn? Wa- rum soil jemand Zeit und Kreativit&t f0r Softwareentwicklung in- vestieren und die fertigen Programme dann verschenken, und warum sollen Unternehmen solche Software einsetzen? F~EICHL,Wolfgang, Dipl.-Ing., BRUSIC, Igor, Dipl.-Ing., £)sterreichische Fernmetdetechnische Entwicklungs- und FSrde- rungsgesellschaft mbH, Arsenal Objekt 24, 1030 Wien, (Dsterreich (E-Mail: wolfgang.reichl @oefeg.at) 38 e&i elektrotechnik und informationstechnik

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originalarbeiten

Open Source in der Telekommunikation W. REICHL OVE, h BRUSIC

Der Pinguin Tux als Logo des Open Source-Betriebssystems GNU/Linux ist salonffihig geworden. Die Stadtverwaltung MLinchen hat entschieden, alle 14000 stiidtischen Computer auf Linux umzustellen, was ihr von der Opposition den Vorwurf eingetragen hat, Software von ,,Feierabendprogrammierern" einzu- setzen. Open Source-Software ist aber mehr als unkoordinierte Zusammenarbeit von Amateurprogrammie- rern, sondern kann als alternative Softwareentwicklungsmethode verstanden werden, die auf Evolution basiert. Dieser ArUkel beschreibt im ersten Teil die Open Source-Lizenzen, den Prozess der Entwicklung von Open Source-Software im Gegensatz zum herk6mmlichen Software-Engineering sowie die 6kono- mischen und rechtlichen Grundlagen der Entwicklung und des Einsatzes von Open Source-Software, und geht im zweiten Teil auf die Erfahrungen der OFEG beim Einsatz der Open Source-Software for Telekom- munikation ein. Schwerpunkt ist dabei Asterisk, eine Nebenstellenanlagensoftware, die unter GNU/Linux auf einem Standard-PC I-~iuft.

Schl#sselw6rter: Open Source-Software; Asterisk; GNU/Linux; (~FEG

O p e n s o u r c e in t e l e c o m m u n i c a t i o n s . The penguin Tux is in the news. The city council of Munich has decided to use the open source operating system GNU/Linux for its 14000 desktop and server computers. Open source software development is often seen as anarchic process and frowned upon from commercial software engineering's point of view. The remarkable success of open source software can be explained by the evolutionary process of the development of complex systems. The f irst part of this article describes the open source development process and shows the justif ication of open source software from an economic and a legal point of view. Open source can be used in telecommunications as a simple and low cost means for prototyping. (~FEG has buil t a test bed for VolP using Asterisk as PBX software on Linux and a standard PC. The lessons learnt will be shown in the second part of this article.

Keywords: open source software; Asterisk; GNU/Linux; OFEG

1. Open Source-Software - ein Widerspruch in sich

Die Stadtverwaltung M(3nchen hat im Jahr 2003 entschieden, alle 14000 st&dtischen Computer von Microsoft Windows auf das Open Source-Betriebssystem GNU1/Linux 2 umzustellen, was ihr vonder Opposition den Vorwurf eingetragen hat, Soft- ware yon ,,Feierabendprogrammierern" zu verwenden 3. Was ist

1 GNU steht dabei fQr ,,GNU's Not UNIX", eine rekursive Definition einer AbkLirzung von Richard Stallman. D. h.: GNU = GNU's not UNIX = {[(GNU's not UNIX)'s not UNIX]'s not UNIX}'s not UNIX ad infinitum.

2 Die Schreibweise GNU/Linux soil darauf hinweisen, dass Linux der Kern des Betriebssystems ist, die ebrigen BestandteUe einer kom- pletten Distribution aber von Richard Stallmans GNU stammen.

3 M0nchner Stadtrat segnet Konzept zur Linux Migration ab (16. Juni 2004 http://www.heise.de/newsticker/meldung/48313). Wie der Spiegel On-line am 4. August 2004 berichtet, wurde die Ausschreibung for die Software Grundausstattung vorl&ufig zurL)ckgestellt, da ,,rechtliche und finanzielle Risiken" zu pr0fen seien. Diese erg&ben sich aus den umstrittenen EU-Pl&nen for Software-Patente. Oberb0rgermeister Christian Ude (SPD) betonte aber, dass die Stadt am Linux-Projekt festhalte. (http:// www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,311597,00.html)

4 In der deutschen Literatur wird Software als jeder digitalisierte Inhalt verstanden. Computerprogramme sind Software, die ablauf- f~hig sind, also tnstruktionen f~r einen Computer (Prozessor) ent- halten. FDr diesen Artikel werden Programme und Software syno- nym verwendet. Open Content wird hier nicht betrachtet.

Open Source-Software und warum veranlasst der Einsatz von Open Source-Software zu solchen Reaktionen?

Bei Open Source-Software steht dem Anwender zus&tzlich zum lauff&higen Programm auch der Quellcode zur Verfegung. Kopieren, ver&ndern und weitergeben der Programme ist er- laubt, ohne Lizenzgeb~Jhren bezahlen zu mElssen. Im weiteren Sinne ist Open Source-Software 4 aber eine alternative Soft- wareentwicklungsmethode, die im Widerspruch gesehen wer- den kann

• zur Sichtweise von Software als Produkt eines industriellen Prozesses,

• zum Konzept des Eigentums an Software nach marktwirt- schaftlichen Gesichtspunkten und

• zum vertrauten Konzept des Urheberrechts. 4

Eigentlich d0rfte es Open Source-Software in ernst zu neh- mender Form gar nicht geben, denn wie k5nnen Feierabendpro- grammierer unkoordiniert komplexe Software entwicketn? Wa- rum soil jemand Zeit und Kreativit&t f0r Softwareentwicklung in- vestieren und die fertigen Programme dann verschenken, und warum sollen Unternehmen solche Software einsetzen?

F~EICHL, Wolfgang, Dipl.-Ing., BRUSIC, Igor, Dipl.-Ing., £)sterreichische Fernmetdetechnische Entwicklungs- und FSrde- rungsgesellschaft mbH, Arsenal Objekt 24, 1030 Wien, (Dsterreich (E-Mail: wolfgang.reichl @oefeg.at)

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Open Source-Software ist aber heute weit mehr als eine Randerscheinung beim kommerziellen Einsatz von Software. Google verwendet for seine 10000 Server das Betriebssystem GNU/Linux. Mehr als 70 % aller Webserver nutzen die Open Source-Software Apache for die Bereitstellung von Webpages. Intel, Hewlett Packard, Reuters, Merrill Lynch, Telstra und Verizon sind Beispiele for Firmen, welche GNU/Linux einset- zen s. IBM investiert seit 2001 j&hrlich 1 Mrd. US$ in die Entwick- lung von Open Source-Software for GNU/Linux 6 und Netscape hat im Jahr 1998 durch die Freigabe des Quellcodes der Browsersoftware Mozilla Schlagzeilen gemacht 7. Der Gesamt- wert der Open Source-Software wurde bereits vor der IBM Ini- tiative auf weit mehr als 2 Mrd. US$ 8 gesch&tzt.

Dieser Artikel beschreibt im ersten Teil die Besonderheiten von Open Source-Lizenzen, den Prozess der Entwicklung von Open Source-Software im Gegensatz zum herkOmmlichen Soft- ware-Engineering sowie die Okonomischen und rechtlichen Grundlagen f~r Entwicklung und Einsatz von Open Source-Soft- ware.

Software hat seit Einf0hrung von SPC/PCM-Vermittlungs- technik auch in der Telekommunikation immer mehr an Bedeu- tung gewonnen, die Anwendung von Open Source-Software ist ein n&chster Schritt.

Die C)FEG wurde als Joint Venture zwischen Telekom Aus- tria, vormals Post- und Telegrafenverwaltung, und der 0sterrei- chischen nachrichtentechnischen Industrie 1978 gegr0ndet. Nach erfoigreicher Projektkoordination zum Aufbau der digitalen Vermittlungstechnik in C)sterreich besch&ftigt sich die C)FEG heute mit der Weiterentwickiung der digitalen Vermittlungstech- nik zu einem Next Generation Network, welches die Konvergenz von Telekommunikation, Datenverarbeitung und Medien in ei- nem einheitlichen paketvermittelnden Breitbandnetz verwirkli- chen soil. Im abgelaufenen Jahr wurde zur Analyse der M6glich- keiten von Voice over IP (VolP) ein Versuchsnetz aufgebaut. Dazu wurden die Open Source-Software SER (SIP Express Router) von iptel.org und die Nebenstellenanlagensoftware Aste- risk eingesetzt. Der zweite Teil dieses Artikels beschreibt den C)FEG-Versuchsaufbau und die damit gewonnenen praktischen Erfahrungen.

1.1 Was bedeutet Open Source? Ubliche Lizenzbedingungen 9 bei kommerzieller Software edau- ben ein Nutzungsrecht, welches zumeist auf einen Computer ein- geschr&nkt wird. Ver&nderung der Software ist untersagt und auch kaum m6glich, da man Programme nur als kompilierten Bi- n&rcode, und nicht als Quellcode zur VerfL~gung gestellt be- kommt. Kopieren und Weitergeben von kommerzieller Software ist verboten. G rundsatz ist der Schutz des Verwertungsrechts des Autors (Jaburek, 2003) und damit auch sein Recht, Lizenzgeb0h- ren zu verlangen um die Softwareentwicklung zu finanzieren.

AIs Open Source wird Software bezeichnet, deren Lizenzen - im Gegensatz zu herk0mmlichen Lizenzen - folgende Bestim- mungen enthalten (Weber, 2004):

• Das Programm kann uneingeschr&nkt genutzt werden. • Der Quellcode muss mitgeliefert werden oder kostenfrei

zug&nglich sein.

s http://lin ux.bryanconsulting.com/stories/storyReader$45/. 6 http://www.itweek.co.uklnews/1115373/. 7 http://wp.netscape.com/newsref/pr/newsrelease591.html/. 8 Bruce Perens sch&tzt, dass nur die Entwicklung der GNU/Linux-

Distribution des Jahres 2000 etwa 1,9 Mrd. US$ gekostet h&tte, wenn sie durch Software-Engineering nach der Methode von Microsoft entstanden ware (http://news.com.com/2010-1071- 855155.html).

9 Zum Beispiel das Microsoft End User License Agreement (EULA).

• Die Software darf kopiert und weiterverteilt werden, ohne Lizenzgeb0hren an den Autor zu bezahlen.

• Die Software daft ver&ndert werden. Wenn ver~inderte Soft- ware weitergegeben wird, muss diese ebenfalls als Open Source lizenziert werden.

Im Gegensatz zu sonst 0blichen Lizenzen wird hier das Ver- wertungsrecht des Autors dazu verwendet, um die Freiheit der Benutzer zur Ver&nderung und zur Weitergabe der Software als Open Source sicherzustellen. Der Autor verzichtet dadurch auf Lizenzeinnahmen aus der von ihm entwickelten Software. Es gibt derzeit 47 unterschiedliche Auspr&gungen von Open Source-Lizenzen. Das h&ufigste und bekannteste Beispiel ist die GNU Public License (GPL) lo der Free Software Foundation, die auch for GNU/Linux verwendet wird.

Die freie Verteilung von Software widerspricht der gewohn- ten Verwendung des Urheb'errechts zur Sicherung von Lizenz- einnahmen. Trotzdem sind Open Source-Produkte wie BIND, Mozilla, Apache und Linux weit verbreitet und im Bezug auf Sta- bilit&t, Funktionalit&t und Sicherheit mit kommerziellen Produk- ten gleichzusetzen.

Warum stehen wir der freien Weitergabe von Computerpro- grammen - also von geistigem Eigentum - auf breiter Basis so skeptisch gegen0ber? Wie kann Open Source-Software nach internationalem oder europ&ischem Recht betrachtet werden? Der n&chste Abschnitt beschreibt die wirtschaftliche und rechtli- che Einordnung von Open Source-Software.

1.2 Das marktwirtschaft l iche System und Open Source Das marktwirtschaftliche System beruht auf der Herstellung yon materiellen und immateriellen G0tern. Diese G0ter sind Eigen- tum des Produzenten und stellen Waren dar, die am Markt ge- handelt werden k0nnen. Ben0tigt jemand etwas, so tr&gt er sein Eigentum auf den Markt, um Teile davon einzutauschen (0bli- cherweise in Form von Geld)'. Damit dieses System funktio- niert, muss privates Eigentum gesch0tzt sein. Zwei weitere grundlegende Voraussetzungen werden angenommen: erstens, dass die G0ter knapp sind und zweitens, dass jede Person oder jedes Unternehmen nach individueller Nutzenmaximierung strebt. Die auf Adam Smith zur0ckgehende Theorie der freien Marktwirtschaft besagt nun, dass unter diesen beiden Voraus- setzungen der Markt durch Festsetzung der Preise in Abh&ngig- keit von Angebot und Nachfrage zur effizienten Produktion und zur optirna/en Verteilung von G0tern f0hrt (Smith, 1776).

Ohne individuelle Nutzenmaximierung kommt kein Markt zu- stande. Die Erzielung kostendeckender Preise kann nicht si- chergestellt werden, wenn vergleichbare Waren unter den Kos- ten angeboten oder gar verschenkt werden. Es muss daher vo- rausgesetzt werden, dass jeder Produzent den h0chstm0gli- chen Preis erzielen will. Open Source-Software verletzt durch den Verzicht auf Lizenzeinnahmen offensichttich die Regel der individuellen Nutzenmaximierung.

Die zweite Voraussetzung des marktwirtschaftlichen Sys- tems ist die Knappheit von G0tern. Bei materiellen G0tern ist die Knappheit klar ersichtlich, for G0ter der Informationsgesell- schaft muss die Knappheit - beispielsweise durch Kopierverbot - erst k(~nstlich geschaffen werden, um die marktwirtschaftli- chen Methoden anwendbar zu machen und einen Preis erzielen zu k0nnen. Immaterielle digitale G0ter sind keine klassischen Konsumg0ter. Digitale G0ter verbrauchen sich nicht und sind wegen der verschwindend geringen inkrementellen Kosten im 0berfluss vorhanden.

Open Source-Software ist durch die Freiheit der Weitergabe kein knappes Gut mehr und somit versagt die marktwirtschaftli-

~o http:llwww.gnu.orglcopyleft/gpl.html/. 11 Arbeitnehmer tauschen ihre Arbeitskraft gegen Geld ein.

e & i heft 1/2 J&nnedFebruar 2005 / 122. Jahrgang 3 9

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che Sicht. Trotzdem kSnnen sowohl Open Source-Software als auch propriet&re Software in Konkurrenz am Markt bestehen. Vergleicht man GNU/Linux mit Microsoft Windows, so ist einer- seits bei Desktop-Software Microsoft eindeutig MarktfLihrer, an- dererseits haben am Servermarkt Linux und Apache mit mehr als 70 % die klare Mehrheit. Warum f0hrt die Verf0gbarkeit li- zenzfreier Produkte nicht sofort dazu, dass proprietY.re Konkur- renzprodukte vom Markt verschwinden? Die Ursache for das parallele Angebot von propriet&rer Software und Open Source- Software ist, dass Lizenzkosten nicht die einzigen Einflussfakto- ren auf die Entscheidung sind, welche Software eingesetzt wer- den soil. Eine Anzahl yon Studien (Br[Jgge, 2004) Liber die Ge- samtkostenbetrachtung, also die Erfassung aller direkten und indirekten Kosten eines Datenverarbeitungssystems w&hrend seiner Nutzungsdauer, zeigen, dass es auSer Lizenzkosten noch eine grol3e Anzahl weiterer Kriterien for den Einsatz von Software gibt, siehe Kapitel 1.4.

Der klassische Eigentumsbegriff ist bei G5tern der Informati- onsgesellschaft nur bedingt anwendbar. Die Erstellung von In- formation ist teuer, aber das Kopieren digitaler Inhalte ist ein- fach. G0ter der Informationsgesellschaft m0ssen k0nstlich knapp gehalten werden (z. B. durch Verbot des Kopierens), um das Handeln am Markt zu erm6glichen. Bei Open Source-Soft- ware sind die beiden Grundlagen der Marktwirtschaft, die Knappheit und die individuelle Nutzenmaximierung, nicht mehr gegeben. Das ist der Grund, dass Hersteller kommerzieller Soft- ware der Open Source-Software skeptisch gegenLiber stehen.

Es gibt aber noch einen grunds&tzlich anderen Weg zur ,,Er- zeugung von immateriellen G0tern": die Wissenschaft. Jeder Forscher verwendet die Erkenntnisse seiner Vorg&nger und ent- wickelt diese weiter. Wissenschaftliche Ergebnisse beruhen auf Ver6ffentlichung von Ergebnissen, freiem und ungehindertem Zugang zu Informationen und auf dem Feedback von ebenb0rti- gen Partnern (Peer-Review). Isaac Newton beschreibt, wie er zu seinen Erkenntnissen gekommen ist, so: ,,... standing on the shoulders of giants"! 12

Ein Konzept for das Eigentum an Ideen ist noch relativ neu. Erst im 20. Jahrhundert entstand ein umfangreiches System der Urheberrechte (im europ&ischen Raum) und des Copyright (im anglikanischen Raum). Die Grundlage for den Schutz von im- materiellen GOtern wie Computerprogrammen ist in erster Linie das Urheberrecht (Kucsko, 2003). Aber auch Patentrecht, ge- werbliche Schutzrechte und vertragliche Vereinbarungen spie- len eine Rolle. Das Urheberrecht schQtzt ,,eigent0mliche geis- tige SchSpfungen ''~3. Hierunter fallen unter anderem Gedichte und andere Sprachwerke, Musik, Filme, wissenschaftliche Zeichnungen - und auch Computerprogramme. Das Urheber- recht sch0tzt den Urheber sowohl in seiner geistigen und per- s6nlichen Beziehung zum Werk (Schutz vor Entstellung), als auch hinsichttich der Nutzung des Werkes (Verwertungsrecht, insbesondere Vervielf&ltigung und Verbreitung) TM. Um diesen Schutz zu erhalten, ist grunds&tzlich keine besondere Handlung - auch kein Copyright-Vermerk - notwendig. Mit der SchSpfung

12 Isaac Newton hat die Phrase ,,If I have seen further, it is by stand- ing on the shoulders of giants" in einem Brief an Robert Hooke am 5. Februar 1675 oder 1676 verwendet. Die Phrase ,,on the shoul- ders of giants" ist aber schon seit dem Mittelalter und der Renais- sance in Verwendung (http://www.aerospaceweb.org/question/his- tory/q0162b.shtml). ,,On the Shoulders of Giants" ist auch der ]3tel eines k~rzlich erschienenen Buches von Stephen Hawking, der die Grundsatz- werke yon Kopernikus, Newton, Einstein, Galileo und Kepler zusammenfasst und zeigt, wie jeder der bdllanten Denker auf die Erkenntnisse seiner Vorg~.nger aufsetzt.

13 § 1 Urheberrechtsgesetz; das deutsche Urhebergesetz verwendet statt ,,eigentQmlich" das Attribut ,,pers6niich".

14 § 14 Urheberrechtsgesetz.

des Werkes ist anderen Personen die Nutzung zun&chst unter- sagt. FOr die Gew~.hrung von Nutzungsrechten kann der Urhe- ber eine Gegenleistung verlangen. Um Urheber und insbeson- dere ausLibende K0nstler zu sch(Jtzen, hat der deutsche Ge- setzgeber in einer Urheberrechtsnovelle vom 1. Juli 2002 einen unabdingbaren Anspruch auf angemessene Vergetung festge- legt. Diese Regelung h&tte Open Source-Software in Frage ge- stellt. Daher wurde die so genannte ,,Linux-Klausel" aufgenom- men TM. Hiernach kann der Urheber auf die angemessene Verge- tung verzichten, wenn er unentgeltlich ein einfaches Nutzungs- recht an jedermann einr&umt.

Open Source-Software steht somit zwischen dem marktwirt- schaftlichen und dem wissenschaftlichen Modell der Wert- sch6pfung 16. In rechtlicher Sicht sind Open Source-Lizenzen im Verf0gungsrecht des Autors begrQndet, der in diesem Fall aber weniger kommerzielle, a'ls altruistische oder akademische Mo- delle for Wissensaustausch zugrunde legt. Aktuelle Diskussio- hen behandeln die Einordnung von Open Source-Software nach dem Schenkungsrecht, die Gew&hrleistung und insbeson- dere Patentrechte ( Gehring, 2004).

1.3 Open Source und die Entstehung komplexer Systeme Der Umfang yon Microsoft Windows XP wird auf etwa 40 Millio- nen Lines of Code gesch&tzt. Eine komplette GNU/Linux-Distri- bution hat etwa 30 Millionen Lines of Code 17. Wie entsteht eine so komplexe Betriebssystemsoftware? Die naheliegende Ant- wort ist: durch Planung und Arbeitsteilung im industriellen Pro- zess. Das ist aber nicht der einzig m6gliche Weg. Darwin hat mit ,,Origin of the species" gezeigt, dass es noch einen grunds&tz- lich anderen Weg zur Entstehung komplexer Systeme gibt: die Evolution (Darwin, 1859). Dieser Entwicklungsprozess, der durch ,,survival of the fittest" gekennzeichnet ist, kann zur Erkl&- rung der Entstehung von Open Source-Software herangezogen werden. Eric Raymond hat Engineering und Open Source-Ent- wicklung in seinem Aufsatz ,,The Cathedral and the Bazaar" (Raymond, 1999) in sehr beeindruckender Weise gegen0berge- stellt.

1.3.1 Industrieller Prozess des Software-Engineerings FOr die Produktion von Software im industriellen Prozess gibt es allgemein anerkannte Richtlinien und Methoden, die als Soft- ware-Engineering bezeichnet werden. Die empfohlenen indust- riellen',Prozesse findet man z. B. im Capability Maturity Model (Camegie Mellon University, 1994). Nach diesem Modell ist auch eine Zertifizierung m6glich. Software-Engineering besteht allgemein aus folgenden Schritten:

~, Anforderungen: Im ersten Schritt ist festzulegen, was pro- grammiert werden soil und wer die Software verwenden wird. Genaue Analyse und Erfassung der Kundenanforde- rungen sind die Basis for jede Entwicklung und bestimmen letztendlich den Erfolg oder Misserfolg eines Projektes. Systemdesign: In diesem Schritt werden die Module der Software und deren Schnittstellen festgelegt. Es wird eine Grundlage for das detaillierte Design der einzelnen Module geschaften, indem die Funktionen der Module (statisches und dynamisches Verhalten der Schnittstellen, Datenstruktu- ren) festgelegt werden. Zu jedem Modul wird ein Testplan erstellt, nach dem der fertig codierte Modul auf die Uberein- stimmung mit den Anforderungen zu 0berpr0fen ist.

is #9 31 Abs 3 $3 deutsches Urhebergesetz. 16 Der Interessensausgleich zwischen dem Schutz von Innovationen

und der Erweiterung des AIIgemeinwissens ist auch das grund- s&tzliche Ziel der Patentrechts-Gesetzgebung.

17 http://www.dwheeler.com/sloc/.

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W. REICHL, I. BRUSIC Open Source in der Telekommunikation

• Implementierung: Die einzelnen Module sind nun zu pro- grammieren. Die Implementierung ist erst mit erfolgreichem Test der Module abgeschlossen.

• Integration und Feldtest: Nachdem alle Module erfolgreich getestet sind, kann die Gesamtfunktionalit&t 0berpr0ft wer- den (Integration) und anschliel3end erfolgt der Test durch die Benutzer.

• Support: W&hrend des gesamten Lebenszyklus einer Soft- ware muss ein Support zur Verf0gung stehen.

Es ist wesentlich, dass die Abfolge dieser Schritte eingehal- ten wird. Jede ~,nderung der Anforderungen muss eine Review aller nachfolgenden Schritte zur Folge haben. Der Software-En- gineering-Prozess nach diesem Muster bindet viele Ressour- cen, trotzdem ist der Erfolg nicht selbstverst&ndlich. In der Soft- warebranche vermutet man (Raymond, 1999), dass etwa 60 bis 75 % aller Softwareprojekte entweder nie fertiggestellt oder von den Benutzern nicht angenommen werden.

1.3.2 Evolution von Open Source-Software Die Entstehung von Open Source-Software kann als evolutio- n&rer Prozess verstanden werden. Anlass ist der Bedarf an Software, die entweder nicht verf0gbar oder nicht erschwinglich ist. Um Funktionen von Minixls-Software zu erweitern, hat Linus Torvalds den Linux-Kernel w&hrend seiner Studienzeit im Som- mer 1991 auf einem PC entwickelt (Torvalds, 2001).

0blicherweise werden die erstellten Programme 0ber Newsgroups oder Mailing Lists bekannt gemacht. Die Website www.sourceforge.org enthielt im Sommer 2004 etwa 87000 Open Source-Projekte mit einer grol3en Bandbreite an Komple- xit~.t und unterschied~ich intensivem Informationsaustausch. An der Spitze stand im September 2004 Gaim, eine Instant Messaging Anwendung mit 0ber 7000 Downloads pro Tag. An der Anzahl der Entwickler, den Page Views, den Downloads und der Reaktionen auf den Mailing Lists zeigt sich, ob gen0gend In- teresse an einer Weiterentwicklung besteht. Diese ,,Dar- win'sche" Evolutionsmethode I&sst auch bei geringem Ressour- ceneinsatz schon fr0hzeitig die Erfolgsaussichten for eine Open Source-Software erkennen.

Der Entwicklungsprozess bei Open Source-Software ist eine freiwillige Zusammenarbeit von Softwareentwicklern und Benutzern, die gemeinsame Ziele erreichen wollen. Grundlage ist rascher und effizienter Informationsaustausch. Zweifellos hat auch das Internet zur Entwicklung dieses Modells beigetragen. Die Zusammenarbeit in einer Open Source-Gemeinschaft ge- horcht ebenfalls Regeln, was am Beispiel von Linux deutlich wird. Jeder kann zwar einen Linux-Patch einbringen, aber es gibt eine Anzahl von ,,Torw&chtern", die erkennen, ob Entwick- lungen sinnvoll sind oder nicht. Letztendlich bleibt es bei Linus Torvalds, zu entscheiden, welche Patches in die Linux-Release ebernommen werden.

Software-Engineering und Open Source sind somit keine Gegens&tze. Alle Elemente des Software-Engineerings sind bei Open Source-Software auch mehr oder weniger ausgepr&gt zu finden. Anforderungen k6nnen durch einen formalen Prozess aufgenommen werden, aber auch aus dem Leidensdruck eines Programmierers hervorgehen 19. Design und Modularisierung k6nnen strukturiert geplant werden aber auch durch viele Inter- aktionsschritte bei der Implementierung entstehen. Program- mierung als k0nstlerische T~.tigkeit, als Ausdruck der Pers6n- lichkeit ist bei Open Source starker ausgepr~.gt. Implementie-

18 Minix ist ein Derivat des Betriebssystems Unix for PCs. Program- miert wurde Minix von Prof. Andrew Tanenbaum im Jahre 1987 for Lern- und Lehrzwecke.

19 Eric Raymond schreibt dazu: ,,Every good work of software starts by scratching a developer's personal itch".

rung ist der Teil, der Spa8 macht und Programmierer n&chte- lang wach h&lt. Die besten Tester sind Peer-Review und interes- sierte Anwender - oder in den Worten von Eric Raymond: ,,given enough eyeballs, all bugs are shallow".

Es sollte somit nicht verwundern, dass beide Entwicklungs- methoden vergleichbare Resultate liefern. Die Motivation der Entwickler mag allerdings unterschiedlich sein. In empirischen Untersuchungen zur Motivation von Open Source-Entwicklern findet man die Motivationsfaktoren Selbstbestimmung, Lern- effekte, Spar~, Kreativit&t und Anerkennung (Gehring, 2004). Nach der klassischen Untersuchung zur Motivationstheorie (Herzberg, 1959) sind die wichtigsten Motivationsfaktoren Ver- antwortung und Anerkennung. Geld wird als Hygienefaktor ein- gestuft. Vor allem Verantwortung und Anerkennung stehen bei der Open Source-Softwareentwicklung im Vordergrund. Jeder Softwareentwickler ist for s~ine Beitr&ge selbst verantwortlich und in einer Gemeinschaft von Softwareentwicklern ergibt sich die Anerkennung als Folge der Peer-Reviews und ,,name recog- nition". Die h6chste Form der Anerkennung ist jedoch die Ver- wendung seines Programms und das Feedback der Benutzer.

1.4 GrQnde for den Einsatz von Open Source-Software Open Source wird vielfach mit gratis oder umsonst gleichge- setzt. Betrachtet man aber die Gesamtkosten (total cost of ownership) eines Datenverarbeitungssystems, so machen die Softwarelizenzkosten nur einen geringen Teil aus (BrOgge, 2004). Weitere wesentliche Bestandteile sind Hardware, Ver- waltung, Schulung und Support (Abb. 1).

Neben den Gesamtkosten kann aber auch Verringerung der Abh&ngigkeit vom Softwarehersteller ein wesentliches Entschei- dungskriterium sein. Bei propriet&rer Software k6nnen Erweite- rungen und neue Funktionen ausschliel~lich von einem Anbieter bezogen werden. Durch propriet&re Software wird die Schwelle, den Anbieter zu wechseln, sehr hoch. Diese Abh&ngigkeit wird auch als Lock-in bezeichnet.

Mit Open Source-Software kann diese Abh&ngigkeit we- sentlich verringert werden. Zum ersten gibt es keine Lizenzkos- ten. Zweitens kann die Entwicklung, da der Queltcode bekannt ist, im eigenen Untemehmen weitergef0hrt werden oder durch beliebige Partner 0bernommen werden. Die Weiterentwicklung der Open Source-Software ist gesichert, sofern es weltweit An- wender gibt.

Neber~.verringerter Abh~ngigkeit ist bei Open Source-Soft- ware auch Sicherheit 0ber die enthaltenen Funktionen gege- ben. Der Quellcode kann analysiert und auf unerw0nschte Funktionen geprOft werden.

Es wird daher immer zu pr0fen sein, ob Open Source-Soft- ware for Softwareprojekte in Frage kommt. Neben monet&ren Motiven k6nnen strategische (kein Lock-in, bessere Kontrolle 0ber die Entwicklung) oder operative Motive (h6here Stabilit&t, h6here Sicherheit, Verf0gbarkeit des Quetlcodes und das Recht diesen zu ver&ndern) die Entscheidung beeinflussen.

1.5 Open Source-Geschiiftsmodelle Man kann mit Open Source-Software auch Geld verdienen, wie die spektakul~ren B6rseng&nge der Firmen VA Linux Software und Red Hat im Jahr 1999 gezeigt haben 2°. Welche Gesch&fts- modelle k6nnen nun mit Open Source umgesetzt werden (Ray- mond, 1999): • Distributoren fassen fremde Open Source-Softwarekompo-

nenten auf Datentr&gern zusammen und machen sie durch Installations- und Administrationsroutinen als Komplettl6-

2o http://finance.yahoo.com/q/ bc?s = RHAT&t=my&l=on&z=l&q=l&c=LN UX zeigen den Vergleich der Entwicklung der B6rsenkurse von VA Linux und Red Hat.

e & i heft 1/2 J&nner/Februar 2005 / 122. Jahrgang 4 1

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W. REICHL, I. BRUSlC Open Source in der Telekommunikation

Gesamtkosten

Abb. 1.

Hard- und SoRware

DIrekte Kesten OperaUons

Verwaltung

Hardware fOr GeschMtsprozesee Software for Geschaftsprozesse Hardware for EDV Abteilung Software for EDV Abtellung

Technischer Support Ptanungs- und Ftozes~rnanagement DB Management Service Desk

Verwaltungs- und Flnanzaufgaben Schulung (Endbenutzer) Schulung (EDV Abteilung)

Indirekte Kosten

End User Operations

Downtime

Formales Lernen Lernen im Arbeltsalltag Peer-to-Peer Support Futzing C, herumspielen ~) Software-Entwicklung etc.

geplant ungeplant

Gesamtkosten eines Datenverarbeitungssystems

sung nutzbar. Die wichtigsten Distributoren sind SuSE und Red Hat. Viele Distributoren bieten neben dem Standardpro- dukt auch ProfessionaI-Versionen an. Diese unterscheiden sich technisch nur wenig, enthalten aber verbesserten Ser- vice, wie Schulung und 7/24-Hotlines.

• Applikationsanbieter: Es gibt auch Unternehmen, die selbst entwickelte Software als Open Source anbieten. Netscape hat im Jahr 1999 mit der Freigabe der Browsersoftware Mozilla erfolgreich versucht, die Position des Marktf0hrers Microsoft zu schw&chen. Ziel der Freigabe war auch die rasche Weiterentwicklung und das Feedback der Benutzer. Der Mozilla-Code war allerdings unter grof3em Zeitdruck ent- standen und schwierig weiterzuentwickeln. Mittlerweile ist Mozilla in der Funktionalit&t dem Internet Explorer zumindest ebenb0rtig. Mit der freien Weitergabe eines Produkts kann aber auch ein Kundenkreis geschaffen werden, der andere Programme, die nicht Open Source sind, nutzt. Eine &hn- liche Strategie verfolgt auch SUN mit StarOffice / OpenOffice.

• Dienstleister bieten umfassende Unterst0tzung von Installa- tion, Support, Schulung und Wartung bis hin zur System- integration. Fast alle Gesch&ftsmodelle um Open Source haben einen Dienstleistungsanteil.

• Accessoires: Der Fachverlag O'Reilly gilt als der Fachvefiag zum Thema Open Source. Der Linux-Pinguin Tux ist ein beliebtes PI0schtiervorbild geworden.

2. Open Source in der T e l e k o m m u n i k a t i o n Vermittlungstechnik erfordert heute spezielle Hardware und Software, deren Entwicklung propriet&r und autw~_ndig ist. Die Key-Player auf der Anbieterseite sind heute AIcatel, Ericsson, Lucent, Nokia, Nortel und Siemens. Nachgefragt wird die Ver- mittlungstechnik von den Telekommunikationsnetzbetreibern. Typische Vermittlungssysteme haben viele Millionen Lines of Code und sind komplexe Softwaregebilde.

Mit dem Fortschritt der Mikroelektronik, der immer heheren Leistungsf&higkeit der Hardware, sind spezielle Prozessrechner for die Sprachkommunikation in Echtzeit nicht mehr erforderlich. Heutige Vermittlungssysteme werden mit Mainframe-Compu- tern der Siebzigerjahren verglichen (Malleck, 2004). Deregulie- rung und Wettbewerb f0hrten zu Kostendruck, und die Netzbe- treiber argumentieren, dass durch Einsatz kommerziell verf0g- barer billigerer Hardware und IP-Technologie die Kosten we- sentlich gesenkt werden kennten.

Die Fortschritte und Trends in der Telekommunikation wer- den als ,,Next Generation Network" bezeichnet. Man versteht

darunter ein einheitliches Breitbandnetz, welches Multimedia- applikationen auf der Basis von IP-Technologie und Standard- hardware unterst0tzt. Implementierungen des Next Generation Network reichen von Weiterentwicklungen der VermitUungsstel- lensoftware und propdet&ren Lesungen der Telekommunikati- onsanbieter 0ber auch als Softswitch bezeichnete Lesungen von IT-Herstellern bis zu Standard-PC mit Open Source-Soft- ware.

2.1 VolP-Versuchsaufbau mit Open Source-Software SER und Asterisk

Die C)FEG ist for die digitale Vermittlungstechnik von Telekom Austria verantwortlich (Reichl, 2003) und besch~ftigt sich seit el- niger Zeit mit den Optionen zur Weiterentwicklung der digitalen Vermittlungstechnik zu einem Next Generation Network. Um die Einsetzbarkeit von O~en Source-Software und Standard-PC zu untersuchen, wurde im abgelaufenen Jahr ein Voice over IP- Versuchsnetz aufgebaut (Abb. 2). Zwei der derzeit interessan- testen Open Source-Softwareanwendungen for Telekommuni- kation kamen zum Einsatz: SER (SIP Express Router) von iptel.org 21 und Asterisk 22, eine universell einsetzbare Nebenstel- lenanlagensoftware.

Neben den Effahrungen mit Open Source-Software stand auch die Untersuchung der M6glichkeiten, die sich aus der Ver- bindung von PSTN/ISDN und Internet ergeben, im Fokus des Versuchsaufbaus. PSTN/ISDN und Internet haben unterschied- liche Paradigmen. Verbindungsaufbau und -abbau im Intemet wird durch Zeichengabe mit dem Session Initiation Protokoll (SIP) unterst0tzt. Basiskomponente for IP-Telefonie ist der SIP- Server, der Call-Control Software &hnlich wie in einer Vermitt- lungsstelle enth&lt. Im Gegensatz zum PSTN/ISDN, wo Telefon- anschl0sse zur n&chstgelegenen Ortsvermittlungsstelle f0hren m0ssen, ist bei Voice over IP die L~inge der Anschlussleitung nicht durch analoge 0bertragungstechnische Grenzwerte limi- tiert. Die Funktionalit&t von SIP-Servem kann weltweit in An- spruch genommen werden. Auch der Verbindungsaufbau unter- scheidet sich vom PSTN/ISDN, wo stets eine Hierarchiestufe yon PSTN/ISDN-Vermittlungsstelten durchlaufen werden muss: Bei Voice over IP kSnnen Zeichengabe und Nutzdaten im Netz unabh&ngig voneinander gef0hrt werden. Die Sprachverbin- dung wird direkt zwischen Endger&ten aufgebaut und muss nicht 0ber den die Verbindung steuernden SIP-Server laufen.

"Der Voice over IP-Versuchsaufbau hat Internetzugang 0ber einen symmetrischen Breitbandanschluss (SDSL mit 1 MbitJs). Im Iokalen Netz werden IP-Telefone bzw. Soft-Clients und ana- Ioge Telefone mit Terminaladapter verwendet. AIs SIP-Server kommt die Open Source-Software SER (SIP Express Router) unter dem Betriebssystem GNU/Linux auf einem Standard-PC zum Einsatz. Von den IP-Endger&ten kennen sowohl dieser SIP-Server als auch andere weltweit verf0gbare SIP-Server be- nutzt werden.

Zur Verbindung von Internet und PSTN/ISDN wird im Ver- suchsaufbau die Open Source-Software Asterisk unter dem Be- triebssystem GNU/Linux auf einem Standard-PC verwendet. Asterisk ist eine Nebenstellenanlagensoftware, die sowohl TDM-Kan~_te als auch VolP-Kan&le unterst0tzt sowie zus&tzli- che Funktionalit&ten for IVR (interactive voice response) und ACD (automatic call distribution) enth&lt. Der Name Asterisk kommt vom Symbol *, das in MS-DOS, aber auch in UNIX als Platzhalter verwendet wird. Ebenso ist Asterisk zum Zusam-

{1 Auf den SER wird in diesem Artikel nicht n&her eingegangen. F0r weitere Informationen siehe die Website www.iptel.org/.

22 Die Version 1.0.0 von Asterisk wurde am 25. September 2004 von Mark Spencer auf der ersten Astricon-Konferenz angekLindigt (siehe www.asterisk.org).

42 e&i elektrotechnik und informationstechnik

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W. REICHL, I. BRUSIC Open Source in der Telekommunikat ion

Asterisk

ISDN B A ~

SIP Phone

I Jm Analoges Telefon

Abb. 2. VolP-Versuchsaufbau

Remote I . . . . . . . . Access

~ j SIP Senyet- SER

Local Area Network

,J, SIP Phone

menarbeiten mit jeder Telekommunikationshardware und -soft- ware sowie mit jeder Applikation gedacht. Beispiele for Asterisk- Anwendungen sind:

• Voice over IP Gateway • Nebenstellenanlage • Softswitch • IVR-Server • Server for Number Translation • Server for Calling Card-Anwendungen

Asterisk kann als Middleware gesehen werden, welche Tele- kommunikationstechnologien und Applikationen verbindet. Ab- bildung 3 zeigt die Architektur von Asterisk.

Directory Dialing~ Calling Card, Conferendng, Paging, Voicernail, Custom Applicatlotls

GSM, G.723.1 p-Law Unear A-Law ADPCM MP3

GSH, G.723 WAV HP3

Abb. 3.

Voice over Frame Relay, ISDN, SIP, H.323, Voice Modem, Cusl~om Hardware

Die Architektur von Asterisk

API; Al~iica~n programming Z n t e ~

Die Asterisk-Software besteht aus einem Kern mit vier Ap- plication Programming Interface(API)-Schnittstellen und einer Anzahl von mitgelieferten Applikationen. Durch die API-Schnitt- stellen entsteht ein modulares Design, das ffir benutzerdefi- nierte Applikationen often ist. Die untere Schnittstelle in Abb. 3 dient zur Anschaltung der Sprachkan&le (entweder TDM oder VoIP), welche durch das PBX Switching Core miteinander ver-

bunden werden kbnnen. Die obere Schnittstelle erlaubt die Ver- bindung der Sprachkan&le zu Appiikationen. Auf der linken und rechten Seite sind API-SchnittsteUen zur Codec Translation und zur Umsetzung unterschiedlichster File-Formate eingezeichnet.

Die grundlegende Applikation ist der Dial-Plan, welcher zu Wahlinformationen je Sprachkanal die zugehbrigen Aktionen (in der Form ,,exten = Wahlinformation, Priorit&t, Appiikation") fest- legt. Mit der Gestaltung des Dial-Plans hat der Benutzer vielf&itige M0glichkeiten zur Konfiguration der Telekommunikationsanlage.

Asterisk hat im Versuchsaufbau sowohl Schnittstellen zum PSTN/ISDN und zum Iokalen Netz sowie zum Internet. Wie bei herk0mmlichen Nebenstellenanlagen kbnnen von Asterisk so- wohl Amtsleitungen als auch Nebenstellen geschaltet werden. Der Vorteil von Internverkehr ist, dass Nebenstellennummern unabh&ngig vom 0ffentlichen Nummerierungsplan vergeben werden k0nnen. Nebenste]len werden im Versuchsaufbau aus- schliei31ich eber VolP angeschaltet und kbnnen sich im Gegen- satz zu herkbmmlichen Nebenstellen im gesamten Internet dy- namisch an Asterisk registrieren.

2.2 Prakt ische Er fahrungen • Know-how

Auch wenn die Investitionskosten for eine Open Source- L0sung gering sind, die ,,Gesamtsystemverantwortung" for die Zusammenstellung der einzelnen Hard- und Software- komponenten bleibt beim Anwended Voraussetzungen sind die Kenntnisse eber Linux und breites Fachwissen zur Kom- munikationstechnik sowie Enthusiasmus und eine beachtli- che Leidensf&higkeit. Es dauerte sechs Monate, bis ein funk- tionsf&higer Show-Case zur Verf0gung stand.

• Stabilit&t Die Open Source-Software Asterisk wird laufend weiterent- wickelt. Eine permanente Betreuung ist erfordedich.

• Dokumentation und Support Die Dokumentation for Asterisk und SER ist unzureichend. Besonders im Asterisk-Handbuch sind einige Module 0ber- haupt nicht dokumentiert. Es gibt aber eine sehr gute Unter- st0tzung durch die Open Source Community. 0ber die SER- bzw. Asterisk-Homepage kann man sich bei Newsgroups abonnieren, bekommt somit Informationen eber neue Pat- ches und kann Fragen stellen. Feedback kommt sehr schnell. Besonders gut funktioniert dies in der SER-News- group,,wo die meisten Antworten direkt von den Entwicklern kommen.

• Funktionalit&t Bei der Erstellung neuer Funktionen reichen die Mbglichkei- ten vom Dial-Plan, eber Skripts bis hin zum direkten Eingriff in den C-Code, wobei die Grenzen nur vonder zur Verf0- gung stehenden Zeit und von den eigenen Programmier- kenntnissen gesetzt werden. Der modulare Aufbau von Asterisk ermbglicht individuelle Konfigurationen. Asterisk hat for die IVR-Funktion etwa 500 einfach erg&nzbare Sprachmeldungen vorgeleistet, die in interaktiven Menes eingesetzt werden k0nnen. Die Voice- Mailbox kann Sprachnachrichten aufnehmen und diese auf Wunsch auch per E-Mail verschicken.

,- Risken Grunds&tzlich treffen auch auf SER und Asterisk aile for VolP vorhandenen Risken zu, n&mlich die Sicherheitsrisken beim Datentransport im Internet, wie Denial-of-Service, Dis- tributed Denial-of-Service, Viren, WOrmer, Trojaner, Man-in- the-Middle-Angriffe, Paket sniffing, IP spoofing und Pass- wor~l-Attacken ... Dazu kommen bei Asterisk und SER noch Tarifbetrug und Mithbren (Lippitsch, 2005). Zu bedenken sind faisch konfigurierte IP-Telefone, was unter Umst&nden auch den Serverbetrieb beeinflussen kann.

e&i heft 1/2 J&nner/Februar 2005 / 122. Jahrgang 4 3

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W. REICHL, I. BRUSIC Open Source in der TelekommunikaUon

Mit SER und Asterisk stehen Grundelemente eines Tele- kommunikationsnetzes auf IP-Basis als Open Source-LSsungen zur Verf0gung. Wenn Betreiber privater oder 5ffentlicher Netze die M0hen der Integration auf sich nehmen und sich die notwen- digen Kenntnisse aneignen, so k6nnen rasch und kosteng0nstig beachtliche L6sungen entstehen (Haberler, 2004).

Die grSBten Vorteile von Open Source-Software in der Tele- kommunikation sind geringe Investitionen und groBer Funktio- nalit&tsumfang, mit dem rasches Prototyping for neue Telekom- munikationsdienste m6glich wird.

3. Z u s a m m e n f a s s u n g u n d A u s b l i c k Open Source-Software - im Datenverarbeitungsbereich und bei ISP schon lange selbstverst&ndlich - muss in der PSTN/ISDN- Telefonie erst seinen Platz behaupten. Telekommunikations- netzbetreiber und auch die einschl~.gige Industrie sind gut bera- ten, sich mit Open Source-Software auseinander zu setzen, da

• die Abh&ngigkeit vom Softwarehersteller wesentlich verrin- gert werden kann,

• for Basisfunktionalit~,ten dutch gemeinsame Nutzung der Ressourcen der gesamten Industrie eine Kosteneinsparung und Qualit&tsgewinn erreicht werden kann,

• Know-how und Kompetenz im technischen Bereich erhalten und weiter ausgebaut werden kann und

Open Source-Software rasches bzw. kostengOnstiges Proto- typing erm6glicht und somit zur Innovation in Telecommuni- cations beitr&gt.

Literatur

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