party des todes

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Al Capone Nr. 14  

Party des Todes  

von AL CANN  Als Gary Royster seine Wohnung in der 69. Straße betrat, war  es wenige Minuten  nach Mitternacht.  Er  ging  auf leisen  Sohlen  zur  Küche  und  hatte  da  kaum  die  Tür geöffnet, als sich gegenüber die Schlafzimmertür öffnete. 

Eine  kleine  Frau mit  rundlichem Gesicht  blickte  ihn aus großen, fragenden Augen an. 

»Ja,  entschuldige, Mary«,  sagte  der Mann,  »aber  ich hatte noch eine ziemlich lange Sitzung.« 

Die Frau nickte, ging an ihm vorbei in die Küche und nahm die Milch aus dem Kühlschrank. 

»Das  ist  lieb  von  dir«,  sagte  er,  goß  sich  ein  großes Glas voll ein und trank es in einem Zug aus. 

Royster  war  ein  Mann  von  neununddreißig  Jahren, dunkelhaarig,  einssechsundsiebzig  groß,  mit  einem schlanken Körper und einem etwas bläßlichen Gesicht. 

Erst  jetzt  nahm  er  seinen  Sommerhut  ab,  zog  die ungefütterte  Jacke  aus,  hängte  sie  über  den  Stuhl  und ging dann hinüber ins Bad. 

Als er sich eben entkleidet hatte und unter die Dusche stellen  wollte,  verspürte  er  plötzlich  einen  dumpfen Schmerz in der Magengrube. 

Er drehte das heiße Wasser auf und  ließ es  sich über den Körper rinnen. Aber es half nichts. Auch nicht, als er 

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den Leib direkt unter die heiße Brause hielt. Der Schmerz nahm von Sekunde zu Sekunde rapide zu. 

Plötzlich  fiel  sein  Blick  auf  die  halbgeleerte Milchflasche. Jähe Angst zuckte in ihm hoch. 

Hatte Mary  ihn vergiftet? Mary – die kleine Frau mit dem kurzen, krausen Haar, dem rundlichen Gesicht und den  Kinderaugen?  Sie  war  der  Typ  des Unschuldslammes, eines Menschen, der all das auf  sich nahm, was  ihm das Leben brachte. Sie erzog die beiden Kinder Tom und Mia ordentlich und sorgte dafür, daß im Haus alles stimmte. 

In  Sekundenschnelle  zog  an  dem  Mann,  der  mit verkrümmtem Körper  hinter  dem Küchentisch  saß,  ein Leben vorbei, das ganz alltäglich gewesen war. 

War es das wirklich? Gary  Royster  konnte  sich  in  diesen  Minuten  kein 

klares Bild darüber machen. Stärker und  stärker wurde der  Schmerz  und  grub  sich  in  seine  Nervenbahnen, krampfte  seine  Sehnen  zusammen  und  ließ  seine Muskeln  versteinern.  Plötzlich  brach  ein  heiserer  Laut über  seine  Lippen.  Er  fiel  nach  vorn  und  lag mit  dem Kopf auf dem Tisch. 

Die Tür sprang auf. Mary Royster stand da und blickte auf ihren Mann. 

»Gary!« Sie  lief  auf  ihn  zu  und  nahm  seinen  Kopf  in  ihre 

Hände. Mit geweiteten Augen blickte sie in sein Gesicht. Die Augen des Mannes hatten eine gelbliche Färbung 

angenommen,  und  die  Iris  schwamm  darin.  Übergroß 

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waren die Pupillen. So groß, wie sie sie noch niemals bei einem Menschen gesehen hatte. 

»Mary«, keuchte er, »Mary –«, und dann suchten seine Augen  die  Milchflasche.  »Du  –  mußt  sofort  den  Arzt rufen!« 

Dr.  Glenn  war  in  wenigen  Minuten  da.  Er  wohnte gleich  nebenan  und war mit  den  Roysters  bekannt.  Er war ein Mann von zweiundfünfzig Jahren, groß, wuchtig und  berufserfahren.  Er  hatte  die  Frau  hinausgeschickt und untersuchte den Mann gründlich. Das Mittel, das er ihm gab, half jedoch nicht. 

»Was, zum Teufel, haben Sie denn bloß gegessen?« »Nichts. Es wird nicht am Essen  liegen, sondern da – 

da  an  der  Milch«,  ächzte  der  Mann  in  seinem fürchterlichen Krampf. 

Der  Arzt  gab  ihm  eine  stärkere  Spritze,  und  der Krampf  schien  nachzulassen.  Dennoch  verfärbte  sich Roysters Gesicht mehr und mehr. 

»Sie  müssen  sofort  ins  Krankenhaus«,  erklärte  der Arzt. 

»Es hat keinen Zweck mehr«, stöhnte Royster. »Sie hat mich vergiftet.« 

Plötzlich fiel sein Kopf mit einem harten Ruck auf die Tischplatte und stieß die Milchflasche um. 

Der Arzt, der sofort nach  ihm gegriffen hatte und  ihn hochzog, sah, daß der Mann tot war.  

*  

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Gary Royster war vergiftet worden. Darüber gab es nicht den mindesten Zweifel. Aber  die Giftmischung machte den Experten  zu  schaffen. Noch  im Morgengrauen war man  im Laboratorium der Polizei mit der Untersuchung des Mageninhalts des Toten beschäftigt. 

»Wahrscheinlich  ist es eine Art Benzolid«, meinte der Leiter  des  Laboratoriums  kopfschüttelnd  zu  dem  Chef der Mordkommission. 

Zwanzig Minuten  später  stand Polizeileutnant  James Geoffrey vor der Wohnungstür von Mrs. Mary Royster. 

Die Frau, die noch nicht  lange aus dem Krankenhaus zurück war, wohin sie  ihren  toten Mann begleitet hatte, stand  mit  kalkigem  Gesicht  da  und  blickte  den grauhaarigen  Polizeileutnant  aus  erschrockenen  Augen an. 

»Mrs. Royster, ich muß Sie mitnehmen.« Die Frau schrak zusammen. »Mitnehmen? Was soll das heißen?« »Sie  sind des Mordes  an  Ihrem Mann, Gary Royster, 

verdächtig.« Die Frau stammelte: »Aber – das ist doch nicht Ihr Ernst?« »Bitte, kommen Sie mit!« »Aber das geht nicht. Ich habe zwei Kinder.« »Tja«,  meinte  der  Polizist,  »dann  müssen  eben  die 

Nachbarn darauf aufpassen.« Der  sechsjährige  Tom  und  die  vierjährige  Mia,  die 

weinend  hinter  der Mutter  im  Flur  aufgetaucht waren, wurden  zur Nachbarin nebenan gebracht,  einer Frau  in 

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den Vierzigern mit aufgedunsenem Gesicht und kleinen Augen. Die zog die Schultern hoch und sagte: 

»Na ja, hoffentlich nicht allzu lange.« Mrs. Royster bat sie flehentlich: »Bitte,  die  Kleinen  werden  bestimmt  von  meinem 

Bruder geholt werden.« »Ja, um Himmels willen, was ist denn los?« wollte die 

Frau wissen. »Das kann ich Ihnen jetzt nicht erklären.« »Sie erhalten Nachricht«, meldete sich der Polizist. Mary  Royster  war  verhaftet  worden.  Sie  saß  im 

Polizeigefängnis und hatte nach der ersten Vernehmung, die  nichts  erbracht  hatte,  ihre  Zelle  wieder  aufsuchen müssen. 

Gegen halb zehn am Vormittag tauchte eine Frau von etwa fünfundvierzig Jahren in der Polizeistation auf und verlangte, mit Mr. Geoffrey zu sprechen. 

Der  grauhaarige  Leiter  der Mordkommission  blickte die Eintretende  an. Es war  eine große, hagere Frau mit scharfen  Gesichtszügen  und  graugrünen  Augen.  Sie stellte  sich  als Mrs. Plebstone  vor und  erklärte, daß  sie eine Nachbarin von den Roysters wäre. 

»Um was  geht  es, Mrs.  Plebstone?«  erkundigte  sich der Leiter der Mordkommission. 

»Ich habe gehört, was sich bei den Roysters abgespielt hat.  Ich möchte  dazu  nur  sagen,  daß mir Mrs. Royster verdächtig ist.« 

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»Aha. Und weshalb?«  fragte  der  Polizist  sehr  ruhig, denn  er  war  im  Laufe  von  neunzehn  Dienstjahren  an mancherlei gewöhnt. 

»Sie  ist mir deshalb verdächtig, weil sie so still  ist, so heimlich, wissen Sie?« 

»Aber  das  ist  doch  kein Grund,  einen Menschen  zu verdächtigen. Außerdem möchte  ich  Sie  fragen, wessen Sie Mrs. Royster verdächtigen.« 

»Nun, daß sie ihren Mann umgebracht hat.« »Aha. Woher wissen Sie, daß  er umgebracht worden 

ist?« »Weil ich es weiß –« »Woher wissen  Sie  es? Würden  Sie mir  bitte meine 

Frage beantworten, Mrs. Plebstone?« Die Frau zog wieder die Schultern hoch, nestelte dann 

in  ihrer  Handtasche  und  nahm  ein  Taschentüchlein heraus, womit sie ihre spitze Nase betupfte. 

»Na,  ich  hab’  doch  gesehen,  wie  sie  den  Toten  im Morgengrauen weggebracht haben.« 

»Woher wissen Sie, daß es ein Toter war?« »Na, hören Sie: Das dürfte doch wohl nicht schwer zu 

erraten  gewesen  sein.  Schließlich  war  dem  Mann  die Decke  über  die Nase  gezogen,  und  das macht man  ja wohl bei einem Lebenden nicht.« 

Sie  war  zweifelsohne  eine  scharfe  Beobachterin,  die Nachbarin  der  Roysters.  Aber  sie  machte  keineswegs einen guten Eindruck auf Geoffrey. 

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»Es  tut mir  leid, Mrs.  Plebstone,  aber  ich muß  Ihre Beschuldigung  zu  Protokoll  nehmen,  und  ich muß  Sie bitten, nähere Angaben zu machen.« 

Mrs. Plebstone wußte  jedoch keine näheren Angaben zu machen.  Sie war der Typ der  ekelhaften Nachbarin. Alleinstehend,  klatschsüchtig,  hager,  neugierig  und mit jedermann verfeindet. 

Ehe sie ging, fragte sie noch: »Kommt sie jetzt auf den Stuhl?« Geoffrey zog die Brauen zusammen. »Wie meinen Sie das?« »Na ja, ich meine, ob sie nun auch ihre gerechte Strafe 

bekommt,  oder  ob  das  wieder  unter  dem  Tisch verschwinden wird.« 

»Was soll das denn heißen, Mrs. Plebstone?« »Ach,  lassen  Sie  mich  doch  zufrieden«,  meinte  die 

Frau,  »ich  sehe  schon,  daß  bei  der  Polizei  keine Gerechtigkeit herrscht.« Damit verließ  sie das Gebäude. Nicht etwa, um nach Hause zu gehen, sondern um genau dreiundvierzig  Minuten  später  in  der  71.  Straße aufzutauchen, und  zwar  im Dienstgebäude des  Federal Bureau of  Investigation, das dort  seit anderthalb  Jahren eingerichtet war. Der  riesige alte Bau grenzte mit seiner Rückfront an den Oakwood Cemetery (Friedhof). 

Mrs.  Plebstone  verlangte  den  Chef‐Inspektor  zu sprechen, hatte aber keinen Erfolg, denn der war nicht im Dienstgebäude.  Dafür  wurde  sie  zu  seinem  Vertreter hinaufgeschickt,  mußte  aber  da  erfahren,  daß  auch Inspektor  Cassedy,  der  Vertreter  des  Chefs,  nicht  im 

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Haus war. Da  führte  sie  einer  der G‐men  zu  Inspektor O’Keefe. 

Ted O’Keefe war ein Mann Anfang der Dreißig, groß, hager, drahtig, mit dunklem Haar, dichten Brauen und einem ernsten Gesicht. 

»Madam«, sagte er, sich erhebend und auf einen Stuhl deutend. 

Die Frau blickte ihn mit gerunzelten Brauen an. »So ein junger Mann?« »Es tut mir leid, Madam, daß ich nicht älter bin. Aber 

das wird ganz bestimmt noch werden.« »Davon bin  ich überzeugt«, entgegnete die Frau, »ich 

hätte mir jedoch einen reiferen Beamten gewünscht.« »Würden Sie  trotzdem die Güte haben, mir zu sagen, 

was Sie zu mir führt?« »Na  ja,  ich  hoffe  nur,  daß  Sie  es  dann  dem  Chef‐

Inspektor  weiterleiten.  Mr.  Ness  ist  doch  der  Chef‐Inspektor?« 

O’Keefe nickte. »Ja, das ist richtig. Er ist leider nicht im Haus, aber Sie 

können mir ganz  sicher auch  sagen, was Sie hergeführt hat.« 

»Na ja. Also, es handelt sich hier um den Mord an Mr. Royster.« 

Wie Inspektor O’Keefe nach ihrem Fortgang durch ein Telefonat  mit  Lieutenant  Geoffrey  feststellte,  hatte  sie hier beim FBI das gleiche gesagt wie auch schon bei der Mordkommission der Stadtpolizei. Trotzdem waren ihre Darlegungen zu Protokoll genommen worden. 

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 Mary  Royster  saß  nun  schon  anderthalb  Tage  im Polizeigefängnis, als gegen Montagmittag ein Mann von etwa  vierzig  Jahren  ebenfalls  das  FBI‐Gebäude  am Oakwood  Cemetery  aufsuchte.  Es  war  der einundvierzigjährige  Ben  Collins.  Er  erklärte  freimütig, daß  er  sich  von  Gelegenheitsarbeiten  den Lebensunterhalt verdiente und häufig im Haus Nr. 14 in der 69. Straße gearbeitet hätte. 

»Vor  allem  hat  mir  Mrs.  Royster  immer  Arbeit gegeben«,  sagte  er.  »Ich  habe  gehört,  als  ich  heute morgen  ins  Haus  kam,  daß  sie  ihren  Mann  ermordet haben soll.« 

Der rundliche Inspektor Pinkas Cassedy, der den Chef vertrat, blickte Collins forschend an. 

»Was möchten  Sie  aussagen, Mr.  Collins?«  fragte  er ruhig. 

»Ich möchte sagen, daß ich es nicht glauben kann, daß Mrs. Royster ihren Mann ermordet hat.« 

»Und weshalb glauben Sie es nicht?« Der Gelegenheitsarbeiter zog die Schultern hoch. »Ich kann  es  schwer begründen. Nur  eben – weil  sie 

eine so gute Frau war. Sie hatte ein Gemüt wie ein Engel. Zu  Weihnachten  hat  sie  mir  zwei  Dollar  geschenkt, obgleich  ich  gar  nicht  dazu  kam,  ihren  Teppich  zu klopfen;  und  sie  läßt mich  den  Teppich  auch  klopfen, wenn er eigentlich noch gar nicht schmutzig ist, denn sie ist eine so saubere Frau; und dann schusterte sie mir so häufig Botengänge zu, von denen ich weiß, daß sie auch 

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sehr gut von  ihrem Sohn Tom erledigt werden könnten. Nur, weil sie mich nicht beschämen will mit den Cents, die sie mir immer zusteckt.« 

Der  rundliche  Inspektor Cassedy beobachtete Collins mit  schmalen  Augen.  Kam  der  Mann  etwa  für  eine Liebschaft  mit  Mrs.  Royster  in  Frage?  Schwerlich.  Er wirkte  kränklich,  war  aber  sauber  gekleidet.  Seine Kleidung war ärmlich. Die Ellbogen seiner Jacke, die für diese Sommerzeit viel zu warm war, waren blank, ebenso seine  Knie  und  sein  Hosenboden.  Aber  seine  Schuhe waren  sauber  und  auch  sein  Hemd.  Ganz  sicher  war dieser  Mensch  kein  Liebhaber  für  eine  Frau  wie  die junge, verhältnismäßig gutaussehende Mary Royster. 

Aber wer  konnte  hinter  die Gesichter  der Menschen blicken? 

Der Gelegenheitsarbeiter wurde,  ohne  daß  er  davon spürte, durchleuchtet,  sein Leben durchforscht. Aber  es fand sich kein dunkler Punkt darin. 

Collins  hatte  eben  das  Zimmer  des  Inspektors verlassen,  als  ihm  auf  dem  Korridor  ein hochgewachsener,  schlanker  Mann  begegnete.  Er  war sicher  einsneunzig  hoch,  hatte  ein  kantig  geschnittenes Gesicht, in dem ein eisblaues Augenpaar stand. 

Collins ahnte nicht, wem er da eben begegnet war. Der  hochgewachsene  Mann  trat  in  das  Zimmer 

Cassedys. »Ah,  Boß,  da  sind  Sie  ja. Gut,  daß  Sie  kommen.  Ich 

glaube, wir müssen gleich nach Cicero hinüber«, meinte 

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Cassedy, während  er  sofort  aufstand und  zum  Schrank ging. 

Der  hochgewachsene  Mann  trat  ans  Fenster  und blickte auf die Straße hinunter. 

Es  war  Eliot  Ness.  Der  neue  Chef  der  Spezial‐Abteilung  des  FBI  hier  am  Oakwood  Cemetery.  Seit anderthalb Jahren hatte er den Job hier  inne, und es gab eine Menge  Leute,  die  sich  darüber  gewundert  hatten, daß  man  drüben  in  Washington  keinen  reiferen  und keinen bekannteren Mann hergeschickt hatte. Schließlich war  Chicago  die  schlimmste  Stadt,  die  es  in  ganz Amerika  gab  –  was  die  Anhäufung  von  Verbrechen anbetraf.  Aber  dann  hatte  sich  erwiesen,  daß  der  FBI‐Direktor  Edgar  Hoover  doch  einen  guten  Griff  getan hatte, denn der einunddreißigjährige Sohn norwegischer Eltern, Eliot Ness, hatte sich als ein so überaus begabter Kriminalist  erwiesen,  daß  nicht  nur  die  Leute  das Kopfschütteln über seine Nominierung eingestellt hatten, sondern daß eine Weltstadt auf  ihn aufmerksam wurde. Chicago  hatte  einen  großen  Polizeioffizier  bekommen. Obgleich er  in den neunzehn Monaten, die er  jetzt beim FBI  war,  schon  eine  Reihe  aufsehenerregender  Morde aufgeklärt hatte, ahnte doch noch niemand, wie steil der Weg  des  Eliot  Ness  sein  würde,  daß  er  der  größte Kriminalist sein würde, den Amerika jemals haben sollte. 

Dennoch hatte er immer noch eine Reihe von Feinden: vor  allem  den  bekannten  Zeitungsmann  Rufus Matherley.  Weshalb  der  Chefredakteur  der  »Chicago News«  so  sehr  gegen  den  neuen Mann  am  Oakwood 

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Cemetery  eingestellt  war,  wußte  niemand,  aber  man vermutete, daß er selbst einen anderen Mann  für diesen Posten vorgeschlagen hatte. O  ja, ein Zeitungsmann von seiner Gewichtigkeit hatte eine schwerwiegende Stimme im Senat, und vor allem hier in der Stadt. Schleuderte er doch mit  seiner Millionenauflage  eine Meinung  in  die Weltstadt Chicago, die nicht zu übersehen war. Natürlich gab  es  noch  andere  große  Blätter,  aber  die  »Chicago News«  zwar  durch  ihn  zu  einer  der  meistgekauften Zeitungen gemacht worden. 

Edgar Hoover hatte große Sorgen wegen Chicago, weil sich  die  Verbrecherbanden  da  im  letzten  Jahrzehnt derartig  gehäuft  hatten,  daß  die  Polizei  fast  schon resignierte.  Vor  allem war  es  der  seit  sieben  Jahren  in Chicago ansässige Italo‐Amerikaner Alfonso Capone, der eine Gang gegründet hatte, die schon als einTrust, als ein Imperium angesehen werden mußte. Al Capone, der  in die Zeitgeschichte als der größte Verbrecher aller Zeiten eingehen  sollte,  und  da  selbst  heutzutage  einem gewissen  »Staatsmann«  neuerer  Zeit  noch  schärfere Konkurrenz  machen  würde.  Er  besaß  einige  große Fabriken,  war  Vorstandsmitglied  mehrerer  gewaltiger Konzerne,  hatte  selbst  mehrere  Dutzend  Geschäfte  – Großwäschereien  und  andere  –  und  hielt  in  seinen olivfarbenen Händen eine Macht, die bisher ein einzelner Mann  in Chicago noch nicht besessen hatte. Aber nicht Al Capone allein war es, der die Stadt  in Fieberschauer und  Panik  versetzte.  Es  gab  noch  andere  große Gangs, wie die des Donald Woost, Carel Borgast und vor allem 

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seit  einiger  Zeit  die  gefürchtete  Dillinger‐Gang.  Die Bande  Ric Dillingers machte mehr  und mehr  von  sich reden.  Immer  wieder  geschahen  Kapitalverbrechen  in der  Stadt,  und  es  war  für  Chicago  nur  die  Frage,  ob Capone  oder Dillinger  dahinterstand. Aber  beweisen  – beweisen  ließ  sich  nie  etwas! Und wurde  einmal  einer der  Leute  gegriffen,  von  dem  man  annehmen  konnte, daß  er  zu  einer  dieser  beiden Gangs  gehörte,  so  stellte der  Verbrecher  sich  stumm  wie  ein  Fisch  im  Lake Michigan  –  nach  dem Gesetz  der Unterwelt: Wer  sitzt, schweigt; wer redet, stirbt. 

Rufus  Matherley  selbst  hatte  Eliot  Ness  einen Spottnamen angehängt, und zwar die Bezeichnung »MR. CHICAGO«. Er ahnte nicht, daß er damit dem FBI‐man einen  Namen  gegeben  hatte,  den  die  Unterwelt  sofort aufgriff,  allerdings  respektvoll  aufgriff.  Es  gab  keinen Mann,  der  in  Chicagoer  Verbrecherkreisen  mehr gefürchtet wurde als der MR. CHICAGO.  Eliot  Ness  blickte  gedankenvoll  aus  dem  Fenster, verfolgte  den  Verkehr,  der  sich  unten  durch  die  71. Straße schob, und wandte sich dann langsam um. 

»Ich glaube, wir haben uns getäuscht, Pink«, sagte er nur. 

»Wie meinen Sie das?« »Follow gehört nicht zu Capone.« »Aha  –?«  Das  Gesicht  des  dicken  Cassedy  war  ein 

einziges Fragezeichen. »Ich vermute, daß er zu Dillinger gehört.« 

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»Dillinger?  Sagen  Sie  bloß,  die  Bande  mischt tatsächlich wieder mit?« 

»Leider habe  ich begründete Befürchtungen  in dieser Hinsicht.  – Übrigens, wer war der Mann, der  eben  aus Ihrem Zimmer kam?« 

»Ach,  ein  gewisser  Collins.  Er  kam  wegen  einer Giftgeschichte,  die  sich  drüben  in  der neunundsechzigsten abgespielt hat.« 

»Und wo sollte das sein?« »In  Burr  Ridge.  Ich  glaube, Nummer  14.  Da  ist  am 

Samstagabend der  neununddreißigjährige Gary Royster vergiftet  worden.  Seine  Frau  wird  verdächtigt.  Am Samstag war  schon  eine  Frau  hier,  eine Nachbarin,  die die Ehefrau beschuldigte, eine gewisse Laura Plebstone, ein scheußliches Weib; und jetzt kam dieser Collins.« 

»Wollte er sie auch belasten?« »Im  Gegenteil.  Er  ist  Gelegenheitsarbeiter  und«, 

Cassedy  hob  die  Schultern  hoch,  »na  ja,  ich  hab’s  hier mitgeschnitten.«  Er  nahm  das  Spezial‐Aufnahmegerät aus der Schublade und ließ die Unterhaltung mit Collins ablaufen. 

Eliot Ness rieb sich das Kinn. Dann sagte er: »Wir wollen noch heute vormittag nach Hinsdale.« »Was wollen wir da?« »Follow soll gestern  in der Walnut Street aufgetaucht 

sein, und zwar nicht weit von der Grant Street. In einem Möbelgeschäft.«  

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Es  war  wenige  Minuten  nach  elf,  als  die  beiden  FBI‐Agenten vor dem Möbelgeschäft erschienen. 

Eliot  Ness  betrat  es  von  vorn,  während  Pinkas Cassedy in den Hof ging und den rückwärtigen Eingang sowie  die  Rückfront  des  Hauses  im  Auge  behielt;  der Dicke  machte  das  ausgezeichnet  und  keineswegs einseitig:  Diesmal  beschäftigte  er  sich  als Stadtreinigungsbeamter  in  Zivil,  der  die Mülltonnenabstellplätze kontrollierte. 

Eliot Ness betrat das Möbellager und erkundigte sich nach dem  Inhaber, Mr. Gurres. Dieser war ein Mann  in den  Fünfzigern,  grauhaarig,  mit  einem  Gesicht,  das aufgeschwemmt und kränklich wirkte. 

»Mr. Gurres,  ich  interessiere mich  für eine Bettcouch. Was könnten Sie mir da vorschlagen?« 

Er  kam mit dem Geschäftsinhaber  ins Gespräch und dann  nach  wenigen  Minuten  auch  auf  Follow  zu sprechen. Gurres nahm mit einem Ruck den Kopf herum und blickte  in Eliots Gesicht. Seine opalfarbenen Augen suchten in den hellen Augen des Norwegers zu lesen. 

»Was ist denn?« meinte Eliot erstaunt. »Ist etwas nicht in Ordnung mit Ihnen?« 

Gurres griff sich an den Magen. »Ach, ich bin nicht ganz gesund. Sie sollten mich nicht 

länger aufhalten.« »Augenblick, Gurres. Was  ist mit  Follow  geschehen? 

Ich will nicht hoffen, daß ihm etwas passiert ist.« »Wer redet denn davon?« 

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Es war  einen Augenblick  still. Dann  knurrte Gurres, der  sich  in  einem  seiner  selbstgefertigten  Sessel niederließ: 

»Wo kommen Sie her?« »Aus Stickney.« Es war  ein  Bluff,  den  Eliot Ness  da  losließ,  denn  er 

kam  ja nicht aus Stickney. Und er hatte das nur gesagt, weil er vermutete, daß Dillinger in Stickney saß. Wo sich diese raffinierte Gang, die da seit einigen Wochen durch Chicago geisterte, tatsächlich aufhielt, wo sie ihr Quartier hatte, wußte niemand. Überhaupt war niemand von der Gang  in der Stadt wirklich bekannt. Seit Frank Dillinger und einer  seiner Vettern durch die Kugeln der Capone‐Gang  nach  ihrem  unerhörten  Coup  gegen  Capones Buchmacherei  gefallen  waren,  hatte  man  nie  wieder einen  der  Dillingers  zu  Gesicht  bekommen.  Und  doch war  bei  allen  Verbrechen,  die  seither  verübt  worden waren,  eine Handschrift deutlich  zu  lesen gewesen: die Handschrift des Richard Dillinger, jenes Mannes, der aus einer  Vorstadtstraße  von  St.  Louis  nach  Chicago gekommen  war  und  sich  nicht  gescheut  hatte,  diesen unglaublichen  Überfall  auf  Capones  Buchmacherei durchzuführen.  Gesehen  hatte  ihn  niemand,  jedenfalls konnte ihn niemand beschreiben. 

Unten  im  Zentrum  des  Stadtteils  Blue  Island  in  der Prairie Street, an der Ecke Western Avenue, gab es eine junge Frau, die den Namen Dillinger  trug und mit dem toten Frank Dillinger verwandt war. Sie war eine Kusine von ihm; und da der Bandenführer ein Vetter von Frank 

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gewesen war, war  er natürlich  auch mit Ruth Dillinger verwandt.  Diese  Ruth  Dillinger,  eine vierundzwanzigjährige  Chemiestudentin,  war  eine bildschöne  Frau,  die  schönste,  die  Eliot  Ness  jemals gesehen hatte, wie er  sich hatte  eingestehen müssen. Er hatte  sie  dreimal  aufgesucht  und  mit  ihr  gesprochen, damals, als die Jagd nach Richard Dillinger lief. Aber sie hatte keinerlei Kontakte mit der Gang. Wochenlang war sie  beobachtet  worden.  Nichts  deutete  auf  eine Verbindung mit der Verbrecherbande hin. 

Dennoch  war  sie  eine  Frau,  die  nicht  ohne Seltsamkeiten war.  Oder  sollte man  ihren  eigenartigen Hang  zu  Friedhöfen  nicht  für  eine  Seltsamkeit  halten? Immer wieder  suchte  sie  die  verschiedensten  Friedhöfe der Weltstadt auf. Einmal steckte sie draußen auf dem St. Joseph’s Cemetery, dann wieder war  sie  am Elm Lawn Cemetery,  dann  auf  dem  Mt.  Emblem  Friedhof,  sie scheute  sich  sogar  nicht, weit  hinaus  in die Vororte  zu fahren, um dort die Friedhöfe  aufzusuchen. Was  sie da suchte, wußte niemand mit Sicherheit. Eliot Ness, der sie sehr vorsichtig danach gefragt hatte, hatte sie erklärt, daß sie Bekannte und Verwandte aufsuchte, die da unter dem grünen  Rasen  lägen.  Auch  Kindergräber  hatte  sie aufgesucht, und Eliot hatte sie in Verdacht, daß es Kinder waren,  die  sie  gar  nicht  gekannt  hatte.  In  zwei  Fällen allerdings hatte er  festgestellt, daß es Kinder waren, die keine  Eltern  und  keine Angehörigen  hatten  und  deren Gräber  vor  ihrem  Besuch  verkommen wirkten.  Es war 

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ein  etwas  makabres  Hobby,  dem  die  bildschöne  Ruth Dillinger anhing.  »Also, was  ist mit Follow?« drängte der FBI‐Agent den Möbelhändler. 

»Keine Ahnung. Ich weiß nicht, wo er ist. Wenn Sie zu den D‐Leuten gehören, dann muß ich sowieso sagen –« 

»Was müssen Sie sagen, Mr. Gurres?« Der  Möbelhändler  erhob  sich,  zündete  sich  eine 

Zigarette  an  und  erklärte  dann mit  nicht  ganz  sicherer Stimme: 

»Es  tut mir  leid, Mister. Aber  ich glaube, daß Sie von Borgast sind.« 

»Wie kommen Sie denn darauf? Sie wissen genau, daß ich zu den D‐Leuten gehöre.« 

»Da bräuchte ich einen Beweis.« »Tut mir leid. Sie wissen, daß es keine Beweise geben 

kann. Kein Mitglied einer Crew (so nannten die Banditen ihre  Banden  selbst)  trägt  irgendein  Zeichen  mit  sich herum.« 

»Kennen Sie irgendeinen Verwandten des Boß’?« »Natürlich.  Sollten  Sie  von  der  Frau  in  Blue  Island 

sprechen –  so möchte  ich Sie darauf hinweisen, daß Sie sie nicht zu kennen haben.« 

Das  schien Gurres zu genügen. Er nickte  sofort, ging dann zu einem Tisch, zog eine Lade auf und reichte Eliot ein Foto. Es war das Bild des Gangsters Tony Follow. 

»Was ist mit ihm?« »Sehen Sie es nicht?« 

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Es  war  deutlich  zu  sehen,  daß  Follow  in  einer Blutlache auf einer dunklen Straße lag. 

»Wann?« »Gestern nacht.« »Um wieviel Uhr?« »Gegen halb zwölf.« »Wo?« »Nicht weit von hier.« »Und wer?« »Keine Ahnung. Wahrscheinlich Cap‐Leute.« Wenn  irgend  etwas  in  dieser  Stadt  geschah,  dann 

waren es  immer Cap‐Leute – ob Capone nun tatsächlich dahintersteckte oder nicht. Alles, was nicht aufzudecken war, mußte  auf Capones Rechnung gehen. Er  selbst  tat nichts,  um  diesen Umstand  zu  ändern. Wahrscheinlich gefiel er  sich  sogar  in der Rolle,  in die er hineingeraten war. Anfangs hatte  er  sich noch  sehr dagegen gewehrt, als der verfemte Verbrecher angesehen zu werden, aber das  hatte  sich  rasch  gegeben.  Heute  sonnte  er  sich offensichtlich  in  der  unheimlichen  Popularität,  die  er genoß. Popularität war wohl nicht der richtige Ausdruck: Al  Capone  war  berüchtigt,  berüchtigter  als  sonst irgendein Gangster in ganz Amerika.  Eliot Ness suchte das Leichenschauhaus auf; und da fand er den Gesuchten. Follow war der dritte  in der zweiten Reihe.  Zwei  greise  Selbstmörder,  eine  Frau,  die  nach einer  Abtreibung  gestorben  war,  ein  alter  Mann,  der unter  einer  Brücke  im  Schnapsrausch  ins  Jenseits 

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gerutscht  war,  und  wieder  eine  blutjunge Selbstmörderin.  In der zweiten Reihe  lag er dann: Tony Follow, der Bandit. Er hatte zwei Einschüsse im Rücken. 

»Ein Glück,  daß  die  Boys  untereinander  aufräumen, sie  nehmen  uns  damit  eine Menge  Arbeit  ab«, meinte Cassedy,  während  er  sich  draußen  eine  seiner  hellen Zigarren  anzündete  und  nach  allen  Seiten  Ausschau hielt. 

»Was suchen Sie eigentlich?« fragte Eliot, während sie zu ihrem Wagen gingen. 

»Was  schon?  Ein Restaurant. Was  glauben  Sie wohl, was  ich  für  einen  Hunger  habe!  Ich  werde  jetzt mindestens  sieben  Knödel  verdrücken,  wenn  nicht neun.« 

Eliot  sah,  daß  er  ein  bayrisches  Speiserestaurant  im Blickfeld hatte. 

»Gehen Sie hinein, ich komme nach.« »O nein, nicht allein. Wo wollen Sie denn noch hin?« »Ich möchte ins Gefängnis.« »Wohin wollen Sie? Ins Gefängnis?« »Hinüber nach Burr Ridge.« Eine  halbe  Stunde  später  standen  sie  im  oberen 

Zellengang  des  Frauen‐Untersuchungsgefängnisses  von Burr Ridge. Eliot Ness hatte sich beim Gefängnisdirektor gemeldet  und  ließ  sich  dann  zu  der Untersuchungsgefangenen Mary Royster führen. 

Die junge Frau blickte den Inspektor verstört an, als er in die Zelle trat. Sie glaubte, daß sie wieder zu einer der endlosen Vernehmungen abgeholt wurde. 

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»Mein Name ist Ness«, sagte der Norweger mit seiner dunklen Stimme und deutete dann auf seinen Begleiter. »Das ist Inspektor Cassedy. Wir sind vom FBI.« 

Die Frau hob  ihren Kopf.  Ihre Augen waren  trocken. Hoffend glitten sie über das Gesicht des Chef‐Inspektors. 

»Sind Sie – Eliot Ness?« »Ja, Mrs. Royster.« Hoffnung  stand  plötzlich  in  den  Augen  der  Frau  – 

aber nur klein wie ein Funke. »Ich  bin  für den  Fall  noch nicht  zuständig. Nur, wir 

hatten zwei Besucher bei uns draußen im Dienstgebäude in der  71.  Straße, die wegen dieser Sache kamen. Dann habe  ich  durch  ein  Telefonat  bei  Leutnant  Geoffrey erfahren,  daß  eine  Mrs.  Godwill  heute  morgen dagewesen  ist und angab, Sie hätten  ihr einmal erzählt, daß Ihr Mann eine Freundin hätte.« 

Mary Royster hatte den Atem angehalten. Dann sagte sie mit ruhiger Stimme: 

»Das ist nicht wahr.« Eliot  sprach  eine  halbe  Stunde  mit  ihr.  Aber  es 

erbrachte  nichts.  Diese  Frau  war  trotz  allem ungebrochen.  Entweder  trug  sie  die  Schuld  ungerührt mit sich herum, oder ihr Vertrauen auf die Gerechtigkeit dieser Welt war größer, als man hätte annehmen sollen. 

Eine Viertelstunde später stand Eliot Ness vor Marion Godwill. Sie wohnte  im gleichen Haus wie die Roysters, nur eine Etage höher. Sie war Anfang der Dreißiger, mit aufgedunsenem Körper und  einem Gesicht, das verriet, daß sie das Leben in vollen Zügen genossen hatte. Als sie 

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hörte, daß der Mann, der da vor der Tür stand, von der Polizei war, ließ sie ihn sofort eintreten. 

»Es handelt  sich  sicher um die Roysters, nicht wahr? Ist es nicht  schrecklich, Mister? Die Frau hat den Mann umgebracht.  Aber  man  muß  versuchen,  es  zu verstehen…« 

»Wie kommen Sie zu der Auffassung, Mrs. Godwill?« »Bitte: Miß Godwill. Ich bin unverheiratet«, sagte sie. »Ja, dann sagen Sie mir bitte, wie Sie zu dieser Ansicht 

kommen.« »Zu welcher Ansicht?« »Sie  haben  doch  behauptet,  daß Mrs.  Royster  ihren 

Mann umgebracht hätte.« »Aber das kann doch gar nicht anders  sein«, erklärte 

die  Frau, während  sie  das Geschmeide  am  linken Arm hin und her schob und immer wieder nach ihrer falschen Perlenkette griff.  »Sehen Sie, wenn  eine Frau weiß, daß ihr Mann eine Freundin hat, dann ist es ganz schlecht. Es ist doch klar, daß sie sich dadurch zutiefst gekränkt fühlt. Aber Männer können das natürlich nicht verstehen. Doch ich  als  Frau,  ich weiß  –  ach,  was  habe  ich  nicht  alles erlebt!« 

Sie arbeitete als Friseuse drüben im 38. Bezirk. Sie war sicher vor Jahren einmal hübsch gewesen, aber durch ein zu  üppiges  Leben  hatte  sie  sich  selbst  ihre  Figur verdorben.  Ihr  Gesicht  allerdings  zeigte  noch  deutlich, daß  sie  wirklich  einmal  gut  ausgesehen  hatte.  Was brachte  diese  Frau  nur  zu  einer  so  furchtbaren Beschuldigung? 

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»Sie würden uns beiden die Aufgabe erleichtern, Miß Godwill«,  sagte der  Inspektor, als er  sich  schon von  ihr verabschiedet hatte und an der Haustür stand, »wenn Sie sich bequemen würden, mir die Wahrheit zu sagen.« 

Die  Frau  zuckte  wie  unter  einem  Peitschenschlag zusammen. Flammende Röte übergoß ihr Gesicht. 

»Was soll das heißen, Mister –« »Ness ist mein Name.« »Was soll das heißen, Mr. Ness?« Da wandte Eliot sich um, drückte die Tür hinter sich 

zu, kam noch einmal zurück und blieb ganz dicht vor ihr stehen.  Er  senkte  seine  eisblauen  Augen  in  die zuckenden braunen Lichter der Frau. 

»Sie haben Gary Royster doch gekannt, nicht wahr?« War  das  eine  Frage  oder  war  das  keine  Frage? 

Fieberhaft  zuckten  die  Gedanken  im  Schädel  der  Frau hin und her. Sie sah den Mann nur an, suchte  in seinen Augen zu forschen, vermochte aber die Eiseskälte, die ihr aus  ihnen entgegenstrahlte, nicht zu ertragen. Sie senkte den Kopf. 

»Weshalb antworten Sie nicht, Marion Godwill?« Die Frau hatte plötzlich  eine  schreckliche Vision. Die 

Stimme des Mannes  schien  zehnfach  laut  geworden  zu sein  und  durch  einen  großen  Saal  zu  dringen:  durch einen Gerichtssaal. Und sie schien aus dem Mund eines Staatsanwalts zu kommen. 

»Nein –«, stammelte sie, »ich kannte ihn gar nicht. Das heißt – er stieg mir doch nach…« 

»Sie waren also seine Freundin?« 

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»Nein!« »Weshalb lügen Sie, Marion Godwill?« Da sackte die Frau auf einen Kamelhocker, der neben 

ihr  stand,  und  stützte  den  Kopf  in  beide  Hände.  Ein Schluchzen erschütterte ihren Körper. 

Fünf Minuten  später hatte Eliot Ness  ihr Geständnis: Sie  war  mit  Gary  Royster  befreundet  gewesen, anderthalb Jahre hatte sie die Frau, die sie jetzt mit einer so  furchtbaren  Beschuldigung  belastete,  betrogen. Aber seit  drei  Jahren  kümmerte  sich Royster  nicht mehr  um sie, und das hatte sie nie verwunden. 

Als  er  jetzt  so  elendig  ums  Leben  gekommen  war, richtete  sich  ihr Haß  voll gegen die Ehefrau des Toten. Hatte sie doch vermutet, daß Mary Royster  ihren Mann wieder  zurückerobert  hatte.  Seitdem  hatte  sie  sie  mit ihrem Haß  verfolgt. Da  sie  jedoch  keine Angriffsfläche fand, hatte sie den Haß  in sich hineinschlucken müssen. Aber  in  der  letzten  Samstagnacht  hatte  sich  dann  die Gelegenheit  gefunden!  Gary  Royster  war  ermordet worden.  Am  Montagvormittag  fand  sie  sich  bei  der Polizei ein und belastete seine Ehefrau. 

»Sie  werden  sich  für  Ihre  schwere  Verleumdung verantworten  müssen,  Mrs.  Godwill«,  sagte  der Inspektor, ehe er ging.  »Na?«  fragte Cassedy, der unten  im Hausgang gewartet hatte. 

Eliot berichtete kurz. Dann fuhren sie zusammen zum Oakwood  Cemetery  zurück.  Neue  Aufgaben  warteten 

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auf sie. Im 56. Bezirk in einer kleinen Seitenstraße war ein Schuhhändler  niedergeschossen  worden.  Vor  der Haustür war ein großes rotes C auf die Schwelle gemalt, in einer Farbe, die aussah wie Blut. 

Es  war  das  C  der  Capone‐Gang.  Natürlich  war  es durchaus  möglich,  daß  sich  jetzt  auch  andere  Banden dieses  gefürchteten Zeichens  bedienten;  aber  zweifellos hatten  Cap‐Leute  es  erfunden.  Es  sollte  nicht  etwa  die Polizei auf  ihre Spur  locken, sondern die Furchtlosigkeit der Bande zeigen, und vor allem hatte es den Zweck, die Leute in der Umgebung einzuschüchtern. 

Die  Spuren  waren  bereits  von  Inspektor  Lock  und Inspektor O’Connor  von  der Mordkommission  des  FBI gesichert worden. Als Eliot Ness am Tatort eintraf, sah er nur eine gebrochene Frau und zwei Mädchen da stehen, die noch nicht vernehmungsfähig waren. 

Es war  halb drei,  als  sie das Haus  verließen und  zu ihrem Wagen gingen. 

»Wie  wär’s  jetzt  mit  einem  Kaffee,  nachdem  die Knödel ausgefallen sind?« brummte Cassedy. 

»Kann gleich erledigt werden«, entgegnete Eliot, hielt dann  aber  auf  eine  Telefonzelle  zu  und  rief  Leutnant Geoffrey  an, der den Giftfall  in Burr Ridge  behandelte. Als der Stadtpolizist hörte, daß sich das FBI für die Sache interessierte, wurde er hellhörig. 

»Ist  da  irgendeine  Sache,  die  die  Bundesgesetze angeht, Mr. Ness?«  fragte  er,  nicht  ohne  Arger  in  der Stimme. 

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»Das  ist noch nicht klar, Mr. Geoffrey.  Ich wollte nur fragen, ob es etwas Neues in dem Fall gibt.« 

»Nichts Besonderes. Vorhin war eine Julia Rankin hier und hat eine Aussage gemacht.« 

»Gut,  ich komme kurz bei Ihnen vorbei«, erklärte der G‐man und hängte ein, um weitere Fragen des Polizisten abzuschneiden. 

Auf  der  Polizeistation  erfuhr  er  dann,  daß  die neunundzwanzigjährige  Julia  Rankin  die  Ehefrau  des Vergifteten ebenfalls des Mordes beschuldigt hatte. Miß Rankin, die in der Wood Avenue in Bensenville wohnte, hatte jedoch eine Bemerkung fallen lassen, die Eliot Ness stutzen  ließ.  Und  zwar  stand  da  im Vernehmungsprotokoll: 

»Mrs. Royster muß  gewußt haben, daß  er mit dieser Blonden seit einiger Zeit geht.« 

Eliot fuhr sofort nach Bensenville hinaus, traf aber Miß Rankin nicht an. Ihre Mutter sagte, daß sie in der Austin Avenue  in  der  Stadt  arbeite,  und  zwar  bei  der  Firma Belmont in der Nähe der Fullerton Avenue. 

Julia  Rankin  war  eine  hochgewachsene, gutaussehende  Frau, die  blondes Haar hatte und  große dunkle Augen. Sie hatte die Hände zusammengelegt und blickte den Inspektor unsicher an. 

»Vom FBI sind Sie?« fragte sie mißtrauisch. »Ja,  mein  Name  ist  Ness,  und  das  ist  Inspektor 

Cassedy. Ich habe nur einige Fragen, Miß Rankin.« »Ich habe schon alles bei der Polizei gesagt.« 

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»Davon  bin  ich  nicht  überzeugt«,  entgegnete  Eliot Ness mit der gleichen  Schroffheit, mit der die Frau  ihn abzuweisen suchte. 

»Ach,  was  soll  das  heißen?«  zischte  sie,  und  dabei huschte ein Schatten über ihr Gesicht. 

»Miß  Rankin,  ich  glaube,  daß  Sie  noch  etwas Wesentliches bei Ihrer Aussage vergessen haben.« 

»Und das wäre?« »Daß Sie selbst mit Mr. Royster bekannt waren.« »Ich? Wie kommen Sie denn darauf?« »Ich weiß es.« »Das – das ist – nicht wahr!« »Geben  Sie  sich keine Mühe, Miß Rankin.  Ich wüßte 

nur noch gern, weshalb Sie seine Frau beschuldigen.« »Weil sie es gewesen  ist!« stieß  Julia Rankin plötzlich 

hervor, »weil sie es gewesen sein muß!« »Und  weshalb?«  entgegnete  der  FBI‐Agent  völlig 

ruhig. »Weil  ich weiß, daß sie von der blonden Frau wissen 

muß, mit der er seit einiger Zeit zu tun hatte.« »Und wer ist die blonde Frau?« »Keine Ahnung. Aber  ich habe  ihn mehrmals mit  ihr 

gesehen.« »Wie sah sie aus?« »Wie  eben  solche  Puppen  aussehen:  mit  einer 

hübschen Larve und ganz gut gekleidet natürlich. Arme suchte er sich ja nie aus, der Gauner!« 

Aha,  es  war  also  der  Haß,  der  aus  ihr  sprach. Trotzdem mußte der Inspektor weiterforschen. 

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»Ich muß wissen, weshalb Sie die Frau beschuldigen.« »Weil sie eine dumme – weil sie –« »Hat  Mrs.  Royster  Sie  einmal  mit  ihrem  Mann 

gesehen?« Plötzlich  fiel  alle  Härte  von  ihr  ab.  Sie  nickte  und 

brach in Tränen aus. Eliot  versuchte,  noch  etwas  über  die  mysteriöse 

Blonde  zu  erfahren, mit  der  Royster  angeblich  zu  tun gehabt  haben  sollte,  aber  die  Frau  wußte  auch  nichts Näheres.  Wenige  Minuten  nach  vier  war  er  in  der  Franklin Avenue,  wo  er  die  Firma  aufsuchte,  in  der  Royster gearbeitet hatte. Er fand sowohl bei den Vorgesetzten als auch  bei  den Mitarbeitern  des  Vergifteten  nur  ratloses Kopfschütteln. Niemand  begriff, was  sich da  abgespielt hatte;  und  niemand  brachte  ein  schlechtes Wort  gegen den Toten über die Lippen. 

Als Eliot Ness kurz vor fünf das Gebäude verließ, sah er  Cassedy  schon  mit  gerunzelten  Brauen  im  Wagen sitzen.  Er  nickte  ihm  zu,  deutete  ihm  an,  daß  er  sofort käme, und ging dann noch  einmal  auf die Pförtnerloge zu. 

Der  Mann  mit  den  dicken  Backentaschen  und  den grauen  Koteletten  schob  seine  Brille  etwas  höher  und richtete  sich  sofort  auf,  als  der  Mann  vom  FBI  noch einmal auf seine Loge zukam. 

»Sagen Sie, Mister«, forschte der Inspektor, »haben Sie Mr. Royster nie mit einer Frau gesehen?« 

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»Meinen  Sie  jetzt:  mit  seiner  Frau?  Die  habe  ich nämlich ein paarmal hier gesehen.« 

»Nein, ich meine mit einer anderen Frau.« Da kratzte sich der Alte im Genick und meinte: »Ja,  ich weiß nicht, ob das  sehr  fein  ist,  einem Toten 

jetzt so etwas nachzusagen.« »Sie müssen alles sagen, was Sie wissen, Mister.« »Mein Name ist Brown.« »Also, Mr. Brown?« »Ja,  also  –«  Es  fiel  dem Mann  sichtlich  schwer,  das, 

was  er  jetzt  zu  sagen  hatte,  herauszubringen.  »Da war mehrmals dieser Mercedes hier.« 

»Ein Mercedes?« »Ja, ein blauer Mercedes. Sie müssen nämlich wissen, 

daß  ich  ein  großer Autofan  bin.  Ich  kenne  jede Marke, sagen wir, jede bekannte Marke. Und ein Mercedes ist ja nun etwas Seltenes hier bei uns.« 

»Und was ist mit dem Mercedes gewesen?« »Er war blau. Ein wunderbares Car, sage ich Ihnen. So 

etwas habe ich wirklich noch nie gesehen. Er hielt immer ein  Stück  hier  die  Straße  hinauf; weil  ich  ihn mir mal näher  ansehen  wollte,  ließ  ich  mich  von Webster,  der unten  im  Lager  arbeitet,  einmal  ablösen,  ging  an  dem Wagen  vorbei  –  tja,  also,  ich muß  sagen,  die  Frau,  die darin saß, paßte zu dem Fahrzeug.« 

»Eine Frau?« »Ja.« »Können Sie sich an ihre Haarfarbe erinnern?« »Nein.« 

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»Hübsch?« »Hübsch und – ja, sie war elegant, das muß man auch 

sagen.« »Die Autonummer wissen Sie nicht zufällig?« »Nein,  für die Nummern  interessiere  ich mich  nicht. 

Ich bin schließlich kein Polizist – oh, entschuldigen Sie!« »Macht nichts«, winkte Eliot ab und sprach dann noch 

ein paar Minuten mit ihm. Aber es war nichts weiter aus dem Pförtner herauszubringen. Sein Interesse hatte wohl doch nur dem Wagen gegolten.  

*  Aus  dem  Kaffee  wurde  nichts,  sie  fuhren  zum Verkehrsamt,  und  nach  kürzester  Zeit  wurde herausgefunden, daß es einunddreißig Mercedes‐Wagen in  Chicago  gab.  Das  war  selbst  für  Eliot  Ness  eine Überraschung,  denn  dieses  deutsche  Fabrikat  war  ja damals noch eine große Seltenheit in der Stadt, nicht nur, weil es  teuer war. Einunddreißig Menschen  fuhren also einen Mercedes Benz  in Chicago! Das hieß, da die Farbe der  Fahrzeuge  nicht  registriert  war,  einunddreißig Recherchengänge. 

Eliot Ness  ließ Inspektor Lock im Amt und nahm alle anderen  verfügbaren  Inspektoren  und  die  G‐men  zur Seite und  schickte  sie  los. Er  selbst hatte  sich  auch vier Adressen mitgenommen. 

Der erste Wagen gehörte einem Mann, der ein großes Kaufhaus  in der Central Avenue hatte. Eliot  sah  sofort, 

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daß der Wagen schwarz war,  fuhr hinüber zum Schiller Park und  fand  in der Soring Avenue ein wohlhabendes Ehepaar,  das  ebenfalls  einen Mercedes  hatte.  Die  Frau war  schrecklich  wortreich  und  hielt  ihn  eine  unnötige Viertelstunde  auf,  ehe  er  endlich  die  Fahrzeugfarbe erfahren konnte. Der Wagen war weiß. 

Der  nächste  Mercedes  gehörte  einem  Fabrikbesitzer aus  dem  Stadtteil  Elmhurst.  Er wohnte  in  der  Church Road und – sein Wagen war schwarz. 

Eliot  Ness  fuhr  hinaus  nach  Elk  Grove  zu  seiner vierten Adresse. Da wohnte in der Cosman Road unweit vom  großen  Park  ein  ganz  sicher  sehr  wohlhabender Mann  namens  Bedford.  Eliot  hatte  kaum  den  großen, phantastisch angelegten Park betreten, als er drüben ein offenes  überbreites Garagentor  sah,  unter  dem  er  zwei Fahrzeuge  entdeckte.  Einen  feuerroten  italienischen Sportwagen  und  die  unverkennbare  Kühlerfront  eines schweren blauschimmernden Mercedes‐Wagens. 

Er kam mit dem Chauffeur, der den Mercedes gerade polierte,  ins  Gespräch  und  erfuhr,  daß  der  Hausherr nicht zu sprechen wäre. 

»Und weshalb nicht?« »Seit  das  Furchtbare  geschehen  ist,  ist  er  selbst 

todelend. Sie müssen das verstehen.« »Was ist denn geschehen?« »Na,  seine  Tochter!  Sie  ist  doch  vor  ein  paar  Tagen 

gestorben.« »Wann?« »Vorgestern, in der Samstagnacht.« 

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»Wie ist denn das passiert?« »Das weiß ja eben niemand. Das ist es ja. Sie kam nach 

Hause, bekam Krämpfe und nach ein paar Stunden war sie tot.« 

»Krämpfe?« »Ja, Magenkrämpfe.« »Aber daran stirbt doch so schnell kein Mensch.« »Wenn er vergiftet worden ist, schon.« »Vergiftet worden? Was soll das heißen?« Da  blickte  der  Chauffeur  auf  und  forschte 

argwöhnisch: »Sind Sie etwa von der Polizei?« Eliot zog seinen Ausweis. »FBI?«  stotterte  der  Chauffeur  und  nahm 

unwillkürlich seine graue Fahrermütze ab. »Es  tut mir  leid, was  ich da eben gesagt habe. Das  ist 

natürlich bestimmt Blödsinn.« »Vielleicht ist es kein Blödsinn, Mister –« »Mein Name ist Rander.« »Wie kommen Sie darauf, daß Miß Bedford vergiftet 

worden sein könnte?« »Ich weiß es nicht; sie war aus an dem Abend – in der 

Stadt.« »Wo war sie?« »Das weiß  ja  eben  niemand. Mr.  Bedford  hat  schon 

alles versucht, aber niemand weiß, wo sie war.« Als Eliot zehn Minuten  später vor dem grauhaarigen 

Vater der Toten  stand,  erfuhr  er nicht  viel mehr,  als  er schon von dessen Chauffeur erfahren hatte. 

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»Und nun, Inspektor, möchte ich Sie bitten, mich nicht weiter  zu  behelligen.  Ich  bin  vollkommen  erledigt.  Ich habe einen Nervenschock erlitten. Meine Frau mußte  in eine Klinik gebracht werden. Wir sind am Ende.« 

»Es tut mir leid, daß ich Sie gestört habe, Mr. Bedford. Aber  Sie  werden  verstehen,  daß  wir  den  Dingen nachgehen müssen.« 

Die  tote  Angela  Bedford  war  noch  nicht  beerdigt worden. Sie  lag, wie auch der Leichnam Gary Roysters, im Leichenschauhaus, und der  Inhalt  ihres Magens war schon mehrfach untersucht worden. Er hatte das gleiche Ergebnis zutage gefördert wie bei Royster. Beide waren durch  dieselbe,  nicht  in  allen  Einzelheiten  bekannte Giftzusammensetzung  ums  Leben  gekommen. »Wahrscheinlich  eine  Vergiftung  durch  Lebensmittel«, meinte der Chefchemiker des FBI, der alles noch einmal überprüft  hatte,  nachdem  Eliot  Ness  ihn  aufgesucht hatte. 

Kurz nach  sechs  tauchte der G‐man noch  einmal bei dem  alten  Pförtner  auf,  in  dessen  Firma  Gary  Royster gearbeitet  hatte.  Er  hielt  ihm  das  Foto  der  Angelika Bedford hin. 

»Haben Sie diese Frau schon einmal gesehen?« »Ja,  das  ist  sie!«  kam  es  sofort  über  die  Lippen  des 

Mannes, »genau das ist sie…« Eine Spur war entdeckt worden. Als  Ness  kurz  vor  sieben  noch  einmal  bei  Bedford 

vorsprach, meinte der: »Das Ärgste ist, daß ihr sogenannter Freund sich nicht 

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einmal gemeldet hat.« »Wer ist ihr Freund?« Bedford winkte ab. »Verheirateter Mann«,  knurrte  er.  »Ich will  auch  gar 

nichts mit  ihm  zu  tun  haben. Nur  –  Liebe  kann  das  ja kaum gewesen sein.« 

»Kennen Sie seinen Namen?« Bedford schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.« »Haben Sie ihn denn einmal gesehen?« Bedford zog die Schultern hoch. »Na  ja.« Und dann gestand  er, daß  er  seiner Tochter 

einmal nachgefahren war. »Also kennen Sie ihn?« »Natürlich.  Ich habe  ihn vom Chauffeur bis zu seiner 

Haustür verfolgen  lassen. Er heißt Gary Royster und  ist verheiratet.  Ich will  es  ihr nicht übelnehmen.  Jeder  soll sich sein Leben so einrichten, wie er will. Sie ist gestorben und hat kaum etwas von  ihrem Leben gehabt. Genauer gesagt: eigentlich gar nichts. Denn den Mann kannte sie ja noch nicht lange. Ich finde es nur abscheulich von ihm, daß er sich nicht wenigstens einmal meldet.« 

Da nahm der G‐man ein Foto des Toten aus der Tasche und hielt es dem Millionär hin. 

»Kennen Sie diesen Mann?« »Aber das ist er ja. Das ist… Was ist denn mit ihm, wie 

liegt er denn da?« »Es  ist ein Foto aus dem Leichenschauhaus von Burr 

Ridge, Mr. Bedford.« 

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»Was soll das heißen?« »Sie haben keinen Grund, sich über Mr. Royster noch 

zu ärgern. Er konnte sich nicht mehr nach  Ihrer Tochter erkundigen, denn auch er ist tot.« 

»Tot –«, stammelte Bedford erbleichend. »Ja, vergiftet, wie Ihre Tochter Angela.« 

 Also  hatte  Gary  Royster  doch  eine  Freundin  gehabt! Hatte Mary Royster es gewußt? 

Hatten Angela Bedford und Gary Royster  sich  selbst vergiftet, oder waren sie vergiftet worden? 

Fragen  über  Fragen.  Während  die  Frau  des  Toten pausenlose strapaziöse Verhöre über sich ergehen lassen mußte,  ging  der  Norweger,  der  jetzt  wußte,  daß  ihr Mann  also  doch  eine  Freundin  hatte,  den  Spuren  des Gary Royster nach. 

Vor Einbruch der Dunkelheit  traf  er noch  einmal bei den  Bedfords  ein,  besichtigte  das  Zimmer  des  toten Mädchens  und  blickte  nachdenklich  auf  den Tennisschläger, der neben ihrem Bett an der Wand hing. 

»Sie war  im Race Club«,  erklärte Bedford mit müder Stimme. 

Im  Race  Club  war  niemand.  Heute  wurde  nicht gespielt. Dafür aber  fand der  Inspektor auf  einem Platz neben  dem  Club  zwei  Jungen,  die  mit  schäbigen Tennisschlägern ein Spiel zu machen versuchten. 

»Gehört ihr zum Club?« »Ja,  wir  sind  bei  den  Junioren.  Aber  heute  ist 

geschlossen, Mister,  heute  können  Sie  nicht  rein.  Einen 

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Tag in der Woche wollen sich die Rasenkratzer ausruhen; dabei tun sie ohnehin nicht viel, stecken nur Trinkgelder ein.« 

»Kennt einer von euch eine Miß Bedford?« Einer  der  beiden,  ein  rothaariger,  sommersprossiger 

Bursche, fuhr sich durch seinen kurzgeschorenen Schopf und meinte: 

»Natürlich.  Angela  Bedford  war  eine  gute Tennisspielerin. Was ist mir ihr?« 

»Sie ist tot.« »Tot?« »Ja. Ich wüßte gern, ob einer von euch sie am Samstag 

gesehen hat.« Der Rothaarige schüttelte den Kopf. »Aber  –  ich  hätte  da  vielleicht  einen  Tip  für  Sie, 

Inspektor. Sie sollten mal mit Donald Bell sprechen. Der war doch so scharf auf sie.« 

Donald Bell wohnte im Stadtteil North Lake, und zwar in  der  Hayes  Street.  Er  war  ein  geschniegelter  junger Mann, der den Inspektor sofort freundlich begrüßte. 

Als  er  hörte,  um  was  es  sich  handelte,  erschrak  er sichtlich  und  erklärte,  Angela  sei  ein  »süßes  Girl« gewesen  und  hätte  ihm  wirklich  sehr  gut  gefallen.  Er konnte gar nicht begreifen, daß sie tot sein sollte. 

»Übrigens«,  erklärte  er  dann,  »ich  habe  sie  am Samstag ganz zufällig gesehen, das heißt, genauer gesagt, nicht sie, sondern ihren Wagen.« 

»Wo war das?« »In Des  Plaines,  in  der  Forest Avenue.  Er  stand  vor 

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einem  der  letzten  Häuser,  da,  wo  die  Straße  nicht weitergeht. Es ist eine feine Ecke da drüben. Da paßte sie hin.« 

»Wissen Sie genau, daß es ihr Wagen war?« »Natürlich.  Erstens  würde  ich  den  Mercedes  auf 

dreihundert  Schritt  erkennen,  und  zweitens war  es  die Nummer.« 

Cassedy  war  in  den  Beifahrersitz  förmlich hineingesunken, als Eliot auf die Straße zurückkam. 

»Wenn wir  jetzt nicht bald  irgendwo etwas zwischen unsere  Zähne  schieben  können,  dann  starte  ich  einen Überfall auf eine Würstchen‐Bude.« 

Sie nahmen an einem Kiosk eine Frankfurter Wurst (in Amerika Hot Dog  – Heißer Hund  genannt),  und  dann ging’s weiter.  Des Plaines war ein Stadtteil, der zu dieser Zeit sicher zu den  besten  Gegenden  Chicagos  überhaupt  gehörte. Während Eliot Ness den rechten Teil der Forest Avenue nahm,  suchte Cassedy die Leute auf, die auf der  linken Straßenseite  wohnten.  Es  waren  eigentlich  nur  fünf Häuser.  Eliot  sprach  mit  jedem  der  Hauseigentümer selbst, doch keiner kannte Angela Bedford. 

Als er mit Cassedy wieder zusammentraf, schüttelte er den Kopf. 

»Merkwürdig«, meinte der Chef‐Inspektor, »das paßt gar nicht zu ihr, daß sie ihren Wagen hier abgestellt hat, um irgendwo anders hinzugehen. Sie hatte das doch gar nicht nötig.« 

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»Immerhin  war  der  Mann,  der  bei  ihr  war, verheiratet.« 

»Was hat das mit dem Abstellen des Wagens zu tun?« »Tja, das ist es natürlich…« Von  der  nächsten  Telefonzelle  aus  rief  Ness  im 

Dienstgebäude an. Joseph Lock berichtete ihm, es sei festgestellt worden, 

daß  in  der  Sonntagnacht  noch  eine  Frau  an  einer Vergiftung  gestorben wäre,  eine  gewisse  Sarah  Bilman, eine  junge  Dame  aus  Hill  Side.  Aber  es  schien  keine Verbindung  von  ihr  zu  Gary  Royster  zu  geben,  auch nicht  zu  Angela  Bedford.  Jedenfalls  war  keine  zu entdecken. 

Eliot ließ sich die Totenliste der vergangenen drei Tage vorlesen. 

Unter  den  zweihundert  (!)  Toten  dieses  kurzen Zeitraumes  waren  insgesamt  sieben  Vergiftete.  Einmal diese  Sarah  Bilman,  dann  eine  Milly  Heeley,  ein  Dr. Louis Gord, ein Billy Celler, eine Ireen Roon, eine Peggy Thetcher und ein Richard Leester. 

»Leester«, murmelte der Inspektor vor sich hin. Dann wandte er den Wagen, fuhr in die Forest Avenue zurück und läutete noch einmal am vorletzten Haus, das er erst vor einer Viertelstunde verlassen hatte. 

Der grauhaarige Butler öffnete ihm wieder und blickte ihn ungnädig an. 

»Was gibt’s?« erkundigte er sich unfreundlich. »Ich muß noch einmal mit Mr. Leester sprechen.« »Er hat das Haus verlassen.« 

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»Geben  Sie  sich  keine Mühe«,  sagte  Eliot  und  schob ihn  zur  Seite.  Oben  auf  der  mit  einem  roten  Läufer belegten weißen Marmortreppe stand der Mann, der ihn vorhin abgewiesen hatte. 

»Was wollen Sie noch?« »Mr. Leester, Sie haben mich belogen.« , Der Hausherr maß höchstens einsfünfzig, war elegant 

gekleidet  in  einen  grauen,  leichten  Sommeranzug,  trug einen gelben Schal unter dem beigefarbenen Hemd und hatte  ein  bläßliches,  von  Falten  zerschnittenes  Gesicht. Sein  schütteres  Haar  klebte  an  seinem  hohen  Schädel, und die Ohren waren weiß und lang. 

»Was  fällt  Ihnen  ein,  Inspektor!«  rief  er  mit  seiner hohen Stimme und kam dann mit hastigen, podagrischen Schritten  die  Treppe  herunter,  um  allerdings  auf  der dritten Stufe  stehenzubleiben, denn wenn er noch  tiefer ging, war er schon sehr viel kleiner als der Inspektor, der jetzt unten vor der Treppe stand. 

»Was  soll das,  Inspektor? Was  erlauben Sie  sich?  Ich werde mich bei  Ihrer vorgesetzten Dienststelle über  Sie beschweren.« 

»Tun  Sie  das, Mr.  Leester.  Inzwischen  überlegen  Sie sich, was Sie mir jetzt erzählen wollen.« 

»Was nehmen Sie sich heraus!« »Sie haben mir gesagt, daß Sie Angela Bedford nicht 

kennen.« »Das stimmt auch.« 

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»Sie haben mir aber nicht gesagt, daß Ihr Sohn Richard in  der  Nacht  vom  Samstag  auf  den  Sonntag  an  einer Vergiftung gestorben ist, Mr. Leester« 

Eine  jähe kalkige Blässe bedeckte Leesters Gesicht. Er starrte  aus  grauen,  glasigen  Augen  in  das  Gesicht  des Inspektors und kam dann  langsam die Treppe herunter, um  sich unten  in  einen der  schweren Klubsessel  in der Halle niederzulassen. 

»James, bringen Sie uns einen Brandy.« Der  FBI‐Agent  trank  nicht. Leester  kippte den Drink 

allein,  spannte  dann  beide Hände  um  die  Flasche  und sagte, ohne den Kopf zu heben: 

»Ja,  er  ist  tot.  Es  tut  mir  leid,  daß  ich  Sie  vorhin angelogen habe.« 

»Und weshalb haben Sie es getan?« »Weil  ich nicht wollte, daß die Bedfords etwas davon 

erfahren.« »Ich  hatte  Sie  nur  gefragt,  ob  Sie  Angela  Bedford 

kennen, Mr.  Leester,  und  da  haben  Sie  erklärt,  daß  Sie den Namen nie gehört hätten.« 

»Natürlich habe  ich das. Habe  ich nicht  selbst Elend genug? Mein Sohn ist tot. Er hat sich umgebracht.« 

»Wie  kommen  Sie  darauf,  daß  er  sich  umgebracht haben soll?« 

»Ich weiß es nicht. Aber – er ist tot.« »Und wo ist er?« »Morgen wird er beerdigt.« »Er wird nicht beerdigt, Mr. Leester.« »Weshalb nicht?« Der Mann warf den Kopf hoch und 

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blickte den FBI‐Mann erschrocken an. »Weil seine Leiche untersucht werden wird.« »Von wem?« »Von uns.« »Und weshalb?« »Weil die Todesursache geklärt werden muß.« »Aber  –  das  ist  doch  alles  ganz  klar.  Er  hat  sich 

vergiftet.  Glauben  Sie,  daß  es  da  noch  etwas rumzurätseln gibt?« 

»Ja, das glaube ich.« »Und warum?« »Weil  auch  Angela  Bedford  in  der  Samstagnacht 

gestorben ist.« »Was?«  Leester  schnellte  hoch,  seine  Unterlippe 

zitterte. »Das ist nicht wahr!« »Es ist wahr.« »Also – dann hat sie doch etwas mit ihm gehabt?« »Darum  geht  es  im  Augenblick  nicht,  Mr.  Leester, 

sondern  es  geht  darum,  daß  Angela  Bedford  am Samstagabend bei Ihnen gewesen ist.« 

»Ja.« »Und zwar in Begleitung eines Mannes.« »Stimmt. Sie hatte diesen – wie hieß er doch noch?« »Gary Royster war bei ihr.« »Richtig, Gary Royster. Er war schon einmal hier. Ein 

unangenehmer  Bursche.  Ich  hätte  ihn  niemals eingeladen.  Ich  kann Ric da  nicht  verstehen, was  er  an dem Kerl fand.« 

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»Gary  Royster  ist  ebenfalls  tot,  Mr.  Leester«,  sagte Eliot  sehr  langsam  und  beobachtete  dabei  das  Gesicht des  anderen.  »Sagt  Ihnen  das  vielleicht  etwas,  Mr. Leester?« 

Der  kleine  Mann  war  völlig  in  sich zusammengesunken.  Er  saß  in  dem  großen  Ledersessel und hatte den Kopf in die Hände gestützt. 

»Das  ist  ja ganz entsetzlich! Wie kann denn  so etwas passieren?« 

»Ihr  Sohn, Angela  Bedford  und Gary Royster waren zuletzt hier auf der Party.« 

Da warf Leester den Kopf hoch. »Was soll das heißen?« »Das soll heißen, daß der Verdacht naheliegt, daß sie 

alle drei hier durch Lebensmittel vergiftet wurden.« »Das ist doch nicht Ihr Ernst!« keuchte Leester. »Leider doch.« »Aber  Sie  glauben  doch  nicht  vielleicht,  daß  ich  –« 

Leester war aufgesprungen und preßte beide Hände auf seine Brust. 

»Davon  ist  jetzt keine Rede, Mr. Leester.  Ich habe  im Moment nur  festzustellen, was  es hier auf der Party zu essen und zu trinken gab.« 

»Es  gab Whisky  und  –  ja,  was  gab’s  zu  essen?  Da müßte ich meine Köchin fragen.« 

Eliot Ness beauftragte den Butler, die Köchin zu holen. Es war eine Frau in den Vierzigern, mit blassem Gesicht und schwerem Leib. Ihr Name war Sarah Pine. 

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»Mrs.  Pine, würden  Sie mir wohl  sagen, was  es  am Samstag  bei  der  Party  gab,  die  Mr.  Richard  Leester veranstaltet hat?« 

Die Köchin stammelte: »Ja, also, erst gab es Hummercocktail, dann Filetsteak, 

Pommes frites und grünen Salat. Anschließend Karamel‐Pudding.« 

»Sind  die  Speisen  ausschließlich  in  Ihrer  Küche zubereitet worden?« 

»Natürlich.« »Arbeiten Sie allein in der Küche?« »Ja.« 

 Sarah Pines Leben wurde vom FBI in fieberhafter Eile 

durchleuchtet. Ebenso wie das Leben von vier Personen, die  auf  der  Party  waren  und  sie  lebend  überstanden hatten.  Da  war  zunächst  der  siebenunddreißigjährige Rechtsanwalt James Dooley. Er wohnte in Rosemont, war verheiratet und hatte zwei Kinder. Eliot Ness suchte ihn sofort in seiner Praxis auf und sprach mit ihm. 

Dooley machte einen verhältnismäßig guten Eindruck, trug  sich  sportlich und war  offensichtlich  sehr  bemüht, jünger zu erscheinen als er war. Er hatte, wie er erklärte, keinen  Karamelpudding  gegessen.  Als  er  hörte,  was geschehen war, wollte er es nicht glauben. Sein Schreck schien echt zu sein. 

Der zweite Mensch, der die Party überlebt hatte, war eine  junge  Frau  namens  Meta  Lowell.  Sie  war sechsundzwanzig  Jahre  alt  und  die  Tochter  eines 

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wohlhabenden Mannes unten aus Elmwood Park. Auch sie  hatte,  wie  sie  erklärte,  keinen  Karamelpudding gegessen. Ebenso wie Dooley war sie über die drei Toten von der Party entsetzt. 

Der  dritte Überlebende war  ein Mann  namens  Ferry Green. Es war verhältnismäßig  schwer gewesen,  ihn zu finden,  denn  wenn  Eliot  geglaubt  hatte,  auch  in  ihm einen wohlhabenden Mann  zu  finden, dann  sah  er  sich getäuscht. Green war Friseur; er wohnte in Wood Dale in einer kleinen Seitenstraße und blickte verstört drein, als der Polizeioffizier ihn zu sprechen wünschte. Als er dann noch hörte, daß es das FBI war, schrak er zusammen. Er war  ein Mann  von  vierunddreißig  Jahren mit  hagerem Gesicht, gefärbtem blondem Haar, dunklen Brauen und dunklen Augen. Sein Wesen wirkte seltsam süßlich und gekünstelt.  Eliot  Ness  täuschte  sich  nicht,  als  er vermutete,  daß  er  hier  einen Mann  vor  sich  hatte,  der sich  nicht  für  Frauen  interessierte.  Aber  der  Chef‐Inspektor war ein Mensch, der weit davon entfernt war, sich  in  dieser  Hinsicht  Vorurteile  zu  bilden.  Hatte  er doch  auch  genügend Menschen  kennengelernt,  die  die gleiche  Veranlagung  hatten  wie  dieser  Friseur  und deswegen  nicht  schlechter waren  als  andere Menschen. Aber  dieser  Ferry  Green  machte  doch  einen  ziemlich seltsamen Eindruck: Verstört, huschig und unstet gingen seine  Augen;  seine  Bewegungen  waren  fahrig,  und  er erklärte,  nachdem  er  von  dem  dreifachen  Tod,  der  der Party  gefolgt  war,  erfahren  hätte,  daß  er  keinen Hummercocktail zu sich genommen hätte. 

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Der  vierte  Überlebende  der  Todesparty  von  Des Plaines  war  wieder  eine  Frau,  ihr  Name  war  Ginger Astor. Sie wohnte oben  in Buffalo Grove. Als Eliot Ness und  Pinkas  Cassedy  das Anwesen  der Astors  betraten und  sich  nach  einer  Sprechfunk‐Rückfrage  das  große schmiedeeiserne Tor öffnete, meinte Cassedy: 

»Na also, da komme ich doch wenigstens auch mal zu den Astors.« 

Ginger Astor war  nur  entfernt mit  den Milliardären aus New York verwandt; aber was sie mit ihnen gemein hatte, war höchstwahrscheinlich das Geld. In der offenen Garage  sahen  die  beiden  G‐men  ein  halbes  Dutzend eleganter Automobile  stehen;  zwei Männer  in Overalls waren damit beschäftigt, sie auf Hochglanz zu bringen. 

Der Butler war hager, steif und ganz und gar britisch. Als er hörte, wer die beiden Männer waren, führte er sie sofort  in die Halle und bat sie, Platz zu nehmen. Rechts in der Halle führte eine breite Marmortreppe, ähnlich wie bei Leester,  nur  viel  ausladender,  ins Obergeschoß. Ein geschwungener  Messinghandlauf  führte  über kunstgeschmiedeten Geländestäben nach oben. Auf dem dunkelgrünen Läufer  tauchte  jetzt  fast  lautlos eine Frau auf. Bei ihrem Anblick erhoben sich die beiden G‐men. 

Es war eine junge Frau Anfang der Zwanzig mit einem blonden Bubikopf und blauen Augen. Sie war so hübsch, daß Cassedy unwillkürlich schluckte. Ihre wohlgeformte Figur  steckte  in  einem  modischen  Hosenanzug  von dunkelroter  Farbe,  der  ihre  Erscheinung  noch  betonte. Leichtfüßig  trat  sie  auf  den  großen  Chinateppich  und 

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blieb vor den beiden Männern stehen. »Guten  Tag,  ich  bin Ginger Astor.  Sie wollten mich 

sprechen?« Eliot blickte sie forschend an. »Es tut mir leid, Miß Astor, daß wir Sie stören müssen. 

Mein  Name  ist  Ness,  ich  bin  vom  FBI,  und  das  ist Inspektor Cassedy.« 

»Ness?«  sagte  die  Frau,  während  sie  ihre geschwungenen Brauen  etwas  zusammenzog.  »Sind  Sie Eliot Ness?« 

»Ja.« Es war dem FBI‐Agenten absolut nicht angenehm, daß 

er  in  Chicago  bereits  so  populär  war.  Sein  Gegner Matherley  hatte  dafür  gesorgt,  und  zwar,  ohne  es eigentlich zu wollen. 

»Miß  Astor,  es  handelt  sich  um  die  Party  vom vergangenen Samstag –«, absichtlich legte Eliot hier eine Pause  ein,  aber  im  Gesicht  der  Frau  rührte  sich  kein Muskel. 

»Es  gab  auf  der  Party  Hummercocktail,  Filetsteak, Pommes  frites,  grünen  Salat  und  Karamelpudding.  Ich wollte Sie fragen, ob Sie von all diesen Speisen gegessen haben.« 

»Weshalb? War irgend etwas nicht in Ordnung?« »Das eben wird untersucht.« »Warten  Sie  –  ich  habe  von  dem  Hummercocktail 

gegessen, ja, Pommes frites nicht sehr viel. Filetsteak? Ja, ich habe  ein Filetsteak gegessen. Grünen  Salat habe  ich 

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auch gegessen, und natürlich den Karamelpudding.  Ich liebe Pudding, müssen Sie wissen.« 

Sie war hinreißend schön, und Cassedy war begeistert von ihr. 

»Was ist denn nur geschehen«, fragte sie, »daß das FBI wegen eines Party‐Menüs zu mir kommt?« 

»Nur vier der Leute, die die Party besucht haben, Miß Astor, leben noch.« 

Da wich sie einen Schritt zurück, preßte beide Hände vor  ihr  Gesicht  und  blickte  den  Chef‐Inspektor  aus zutiefst erschrockenen Augen an. 

»Wie soll ich das verstehen?« »Nur Sie, Miß Lowell, ein Mr. Green und der Anwalt 

Dooley haben die Party überlebt.« Sie nahm die Hände herunter und legte den Kopf auf 

die Seite. »Aber  ich  begreife  nicht.  Es waren  doch  noch mehr 

Leute da, zum Beispiel Miß Bedford und ihr Freund und –« 

»Sie sind beide tot, ebenso wie Richard Leester selbst.« »Nein«,  stammelte  sie  entgeistert,  »das  kann  doch 

nicht wahr sein.«  

*  Die Auskunft Ginger Astors machte die Kalkulation des FBI  zunichte:  Sie  hatte  von  allem  gegessen.  Demnach konnte  das  Essen  kaum  vergiftet  gewesen  sein.  Oder Ginger Astor irrte sich. 

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Oder sie log. Jeder von ihnen konnte lügen. Vielleicht hatten sie alle 

nichts von dem Karamelpudding gegessen. »Weshalb versteifen wir uns  eigentlich  so  auf diesen 

verdammten  Pudding?«  knurrte  Cassedy,  als  sie  im Labor  des  FBI  waren,  wo  die  Ergebnisse  der Untersuchungen  der  Speisereste  aus  den  Mägen  der Toten vorlagen. 

»Weil eben Pudding eine Speise ist, die am leichtesten zu vergiften wäre.« 

»Weil der Geschmack mit Zucker zugedeckt ist?« »Richtig.« Sie konnten alle vier lügen. Jeder von ihnen konnte der 

Täter  sein.  Demgegenüber  aber  stand  die  Behauptung der Köchin und auch des Butlers, daß keiner von  ihnen Zugang  zur  Küche  hatte  und  daß  auch  niemand  von ihnen in der Küche gesehen worden war.  

Noch einmal nahm sich Eliot Ness die Köchin vor. Ihr Leben war  vollkommen  durchleuchtet worden  und  lag wie  ein aufgeschlagenes Buch vor dem FBI. Es war das Leben einer einfachen Frau, die aus dem kleinen Vorort Pascal am Westrand der Stadt stammte, schon  in  früher Jugend in die Kochlehre geschickt worden war und dann in  fünf  Haushalten  gearbeitet  hatte.  Es  waren  nur ausgezeichnete  Zeugnisse,  die man  ihr  hatte  ausstellen können,  und  seit  sieben  Jahren  arbeitete  sie  für  die Familie Leester. Sie war eine stille Frau, die  ihr Geld für einen  Neffen  sparte,  der  drüben  im Westen  lebte  und 

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hoffte,  eines  Tages  in  Chicago  aufs  College  gehen  zu können. Mrs. Pine war seit neunzehn  Jahren Witwe.  Ihr Mann  war  sehr  früh  bei  einem  Unfall  ums  Leben gekommen. 

Mr. Randolph  Leester  selbst  ließ  sich  niemals  in  der Küche  sehen,  wie  die  Köchin  und  auch  der  Butler erklärten.  Natürlich war  auch  sein  Leben  durchforscht worden, aber auch da gab es nicht einmal einen grauen Punkt, ähnlich verhielt es sich mit dem Butler, der einen untadeligen Leumund hatte.  

*  Es  war  gegen  Abend,  als  Eliot  Ness  in  der Privatwohnung  des  Anwalts  Dooley  in  der  Nähe  der großen Rosemont‐Kreuzung, und zwar  in der Norwood Street, auftauchte. 

Die  Frau  des  Anwalts, Mrs.  Lena  Dooley,  war  eine untersetzte  Frau  Mitte  oder  Ende  der  Dreißig,  mit aufgeschwemmtem  Gesicht,  großporiger  Haut  und großen dunklen Augen, unter denen bereits Tränensäcke lagen.  Sie  hatte  eine  Figur,  die  längst  aus  der  Form geraten  war,  und  schwere  Beine;  ein  Schweißgeruch schlug  dem  Besucher  entgegen,  als  sie  ihm  die  Tür öffnete. Ihr Haar war nicht sonderlich gepflegt, und auch sonst wirkte  sie  bis  auf  ihre  Kleidung  ungepflegt. Das Kleid  war  schwarz  und  elegant  gearbeitet,  und  die Schuhe aus Krokoleder. 

Mrs.  Dooley  führte  den  Polizeioffizier  in  den 

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Wohnraum,  der  nach  dem  Zeitgeschmack  etwas überladen eingerichtet war. Er hatte englische Stilmöbel, dazu  unpassend  moderne  Bilder  an  den Wänden;  auf einem  olivgrünen  Bodenbelag  lagen  blaurote  Teppiche und aus mehreren versteckten Lautsprechern drang eine fürchterlich  aufdringliche  moderne  Musik.  Es  dauerte eine ganze Weile, bis es der Frau einfiel, die Lautsprecher abzustellen. Dann blieb sie vor dem Inspektor stehen. 

»Ja?« »Ich  hätte  mich  gern  einen  Augenblick  mit  Ihnen 

unterhalten, Mrs. Dooley« »Ja  –  was  ist  denn  los?«  erkundigte  sie  sich,  ohne 

jedoch allzu großes Interesse zu bekunden. Sie hatte keine Ahnung von den Wegen ihres Mannes, 

und daß er am Samstagabend auf einer Party war, wußte sie  gar  nicht.  Eliot  hielt  es  im  Moment  nicht  für notwendig,  es  ihr  mitzuteilen.  Er  wollte  sie  nur kennenlernen und einen Blick  in das Heim des Anwalts werfen;  so  etwas  konnte  zuweilen  sehr  aufschlußreich sein. 

Von  den  Bekannten  ihres Mannes  wußte  sie  nichts, und  der  Name  Leester  war  ihr  nicht  einmal  bekannt. Eliot kam  trotzdem nicht zu der Feststellung, daß  er  es hier  mit  einer  bedauernswerten  Ehefrau,  sondern vielmehr mit einer Egoistin zu tun hatte, die nur an sich selbst dachte und die ihre Ehe längst abgeschrieben hatte. Sie hatte zwei Kinder, die beide völlig unerzogen waren, einen  Höllenlärm  veranstalteten,  den  Besucher  nicht einmal grüßten und ständig im Treppenhaus hin und her 

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liefen. Er war froh, als er wieder draußen war. Wenige  Minuten  nach  halb  neun  war  Eliot  Ness 

wieder drüben in Wood Dale in der Hillcrest Avenue. Es war ein dreigeschossiges Haus modernerer Bauweise,  in dem  sich  unten  das  Friseurgeschäft  von  Ferry  Green befand. 

Der G‐man ging  in das unverschlossene Treppenhaus und  vermied  es,  das  Flurlicht  anzuzünden.  Im Obergeschoß  ließ  er  den  scharfen  Strahl  seiner  kleinen Stablampe auf das große Messingschild mit dem Namen Ferdinand Green fallen. 

Hinter den Ornamentglasscheiben brannte Licht. Eliot  drückte  auf  die Glocke.  Es  dauerte  nur wenige 

Sekunden, dann wurde ihm geöffnet. Ferry Green wich vor Schreck einen Schritt zurück, als 

er sah, wer da vor ihm stand. »Sie  schon  wieder,  Inspektor?  Ja,  was  wollen  Sie 

denn?« »Ich  möchte  noch  einmal  mit  Ihnen  sprechen,  Mr. 

Green.« »So? Dann wüßte ich gern, was Sie berechtigt, mich zu 

so später Stunde noch aufzusuchen.« »Es handelt sich um Mord, Mr. Green«, sagte Eliot mit 

rauher Stimme. Der Friseur ging mit wedelnden Hüften vor ihm her in 

sein Wohnzimmer und  ließ das Licht des Kronleuchters verlöschen. 

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Dafür machte er zwei kleine Wandlampen an, die ein magisches  Licht  auf  den  mit  allerlei  Nippessachen vollgestopften Raum warfen. 

Die Luft war mit Parfüm geschwängert; an der Wand hing ein lebensgroßer männlicher Akt. 

Als Green den raschen Blick des Inspektors bemerkte, hüstelte er gekünstelt. 

»Sie sind unverheiratet, Mr. Green?« »Soll das etwa ein Vorwurf sein?« Das  rasche  Gekränktsein  dieses  Mannes  gefiel  ihm 

nicht.  Andererseits  wußte  er  aus  Erfahrung,  daß Menschen wie dieser Ferry Green dazu neigten,  in  jeder Frage bereits eine Kränkung zu erblicken. 

»Natürlich nicht, Mr. Green.  Ich wüßte nur gern, wer Sie zu der Party am Samstag eingeladen hat.« 

»Ric natürlich. Ich meine, Mr. Richard Leester.« »Aha.« »Wieso? Ist daran auch etwas nicht in Ordnung?« Die angehobene Stimme konnte wieder den Vorwurf 

nicht unterdrücken. »Sie sind also mit Mr. Leester befreundet gewesen?« »Ist etwas dabei?« »Dabei nicht«, entgegnete Eliot, setzte seinen Hut auf, 

murmelte eine Entschuldigung und verließ das Haus.  Wenige Minuten nach zehn stand er in dem Park, der zu dem Anwesen der Lowells gehörte. Er hatte  absichtlich nicht geklingelt und ging vom offenen Tor auf das Haus zu, als er plötzlich neben sich  im Gebüsch ein Geräusch 

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hörte.  Er  blieb  stehen,  ging  zurück  und  schritt  um  das Gebüsch herum. 

Wenige Schritte von ihm entfernt stand ein Mann. Die  Hand  des  Inspektors  hatte  sich  um  die 

fünfundvierziger  Colt‐Automatic  gespannt.  »Guten Abend«, sagte er. 

Da wandte sich der Mann um und wollte flüchten. Der FBI‐Agent hatte ihn nach vier Sätzen eingeholt und zerrte ihn  von  einem  Rasenstück  auf  den  Weg,  wo  das Sternenlicht durch eine Baumlichtung fiel. 

Er  hatte  einen  höchstens  sechzehnjährigen  Burschen vor sich, der einen Overall trug und in Turnschuhen war. 

»Wer sind Sie?« »Das gleiche könnte ich Sie fragen.« »FBI«, sagte der Inspektor, während er seinen Ausweis 

hervornahm und die Lampe kurz darauf leuchten ließ. Der Bursche schluckte. »Damned, was soll das bedeuten? Hat sie mir etwa die 

Polente auf den Hals gehetzt?« »Von wem sprechen Sie?« »Von wem schon? Von Meta.« »Sie sind bei Miß Lowell angestellt?« »Angestellt?  Haha,  das  war  ich mal.  Aber  sie  kann 

mich nicht brauchen. Ich bin ihr wahrscheinlich nicht fein genug.« 

»Was soll das heißen?« »Was weiß denn ich? Sie hat mich entlassen.« »Wann?« »Heute morgen.« 

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»Weshalb?« »Keine Ahnung.« »Und was suchen Sie jetzt hier?« »Ich  bin  hergekommen  und  wollte  ihr  ein  paar 

Scheiben einschmeißen, damit Sie es wissen.« »Wem wollen Sie das erzählen, Freund?« »Nennen  Sie mich  nicht  Freund,  Inspektor.  Ich weiß 

genau, daß die Polizei nicht mein Freund ist.« »Kommen  Sie mit«,  sagte Eliot und  zog  ihn mit  sich 

auf den breiten Kiesweg, der zum Haus führte. Meta Lowell war nicht daheim.  Ihr Bruder, ein Mann 

in  den  Vierzigern,  der  offensichtlich  mit  einer schriftlichen Arbeit  beschäftigt  gewesen war,  kam noch mit einem Manuskriptblatt in die Diele. 

»Meta müßte eigentlich jeden Augenblick kommen.« »Ist es möglich, daß unser  junger Freund das gewußt 

hat?« »Ach, Ben. Was suchen Sie denn hier?« meinte Metas 

Bruder. Der Bursche schwieg. »Ich habe gehört, daß meine Schwester  ihn  entlassen 

hat. Er soll ziemlich aufsässig gewesen sein.« »Sind  Sie  auch der Ansicht, daß  er  aufsässig  ist, Mr. 

Lowell?« »Ich weiß nicht.  Ich habe  fast nichts mit  ihm zu  tun. 

Außerdem  leitet meine Schwester hier alles. Sie müssen wissen,  ich  bin  Schriftsteller.  Ich  lebe  nur  in  meiner Arbeit.« 

»Dann möchte ich Sie auch nicht weiter stören.« 

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In  diesem  Augenblick  drang  von  draußen  das Geräusch eines stoppenden Wagens in die Diele. 

Eliot blieb im Türwinkel mit dem Jungen stehen. Es war Meta  Lowell,  die  hereinkam.  Sie warf  einen 

Schlüsselbund  auf  den  Garderobentisch  und  zog  ihren weißen Sommermantel aus.  Im selben Moment hatte sie im Spiegel die beiden im Türwinkel entdeckt. Auch ihren Bruder  sah  sie  in  der  halboffenen  Tür  zu  seinem Arbeitszimmer stehen. 

»Was soll das bedeuten?«  fragte sie, während sie den Inspektor anblickte. 

»Sie  haben  den  jungen  Mann  hier  entlassen,  Miß Lowell?« 

»Ja. Ist etwas dabei?« »Würden  Sie  mir  sagen,  weshalb  Sie  ihn  entlassen 

haben?« »Das will ich Ihnen sogar ganz genau sagen«, erklärte 

sie, während sie mit federnden Schritten näher kam. »Er ist aufdringlich und – er stellt mir nach.« 

»Das ist nicht wahr!« empörte sich der Bursche. »Sei  still!«  fuhr  sie  ihn  an.  »Wie  oft  habe  ich 

beobachtet, daß du mir nachgeschlichen bist, sowohl hier im Park als auch im Haus, und sogar schon unterwegs in der  Stadt.  Ich habe  ihn beobachtet, wie  er mit unserem Ford hinter mir herfuhr.« 

Der Bursche schwieg jetzt. »Ich habe ihn vorhin hier im Park aufgegriffen«, sagte 

der Polizeioffizier. »Er erklärte mir, daß er Ihnen ein paar Scheiben  einwerfen wollte. Was mir weniger  gefällt,  ist 

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die Tatsache, daß er ein Stilett in der Tasche hat.« Ben war  so  erschrocken, daß  er  sich nicht  zu  rühren 

vermochte. Woher wußte der G‐man, daß er ein Stilett in der  Tasche  hatte?  Konnte  der  einem  etwa  durch  die Kleidung sehen? 

Meta Lowell blickte den Jungen aus ärgerlichen Augen an. 

»Wenn  du  nicht  sofort  zusiehst,  daß  du verschwindest, werde ich dich anzeigen.« 

Eliot,  der  die  Personalien  des  Jungen  aufgenommen hatte,  forderte  ihn auf,  in der Diele zu warten, während er mit Meta Lowell in den Salon ging. 

»Sie  sind doch nicht wegen des  Jungen gekommen?« forschte die Frau, während sie ihn aus fragenden Augen anblickte. 

»Nein,  ich  wollte  Sie  noch  einmal  wegen  der  Party befragen, Miß Lowell.« 

»Bestehen da noch Unklarheiten?« »Ja, und zwar eine ganze Menge. Irgend  jemand muß 

Zutritt zur Küche gehabt haben.« »Aber da war doch die Köchin.« »Natürlich. Aber sie hat das Haus nicht verlassen, und 

zwar seit Tagen nicht. Die Lebensmittel wurden  ihr von den Firmen ins Haus gebracht. Ich habe sowohl von den Zutaten  des  Hummercocktails  wie  von  dem Karamelpudding  und  den  anderen  Speisen  Proben untersuchen lassen. Die Sachen waren alle einwandfrei.« 

»Vielleicht  hat  die  Köchin  da  irgend  etwas unternommen.« 

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»Miß  Lowell,  ich  möchte  Ihnen  eine  Frage  stellen: Überlegen Sie genau, ob Sie am Samstagabend vor oder während  der  Party  irgend  jemanden  beobachtet  haben, der  sich vielleicht  in der Nähe des Hauses aufhielt und der nicht zu den Partygästen gehörte; oder der vielleicht doch  zu  den  Partygästen  gehörte,  und  den  Sie  in  der Nähe der Küche gesehen haben, sei es  im Haus oder sei es draußen im Garten vor der zweiten Küchentür.« 

Die  Frau  blickte  ihn  schweigend  an  und  rührte  sich nicht. 

Eliot spürte, daß es hier etwas gab, das vielleicht nicht uninteressant  war.  Sekundenlang  war  es  still.  Als  die Stille  schon  drückend  wurde,  öffnete  die  Frau  die Lippen, und zwar in einer Weise, die typisch für sie war. Meta Lowell war ein sportlicher, schlanker Typ, sehr gut aussehend,  vielleicht  ein  wenig  zu  streng,  aber  doch interessant genug, um  einen Mann wie Richard Leester zu  verlassen,  sie  zu  dem  Kreis  seiner  Partygäste  zu bitten. 

»Ja«,  sagte  sie  jetzt  mit  leiser  Stimme,  »ich  habe jemanden gesehen.« 

Stille. Nur das harte Schlagen des Perpendikels der antiken 

Wanduhr zerschnitt die Zeit. »Eine Frau?« Meta Lowell nickte. »Wo?« »Draußen.« »Also im Garten?« 

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»Ja.  Ich  habe  sie  an  der  Hausecke  gesehen, wo  der große Jasminstrauch steht.« 

»Das  wäre  also  ziemlich  nah  an  der  Küchentür gewesen.« 

»Ja, sehr nah sogar.« »Können Sie sie beschreiben?« »Das ist ziemlich schwer –« »Wie alt war sie?« »Auch das ist nicht leicht zu sagen.« »Eine jüngere oder eine ältere Frau?« »Ich würde sagen: eine  jüngere Frau, vielleicht an die 

Vierzig.« »Wie sah sie aus?« »Sie trug einen dunklen dünnen Mantel und – tja,  ihr 

Haar war nicht sonderlich ordentlich.« Da griff Eliot Ness  in die Tasche und nahm das Foto 

heraus,  das  Joseph  Lock  mit  der  deutschen Spezialkamera  heimlich  von  der  Frau  des  Anwalts Dooley aufgenommen hatte, und hielt es ihr hin. 

»Ist sie das?« Verblüfft  starrte  Meta  Lowell  auf  das  Foto.  Dann 

nickte sie. »Ja, das ist sie!« 

 * 

 Als  Eliot  Ness  vor  dem  Haus  in  der  Norwood  Street stand, sah er nur noch im Obergeschoß Licht brennen. Er drückte  auf  die  Klingel  und  wartete.  Es  dauerte  eine 

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ganze Weile,  bis  unten  in  der  Tür  ein  kleines  Fenster geöffnet wurde. 

Lena Dooley sah den Polizeioffizier befremdet an. »Mr. Ness? So spät?« »Ich bedaure, daß ich Sie stören muß, Mrs. Dooley. Ich 

muß noch einen kurzen Augenblick mit Ihnen sprechen.« »Jetzt um diese Zeit?« »Es läßt sich leider nicht ändern.« Sie öffnete und  ließ  ihn eintreten. Sie war keineswegs 

in  einem  Morgenmantel  oder  vielleicht  in  einem Nachtgewand,  sondern  sie  war  noch  vollkommen angekleidet. 

»Mrs. Dooley, würden Sie mir wohl sagen, wo Sie am Samstagabend gegen neun Uhr gewesen sind?« 

Die Frau blickte ihn erschrocken an. »Natürlich hier daheim, wo sonst?« »Ja, wo sonst. Eben das wüßte ich gern, Mrs. Dooley.« »Aber  ich  habe  es  Ihnen  ja  gesagt:  ich war  hier  zu 

Hause.« »Sind Sie dessen sicher?« »Ganz sicher.« Sie versuchte ein dünnes Lächeln und 

fuhr  sich  dann  mit  einer  fahrigen  Geste  durch  ihr ungepflegtes Haar.  »Ich  kann  doch meine Kinder  nicht allein lassen. Glauben Sie, ich laufe nachts allein draußen herum?« 

»Mrs.  Dooley,  wissen  Sie  genau,  daß  Sie  um  die angegebene Zeit nicht drüben in Des Plaines in der Forest Avenue gewesen sind?« 

»Forest Avenue? Die kenne ich gar nicht.« 

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»Und  Sie  kennen  auch  nicht  das  Haus  von  Mr. Leester? Sind Sie nicht zufällig  Ihrem Mann gefolgt, der da eingeladen war?« 

»Nein,  ich  habe  keine  Ahnung,  wo  mein  Mann eingeladen war.  Ich  glaube,  er  hatte  eine  Besprechung mit einem Klienten unten in River Grove.« 

Der  G‐man  blickte  die  Frau  forschend  an  und schüttelte dann den Kopf. 

»Ich bedaure, Mrs. Dooley, daß Sie  es mir  so  schwer machen.« 

»Was  soll  denn  das  heißen?«  versuchte  es  die  Frau jetzt  mit  Entrüstung,  während  sie  sich  wieder  nervös durchs Haar fuhr und einen Schritt rückwärts machte. 

»Sie  sind  am  Samstagabend  in  der  Forest  Avenue gewesen, Mrs. Dooley.« 

»Das ist eine Verleumdung!« »Sie brauchen nicht zu  schreien. Das macht auf mich 

nicht den geringsten Eindruck.« »Wie wollen  Sie denn beweisen, daß  ich  in der Villa 

gewesen bin?« »Ich  habe  ja  nicht  behauptet,  daß  Sie  in  der  Villa 

gewesen sind, sondern auf dem Anwesen, und zwar  im Garten. Sie sind nämlich gesehen worden.« 

»Das ist ein Bluff!« Eliot setzte seinen Hut auf und erklärte: »In Anbetracht der Möglichkeit, daß Sie vielleicht nur 

Ihrem Mann gefolgt sind, um  festzustellen, wohin seine Wege  führen, bringen Sie sich selbst  in Ungemach, Mrs. 

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Dooley. Auf der Party, die Ihr Mann da aufgesucht hatte, sind drei Menschen ums Leben gekommen.« 

»Waas  –?«  Sie  starrte  ihn  aus  weit  aufgerissenen Augen  an.  Wieder  schlug  ihm  ihr  unangenehmer Körpergeruch  entgegen,  als  sie  jetzt  die Arme  hochriß. Wie  konnte  ein  Mann  diese  ungepflegte  Frau  noch lieben?  Ein  Mann  wie  dieser  junge  James  Dooley beispielsweise. Eliot, der Tag für Tag immer wieder neue Menschen  kennenlernte,  fragte  sich  oft  verwundert, wieso Frauen nicht selbst auf den Gedanken kamen, den Grund bei sich selbst zu suchen, der ihre Männer aus den Häusern  trieb.  Aber  das  waren  Dinge,  die  hier  keine Rolle spielten. 

»Würden Sie sich  jetzt zu einer Erklärung bequemen, Mrs. Dooley?« 

Die Frau, die  er nur  für  schlampig und  selbstsüchtig gehalten  hatte,  bewies  jetzt  mit  ihrer  raschen,  scharf hervorgebrachten Antwort, daß sie doch sehr viel härter war, als er vermutet hatte. 

»Sie  drücken  es  geschickt  aus:  Erklärung,  um  mich unsicher zu machen. Aber statt einer Erklärung erwarten Sie natürlich  ein Geständnis von mir. Aber da  irren Sie sich, Inspektor Ness. Ich habe damit nichts zu tun.« 

»Von  einem  Geständnis  habe  ich  nicht  gesprochen, und  ich  habe  auch  keines  gemeint.  Ich  erwartete  eine Erklärung, Mrs. Dooley. Da Sie nicht gewillt sind, sie mir zu geben, muß ich Sie bitten, mich zu begleiten.« 

»Zu begleiten? Wohin?« »Ins Untersuchungsgefängnis.« 

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»Das  ist  doch  ungeheuerlich,  unmöglich  ist  das!  Ich habe zwei Kinder im Haus.« 

»Für die Kinder wird gesorgt. Ich werde eine unserer Beamtinnen herschicken.« 

»Das werde ich auf keinen Fall dulden.« »Mrs. Dooley, ich erkläre Ihnen hiermit, daß ich Sie im 

Namen des Gesetzes verhaften muß.« Leichenblässe  überzog  das  Gesicht  der  Frau.  Sie 

zuckte  zusammen  wie  unter  einem  Nervenstoß, schüttelte den Kopf und stammelte: 

»O Gott, o Gott…« Aber zu einer Erklärung fand sie sich nicht bereit. 

 Eliot brachte sie zum Oakwood Cemetery und unterzog sie  da  einem  einstündigen  Verhör,  an  dem  Pinkas Cassedy,  Joseph  Lock,  Daniel  O’Connor  und  Teodore O’Keefe teilnahmen. 

Lena  Dooley  war  aus  härterem  Holz  geschnitzt,  als man  es  ihrem weichlichen,  aufgeschwemmten Äußeren hätte  ansehen  können. Unter  dieser Hülle  verbarg  sich der zählederne Charakter eines Weibes, das ebenso viel List wie  Selbstsucht, Hysterie und Kaltblütigkeit  besaß. Ihre  Antworten  bewiesen  es.  Beharrlich  versuchte  sie, den Fragen der G‐men mit Raffinesse auszuweichen und auf  ihrer  Behauptung,  nicht  in  der  Forest  Avenue gewesen zu sein, zu bestehen. 

Es war schon spät in der Nacht, als der Chef‐Inspektor sich plötzlich erhob. Er beugte sich weit über den Tisch und sagte mit dumpfer Stimme: 

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»Mrs. Dooley, es hat keinen Zweck. Sie haben sich jetzt mehrfach in Widersprüche verwickelt.« 

Das stimmte zwar nicht, aber es gehörte zur Taktik des Polizeioffiziers. 

»Wieso?«  kam  es  wie  aus  der  Pistole  geschossen zurück. 

»Ich weiß  jetzt genau, daß Sie  im Garten der Leesters gewesen  sind  –  und  zwar  in  der  Nähe  der  Küche.  In dieser Küche aber waren die Speisen, die drei Menschen den Tod gebracht haben.« 

Da  sackte  die  Frau  plötzlich  lautlos  zusammen.  Ihr Gesicht  war  wächsern,  gelb  und  ihre  Lippen  standen offen.  Sie  sah  jetzt,  als  sie  ohnmächtig  in  ihrem  Sessel hing, noch häßlicher aus als sonst. 

Eliot  Ness  ließ  sie  sofort  ins  Gefängnishospital überweisen. 

»Na  also,  da  sind  wir  der  Sache  ja  auf  den  Nabel gerückt«, meinte Cassedy, »vielmehr Sie sind ihr auf den Nabel gerückt.« 

»Wer weiß, Pink.«  

*  Am  anderen  Morgen  war  der  Norweger  schon  gegen sieben Uhr im Park, der das Haus der Lowells umgab. Er fand die Hintertür offen und sah einen alten Mann, der damit  beschäftigt war, Gartengeräte  in  einen  Schuppen zurückzubringen. 

Es gelang Eliot, unbemerkt  ins Haus zu kommen. Er 

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blieb  in der Diele stehen und wandte sich dann der Tür zu, die  gleich  neben der Garderobe war. Er  klopfte  an, hörte ein schläfriges »Ja« und öffnete die Tür einen Spalt. 

Meta Lowell  lag  auf  ihrem diwanähnlichen Bett und las. Sie zog erschrocken die Decke hoch bis ans Kinn, als sie sah, wer da in der Tür stand. 

»Das ist ja eine Ungeheuerlichkeit!« entfuhr es ihr. »Entschuldigen  Sie,  daß  ich  Sie  so  früh  störe,  Miß 

Lowell, aber die Frage, die ich an Sie richten muß, duldet keinen Aufschub.« 

»Konnten Sie mich nicht anrufen?« »Das  habe  ich  versucht,  aber  niemand  nimmt  den 

Hörer auf.« »Ach,  dann  hat  mein  Bruder  wahrscheinlich  das 

Telefon wieder herausgezogen.« »Das  ist  nicht  gut möglich,  da  Ihr  Bruder  das Haus 

gestern  vor  Mitternacht  verlassen  hat.  Sie  selbst  aber haben noch nach Mitternacht telefoniert.« 

»Ich –?« »Haben Sie mir nichts zu sagen, Miß Lowell?« »Nein,  was  sollte  ich  Ihnen  zu  sagen  haben, 

Inspektor?« »Dann werde ich Ihnen etwas sagen: Ich habe gestern 

abend Lena Dooley festgenommen.« »Und?« »Sie sagten mir, daß Sie nicht wüßten, wer die Frau ist, 

die Sie im Park gesehen haben.« »Ich verstehe Sie nicht« 

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»Die Frau war Lena Dooley, die Frau  Ihres Freundes James Dooley.« 

Sie fuhr entgeistert zurück, schluckte vor Schreck und stotterte: 

»Das ist ja eine –« Die Stimme versagte ihr. »Beruhigen Sie sich, Miß Lowell.« »Ich muß mir auf das Energischste verbitten, daß Sie 

es wagen, mir eine solche Unterstellung –« »Miß Lowell,  Sie wissen, daß Mr. Dooley verheiratet 

ist.« »Möglich, aber was geht das mich an?« »Sie sind seine Geliebte.« Da  sprang  sie hoch, ungeachtet der Tatsache, daß  sie 

nur einen  sehr kurzen Pyjama  trug, der mehr von  ihrer Gestalt  zeigte,  als  ihr  lieb  sein  konnte.  Sie machte  ein paar  hastige  Schritte  vorwärts  und  riß  eine Haarbürste von ihrem Toilettentisch. 

»Ich muß Sie bitten, Inspektor, mein Schlafzimmer zu verlassen!« stieß sie mit bebender Stimme hervor. 

»Ich werde draußen auf Sie warten.« Da flog ihr Kopf herum. »Was soll das heißen?«. »Das soll heißen, daß Sie genau gewußt haben, wer die 

Frau ist, die Sie beschuldigt haben.« Erst nach Sekunden preßte sie heiser hervor: »Ja, ich wußte es. Aber es ist die Wahrheit.« »Wie  soll  ich  Ihnen das  jetzt  noch  glauben?  Sie  sind 

die Geliebte von James Dooley, und Sie haben seine Frau in einen schweren Verdacht gebracht.« 

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»Hören Sie, Eliot Ness«, sagte sie dann mit einer Ruhe, die er  ihr nicht zugetraut hätte, »ich bin seine Freundin, gut  –  weil  er  mit  dieser  verdammten  Schlampe  nicht leben kann, und weil sie ihn nicht freigibt. Sie weiß ganz genau,  daß  er mit  mir  befreundet  ist,  schon  seit  zwei Jahren.  Als  ich  sie  am  Samstagabend  im  Garten  der Leesters  sah,  erschrak  ich  selbst  zu  Tode  und  habe seitdem nichts als Angst ausgestanden. Als ich dann von Ihnen hörte, was geschehen war, wußte  ich genau, daß nur  sie  das  Rattengift  in  den  Pudding  gemischt  haben konnte.« 

»Wie  interessant, Miß Lowell, daß Sie wissen, daß es Rattengift  war.  Und  fast  noch  interessanter  ist  die Bemerkung von Ihnen, daß das Gift im Pudding war.« 

»Habe ich das gesagt?« »Das haben Sie gesagt.« »Na ja, ist doch auch ganz logisch.« »Logisch  ist  es  nicht.  Es  sind  etliche  Speisen 

aufgetragen worden,  in  denen  es  ebenso  gewesen  sein könnte.« 

»Ich  weiß  es  auch  nicht.  Man  ist  ja  schon  völlig durcheinander.« 

In diesem Augenblick schrillte draußen das Telefon. »Ich dachte, Ihr Bruder hatte es herausgezogen?« »Ach«,  sagte  sie  da  plötzlich  mit  einer  müden 

Bewegung,  ging  an  ihm  vorbei  und  nahm  in  der Diele den Telefonhörer auf. 

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»Na, warte nur«, preßte  sie nach kurzem Horchen  in die Muschel,  »ich werde dich  schon  kriegen, und dann kannst du was erleben.« 

Mit einem Ruck warf sie den Hörer auf. Eliot blickte sie nur an. Da zog sie die Schultern hoch, 

ging an ihm vorbei in ihr Schlafzimmer und sagte wie zu sich selbst: 

»Es war Ben.« »Was wollte er?« »Es  ist  immer  das  gleiche:  er  verfolgt  mich  mit 

Obszönitäten.« »Würden Sie mir das etwas genauer erklären?« Da blieb sie stehen, wandte den Kopf um und blickte 

ihn aus großen, erstaunten Augen an. »Er sagt mir irgendeine Schweinerei, irgend etwas, das 

jeder Frau das Blut ins Gesicht treiben muß.« Ihr  Gesicht war  jedoch  völlig  normal,  fast  etwas  zu 

blaß. Da schrillte draußen wieder das Telefon. Meta Lowell 

wandte  sich  mit  einem  Ruck  um,  preßte  die  Zähne aufeinander,  stürmte dann hinaus, nahm den Hörer auf und schrie: 

»Jetzt  reicht  es mir!  Ich werde  dich  verklagen,  Ben, und dann kannst du was erleben!« 

Plötzlich zog sie die Brauen zusammen. »Wie bitte?« Sie  nahm  den  Hörer  vom  Ohr  und  hielt  ihn  dem 

Inspektor hin. »Es ist für Sie.« 

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Es war Cassedys Baßstimme, die da  an das Ohr des Inspektors drang. 

»Eine üble Nachricht, Chef. Lena Dooley ist tot.« »Was –?« »Sie hat sich umgebracht.« »Wie war denn das möglich?« »Sie muß Gift bei sich gehabt haben…« 

 * 

 Lena Dooley hatte Selbstmord begangen. 

War  das  die  Lösung  des  Rätsels? Hatte  sie  eine  der Speisen auf der Leester‐Party vergiftet? Wollte  sie  ihren Mann  und  seine  Freundin  damit  strafen?  Hatte  sie bedenkenlos  das  Leben  einer  Reihe  anderer Menschen dabei aufs Spiel gesetzt? 

Die Frau des Anwalts hatte das, was sie wußte, mit in den Tod genommen. War es wirklich die Schuld, die sie zu ihrer Verzweiflung getrieben hatte? 

James Dooley  saß  zusammengesunken  hinter  seinem Schreibtisch, als  er  es  erfahren hatte, und blickte düster vor sich hin. 

»Ja, ich bin schon seit zwei Jahren mit ihr auseinander. Daß ich ab und zu noch nach Hause kam, war nur wegen der Kinder. Sie war so eine nette Frau, als ich sie damals kennenlernte. Aber im Laufe der Zeit wurde sie ekelhaft. Sie pflegte sich nicht, obgleich ich sie darum bat, und sie verschleuderte  unser  Geld  derartig,  daß  mir  vor  ihr graute.« 

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»Halten Sie es für möglich, Mr. Dooley, daß Ihre Frau in die Küche des Leester‐Hauses gekommen ist, um sich da über die Speisen für die Party herzumachen?« 

Der  Anwalt  hob  die  Schultern  und  ließ  sie  wieder fallen. 

»Ich weiß es nicht.  Ich kenne  sie eigentlich gar nicht. Sie  hatte  sich  in  den  letzten  Jahren  zu  sehr  verändert. Früher hätte ich ihr so etwas nie zugetraut.« 

Das  FBI hatte  gründliche Untersuchungen  auch über die Person der Lena Dooley angestellt und war dabei zu dem  Resultat  gekommen,  daß  der  Frau  ihrem Wesen, ihrem  Charakter  und  ihren  Lebensgewohnheiten  nach eine  solche  Tat  eigentlich  nicht  zuzutrauen  war.  Aber wer  konnte  schon  in  die  Seele  einer  betrogenen  Frau blicken? Wahrscheinlich war sie von rasender Eifersucht geplagt worden, als sie in der Samstagnacht ihrem Mann zu  den  Leesters  folgte.  Sie  hatte  es  nicht  geleugnet, dagewesen zu sein. 

Aber sie hatte die Tat auch nicht gestanden.  

*  Es  gab  einen  Berg  von  Arbeit,  der  den  Inspektor  von seinem  Fall  ablenken wollte.  In  der  58.  Straße war  ein Wurstfabrikant  ermordet  worden.  Die  Demolierung seiner  Wohnung  und  das  große  rote  C  auf  seiner Haustürschwelle  schienen  auf  eine  Täterschaft  der Capone‐Bande  hinzudeuten.  Wieder  war  der  gesamte Polizeiapparat  der  Stadt  in  Bewegung.  Das  FBI  hatte 

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seine  Spezialisten  hingeschickt,  und  Eliot  Ness  hatte stundenlang  am  Tatort  zu  tun,  verhörte Dutzende  von Leuten,  und  als  er  gegen  sieben  Uhr  zum  Oakwood Cemetery zurückkam, fühlte er sich erschöpft. 

Als  er  vor  Cassedy  her  durch  das  Zimmer  seiner Sekretärin  ging,  sah  die  kleine  schwarzhaarige  Ruth Everett besorgt zu dem dicken Inspektor auf. 

Die  Tür  hatte  sich  hinter  dem  Chef‐Inspektor geschlossen, als Ruth Everett aufstand. 

»Was ist mit ihm? Er sieht ja todelend aus.« »Na, hören Sie, wenn einer den ganzen Tag nichts  ißt 

und  auch  noch  die  halbe  Nacht  unterwegs  ist,  da wundere  ich  mich  nicht,  wenn  er  plötzlich zusammenbricht. Er  ist zwar zäh wie  ein Schlittenhund aus seiner Heimat drüben  in Norwegen, aber ohne Sprit läuft auch das beste Auto nicht.« 

»Er hat den ganzen Tag nichts gegessen?« »Solange ich bei ihm war jedenfalls nicht. Ich habe mir 

zweimal  einen  ›Hot  Dog‹  und  einen  ›Hamburger‹ (Frikadelle)  zwischen  die  Zähne  gestopft. Aber meinen Sie,  er  wäre  auch  nur  auf  den  Gedanken  gekommen, etwas Ähnliches zu  tun?  Ich sage  Ihnen, dieser  Job  frißt ihn auf, und genau das wünschen sich einige Leute.  Ich denke  da  vor  allem  an  unseren  lieben  Freund Matherley.« 

Ruth Everett blickte  auf  ein Zeitungsblatt, das neben ihr auf dem Tisch  lag. Und  schon hatte Pinkas Cassedy ihren  Blick  bemerkt,  trat  auf  den  Schreibtisch  zu  und nahm das Blatt auf. 

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Es war die »Chicago News«. Auf  roten  Balken  schlugen  ihm  die  Schlagzeilen 

entgegen: PARTYMORDE  IMMER  NOCH  UNAUFGEKLÄRT. 

SCHLÄFT DAS FBI? Cassedy  knüllte das Blatt  zusammen und warf  es  in 

den Papierkorb. »Sehen Sie zu, daß er es nicht findet.« »Er hat es ganz bestimmt schon gelesen.« »Wie kommen Sie darauf?« »Weil  die Zeitung  so  lag,  daß  er  es  im Vorbeigehen 

lesen konnte,  leider«,  sagte das Mädchen betrübt. Dann verließ es den Raum, kam nach ein paar Minuten zurück und hatte zwei Brötchen und eine Tasse Kaffee auf einem kleinen Tablett. 

Eliot Ness saß bereits wieder hinter seinem Aktenberg, seiner  »Peitsche«,  wie  er  es  bei  sich  nannte.  Es  war ständig  ein  ganzer  Wust  von  Akten  durchzuarbeiten. Einmal  die  roten  Akten,  in  denen  die  jüngsten Morde verzeichnet waren, die sich im Bezirk Chicago und in der Stadt  selbst  ereignet  hatten.  Dazu  waren  stets  neue Kommentare  von  seinen  Mitarbeitern  angefertigt worden,  in  denen  alles,  was  die  Fälle  betraf, aufgezeichnet  war.  Der  Chef‐Inspektor  hatte herausgefunden, wie wichtig  es war,  daß  er  vor  allem immer über die neuesten Morde und über  alle  anderen Kapitalverbrechen  unterrichtet  wurde.  Ferner  war  in einem  grünen  Aktenband  alles  Wissenswerte  aus  der jüngsten Zeit über die großen Gangs aufgezeichnet, und 

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zwar so kurz und prägnant wie möglich. Eliot Ness hatte mit  dieser Aufgabe  eigens  seinen Mitarbeiter  Inspektor O’Connor  beauftragt.  In  einer  dritten  blauen  Mappe waren  die  Verbrechen  aufgezeichnet,  die  harmloser erschienen.  Aber  alles  mußte  durchgearbeitet  werden. Dann  gab  es  noch  eine  schwarze  Mappe,  in  der  die neuesten  Recherchen  speziell  über  Al  Capone zusammengetragen wurden, und  eine weiße Mappe,  in der  die  unheimliche  Dillinger‐Gang  »festgehalten« wurde  und  alles,  was  mit  ihr  zusammenhing.  In  der letzten,  einer  braunen Mappe,  die  sehr  dickleibig war, wurden  alle  neuen  Recherchen,  die  über  die  anderen großen  Gangs  zusammengetragen  werden  konnte, abgeheftet.  Selbstverständlich  hatte  auch  der  Ness‐Vertreter  Cassedy  die  gleichen  Mappen,  um  ebenfalls über  alles  im  Bilde  zu  sein,  und  auch  die  Inspektoren Lock und O’Keefe hatten  sich über das gleiche Material stets  auf dem  laufenden  zu halten. Eliot Ness hatte  ein eigenes  System  herausgearbeitet,  sich  auf  eine unglaublich rasche Art die notwendigsten Informationen zu  verschaffen.  Er  verstand  das  Diagonal‐Lesen  also schon  zu  einer  Zeit,  als  es  noch  längst  nicht  zum Allgemeinwissen  gehörte.  Es  blieb  ihm  ja  gar  nichts anderes  übrig,  sonst  hätte  er  nämlich  allein  für  diese Arbeit täglich fünfundzwanzig Stunden benötigt. 

Als die kleine Ruth Everett mit  ihrem Tablett  an der Tür  stand,  hob  er  nur  kurz  den  Kopf,  und  ein müdes Lächeln stand in seinem Gesicht. 

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»Das ist ein glänzender Einfall, Ruth. Kommen Sie her. Ich glaube, ich sollte wirklich etwas essen.« 

Als  die  Sekretärin  ihm  das  Tablett  auf  den  Tisch stellen wollte, schüttelte er den Kopf und deutete hinter sich auf die Fensterbank. 

Befremdet  blickte  Ruth  Everett  auf  die  grauen Gräberreihen  des  Friedhofes  hinunter.  Der  Oakwood‐Friedhof  schloß  gleich  hier  ans  Haus  an.  Einen scheußlicheren Platz hätte das Dienstgebäude des FBI gar nicht  bekommen  können. Das  schlimmste war,  daß  an den  Fenstern  nicht  einmal  Vorhänge  oder  Gardinen waren. Der Blick hinaus auf die Grabreihen war gar nicht zu vermeiden. 

Aber  der Norweger  blickte  lieber  über  die wenigen Bäume  des  Friedhofs  hinweg  zu  den  Wolkenkratzern hinüber als auf seine Peiniger, die Aktenstapel. Es hätte ja auch nichts genützt, wenn er einen seiner Mitarbeiter damit  betraute,  alles  für  ihn  durchzuackern,  denn  er mußte es selbst wissen. Wie ein Arzt, der immer um den neuesten  Stand  der  Medizin,  um  die  neuesten Erkenntnisse  der  Arzneiwissenschaft  unterrichtet  sein muß, wenn er auf dem laufenden bleiben will. 

Kurz  vor  sieben  erhob  er  sich,  nahm  seinen Staubmantel  und  seinen  grauen  Hut  und  verließ  das Haus. 

Er hatte Cassedy vorher kurz  informiert und mit  ihm verabredet,  sich abends gegen neun vor dem Waterloo‐Kino  in  der Western Avenue  zu  treffen.  Es  ging  ihnen weniger um die große Filmpremiere, die da stattfand, als 

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um das Publikum, das  sich dazu  einfand. Bei  so  etwas mußte man einfach zugegen  sein, um  festzustellen, wer noch alles aktuell war. 

Zwar hätte Eliot sich damit begnügen können, daß der dicke Cassedy hinging, denn dann  erfuhr  er auch alles, aber andererseits sahen vier Augen immer mehr als zwei. Es waren  sogar  acht  Augen  da,  denn  Eliot Ness  hatte noch  zwei  weitere  G‐men  zu  der  Premiere »abkommandiert«. Eine solche Premiere war für Chicago immer äußerst interessant und für die Polizei von größter Wichtigkeit; denn seit einigen  Jahren  tauchte dazu nicht etwa nur die Prominenz auf, die zum Film selbst gehörte oder  zum  Sport  und  zur  Politik,  sondern  auch  die Prominenz  aus  der  Unterwelt.  Al  Capone  selbst  kam zwar  nicht,  aber  sonst  alles,  was  »Rang  und  Namen« hatte.  

*  Der Norweger hatte sich Zeit gelassen, nach Wood Dale zu  kommen. Es war  ein  trüber,  regnerischer Abend.  In Chicago  wechselte  die Witterung  sehr  rasch,  auch  im Sommer konnte es an solchen trüben Tagen empfindlich kühl gegen Abend werden. 

Eliot Ness stand schräg gegenüber von dem Haus,  in dem Ferdinand Green  seinen Friseurladen hatte. Er  sah nur wenige Kunden zu Fuß kommen, die meisten kamen in eleganten Wagen vorgefahren. Der sonderbare Figaro hatte also tatsächlich eine exklusive Kundschaft, die man 

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ihm in dieser Gegend gar nicht zugetraut hätte. Kurz  nach  acht  verloschen  unten  im  Geschäft  die 

meisten Lichter. Eliot wartete noch einen Augenblick und überquerte  dann  die  Straße.  Er  klopfte  an  die  Tür  und hörte rasche Schritte. 

»Es  ist geschlossen«, war  im Hintergrund des Ladens die Stimme Greens zu hören. 

»Aufmachen, Polizei!« Die  Tür  wurde  rasch  geöffnet  und  ein  etwa 

siebzehnjähriger Schlaks mit  langem blondem Haar und wässerigen  Augen  blickte  ihn  an.  Er  hatte  ein Mädchengesicht, und ebenso wie der Friseur  selbst war er  in  eine Duftwolke  gehüllt.  Sein Gesicht war  erhitzt. Hinten an einer der Frisierhauben stand Green, der den Inspektor aus weit aufgerissenen Augen anblickte. 

»Was gibt es?« »Schicken Sie den  jungen Mann weg, Mr. Green. Wir 

haben etwas miteinander zu besprechen.« »Ja, Randes, Sie können gehen.« »Ist gut, Boß«, meinte der  süßliche  Junge, zog  seinen 

Arbeitskittel aus, zog die Schultern hoch und schlenderte davon. 

»Ein  Freund  von  Ihnen?«  erkundigte  sich  Ness, während  er  sich  auf  einen  der  Frisiertische  niederließ und den Barbier scharf fixierte. 

»Was soll das heißen?« »Seien Sie nicht so empfindlich.  Ich habe nur gefragt, 

ob der junge Mann auch einer Ihrer Freunde ist.« »Wie meinen Sie das?« 

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»Hören Sie, Mr. Green, wir wollen diesen scharfen Ton gar nicht erst in unsere Unterhaltung bringen.« 

»Ich verstehe überhaupt nicht, was Sie  immer bei mir suchen. Sie sind jetzt schon zum drittenmal hier.« 

»Ich hoffe, zum letztenmal, Mr. Green. Ich möchte Sie nämlich heute etwas fragen, das ich schon längst wissen wollte.« 

»Ja?« »Waren Sie mit Richard Leester befreundet?« Flammende Zornesröte übergoß das fahle Gesicht des 

Friseurs. »Was soll das heißen?« »Schießen Sie nicht dauernd die gleiche giftige Frage 

auf mich  ab«,  entgegnete  der  G‐man,  ohne  aus  seiner lässigen Ruhe herauszufallen. 

»Dann sagen Sie mir, wie Sie dazu kommen, mich mit Verleumdungen –« 

Eliot hob den Kopf. »Augenblick,  Mr.  Green.  Ich  habe  Sie  nicht 

verleumdet.  Ich  habe  eine  vernünftige  Frage  an  Sie gerichtet.  Eine  vernünftige und  ganz  klar  verständliche Frage.« 

»Ja, natürlich,  ich verstehe  schon. Sie wollten wissen, ob wir beide etwas miteinander hatten.« 

»Wenn Sie es so ausdrücken wollen, Mr. Green.« Da  versetzte  der  Barbier  plötzlich  dem  Kopf  der 

Frisierhaube einen Stoß, daß  sie durch die ganze Länge des  Raumes  polterte.  Glas  splitterte,  und  die  Schnüre schlugen hinter dem Geschoß drein. 

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»Na  und?  Wenn  es  wirklich  so  wäre?  Wenn  wir einander geschätzt hätten?« 

»So  wäre  das  durchaus  Ihre  Sache  gewesen,  Mr. Green, Ihre – und die Sache von Richard Leester.« 

»Na also.« »Es war also so.« »Und wenn?!« kam es wie aus der Pistole geschossen. Da  stand der  Inspektor auf und ging auf den Friseur 

zu. Dicht vor ihm blieb er stehen. »Sie waren also mit ihm befreundet?« »Ja. Sie wissen es  ja  jetzt«,  fauchte Green und konnte 

den Blick der eisblauen Augen des Polizeioffiziers nicht ertragen.  Er  wandte  den  Kopf  zur  Seite,  und  seine schmalen  Lippen  bebten.  Eliot  sah  jetzt  aus  der Nähe, daß  er  nicht  nur  parfümiert,  sondern  auch  geschminkt war.  Er  hatte  sich  ein  feines Make‐up  aufgetragen,  das jedoch unten an seinem Hals nicht allzu sauber verrieben war. 

Es  gab  eine  Menge  unglücklicher  Leute  unter  den Menschen, die die gleiche Veranlagung hatten wie dieser Ferdinand Green. Eliot Ness wußte  es. Es waren Leute, die  schwer  unter  ihrer Veranlagung  trugen,  denen  das Anderssein enorm zu schaffen machte, und die zeitlebens nicht damit fertig wurden. Viele von ihnen zerbrachen an ihrem Geschick. 

»Niemand  kann  etwas  dafür,  daß  er  so  ist, wie  ich bin«, kam es heiser über die Lippen des Barbiers. 

»Und  so, wie  Richard  Leester war«,  kam  es  ebenso leise über die Lippen des Polizeioffiziers. 

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Green  mußte  zu  dem  Mann,  der  ihn  um  halbe Haupteslänge überragte, aufblicken. Ein Glimmen war in seinen dunklen Augen. 

»Wir  waren  Freunde,  verstehen  Sie.  Eine  innige Freundschaft verband uns.« 

»Waren Sie wirklich Freunde –?« Es war  ein  Schuß  ins Dunkel,  ein  Schlagen  auf  den 

Busch. Und die Wirkung war enorm. Der Friseur wich blitzschnell zwei Schritte zurück, zog 

mit dem Fuß eine zweite Frisierhaube heran und stieß sie dem Inspektor entgegen. 

Eliot  Ness,  der  sonst  über  ein  ganz  enormes Reaktionsvermögen  verfügte,  war  auf  diesen  Angriff nicht vorbereitet. Die schwere Haube traf ihn voll an der Stirn und ließ ihn zurücktaumeln. Mit der Linken hatte er den  fünfundvierziger  Revolver  aus  der  Manteltasche gezogen. 

Aber da  fiel  schon  eine Tapetentür  zu, und draußen wurde ein Riegel vorgeschoben. 

Eliot war  sofort  an  der  Tür,  versetzte  ihr  einen  Tritt und brachte  sie damit zwar nicht aus dem Schloß, aber hinten  aus  einer  der Angeln.  Es  bedurfte  fünf weiterer Fußtritte,  bis  er  sie  auch  aus  der  zweiten  Angel herausgeworfen hatte. 

Vor  ihm  führte eine  steile hölzerne Stiege nach oben. Er  nahm  den  Hut  ab  und  schob  ihn  langsam  in  den Gang. 

Ein  dumpfer  Laut  ließ  die  Luft  in  dem  schmalen Treppenhaus  erzittern.  Ein  Schuß  aus  einer 

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Schalldämpferpistole!  Dieser  blondgefärbte  und geschminkte  Parfüm‐Mensch  war  also  bewaffnet  und feuerte  scharf;  und  er mußte  doch  wissen,  daß  er  auf einen Polizisten schoß! 

Die  Kugel  hatte  die  Hutkrempe  des  Inspektors aufgerissen.  Wenn  er  selbst  unter  dem  Hut  gewesen wäre,  hätte  ihn  die Kugel  in  die  Brust  treffen müssen, links in die Brust, genau da, wo das Herz saß. 

Und das hatte der Mann oben am Treppenende nicht gescheut. Sein Gewissen mußte also bleischwer sein. 

Eliot ging ein paar Schritte zurück, nahm die Haube, die  der  Friseur  auf  ihn  geworfen  hatte,  hoch  und schleuderte sie in den Treppengang. Im gleichen Moment nahm  er  den  Telefonhörer  auf  und  hatte  damit  das Klingeln übertönt. Auch die wenigen Nummern, die  er jetzt  rasch  wählte,  gingen  in  dem  Getöse,  das  den Scherbensplittern folgte, noch unter. Dann nahm er einen der Stühle, versetzte  ihm einen Stoß und beförderte  ihn ebenfalls in den Treppengang. 

»Rasch,  geben  Sie  mir  Cassedy!«  flüsterte  er  in  die Muschel. 

Es dauerte nur zwei Sekunden und die Baßstimme des Dicken war an seinem Ohr. 

In  diesem  Augenblick  drang  von  oben  wieder  der dumpfe Plopp‐Laut der Schalldämpferpistole herunter. 

»Gehört?« flüsterte Eliot in die Muschel. »Na klar. Doch nicht etwa bei dem Schaumschläger?« »Genau.« »Soll ich die kleine Crew mitbringen?« 

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»Ja.« »Ich fliege!« Cassedy hatte eingehängt. Jetzt  kam  es  nur  darauf  an,  den Mann  hinzuhalten, 

daß  er  nicht  auf  den  Gedanken  kam,  das Haus  durch irgendeine  Seitentür  oder  sonst  einen  Ausschlupf  zu verlassen. 

Was hatte dieser eigenartige Mann auf dem Gewissen? Was  verband  ihn  mit  Ric  Leester?  War  es  die Freundschaft  zu  diesem Mann  gewesen,  die  zu  dieser fürchterlichen Todesparty geführt hatte? 

Eliot  Ness  hatte  keineswegs  die  Möglichkeit ausgeschlossen, daß es der ziemlich sonderbare Richard Leester selbst gewesen sein könnte, der das Gift unter die Speisen  gemischt  hatte. Denn  der  junge  Leester war  in der Tat ein recht merkwürdiger Mensch gewesen. Er war ein sehr guter Tennisspieler, bis er sich vor zwei  Jahren bei einem Verkehrsunfall den  linken Arm verletzt hatte, so  daß  er  als  Linkshänder  das  Racket  nicht  mehr handhaben konnte wie  früher. Das hatte dem  sensiblen Menschen einen so schweren Schock versetzt, daß er zum Alkoholiker geworden war. Auch alles andere, was über ihn vom FBI zusammengetragen worden war, hatte das Bild  eines  leicht  kränkelnden,  sensiblen  und charakterschwachen  Menschen  ergeben.  Er  war,  wie Ferdinand  Green,  homosexuell  veranlagt,  hatte  aber keine festen Freunde, wie das FBI ermittelt hatte. Green, den  er  durch  seine  häufigen  Friseurbesuche  kannte, konnte nach den Ermittlungen des FBI eigentlich gar kein 

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so intimer Freund von ihm gewesen sein. Aber wer sollte das mit  Sicherheit  sagen,  denn  der  lebende Ric  Leester war  ja  nicht  von  der  Polizei  beobachtet  worden.  Es bestand  also  durchaus  die  Möglichkeit,  daß  er  einen näheren  Kontakt  zu  dem  merkwürdigen  Friseur unterhalten hatte. Es war  ermittelt worden, daß  er  sich ebenfalls  die Haare  hatte  färben  lassen, wahrscheinlich hier bei Green, und daß er auch ähnlichen Gewohnheiten frönte wie der Figaro aus Wood Dale. 

Es war still geworden. Nicht der  leiseste Laut war zu vernehmen. Draußen  fuhr  jetzt  ein  schwerer Lastwagen über  den  unebenen  Asphalt  und  erfüllte  das  Haus wieder mit Lärm. 

Da glaubte der Norweger ein Geräusch zu vernehmen, das sich anhörte wie das Knarren einer Diele. 

Sollte  Green  etwa  versuchen,  herunterzukommen? Glaubte  er,  daß  er  mit  der  Schalldämpferpistole  im Vorteil  war?  Hielt  er  etwa  den  Polizeioffizier  für unbewaffnet? 

Eliot  schlich  über  den  mit  Linoleum  ausgelegten Boden  auf  die  andere  Seite  des  länglichen Geschäftslokals,  um  hinter  der  Tapetentür stehenzubleiben.  Es  war  allerdings  nicht  ganz ungefährlich,  denn  wenn  Green  etwa  durch  die eingebrochene Tür  feuerte, war es nicht unmöglich, daß er  ihn hier noch  traf. Eliot mußte wohl  oder übel noch zwei Schritte zurück. Das hinderte ihn aber daran, einen Blick in den schmalen, steilen Seitengang zu werfen. 

Und das sollte sich noch als verhängnisvoll erweisen. 

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In dem Augenblick nämlich, in dem er versuchte, sich am Boden  vorwärtszuschieben,  um  vielleicht  doch  einen Blick  in den düsteren Raum werfen  zu können,  fiel  ein harter  Gegenstand,  der  so  aussah  wie  eine  große Glasmurmel, mit  der  Kinder  spielen,  vor  ihm  auf  den Boden.  Instinktiv  versetzte  der  FBI‐Agent  dem Gegenstand einen Stoß; er  rollte davon – und war noch nicht  ganz  drei  Yards  entfernt,  als  er  mit  einem fürchterlichen Knall explodierte. 

Das  war  also  das  sogenannte  Capone‐Ei;  eine  Art Miniatur‐Eierhandgranate,  wie  sie  von  den  Capone‐Gangstern in der Stadt eingeführt worden waren. 

Der G‐man  hatte  sich  platt  hinter  die  Tür  geworfen und  war  glücklicherweise  unverletzt  geblieben.  Er federte hoch, preßte sich dicht gegen die Wand, denn  in diesem Augenblick  kam  der  Friseur  zurück.  Er machte einen Sprung nach vorn, stand mit eingeknickten Knien da und hatte die Schalldämpferpistole in der Hand. 

In  diesem  Augenblick  schlug  Eliot  zu.  Der Karateschlag traf Greens rechten Arm und entriß ihm die Waffe, die polternd durch den Salon schepperte und vor einem der Stühle liegenblieb. 

Green  war  so  überrascht,  daß  er  aus  weit aufgerissenen Augen fassungslos auf den G‐man starrte. 

»Zum Teufel, was wollen Sie eigentlich?« »Das  wüßte  ich  gern  von  Ihnen,  Mr.  Green«, 

entgegnete Eliot. »Ich habe nichts mit Ihnen zu tun. Weshalb stellen Sie 

mir nach?  Ich weiß gar nicht, was  Sie wollen.  Ich habe 

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nichts  mit  der  Polizei  zu  tun.  Ich  werde  Beschwerde gegen  Sie  einreichen.  Wie  kommen  Sie  dazu,  einem unbescholtenen, vollkommen friedlichen Bürger –« 

»Ich fange gleich an zu weinen, Green. Ein Mann, der mit Schalldämpferpistolen  feuert und mit Capone‐Eiern nach  der  Polizei  wirft,  hat  höchstwahrscheinlich  einen sehr triftigen Grund, das zu tun.« 

»Ach was.  Ich habe gar nichts gemacht. Das Ding  ist da oben von der Treppe heruntergefallen.« 

»Ich weiß, direkt vom Weihnachtsbaum, wie auch die Schalldämpferpistole.« 

»Ach,  erwähnen  Sie  doch  die  Schalldämpferpistole nicht  fünfmal.  Jeder hat heute so eine Kanone  im Haus, vor allem  jeder Geschäftsmann. Wo kämen wir denn  in diesen Zeiten ohne Waffe hin. Das dürften Sie doch selbst am besten wissen, G‐man.« 

»Mr. Green, ich muß Sie bitten, mitzukommen.« »Was soll das heißen?« »Das soll heißen, daß ich Sie mitnehmen muß.« »Das ist nicht Ihr Ernst.« »Mein voller Ernst.« Eliot  Ness  stand  jetzt  in  der  Mitte  des  länglichen 

Barbierraumes  vor  einem  der  sechs  Stühle,  und  neben ihm  lag die  von Green  selbst  heruntergerissene Haube. Green stand drei Schritt vor ihm, beide Hände hinter sich auf  eine  Stuhllehne  gestützt. Und  da Green  jetzt  einen wahren Wasserfall von Vorwürfen über ihn ausschüttete, war  es  unmöglich,  daß  der  FBI‐Agent  das Geräusch  in seinem Rücken hörte. 

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Hinter  ihm  nämlich,  in  dem  schmalen  Stiegengang, hatte sich eine Tür geöffnet, die er noch gar nicht gesehen hatte. Eine Tür, die  in den Hof  führte. Eine mittelgroße Gestalt schob sich vorsichtig an der Stiege vorbei auf die Tapetentür zu, die in den Salon führte. 

Es  war  eine  Frau.  Sie  mochte  etwa  fünfunddreißig sein,  hatte  ein  nicht  unschönes,  aber  fast  männliches Gesicht, trug einen Bubikopf und eine Baskenmütze. Ihre kräftigen  Beine  steckten  in  Schuhen  mit  flachen Absätzen. Sie trug ein leichtes Sommerkostüm, hatte eine brustlose Figur und breite Schultern. 

Aus weit geöffneten Augen beobachtete sie die Szene. Als Green sie entdeckt hatte, war er geschickt genug, 

sich nichts davon anmerken zu lassen. »Sie werden  es  bereuen,  einen  harmlosen  Bürger  zu 

überfallen.  Bei  mir  ist  nichts  zu  holen.  Sie  werden  es bereuen, das kann ich Ihnen sagen!« 

Eliot, der seinen Revolver ins Halfter zurückgeschoben hatte,  blickte Green  stirnrunzelnd  an.  Plötzlich  hatte  er ein merkwürdiges Gefühl, wandte den Kopf um  – und blickte  in  den  Lauf  eines  Derringers.  Die  Frau  an  der Tapetentür  hielt  ihn  in  ihrer  rechten Hand. Aus  harten Augen blickte sie den Fremden an. 

»Los, Peggy!« kreischte Green. »Knall ihn ab!« »Augenblick«,  meinte  die  Frau  da  mit  einer  harten 

Stimme,  und  Eliot  Ness  sah  in  ein  grünlich schimmerndes  Augenpaar.  Welch  ein  merkwürdiges Gesicht hatte diese Frau, die da so plötzlich wie aus dem Boden  gestampft  aufgetaucht  war.  Der  Leiter  der 

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Spezialabteilung des FBI sah Tag für Tag in immer neue menschliche  Gesichter,  und  er  hatte  sie  gründlich studiert. Dieses harte Frauengesicht war  scharf von den Runen des Lebens gezeichnet. Außerdem trug es deutlich die Züge des Mannweibes. Und dann war noch etwas in diesem Gesicht, das er  in diesem Moment noch nicht zu deuten  wußte.  Aber  er  sollte  nicht  lange  daran herumrätseln müssen. 

Es standen  ihm die übelsten zehn Minuten bevor, die er jemals erleben sollte. 

Peggy Wooster hatte  sich mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt und schlug die Füße übereinander. Immer noch hatte sie den Derringer in der Hand. 

»Los,  nimm  die  Arme  hoch,  Junge«,  preßte  sie  mit einer heiseren Stimme hervor,  in der etwas mitschwang, das zu dem seltsamen Zug in ihrem Gesicht paßte. 

Eliot, der einen Schritt zur Seite gemacht hatte, hielt es für richtig, dieser Aufforderung nachzukommen. 

Da hörte  er  seitlich hinter  sich  ein Geräusch, wandte den Kopf und sah, daß sich Green an den Boden gebückt hatte. Er kniete vor einem der Frisiertische, die fast bis an den  Boden  reichten,  und  versuchte  offensichtlich,  seine Schalldämpferpistole wieder  an  sich  zu  bringen, die da heruntergerutscht war. 

»Was suchst du denn da, Green?« schnarrte die Frau. Da wandte der Friseur den Kopf. »Weshalb  schießt  du  nicht,  Peggy?«  rief  er  mit 

verzerrten Zügen. 

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»Eins nach dem anderen, Green. Ich will doch hoffen, daß du mir eine kleine Freude gönnst.« 

»Peg«, stieß der Mann heiser hervor, »knall den Hund ab,  und  ich  beschaff  dir  noch  heute  nacht  die  blonde Jenny und einen Teelöffel voll Koks.« 

Die  steinerne Härte  schien aus dem Gesicht der Frau zu schwinden. 

»Jenny?« Leise kam  es über  ihre Lippen, und  in  ihre Augen  trat  ein  unnatürlicher  Glanz.  »Du  hast  doch gesagt, daß mit der nichts zu machen ist?« 

»Ja, habe  ich gesagt, weil du nicht genug ausspucken wolltest. Aber es  ist doch  in diesem Fall natürlich etwas anderes.« 

Ein winziges  Lächeln  stahl  sich  in  die Augenwinkel der Frau. Green redete ununterbrochen auf sie ein. 

»Hör zu, erst wirst du mir den Gefallen  tun und den Kerl da abknallen. Er ist nämlich ein G‐man.« 

Da  schrak  die  Frau  zurück.  Steif  stand  sie  vor  der Wand  und  hatte  den  Revolver  immer  noch  in  der vorgestreckten Hand. 

»Ein G‐man?« brach es heiser über  ihre Lippen. »Bist du des Teufels?« 

»Was heißt das schon! Ein G‐man? Der Kerl  ist hinter meine Schliche gekommen. Glaubst du vielleicht, daß er hier noch lebend rauskommen darf?« 

»Aber ich – was habe ich denn damit zu tun?« »Du wirst ihn wegputzen.« »Wieso denn ich?« »Weil  du  auch  mit  drinhängst.  Oder  glaubst  du 

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vielleicht, er weiß jetzt nicht von dir das gleiche wie von mir? Er weiß, daß du  kokst und daß du hinter  kleinen Girls her bist, daß du nicht alle Neune oben unter deinem Pony hast –« 

»Lassen  Sie  sich  nicht  von  ihm  verwirren,  Miß«, unterbrach  der  FBI‐Agent  den  Banditen  mit  scharfer Stimme.  »Sie  haben  sich  nichts  zuschulden  kommen lassen und –« 

»Knall ihn ab, Peg!« Eliot sah, daß die Frau den Revolver weiter anhob. Die 

Mündung zeigte jetzt auf sein Gesicht. Ein Zittern war in ihrer  Hand  und  übertrug  sich  auf  die  Waffe.  Jeden Augenblick konnte sie den Stecher durchziehen. 

Nur etwa fünf Inches lag die Frisierhaube vor ihm am Boden. Wenn er sie nur erreichen könnte. Und dann war es noch eine Frage, ob es ihm gelang, sie hochzureißen. 

»Los, Peg, mach ihn doch fertig! Knall ihn ab!« hetzte der Friseur schreiend weiter. 

»Aber  ich kann doch keinen G‐man abknallen, Ferry. Du mußt  ja wahnsinnig sein. Dafür kommt man auf den Stuhl.« 

»Du  kommst  nicht  auf  den  Stuhl.  Du  wirst  dir höchstens  ein paar  Jahre hinter  schwedischen Gardinen einhandeln, wenn du noch  länger zauderst. Und daß es nicht  unter  zehn  sind,  ist wohl  klar.  Dann  interessiert sich  kein Girl mehr  für dich, und  auch  sonst  niemand, das ist ja wohl logisch! Du bist gezwungen –« 

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»Lassen Sie sich nicht von diesem Menschen verrückt machen,  Peggy«,  forderte  Eliot  sie mit  ruhiger  Stimme auf. 

Da  schüttelte  die  Frau  den  Kopf.  »Du  kannst  mich nicht dumm machen, G‐man. Ich weiß, daß  ich verloren bin.  Er  hat  nämlich  recht,  ich  stehe  auf  der  Liste,  und wenn mich einer von denen  im 13. Revier erwischt, bin ich sowieso hinüber. Ein G‐man ist noch viel schlimmer. Du weißt schon zuviel!« 

»Also, Peg, knall ihn ab!« In diesem Augenblick geschah es. Eliot hatte den Fuß 

ein  Stück  vorgeschoben  und  gleichzeitig  hochgerissen. Das  schwere  Geschoß  prallte mitten  in  den  Schuß  der Frau hinein. 

In  diesem  Augenblick  hatte  sich  Ferry  Green fallenlassen,  streckte den  linken Arm  aus und hatte die Schalldämpferpistole an sich gebracht. 

Eliot Ness hatte  sich  auf die Frau geworfen, die von der Frisierhaube am Kinn getroffen worden war, und riß sie nieder. 

Sie aber sprang sofort wieder auf. »Plopp«, machte es da. Peggy Wooster griff mit beiden Händen an ihre Kehle, 

aus der ein fingerdicker Blutstrahl spritzte, Eliot,  der  durch  ihren  taumelnden  Körper  geschützt 

wurde, zog die Colt‐Automatic. Der zweite »Plopp« schlug durch den Raum, und der 

Körper  der  Frau  wurde  erneut  wie  von  einem  harten 

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Stockschlag  getroffen,  zuckte  zusammen.  Aber  immer noch stand Peggy Wooster auf beiden Beinen. 

Da  brüllte  die  Colt‐Automatic  des  FBI‐Agenten  auf. Der Schalldämpferrevolver wurde hochgestoßen, und ein Schrei brach von den Lippen des Barbiers. Das Geschoß hatte  ihn zwar nur  schwach an der Hand verletzt, aber die  Blutspur,  die  über  seinen  Handrücken  rann, erschreckte Green zutiefst. 

Eliot  schob  den  Revolver  ins  Schulterhalfter  zurück und  fing  die  Frau  auf,  die  jetzt  gegen  ihn  stürzte. Langsam ließ er sie zu Boden gleiten. 

Die  bitteren  zehn Minuten,  die  er  in  dem  höllischen Salon  zu  verbringen  hatte, waren  noch  nicht  zu  Ende. Lautlos  war  ein  zweites  Mal  die  Tür  im  Stiegengang geöffnet  worden.  Der  Mann,  der  jetzt  in  der aufgebrochenen  Tapetentür  auftauchte, war  groß,  hatte breite  Schultern und  trug  einen  schwarzen Anzug. Der Borsalino saß schräg auf seinem rechten Ohr. Er hatte ein massiges Gesicht,  ein Doppelkinn und  eine  gekrümmte Nase.  Die  Augen  blickten  scharf wie  Falkenaugen  aus diesem  Gesicht.  Im  linken  Mundwinkel  hatte  er  eine unangezündete Zigarette stecken. 

Blitzschnell hatte er die Szene erfaßt, zerrte eine 32er Luger aus der Tasche und zog sie hoch. 

»Los, schieß, Lou!« schrie Green. Eliot wirbelte herum. Der Mann  an der Tür blickte  ihn verblüfft  an.  »He«, 

entfuhr es ihm dann. 

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»Weshalb  schießt du  nicht,  es  ist  ein G‐man!«  schrie der Friseur. 

Es war eine schreckliche Sekunde. Eliot kauerte neben der  Frau  am  Boden  und  blickte  auf  sie  nieder.  Ein qualvolles  Röcheln  brach  über  ihre  Lippen.  Sie  starb. Fünf  Schritt  von  ihm  entfernt  stand  Green  in verkrampfter Haltung  vor  einem  der  Frisierstühle,  und seitlich hinter  ihm hielt der  schwarzgekleidete Mann  in der Tapetentür die Luger auf ihn gerichtet. 

»Schade«, röchelte die Frau, »ich kratze ab… Ich hätte ihn zu gern mit  ins Loch genommen – den Kokshändler da –« 

Der Schwarzgekleidete in der Tür blickte nur auf Eliot Ness. 

»Schieß doch, Borgast!« schrie Green heiser. Borgast?! Wie ein Hammerschlag hatte der Name den Inspektor 

getroffen.  Sollte  dieser Mann  etwa  der  Gangsterführer Borgast  sein? Das war nicht  gut möglich, denn Borgast mußte erstens älter sein, und zweitens war er schlanker und kleiner. Eliot kannte ihn von Fotos. 

»Ja, ja. Jetzt kannst du ruhig kariert dreinschauen, Lou. Jetzt weiß er, wer du bist, und jetzt bist du gezwungen zu feuern. Laß dir doch keine Zeit, der Kerl  ist gefährlich. Jede  Sekunde,  die  er  länger  lebt,  ist  für  uns  beide  eine Gefahr.« 

Aber Borgast rührte sich nicht. Da bellte Green: »Mensch, du hast keine Chance. Er weiß, daß du Eds 

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Bruder bist. Sieh dir die Wooster an. Die hat er erledigt. Jetzt möchte er mir das Ding in die Schuhe schieben.« 

Der Bandit an der Tür öffnete langsam die Lippen. »Ein G‐man? Du Idiot.« »Du glaubst mir wohl nicht.« »O  doch,  Ferry,  ich  glaube  dir.  Und  ich  glaube  dir 

auch,  daß  er  sterben muß. Aber  diese Arbeit wirst  du übernehmen.« 

»Weshalb denn ich?« »Weil  es  nicht  in  Frage  kommt,  daß  irgend  jemand 

sagen  kann,  ein  Borgast  hätte  den  MR.  CHICAGO ausgepustet.« 

»MR. CHICAGO –?« stotterte der Friseur. »Ja, er ist Eliot Ness!« Damit nahm Borgast eine zweite 

Waffe aus der Tasche und warf sie Green zu. Aber sie prallte gegen den Stuhl und rutschte zurück. 

Bis auf anderthalb Yards an den G‐man heran. Als Green vorwärtsspringen  wollte,  um  sich  auf  die  Waffe  zu stürzen, bellte Borgast: 

»Nicht  so  hastig,  Junge.  Der  Vogel  wird  erst  noch singen.« 

Green hielt inne. »Was soll das heißen?« keuchte er. Borgast  trat  zur  Seite,  behielt  aber  die  Luger  in  der 

Hand.  Immer  noch war  die  Zigarette  zwischen  seinen Lippen unangezündet. 

»So, Ness,  jetzt werden Sie uns einen kleinen Vortrag halten.« 

»Und worüber?« »Darüber, was gegen die Borgast‐Crew geplant ist.« 

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»Das ist doch nicht Ihr Ernst.« »Laß  ihn mich  doch  abknallen«,  hechelte Green,  der 

seine Schalldämpferpistole wieder an sich gebracht hatte, »wenn  er  tatsächlich  MR.  CHICAGO  ist,  kann  er  gar nicht  früh genug  ins Gras beißen. Diese perverse Vettel da  hat  auch  zu  lange  gewartet.  Fast  hätte  ich  ihn erwischt, aber leider lief diese Hexe mir ins Schußfeld.« 

»Aha, du hast sie also gekillt?« »Ich?« »Du sagtest doch gerade, daß du es warst.« »Zum Teufel,  er  soll  abdampfen!  Ich drücke  jetzt  ab, 

Borgast.« »Du wartest noch. Ich muß erst erfahren, was beim FBI 

gegen uns geplant wird. Es ist eine Sache im Gange, und die  muß  ich  aus  ihm  herausschneiden;  das  dürfte  dir wohl klar sein.« 

Eliot Ness hatte Green mit dem Revolver neben  sich stehen. Knapp drei Schritte vor  ihm  stand Borgast; und der war jetzt gefährlicher. 

»All  right,  Ness.  Dann  spuck  also  aus,  was  du mit Borgast im Schilde führst.« 

Eliot  hob  etwas  die  Hände,  machte  einen  halben Schritt zurück, wandte sich um, und in dem Augenblick, in  dem  er  die  linke Hand  fallenließ,  hatte  er  sie  auch schon an der Colt‐Automatic und wirbelte herum. 

Borgast starrte  ihn aus geweiteten Augen an. Er hatte immer noch die Luger in der Hand. 

»Lassen Sie die Kanone  fallen!« herrschte der G‐man den Gangster an. 

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»Nein, Lou!« schrie Green. Da hob Eliot die  linke Hand  in  einer Finte und  stieß 

die Rechte mit dem Revolver ein Stück nach vorn, wobei er urplötzlich das linke Bein hochriß. 

Die Schuhspitze traf den Unterarm des Gangsters. Die  Luger  flog  gegen  die  Decke  und  lag  nur  eine 

Handbreit  von  der  Waffe  entfernt,  die  Borgast  dem Komplicen hatte zuwerfen wollen. 

Green  zog  den  Stecher  durch.  Klick  machte  es, Ladehemmung! 

Da  hechtete  Borgast  dem  FBI‐Mann  entgegen.  Eliot fing  ihn mit  einem Konterschlag  auf  und  trieb  ihn  zur Seite.  Borgast  kam  zu  Fall  und  schnappte  nach  dem Revolver. 

Eliot  trieb die Waffe mit einem Schuß zur Seite. Aber das  Unglück  wollte  es,  daß  der  eine  Revolver  den anderen  traf  und  ihn  dem  Gangster  zuschob wie  eine Billardkugel. 

Borgast hatte sofort zugegriffen. In diesem Augenblick aber peitschte ein Schuß durch 

den Raum, der Eliot herumfahren ließ. Vorn in der Tür zur Straße stand die hochgewachsene, 

breitschultrige  Gestalt  des  FBI‐Inspektors  Pinkas Cassedy.  Er  hatte  den  rauchenden  Revolver  in  der rechten Hand. 

»Ich komme etwas spät, Boß.« »Durchaus  nicht,  Pink«,  sagte  Eliot, während  er  die 

beiden entwaffnete. 

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»Tut mir  leid, Chef. Hat  etwas  länger gedauert, weil wir  über  ein  Nagelfeld  rollten.  Hab’  da  ein  Taxi genommen  und  dieser Kerl  fuhr wie  eine  Schnecke.  Er wollte mich partout nicht  ans  Steuer  lassen. Aber dann hatte er doch etwas gegen Ohrfeigen und gab nach.« 

Als  sie  die  beiden  Banditen  in  Handschellen geschlagen  hatten,  meinte  Cassedy  auf  Lou  Borgast zeigend: 

»He, der  kommt mir  aber  bekannt  vor. Wem  gleicht der bloß?« 

»Vielleicht Ed Borgast?« forschte der Norweger. »Ja,  Borgast!  So  sieht  er  aus.  Vielleicht  ist  es  ein 

Verwandter von ihm?« »Sein Bruder.« 

 Der Fall schien gelöst. Aber es schien nur so, denn dem verbrecherischen  Haarschneider  war  nicht nachzuweisen, daß er das Gift in die Speisen der Leester‐Party geschafft hatte. Er konnte  im Gegenteil beweisen, daß er ziemlich spät gekommen war und die Gäste schon bei der Vorspeise waren. Könnte  so  ein Mann handeln, der das Gift in das Essen praktizieren wollte? 

Außerdem  schien  es  dem  Inspektor  doch  sehr unwahrscheinlich,  daß  die  Speisen  so  lange  vor  dem Verzehr vergiftet worden waren. Aber Ferdinand Green war  dennoch  erledigt.  Er  war  ein  Mann,  der  abartig veranlagte Kunden  erpreßte und  zudem mit Rauschgift versorgte.  Er  war  ein  Unterhändler,  der  nicht  nur einzelne  Leute  wie  die  merkwürdige  Peggy  Wooster, 

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sondern auch Männer aus der Borgast‐Gang mit seinem »Stoff« bediente. 

Hatte auch Richard Leester zu seinen Kunden gezählt?  

*  Eliot  Ness  hatte  dafür  gesorgt,  daß  Mrs.  Royster entlassen wurde. Als  sie aus dem Tor des Gefängnisses trat, sah sie den G‐man schon vor dem wartenden Wagen stehen. Sie machte ein paar unschlüssige Schritte auf ihn zu und verhielt dann den Schritt. 

Eliot  ging  zu  ihr,  zog  den Hut  und  führte  sie  zum Wagen. 

»Wo darf ich Sie hinbringen?« »Bitte nicht nach Hause. Ich muß erst etwas finden, wo 

wir hin können. Es wird sehr schwer sein«, sagte sie. »Wie sieht es mit Geld aus?« erkundigte er sich. Sie zog die Schultern hoch. »Mein Mann war nicht versichert.« »Dann  freut es mich um  so mehr,  Ihnen mitteilen zu 

können,  daß  sein  Leben  mit  fünfundzwanzigtausend Dollar versichert war.« 

»Ist das wahr?« Sie blickte ihn fassungslos an. »Ja.« Er  reichte  ihr die Police, und dann  hörte  er  sie 

sagen: »Aber  das  nützt  ja  alles  nichts.  Man  wird  es  als 

Selbstmord auslegen, und dann bekomme ich nichts.« »Auch  bei  Selbstmord  wird  ausgezahlt.  Allerdings 

etwas später. Aber es war kein Selbstmord. Ihr Mann ist 

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ermordet worden.« »Aber  wer  sollte  denn  ein  Interesse  an  seinem  Tod 

gehabt haben?« »Ich bin eben dabei, das festzustellen, Mrs. Royster.« »Ich  kann  mir  wirklich  nicht  vorstellen,  wer  ein 

Interesse an seinem Tod gehabt haben sollte.« »Der Mörder hat vielleicht gar kein  Interesse am Tod 

Ihres Mannes gehabt.« »Sie meinen –« »Ja,  ich  meine,  daß  Gary  Royster  zufällig  mit 

gestorben  ist.  Der  Mörder  hat  einen  anderen  treffen wollen.«  Es war spät in der Nacht, als Eliot Ness nach Hause ging. Er  hatte  seine  Wohnung  drüben  in  Westchester aufgesucht,  stand  am Wohnzimmerfenster  und  blickte auf das Gewirr der  niedrigen Dächer, die  hier  vor  ihm lagen. Vergeblich hielt er Ausschau nach seinem Freund, dem  schwarzen Kater vom Hinterhof, der  ihn  sonst um diese  Nachtstunde  zuweilen  besuchte  und  auf  sein Schälchen Milch wartete. 

Da läutete es an der Tür. Eliot  ging  in  den  Flur  und  blickte  in  die  raffiniert 

angebrachte Spiegelanlage. Wie groß war seine Überraschung, als er Meta Lowell 

erkannte.  Er  öffnete die  Tür  einen  Spalt,  blickte  in  den Korridor und ließ die Frau dann eintreten. 

»Entschuldigen Sie, Mr. Ness, daß  ich  so  spät  störe«, stieß die junge Frau hastig hervor. 

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»Würden  Sie  mir  wohl  sagen,  woher  Sie  meine Adresse haben?« 

»Nein, das kann  ich nicht sagen. Es hat mich hundert Dollar gekostet.« 

»Donnerwetter, wer verdient denn so gut an mir?« »Ich kann es  Ihnen nicht sagen. –  Ich bin gekommen, 

weil ich in Todesangst lebe.« »Ach, und weshalb?« »Weil  ich  weiß,  daß  man  mir  nach  dem  Leben 

trachtet.« Eliot  ließ  sie  vorbei  in  die Wohnstube  und  bot  ihr 

einen Sessel an. Aber Meta Lowell blieb stehen. Sie hatte beide Hände  ineinandergekrallt, und  ihre Augen hingen in fiebrigem Glanz an dem kantigen Gesicht des Mannes. 

»Ich werde verfolgt!« ächzte sie. »Und wissen Sie auch, von wem?« Da nickte sie hastig. »Sie müßten mir schon seinen Namen nennen.« »Sie kennen ihn?« »Dooley?« »Ja, Dooley.« »Aber ich dachte – er wäre Ihr Freund.« »Das war einmal, und zwar nur, um sich durch mich 

ein  paar  zusätzliche  Dollars  zusammenzukratzen.  Er verdient  doch  nicht  genug.  Er  ist  ein  ganz  unfähiger Anwalt.  Die  drei  Sachen,  die  er  für  mich  hatte durchboxen  sollen,  sind  alle  in  die  Brüche  gegangen. Und  dann  habe  ich  ihm  eine  Menge  Aufträge  von 

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Bekannten zugeschustert, die er sämtlich verloren hat. Er taugt überhaupt nichts.« 

»Aber wie  kommen  Sie dazu, daß  er  Ihnen plötzlich nach dem Leben trachten soll, wo er doch eigentlich allen Grund  haben  müßte,  froh  zu  sein,  eine  wohlhabende Frau zu kennen?« 

»Das  ist es  ja eben. Er hat von Anfang an vorgehabt, mich umzubringen.« 

»Weshalb denn?« »Das weiß ich nicht. Vielleicht – vielleicht bin ich ihm 

im Weg.« »Wieso hat es für ihn irgendwelche Vorteile, wenn Sie 

sterben würden?« »Das weiß ich ja eben nicht«, hechelte die Frau erregt. »Glauben Sie nicht, Miß Lowell, daß Sie sich da etwas 

einbilden?« »Dooley ist eine Bestie«, stieß sie mit belegter Stimme 

hervor. »Merkwürdig«, versetzte Ness, »daß Sie das plötzlich 

entdecken.« »Ich weiß es schon lange.« »Und weshalb waren Sie hinter ihm her?« »Ich war nicht hinter ihm her. Er war hinter mir her.« »Eigenartig. Wenn  ich  so  etwas weiß,  dann  hüte  ich 

mich doch, einen Mann seiner Frau wegzunehmen.« »Pah, ich habe ihn doch seiner Frau nicht wegnehmen 

müssen. Er hat  ja überhaupt kein  Interesse mehr an  ihr. Das war doch keine Ehe.« 

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»Meistens  ist das  für einen Außenstehenden ziemlich schwer zu beurteilen.« 

»Es  geht  jetzt  ja  um  etwas  ganz  anderes.  Ich  habe Ihnen gesagt, daß  ich mich durch  ihn bedroht  fühle. Sie müssen ihn festnehmen.« 

»Das ist nicht so einfach, Miß Lowell.« »Ich verlange es aber!« »Da verlangen Sie zuviel.« »Na, hören Sie! Wozu ist denn die Polizei da, wenn sie 

einen  nicht  schützen  kann?  Ich  möchte  bloß  wissen, weshalb wir  die  vielen  Steuern  zahlen,  und  doch wird niemals  etwas  getan,  wenn  ein  Bürger  in  Gefahr  ist. Müssen wir denn erst alle sterben, bis ihr wach werdet?« 

Diese  Beleidigung  prallte  von  dem  Inspektor  ab wie Wasser von einer Ölhaut. Er war es nachgerade gewohnt, solche Kränkungen hinzunehmen. Um so verblüffter war er, als sie plötzlich dicht an ihn herantrat, ihren Kopf hob und ihm ihr zweifellos hübsches Gesicht entgegenhielt. 

»Der  Preis,  den  Sie  für  Ihre  Hilfe  fordern,  soll  mir nicht zu hoch sein«, flüsterte, sie, 

Sanft  schob  er  sie  von  sich.  »Geben  Sie  sich  keine Mühe, Miß Lowell. Es wird ohnehin alles getan, was für Ihre Sicherheit erforderlich ist.« 

»Ich kann  jeden Preis bezahlen«, entgegnete sie giftig, »ich bin wohlhabend genug, glücklicherweise. Und wenn das Geld nicht genügt, so werde ich auch –« 

»Ich  habe  Sie  schon  verstanden«,  unterbrach  er  sie schroff. »Aber Sie überschätzen sich da.« 

Flammende Zornesröte übergoß ihr Gesicht. 

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»Was  denn?  Wollen  Sie  armseliger  G‐man  etwa behaupten,  daß  Sie  eine  so  große  Auswahl  in  Frauen hätten? Das  können  Sie mir  doch wohl  nicht  im  Ernst erzählen.  Wer  wird  sich  denn  schon  um  einen Mörderjäger  reißen,  der  lumpige  tausend  Bucks  im Monat zusammenschustert?« 

Eliot  Ness  senkte  den  Kopf.  Diese  Kränkung  war wirklich  etwas hart. Ganz  von der Tatsache  abgesehen, daß er nur einen Bruchteil dessen verdiente, was  sie da eben erwähnt hatte. Dieses Luxusweibchen hatte ja nicht die mindeste Ahnung  von  seinem  Job  und  von  dessen Bezahlung. 

»Tun Sie mir den Gefallen, Miß Lowell, und lassen Sie mich jetzt allein. Ich habe noch zu arbeiten.« 

»Ich  denke  nicht  daran.  Erst will  ich  von  Ihnen  die Versicherung, daß Dooley festgenommen wird.« 

»Ich  habe  Ihnen  schon  auseinandergesetzt,  daß  das nicht so einfach ist. Ich brauche einen Grund, um irgend jemanden  festzunehmen.  Ich  kann  keine  willkürlichen Verhaftungen vornehmen.« 

»Ach, ihr verhaftet doch sonst Gott und die Welt. Nun haben Sie sich bloß nicht so.« 

Da entgegnete er mit schneidender Schärfe: »Sie  irren, Miß Lowell! Niemand wird  ohne  triftigen 

Grund verhaftet. Und jetzt muß ich Sie bitten, zu gehen!« »Soll das ein Rausschmiß sein?« »Es  ist mir  egal, wie  Sie  es  auffassen.  Ich  habe  jetzt 

keine Zeit mehr für Sie.« »Das  werde  ich  mir  merken.  Aber  Sie  können  sich 

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darauf verlassen, daß  ich schon anderwärts Hilfe  finden werde. Schließlich bin  ich nicht auf Sie angewiesen.  Ich habe ja letztlich…« 

»… etwas zu bieten, ich weiß«, unterbrach er sie kühl und führte sie zur Tür.  

*  Ein  neuer  Tag  war  über  der  Millionenstadt heraufgezogen.  Ein  Tag,  der  wie  aus  buntem Seidenpapier geschnitten zu sein schien. Wolkenlos und azurfarben schimmerte der Himmel, und die Sonne warf ein rotgoldenes Licht in die morgendlichen Straßen. 

Eliot  Ness,  der  schon  sehr  früh  aufgestanden  war, hatte  nur  kurz  sein  Bureau  aufgesucht,  um  die notwendigsten  Akten  und  die  Post  zu  sichten.  Dann hatte er sich seinen Wagen geholt und war nach Buffalo Grove gefahren. Er hielt vor dem Parktor der Astors und wartete, bis ihm geöffnet wurde. 

Der Butler trat ihm am Haus entgegen und blickte ihn aus schiefergrauen Augen an. 

»Sie wünschen?« »Ich möchte mit Miß Astor sprechen.« »Das geht nicht. Miß Astor spielt Tennis.« »Ich muß Sie trotzdem bitten, sie für ein paar Minuten 

herzuholen.« »Das ist nicht möglich. Sie ist in einem Match.« »Und wo spielt sie?« 

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»Hinterm Haus  auf  dem  Platz.  Aber  da  können  Sie nicht hin.« 

Eliot wandte sich ab, ging um das Haus herum, hatte kaum  die  erste  Ecke  erreicht,  als  plötzlich  ein  großer Schäferhund vor ihm auftauchte. 

Wenn es einen Hund gab, den der Inspektor schätzte, und der ihm auch Respekt einzuflößen vermochte, dann war es diese Sorte deutscher Schäferhunde. Das Tier war groß,  hatte  einen dunklen Rücken,  einen dunklen Kopf und  einen  dunklen  Schwanz.  Hoch  waren  die  großen Ohren aufgestellt, und  seine Augen blickten dem Mann wach entgegen. 

Eliot  hatte  kein Glied  gerührt. Als  er  jetzt die  rechte Hand etwas anhob, begann der Hund  leise zu knurren. Da hörte der G‐man Schritte hinter sich, wandte sich um und sah den Diener auftauchen. 

»Ich habe Sie ja gewarnt.« »Nehmen Sie das Tier zurück.« »Ich denke nicht daran.« »Nehmen  Sie  das  Tier  zurück!  Sonst  muß  ich  mir 

meinen Weg mit Gewalt bahnen.« »Was fällt Ihnen ein, Inspektor, wie kommen Sie dazu 

–« Da setzte der Hund plötzlich zum Sprung an. Er  flog 

förmlich  in  die  Luft  und  wäre  ganz  sicher  gegen  den Inspektor geprallt, wenn der stehengeblieben wäre. Statt dessen prallte das Tier gegen den Butler, der hinter Eliot Ness gestanden hatte. 

Sofort warf sich der Hund herum. 

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Eliot hatte die Schußwaffe gezogen, aber er wußte den Hund  auch  so  abzuwehren. Nicht  umsonst  hatte  er  in Denver  mehrere  Jahre  auf  der  FBI‐High  School  alle Abwehrarten  gründlich  erlernt. Aber mit diesem Hund war  es  schwer.  Er  hatte  offensichtlich  die  allerbeste Dressur genossen. 

»Bill!« kam da  eine Frauenstimme von der Rückseite des Hauses her. 

Eliot  sah  Ginger  Astor  auftauchen.  Sie  trug  den weißen Tennisdreß; das kurze, enganliegende Polohemd, den  sehr  kurzen weißen  Faltenrock, weiße  Socken mit roten und blauen Ringen und weiße Tennisschuhe. In der linken Hand hielt sie noch das Racket. 

Mit  federndem Schritt kam sie auf das Tier zu, nahm es am Halsband und winkte dem Diener. 

»George, führen Sie Bill weg.« Solange sie den Hund hielt, war er still. Als der Diener 

ihn aber am Halsband hatte, begann er wieder gefährlich zu  knurren.  George  hatte  alle  Mühe,  das  Tier wegzubringen. 

Ginger Astor lehnte sich gegen die Holzkaros, die das Spalierobst am Haus stützten, nahm den linken Fuß hoch und  setzte  ihn  auf  eine  der  grün  gestrichenen Holzleisten. 

»Na, Inspektor, hatten Sie Sehnsucht nach mir?« Eliot blickte sie nachdenklich an. Sie war wirklich eine 

hübsche  junge  Dame,  gut  gewachsen,  besser  noch  als Meta  Lowell,  und  ihr  Gesicht  war  noch  eine  Spur herausfordernder.  Die  Stirn  war  glatt,  und  das  Haar 

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sprang  in messerscharfem Ansatz daraus hervor. Es sah sehr hübsch aus.  Ihre Augen waren groß, und die Lider wirkten  etwas  schwer,  was  ihrem  Gesicht  einen  leicht melancholischen Ausdruck gab und  ihre Schönheit noch unterstrich.  Feingeformt war  die Nase,  und  die  Lippen schienen  von  einem  griechischen  Bildhauer  geformt worden zu sein. Das Kinn war nicht zu stark ausgeprägt und ließ das Gesicht nicht zu rund aussehen. Wie sie jetzt da  stand  in  ihrem  Tennisdreß,  hätte  sie  hübscher  gar nicht aussehen können. 

Ob sie es wußte? Zweifellos wußte sie es. Es war ihr ja direkt anzusehen, daß sie sich der Wirkung bewußt war, die sie auf Männer ausübte. 

»Sind Sie immer noch nicht weitergekommen?« »Leider nicht.« Plötzlich  stieß  sie  sich von den Spalierobsthölzern ab 

und  ging  an  ihm  vorbei,  machte  ein  paar  Schritte vorwärts,  federnde,  leichte,  sportliche  Schritte,  blieb dann  stehen  und  wandte  den  Kopf  über  die  Schulter zurück. 

»Kommen  Sie mit?  Ich möchte  Sie  auf  ein Glas  Tee einladen.«  Ohne  seine  Antwort  abzuwarten,  ging  sie vorn  ums  Haus,  drückte  dem  verblüfften  Butler  das Racket  in die Hand und  ging  quer durch die Diele  auf eine große Tür zu, die sie öffnete. 

»Kommen Sie«, sagte sie und deutete auf eine elegante französische Couch, »setzen Sie sich.  Ich werde den Tee bestellen.« 

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Sie  zog  an  einer  altmodischen  Klingelschnur  und meinte lachend: 

»Ich hasse den neumodischen Kram, wissen Sie. Mein Vater auch, wir hätten das sonst abgeschafft.« 

Ein  blondgelocktes,  puppiges  Mädchen  tauchte  im Türspalt auf. Ginger Astor gab  ihm den Auftrag, Tee zu bringen.  Sie  selbst  kam  zurück  und  setzte  sich  auf  die Armlehne eines der mit olivfarbenem Plüsch bezogenen schweren  Sessel.  Sie  hatte  die  Beine übereinandergeschlagen, stützte die Ellbogen hinten auf die  Sessellehne  auf  und  blickte  den  Mann  mit  ihren großen Augen, die eine ganz kleine Spur traurig wirkten, forschend an. 

»Ist es nicht langweilig?« »Was?« »Beim FBI.« »Weshalb?« »Ich weiß nicht.  Ich stelle es mir  furchtbar  langweilig 

vor.« »Weshalb denn?« »Das kann  ich nicht erklären. Sagen Sie mir, weshalb 

Sie gekommen sind?« »Ich  dachte,  daß  Sie  mir  vielleicht  etwas  zu  sagen 

hätten?« »Ich?« Sie  beugte  sich  vor,  nahm  ihre  feingeformten 

elfenbeinfarbenen Hände zusammen und blickte ihn mit etwas schräggelegtem Kopf lächelnd an. »Wie meinen Sie das?« 

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»Es hätte ja sein können, daß Sie etwas Neues erfahren haben.« 

»Ich  habe  überhaupt  nichts  erfahren.  Alles, was  ich weiß, weiß ich von Ihnen.« 

»Sie  sind  also  von  Richard  Leester  eingeladen worden?« 

»Ja.« »Sie kannten ihn vom Tennisspiel?« »Nein. Ich kannte ihn durch Meta Lowell.« »Und Meta Lowell kennen Sie vom Tennisspiel?« »Nein.« Sie lächelte, »ich kenne sie aus dem Ruderclub 

Chicago East.« Womit  sich  die  jungen  Damen  der  sogenannten 

besseren  Gesellschaft  die  Zeit  nicht  alles  vertrieben! Tennis, Rudern, Reiten. Denn daß sie ritt, sah er an dem Foto,  das  links  über  dem  Sekretär  aus  uraltem Wurzelholz in einem ausgetrockneten Eichenkranz hing. Es zeigte sie im Sattel eines schwarzen Pferdes. 

Als der Tee gebracht worden war, nahm Eliot nur ein paar Schlucke und erhob sich dann. Die Frau blieb sitzen, Eliot ging auf sie zu und deutete eine Verbeugung an. 

»Vielen Dank für den Tee.« Als er sich abwenden wollte, hielt sie ihn am Arm fest. Eliot  hatte  das  Gefühl,  von  einem  elektrischen 

Stromschlag berührt worden zu sein. Er blickte über die Schulter zurück  in  ihr Gesicht. Sie hatte die Augen  jetzt voll  geöffnet  und  sah  ihn  aus  den  unergründlichen Tiefen ihrer Iris an. 

»Weshalb sind Sie gekommen, Eliot Ness?« 

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Wie genau sie seinen Namen kannte. »Ich dachte, Sie hätten vielleicht Angst.« »Angst –?« kam es verwundert zurück. »Hätte das nicht sein können?« »Weshalb sollte ich Angst haben?« »Weil mehrere Menschen,  die  auf  der  Party  waren, 

gestorben sind.« »Was habe ich damit zu tun?« »Ist es nicht möglich, daß der Mensch, der diese Leute 

umgebracht hat, eigentlich ganz jemanden anders treffen wollte?« 

Plötzlich  wich  die  Farbe  aus  ihrem  Gesicht.  Sie rutschte von der Sessellehne und richtete sich auf. Als sie jetzt vor  ihm stand,  fiel  ihm zum erstenmal auf, daß sie sehr  groß war.  Aber  er  überragte  sie  immer  noch  um Haupteslänge. 

Ganz dicht trat sie an ihn heran. »Sie meinen«, sagte sie, »daß derjenige, der das getan 

hat, gar nicht den Richtigen getroffen hat, ich meine, den, den er treffen wollte?« 

»Ist das nicht denkbar?« »Doch. Sie haben recht.« Unverwandt blickte sie ihn an. »Und weil Sie glaubten, daß ich vielleicht Angst hätte 

–« Der Mann  schwieg.  Er  senkte  seinen  Blick  in  diese 

merkwürdigen,  schönen  Frauenaugen,  die  eine Mischung  von  Grün  und  Grau  waren,  mit bernsteinfarbenen Pünktchen gesprenkelt. 

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Plötzlich richtete Ginger Astor sich auf die Zehen auf, und  Eliot  fühlte  ihre  kühlen  Lippen  auf  seinem Mund. Nur einen Herzschlag lang, dann ging sie auf die Absätze zurück, wandte  sich um und ging mit  ihrem  federnden Schritt  um  den  Sessel  herum,  blieb  hinter  der  großen Couch  stehen,  zog  ihren Zeigefinger  über  den weichen olivfarbenen  Stoff  und  sagte, während  sie  auf  die  Tür zum Nebenzimmer zuging: 

»Heute  abend  gehe  ich  zu Hidegota. Nichts  für  Sie, nicht wahr?« 

Er zog die Schultern hoch. »Ich weiß nicht.  Ich bin auch  schon dagewesen, aber 

ich habe wenig Zeit.« »Das  kann  ich  verstehen.  Es  muß  fürchterlich 

anstrengend  sein,  dauernd  hinter  all  den  Capones herzulaufen.  Wie  ist  das  eigentlich  mit  Richard Dillinger?« 

»Wie soll es mit ihm sein?« Ein winziges Lachen stahl sich um seine Mundwinkel. 

Er schüttelte den Kopf. Wie gut sie doch unterrichtet war, diese Ginger Astor. Aber die Leute  in der Stadt kannten ja alle die Stories von Al Capone und den Dillingers. Man hatte  ja  mehr  als  genug  darüber  in  den  Zeitungen veröffentlicht.  Nicht  zuletzt war  es Matherley,  der  die Menschheit  damit  unterhielt,  als  wäre  es  das Ergötzlichste, was es mitzuteilen gäbe. 

»Nur eines noch, Miß Astor«, sagte er, als er schon an der  Tür  zur  Diele  stand.  Sie  stand  drüben  an  der gegenüberliegenden Tür und blickte zu ihm hinüber. Das 

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Zimmer war sehr groß, und auf diese Entfernung wirkte sie auf einmal fast klein. 

»Wenn Sie irgend etwas in Erfahrung bringen, möchte ich Sie bitten, mich anzurufen.« 

»Das werde  ich  ganz  bestimmt  tun«,  sagte  sie.  »Ich hoffe, Sie bald wiederzusehen, Eliot Ness. So long.« 

Sie hatte etwas Männliches in ihrer Art, jetzt wurde es ihm deutlich. Irgendeine Spur von angenehmer Herbheit. 

Er  saß  schon  längst  wieder  in  seinem  Wagen  und kutschierte der City zu, als er immer noch den Hauch des seltsamen Parfüms verspürte, der ihm entgegengeströmt war, als sie ihn küßte. 

»Schiaparelli«, flüsterte er vor sich hin. Er hatte fast ein Dreivierteljahr  dazu  verwandt,  um  die Hautduftrichtungen kennenzulernen. Eigentlich weniger, um seiner damaligen Freundin Gil einen Gefallen zu tun, die  in der Parfümerie arbeitete, sondern weil es niemals schaden konnte, wenn ein FBI‐Mann sich da auskannte. Man  hatte  schon  auf  der High  School  oben  in Denver wöchentlich  mehrere  Stunden  Unterricht  in  den verschiedensten Gerüchen  durchzustehen,  so  daß  jeder G‐man sofort die verschiedensten Gerüche möglichst gut zu  unterscheiden  wußte.  Unter  Umständen  konnte  es nämlich  sehr  wichtig  sein,  sich  an  einen  bestimmten Geruch  zu  erinnern; wenn man  ihn  dann  nur  in  etwa beschreiben  konnte,  so  half  das  niemandem.  Es  gab verschiedene  Gasgerüche,  verschiedene  Gerüche  von Pulverarten;  auch  Brandgerüche  konnten  sehr verschiedenartig  sein und  auf die Ursache des Brandes 

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und auf den verbrannten Stoff hinweisen.  Eine  interessante  Frau,  diese  Ginger  Astor.  Wie  viele millionenschwere  Töchter  von  reichen  Vätern  gab  es doch in dieser großen Stadt. Bedauerlich, daß man selbst niemals  eine  solche  Frau  kennenlernte,  und  wenn  es einmal geschah, dann nur auf Fahndungen. Diese Ginger Astor  –  so  etwas  hätte man  sich  schon  gefallen  lassen können.  Wie  hinreißend  sie  den  flüchtigen  Kuß verschenkt  hatte,  spielerisch  wie  einen  ganzen  Strauß von Teerosen. 

Schade, das Burschikose, etwas Männliche gefiel  ihm nicht so gut. Aber sie gewöhnten es sich ja heute alle an, die  wohlhabenden  jungen  Damen,  die  nichts  als Zerstreuungen  suchten,  keine  Arbeit  kannten  und  nur den Freuden des Lebens nachjagten. Es war offenbar eine Mode, sich herb zu geben. 

Wie  anders  war  doch  die  Frau,  deren  Gesicht  jetzt plötzlich,  als  er  in  die  71.  Straße  einfuhr,  vor  ihm auftauchte. Es war ein etwas blasses Gesicht, nicht ganz oval,  aber  auch  nicht  rund,  in  dem  ein  wundervoll schimmerndes  großes  Augenpaar  stand.  Es  war  das schönste  Frauengesicht,  das  der  Norweger  jemals gesehen  hatte.  Umrahmt  von  vollen  schwarzblau schimmernden  Locken  und  verzaubert  von  einem Lächeln, das permanent  in den Winkel dieser herrlichen Augen zu stehen schien. Es war das Gesicht einer Frau, die einen Namen trug, den niemand ohne Scheu in dieser Stadt mehr aussprechen mochte: Dillinger. 

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Ruth  Dillinger,  vierundzwanzig  Jahre  alt, Chemielaborantin,  die  einmal  einen  Doktortitel  haben würde. Sie hatte mit den gefurchteren Dillingers bis auf ihren Namen wenig zu tun, das wußte er. Jedenfalls hatte er  nichts  anderes  herausbringen  können,  und  das  FBI hatte  sie  ziemlich  gründlich  untersucht. Auch  sie  hatte ihm  einmal  im Treppenhaus unten  in der Prairie  Street einen  Kuß  gegeben.  Wie  anders  hatte  es  ihn  damals erfaßt.  Glühende  Hitze  war  durch  seinen  Körper geströmt. Diese  faszinierende Frau vermochte er einfach nicht  aus  seinem  Gedächtnis  herauszubringen.  Im übrigen sorgten die Dillingers dafür, daß er ihren Namen nicht  vergaß.  Immer  und  immer  wieder  war  irgend etwas von  ihnen zu hören. Zwar wußte niemand genau, ob sie tatsächlich hinter dieser oder jener Sache steckten, aber ganz ähnlich wie bei Capone waren auch sie ständig im Mund der Bevölkerung. Wenn man sicher war, daß es kein  Coup  der  Capone‐Gang  war,  der  da  oder  dort stattgefunden hatte, dann tippte man sicher nicht falsch, wenn man sich an die Dillingers hielt. 

Eliot stieg aus dem Wagen und ging ins Haus der FBI‐Zentrale.  Unten  in  der  Vorhalle  kam  ihm  Cassedy entgegen. 

»Ich dachte, Sie wollten nach Buffalo Grove?« »Da komme ich eben her.« »Interessant. Ginger Astor hat eben angerufen.« »Wann?« »Vor fünf Minuten.« »Und?« 

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»Sie  wollte  sich  für  Ihren  Besuch  bedanken.  – Wahrscheinlich  vermutet  sie,  daß  Sie  durch  die  Stadt fliegen. Tja, ein G‐man muß eben vielseitig sein.« 

Eliot ging hinauf in sein Arbeitszimmer, und Cassedy folgte ihm. 

Während  der  Dicke  in  Hut  und  Mantel  auf  einem Hocker neben dem Schreibtisch Platz nahm, machte sich Eliot daran, die zweite Post durchzusehen. Dann griff er nach der roten Akte und zog die Brauen zusammen. 

Giftmord in Cicero!, Eine  zweiunddreißigjährige  Frau  war  in  ihrer 

Wohnung  vergiftet  worden,  genauer  gesagt,  in  ihrem Apartment.  Es  handelte  sich  um  eine  Juwelierin,  eine Frau, die ihren Mann schon vor zehn Jahren verloren und seine  große  Edelsteinschleiferei  geerbt  hatte.  Ihr Mann, ein  Holländer,  war  damals  in  dunkle  Geschichten verwickelt  gewesen,  aus  deren  Verstrickungen  ihn  der Tod gelöst hatte. 

Cassedy, der seinen Chef eine Weile beobachtet hatte, meinte: 

»Die Mordkommission  hat  schon  angerufen,  ob wir uns darum kümmern wollten.« 

»Wir  lassen die  Finger davon«,  sagte Eliot,  »noch  ist das ja nichts für uns.« 

»Eben, das habe ich auch gesagt. Wir haben genug mit unserem eigenen Gift zu tun.« 

Es war einen Augenblick still, dann meinte der Dicke: »Ich soll Ihnen übrigens noch einen Gruß bestellen.« »Von wem?« 

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»Von Ihrem Freund Capone.« Da  blickte  der  Inspektor,  der  an  allerlei  Scherze  des 

Dicken gewöhnt war, denn nun doch auf. Cassedy zog die Schultern hoch. »Ja, er rief an.« »Sind Sie sicher, daß er es war?« »Ich  kenne  doch  seine  Stimme.  Schließlich  ist  die 

Schallplatte uralt, die wir da drüben haben.« »Das  ist  doch  nicht  Ihr  Ernst,  Pink«,  meinte  Eliot, 

während er sich erhob. »Kommen  Sie mit«,  brummelte  Cassedy  und  stapfte 

voran. Eliot folgte ihm in sein Zimmer, und dann hörte er die mitgeschnittene Aufnahme. 

»Hallo, sind Sie’s, Cass?« »Ja. Wer ist denn da?« »Capone.« Es  war  ganz  unzweifelhaft  die  Stimme  des  großen 

Gangsters. »Ist Eliot im Haus?« »Nein. Um was geht’s?« »Ich wollte  ihm nur sagen, er solle dafür sorgen, daß 

die  Dillingers  nicht  so  laut  werden.  Sonst muß  ich  es tun.« 

»Hören Sie, Mr. Capone, vielleicht sollten Sie das mal schriftlich einreichen.« 

»Sie sind ein Spaßvogel, Cass. Bestellen Sie Ihrem Boß einen  Gruß.  Könnte  sein,  daß  es  sonst  wieder  großen Ärger gibt.« 

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»Wenn’s Ärger gibt, Mr. Capone, dann verursacht ihn meistens der gleiche Mann in Chicago.« 

»Geht das auf mich?« »Sie merken aber auch alles.« »Ach, hol Sie der Teufel!« Ein hartes Knacken beendete das Gespräch. Cassedy blickte seinen Chef von der Seite an. Der fuhr 

sich  nachdenklich mit dem Handrücken über das Kinn und warf dann einen Blick auf die Wanduhr. 

Wenige Minuten nach halb elf. Was  hatte  dieser Anruf  zu  bedeuten?  Ein Mann wie 

Capone tat nichts ohne Grund. »Da  steckt  irgendeine  Schweinerei  hinter«,  meinte 

Cassedy, während  er  sich  eine  Zigarre  anzündete  und seinen Mantel auszog. 

»Wo wollten Sie übrigens hin, Pink?« »Wohin schon? In die Silver Street!« »Und?« »Mit den Boys sprechen. Ich möchte wissen, ob Leute 

von der Leibgarde Capones abrücken.« »Das  ist  gut.  Vielleicht  hätte  man  mit  George  oder 

Fregers telefonieren können.« »Habe  ich  schon  getan.  Fregers  ist  nicht  da,  und 

George weiß noch nichts.« »Das  ist  auch  eigentlich  noch  etwas  früh.  Es  ist  gut, 

gehen Sie los. Sie können mich anrufen.« »Sie sind also hier?« »Vorerst ja.« 

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»Das dauert bei Ihnen doch nicht allzulange. Aber da Sie  so  wenig  wie  ich  wissen,  wo  wir  unseren  Freund Richard Dillinger  finden können, werden Sie wohl oder übel heute hier angeleimt bleiben.« 

»Da bin ich noch gar nicht so sicher, Pink.« Cassedy blickte seinem Boß hinterher und machte sich 

dann auf den Weg in die sogenannte Silver Street, wo der große Block  lag, der allgemein als Al Capones Residenz angesehen wurde.  Er wurde  Tag  und Nacht  von  neun sich ständig abwechselnden G‐men bewacht.  Was  hatte  der Anruf Capones  zu  bedeuten? Zweifellos steckte  irgend  etwas  dahinter.  Vielleicht  wollte  der Banden‐Chef  sich  schon  vorher  rückversichern  und  die Sache den Dillingers in die Schuhe schieben. 

Damned, wenn man nur irgendeinen greifbaren Faden in  der  Hand  hätte,  der  zu  diesem  Richard  Dillinger hinführte.  Warum  war  es  nicht  möglich,  selbst  die Verbrecherbanden  gegeneinander  auszuspielen,  um  am Ende  über  die  Dillinger‐Gang  auch  den  berüchtigten Syndikatchef Alfonso Capone zu stellen? Er müßte ihnen irgendwie auf den Leim und dann  ins Netz gehen, aber statt  dessen  zog  Al  Capone  die  Fäden  und  hetzte geschickt FBI und Dillinger‐Gang aufeinander. Nun gut, das  FBI  würde  bei  der  Auseinandersetzung  nicht  den Kürzeren  ziehen,  aber  es war  irgendwie  beunruhigend zu  wissen,  selbst  nur  ein  Spielball  im  teuflischen Geheimplan  des  größten  der  Verbrecher  zu  sein. Was mochte Al Capone wirklich  im Schilde  führen? Das war 

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die eigentliche Frage, die ihn bewegte, aber er mußte sich jetzt auf Dillinger konzentrieren. 

Ruth! Wieder stieg  ihr Gesicht vor  ihm auf. Er mußte sich  hart  auf  seine Arbeit  konzentrieren,  um  nicht  der Versuchung  nachzugeben, Hut  und Mantel  zu  nehmen und zu  ihr zu  fahren. Mit  ihr zu sprechen. Aber war er denn  sicher,  ob  es  nicht  nur  ein  Vorwand  war,  sie wiederzusehen? Sie wußte doch nichts von Ric, das hatte sie ihm mehrfach gesagt. Well, sie war weitläufig mit ihm verwandt, aber sie wußte nicht, wo er sich aufhielt. 

Eine Dreiviertelstunde  später  schlenderte  er über die linke Straßenseite der breiten Harlem Avenue am Rand des  Lyons  Park  entlang  und machte  in  der Nähe  eines Kiosks halt, der noch vor einigen Tagen geschlossen war. Hier  hatte  er  vor Wochen  den  Hehler  gestellt,  der  an einem schweren Verbrechen beteiligt gewesen war. Und in diesem Kiosk hatte auf einem leeren Limonadenkasten ein Mann gesessen, den er für Richard Dillinger hielt. 

Es war sinnlos, den Weg hier heraus zu machen, denn damals  war  alles  aufgeflogen,  und  selbst  wenn  der Anführer der Dillinger‐Gang hier  in der Gegend  gelebt hatte, würde er sich hüten, sich noch einmal hier blicken zu lassen. 

Der  FBI‐Agent  hatte  den  Kiosk  jetzt  erreicht,  warf einen  Blick  auf  die  vielen  bunten Zeitschriften,  die mit Klammern  in  langen Reihen  ausgehängt waren und bis zur  Erde  hinunterreichten,  blickte  dann  auf  die  etwas intimere Literatur, die  vorn unter Glas  lag, und  stützte sich  auf  das  Rahmenholz  auf,  um  einen  Blick  in  das 

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Gesicht  des  Mannes  zu  werfen,  der  mit  qualmendem Zigarrenstrunk  hinter  dem  Glas  stand  und  damit beschäftigt war, einen Zeitungspacken aufzuschnüren. 

»Ich hätte gern eine ›Chicago Post‹.« »Die  ist  ausverkauft,  Mister.  Da  müssen  Sie  heute 

abend  wiederkommen.  Nehmen  Sie  die  ›News‹,  die kommt  immer  in  größerer  Auflage,  und  es  steht bestimmt auch alles drin.« 

Das war Matherleys Zeitung. Er würde den Teufel tun, dem Kerl auch noch sein Geld in den Rachen zu werfen. Er wußte jedoch genau, daß er wieder rückfällig werden würde,  wenn  es  darauf  ankam,  denn  wenn  man  gut informiert  sein wollte  in Chicago, dann mußte man die »Chicago News« lesen. 

»Nein, danke. – Sind Sie der neue Pächter?« »Sind Sie von der Polizei?« entgegnete der Mann mit 

seinem Zigarrenstrunk, während  er  den Kopf  hob  und Eliot aus verschleierten grauen Augen anblickte. 

Der Inspektor nickte. Da  schob  der  andere  den  Strunk  von  einem 

Mundwinkel in den anderen und krächzte: »Ja, ich bin der neue Pächter. Was ist los?« »Haben  Sie  keine  andere  frische  Zeitung  als  den 

›News‹?« »Doch,  aber  nur  das  Käseblatt  von  Steen.  Den 

›Chronicle‹,  diese  Großmutterzeitung,  und  dann natürlich  noch  das  andere  Geschmiere.  Elf  sind’s  im ganzen. Jedenfalls um diese Tageszeit, später kriegen Sie mehr.« 

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Ein  Mann  hatte  sich  neben  Eliot  aufgestützt  und meinte, auf einem Kaugummi herumkauend: 

»Man  sollte die  ›News‹  lesen. Es  ist die Zeitung der unteren  Millionen.  Jeder,  der  informiert  sein  will,  der liest  die  ›News‹.  Auch,  wenn  er  nicht  zur  Unterwelt gehört.« 

Eliot  lächelte, wandte dann den Kopf  – und glaubte, nicht  richtig  zu  sehen. Der Mann, der da  nur  eine Elle entfernt  von  ihm  auf  der  schrägen  Holzauflage  des Kioskes  lehnte,  hatte  ein  scharfgezeichnetes  Profil, dunkles  schwarzblaues  Haar  und  ein  quittenfarbenes Gesicht. Seine Augen waren dunkelblau und von langen Wimpern  umschattet.  Mephistophelisch  zog  sich  die linke Braue, die er  ja nur sehen konnte, da er den Mann vom  linken Profil  sah,  in die  Stirn. Das Haar wucherte weit über die Schläfe vor und zog sich bis zur Ohrmitte hinunter.  Der  Mann  trug  einen  schwarzen Sommermantel, dessen Kragen er hochgeschlagen hatte. Scharf  geschnitten  war  der  Mund,  der  einen  harten Willen andeutete, und vor allem das Kinn war sehr stark ausgeprägt  und  in  der  Mitte  gespalten.  Es  war  ein gutgezeichnetes  Männergesicht,  das  eindrucksvoll wirkte. Es war das Gesicht  jenes  jungen Mannes, den er damals  hier  im Kiosk  hinten  auf  der Kiste  hatte  sitzen sehen.  Das  Gesicht  des  Mannes,  den  er  für  Richard Dillinger gehalten hatte. 

Der andere wandte den Kopf und blickte ihn an. Man  konnte  erschrecken, wenn man  in  diese Augen 

blickte. Die  Iris war von einem dunklen Rand umgeben 

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und wurde zur Mitte hin auf eine seltsame Weise heller, so hell, daß  sie  am  Schluß wie  ein Aquamarin um den dunklen  schwarzen Punkt  flimmerte. Es war  etwas von dem  Blick  eines  Raubtieres  in  diesen  eindrucksvollen Augen.  Der  Mann  öffnete  die  Lippen,  und  eine ebenmäßig  gewachsene  weiße  Zahnreihe  kam  zum Vorschein. 

»Hallo,  haben wir  uns  nicht  schon  gesehen? Richtig, Sie  sind  der  G‐man,  der  damals  den  Alten  hier hochgenommen hat, stimmt’s?« 

Eliot blickte unverwandt  in diese Augen, dann hörte er sich wie mit einer Stimme, die aus weiter Ferne kam, sagen: 

»Und Sie sind Richard Dillinger.« Da lachte der andere. »Wie wäre es, wenn ich Sie für Eliot Ness hielte?« »Das wäre nicht einmal falsch.« Da  fuhr  sich der  andere mit dem Rücken der  linken 

Hand über  seine  linke Gesichtsseite bis zur Schläfe hin, führte  die  Fingerkuppen  der  gleichen  Hand  dann langsam über die Stirn. 

»Ja,  ich  bin  Richard  Dillinger.  Sind  Sie  jetzt  sehr erstaunt?« 

Eliot schüttelte den Kopf. »Nein.« »Und? Haben Sie einen Grund, mich zu verhaften?« »Wahrscheinlich  wird  es  mehr  als  ein  Dutzend 

Gründe geben, Richard Dillinger.« 

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»Nur  leider  haben  Sie  nicht  einen  einzigen,  der  eine Festnahme rechtfertigen würde.« 

Es stimmte  leider,  leider Gottes! Eliot hatte die Zähne fest  aufeinandergepreßt  und  blickte  gebannt  in  das Gesicht des anderen. 

Das war  also  der  junge Mann,  der  aus  dem Wilden Westen  gekommen war, wie  es  in  den Zeitungen  hieß. Matherley  war  auf  diesen  Dreh  verfallen.  Stimmte  ja auch, denn er kam aus St. Louis, war hier nach Chicago gefahren, und hatte sich auf irgend eine Weise mit jenem Frank  Dillinger  zusammengetan,  der  sein  Vetter  war, und der nach dem Überfall  auf die Bank Capones ums Leben gekommen war. 

Richard  Dillinger  öffnete  seinen Mantel,  griff  in  die Reverstasche und zog eine lange Zigarette heraus, die ein Pappmundstück  hatte,  das  er  zweimal  kniff  und  sich dann  zwischen  die  Zähne  schob.  Das  Zündholz  riß  er unter  dem Holz  der  Kioskbank  an,  brachte  es  vor  die Zigarette und sog die Flamme in die Fäden. 

»Ist eine russische. Feine Sorte. Wollen Sie auch eine?« Der Inspektor schüttelte den Kopf. Da  warf  Dillinger  ein  Zehncentstück  auf  das  leicht 

gebogene, abgewetzte Glas, das vor dem kleinen Fenster des Kiosk lag: 

»Die ›Chicago News‹.« Der Pächter nahm ein Exemplar von dem neuen Stapel 

herunter und reichte  ihm die druckfeuchte Ausgabe mit zitternder  Hand.  Das,  was  sich  da  vor  seinem  Kiosk abspielte, benahm einem den Atem. 

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Eliot  Ness  und  Ric  Dillinger!  Das  war  brisant. Wie ruhig  die  beiden  miteinander  sprachen,  direkt unheimlich. 

Ric Dillinger  schob die Zeitung  zusammengefaltet  in die Manteltasche. 

Dann paffte er eine große Wolke vor sein Gesicht und machte  ein paar  Schritte  auf die  Straße  zu. Da  blieb  er noch  einmal  stehen,  schob  die  Hände  tief  in  seine Manteltaschen und wandte den Kopf dem Inspektor zu. 

»Hat mich  gefreut, Eliot Ness. Wenn  ich mal  Sorgen habe, werde ich mich an Sie wenden.« 

»Augenblick«, meinte der  Inspektor und kam auf  ihn zu. 

Er  war  ziemlich  groß,  der  Mann  aus  dem  Wilden Westen,  nur  knapp  anderthalb  Inches  kleiner  als  der riesige Norweger  selbst. Eliot blieb vor  ihm  stehen und heftete  seinen  Blick  fest  auf  die  Chamäleonaugen  des anderen, deren Farbe sich unentwegt zu ändern schien. 

»Ich weiß nicht, was Sie vorhaben, Ric, und ich möchte Ihnen auch keine Ratschläge geben –« 

»Das habe ich auch nicht von Ihnen erwartet. Weil Sie nämlich genau wissen, daß es nichts nützen würde.  Ich bin nicht der Mann, für den Sie mich halten.« 

»Ich  halte  Sie  für  gar  nichts,  Richard  Dillinger.  Ich wollte  Ihnen  nur  etwas  sagen:  Es  wäre  für  Ihre Gesundheit  ganz  bestimmt  sehr  viel  besser,  wenn  Sie Ihren kleinen Koffer wieder packen würden, um zurück nach St. Louis zu fahren.« 

»Ah, und weshalb?« 

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»Weil  es  sein  könnte,  daß  es  hier  in  der  Stadt  einen Mann gibt, dem Sie nicht gefallen.« 

»Ah,  etwa  ein  gewisser  Eliot  Ness?«  fragte  er  und hatte ein zynisches Lächeln um die Mundwinkel. 

Eliot schüttelte den Kopf. »Ich würde mich an zweiter Stelle nennen, Ric.« »Ah, dann bin ich im Bilde. Vielen Dank auch für den 

Tip«,  sagte  er  rauh  und  hob  grüßend  zwei  Finger  der rechten  Hand.  Dann  schlenderte  er  davon,  mit  einem federnden Raubtierschritt, der  typisch  für  ihn war. Eine lange Tabakwolke zog über seine schwarze Schulter wie ein Nebelschal hinter ihm her. 

Eliot  blickte  ihm  eine Weile  nach, wandte  sich  dann zurück zum Kiosk und  fragte den Händler, der zitternd versuchte,  noch  einen  letzten  Zug  aus  seinem Zigarrenstrunk zu machen: 

»Kommt der öfter?« »Es geht.  Ich habe  ihn  erst  ein paarmal gesehen. Ein 

Spaßvogel. Er ist natürlich nicht Ric Dillinger.« »Wissen Sie, wo er wohnt?« »Keine Ahnung.« Eliot  Ness  folgte  dem  unheimlichen  Mann  im 

schwarzen Mantel. Und er merkte bald, daß der andere wußte, daß er beobachtet wurde. Von diesem Augenblick an war es Eliot Ness klar, daß es keinen Sinn hatte, ihn zu beschatten.  Der  Bursche,  würde  ihn  kreuz  und  quer durch die ganze Stadt führen, und höchstwahrscheinlich machte  es  diesem  diabolischen  Menschen  das  größte 

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Vergnügen,  seinen  schärfsten Widersacher  an der Nase herumzuführen. 

»Den Spaß werde ich dir nicht machen, Junge.« Der Inspektor ging zurück zum Lyons Park, blieb auf 

der anderen Seite der Harlem Avenue stehen und fixierte nachdenklich  den  Kiosk.  Plötzlich  setzte  er  sich  in Bewegung, überquerte den Fahrdamm und  stand  einen Augenblick  später  vor  dem  Kioskpächter.  Erschrocken blickte der in das Gesicht des Polizeioffiziers. 

»Schließen Sie den Laden.« »Weshalb denn?« »Weil ich es Ihnen sage.« »Verdammt,  ich  habe  wohl  gehört,  wer  Sie  sind, 

Inspektor,  aber  trotzdem  brauchen  Sie  sich  nicht einzubilden,  daß  wir  hier  alles  tun  müssen,  was  Sie sagen. Well, ich weiß, daß Sie ein scharfer Wolf sind und –« 

»Halten  Sie keine Vorträge, Mann.  Schließen  Sie den Laden!« 

Der Händler  zerquetschte  einen  Fluch  zwischen  den Zähnen  und  machte  sich  dann  daran,  die  Rolläden herunterzulassen.  Er  holte  die  Zeitungen  herein,  stellte die  Stangen  mit  den  Auslagen  nebeneinander  an  die Rückwand des Kiosks und schob dann die Kasse in eine rindslederne Aktentasche. 

»Und was jetzt?« »Sie  werden  jetzt  mit  zur  nächsten  Polizeiwache 

kommen.« 

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»Das  ist  doch  nicht  Ihr  Ernst.  Was  habe  ich  denn getan?« 

»Es geht um Ihre eigene Sicherheit.« »Das ist doch wohl ein Witz. Was haben Sie vor?« Eliot brachte ihn zur nächsten Polizeiwache. Dann rief 

er George an, der in der Silver Street Telefonwache hatte. »Hallo,  Boß,  was  ist?«  kam  die  Stimme  des  G‐man 

zurück. »Sagen Sie  Inspektor Cassedy, daß  ich  ihn am Lyons 

Park erwarte. Sagen Sie ihm, vor dem Kiosk. Dann weiß er Bescheid.« 

»In Ordnung, Boß.« Eliot Ness rief am Oakwood Cemetery an und forderte 

Joseph Lock auf, das »Sonderkommando« mitzubringen.  Es dauerte nur zwölf Minuten, und der schwere Wagen mit Cassedy hielt vor dem Kiosk. 

Dann  dauerte  es  nur weitere  siebzehn Minuten,  bis auch das Sonderkommando auftauchte. 

Cassedy  blickte  den  Inspektor  aus  fragenden Augen an. 

»Was gibt’s?« Eliot berichtete von seinem Zusammentreffen mit dem 

Mann, den er für Richard Dillinger hielt. »Und? Haben Sie ihn laufen lassen?« Eliot zog die Schultern hoch. »Was hätten Sie getan?« »Ja,  natürlich.  Ich  hätte mir wahrscheinlich  von  ihm 

auch nicht die  Schönheiten unserer  Stadt  zeigen  lassen. 

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Dieser  Schurke weiß  schon, daß  er nicht  zu packen  ist. Aber es kommt die Stunde, dann –« 

»Überlegen Sie doch mal, Pink. Was sucht er hier?« »Wenn  ich  das wüßte.  Sie  haben  doch  damals  alles 

hier auf den Kopf gestellt.« »Das  ist  richtig. Aber vielleicht haben wir noch nicht 

genug auf den Kopf gestellt.« »Was soll das heißen?« »Ich will die Leute auffordern, den ganzen Boden da 

rauszureißen.« »Das  ist  doch  nicht  Ihr  Ernst?«  Eliot  schob  sich  den 

Hut aus der Stirn und nickte. »Doch. Es ist mein Ernst.« »Aber hören Sie, das wird einen Mordsskandal geben. 

Denken Sie nur an unseren Freund Matherley…« Das war es eben in diesem verfluchten Chicago: Wenn 

man irgend etwas versuchte, das nicht zum Erfolg führte, dann mußte man mit einem Riesentumult rechnen. Wenn anderwärts die Polizei einen ganzen Park oder ein Feld umgrub oder ein Haus auf den Kopf  stellte, dann  sagte niemand etwas, wenn nichts dabei herauskam. Aber hier in  Chicago  war  man  gleich  am  Schwarzen  Brett,  am Pranger  sozusagen. Matherley würde  nicht mit  seinem Spott hinterm Berg halten. 

»Trotzdem«,  sagte  Eliot  wie  zu  sich  selbst  und  gab dann Inspektor Lock seine Anweisungen. 

Joseph  Lock  machte  sich  daran,  seine  Leute  genau einzuteilen!  Das  Sonderkommando  hatte  Eliot  ihm unterstellt, weil er wußte, daß er sich auf Lock genauso 

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verlassen konnte wie auf seinen Vertreter Cassedy.  

Der ganze Boden des Kiosks wurde herausgenommen. Es war  eine Arbeit  von  einer  vollen  Stunde. Doch  der Erfolg  war  gleich  Null.  Die  Spezialisten  machten  sich bereits  daran,  die  Bretter wieder  einzusetzen,  als  Eliot sich an einen älteren Beamten namens Stone wandte, der Geologie studiert hatte, 

»Ist hier alles in Ordnung mit dem Boden?« »Wie meinen Sie das, Mr. Ness?« »Ich meine, kann hier nichts im Boden drin sein?« »Es kann überall etwas im Boden sein.« »Ist der Boden hier genauso wie draußen im Park?« »Nein, natürlich nicht.« »Wieso nicht?« »Na, da wird  immer Humus aufgeschüttet, damit die 

Pflanzen und die Blumen in Ordnung sind. Hier drin ist der  typische harte, schiefrige Sandboden, den man auch überall  anderwärts  in  der  Stadt  findet,  wenn  man  in kellerlosen Häusern den Boden herausreißt. Sie werden sich vielleicht an die Leiche drüben  in der Reeter Street erinnern –« 

»Ja.«  Eliot  erinnerte  sich  noch  an  den  grausigen Leichenfund  in  der  Reeter  Street,  wo  man  aus  dem schiefrigen  Sandboden  nur  zwei  Fuß  unter  dem Kellerzement  die  Leiche  einer  Frau  herausgeholt  hatte, die da schon monatelang gelegen haben mußte. 

In diesem Augenblick  zog der G‐man Bret  Stone die Brauen zusammen. 

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»Aber«, sagte er dann wie zu sich selbst – um wieder abzubrechen. 

»Was meinen Sie, Mr. Stone?« »Ja,  ich weiß  nicht, merkwürdig  ist  dieser  schwarze 

Schimmer  da  schon.«  Eliot  blickte  ihn  fragend  an.  Da bückte  sich  der G‐man  und  nahm  eine Handvoll  Erde hoch,  zerrieb  sie  zwischen  den  Fingern  und  ließ  sie wieder fallen. 

»Das  ist  der  quarzige  Boden,  der  eigentlich  ganze anderthalb Yard tiefer steckt.« 

»Wollen  Sie  damit  sagen,  daß  hier  anderthalb  Yard unter  dieser  schiefrig‐gelblichen  Schicht  schwarzer Boden ist?« 

»Ja. Das ist fast in ganz Chicago so, bis unten zum See hin. Da wird  es  dann  anders. Die Gesteinsformationen kommen ja sowieso tiefer.« 

»Graben!« Es war nur ein einziges Wort, das von den Lippen  des  Chef‐Inspektors  kam,  und  sofort  stemmten sich die Männer hinter  ihre Kurzspaten. Sie  schaufelten eine halbe  Stunde, drei Mann waren  schon  bis  auf den schwarzen Boden gekommen, aber ohne Erfolg. 

Da griff Eliot nach einer der Stichsonden, die draußen im  Spezialwagen  lagen,  und  führte  sie  an  mehreren Stellen in den Boden. 

Stone schüttelte den Kopf. »Da ist nichts.« »Tiefer graben«, befahl der Norweger. Sie gruben noch drei, vier Spaten  tiefer. Wieder ohne 

Erfolg. 

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»Ich könnte natürlich die Sonde auch schräg ansetzen, Inspektor«, meinte  Stone  da  und  schob  die  Sonde,  aus der  ein  Stahlstift  durch  einen  Draht  weit  vorgetrieben werden konnte, am Rand des Kiosk so in die Erde, daß er praktisch  jetzt  schon nicht mehr unter dem Fundament der Bude war. 

»Wie tief kann das Fundament sein?« erkundigte sich Eliot. 

»Einen Yard höchstens. Meistens wurden diese Dinger früher  auf noch kürzere  Sockel gestellt. Der Boden hält das schon. Er ist ja fest und –« Jäh unterbrach sich Stone. Er  senkte  den  Kopf,  schob  den  Stahlstift  noch  einmal durch  die  röhrenartige  Sonde,  und  dann  warf  er  den Kopf herum. 

Eliot blickte ihn gespannt an. Tiefe  Stille  herrschte  in  dem  engen  Raum. Alles  sah 

gebannt auf den Geologen. »Was  ist  los?«  knurrte  Cassedy  endlich,  der  in  der 

offenen Tür stand. »Da ist irgend etwas – wie Metall!« Es  dauerte  noch  vierzig Minuten,  bis  die  metallene 

Wand  eines Kastens  von  den  Spaten  freigelegt worden war und unten in dem tunnelartigen, etwas abgestützten Gang im Licht der Stablampen auftauchte. 

Es war eine schwarz geteerte Kiste, die dort unten im Boden lag. Mit Mühe nur konnte sie hochgezurrt werden. 

Vorsichtshalber  ließ  Eliot  Ness  die  Scharniere aufbrechen,  da  man  mit  Schlössern  schon  die unerfreulichsten  Überraschungen  erlebt  hatte:  Zwei  G‐

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men waren erst vor anderthalb  Jahren beim Aufbrechen von solchen Schlössern in die Luft gegangen. Ihre Gräber drüben auf dem Waldfriedhof zeugten davon. 

Es war eine schwere Arbeit, die starken Scharniere zu öffnen.  Als  das  geschehen  war,  sahen  sie  schwarzes Ölpapier durchschimmern. Es wurde herausgenommen, und  als Eliot Ness das Paket  aufmachte,  lagen vor  ihm Stapel von Banknoten. Banknoten mit großen Zahlen! 

Cassedy griff sofort zu, und er hatte noch schneller als Joseph Lock die Zahlenanfänge gefunden. 

»Die  Beute  aus  Capones  Buchmacherei!«  preßte  der Dicke erregt durch die Zähne. 

Also das war es, was Richard Dillinger immer wieder hierhertrieb.  Er  hatte  damals  bei  dem Hehler,  der  jetzt saß,  seine  Beute  hier  vergraben  können. Und  zwar  so, daß  sie  so  leicht niemand  fand. Er hatte  saubere Arbeit geleistet,  einen  kleinen Tunnel  in den Boden  getrieben, damit der Kasten mit der großen Beute nicht direkt unter dem Kiosk lag, sondern mehr daneben. Falls also irgend jemand mit Sonden senkrecht in den Boden stach, würde er niemals etwas entdeckt haben. Wäre nicht die winzige schwarze  Schimmerspur  auf  dem  gelbgrauen  Sand gewesen, so hätte man die Kiste wohl niemals entdeckt. 

Cassedy schüttelte den Kopf und ging hinaus.  Joseph Lock war neben ihm. 

»Es  ist nicht der schwarze Sand, der uns da hinunter geführt  hat«,  sagte  er,  während  er  sich  eine  Zigarre anzündete. »Er ist es: seine unheimliche Nase. Was sagen Sie überhaupt dazu, Joe?« 

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Joseph Lock, ein Mann von dreißig Jahren, ernst, hager und drahtig, nicht allzu groß gewachsen, eher untersetzt, meinte: 

»Was soll ich dazu sagen, Mr. Cassedy? Er ist einfach ein Phänomen.«  

*  Es war fast unfaßlich. So mal eben im Vorbeigehen hatte der  unheimliche  Norweger  die  große  Beute  der Dillingers entdeckt! Die vielen Banknotenbündel, die die neugegründete Dillinger‐Gang damals  vor Monaten  bei dem  unerhörten  Coup  in  der  Cicero  Avenue  aus  Al Capones Buchmacherei gestohlen hatte. 

»Das Tollste ist, daß wir diesem Gauner jetzt noch das Geld zurückgeben müssen«, meinte Cassedy. 

»Vielleicht ist es gar nicht das Dümmste«, meinte Eliot Ness, der den Kasten in seinem Wagen stehen hatte und mit Cassedy  in die Stadt gefahren war.  In der Nähe der Silver  Street  ging  er  in  eine  Telefonzelle  und  rief  die Nummer  an,  unter  der  er  Capones  Sekretär  erreichen konnte. 

Der war sofort am Apparat. »Was, Eliot Ness?« kam es stockend aus der Muschel. 

Die  Stimme  des  Italo‐Amerikaners  vibrierte  leise.  Eliot spürte, daß er die Sonde ein zweites Mal richtig angesetzt hatte. Es tat sich irgend etwas in der Capone‐Gang – und zwar heute. Nicht umsonst hatte Capone angerufen. 

»Ich hätte gern mal Ihren Boß gesprochen.« 

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»Der ist nicht zu sprechen.« »Vielleicht  ist  er  doch  zu  sprechen,  wenn  Sie  ihm 

sagen, daß ich ihm eine Freude machen kann.« »Das ist nicht Ihr Ernst, Ness.« »Sagen Sie ihm, daß es sich um Geld und Wertpapiere 

im Wert von fast einer Million Dollar handelt.« Zwar  war  Capone  ein  steinreicher  Mann,  dem 

sicherlich  nichts  fehlte,  aber  eine  Million  war  doch immerhin eine Summe,  für die sich auch ein Al Capone noch einmal umdrehte. 

Er war sofort am Apparat. »Was gibt’s, Eliot?« fragte er ohne Gruß. »Ich  dachte,  daß  Sie  sich  vielleicht  für  Ihr  Geld 

interessieren würden, Al.« »Für welches Geld?« »Für die Bucks, die  Ihnen  Ihr  lieber Freund Dillinger 

neulich aus der Kasse geholt hat.« »Wieso? Was ist mit dem Geld?« »Ich hab’ es.« »Wo?« »Hier bei mir.« »Sind Sie etwa verrückt?« »Noch nicht.« »Was  soll denn das heißen? Wollen Sie mir vielleicht 

erzählen, daß Ric Dillinger Sie zu dem Geld geführt hat?« »Genauso ist es.« »Hahahaha! Er schickt mir also meine Dollars zurück! 

Machen  Sie  sich  doch  nicht  lächerlich.  Ich  werde einhängen.« 

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»Augenblick  noch,  Al.  Ich  steige  jetzt  wieder  in meinen  Karren  und  komme  zu  Ihnen  hinausgefahren. Wir treffen uns an der gleichen Stelle wie damals, an dem kleinen  Laden, wo  ich  Sie mit  Ihrem  lieben Vetter  aus Iowa begrüßen konnte.« 

»Sagen Sie bloß, Sie bringen mir dann den Koffer mit dem Geld mit.« 

»Es  ist  eine  schöne  handliche  Kiste  aus  geteertem Eisenblech. Zwar ist sie etwas schwer, aber Sie sind ja ein ziemlich starker Mann. Kommen Sie also?« 

»Und ob ich komme! Aber wehe Ihnen, wenn Sie sich da eine Finte haben einfallen lassen!«  Er  kam.  Schnaubend  stand  er  da  und  starrte  auf  die Geldkiste. Er bückte sich nieder, griff mit beiden Händen hinein, wühlte das Geld durch und sprang dann wieder hoch. 

»Wo kommt das her?« »Meine Sache.« »He, ich könnte Sie verklagen! Vielleicht haben Sie den 

Kram an sich gebracht.« Der Norweger blickte ihn aus eisigen Augen an, »Ich will Ihnen etwas sagen, Al: Wir beide haben jetzt 

ein Geschäft gemacht.« »Wieso?« »Sie  hatten  ein  Ding  vor,  und  das  ist  jetzt  hier  die 

Bezahlung.« »Moment  mal.  Ich  bin  nicht  schwer  von  Begriff«, 

meinte der Gangster‐Chief, während  er mit dem Finger 

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seiner  linken Hand  der  ekelhaften Narbe  nachfuhr,  die sich von seinem Mundwinkel bis zur Schläfe hochzog. Es ging  etwas  Unheimliches  von  diesem  Mann  aus,  der selbst noch nach vielen  Jahren als der gefährlichste und infamste  Verbrecher  aller  Zeiten  angesehen  werden sollte. 

»Wir  haben  uns  schon  verstanden,  Capone: Hier  ist das Geld – und Sie werden nichts unternehmen.« 

Es war ein glatter Schuß ins Schwarze. Dabei war es doch nur ein kalter Bluff gewesen. Eliot 

Ness wußte gar nichts von dem, was Capone vorhatte. Er war  zwar  durch  den  Telefonanruf  auf  irgend  etwas aufmerksam  gemacht  worden,  aber  er  hätte höchstwahrscheinlich  alle  Hebel  in  Bewegung  setzen können, ohne auch nur eine Spur von dem zu entdecken, was  der  gerissene  Italo‐Amerikaner  vorhatte.  Die  vier Helfershelfer,  die  jetzt  hinter  Capone  in  der  Tür auftauchten,  bauten  sich neben  ihm  auf, und  einer  von ihnen, ein riesiger Mensch mit einem Gorillagesicht, griff nach der Kiste und nahm sie unter den Arm. 

»Ganz schön schwer, das Ding«, meinte er feixend. »Halt’s  Maul«,  rief  ihm  Capone  zu,  »verschwindet! 

Los!« Dann  nagte  er, wie  es  seine Art war,  auf  der  linken 

Seite seiner Unterlippe herum, kniff das linke Auge dabei zu,  legte  den  Kopf  etwas  auf  die  Seite  und  nickte schließlich. 

»Gut, Eliot Ness, diese Runde geht an Sie. Aber noch ist nicht aller Tage Abend.  Ich werde  ihn schon greifen, 

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verlassen  Sie  sich  drauf.  Hier  in  der  Stadt  regiert  nur einer, und das bin ich!« 

»Irrtum, Capone, Sie regieren nicht in dieser Stadt. Sie sind weder  Statthalter,  noch  sind  Sie  ein Hunnenfürst. Sie  sind  ein Bürger Chicagos, und  Sie  sollten  für  jeden Tag froh sein, an dem Sie sich noch als ein freier Bürger dieser Stadt bezeichnen können.« 

»Ist das etwa eine Drohung?« fauchte der Gangster. »Nur  ein  klarer  Hinweis,  Mr.  Capone.  Leben  Sie 

wohl.« Der  Italo‐Amerikaner  blieb  einen Augenblick  stehen, 

lief  dann  vorwärts  und  hielt  den  Inspektor mit  beiden Händen am linken Arm fest. Er hob das Gesicht etwas an und meinte: 

»Mit der Sache da drüben  –  ich meine,  in der Forest Avenue – habe ich nichts zu tun.« 

Eliot  schrak  zusammen. Woher  wußte  dieser Mann denn, daß Eliot Ness  sich  so  sehr mit der Gift‐Party  in Des Plaines beschäftigte? Natürlich hatten die Zeitungen darüber  berichtet,  aber  die  berichteten  doch  über  alle möglichen Verbrechen, waren täglich voll davon. 

»Das soll meine Bezahlung an Sie sein. Aber Dillinger – den kaufe  ich mir doch noch. Wenn auch nicht heute, so doch ein andermal. Aber ich greife ihn mir.« 

»Ich warne Sie, Capone«, preßte der FBI‐Agent durch die zusammengebissenen Zähne. »Eines Tages greife  ich auch Sie…«  

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 Die  Nacht  hatte  ihren  schwarzen  Mantel  über  die Weltstadt gebreitet. Am Sommerhimmel  flimmerten nur wenige  Sterne.  Der  Tag,  der  so  sonnig  und  kristallen begonnen  hatte,  hatte  sich  gegen  Nachmittag verschleiert. 

Eliot Ness  stand  in  der  Cicero Avenue  vor Geiger’s Café und beobachtete die nebenan liegende Einfahrt zum »Hidegota«. Das Varieté war  erst  seit  einiger Zeit  hier, und es würde auch nicht mehr allzu lange dort sein. Eine fürchterliche  Familientragödie  sollte  es  wieder untergehen  lassen.  Aber  noch  erstrahlte  es  im Lichterglanz  und  zog  um  diese  Abendstunde  viele Besucher an. Wagen nach Wagen fuhr an der Straße vor. Damen in den elegantesten Abendkleidern stiegen aus. 

Eliot  Ness  hatte  den  Mantelkragen  hochgeschlagen, um  sich  gegen  den  unangenehmen Wind  zu  schützen, der seit einer Stunde aufgekommen war und hart durch die Straßen strich. 

Das  war  der  Sommer  von  Chicago.  Einmal  ein richtiger San‐Remo‐Frühling, dann wieder ein englischer Herbsttag. »Chicago ist der Puter Amerikas«, hatte Mark Twain  nicht  umsonst  gesagt,  »eine  Stadt,  die  alle Fleischsorten aufzuweisen hat. Und auch sonst alles. Ihr Klima ist der reinste Scherz der Natur.« 

Eben jetzt fuhr ein schwerer dunkler englischer Wagen vor, in dessen Fond nur eine einzelne Person saß. 

Der  Chauffeur  stieg  aus,  ging  gemessenen  Schrittes hinten  um  den  Wagen  herum  und  wollte  eben  den 

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Schlag öffnen, als er von selbst aufsprang und eine junge Dame  ausstieg.  Sie  trug  einen  hocheleganten  weißen Breitschwanzmantel  und  einen  weißen  Hut.  Mit federndem Schritt trat sie auf den Bürgersteig, blieb dann stehen und blickte auf den nächsten Wagen, der eben mit pfeifenden Pneus hinter dem anderen stehenblieb. 

Eliot Ness hatte Ginger Astor sofort erkannt. Er hoffte, daß sie ihn hier an dem Café nicht sehen konnte. 

Der  zweite Wagen war  jetzt  zum  Stehen gekommen; vier Herren  in Abendanzügen  stiegen  aus  und  folgten der  Frau.  Sie  war  in  ihrer Mitte,  blieb  dann  plötzlich stehen, brach aus ihrer Reihe aus und ging mitten auf die Leute  zu,  die  allabendlich  die  Passage  bis  zur  Straße säumten; fand eine Gasse durch die Menschen und stand plötzlich vor Eliot Ness. 

Ganz dicht trat sie an ihn heran. Eliot  spürte  wieder  den  berauschenden  Duft  des 

italienischen Parfüms und blickte in ihre Augen, die nah vor  ihm  schimmerten.  Rasch  erhob  sie  sich  auf  ihren Zehenspitzen und flüsterte dicht vor seinem Gesicht: 

»Wie geht’s?« Der  Mann  hatte  einen  Herzschlag  lang  den  Atem 

angehalten. »Gut, danke. Und wie geht es Ihnen?« »Na, so lala.« Dann  lachte  sie hellauf, wandte  sich um und konnte 

sich eben noch rechtzeitig so von ihm entfernen, daß die Männer, die  ihr gefolgt waren, nicht mehr herausfinden konnten, mit wem sie gesprochen hatte. 

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Als  sie  im  Eingang  des Varietés  verschwunden war, blickte  Eliot  zum  Wagen  hinüber.  Der  war  ein  Stück weitergefahren  und  parkte  drüben  bei  den  anderen Fahrzeugen.  Genau neunundzwanzig Minuten waren vergangen,  als der  weiße  Breitschwanz  plötzlich  wieder  im  grell erleuchteten Eingang des Varietes auftauchte. 

Ginger Astor hatte die Handtasche in beiden Händen, blickte  zum  Café  hinüber,  und  als  sie  die  Gestalt  des Mannes  da  nicht  mehr  entdecken  konnte,  machte  sie mißmutig ein paar Schritte vorwärts, blieb wieder stehen – und dann sah sie ihn links am Gehsteigrand. Langsam schlenderte sie auf ihn zu. 

Der Bürgersteig war jetzt leerer geworden, da sich die Neugierigen  allabendlich  nach  Beginn  der  Vorstellung wieder  verzogen.  Es  war  das  tägliche  Vergnügen  des kleinen Mannes, so hatte Matherley es jedenfalls in seiner Zeitung  einmal  gezeichnet.  Wer  kein  Geld  hatte,  den großen Veranstaltungen beizuwohnen, der wohnte dem Ein‐  und  Aussteigen  des  Großen  bei,  die  diese Veranstaltungen  besuchten.  Und  da  hatte  Chicago allabendlich etwas zu bieten, es konnte sich also niemand beschweren.  Nur  mit  dem  Unterschied,  daß  die  einen eben  vor  der  Tür  blieben  und  die  anderen hindurchgingen.  Ob  die  letzteren  die  Glücklicheren waren, war noch die Frage. Und damit hatte Matherley ja recht. 

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Ginger Astor war neben dem Norweger angekommen. Sie  schob  die  Spitze  ihres  kleinen  weißen Lacklederschuhs  an  seinen  großen  schwarzen  Schuh heran und lächelte. 

»Sie passen gar nicht zueinander«, sagte sie. »Müssen sie das denn?« Da hob sie den Kopf und blickte in seine Augen. »Gehen wir«, sagte sie. Schweigend gingen sie nebeneinanderher. »Ich habe darüber nachgedacht«,  sagte  sie nach einer 

Weile. »Ich habe keine Angst.« Erst  als  rechts  neben  ihnen  der  große  Laramie  Park 

(heute der Howthorne Race Track)  auftauchte, blieb  sie stehen  und  blickte  in  einen  Parkweg,  der  lockend  vor ihnen lag. 

Ohne  sich  darum  zu  kümmern,  ob  der  Mann  ihr folgte, ging sie darauf zu. 

Eliot war  stehengeblieben.  Da  verhielt  auch  sie  den Schritt. 

»Na«, meinte er, »doch Angst?« Langsam  gingen  sie  durch  die  Parkanlagen  der 

Laramie  Avenue  zu.  Noch  ehe  sie  sie  erreicht  hatten, blieb die Frau plötzlich stehen,  trat rasch vor den Mann hin und legte beide Hände auf seine Schultern. 

»Weshalb sind Sie gekommen?« kam es leise über ihre Lippen. 

»Ich weiß es nicht.« »Ich wüßte es aber gern.« Da schüttelte er den Kopf. 

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Wieder erhob sie sich auf ihre Zehenspitzen und küßte ihn sanft. 

Eine Glutwelle schlug durch den Körper des Mannes. Da spürte er schon die Fäuste der Frau auf seiner Brust, hart stieß sie ihn zurück. 

Eliot  machte  einen  Schritt  nach  rückwärts,  stemmte sich da gegen den Boden und blieb stehen. Unverwandt sah  er  sie  an. Wie  sie  da  auf  der Mitte  des  Parkweges stand,  ganz  in Weiß,  mit  schimmernden  Augen  unter dem flimmernden Himmel Chicagos, schwach beleuchtet von einer fernen Parklampe, schien sie nicht nur seltsam schön,  sondern die begehrenswerteste Frau der Welt zu sein. 

Dennoch  ließ  der  Mann  seine  Hände  in  den Manteltaschen. 

Sekundenlang  standen  sie  einander  schweigend gegenüber,  dann  kam  sie  wieder  auf  ihn  zu,  warf plötzlich  ihre  Hände  um  seinen  Hals  und  küßte  ihn leidenschaftlich. 

Völlig benommen stand der Norweger da und blickte auf sie nieder. 

»Was  haben  Sie?«  fragte  sie,  etwas  zurückweichend und nach Atem ringend, 

Er  schwieg.  Sein  Schweigen  hatte  schon  andere Menschen  zur Verzweiflung  gebracht. Und  jetzt  ließ  er auch noch ein Lächeln folgen. 

Da stieß sie plötzlich die nächsten Worte hervor: »Sie lieben Ruth Dillinger?« Er zog die Brauen zusammen. 

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»Wie kommen Sie denn darauf?« »Ich  hasse  alle Gangster. Auch  Ruth Dillinger  hasse 

ich.« »Weshalb? Was hat sie mit den Gangstern zu tun?« »Weil sie – weil sie die Schwester eines Gangsters ist.« »Aha.« »Kennen Sie etwa nicht ihren Bruder Joe?« Zum  ersten  Mal  wurde  der  Name  John  Dillinger 

erwähnt.  Der  Name  jenes  Mannes,  der  Chicago  eines Tages in eine Panik ohnegleichen versetzen würde. 

»Ich wußte nicht, daß sie einen Bruder hat, der diesen Namen trägt.« 

»Dann wissen  Sie  noch  einiges  nicht. Aber  Ric,  den kennen Sie doch?« 

»Kennen? Das ist übertrieben.« Wie kam sie bloß heute auf Ric zu sprechen? 

»Alle Zeitungen sind doch voll von ihm.« Eliot erschrak. Es konnte doch nicht möglich sein, daß 

irgend  jemand  Wind  von  der  Sache  mit  dem  Kiosk bekommen hatte. 

Da  öffnete  sie  ihre  kleine  Tasche,  nahm  ein Zeitungsblatt heraus, zog ihr Feuerzeug an und ließ den zuckenden Lichtschein auf die Schlagzeilen fallen. Eliot Ness als Schatzsucher! Darunter in der Schlagzeile: Der Chef‐Inspektor hat Capones Geld bei Richard Dillinger 

aus der Erde gegraben. Darunter  folgte  ein  fast  authentischer Bericht dessen, 

was sich in der Vormittagsstunde drüben am Lyons Park 

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zugetragen  hatte. Und  der Verfasser  des  Berichtes war niemand anders als der Redakteur Rufus Matherley. 

Eliot Ness  hatte  es  sich  abgewöhnt,  sich über diesen Mann  zu wundern,  oder  gar,  sich  über  ihn  zu  ärgern. Aber  jetzt  vermochte  er  ein  Erstaunen  doch  nicht  zu unterdrücken.  Wie  hatte  Matherley  das  bloß herausbekommen?  Sicher,  es  gab  immer  Mittel  und Wege,  solche  Dinge  auszugraben,  aber  die  Wege  des Rufus Matherley wurden allmählich interessant fürs FBI. 

Die Frau schleuderte die Zeitung von sich. »Ich hasse sie!« Es  war  eine  ganze  Zeitlang  still.  Dann  sagte  sie, 

während  sie  wieder  auf  ihn  zuging  und  neben  ihm stehenblieb: 

»Sie ist hübsch, nicht wahr?« Er nickte. Da warf sie den Kopf hoch. »Na also. Ich wußte es doch: Sie lieben sie.« »Wie kommen Sie nur darauf? Steht das etwa auch in 

dem Artikel?« »Nein, aber ich weiß es.« »Woher?« »Weil es in einer anderen Zeitung gestanden hat.« Sie 

griff noch einmal in ihre Tasche und nahm einen älteren Artikel aus einer Illustrierten heraus, auf den sie wieder das  Licht  ihres  Feuerzeugs  fallen  ließ.  Im  zuckenden Lichtschein las der Inspektor: Die hübsche Ruth Dillinger dürfte ihren Eindruck auch auf 

einen  so  harten  Mann  wie  den  Polizeioffizier  Ness  kaum 

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verfehlt  haben.  Sie  ist  ja  auch  zweifellos  eine  der  schönsten Frauen in Chicago… 

Und  dann  befaßte  sich  der  Artikel  weiter  mit  dem Coup der Dillingers in der Cicero Avenue. Als Verfasser des Artikels hatte ein Mann mit M gezeichnet, ein M, vor dem das große R fehlte. 

»Sollte  das  nicht  auch  Ihr  Freund  Matherley geschrieben haben?« fragte sie. 

»Möglich«,  entgegnete  er. Dann hielt  sie die Flamme unter  das  Papier.  Für  einen  Augenblick  zischte  sie gelbrot hoch und warf  ein gespenstisches Licht  auf das kantige Gesicht des Mannes. Die Frau sah es vor sich, als sie den Park längst verlassen hatten. 

»Entschuldigen  Sie,  Inspektor.  Es  ist  alles  Unsinn«, sagte sie dann. 

»Wie kommen Sie eigentlich an den Artikel?« »Ich habe  ihn vor einiger Zeit gefunden und  ihn mir 

dann ausgeschnitten.« »Was nennen Sie: vor einiger Zeit?« »Vor etlichen Wochen.« Was  konnte  sie  vor  etlichen  Wochen  an  dem  FBI‐

Inspektor  Eliot  Ness  interessiert  haben?  Sie  hatte  den Artikel  heute  gefunden  und  aus  einer  alten  Zeitung ausgeschnitten. 

Sie waren auf einem Umweg über die Laramie Avenue durch  die  29.  Straße  gegangen  und  näherten  sich  eben der  Cicero  Avenue,  waren  noch  etwa  zwanzig  Schritt von der Straßenecke entfernt, als plötzlich zwei Männer vor ihnen auftauchten. 

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Instinktiv  riß  Eliot  Ness  die  Frau  hinter  sich  und preßte sie in einen Türgang. 

Und  dann  schlugen  die  Schüsse  ihm  schon  brüllend entgegen. 

Er  selbst  war  in  den  Türgang  zurückgestürzt  und feuerte mit der  linken Hand. Dreimal bellte der schwere fünfundvierziger Colt in seiner Faust auf. 

Dann  gellte  ein  röhrender  Todesschrei  durch  die Nacht. 

Eliot  rannte  vorwärts,  sah  einen  Mann  am  Boden liegen,  beugte  sich  über  ihn,  stieß  einen  Revolver  mit dem Fuß weg,  lief dann weiter bis  zur  Straßenecke.  Im Gedränge  der Menschen,  die  da  eben  aus  einem  Kino herauskamen,  hatte  der  andere  Schütze  leichtes Untertauchen. 

Eliot kam zurück und sah Ginger Astor bei dem Mann stehen. 

»Er ist tot«, sagte sie leise. »Sie haben ihn bestimmt ins Herz getroffen.« 

»Kommen Sie«, sagte er und  führte sie auf die Straße zurück. Dann zog er eine Pfeife aus der Tasche und stieß einen  scharfen  Trillerpfiff  aus.  Es  dauerte  nur  wenige Augenblicke,  da  tauchte  an  der  Ecke  in  dem Menschenstrom vorm Kino ein baumlanger Polizist auf. Eliot zeigte ihm seine Marke und deutete auf die leblose Gestalt auf dem Trottoir. 

»Lassen  Sie  ihn  zum  nächsten  Revier  schaffen.  Ich komme selbst hin.« 

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Der  Mann  hieß  Jory  Granger,  ein  ehemaliger Strumpfwirker,  über  den  im  Laufe  der Nacht  lediglich herausgebracht  wurde,  daß  er  einmal  wegen  eines Einbruchs in ein Pelzgeschäft festgenommen worden war und daß er dann einmal eine falsche Aussage vor Gericht gemacht  hatte und deswegen  ebenfalls  bestraft worden war. Es wurde vermutet, daß er zu einer Gang gehörte. Weshalb  er  auf  den  Inspektor  geschossen  hatte,  dieses Wissen hatte  er mit  ins Grab genommen. Sein Kumpan war entkommen.  Als  Eliot  Ness  das  Polizeirevier  verließ,  sah  er  den schweren  englischen  Wagen  Ginger  Astors  am Bürgersteig  stehen.  Sie  hatte  ihn  also  inzwischen hergeholt.  Sonderbarerweise  saß  sie  nicht  hinten  im Fond,  sondern  vorn  hinterm  Steuerrad.  Der  Chauffeur war nicht zu sehen. 

Eliot beugte sich zu dem heruntergekurbelten Fenster nieder. 

»Steigen Sie ein.« »Wo ist der Fahrer?« »Den habe ich weggeschickt.« Er  nahm  neben  ihr  Platz.  Langsam  fuhr  sie  an.  Sie 

chauffierte  gut.  Alles,  was  sie  tat,  tat  sie  sicher  und selbstverständlich. 

Sie  fuhren  ein  Stück  die  Cicero Avenue  hinauf  und bogen  dann  über  die  Busse  Avenue  nach Nordwesten zum Stadtrand hinaus. An einem der großen Parks, die sich  von River Grove  hinauf  nach Norden  zogen,  hielt 

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Ginger Astor den Wagen an einer Brücke des East River an. 

Sie  hatte  das  automatische  Verdeck  vorn  über  der Fahrerkabine  zurückgelassen und  stieg  aus. Eliot  folgte ihr. 

Schwaches  Sternenlicht  fiel  auf  ihr  Gesicht.  Sie  sah wirklich  sehr hübsch und begehrenswert aus. Nur ganz wenig öffnete sie die Lippen und sagte leise: 

»Eliot Ness.« Dann  schüttelte  sie  den  Kopf, wandte  sich  um  und 

ging langsam vorwärts. Der Mann blieb schweigend neben ihr. »Ich hätte mir nie  träumen  lassen, daß  ich Sie einmal 

kennenlernen würde«, sagte sie. »Damals, als Sie diesen ekelhaften Menschen jagten, der die Frauen im Nebel am Washington  Park würgte,  habe  ich  zum  erstenmal  von Ihnen gehört.  Jeden Artikel, den die Zeitungen darüber brachten und jeden Bericht, der darüber gesendet wurde –  alles  habe  ich  in  mich  aufgesogen.  Weil  ich  es phantastisch  fand,  daß  ein  Mann,  der  doch  eigentlich ganz  allein  und  auf  sich  selbst  gestellt  ist,  einen  so gefährlichen Verbrecher  jagt. Und  dann  die Geschichte mit diesem gräßlichen Aufschlitzer, der den Frauen die Leiber aufriß wie ein Raubtier…« Sie schüttelte sich und schloß  den  Kragen  ihres  weißen  Mantels.  »Verrückt, nicht wahr? Eine Frau sollte sich mit diesen Dingen nicht befassen. Aber wenn man allein ist…« 

War sie allein? Sie hob den Kopf und blickte ihn von der Seite an. 

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»Ich  bin  allein.  Trotz  allem.  Sie werden  es  vielleicht nicht verstehen, aber ich bin allein. Mit all den Menschen, die  sich  oft  bereits morgens  nach  dem  Frühstück  zum Tennis  oder  zu  irgendeiner  anderen  Unterhaltung einfinden.  Und  auch  abends,  wenn  sie  zu  Dutzenden durch die Räume meiner Villa spazieren: Ich bin allein.« 

Sie blieb stehen und lehnte sich gegen ihn. »Der  große  Eliot  Ness.  Unfaßlich.  Wissen  Sie  was, 

meine Tante Meg – sie  ist eine verschrobene alte Dame, steinreich  und  sehr  klug  –,  sie  sagte  im  vergangenen Winter  einmal  in  ihrem  Teekränzchen,  das  ich  leider zuweilen aufsuchen muß: er wird einer der ganz Großen sein, wenn diese schreckliche Zeit einmal vorbei ist.« 

»Wer?« fragte der Mann neben ihr. »Dreimal dürfen Sie raten. Es war doch von Ihnen die 

Rede. – Aber sicher wissen Sie das selbst. Tante Meg hat ganz recht: Sie werden eines Tages ganz bestimmt einmal verehrt  werden  wie  ein  Halbgott.  Chicago  wird  Sie niemals vergessen. Natürlich auch Al Capone nicht. Aber der Mann, der die Kraft und den Nerv besessen hat, ihn aufzusuchen,  sich  ihm  entgegenzustellen,  der  wird niemals  von  den Menschen  in  diesem  Land  vergessen werden. –  Ich weiß noch gut den Abend, als  ich  in der Zeitung von  Ihrem Besuch  in Capones Villa  las. Es war ungeheuerlich.  Am  hellichten  Tag  drang  ein  Mann namens Ness  in  die  Villa  der  toten Opernsängerin  ein und stand plötzlich vor Al Capone –« 

Sie schwieg. 

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Langsam gingen sie weiter. Die ganze Länge des Parks hinunter und wieder zurück. 

Sie sprach nur wenig. Der Norweger  schwieg. Er war ein großer Zuhörer – 

und  es war  interessant,  der  Frau  zuzuhören.  Sie  hatte eine rauchdunkle Stimme, in der ein leises Vibrieren war, das ihn fesselte. 

Als sich der Park  jetzt vor ihnen lichtete, blieb Ginger Astor stehen und sagte: 

»Haben Sie eine Zigarette für mich?« Er nickte, nahm die Schachtel heraus und hielt sie  ihr 

hin. Da schüttelte sie lächelnd den Kopf. »Ich  wollte  nur  sehen,  was  Sie  sagen.  Ich  hatte 

gedacht, daß Sie Frauen, die rauchen, nicht mögen.« »Kommt darauf an.« Sie blickte forschend in sein Gesicht. »Passiert Ihnen das öfter?« »Was?« »Daß  Sie  plötzlich  auf  offener  Straße  angeschossen 

werden?« »Hin und wieder.« »Wie unterhaltsam.« Langsam  gingen  sie weiter.  Als  sie wieder  bei  dem 

Wagen waren, meinte sie: »Wollen Sie fahren?« »Nicht  unbedingt.  Ich  sehe  Ihnen  gern  zu. Man  hat 

nicht alle Tage eine Astor als Chauffeur.« 

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»Frechheit.« Sie stieg  lächelnd ein und wartete, bis er neben  ihr  Platz  genommen  hatte.  Langsam  rollte  der Wagen der Stadtmitte zu. 

»Biegen Sie doch bitte da vorn rechts ab.« »Wie der Herr wünschen.« Er dirigierte sie nach Des Plaines. »He, wo  geht  denn  das  hin?«  fragte  sie,  als  er  den 

Wagen in die Forest Avenue leitete. Sie brachte den Fuß auf die Bremse und blickte ihn an. 

Alle  Fröhlichkeit war  aus  ihrem Gesicht  gewichen. Das grelle Licht einer großen Bogenlampe warf einen harten Schein auf ihr Profil. 

»Das ist doch – die Forest Avenue.« Er nickte. »Was wollen wir denn hier?« »Ich habe noch einen Besuch hier zu machen.« »Ach, und da lassen Sie sich von mir herfahren? Nicht 

schlecht!« Eliot griff nach der Tür. Da  legte  sie  ihre  rechte  Hand  auf  seinen  linken 

Unterarm. »Sie wollen gehen?« »Wollen? Nicht unbedingt.« »Sie müssen also?« »Leider.« »Beruflich natürlich.« Er nickte. »Ich sage ja, ein scheußlich langweiliger Beruf.« Es war einen Augenblick still; ein junges Paar ging eng 

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aneinandergeschmiegt am Wagen vorbei. Da hörte Eliot die Frau neben sich sagen: 

»Kann ich noch etwas fragen – ehe Sie gehen?« »Sicher.« »Sie lieben sie?« »Wen?« »Muß ich ihren Namen schon wieder aussprechen?« »Falls  Sie  von  Miß  Dillinger  sprechen  sollten,  Miß 

Astor, dann muß ich Sie enttäuschen.« »Miß  Astor  –«,  äffte  sie  ihm  nach.  »Wie  sich  das 

anhört! – Ach, Männer sind schon merkwürdig.« Ein großer Wagen  surrte  fast  lautlos an  ihnen vorbei 

und  hielt  vor  einem  der  Parks  auf  der  rechten Straßenseite.  Ein  Mann  stieg  aus  und  verschwand  in einem der Gärten. 

»Sind Sie wegen der Party hier?«  fragte Ginger Astor halblaut. 

»Ja.« »Weitergekommen?« Er zog die Schultern hoch. »Das  Ganze  ist  doch  ein  Spuk.  Drei  Menschen 

vergiftet. Wie soll man das begreifen?« »Der Täter wird es wissen.« »Sind Sie sicher?« »Nicht völlig.« »Ach –« Da  löste  sich  vorn  aus  dem Dunkel  der  Zäune  eine 

Gestalt.  Es  war  ein  Mann.  Langsam  und  mit schleppendem Schritt kam er näher. 

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Es war ein kleiner Mensch. Mit hängendem Kopf kam er auf den Wagen zu. 

Eliot behielt ihn scharf im Auge. »Das  ist doch Rics Vater – Mr. Leester!«  stieß Ginger 

hervor. »Ja, sieht so aus.« »Ist er betrunken?« Eliot kurbelte das Fenster herunter. »Hallo, Mr. Leester.« Der Fuß des anderen stockte. Er blickte auf, kam dann 

auf den Wagen zu und blieb jäh wieder stehen. »Eliot Ness!« »Guten Abend.« »Abend –? Ist es nicht schon Morgen?« »Das  dauert  noch  ein  paar  Stunden.  Aber  wenn  es 

Ihnen lieber ist –« »Eliot Ness!« Der Mann hatte zweifellos getrunken. Er 

schwankte leicht hin und her und lachte dann heiser auf. »Der große Wolf  ist also schon wieder hier. Was suchen Sie eigentlich, Inspektor?« 

»Einen Mörder.« Leester schluckte schwer. Dann schob er den Strohhut 

aus der Stirn und lehnte sich gegen den Wagen. »Oh, Sie sind  in  Damenbeglei…  Hallo,  Miß  Astor!«  Er  deutete eine Verbeugung an,  richtete  sich dann wieder auf und sagte leise: 

»Ginger  Astor.  Sie  war  mein  Traum  gewesen.  Ich meine für Ric. Für meinen Jungen. Aber leider war dieser blinde Bursche…« Er wandte sich ab. 

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Eliot war ausgestiegen und blieb hinter ihm stehen. Ein  Schluchzen  erschütterte  den  Körper  des  kleinen 

Mannes, der vor ihm stand. »Er war ein Dummkopf. Leider war er das. Er hat sein 

ganzes Leben verspielt. Das da, das wär’ die Frau für ihn gewesen! Statt dessen hängte er sich an einen – an einen Haarschneider. An einen Schurken, an einen Erpresser!« 

Eliot wandte sich um und winkte der Frau. Sie stieg aus und trat zu ihm. »Wir bringen ihn ins Haus zurück.« Als  sie  den  Park  betreten  hatten,  blieb  Randolph 

Leester  stehen. Er  sah den  Inspektor  an und  schien  ihn erst jetzt zu bemerken. 

»Ah, die Polizei – ist immer – immer dabei.« Er ging ums Haus herum und  tastete  sich da  an der 

Wand entlang. Ginger  Astor  schob  die  Küchentür  auf  und  machte 

Licht. Leester  schwankte  auf  die  Bank  unterm  Fenster  zu 

und ließ sich darauf nieder. »Es wird nichts aufgedeckt«, stammelte er, »gar nichts! 

Der arme Bursche – mußte dran glauben. Weil…  er ein Versager war. Nur deshalb…« 

Die  beiden  standen  in  der  offenen  Tür  und  blickten auf ihn nieder. 

»Wollen wir gehen?« fragte Eliot. Ginger Astor nickte. Als  sie ums Haus herumgingen und die Vorderfront 

erreicht  hatten,  blieb  Eliot  plötzlich  stehen,  drang  in 

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einen  Haselstrauch  –  und  gleich  darauf  war  ein keuchender Laut zu hören. 

Ginger  Astor  sah  zu  ihrem  Schrecken,  daß  er  einen Mann aus den Sträuchern zog. 

Es war der Butler der Familie Leester. »Na, Malcolm, was  suchen  Sie  denn  hier?«  forschte 

der G‐man. »Ich –« »Na,  überlegen  Sie  es  sich  in  aller  Ruhe.  Ich  habe 

Geduld.« »Ich sah den Herrn kommen. In Begleitung.« »Und?« »Plötzlich bekam ich Angst. Ich dachte an…« »An Gangster, nicht wahr?« »Ja.« Eliot nickte. »Dann  sehen Sie mal nach  Ihrem Herrn. 

Er hockt in der Küche. Ich glaube, er fühlt sich nicht sehr wohl.«  Die beiden verließen den Park. 

Die  Frau  drehte  sich  noch  ein  paarmal  voller Unbehagen um. 

»Der war ja unheimlich.« »Finden Sie?« »Wie – ein Mörder.« Als sie den Wagen erreicht hatten, sog Ginger die Luft 

tief in die Lungen. »Sie sind mir unheimlich, Eliot Ness. Fährt der Mann 

hierher  in  diese  dunkle  Straße,  und  da  kommt  Mr. 

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Leester  schwer  angetrunken  aus  dem  Haus.  Und  der Butler,  dieser  Totenschädel,  steckt  hinter  dem Gebüsch…« 

Sie  öffnete  ihre  Handtasche  und  nahm  ein Parfümfläschchen heraus. 

»Es  wird  nichts  aufgedeckt«,  murmelte  sie.  Dann nahm sie den Kopf herum und blickte den Inspektor an. »Haben Sie gehört, was Leester gesagt hat?« 

»Natürlich.« »Und?« Wieder zog er die Schultern hoch. »Wieviel Prozent der Morde kann das FBI aufdecken?« »Schwer zu sagen.« »Wie viele haben Sie nicht aufgedeckt?« »Bis jetzt noch jeden«, sagte er leise. Sie hatte den Wagen angelassen. »Wo wollen Sie hin?« »Ich muß leider noch mal in die 71. Straße.« »Ich fahre Sie hin.« Die  Fahrt  verlief  schweigend.  Als  sie  vorm 

Dienstgebäude des Federal Bureau of Investigation hielt, blickte  der  Inspektor  gedankenvoll  durch  die Windschutzscheibe. 

Schweigend saßen sie nebeneinander. »Macht  es nichts, wenn  Ihre Leute  Sie hier mit  einer 

Frau sehen?« »Nein.« Da nahm sie den Kopf herum und brachte ihr Gesicht 

dicht an das seine. 

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»Sehen wir uns wieder?« »Ich weiß nicht.« »He!« Sie stieß  ihn ärgerlich an, weil sie glaubte, sich 

bereits  zuviel  vergeben  zu  haben.  Sie  war  es  nicht gewohnt, jemanden um etwas zu bitten. 

»Dann suchen Sie erstmal Ihren Mörder.« »Den habe ich schon.« »Ach –« »Ja.« »Und – wer war es?« »Eine gewisse Ginger Astor.« Stille. Die  Frau  schluckte.  Ihre  Hand  glitt  über  den 

Parfümflakon in die Handtasche zurück. »Sie scherzen wohl?« Der G‐man blieb ruhig sitzen und blickte weiter durch 

die  große  Windschutzscheibe  hinaus  auf  die menschenleere  Straße,  die  tagsüber  so  verkehrs‐  und lebenerfüllt war. 

»Leider nicht, Ginger Astor.« »Was  soll das  heißen?«  stieß  sie  heiser  hervor. Ganz 

fremd und rauh klang ihre Stimme plötzlich. »Das soll heißen, daß ich Sie wegen dreifachen Mordes 

festnehmen muß.« Sie starrte ihn aus glimmenden Augen an. Dann lachte 

sie  hellauf.  »Sie  können  einem wirklich Angst machen. Ich  sagte  ja,  Sie  sind  unheimlich. Wenn  ich  Sie  nicht kennen würde, wäre  ich  jetzt versucht,  Ihre Worte ernst zu nehmen.« 

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»Sie  sind  ernst,  Ginger  Astor.«  Er  hatte  sich  zu  ihr gewandt und sah sie an. 

Totenstille herrschte in dem Fahrzeug. Die  Frau  spannte  die  Rechte  um  den  Perlmuttknauf 

eines zweiundzwanziger Revolvers. »Seit – wann wissen Sie es?« »Von Anfang an.« »Sie lügen.« Er zog wieder die Schultern hoch. Lautlos  hatte  sie mit  dem Daumen  den  vernickelten 

Hahn der Miniaturwaffe gespannt. »Nur eines würde mich interessieren«, sagte er wie zu 

sich  selbst, während  er  seine Zigaretten  aus der Tasche holte und  sich ohne Hast  eine  anzündete,  »weshalb  Sie einen solchen Umweg gewählt haben.« 

»Umweg?« kam es belegt über ihre Lippen. »Das  Gift  im  Karamelpudding  war  doch  ein 

irrsinniger  Umweg.  Und  da  Sie  als  einziger  Gast,  der überlebte, von allem gegessen haben wollten, schoben Sie sich selbst in den Vordergrund.« 

Da lachte sie leise. »Wollen Sie nicht wissen, wem es galt?« »Ich weiß es.« »Ach – da bin ich aber gespannt.« »Sie haßten den Anwalt Dooley.« »Stimmt. Aber weshalb?« »Weil er Ihnen die Frau wegnahm, die Sie – liebten.« Ein röchelnder Laut kam von den Lippen der Frau. Ganz weit hatte sie ihre Augen aufgerissen. 

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Auch ihr Mund war geöffnet. Plötzlich  zog  sie  den  Revolver  aus  der  Tasche  und 

richtete ihn auf den Mann. »Stimmt, Eliot Ness. Sie sind wirklich ein Genie. Und 

ein  Wolf!  Leester  hatte  recht.  Wie  habe  ich  Sie unterschätzt. –  Ja,  ich war verrückt nach Meta Lowell – und er hat sie mir genommen.« 

Völlig ruhig blickte der Polizei‐Offizier sie an. »Machen Sie sich keine Hoffnungen. Ich weiß, daß Sie 

auf  das  Haus  da  rechnen.  Aber  das  ist  noch  dreißig Schritte  weit.  Und  meine  Scheiben  sind  aus kugelsicherem Glas. Weil  ich Angst  vor  den Dillingers habe. Und vor Capone. Sie haben  eine Menge geleistet, seit Sie hier in der Stadt sind. Schade, Sie waren wirklich ein interessanter Mann. Nur eben nicht…« 

»… für eine Frau, die sich aus Männern nichts macht.« Da stieß sie den kleinen Revolver vor. »Sie  werden  sterben.  Hier  vor  Ihrem  Haus.  Ihre 

Wolfsnase hat Sie diesmal in die Hölle gestoßen!« »Sagen  Sie  bitte  nur  noch  eines: Wußte Meta Lowell 

von Ihrer – sagen wir Zuneigung?« Sie starrte ihn fassungslos an. »Natürlich nicht.« »Aber wie dachten Sie sich das denn?« »Wie  ich  mir  das  dachte?  So  kann  nur  ein  Mann 

fragen.  Ich wollte  sie ansehen, weiter ansehen, anbeten, heimlich natürlich,  so wie  früher, als  sie allein war und immer Zeit hatte, wenn ich sie sehen wollte.« 

Welch ein Irrsinn! 

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Da hatte diese Frau drei Menschen vergiftet, um einen vierten zu treffen – der dem Tod entging. Und alles nur, weil sie eine Frau weiter heimlich anbeten wollte. 

»Übrigens hätten Sie ohnehin keine Mörderin hängen können, die Astor heißt«, zischelte sie. 

»Ich weiß.« »Was wissen Sie? Nichts mehr, Eliot Ness. Hier ist Ihr 

Wissen zu Ende! Ich war es nämlich nicht, die den Mord ausführte.« 

»Ich weiß.« »Prahler!« »Sie haben gar nichts damit zu  tun. Sie waren nie  in 

der Küche,  obgleich  Sie  vorhin die Tür  geöffnet haben, als  ich Sie vorgehen  ließ. Sie waren  trotzdem nicht drin. Dafür  fanden  Sie  eine  andere.  Eine  betrogene  Ehefrau, die sich leicht aufhetzen ließ: Lena Dooley.« 

Ginger Astor wich zurück. »Sie sind ein – Teufel!« Sie bog den  rechten Zeigefinger um den Stecher und 

zog den Metallbügel mit einem Ruck durch. Klick! Ganz  erbärmlich,  nüchtern und  nichtssagend machte 

es lediglich klick! Ginger Astor starrte auf die Waffe. Eliot nahm sie ihr ohne Kraftaufwand aus der Hand. »Wenn Sie gestatten, habe  ich eine ziemlich nützliche 

Angewohnheit:  Ich pflege die Handtaschen der Damen, die  mich  nachts  durch  dunkle  Parks  begleiten,  nach Waffen  zu  untersuchen  und  die Munition  an mich  zu 

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nehmen.« Er griff in die Tasche und nahm eine Handvoll Patronen daraus hervor. 

Fassungslos und entsetzt zugleich starrte Ginger Astor ihn an. 

»Wann… haben Sie das getan?« »Mein Geheimnis!« »Ich weiß, vorhin  im Wagen,  als  Sie  aus dem Revier 

kamen.« »Richtig! Als  ich den Mann abgeliefert hatte, den Sie 

mir mit seinem Freund auf den Hals gehetzt hatten.« Sie wandte  sich  ab  und  blickte  auf  den  Bürgersteig. 

Ein  riesiger  G‐man  trat  aus  dem  Portal  des  FBI‐Gebäudes.  Er  kam  auf  den Wagen  zu  und  öffnete  den Schlag. 

»Hallo, Boß.« »Hallo, Dan.« »Mr. Cassedy wartet oben.« Eliot blickte auf die Frau. »Wollen wir gehen, Miß Astor?« Langsam stieg sie aus. Als sie auf dem Gehsteig stand, 

schwankte sie. Sie hatte das Gefühl, daß der Boden unter ihren Füßen weichen wollte. 

Eine  Mörderin  war  am  Ende.  Eine  unheilvolle Leidenschaft  für  das  gleiche Geschlecht,  für  eine  Frau, von  der  sie  nichts  weiter  wollte,  als  sie  heimlich anzubeten, hatte sie ins Verbrechen getrieben. Sie war ein Opfer  ihres  eigenen Wohllebens  geworden,  übersättigt von  den  Gütern,  die  sie  ererbt  hatte,  überdrüssig  der Dinge  des  Lebens,  hatte  sie  die  Frau  des 

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ehebrecherischen  James Dooley  zum Mord  angetrieben und mußte jetzt dafür büßen. 

Als  sie abgeführt war, meinte Cassedy, der allein bei dem Chef‐Inspektor im Zimmer stand: 

»Ich kapiere das ja noch nicht ganz.« »Ist auch nicht mehr nötig.« »Das  sagen  Sie  so.  Damned,  das  ist mir  einfach  zu 

hoch! So ein blendend schönes Weib –!« Der  dicke Cassedy  ahnte  ja  nicht, wie  unfaßlich  das 

alles  dem  Norweger  selbst  noch  bis  vor  anderthalb Stunden war. Da  hätte  er  nämlich  außer  einem  leisen, hauchdünnen  Verdacht  noch  gar  nichts  von  den Zusammenhängen  gewußt.  Es  hatte  ihm  nur  während des Spazierganges mit der Frau einiges gedämmert. Stein hatte  sich  zu  Stein  gefügt,  und  als  sich  das  Mosaik abzeichnete, führte er die Mörderin in die Forest Avenue. Sie war an der Küchentür gewesen und fand die Klinke – trotz  der  Dunkelheit,  die  da  herrschte  – mühelos.  Ein Beweis war das natürlich nicht. Aber der Verdacht des Inspektors war jetzt siedend heiß geworden. 

»Tja, zu allem gehört eben ein bißchen Glück«, meinte der  bescheidene  Mann,  während  er  Hut  und  Mantel nahm und zur Tür wollte. 

Da schrillte der rote Apparat auf seinem Schreibtisch. Cassedy nahm den Hörer für den Boß ab. Sein Gesicht 

verzog sich plötzlich. »Was ist los?« Er legte den Hörer auf die Gabel. Mit heiserer Stimme 

krächzte er: 

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»Es  wird  noch  nichts  mit  dem  Schlafen,  Boß.  Ric Dillinger  hat  Capones  Buchmacherei  in  der  Cicero Avenue  wieder  überfallen  und  siebenhunderttausend Dollar mitgehen  lassen…« Alfonso  Capone würde  den Diebstahl  verkraften  können.  Vielleicht  hatte  er  sogar gewollt,  daß  Dillinger  auf  diese  Weise  aktiv  werden würde. Man konnte Mutmaßungen darüber anstellen, die einen nicht weiterbrachten. In Chicago war die Hölle los, gerade  wenn  man  einen  Fall  gelöst  hatte.  Al  Capone würde  mit  Sicherheit  bald  wieder  von  sich  reden machen.  

– E N D E – 

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 In 14 Tagen erscheint 

 

Erdrosselt!  

Roman von Al Cann  Er hatte sich vorgenommen zu töten. Noch heute würde er  ein Menschenleben  auslöschen. Nichts  auf  der Welt sollte  ihn davon abhalten.  Joe McBain blickte durch das schmale  Bürofenster  in  den  parkähnlichen  Garten hinunter, wo  eben  eine  junge Frau  leichtfüßig über den weißen  Kies  schritt,  die  Anfang  zwanzig  sein mochte. McBains Augen waren schmal geworden, und durch die zusammengepreßten  Zähne  stieß  er  die Worte  hervor: »Ich  werde  sie  töten,  töten,  töten…«  Einer  der schlimmsten, abscheulichsten Fälle wartet auf Eliot Ness. Einmal  mehr  beschäftigt  den  Norweger  ein Kapitalverbrechen,  das  ihn  von  seinem  schwierigen Kampf  gegen  Alfonso  Capone  ablenkt.  Sein  großer Widersacher,  der  berüchtigte  Syndikatchef,  kann frohlocken.  Eliot Ness  hat  andere  Sorgen: Wer  hat  das schöne Mädchen kaltblütig  

Erdrosselt?  

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