pflegetheorien am ende des lebens anwendung von
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Bachelorarbeit
PFLEGETHEORIEN AM ENDE DES LEBENS
Anwendung von Pflegetheorien auf Palliativstationen
eingereicht von
Melanie Brodinger
an der
Medizinischen Universität Graz
ausgeführt am
Institut für Pflegewissenschaften
im Rahmen der Lehrveranstaltung
Modelle und Theorien der Pflege
Begutachterin:
Dr. MS DGKS Evelin Burns, Piettegasse 26, 3013 Pressbaum
vorgelegt am
29.11.2011
Ehrenwörtliche Erklärung
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Bachelorarbeit selbstständig und ohne fremde
Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den
benutzten Quellen entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Weiters erkläre ich,
dass ich diese Arbeit in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner anderen Prüfungsbehörde
vorgelegt habe.
Graz, am 29.11. 2011
Danksagung
Vor Beginn meiner Arbeit möchte ich mich noch bei einigen Menschen bedanken, ohne die mein
Studium nicht möglich gewesen wäre.
Zuerst bedanke ich mich bei meinen Eltern und Geschwistern, die es durch die Betreuung meines
Sohnes ermöglicht haben, dass ich mein Studium weiterführen konnte. Weiters bedanke ich mich
bei meinem Mann und meinem Sohn, die oftmals auf mich verzichteten, da ich unsere
gemeinsame Freizeit zum Lernen nutzen musste. Ebenso bedanken möchte ich mich bei meinem
Dienstgeber Klinikum Klagenfurt am Wörthersee und meinen Arbeitskolleginnen die immer
wieder Dienstwünsche von mir berücksichtigen mussten.
Nicht zuletzt bedanke ich mich bei Dr. Burns für die Betreuung meiner Bachelorarbeit. Ohne
ihre Hilfe wäre diese Arbeit sicherlich nicht möglich gewesen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung 5
2. Begriffserklärungen 7
2.1 Theorie 7
2.2 Pflegetheorie 8
2.3 Palliativstation 10
3. Pflegetheorien 13
3.1 Die geschichtliche Entwicklung von Pflegetheorien 13
3.2 Die 4 großen Denkschulen der Pflegetheorien 15
3.2.1 Schule der Grundbedürfnisse (“needs“) 16
3.2.2 Schule der Interaktionisten 16
3.2.3 Humanistische Schule 17
3.2.4 Ergebnistheorien 17
3.3 Praxisnutzen von Plegetheorien 17
4. Palliativpflege – Besonderheiten in diesem Setting 20
4.1 Grundlegende Aspekte von Palliative Care 20
4.2 Besonderheiten in der Palliativpflege 21
5. Vorstellung relevanter Pflegetheorien 26
5.1 Das Verlaufskurvenmodell von Corbin und Strauss 26
5.2 Theorie der interpersonalen Aspekte der Pflege von Joyce Travelbee 31
5.3 Zielerreichungstheorie von Imogene King 35
5.4 Pflegetheorie der humanistischen Schule von Josephine G. Paterson und
Loretta T. Zderad 37
6.Vergleich der vorgestellten Pflegetheorien 40
7. Ergebnisse der Arbeit und Beantwortung der Forschungsfrage 44
8. Schlussfolgerung und Zusammenfassung 48
9. Inhaltsverzeichnis 50
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1. Einleitung
„Nach welcher Pflegetheorie pflegt ihr?“, eine Frage die man des Öfteren von Kolleginnen
anderer Häuser gestellt bekommt. Die Antworten auf diese Frage sind vielfältig. Von dem
Zugeben müssen, dies gar nicht sagen zu können, bis zu einer wie aus der Pistole geschossenen
Antwort: „Na nach Roper!“ ist alles zu hören. Ja und für jene, die die Antwort wie aus der
Pistole geschossen geben können, stellt sich die Frage: „Und was heißt das, nach Roper zu
pflegen?“. Spätestens an diesem Punkt wird der Großteil nicht mehr in der Lage sein eine
adäquate Antwort zu geben. Beim genaueren Überlegen musste ich mir auch eingestehen, dass es
mir genauso ging. Was heißt es nach einer gewissen Pflegetheorie zu pflegen? Für welches
Setting ist welche Pflegetheorie geeignet? Dies waren Fragen die sich mir im Rahmen der
Vorlesung „Modelle und Theorien der Pflege“ stellten.
Es gibt viele Pflegetheorien, die alle, auch wenn sie Kritiker finden, ihre Berechtigung haben. Da
die Pflege eine Wissenschaft ist, die aufgrund der Beschäftigung mit dem Menschen, ein sehr
breites Wissen haben muss (nicht jeder Mensch ist gleich; es gibt kein Generalkonzept dass sich
auf jeden ummünzen lässt und dass für jeden stimmig ist), ist es auch wichtig über viele
Pflegetheorien zu verfügen, um die Passende für das jeweilige Klientel und Setting auswählen zu
können. Pflegetheorien bringen auch viele Vorteile: Neben einer höheren Qualität in der
Patientenversorgung, kann durch die Anwendung auch eine größere Kontinuität in der
Versorgung erreicht werden. Diese Vorteile ergeben sich aber nur, wenn auch die richtige
Theorie für das Setting ausgewählt wird. Ist dies nämlich nicht der Fall, ist die Implementierung
schon von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Bei meiner Arbeit auf der Palliativstation bin ich mit Menschen konfrontiert, die sich in einer
speziellen Phase ihres Lebens befinden. Daher ergeben sich für die Pflege ganz spezielle
Anforderungen. Auch in unserem Haus existiert eine Pflegetheorie nach der gepflegt wird. Vor
dem Besuch der Vorlesung habe ich mich nicht wirklich gefragt, ob denn diese Theorie für uns
stimmig ist. Im Rahmen der Vorlesung wurde mir aber erst bewusst wie wichtig die richtige
Pflegetheorie für die Praxis ist. Als ich dann über die an unserer Abteilung angewandte
Pflegetheorie nachdachte, überlegte ich ob es denn nicht geeignetere Theorien gäbe, die zur
Anwendung kommen könnten. Daher beschloss ich dieses Thema für meine Bachelorarbeit zu
wählen.
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Die Forschungsfrage die im Rahmen der Arbeit geklärt werden soll ist:„Welche Pflegetheorien
sind für die Anwendung auf einer Palliativstation geeignet?“
Mit der Beantwortung dieser, soll das Ziel erreicht werden mögliche Pflegetheorien für die
Anwendung auf Palliativstationen vorzustellen, und den Stand der Forschung zu dieser Thematik
zu ermitteln. Zur Antwortfindung wurde eine Literaturrecherche durchgeführt. Teilweise habe
ich Literatur gefunden und in dieser Arbeit verwendet, die schon über der 10 Jahres Marke für
wissenschaftliches Arbeiten liegt. Mir ist sehr wohl bewusst, dass dies eigentlich nicht dem
Standard von wissenschaftlichen Arbeiten entspricht, es handelt sich hierbei aber um
Grundlagenliteratur, die beispielsweise die Entwicklung von Pflegetheorien erläutert. Da es sich
dabei um Wissen handelt, dass sich sicherlich nicht verändert hat, sehe ich die Verwendung
dieser Literatur dadurch begründet.
Nach der Einführung in das Thema sollen im folgenden Kapitel erst einige Begrifflichkeiten
erklärt werden, die dem besseren Verständnis der restlichen Arbeit dienen.
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2. Begriffserklärungen
Um der Arbeit besser folgen zu können, werden in diesem Kapitel erst einige Begrifflichkeiten
geklärt. Beschrieben werden soll, was unter einer Theorie zu verstehen ist und welche
Theorietypen es gibt. Des Weiteren soll erklärt werden was man unter einer Pflegetheorie
verstehen kann.
Weil das Thema die Anwendung von Pflegetheorien auf Palliativstationen ist, muss auch
beschrieben werden, was unter einer Palliativstation verstanden wird.
2.1 Theorie
„Eine Theorie ist eine geordnete, klare und systematische Artikulation einer Reihe von Aussagen
zu wichtigen Fragen einer Fachrichtung, die sich als logisches Ganzes darstellt. Theorien
enthalten Konzepte, beschreibende Aussagen und ausführende Erklärungen.“ (Meleis 2008, S.
28).
Des Weiteren versteht man unter einer Theorie das geistige Bild eines umfassenden Blicks auf
ein Phänomen und/oder seiner Beziehung zu anderen Phänomenen (Meleis 2008, S. 28).
Theorien kann man sich ebenfalls als Sammelbecken für Wissen vorstellen. Dort wird das
Wissen dann zu einem sinnvollen Ganzen geordnet. Theorien lassen sich in verschiedene
Theorietypen einteilen, die entweder nach Abstraktionsniveau oder nach Zielorientierung
unterschieden werden (Meleis 1999, S. 50).
Nach Abstraktionsniveau lassen sich große Theorien, Theorien mittlerer Reichweite und
situationsspezifische Theorien unterscheiden.
Große Theorien („grand theories“):
Beschreiben systematisch das Wesen der Pflege, die Aufgaben der Pflege und die Ziele
pflegerischer Fürsorge.
Theorien mittlerer Reichweite („middle – range theories“):
Sie umfassen ein begrenzteres Gebiet und sind weniger abstrakt. Sie behandeln spezifische
Phänomene oder Konzepte und spiegeln die Praxis. Meist spiegeln sie eine große Bandbreite von
Pflegesituationen. Als Beispiel wäre die soziale Unterstützung zu nennen.
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Situationsspezifische Theorien:
Diese konzentrieren sich auf ein spezifisches Pflegephänomen und spiegeln die klinische Praxis
wieder. Ebenso beschränken sie sich auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe oder ein
bestimmtes Praxisgebiet. Ihre Entstehung steht in einem gesellschaftlichen und historischen
Zusammenhang und deswegen ist ihre Reichweite auf die von ihnen angeregten Fragen begrenzt
(Meleis 1999, S. 50 – 51).
Die Unterteilung von Theorien nach Zielorientierung unterscheidet beschreibende und
vorschreibende Theorien.
Beschreibende Theorien:
Diese beschreiben ein Phänomen, ein Ereignis, eine Situation oder eine Beziehung. Die
Wissensvermehrung erfolgt durch Einordnung von Beobachtungen und Bedeutungen der
Phänomene. Sie können zum Erklären, Verknüpfen und Vorhersagen eingesetzt werden und sind
vollständige Theorien, die forschungsleitendes Potential haben. Sie sind nicht
handlungsorientiert und versuchen nicht, eine Situation herzustellen. Ein Beispiel für eine
beschreibende Theorie ist die Beschreibung von Veränderungen in Lebensprozessen.
Beschreibende Theorien lassen sich nochmals unterteilen in benennende Theorien (auch faktor –
isolierende oder kategorieformulierende Theorien genannt), welche die Merkmale und
Reichweite von Phänomenen beschreiben und erklärende Theorien, welche die Beziehungen
bestimmter Phänomene untereinander beschreiben und erklären.
Vorschreibende Theorien:
Vorschreibende Theorien widmen sich Pflegetherapielehren und Folgen von Maßnahmen. Sie
zielen auf Veränderungen ab und sagen die Folgen bestimmter Strategien der Pflegeintervention
voraus (Meleis 1999, S. 51 – 52).
Man muss aber auch sagen, dass jede Theorie nur einen begrenzten Aspekt der Realität erfasst.
Daher sind viele Theorien notwendig, um allen für eine Disziplin relevanten Phänomenen
gerecht zu werden (Fawcett 1996, S. 39).
2.2 Pflegetheorie
In der Pflege werden viele Theorien verwendet, die aus anderen Wissenschaften entliehen
wurden (Fawcett 1996; Meleis 2008).
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Fawcett (1996) beschreibt ebenfalls, dass teilweise behauptet wird, dass es überhaupt keine, oder
wenn, dann nur wenige spezifische Pflegetheorien gibt. Zurückzuführen sei dies auf das
Verabsäumen mancher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die theoretischen
Komponenten ihrer Arbeit explizit zu benennen und als Pflegetheorien auszuweisen (Fawcett
1996, S. 40).
Demzufolge sind auch die Definitionen was eine Pflegetheorie darstellt äußerst unterschiedlich.
Fawcett (1996) spricht von spezifischen Pflegetheorien, wenn sie direkt von der
Pflegewissenschaft entwickelt wurden (beispielsweise Pflegetheorie von Imogene King) und von
entliehenen Theorien (beispielsweise die Stressbewältigungskompetenztheorie). Sie weist auch
darauf hin, dass man bei der Implementierung von entliehenen Theorien sehr vorsichtig sein und
genau überprüfen muss, ob sie für den pflegerischen Kontext auch passend ist. Als Beispiel für
eine misslungene Implementierung einer entliehenen Theorie nennt sie die Studie von Lowery et
al. 1987 (Fawcett 1996, S. 39 – 40).
Meleis (1999) hingegen sagt, dass alle Theorien, die in der Pflege angewandt werden, um
Pflegephänomene zu verstehen, zu erklären, vorherzusagen oder zu verändern, Pflegetheorien
sind. Egal ob sie aus anderen Theorien entwickelt oder von Pflegekräften entwickelt wurden.
Seiner Meinung nach ist eine Unterscheidung von Theorietypen nur in Bezug auf Reichweite
und Ziele sinnvoll, nicht jedoch hinsichtlich des Ursprunges (Meleis 1999, S. 52 – 53).
Zusätzlich beschreibt Meleis (2008) Pflegetheorien als vorläufig und dynamisch. Sie reflektieren
einige Aspekte der Realität, und enthalten Grundannahmen, auf denen vorläufige Annahmen
entwickelt und dargestellt werden (Meleis 2008, S. 28).
Gemeinsam ist den Definitionen, dass es eigenständige Pflegetheorien (von der
Pflegewissenschaft selbst) und entliehene Theorien (aus anderen Disziplinen) gibt. Die
Definition von Meleis (1999), dass alle Theorien, die in der Pflege angewandt werden und sich
mit Pflegephänomenen auseinandersetzen, Pflegetheorien sind scheint durchaus sinnvoll, da wie
bereits oben erwähnt die Pflege ein breites Fachgebiet ist, und sich gewisse Phänomene nur
durch das Zusammentragen von Theorien aus mehreren Disziplinen erklären lassen (Meleis
1999, S. 52). Allerdings ist Fawcett’s kritischem Einwand durchaus Beachtung zu schenken, in
dem sie meint, dass entliehene Theorien unbedingt auf die Anwendbarkeit in der pflegerischen
Praxis überprüft werden müssen (Fawcett 1996, S. 39 – 40).
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2.3. Palliativstation
Bevor erklärt wird, was eine Palliativstation ist, soll kurz beschrieben werden, was Palliativ
heißt. Eine genauere Beschreibung was Palliativpflege bedeutet und was sie beinhaltet, erfolgt
im Kapitel 4 dieser Arbeit. Dies ist erforderlich um die Zusammenhänge mit den Pflegetheorien
zu verstehen.
Palliativ leitet sich vom lat. Wort pallium (der Mantel) ab und bedeutet den Menschen mit einem
Mantel der Fürsorge zu umgeben.
Die WHO (2002) beschreibt Palliative Care folgendermaßen:
Palliative Care befasst sich mit der Verbesserung der Lebensqualität von Patientinnen und
Patienten und deren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer
lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von
Leiden, durch frühzeitiges Erkennen und durch die untadelige Einschätzung und Behandlung
von Schmerzen und anderer Symptome körperlicher, psychosozialer oder spiritueller Art.
Palliative Care:
Soll Erleichterung von Schmerzen und deren belastenden Symptomen bieten.
Ist Lebensbejahend und sieht das Sterben als normalen Prozess an.
Will den Tod weder beschleunigen noch verzögern.
Integriert auch psychologische und spirituelle Aspekte der Versorgung von Patientinnen
und Patienten.
Bietet Patientinnen und Patienten ein Unterstützungssystem, um ihnen das Leben bis zum
Tod hin zu ermöglichen.
Bietet aber auch den Familien Unterstützung mit der Erkrankung des Angehörigen und
mit der eigenen Trauer umzugehen.
Sie bietet einen interdisziplinären Zugang.
Sie verbessert die Lebensqualität und kann auch den Krankheitsverlauf positiv
beeinflussen.
Soll in einem frühen Stadium angewandt werden in Kombination mit anderen Therapien
wie beispielsweise Chemotherapie oder Bestrahlung (WHO, 2002).
Aus dieser Definition lässt sich herauslesen, wie komplex die Betreuung palliativer Patienten ist,
und welches umfassende Bild die Situationen in der Palliativpflege aufweisen können. Was aber
im Hinblick auf die lebensbedrohliche Situation besonders hervorhebenswert scheint, ist die
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lebensbejahende Einstellung der Palliative Care und der Zugang, das Leben und die
Lebensqualität zu fördern.
Die Versorgung palliativer Patienten kann ambulant, teilstationär oder stationär erfolgen. Im
Zusammenhang mit dieser Arbeit soll die stationäre Versorgung auf Palliativstationen definiert
werden.
Die Palliativstation ist eine Form der Umsetzung der palliativen Versorgung im stationären
Bereich. Sie ist entweder in ein Krankenhaus integriert oder an dieses angegliedert.
Da die Arbeit auf Palliativstationen besondere Anforderungen beinhaltet, muss auch ein
spezieller Personalschlüssel vorhanden sein (Klaschik 2006, S.30 – 31). Dieser beträgt im
Tagdienst in Österreich 1,2 Pflegepersonen pro Patient und 1 Arzt für 5 Patienten (ÖBIG 2004,
S. 21).
Die Versorgung der Patientinnen und Patienten auf Palliativstationen erfolgt interdisziplinär,
durch Medizin, Pflege, Physiotherapie, Sozialarbeit, Psychologie und Seelsorge. Zusätzlich
kommen auch Ehrenamtliche Mitarbeiter zum Einsatz (Klaschik 2006, S. 31).
Für den Patienten ergeben sich vielerlei Vorteile durch die Versorgung auf der Palliativstation:
die besondere Qualifikation der gesamten Mitarbeiter, der besondere Personalschlüsse und die
diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten, die sich durch die Anbindung ans
Akutkrankenhaus ergeben (Klaschik 2006, S. 31).
Um eine optimale Versorgung garantieren zu können, gibt es allerdings gewisse
Aufnahmekriterien, die erfüllt sein müssen, um als Patient auf einer Palliativstation
aufgenommen werden zu können.
Diese Zugangsvoraussetzungen lauten wie folgt:
Eine Krankenhausbedürftigkeit besteht, weil die Patientin/der Patient aufgrund der
Komplexität der Symptome nicht zu Hause oder in einer anderen Einrichtung betreut
werden kann.
Die Patientin/der Patient beziehungsweise sein Stellvertreter in Gesundheitsfragen
stimmen der Aufnahme zu.
Die Patientin/der Patient ist weitestgehend über die unheilbare Erkrankung aufgeklärt.
Die Patientin/der Patient und deren Angehörige sind über die Möglichkeiten und Ziele
der Palliativstation informiert (ÖBIG 2004, S.15).
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Werden diese Zugangsvoraussetzungen erfüllt, kann die Patientin/der Patient auf die
Palliativstation aufgenommen werden. Erfahrungsgemäß lässt sich aber sagen, dass nicht immer
alle Kriterien zu 100% erfüllbar sind beziehungsweise, dass auch Patientinnen/Patienten
aufgenommen werden, die die Zugangsvoraussetzungen nicht komplett zu erfüllen scheinen.
Dies weiter zu erläutern, ist aber nicht Gegenstand dieser Arbeit.
Nach dem Klären der wichtigsten Begrifflichkeiten, wird nun im nächsten Kapitel auf die
Pflegetheorien im Allgemeinen eingegangen.
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3. Pflegetheorien
Wie bereits einleitend erwähnt, werden Pflegetheorien in der Praxis sehr wohl angewandt. Leider
ist aber zu sagen, dass viele Pflegepersonen mit Pflegetheorien nicht wirklich etwas anfangen
können. Sie können eventuell noch Pflegetheorien benennen, wissen aber nicht was deren
Implementierung dann für die Praxis letztendlich bedeutet. Ebenso ist davon auszugehen, dass
der „mündige Patient“ von dem heute ja immer mehr gesprochen wird, gewisse Dinge einfordern
kann, wenn er hört nach welchen theoretischen Grundsätzen in einer Einrichtung gepflegt wird.
Wenn dies aber dann nicht von den Pflegepersonen gelebt wird, können sich daraus große
Schwierigkeiten ergeben. Um ein besseres Verständnis für Pflegetheorien im Allgemeinen zu
entwickeln und deren Praxisnutzen zu ermitteln, sollen in diesem Kapitel die geschichtliche
Entwicklung von Pflegetheorien erörtert werden. Auch soll beschrieben werden, welche großen
Denkschulen von Pflegetheorien es gibt. Dieser Teil wird aber ebenfalls nur kurz ausfallen, da es
den Rahmen der Arbeit sprengen würde, jede einzelne Denkschule ausführlich zu beschreiben.
3.1 Die geschichtliche Entwicklung von Pflegetheorien
Zu Beginn lässt sich sagen, dass die Entwicklung von Pflegetheorien mehrere Phasen
durchlaufen hat. Alle diese Phasen waren notwendig um die Etablierung der Disziplin Pflege als
Wissenschaft zu fördern (Meleis 2008, S.18 – 19).
Die Phasen liefen aber in keinster Weise linear ab oder schlossen sich gegenseitig aus, sondern
sie überschnitten sich, geschahen gleichzeitig oder bedingten sich gegenseitig. Jedes Stadium der
Entwicklung trug dabei zu einem Weiterwachstum des Wissens und zu einer Verbesserung der
Pflegequalität bei (Meleis 2008, S. 23 – 24).
Global lässt sich sagen, dass die verschiedenen Phasen der Theorieentwicklung zeigten, welche
Fragestellungen, die Pflegewissenschaftler zu unterschiedlichen Zeiten interessiert haben.
Wie in diesem Kapitel bereits anfänglich erwähnt verlief die Entwicklung von Pflegetheorien
phasenweise ab. Diese sollen im folgenden Abschnitt dargestellt werden.
Die erste Phase der Theorieentwicklung war die Praxisphase. Diese war vor allem durch
Kriegszeiten geprägt. Es ging darum, Frauen zu organisieren, die die Kriegsverletzten betreuten.
Zu nennen wäre in diesem Zusammenhang Florence Nightingale mit ihrem Einsatz im
Krimkrieg. Die Pflege wurde als Bereitstellung von Versorgung und Trost definiert, um Heilung
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und ein Gefühl des Wohlbefindens zu fördern. Gleichfalls sollte eine gesunde Umwelt
geschaffen werden, die Leiden lindert und einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes
entgegenwirken soll (Meleis 1999, S. 63 – 64).
Im Wesentlichen ging es in dieser Phase darum, die Grundprinzipien und die Anforderungen an
die Pflegekräfte zu etablieren und das Wesen von Krankenpflege zu erfassen, indem beschrieben
wurde was Pflegende tun (Meleis 2008, S. 19).
Der Praxisphase folgte die zweite Phase der Theorieentwicklung, nämlich die Ausbildungsphase.
Diese Phase war geprägt durch den Kampf der Pflegekräfte ihre Ausbildung zu
professionalisieren und zu akademisieren (Meleis 2008, S. 19). Im Zentrum standen Fragen
bezüglich der Pflegeausbildung und des Pflegecurriculums (Meleis 1999, S. 64).
In einer späteren Phase nahmen die Lehrkräfte auch Fragen über das eigentliche Wesen von
Pflegewissen und über die Quelle und Ursprünge des Wissens in die Curricula auf. Daraus
entwickelte sich die Notwendigkeit von Forschungstrainings und somit die nächste Phase der
Theorieentwicklung (Meleis 2008, S. 19).
Die Forschungsphase stellt die dritte Phase der Theorieentwicklung dar. Auch in dieser Phase
standen Fragen im Mittelpunkt die eher mit der Ausbildung zu tun hatten, als mit der Praxis. Es
ging darum, welche Inhalte in die krankenhausgebundene Ausbildung aufgenommen werden
sollte und welche in die unterschiedlichen Hochschulausbildungen (Meleis 2008, S. 19). Den
Expertinnen für Pflegecurricula wurde bewusst, dass die Ausbildung von Pflegekräften ohne
Forschung und systematisches Hinterfragen nicht zu verbessern ist (Meleis 1999. S. 65).
In diese Phase fällt auch die Veröffentlichung der ersten Zeitschrift für Pflegewissenschaften mit
dem Titel Nursing Research, im Jahre 1952. Da Pflegewissen nun publiziert werden sollte, war
es auch notwendig wissenschaftliche Normen zu entwickeln und Kriterien zur Beurteilung
wissenschaftlicher Veröffentlichungen aufzustellen. Diese Phase hat viel zu heutigen Stand der
Pflegwissenschaft beigetragen, da die Curricula durch wissenschaftliche Forschungsinstrumente
geprägt wurden und neue Inhalte wie beispielsweise Forschung oder Statistik inhaltlich
aufgenommen wurden (Meleis 1999, S. 65 – 66).
In der Theoriephase kam es dann letztendlich zu der Entwicklung verschiedener Pflegetheorien.
Sie kann sozusagen als Geburtsstunde der Pflegetheorien bezeichnet werden. Zentral waren die
Fragen zum Auftrag von Pflege und zu Zielen pflegerischer Betreuung und Versorgung (Meleis
2008, S. 20).
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Mehrere wichtige Entwicklungen fallen in diese Phase:
1) Aus der Frage „Was ist Pflege?“ und aus dem Versuch diese zu beantworten entstanden
die 4 wichtigen Denkschulen der Pflegetheorien. Nämlich die Schule der
Grundbedürfnisse, die Schule der Interaktionisten, die humanistische Schule und die
Schule der Ergebnistheoretiker. Es wurde geglaubt, dass man eine allgemein gültige
Theorie finden müsse, die dann zur Anwendung genommen werden kann (Meleis 2008,
S. 20 – 23).
2) Syntax der Disziplin: Metatheoretikerinnen begannen über die Bedeutung von Theorien
für die Pflegewissenschaft und über Definitionen der Theorietypen zu forschen. Sie
entwickelten auch Kriterien für die Evaluation von Pflegetheorien, wobei sie sich dabei
anderer wissenschaftlicher Disziplinen bedienten (Meleis 2008, S. 22).
3) Fachgebietsdefinition: Das Fachgebiet enthält zentrale Problemfelder, Forschungsfragen,
bestehende und noch zu entwickelnde Theorien und Wissen und Erfahrungen von
Menschen die innerhalb des Gebietes unterschiedlichste Rollen einnehmen. Des Weiteren
beinhaltet ein Fachgebiet auch die zur Wissensentwicklung notwendigen Instrumente
(Meleis 2008, S. 22 – 23).
4) Philosophische Analysen und Debatten: In dieser Phase wurde versucht Argumente dafür
zu finden, nicht nur eine Theorie zuzulassen, sondern unterschiedliche Herangehens- und
Denkweisen zu fördern (Meleis 2008, S. 23). Das Wesen von Pflegewissen stand im
Mittelpunkt (Meleis 1999, S. 71).
5) Entwicklung situationsspezifischer Theorien und Theorien mittlerer Reichweite: Diese
entstanden vor allem in der Zeit zwischen 1991 und 1995 und kennzeichneten den
beachtlichen Fortschritt der Wissensentwicklung in der Pflege (Meleis 1999, S. 91).
Mit dieser Darstellung kann die geschichtliche Entwicklung der Pflegetheorien grob skizziert
werden. Im nächsten Abschnitt des Kapitels will ich nun die 4 großen Denkschulen der
Pflegetheorien, die in der Theoriephase bereits kurz erwähnt wurden, vorstellen.
3.2 Die 4 großen Denkschulen der Pflegetheorien
Wie bereits im Unterkapitel 3.1 in der Theoriephase erwähnt, kam es bei der Beantwortung der
Frage „Was ist Pflege?“ zu unterschiedlichen Denkrichtungen. Aus diesen Denkrichtungen
entstanden dann die 4 Denkschulen, die im folgenden Teil der Arbeit kurz vorgestellt werden
sollen.
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3.2.1 Schule der Grundbedürfnisse (“needs“)
Die Vertreterinnen dieser Denkrichtung werden als Bedürfnistheoretikerinnen bezeichnet. Das
Individuum wird in Bedürfnisbegriffen und in hierarchisch geordneten Bedürfnissen betrachtet.
Patientinnen und Patienten werden oftmals als abhängige Wesen dargestellt, wohingegen
Pflegekräfte als kompetent und aktiv beschrieben werden. Die Schule der Grundbedürfnisse geht
auf Virginia Henderson zurück. Eine weitere Vertreterin dieser Denkrichtung ist beispielsweise
Dorothea Orem, deren Theorien über Selbstfürsorgedefizite, Selbstfürsorgeerfordernisse und
Selbstfürsorgesysteme international großen Anklang fanden und vielerorts angewandt werden
(Meleis 2008, S. 20 – 21).
3.2.2 Schule der Interaktionisten
Die Denkrichtung der Interaktion wurde von den Interaktionstheoretikerinnen vertreten. Diese
konzentrierten sich auf Interaktionsmuster und vertraten die Meinung, dass Pflege nur
funktionieren kann, wenn eine Beziehung zwischen Patientinnen und Patienten und Pflegekraft
aufgebaut wird. Nur so kann es zu einem Heilungsprozess kommen.
Ziel der Pflege ist die Entwicklung und Herstellung von Beziehungen durch Interaktion. Weiters
soll die Pflege Patientinnen und Patienten helfen, Sinn in ihrer Erkrankung zu finden. Pflege
wird als Prozess der dynamischen Beziehung zwischen Pflegekraft und Patientinnen und
Patienten beschrieben.
Probleme ergeben sich laut dieser Denkweise dadurch, wenn es zu einem Mangel an tragfähigen
Beziehungen kommt, wenn eine fehlende Übereinstimmung von Pflegekräften und Patientinnen
und Patienten in der Einschätzung von Bedürfnissen gegeben ist oder wenn man sich in
Patientenbedürfnisse einmischt.
Patienten werden als hilflose Wesen dargestellt, die über unterschiedliche Bedürfnisse verfügen,
und die der Krankheitssituation eigene Bedeutungs- und Sinnkonstruktionen verleihen.
Pflegetherapeutisches Handeln ist in der Interaktionstheorie, das bewusste Einsetzen von
Problemlösungstechniken und der bewusste Einsatz der eigenen Person im Interaktionsprozess
und in der Durchführung von Pflegehandlungen. Vertreterinnen der Interaktionstheorie waren
beispielsweise Joice Travelbee oder Imogene King (Meleis 2008, S. 21).
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3.2.3 Humanistische Schule
Als dritte Schule sei die humanistische Schule erwähnt. Diese sieht Pflege als Betreuung,
Fürsorge und Versorgung (“caring“) und verleiht ihr moralische Imperative.
Pflege ist ein menschlicher Dialog und ein Akt der Fürsorge und erfordert die Präsenz von
Pflegekraft und Patientin oder Patient. Sie basiert auf reziproken intersubjektiven Erfahrungen,
die von beiden Seiten bestimmt werden. Pflegekräfte und Patientinnen oder Patienten gehen
dabei reziproke Beziehungen ein, die beide Seiten verändern. Vertreterinnen der humanistischen
Schule waren Josephine Paterson und Loretta Zderad (Meleis 2008, S. 21 – 22).
3.2.4 Ergebnistheorien
Diese Denkrichtung wird von den Ergebnistheoretikerinnen vertreten und beschreibt die Pflege
in Begriffen von Pflegeergebnissen (“outcomes“). Im Hinblick auf das Pflegeziel wird der Fokus
nicht auf den Prozess selbst, sondern auf das Endergebnis selbst gerichtet. Weiters sollen die
pflegerischen Aufgaben mit den gesellschaftlichen Erwartungen übereinstimmen.
Ergebnistheoretikerinnen waren Martha E. Rogers und Dorothy Johnson (Meleis 2008, S. 22).
Abgeschlossen wird dieses Kapitel indem der Praxisnutzen von Pflegetheorien erörtert werden
soll.
3.3 Praxisnutzen von Pflegetheorien
Pflegetheorien finden unter den Praktikern meist nicht die Bedeutung, die sie eigentlich haben
sollten. Für die Praxis scheinen die Theorien meist zu abstrakt, um sie in der Praxis anzuwenden.
Daher setzen sie sich auch nicht wirklich damit auseinander. Doch trotz der abschreckenden
Wirkung, die Pflegetheorien auf manche Praktikerinnen und Praktiker haben, kann man von
ihrem Nutzen für die Praxis nicht absehen.
Meleis (2008) sagt, das Theorien der Pflege die Begründung für die angestrebte Qualität liefern.
Sie umfassen die Grundannahmen und Grundüberzeugungen von denen ihre Tätigkeit geleitet
wird und stützen diese (Meleis 2008, S. 34).
Des Weiteren können Theorien dazu genutzt werden, Erkenntnisse über pflegepraktische
Situationen zu liefern und der Forschung die Richtung zu weisen. Durch Interaktion mit der
Praxis entstehen praktische Richtlinien (Meleis 1999, S. 54). Die Praxis wird durch Theorien
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effizienter und effektiver gemacht. Situationen können effektiver eingeschätzt werden (Meleis
1999, S. 55).
Informationen können durch einen theoretischen Rahmen gefiltert, analysiert und interpretiert
werden. Dadurch ist es möglich Pflege vorhersehbar zu planen und unwichtige von wichtigen
Daten zu trennen (Raudonis, Acton 1997, S. 138).
Meleis (1999) bezeichnet die Sprache der Theorie als allgemein verständliche Basis für
Kommunikation, während Raudonis und Acton (1997) meinen, dass die Theorie zu einer
besseren Kommunikation mit Anderen führt (Meleis 1999; Raudonis, Acton 1997).
Theorien können die Kommunikation zwischen Praktikern, Theoretikern, Klinikern und
Ausbildnern verbessern. Dadurch kann Pflege verständlicher, zielorientierter und
leistungsfähiger werden. Die Autonomie des Berufsstandes wird dadurch gefördert. Die Theorie
hilft den Fokus, den Mittel und den Zweck von Pflege zu benennen (Meleis 1999, S. 55).
Wichtig im Zusammenhang mit Theorien scheint ebenfalls zu sein, deren Pluralismus
anzuerkennen. Die Vielfalt an bestehenden Pflegetheorien ermöglicht es uns das Beste von ihnen
herauszuholen. Man muss nicht für jede Patientin, jeden Patienten die gleiche Theorie anwenden.
Dies impliziert aber, dass man genügend Wissen über Theorien haben muss. Sonst ist es
unmöglich die richtige Theorie zu finden. Die richtige Pflegetheorie für die Einrichtung zu
finden, wird auch von Raudonis und Acton (1997) als kritische Komponente genannt (Randonis,
Acton 1997, S. 138).
Da Theorien, wie bereits bei der Begriffsklärung erwähnt, in verschiedene Abstraktionsgrade
eingeteilt werden können, wird es sicherlich von Nutzen sein in Zukunft mehr Theorien mittlerer
Reichweite zu entwickeln. Diese sind nicht so abstrakt und beantworten einige Fragen der
Pflege. Somit befinden sie sich näher an der Realität und somit an der Praxis. Daher sind diese
Theorien für Praktiker besser nutzbar (Meleis 2008, S. 34 – 35). Dies könnte eventuell hilfreich
sein, um Praktiker mit Theorien vertrauter zu machen.
Zusammenfassend lassen sich also folgende Dinge nennen, die den praktischen Nutzen von
Pflegetheorien darstellen sollen:
Durch Pflegetheorien können Pflegepersonen den Fokus auf wichtige Informationen
lenken, indem sie wichtige Daten von unwichtigen trennen können.
Pflegetheorien helfen es die Kommunikation innerhalb von Gruppen und innerhalb der
eigenen Disziplin zu erleichtern.
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Pflegetheorien helfen es dem Berufsstand die Autonomie zu fördern und die Qualität
innerhalb der Disziplin zu verbessern.
Nützlich könnten sich vor allem Theorien mittlerer Reichweite erweisen, da sie aufgrund
ihres niedrigeren Abstraktionsgrad auch für Praktiker besser verständlich scheinen.
Pflegetheorien machten eine Entwicklung über die Geschichte hin durch und haben
erwiesenermaßen sehr wohl einen praktischen Nutzen, auch wenn die großen Theorien sehr
abstrakt erscheinen und eine Auseinandersetzung mit der Thematik erfordern. Nachdem dieser
Gesichtspunkt geklärt wurde, werden im nächsten Kapitel die Besonderheiten in der
Palliativpflege erläutert, woraus sich die Phänomene ergeben sollen, die Pflegetheorien enthalten
müssen, die in diesem Setting zur Anwendung kommen könnten.
20
4. Palliativpflege – Welche Besonderheiten bringt dieses Setting mit sich?
Palliativpflege ist ein eigener Aufgabenbereich, der bei den Pflegekräften ein sehr breit
gefächertes Wissen voraussetzt. Nicht nur die rein pflegerischen Tätigkeiten erfordern ein großes
Fachwissen, auch die zwischenmenschlichen Komponenten, nehmen einen großen Teil der
Arbeit mit Palliativpatienten ein. Im folgenden Kapitel sollen zentrale Aspekte bei der Arbeit mit
Palliativpatienten genannt werden, um klären zu können, welche Dinge in einer Pflegetheorie
enthalten sein müssen, die auf einer Palliativstation zur Anwendung kommen könnte.
4.1 Grundlegende Aspekte von Palliative Care
Im Rahmen der Palliative Care geht es nicht darum Heilung und Genesung zu bringen, sondern
die Lebensqualität des betroffenen Menschen zu erhalten beziehungsweise bestmöglich
wiederherzustellen. Das Leben soll nicht sinnloserweise verlängert, aber auch nicht durch aktive
Sterbehilfe verkürzt werden. In diesem Zusammenhang sei ein Zitat zu nennen, dass den
palliativen Leitgedanken treffend beschreibt: „Nicht dem Leben mehr Tage hinzufügen, sondern
den Tagen mehr Leben geben“ (Cicely Saunders in Schmid 2010, S. 218).
Menschen, die in diesem Setting betreut werden, brauchen spezielle Unterstützung. Sie befinden
sich in einem weiteren Abschnitt ihres Lebens, der prozesshaft und sicherlich nicht bei jedem
Menschen gleich verläuft (Seeger 2010. S. 9). Daher ist es für Pflegekräfte wichtig, sich
individuell in jeden Menschen neu hineinzuversetzen.
Probleme ergeben sich aber nicht nur durch körperliche Einschränkungen, der gesamte Mensch,
also Körper, Geist und Seele, und sein Umfeld sind von den Veränderungen betroffen. Daher ist
ein zentraler Aspekt der palliativen Versorgung, dass diese multiprofessionell erfolgt, um alle
Bereiche in denen die Patienten Unterstützung benötigen könnten, abgedeckt werden können. Es
ist unmöglich für eine Berufsgruppe allein, Sterbebegleitung zu leisten. Im multiprofessionellen
Team spielen aber nicht nur die Professionisten eine Rolle, sondern auch die Ehrenamtlichen
stellen eine wichtige Rolle in der palliativen Versorgung dar. Diese bringen einen wesentlichen
Faktor mit, den Professionisten oft aufgrund von strukturellen Gegebenheiten nicht in diesem
Ausmaß leisten können, wie es das Setting verlangen würde. Dieser Faktor ist Zeit. Daher sind
Ehrenamtliche eine wichtige Ressource im Rahmen der Palliative Care (Seeger 2010, S. 11).
Ebenso wichtig in der Palliative Care sind die Angehörigen. Sie sind durch die Veränderungen,
die eine Erkrankung eines Familienmitgliedes mit sich bringt, ebenso belastet wie der Patient
21
selbst. Daher sind die Angehörigen in der Palliative Care immer mit zu betreuen (Seeger 2010,
S. 9).
Aufgrund des umfassenden Tätigkeitsfeldes in der Palliative Care, wurden auch eigene
Fertigkeiten formuliert, die eine Pflegekraft haben muss um in einem palliativen Setting arbeiten
zu können. Eingeteilt werden können diese wiederum in zwischenmenschliche, fachliche und
persönliche Fertigkeiten. Zwischenmenschliche Fertigkeiten wären: Dialogfähigkeit,
Teamfähigkeit, gute Wahrnehmungsfähigkeit, Empathie, Haltung der Akzeptanz und des
Respekts und die Akzeptanz dessen, dass die Patientin/der Patient die Expertin/der Experte in
ihrer/seiner Situation ist. Fachliche Fertigkeiten wären eine gute Kenntnis von Krankheitsbildern
und deren möglichen Entwicklungen, Pro – Aktives Handeln (Einplanen dessen, was eintreten
könnte und dadurch schnellere und bessere Handlungsfähigkeit), Fähigkeit individuelle
Pflegekonzepte zu entwickeln und ethische Handlungskompetenzen. Persönliche Fertigkeiten
über die eine Pflegekraft in der Palliative Care verfügen sollte sind Flexibilität und Schnelligkeit
(weil sich Situationen in der Palliative Care schnell ändern können), Kreativität, Mut zum
Unkonventionellen und zum gesunden Menschenverstand, kritische Überprüfung der eigenen
Haltung und die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit (Schmid 2010, S. 219).
Schon allein die Auflistung dieser Fertigkeiten zeigt, wie umfassend Palliative Care ist und
welche Dinge von einer Pflegekraft in diesem Setting mitgedacht werden müssen.
Aber nicht nur die Professionisten haben eine Reihe an Fertigkeiten, die sie beherrschen sollten.
Auch das Klientel in diesem Setting (Patienten und Angehörige) stellt bestimmte Anforderungen
an die Betreuungspersonen. Patienten erwarten sich, dass die Professionisten kompetente Partner
aus den verschiedensten Berufsgruppen sind, die im ständigen Austausch miteinander stehen.
Des Weiteren erwarten sie sich gründliche Information und sie müssen Vertrauen in die
professionellen Partner haben können. Die Angehörigen hingegen brauchen Verständnis, ein
offenes Ohr, wiederholte Erklärungen und eine Einbindung in die Pflege, auch wenn es sich um
noch so winzige Aufgaben handelt (Schmid 2010, S. 219).
4.2 Besonderheiten in der Palliativpflege
Aus dem Unterkapitel 4.1 ist bereits ersichtlich, dass es sich in der Palliative Care um ein
spannendes, aber auch sehr forderndes Fachgebiet handelt. Einige grundlegende Aspekte auf die
die Palliative Care aufbaut wurden bereits genannt. Beispielsweise Multiprofessionalität im
Arbeiten, Mitbetreuung der Angehörigen und die verschiedensten Fertigkeiten, die in der Arbeit
im palliativen Setting vorhanden sein müssen.
22
Folgend werden zentrale Besonderheiten in der Palliativpflege genannt, die letztendlich als
Kriterien fungieren sollten, welche Pflegetheorien in diesem Bereich ihre Legitimation haben
könnten.
Was als zentrales Kriterium in der Palliativpflege betrachtet werden kann, ist der Aufbau einer
tragfähigen, vertrauensvollen Beziehung zwischen den Begleitern und den Erkrankten. Diese
sollte durch Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit geprägt sein, da Sterbende sehr sensibel sind, wenn
es darum geht zu erfassen ob ihnen jemand empathisch gegenübertritt (Kränzle 2010, S. 106).
Die Wichtigkeit einer Beziehung wurde auch von Mok und Chiu (2004) in einer von ihnen
durchgeführten Studie zu der Wichtigkeit von interpersonellen Beziehungen zwischen
Pflegepersonal und Patienten betont. Sie kamen zu dem Schluss, dass eine palliative Versorgung
nur dann optimal funktionieren könne, wenn es zu einem Aufbau einer interpersonellen
Beziehung zwischen Pflegepersonal und Patienten kommt. Wichtig für diesen Beziehungsaufbau
wären ihrer Meinung nach gemeinsame Ziele, die Gegenseitigkeit der Beziehung und das Wissen
um den Patienten (“knowing the patient“). Erst wenn man einen Patienten kennt, kann man seine
Bedürfnisse auch ohne große Worte wahrnehmen. Das ist wiederum förderlich für die Beziehung
zur Pflegeperson (Mok, Chiu 2004, S. 475 – 483). Dazu sind die wie bereits oben erwähnten
zwischenmenschlichen Fertigkeiten notwendig. Aber auch das Wissen über verschiedene
Kommunikationsmuster und Grundlagen der Gesprächsführung hinsichtlich nonverbaler und
verbaler Kommunikation sind für einen gelungenen Beziehungsaufbau Grundvoraussetzung.
Ebenso wichtig in der Palliative Care ist der Einbezug der Angehörigen in die Betreuung. Auch
diese sind als Adressaten der Pflege zu betrachten. Der Patient ist immer im Rahmen seines
Familiensystems zu sehen, sofern er in ein solches eingebettet ist. Eine Erkrankung stellt immer
eine große Belastung für die Patienten und deren Angehörige dar. Das Familiensystem in dem
die Patienten eingebettet sind, kann im Krankheitsverlauf dabei ein Problem werden oder aber
eine Ressource darstellen (Husebo 2006, S. 310). Jedes Familiensystem hat eine spezifische
Dynamik, die Rollenverteilung innerhalb dieses Systems erfolgte meist über Jahre. Tritt dann
eine Erkrankung bei einem Familienmitglied auf, müssen die Rollen gezwungenermaßen neu
verteilt werden. Wie mit dieser Situation dann umgegangen wird, hängt von der
Anpassungsfähigkeit des Familiensystems ab. Natürlich kann es sein, das Probleme schon vor
der Erkrankung eines Familienmitgliedes bestanden haben. Diese werden dann auch in einer
auftretenden Lebenskrise nicht plötzlich gelöst werden können und das Betreuungsteam muss
achtgeben, diesem ohnehin schon beschädigten Familiensystem durch falschen Umgang nicht
noch mehr Schaden zuzufügen. Im Hinblick auf die Patienten sei zu erwähnen, dass sich diese
23
Probleme nicht selten in belastenden körperlichen Symptomen wie beispielsweise
Schlaflosigkeit oder verstärkten Schmerzen äußern können (Husebo 2006, S. 313).
Wenn nun die Vulnerabilität dieser Systeme in kritischen Lebensphasen Berücksichtigung findet
und die Möglichkeit eines Schadens dieses Systems durch ein Fehlverhalten des
Betreuungsteams mitgedacht wird, müssen gewisse Grundregeln zur Unterstützung einer Familie
bedacht werden. Die Betreuungspersonen müssen sich bewusst sein, dass sie für einen
begrenzten Zeitraum in das System Familie eindringen und dieses auch zu einem Teil verändern.
Es ist daher wichtig Neutralität gegenüber den Familienmitgliedern zu wahren und keine
Zugehörigkeit zu einzelnen Personen oder innerfamiliären Gruppierungen zu signalisieren.
Letztendlich sollte zu allen Familienmitgliedern eine förderliche und akzeptierende Beziehung
gepflegt werden. Indem das Familiensystem von den Betreuungspersonen adäquat unterstützt
wird, werden innerhalb und außerhalb der Familie psychosoziale und spirituelle Ressourcen
mobilisiert (Beutel 2010, S. 28). Unter Berücksichtigung dieser „Grundregeln“ ist zu sagen, dass
die Betreuung von lebensbedrohlich erkrankten Patienten und deren Familien ein Höchstmaß an
Verantwortung vom gesamten Betreuungsteam verlangt (Husebo 2006, S. 313).
Was aber im Hinblick auf die Mitbetreuung der Angehörigen nicht außer Acht gelassen werden
darf, ist, dass das Hauptaugenmerk aller pflegerischen Leistungen trotzdem auf die Patienten zu
richten ist. Damit ist beispielsweise gemeint, dass auch wenn die Familie mit einbezogen wird,
keine Gespräche mit Angehörigen über den Kopf der Patienten hinweg erfolgen dürfen. Ebenso
wenig darf es der Fall sein, dass Angehörige besser über den Gesundheitszustand der
Betroffenen Bescheid wissen, als die Erkrankten selbst. Natürlich dürfen auch Gespräche mit
den Angehörigen alleine geführt werden, zu Themen die sie betreffen. Dies wären beispielsweise
Fragen zu ihrer Situation, wie es ihnen gehe oder wo sie Unterstützung brauchen. Des Weiteren
können auch Gespräche über praktische Fertigkeiten im Rahmen von pflegerischen Tätigkeiten,
die von ihnen übernommen werden durchaus mit ihnen allein geführt werden. Im Rahmen
solcher Gespräche sollen auch Anerkennungen ihrer Leistungen angesprochen werden, denn dies
ist für die Angehörigen ebenso wichtig. Dinge die aber die Erkrankten gleichermaßen betreffen,
sollen nur in Gegenwart dieser besprochen werden. Ansonsten könnte es zu einer
Machtausübung der Angehörigen gegenüber den Patienten kommen, indem Informationen
zurückgehalten werden oder Unwahrheiten erzählt werden (Husebo 2006, S. 313 – 316).
Wenn aber Angehörige in die Pflege mit einbezogen werden wollen (und dies ist in den meisten
Fällen zutreffend), brauchen sie die volle Unterstützung des Betreuungsteams. Denn für die
Angehörigen ist nichts schlimmer, als nichts tun zu können beziehungsweise das Gefühl zu
haben nichts tun zu dürfen. Handelt es sich um ein intaktes Familiensystem profitieren dann
24
beide Seiten vom Einbezug der Angehörigen. Die Angehörigen haben das Gefühl etwas tun zu
können und können ihren Angehörigen begleiten, was auch schon ein wichtiger Schritt in
Richtung Trauerarbeit darstellt. Und die Patienten fühlen sich durch die Angehörigen unterstützt
und kommen mit ihrer Erkrankung besser zurecht.
Was als letztes wichtiges Kriterium im Rahmen der Palliative Care genannt werden sollte, ist der
Blickwinkel auf den Menschen selber. Für die Patienten die einer palliativen Versorgung
bedürfen sind verschiedene Dinge wichtig. Einerseits sollen körperliche Beschwerden gelindert,
und eine gewisse Lebensqualität zurückgewonnen beziehungsweise erhalten werden.
Andererseits stehen aber andere Dinge ebenfalls im Mittelpunkt, die neben den körperlichen
Aspekten, eine genauso große Wichtigkeit besitzen. McIlfatrick (2007) fand dazu in einer Studie
heraus, dass soziale Bedürfnisse und Unterstützung von Angehörigen bei Pflegetätigkeiten
ebenso wichtig erscheinen, wie körperliche Aspekte selber (McIlfatrick 2007, S. 77 – 86).
Diesen Anforderungen will der Betreuungsrahmen von Palliative Care gerecht werden, indem
alle diese Aspekte ihre Berücksichtigung finden. Den körperlichen Leiden wird Beachtung
geschenkt durch den Versuch die Lebensqualität der Patienten zu verbessern beziehungsweise zu
erhalten. In Anbetracht der psychosozialen Aspekte spendet das Betreuungsteam sowohl den
Betroffenen als auch den Angehörigen emotionalen Beistand und versucht bei der Erledigung
ungelöster Probleme zu helfen und die Kommunikationsfähigkeit innerhalb des Familiensystems
zu verbessern. Ebenso Aufgabe der psychosozialen Betreuung ist es, den Betroffenen bei der
Auseinandersetzung mit dem bevorstehenden Tod behilflich zu sein. Was im Rahmen des
ganzheitlichen Menschenbildes ebenfalls nicht vergessen werden darf ist der spirituelle Aspekt.
Auch hier bietet das multiprofessionelle Palliativteam Unterstützung (Kränzle 2010, S. 4).
Letztendlich lassen sich also folgende Kriterien definieren, die in Pflegetheorien berücksichtigt
werden sollten, die auf Palliativstationen zur Anwendung kommen könnten:
Die Pflegepersonen sollten bereit sein eine Beziehung mit den Patienten aufzubauen,
denn nur so ist eine optimale palliative Versorgung im Hinblick auf die Erfüllung der
Bedürfnisse der Betroffenen möglich. Rückblickend auf die in Kapitel 3.2 erwähnten
Denkschulen würde sich in diesem Zusammenhang die Denkschule der
Interaktionstheoretikerinnen anbieten.
Die Theorien sollten ebenso Bezug auf die Angehörigen nehmen und deren Rolle in dem
Krankheitsprozess darstellen. Dies wäre im Trajektmodell von Corbin und Strauss der
25
Fall, die über den Verlauf und die Bewältigung von chronischer Krankheit forschten und
dabei auch die Auswirkungen auf die Angehörigen mitberücksichtigt haben.
Ebenso sollten die Theorien einen biopsychosozialen Ansatz verfolgen. Ein
ganzheitliches Menschenbild sollte vertreten werden und nicht nur eine biomedizinische
Denkweise, da dies nicht mit dem Leitgedanken der Palliative Care vereinbar wäre.
Im nächsten Kapitel werden nun einige Theorien vorgestellt, die die oben genannten Kriterien
beinhalten.
26
5. Vorstellung relevanter Pflegetheorien
Welche Pflegetheorie an einer Abteilung angewendet wird, hängt sehr stark vom
Pflegeverständnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ab, die sich bei ihrer täglichen Arbeit mit
den Handlungen die sich daraus ergeben identifizieren können müssen. Daher wäre es
wünschenswert wenn eine Pflegetheorie gemeinsam mit den Mitarbeitern ausgewählt werden
und ihnen nicht vorgegeben werden würde, wie es in der Praxis aber Großteils der Fall ist.
Durch das Festsetzen einer Pflegetheorie ergibt sich ein späteres einheitliches Vorgehen und eine
bestimmte Haltung dem eigenen Tun gegenüber (Kränzle 2010, S. 177).
Wie bereits in Kapitel 4 dieser Arbeit erwähnt, ist das Arbeiten auf Palliativstationen eine
hochkomplexe Materie. Daher muss eine Pflegetheorie, die hier zur Anwendung kommen könnte
auch viele Gesichtspunkte umfassen. Die Kriterien die wichtig wären, dass sie in der
Pflegetheorie erwähnt würden, sind im vorangegangenen Kapitel beschrieben worden. Um sie
noch einmal in Erinnerung zu rufen, seien sie hier nochmals erwähnt. Wichtig ist der Aufbau
einer Beziehung zu den Betroffenen. Des Weiteren spielt die Angehörigenbetreuung ebenfalls
eine wichtige Rolle in der palliativen Arbeit. Abschließend soll die Pflegetheorie einen
biopsychosozialen Ansatz verfolgen und nicht rein an körperlichen Gebrechen interessiert sein.
Im folgenden Kapitel sollen nun passende Pflegetheorien für das palliative Setting vorgestellt
werden.
Mittlerweile wurde bereits mehrfach erwähnt, dass Interaktion und Beziehungsaufbau im
palliativen Setting das absolute Muss sind, um eine optimale Versorgung der Betroffenen
gewährleisten zu können. Daher scheiden alle anderen Pflegetheorien bis auf die
Interaktionstheorien aus der weiteren Betrachtung aus und der Fokus richtet sich im Folgenden
nur mehr auf diese. Ebenso wurde bereits beim Filtern der Literatur darauf geachtet, dass die
Kriterien vom Kapitel 4 in den Theorien Beachtung finden. Diese Vorstellung ist ein weiterer
Schritt auf dem Weg zur Forschungsfrage.
5.1 Das Verlaufskurvenmodell von Corbin und Strauss
Das Verlaufskurvenmodell von Corbin und Strauss wurde über viele Jahre hinweg immer
weiterentwickelt. Mit diesem Modell versuchten die beiden Forscher den Verlauf chronischer
Krankheiten und deren Auswirkungen auf die Angehörigen zu beschreiben. Dazu führten sie
eine Studie durch in der sie chronisch Kranke und deren Partnern befragten. Aus den
27
Ergebnissen dieser Studie und anderen wissenschaftlichen Arbeiten entstand dann letztendlich
das Verlaufskurvenmodell, wie es im folgenden Abschnitt der Arbeit beschrieben werden soll.
Das Verlaufskurvenmodell basiert auf dem symbolischen Interaktionismus. Dieser besagt, dass
Menschen Dingen gegenüber auf Grundlage von Bedeutungen handeln, die diese Dinge für sie
besitzen. Die Bedeutung von Dingen wird von der sozialen Interaktion, die man mit
Mitmenschen eingeht abgeleitet oder entsteht daraus. Ebenso wird diese Bedeutung in einem
interpretativen Prozess, den die Person in der Auseinandersetzung mit verschiedenen Dingen
benutzt gehandhabt beziehungsweise abgeändert (Blumer 1973 in Corbin et al. 2009, S.55).
Des Weiteren wird beschrieben dass Strukturen keinesfalls statisch sind, sondern durch
Interaktions- und Aushandlungsprozesse verändert werden (Corbin et al 2009, S. 56).
Zentral im Verlaufskurvenmodell sind die Verlaufskurven in die eine chronische Krankheit
eingeteilt werden kann und der Aspekt der Arbeit, welche die Bewältigung einer chronischen
Krankheit von allen Beteiligten erfordert (Corbin, Strauss 2010, S. 307).
Corbin und Strauss (2010) erwähnen, auch dass sich ihr Modell in mehrere Komponenten
unterteilen lässt, je nachdem welchen Nutzen man aus dem Modell ziehen will. Nämlich ob man
entweder die chronische Krankheit an sich genauer betrachten, oder das Modell zur praktischen
Arbeit mit chronisch Kranken und deren Angehörigen heranziehen will. Die Komponenten des
Verlaufskurvenmodells wären Kontext, Arbeit und Interaktion, Biographie und
Verlaufskurvenphasierung.
Diese Komponenten sollen folgend erklärt werden.
Kontext:
Unter Kontext verstehen Corbin und Strauss die Bedingungsmatrix, die die beiden aufgestellt
haben. Mit dieser zeigen sie Bedingungen für krankheitsbedingte Arbeit auf (Corbin, Strauss
2010, S. 314).
Die Bedingungsmatrix lässt sich in verschiedene Kreise aufteilen. Der äußerste Kreis beschreibt
die Makrobedingungen. Damit sind die politischen und sozioökonomischen Bedingungen
gemeint. Der nächste Kreis widmet sich der Arbeitsdurchführung und Bedingungen die sich
direkt darauf auswirken. Berücksichtigt werden Krankheit (zum Beispiel Schwere der
Krankheit), Biografie (Ausmaß der Körperstörung) und Alltagsleben (Familienstand, Beruf,
Freundeskreis). Diese 3 Aspekte bilden die Bewältigungssituation selbst. Im nächsten Kreis geht
es um die Arbeit an sich. Hier werden die 3 Arbeitslinien die ein Betroffener und seine
Angehörigen leisten müssen berücksichtigt. Diese wären die krankheitsbedingte Arbeit, also
Arbeit die direkt mit der Krankheit zusammenhängt wie beispielsweise Krankheitsbewältigung,
28
die alltagsbezogene Arbeit (Arbeiten die im alltäglichen Leben der Betroffenen erledigt werden
müssen) und die Biographiearbeit. Unter Biographiearbeit versteht man jene Arbeit die
aufgebracht werden muss um eine neue Identität zu finden, wenn man durch Krankheiten in
seinem bisherigen Leben eingeschränkt wird. Der vierte Kreis beschreibt den strukturellen
Kontext. Es geht um Strukturbedingungen die sich auf Arbeitsprozesse beziehen, die dem
Versuch dienen die Kontrolle über Verlaufskurve, Biographie und Alltagsleben aufrecht zu
erhalten. Im vorletzten Kreis stehen die Interaktionsbedingungen. Diese beschreiben die
Interaktionsstrategien der verschiedenen Akteure. Arbeitsprozesse können ohne Interaktion nicht
ausgeführt werden und die Einstellungen der Akteure können sich durch Interaktion verändern,
was wiederum Einfluss auf den Arbeitsprozess haben kann. Der innerste Kreis beschreibt die
Arbeitsdurchführung selbst und gibt Auskunft über den Umfang in dem die Arbeit durchgeführt
wird. Diese Matrix kann insofern als Kreislauf betrachtet werden, als dass sich die
Arbeitsdurchführung (also der Kern der Matrix) wiederum auf alle Ebenen derselben zurück
auswirken kann (Corbin, Strauss 2010, S. 149 – 150).
Die nächste Komponente im Verlaufskurvenmodell ist Arbeit und Interaktion.
Arbeit und Interaktion:
Bei dieser Komponente geht es nach Corbin und Strauss darum, die verschiedenen Arbeitslinien
(Krankheit, Alltag, Biographie) auszubalancieren. Weiters geht es um die Arbeitsdurchführung
und die Rolle der Interaktion dabei (Corbin, Strauss 2010, S. 314).
Die verschiedenen Arbeitslinien wurden unter 5.1.1 schon beschrieben. Diese stehen in
Verbindung miteinander und bedürfen je nach Art und Schwere der Erkrankung
unterschiedlicher Aufmerksamkeit. Ressourcen müssen zur Bewältigung der Arbeitslinien
angezapft werden. Meist kommt es in diesem Rahmen zu einem Kampf der Ressourcen, da nicht
genügend von ihnen verfügbar sind. Also müssen Prioritäten gesetzt werden, wie die Ressourcen
bestmöglich aufgeteilt werden (Corbin, Strauss 2010, S. 122).
Um die Arbeit bewältigen zu können bedarf es Interaktion. Denn Interaktion dient nicht nur der
Kommunikation an sich, sondern auch der Ausrichtung bestimmter Arbeiten. Durch das
Interagieren mit sich selber und mit anderen Akteuren können arbeitsbezogene Handlungen
schließlich zusammengeführt und eine Arbeitsteilung kann vorgenommen werden (Corbin,
Strauss 2010, S. 143).
Als nächste Komponente sei die biographische Komponente genannt.
29
Biographische Komponente:
Mit biographischer Komponente ist die biographische Arbeit gemeint, die bei der Bewältigung
einer chronischen Erkrankung geleistet werden muss. Diese beinhaltet 4 Prozesse, die
gleichzeitig ablaufen und in direkter Wechselwirkung zueinander stehen. Diese Prozesse sind
kontextualisieren, bewältigen, Identität wiederherstellen und Biographie neu entwerfen.
Kontextualisieren bedeutet dabei seine Krankheitsverlaufskurve in seine Biografie zu
integrieren. Mit Bewältigen ist gemeint, dass der Betroffene ein gewisses Maß an Verständnis
und Akzeptanz für Einschränkungen und daraus resultierenden Konsequenzen erreicht. Im
weiteren Verlauf der biografischen Arbeit soll der Betroffene seine Identität wiederherstellen
indem er neue Tätigkeiten findet, die er aufgrund seiner Einschränkungen trotzdem ausführen
kann. Und als letzter Teil der biografischen Arbeit sei erwähnt, dass der Betroffene seine
Biografie neu entwirft, indem er ihr eine neue Richtung gibt. Die biografische Arbeit kann nur
vom Betroffenen selbst geleistet werden. Eine Unterstützung dabei ist zwar möglich aber die
eigentliche Arbeit muss von ihm erfolgen. In die biografische Arbeit hinein spielen auch die
Verlaufskurvenphasen, die zugleich die nächste Komponente darstellt (Corbin, Strauss 2010, S.
83 – 84).
Verlaufskurvenphasen:
Corbin und Strauss sprechen in ihrer Theorien von Verlaufskurvenphasen, die je nach
Erkrankung von unterschiedlicher Dauer sein können. Die chronisch Erkrankten können immer
wieder in diesen Phasen pendeln und die verschiedenen Phasen implizieren verschiedene
Einschränkungen und Handlungen die damit verbunden sind. Die Einteilung in diese Phasen
lässt eine gewisse Ordnung erkennen, bedeutet aber nicht dass sie linear verlaufen (Corbin et al.
2009, S. 66). Es ist auch zu erwähnen, dass es bei allen Phasen sehr wohl Gemeinsamkeiten gibt,
also gewisse Handlungsmuster denen sich alle chronisch Erkrankten bedienen. Gleichwohl muss
aber auch das Bewusstsein vorhanden sein, dass es sich um individuelle Persönlichkeiten
handelt, also kein Mensch in jeder Situation hundertprozentig gleich reagieren wird.
Chronisch Erkrankte durchlaufen im Rahmen des Krankheitsgeschehens folgende Phasen:
Akute Phasen: in dieser Phase kommt es zu akuten Ereignisse. Neue Symptome können
auftreten, deren Bewältigung wiederum neuer Arbeit bedarf.
Normalisierungsphasen: In diesen Phasen haben die Betroffenen das Gefühl das wieder
Normalität in ihr Leben einkehrt. Corbin und Strauss (2010) sprechen dabei auch von
Zeiten physischer und psychischer Erholung.
30
Stabile Krankheitsphasen: Hier geht es für die Betroffenen vor allem darum richtige
Lebensbedingungen anzuwenden, die es ihnen ermöglichen die Stabilität solange wie
möglich aufrecht zu erhalten. Ebenso ist es den Betroffenen in dieser Phase aber möglich
wieder am Leben teilzunehmen und eine gewisse Stabilität in ihrem Leben zu erfahren.
Instabile Phasen: Diese sind für den Erkrankten besonders quälend, da das gesamte Leben
außer Kontrolle scheint. Der Krankheitsverlauf, die Symptome und auch die
Lebensumstände, die sich durch eine erneute Verschlechterung oder das Auftreten neuer
Symptome wieder zu verändern beginnen.
Phasen der Abwärtsentwicklung: Diese können wiederum unterteilt werden in
Verschlechterung und Sterben. In diesem Zusammenhang ist es Corbin und Strauss
(2010) aber sehr wichtig zu sagen, dass auch diese Phasen noch in Phasen der
Normalisierung, der Stabilität und der Instabilität unterteilt werden können. Gleichwohl
stabile Phasen oder Phasen der Normalisierung nur mehr unvollkommen oder kurz sein
mögen (Corbin, Strauss 2010, S. 173 – 175).
Neben dem Aufstellen der Verlaufskurven haben Corbin und Strauss aber ebenfalls die
Auswirkung der chronischen Erkrankung auf die Partner der Betroffenen dargestellt. Diese
müssen die Krankheit ebenso bewältigen wie der Betroffene selbst. In ihren Untersuchungen
fanden Corbin und Strauss heraus, dass kranke Menschen und ihre Partner in einer Umgebung
leben wo andere Menschen wenig oder überhaupt nichts von den Schwierigkeiten wissen, mit
denen sie alltäglich zu kämpfen haben. Außerdem scheint es aus einem Gefühl der
Familienverantwortung heraus eher so zu sein, dass sie nur im Notfall andere Menschen um
Hilfe bitten und eher dazu neigen, alles alleine zu bewältigen. Ebenso scheint der Zugang zu
unterstützenden Diensten, zumindest in den USA, sehr schwierig zu sein. Erwähnt wird aber
dass auch die Familie Unterstützung bei der Bewältigung der Erkrankung eines
Familienmitgliedes benötigt und die Professionisten die Angehörigen unbedingt in ihre
Überlegungen mit einbeziehen sollten (Corbin, Strauss 2010, S. 305 – 306).
Für die Praxis ergeben sich daraus folgende Implikationen, die zu bedenken sind wenn man sich
mit chronisch Erkrankten beschäftigt:
Chronische Krankheiten sind langfristig. Verschiedene Dinge wie beispielsweise
berufliche Situation, Lebensphase, usw. müssen berücksichtigt werden. Ebenso ist es
wichtig darüber nachzudenken welche Art von Erkrankung der Betroffene aufweist.
31
Weitere Beachtung sollte die Phasierung finden. Die Professionisten müssen sich
unbedingt die Frage stellen in welcher Verlaufskurvenphase sich der Betroffene und
seine Familie befinden, da wie bereits erwähnt jede Phase ihre eigenen Anforderungen
hat.
Ebenso bedeutsam ist es zu wissen, welchen Informationsstand jeder Einzelne der
beteiligten Personen aufweist.
Das Prinzip der Arbeit ist für die Krankheitsbewältigung von zentraler Bedeutung. Es
sollte allen klar sein welche Formen von Arbeit geleistet werden müssen, wie die
Arbeitsprozesse aufgeteilt werden können und vor allem wie Interaktion dazu beitragen
kann diese zu strukturieren.
Letztendlich müssen auch Ereignisse mit einbezogen werden, die die
Krankheitsbewältigung beeinflussen können und Konsequenzen, die durch die Krankheit
entstehen.
Auch die Frage nach der effektivsten Versorgung sollte nicht ungeklärt bleiben (Corbin,
Strauss 2010, S. 318 – 322).
Die Vorstellung dieser Theorie zeigt schon, dass es sich um eine umfassende Theorie handelt,
die darauf abzielt die Umgebungsfaktoren und die Auswirkungen einer chronischen Erkrankung
zu erfassen und nicht nur die medizinischen Auswirkungen aufzulisten. Ebenso wird auch den
Angehörigen der Erkrankten ein wichtiger Platz eingeräumt, indem mehrfach erwähnt wird, dass
ein umfassendes Maß an Arbeit vonnöten ist, um eine solche Erkrankung bewältigen zu können.
Die Arbeit muss dabei nicht nur vom Erkrankten selber, sondern auch von seinen Angehörigen
geleistet werden.
5.2 Theorie der interpersonalen Aspekte der Pflege von Joyce Travelbee
Joyce Travelbee ist eine der Interaktionstheoretikerinnen. In ihrer Theorie geht es um Krankheit,
krankheitsbedingte Beeinträchtigungen und um den Verlust der körperlichen und psychosozialen
Integrität, aufgrund derer eine autonome Lebensbewältigung nicht mehr möglich ist. In ihrer
Theorie nimmt sie aber auch Bezug auf terminal erkrankte Menschen und beschreibt was Pflege
für sie tun kann. Ebenso formuliert Travelbee was Pflege ist, was die Pflegeperson zu tun hat,
was das Ziel der Pflege sein soll und wie eine Pflege – Patient – Beziehung entstehen kann.
32
Diese einzelnen Punkte sollen kurz erklärt werden, um ein Verständnis für ihre Theorie zu
erlangen.
Beschreibung des Begriffes Pflege in Travelbee’s Theorie:
Pflege ist ein interpersonaler Prozess. Dies resultiert daraus, dass Pflege unmittelbar mit
Menschen zu tun hat. Der Begriff interpersonal bindet in dieser Theorie alle Personen mit ein,
die mit der Person die Hilfe benötigt zu tun haben. Nicht nur Professionisten anderer
Berufsgruppen, auch Familienmitglieder sind in die Pflege mit eingebunden bzw. können
Rezipienten der Pflege werden. Pflege wird als Prozess beschrieben, weil sie eine Folge von
Geschehnissen zwischen Personen oder Personengruppen darstellt, die pflegerische
Unterstützung brauchen. Dabei beeinflussen Pflegeperson und Patient einander und es kommt so
zu einer Pflege – Patient – Interaktion (Travelbee 1966 in Schaeffer et al. 2008, S. 100).
Aufgabe der Pflege:
Die Pflegeperson wird als Assistenz des Individuums oder der Familie gesehen, die Pflege
benötigen. Sie soll darauf hinwirken eine Veränderung im Verhalten des Rezipienten der Pflege
zu bewirken (Travelbee 1966 in Schaeffer et al. 2008, S. 100 – 101).
Ziel der Pflege:
Das Ziel das die Pflegeperson erreichen will, ist Krankheit und Leiden zu bewältigen, zu lindern
und Sinn in diesen zu finden. Die Pflege – Patient – Beziehung ist dabei jener Prozess mit dem
dieses Ziel erreicht werden soll (Travelbee 1966 in Schaeffer et al. 2008, S. 107).
Pflegeprobleme ergeben sich daraus wenn es zu keiner Pflege – Patienten – Beziehung kommt
oder die Erkrankten keinen Sinn in ihrem Leiden finden können (Meleis 1999, S. 311).
Pflege – Patient – Beziehung:
Um diese zu erreichen ist es wichtig, dass sich die Pflegekraft als Person therapeutisch in den
Prozess einbringt. Wenn die eigene Person therapeutisch eingebracht wird, ist es möglich beim
Gegenüber Veränderungen hervorzurufen. Daher reicht in der Pflege wissenschaftlich fundiertes
Wissen allein nicht aus, die Pflegekraft muss sich auch als Person therapeutisch einbringen
können. Damit sie dies aber tun kann muss sie sich über ihre eigenen Werte und Vorstellungen
im Klaren sein und sie muss Fähigkeiten der Urteilskraft, Empathie, Logik und des Mitgefühls
besitzen (Travelbee 1966 in Schaeffer et al. 2008, S. 109 – 110).
33
Unter Pflege – Patienten – Beziehung wird folgendes verstanden:
„Eine Pflege – Patient – Beziehung ist in erster Linie eine Erfahrung beziehungsweise eine
Ansammlung von Erfahrungen zwischen einer Pflegekraft und einem Patienten oder einer
Einzelperson wie etwa einem Familienmitglied des Patienten, die der Dienste der Pflege
bedürfen. Hauptmerkmal dieser Erfahrung ist die Tatsache, dass der Pflegebedarf des
Betreffenden (oder des Familienmitglieds) erfüllt wird. Eine Pflege – Patient – Beziehung wird
von einer professionellen Pflegekraft zielstrebig aufgebaut und aufrechterhalten.“(Travelbee
1966 in Schaeffer et al. 2008, S. 110 – 111).
Der Aufbau einer solchen persönlichen Beziehung durchläuft 4 Phasen. Diese sind miteinander
verschränkt und erst wenn sie abgeschlossen sind resultiert daraus ein sogenanntes persönliches
Verhältnis.
1. Phase der Begegnung: Sowohl Patienten als auch Pflegekräfte ziehen bei dieser ersten
Begegnung ihre Schlüsse über den Anderen. Diese ergeben sich aus dem
Erfahrungshintergrund der Personen. Daher wird das Gegenüber zuerst in Stereotype
Pflegekraft und Patient gezwängt und es werden nicht die Besonderheiten der einzelnen
Person betrachtet. Solang sich dies nicht ändert werden die Stereotype aufrecht bleiben.
2. Phase der wechselseitigen Identifizierung: In dieser Phase kommt es dazu, dass die
Beteiligten die Besonderheiten des Anderen anerkennen und eine Beziehung mit ihm
anknüpfen können. Dafür muss aber über das eigene Ich hinausgegangen werden, um den
anderen wahrzunehmen. Allmählich stellt sich zwischen Pflegekraft und Patient eine
Bindung her und die Stereotypen beginnen sich langsam aufzulösen.
3. Phase der Empathie: Durch die Phase der wechselseitigen Identifizierung wurde die
Vorstufe für diese Phase geschaffen. In dieser sind die Beteiligten fähig über das äußere
Verhalten des Anderen hinauszublicken und deren innere Erfahrung exakter zu erfassen.
Empathie bedeutet teilhaben an, heißt aber trotzdem in Distanz zu der Person zu bleiben
für die man Empathie empfindet. Aus der Empathie soll letzten Endes die Fähigkeit
resultieren, das Verhalten des Individuums zu dem man Empathie empfindet,
vorauszusagen.
4. Phase der Sympathie: Sympathie resultiert aus der Fähigkeit der Empathie und beschreibt
eine Erfahrung zwischen zwei oder mehr Personen. In ihr macht sich ein Streben oder ein
Wunsch Leiden zu lindern geltend. Dabei sagt Travelbee (1966) aber, dass man durch
Sympathie zwar Betroffenheit empfindet, durch diese aber keineswegs disqualifiziert ist.
Voraussetzung dafür ist das die Pflegekraft authentisch ist, Mitgefühl empfindet und
34
dieses auch zeigen kann. Wenn Sympathie nicht entsteht, ist die Pflege – Patient –
Beziehung letztlich nur eine Oberflächliche (Travelbee 1966 in Schaeffer et al. 2008, S.
116 – 120).
Wurden alle diese Phasen positiv durchlaufen kann schließlich ein persönliches Verhältnis, ein
sogenannter rapport, entstehen. In diesem lösen sich dann die Stereotype von Pflegekraft und
Patient ein für alle mal auf und die Beteiligten werden zu Menschen. Dadurch werden
Erfahrungen erst möglich (Travelbee 1966 in Schaeffer et al. 2008, S. 120 – 121). Die Personen
die in diese Beziehung verknüpft sind können in Personen die Hilfe brauchen und jene die helfen
unterteilt werden. Travelbee distanziert sich nämlich von den Begrifflichkeiten Pflegekraft und
Patient, da diese beiden Begrifflichkeiten kein persönliches Verhältnis entstehen lassen können.
Diese Bezeichnungen existieren in einem persönlichen Verhältnis nicht mehr.
Bei der Pflegekraft – Patient – Beziehung geht es letztendlich darum den Pflegebedarf zu
erheben. Dies kann in dem Durcharbeiten folgender Schritte erfolgen, die mit dem Pflegeprozess
vergleichbar sind:
1. Beobachtung: Diese sollte systematisch erfolgen. Damit ist gemeint, dass genau gewusst
wird auf welche Bereiche sich die Beobachtung zu richten hat. Ebenso muss sie
Beurteilen können was sie beobachtet hat. Diese Fähigkeit ist vor allem deswegen
wichtig, weil viele hilfsbedürftige Personen ihren Hilfsbedarf nicht artikulieren können.
2. Verifizierung der Annahmen: Diese erfolgt im Optimalfall gemeinsam mit dem Patienten
um diesem die Gelegenheit zu geben die Einschätzung der helfenden Person zu
bestätigen oder gegebenenfalls zu entkräften. Angemerkt wird aber auch, dass dies nicht
immer möglich ist, wenn es der Zustand des Patienten nicht zulässt. In solchen Fällen
muss die Pflegekraft selber in der Lage sein ein Urteil über den Hilfsbedarf zu fällen.
3. Entscheidungen über Hilfeangebote: Hier entscheidet die helfende Person, ob sie den
Bedarf des Hilfsbedürftigen erfüllen kann, oder ob sie ihn an einen Spezialisten
überweisen soll. Allerdings heißt das nicht, dass sich die helfende Person so aus der
Verantwortung ziehen sollte, sondern sie sollte in Verbindung mit dem Spezialisten
bleiben und ihm alle notwendigen Informationen zukommen lassen und Hand in Hand
mit ihm arbeiten.
4. Planung von Pflegemaßnahmen: Die Pflegeperson entscheidet mit welcher Methode auf
den Pflegebedarf des Patienten reagiert wird und wann der Bedarf erfüllt werden soll.
Dies geschieht auf Grundlage der verifizierten Annahmen. Ebenfalls werden Alternativen
zur Erfüllung des Bedarfes der Patienten entwickelt.
35
5. Evaluation des Ausmaßes in dem der Bedarf erfüllt wurde: Es ist Aufgabe der Pflegekraft
zu ermitteln ob die Bedürfnisse der hilfesuchenden Person erfüllt wurden oder nicht.
Dabei beobachtet sie Veränderungen im Verhalten des Patienten und klärt mit ihm
gemeinsam ob sein Bedarf befriedigt wurde. Dabei bedient sich die helfende Person ihrer
Beobachtungs- und Kommunikationsfähigkeiten. Letztendlich ist aber die hilfesuchende
Person die letzte Entscheidungsinstanz für den eigenen Bedarf (Travelbee 1966 in
Schaeffer et al. 2008, S. 112 – 116).
Wie bereits erwähnt werden in der Theorie der interpersonalen Aspekte der Pflege sowohl die
Patienten als auch die Pflegekräfte als Menschen betrachtet und von ihren Stereotypen
entbunden. Daher scheint es nicht verwunderlich, dass Pflegepersonen als Menschen mit eigenen
Bedürfnissen dargestellt werden, die genauso wichtig sind und ohne deren Erfüllung die
Bedürfnisse der Patienten ebenfalls nicht durchgängig erfüllt werden können (Travelbee 1966 in
Schaeffer et al. 2008, S. 111).
5.3 Zielerreichungstheorie von Imogene King
King leitete die Zielerreichungstheorie aus ihrem Systemmodell ab. Als philosophische Basis
ihres Systemmodells kann man die Systemtheorie benennen. Ebenso finden sich viele Teile des
symbolischen Interaktionismus in ihren Ausführungen wieder. King selbst jedoch bestritt immer
wieder, dass sie sich in ihrer Theorie an diesem bedient hatte (Meleis 1999, S. 526 – 527).
Ihre Theorie befasst sich mit zentralen Fragen der Interaktionsprozesse, die zur Zielerreichung
führen sollen. Ebenso soll damit geklärt werden welche Bedeutung die Zielsetzung für das
Erreichen von Pflegezielen hat (Meleis 1999, S. 520). Während King die Pflege zuerst nur auf
Individuen bezog, erweiterte sie ihre Theorie später auch auf Familien als Klienten der Pflege
(Meleis 1999, S. 530).
Beschreibung des Begriffes Pflege in King’s Zielerreichungstheorie:
Pflege wird als Prozess menschlicher Interaktion zwischen Pflegekraft und Klient gesehen. In
einer entsprechenden Situation nehmen sich diese Personen gegenseitig wahr. Dies geschieht
durch Kommunikation, gemeinsame Zielsetzung, Suche nach geeigneten Mitteln und durch
Einigung auf die Mittel zur Zielerreichung. Pflege wird benötigt, wenn ein Individuum seine
sozialen Rollen nicht mehr erfüllen kann. Das Ziel der Pflege ist somit, dem Individuum zu
helfen Gesundheit zu erhalten oder wiederzuerlangen um seine sozialen Rollen wieder ausüben
36
zu können. Ist das aber nicht möglich, soll ein Sterben in Würde das erklärte Ziel sein (King
1981 in Meleis 1999, S. 523). Das Individuum wird in ihrer Theorie als soziales Wesen
beschrieben (Meleis 1999, S. 527). Ebenso sind Menschen offene Systeme und mit ihrer Umwelt
durch Transaktion verbunden. Unter Transaktion versteht man, dass es keine Trennung zwischen
Mensch und Umwelt gibt. Menschen haben die Fähigkeit zu entscheiden und zwischen
Handlungsalternativen auszuwählen. Gleichermaßen variieren ihre Wünsche, Bedürfnisse, Werte
ganz individuell und von diesen Werten werden wiederum ihre Ziele abgeleitet (King 1986 in
Schaeffer et al 2008, S. 190).Da es bei der Zielerreichungstheorie darum geht Ziele, die erreicht
werden sollen, gemeinsam festzulegen, tritt dann ein Pflegeproblem auf, wenn Ziele einseitig
gesetzt werden oder sich Klient und Pflegekraft über die Mittel die zur Zielerreichung benötigt
werden, nicht einig sind. Daraus kann sich im weiteren Sinne nur eine Zielverfehlung ergeben
(King 1981 in Meleis 1999, S. 524).
Ein zentrales Konzept in King’s Theorie stellt der Pflegeprozess dar. Dieser soll bei der
Zielerreichung, was auch das Ziel der Pflege ist, als Methode eingesetzt werden. Es wird
ermöglicht, dass Pflegekräfte und Klienten zielgerichtet miteinander agieren und so in mehreren
Schritten zur Zielerreichung gelangen (King 1981 in Meleis 1999, S. 525).
Der Pflegeprozess umfasst verschiedene Komponenten. Diese wären Wahrnehmung, Urteil,
Aktion, Reaktion, Störung, gemeinsame Zielsetzung, Exploration der Mittel zur Zielerreichung,
Transaktion und Zielerreichung. Diese Komponenten werden in verschiedenen Phasen
durchlaufen:
Einschätzungsphase: Hier nehmen sich Pflegekraft und Patienten wahr, treffen Urteile
übereinander und lassen diese Urteile in mentale Aktionen einfließen. Durch Reaktion
auf die gegenseitige Wahrnehmung kommt es schließlich zur Interaktion (King 1992a in
Fawcett 1996, S. 135).
Planungsphase: Die Interaktion geht hier weiter. Von der Pflegekraft oder dem Patienten
geäußerte Besorgnisse, Probleme oder Störungen, sowie die gemeinsame Zielsetzung und
die Mittel zur Zielerreichung werden hier festgehalten (King 1976 in Fawcett 1996, S.
135 – 136).
Umsetzungsphase: In dieser Phase kommt es letztendlich zur Transaktion, die die
bewertende Komponente der Interaktion darstellt (King 1990a in Fawcett 1996, S.136).
37
Evaluationsphase: Letztendlich muss entschieden werden, ob das gemeinsam vereinbarte
Ziel erreicht wurde oder warum es möglicherweise nicht erreicht wurde (King 1992a in
Fawcett 1996, S. 136).
Entscheidend beim gemeinsamen Erarbeiten der Pflegeziele ist die Pflegekraft – Patient –
Beziehung. Diese wird bei King als Prozess der Wahrnehmung und Kommunikation zwischen
Mensch und Umwelt und zwischen zwei Menschen beschrieben. Diese Wahrnehmung und
Kommunikation erfolgt durch zielorientierte verbale und nonverbale Verhaltensweisen. Die
Interaktion kann natürlich auch durch verschiedene Variablen beeinflusst werden. Diese wären
Wissen, Bedürfnisse, Ziele und früher gemachte Erfahrungen von Klient und Pflegekraft (King
1981 in Meleis 1999, S. 525).
Als letzte Theorie soll im folgenden Unterkapitel noch die Pflegetheorie der humanistischen
Schule von Paterson und Zderad vorgestellt werden.
5.4 Pflegetheorie der humanistischen Schule von Josephine G. Paterson und Loretta T.
Zderad
Der philosophische Hintergrund der Theorie von Paterson und Zderad ist der Existenzialismus
und die Phänomenologie. Im Existenzialismus wird der Mensch als einmaliges Wesen und als
Summe aller Unternehmungen bezeichnet. Beschrieben wird das was ist. Festgehalten werden im
Existenzialismus ebenfalls die Wahlfreiheit und die Verantwortung für die eigenen Handlungen.
Der Mensch wird im Existenzialismus immer als im Werden beschrieben, und nicht als
festgelegt. Die Phänomenologie als Wissenschaft beschäftigt sich mit der Untersuchung aller
Aspekte eines Phänomens (Meleis 1999, S. 554).
Mit dieser Theorie sollen die humanistische Pflege und ihre Komponenten, sowie die humane
Methode des Pflegewesens beschrieben werden (Barnum 1994 in Meleis 1999, S. 555).
Menschen und ihre Erfahrungen sollen so verstanden werden wie sie sind, und nicht wie sie sein
sollten. Ebenso wenig soll versucht werden, sie verändern zu wollen (Meleis 1999, S. 557).
Pflege wird beschrieben als humanistisches Fachgebiet, bei der eine Person einer anderen durch
zwischenmenschliche und intersubjektive Transaktion hilft. Hierbei wird das gesamte
menschliche Potential aller beteiligten Personen inklusive deren Beschränkungen erfasst.
Gleichermaßen wird Pflege als Fähigkeit gesehen, sich mit anderen Menschen durch
Extremsituationen zu kämpfen, die mit Gesundheit und Leiden zu tun haben. Menschen sollen in
38
ihrer Entwicklung in Übereinstimmung mit ihrem menschlichen Potential begleitet werden
(Paterson, Zderad 1988 in Meleis 1999, S. 552). Als Voraussetzung für Pflege sehen Paterson
und Zderad (1988) die Begegnung von Menschen. 3 Punkte sollen die Pflegekräfte ihrer
Meinung in die Begegnung mitbringen:
Angular view: Damit ist gemeint, wie die Pflegekräfte die eigene Welt, die eigene
Sterblichkeit wahrnimmt. Wie sie sich mit diesen Themen auseinandergesetzt hat.
Begegnung ist nur möglich, wenn sich die Pflegekraft mit diesen Themen
auseinandergesetzt hat und eine eigene Meinung zu diesen gebildet hat.
Bracketing: Hier sollen die Pflegekräfte eigene Wertungen und Ansichten über Gruppen
beiseite legen, die sie über diese im Laufe der Zeit gebildet haben. Die Ansichten und
Anschauungen sollen nicht verleugnet werden, aber für den Zeitraum der Begegnung
beiseite gelegt werden.
Noetic locus: Die Pflegekraft wird als Ort des Wissens gesehen (eben als noetic locus).
Dieses formale und informale Wissen, über das eine Pflegekraft verfügt, ist ebenfalls ein
Teil der die Begegnung erst ermöglicht (Paterson und Zderad 1988 in Vasallo 2001 S.
17-29).
In ihren Ausführungen gibt es 4 Komponenten des Pflegehandelns. Diese wären meeting
(Begegnung), relating (Bezug nehmen auf), presence (Beisein) und call and response (Ruf und
Antwort).
Meeting (Begegnung): Darunter verstehen Paterson und Zderad das zielgerichtete
Zusammenkommen von Menschen mit einem bestimmten Ziel oder einer Erwartung.
Relating (Bezug nehmen auf): Dies ist der Prozess in dem zwei Menschen die sich ihrer
Einzigartigkeit bewusst sind sein und tun.
Presence (Beisein): Darunter ist eine intensive physische Nähe mit einem anderen
Individuum zu verstehen. Charakterisiert durch Offenheit, Empfänglichkeit, Bereitschaft
und Verfügbarkeit.
Call und response (Ruf und Antwort): Damit sind ein zielgerichteter Ruf und eine
zielgerichtete Antwort gemeint. Die Person die ruft, hat die Erwartung Hilfe zu
bekommen und die Person die antwortet will für die rufende Person sorgen (Paterson,
Zderad 1988 in Vasallo 2001 S. 17 – 29).
39
Das Ziel der Pflege ist einerseits die humanistische Pflege an sich und andererseits dem Kranken
und auch sich selbst dabei zu helfen, das eigene menschliche Potential zu entwickeln und somit
voranzukommen und zu größerem Wohlbefinden zu gelangen. Pflegekräfte sollen den Patienten
helfen, verantwortliche Entscheidungen zu treffen (Paterson, Zderad 1988 in Meleis 1999, S.
552).
Bei Paterson und Zderad (1988) werden sowohl Patienten als auch Pflegekräfte als
Pflegeklienten bezeichnet. Betont wird auch immer wieder ihre Einmaligkeit. Als Kernpunkt von
Pflege wird der menschliche Dialog gesehen. Pflege wird auch als Interaktion bezeichnet.
Pflegetherapeutisches Handeln bedeutet demnach nicht nur den Patienten Alternativen
anzubieten und sie beim Treffen verantwortlicher Entscheidungen zu unterstützen, sondern auch
etwas von sich selbst mitzuteilen. Gleichermaßen soll die Pflegekraft aber auch Wissen und
Erfahrung vermitteln (Paterson und Zderad 1988 in Meleis 1999, S. 553).
Die Pflegekraft – Patient – Begegnung kann somit als offener, zwischenmenschlicher Dialog
bezeichnet werden, der einen hohen Grad an Intimität aufweist und daher zu einem besseren
Verständnis der subjektiven Welt der Patienten dient (Barnum 1994 in Meleis 1999, S. 558).
Nachdem in diesem Kapitel nun einige Theorien vorgestellt wurden, die im palliativen Setting
anwendbar wären, soll im Kapitel 6 nun ein Vergleich der verschiedenen Theorien miteinander
erfolgen und letztendlich die Forschungsfrage, welche Theorien auf einer Palliativstation
angewendet werden können, geklärt werden.
40
6. Vergleich der vorgestellten Pflegetheorien
Hier soll nun ein Vergleich der vorgestellten Theorien erfolgen, bei dem sowohl Vorteile als
auch Kritikpunkte genannt werden. Diese werden versucht mit Ergebnissen aus
wissenschaftlichen Untersuchungen zu untermauern. Der Vergleich soll letztendlich dabei helfen
herauszufiltern, welche Theorien für die Anwendung auf Palliativstationen geeignet sind, und
soll zur Beantwortung der Forschungsfrage dienen.
Wie nun schon mehrmals erwähnt, sollen die Kriterien für die palliative Arbeit, die im Kapitel 4
herausgefiltert worden sind Großteils in den Theorien vertreten sein. Zusätzlich ist es aber auch
wichtig Theorien zu finden, die eine Praxisanwendbarkeit aufweisen.
Begonnen werden soll der Vergleich der unterschiedlichen Theorien, indem die Punkte, die in
Kapitel 4 herausgearbeitet wurden, angeführt und mit die Theorien auf deren Vorhandensein hin
überprüft werden.
Wie ebenfalls schon in dieser Arbeit erwähnt, haben sich der Beziehungsaufbau zum Patienten,
die Miteinbeziehung der Angehörigen und der biopsychosoziale Ansatz in der Betreuung als
wichtig in der palliativen Versorgung herauskristallisiert.
Der Beziehungsaufbau zum Patienten wird nicht in allen in Kapitel 5 vorgestellten Theorien
explizit erwähnt. Bei Corbin und Strauss’s Theorie der Verlaufskurvenphasierung kommt der
Beziehungsaufbau nie dezidiert zur Sprache. Obwohl ihre Theorie einen umfassenden
Denkansatz darstellt, was in der Betreuungssituation von chronisch erkrankten Menschen zu
berücksichtigen ist, wird der Beziehungsaufbau zum Patienten oder zur Patientin nicht näher
ausgeführt. Die detaillierten Beschreibungen, welche Informationen für eine adäquate Betreuung
notwendig erscheinen, lässt zwar darauf schließen, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen
Betreuungspersonen und Patienten vorhanden sein muss, da die Tiefe der Informationen, die
vonnöten sind, nur in einem Vertrauensverhältnis erreicht werden. Allerdings wird der
Beziehungsaufbau an sich, beziehungsweise wie dieser von statten gehen soll, von den
Wissenschaftlern nicht beschrieben.
Andere in Kapitel 5 vorgestellte Theorien, decken dieses Kriterium der palliativen Versorgung
weit besser ab. In Travelbee’s Theorie der interpersonalen Aspekte der Pflege beispielsweise, ist
41
der Aufbau einer Pflege – Patient – Beziehung fundamental, damit Pflege überhaupt möglich ist.
Ohne diese Beziehung sind der Pflegeprozess und somit auch die Erhebung des Pflegebedarfes
der hilfesuchenden Person nicht möglich. Daher beschreibt sie genau, was unter einer Pflege –
Patient – Beziehung zu verstehen ist, und wie der Aufbau einer solchen zu erfolgen hat.
Gleichermaßen erwähnt wird die Pflege – Patient – Beziehung in King’s Zielerreichungstheorie.
Sie bezeichnet diese als entscheidend beim gemeinsamen Erarbeiten von Pflegezielen. Der
Ablauf der Pflege – Patient – Beziehung wird als Prozess der Wahrnehmung und
Kommunikation beschrieben. Nur wenn diese Beziehung funktionstüchtig ist, können
gemeinsame Ziele erarbeitet und erreicht werden.
In der Theorie der humanistischen Pflege gehen die Wissenschaftlerinnen sogar noch einen
Schritt weiter und bezeichnen Pflege als zwischenmenschlichen Dialog. Dieser wird als
Kernpunkt von Pflege angesehen. In der Pflege – Patient – Beziehung in ihrer Theorie, müssen
sowohl die Patienten, als auch die Pflegepersonen viel von sich preisgeben, damit ein Grad an
Intimität erreicht wird, indem Pflege überhaupt möglich erscheint. Nur so kann die subjektive
Welt des Anderen besser verstanden werden.
Obwohl der Beziehungsaufbau zwischen Pflegekraft und Patient/Patientin zweifelsohne wichtig
ist, was mit Studien belegbar ist, scheint die Tiefe der Beziehung, wie sie in manchen Theorien
dargestellt wird, durchaus hinterfragenswert. Es stellt sich die Frage, ob eine Beziehung zum
Patienten noch professionell sein kann, wenn diese zu intim wird. Die Arbeit im palliativen
Bereich ist psychisch sehr anspruchsvoll. Wenn die Pflegekraft nun jede Lebensgeschichte seiner
Patienten und seiner Angehörigen so nah an sich herankommen lässt, entsteht die Gefahr, dass
die Situation für sie irgendwann zu belastend wird. Ein Burnout wäre wohl die logische
Schlussfolgerung. Meleis (1999) erwähnt diese Gefahr in Zusammenhang mit Paterson und
Zderad’s Theorie, allerdings nicht in Bezug auf den palliativen Bereich, sondern allgemein für
den Bereich der Pflege (Meleis 1999, S. 558). Gleichermaßen kritisch zu betrachten ist die
Theorie von Joyce Travelbee. Sie sieht die Pflege ja nur möglich, wenn die Stereotype von
Pflegekraft und Patient/Patientin aufgehoben werden. Dies könnte als unprofessionell ausgelegt
werden, versucht die Pflege doch sich als eigenständige Profession mit wissenschaftlicher Basis
zu etablieren. Travelbee selbst dementiert diese Kritik jedoch und sagt, dass eine derart tiefe
Beziehung nicht gleichermaßen unprofessionell sein muss.
Als nächstes soll nun der Punkt der Angehörigenbetreuung in den verschiedenen Theorien
verglichen werden.
42
Bei Corbin und Strauss werden Angehörige nicht nur in der Theorie mitberücksichtigt, die
beiden Wissenschaftler gehen sogar noch einen Schritt weiter und analysieren genau, welche
Auswirkungen die Erkrankung auf die Angehörigen, speziell die Lebenspartner der Patientinnen
und Patienten hat. Daher lässt sich sagen, dass dieser Punkt in ihrer Theorie sehr ausführlich
besprochen wird. Dies kann auch aus seinen Implikationen für die Praxis herausgelesen werden,
wenn es beispielsweise heißt, dass die Proffessionisten genau eruieren müssen in welcher Phase
sich die Erkrankten selbst, aber auch deren Familien befinden. Travelbee nennt Angehörige in
ihrer Theorie als Personen die an der Pflege beteiligt sein können oder als Personen die selber zu
Empfängern von Pflegetätigkeiten werden können. Dies beschreibt die Pflegepraxis sehr gut, da
Angehörige im palliativen Bereich tatsächlich in die Pflege mit eingebunden werden, wenn sie
dies wünschen. Sie werden aber gleichermaßen zu Rezipienten der Pflege, wenn sie
beispielsweise angeleitet werden oder durch Gespräche mitbetreut werden müssen. Bei
Imogenen King ist zu sagen, dass obwohl sie die Familie auch in ihrer Theorie erwähnt,
geschieht dies nicht so ausführlich wie beispielsweise bei Corbin und Strauss. Gleichzeitig ist
auch anzuführen, dass sie die Familie erst später in ihre Theorie mit aufgenommen hat und dieser
Punkt von Beginn an unberücksichtigt geblieben ist.
Paterson und Zderad hingegen erwähnen die Familie oder Angehörige nicht direkt. Sie
beschreiben lediglich, dass die Pflegekraft – Patient – Beziehung auch von Menschen, die im
Leben des Patienten aber auch der Pflegekraft eine Rolle spielen, beeinflusst werden kann
(Meleis 1999, S. 550).
Als letzter Punkt der in Kapitel 4 herausgearbeiteten Punkte soll nun geschaut werden inwieweit
der biopsychosoziale Ansatz in den vorgestellten Theorien Beachtung gefunden hat. In der
Theorie der Verlaufskurvenphasierung von Corbin und Strauss wird der Mensch nicht nur als
physisches Wesen betrachtet, sondern auch die sozialen und psychischen Belange finden in ihrer
Theorie Beachtung. Die Auswirkungen einer Erkrankung auf das gesamte Leben werden
beleuchtet und es wird darauf hingewiesen, dass sich Pflegekräfte der Gesamtheit der Situation
bewusst sein müssen. Dies entspricht dem biopsychosozialen Ansatz. Auch Travelbee sieht den
Menschen in ihrer Theorie als umfassendes Wesen an und berücksichtigt den biopsychosozialen
Kontext, spricht sie doch vom Verlust der körperlichen und psychosozialen Integrität einer
Person. Paterson und Zderad haben in ihrer Theorie ein humanistisches Weltbild, das die
biopsychosozialen Aspekte ebenso abdeckt, wie sie zusätzlich den spirituellen Kontext in ihre
Überlegungen mit einbezieht. Lediglich in King’s Zielerreichungstheorie wird der Mensch eher
43
von seiner sozialen Seite her betrachtet. Pflege soll ihrer Meinung nach dann eintreten, wenn
eine Person die Fähigkeit verliert, seine sozialen Rollen wahrzunehmen.
Hinsichtlich der Praxisanwendbarkeit der verschiedenen Theorien müssen auch noch einige
Vergleiche gezogen werden. Corbin und Strauss Theorie der Verlaufskurvenphasierung ist ein
sehr umfassendes Betreuungskonzept. Zu diesem werden viele Informationen benötigt und es
stellt sich die Frage, ob diese im Akutbetrieb, und dazu muss man eine Palliativstation aufgrund
ihrer beschränkten Aufenthaltsdauer trotz allem zählen, gewonnen werden können. Besser
geeignet scheint diese Theorie für den häuslichen Bereich zu sein, da beispielsweise die
ausführliche Betrachtung der Arbeitsaufteilung zwischen Patienten und Angehörigen eher in
diesem Bereich relevant sind. Gleichermaßen ist zu erwähnen, dass Corbins Theorie keine
Pflegetheorie an sich ist, da sie weder beschreibt was Pflege ist, noch was Pflege zu tun hat. Eine
Anwendbarkeit als theoretischer Hintergrund für die Pflege ist aber doch möglich, da die
Wissenschaftler sehr wohl Implikationen für die Pflegepraxis in ihrer Arbeit anführen.
Sowohl Travelbee als auch King sehen den Pflegeprozess als wichtiges Instrument. Dies spricht
für eine Praxisanwendbarkeit, da Instrumente wie der Pflegeprozess sehr wichtig sind, um die
Informationssammlung, die Zielsetzung und die Maßnahmenplanung transparent zu machen.
Kritisch anzumerken ist bei Travelbee jedoch die Auflösung der Stereotype Patientin, Patient
und Pflegekraft, wenn man die Phase der Sympathie erreicht hat. Hier stellt sich die Frage ob
man in einer Arbeitsbeziehung, und davon ist bei professioneller Pflege auszugehen, wirklich
dieser Level erreicht werden kann, in dem man als Pflegekraft ausblenden kann, dass das
Gegenüber Patientin oder Patient ist. Dies mag auch unprofessionell erscheinen, wobei dies von
Travelbee selbst dementiert wird. Sie meint, dass eine derartig tiefe Beziehung nicht
gleichermaßen unprofessionell erscheinen muss. Ebenso kritisch ist die tiefe der Beziehung
zwischen Patienten und Pflegekraft in Paterson und Zderads Theorie. Auch hier soll man als
Pflegekraft sehr viel von sich selber einbringen. Fraglich ist, ob es auf lange Sicht gesund sein
kann, sich immer wieder auf so tiefe Begegnungen einzulassen. Bedenkt man doch, dass es im
Rahmen der Tätigkeit im palliativen Bereich ständig zu solchen Begegnungen kommt. Wie lange
kann eine Pflegekraft diese tiefen Begegnungen ertragen. Diesen Kritikpunkt führt auch Meleis
(1999) in seinen Ausführungen zu Paterson und Zderad‘s Theorie an (Meleis 1999, S. 558).
44
7. Ergebnis der Arbeit und Beantwortung der Forschungsfrage
Aufgrund der Literaturrecherche und dem Vergleich der vorgestellten Theorien lässt sich nun
folgendes Ergebnis für die Beantwortung der Forschungsfrage ableiten.
Wie bereits bei der Formulierung der Forschungsfrage bedacht, war es nicht möglich nur eine
geeignete Pflegetheorie zu finden, die auf einer Palliativstation zur Anwendung kommen könnte.
Die Palliativpflege deckt so viele Bereiche des Lebens der Betroffenen ab, dass es schwer ist in
einer einzigen Pflegetheorie alle relevanten Kriterien zu finden, die hundertprozentig passend
erscheinen. Trotzdem ist es aber wichtig eine Pflegetheorie zu finden, mit der sich das Team
auch identifizieren kann. Auch wenn dies bedeutet sich eventuell Ansichten aus mehreren
verschiedenen Theorien zusammentragen zu müssen. Wesentlich scheint aber, dass in der
Pflegetheorie auch Platz für Angehörige und deren Betreuung ist, denn dies unterscheidet die
Palliativpflege doch wesentlich vom wirklichen Akutbetrieb auf anderen Stationen (Kränzle
2010, S. 177 – 178).
Obwohl Corbin und Strauss eine sehr umfassende Theorie zur Betreuung chronisch Kranker und
ihrer Angehörigen formulierten, scheint sie letztendlich nicht so sehr für den stationären Bereich
geeignet, da sie so viele Dimensionen abdeckt, dass dies im Akutbetrieb wohl schwer
umzusetzen ist. Es ließen sich auch keine Studien finden, die die Anwendung der Theorie von
Corbin und Strauss im palliativen Kontext überprüften.
Travelbee bezieht sich zwar in ihren Ausführungen auch auf die Angehörigen und nennt den
Pflegeprozess als wesentliches Kriterium für pflegerisches Handeln, eignet sich aber ebenfalls
weniger zur Anwendung, da sie ja die Auflösung der Stereotype Pflegekraft und Patientin und
Patient propagiert. Dies widerspricht aber dem gängigen Bild das Pflege eigentlich darstellen
will. Nämlich dem einer eigenständigen Profession. Für viele mag eine solch innige, intime
Beziehung zwischen Pflegekraft und Patient auch unprofessionell erscheinen und es mag
Menschen geben die sich gar nicht auf so tiefe Beziehungen einlassen wollen.
King’s Theorie der Zielerreichung behandelt zwar die Familie als Pflegeklient und Pflegeperson
nicht so ausführlich, sie beinhaltet aber trotzdem viele Punkte die in der Pflegepraxis gut
anwendbar sind. Sie spricht wie nun schon mehrmals erwähnt davon, gemeinsam mit den
Betroffenen Ziele zu setzen und die Pflegemaßnahmen so zu gestalten, dass die geplanten Ziele
auch erreicht werden. Dies entspricht dem, was man bereits in seiner Krankenpflegeausbildung
45
lernt, nämlich dass das Selbstbestimmungsrecht des Menschen so weit als möglich gewahrt
bleiben soll. Whelton (2008) schreibt in seiner Studie über die menschliche Natur im
Zusammenhang mit der palliativen Arbeit ebenfalls, dass es am Effektivsten ist wenn sowohl
Patienten als auch Pflegekräfte an der Zielsetzung beteiligt sind. Dabei beruft er sich auf die
Zielerreichungstheorie von Imogene King, die die Beziehung von Menschen im
Gesundheitssystem so sieht, dass beide Parteien partnerschaftlich in der Zielsetzung und
Zielerreichung sind. Whelton meint daher, dass diese Art von Zielsetzung speziell in der
palliativen Versorgung sehr wichtig erscheint (Whelton 2008. S. 82 – 85). Gleichermaßen
erwähnt King den Pflegeprozess in ihrer Theorie und erwähnt sogar ein eigenes Instrument, den
sogenannten Goal – Oriented Nursing Record, der sowohl den Prozess, als auch das Ergebnis
pflegerischer Leistungen beinhaltet. Entwickelt wurde dieser von Weed im Jahre 1969 (Meleis
1999, S. 529).
Paterson und Zderad vereinen in ihrer Theorie auch einige Kriterien, die sich mit dem Konzept
der palliativen Versorgung durchaus decken. Sie gehen davon aus, dass es nicht richtig ist zu
versuchen Menschen zu ändern und ihnen eigene Vorstellungen aufzwingen zu wollen.
Andererseits betonen sie aber, dass es wichtig ist sich der eigenen Vorstellungen bewusst zu
sein, denn erst dadurch kann man wertfrei an die Betreuung von Menschen herangehen. Sich
eigener Vorstellungen bewusst zu sein gilt aber auch für die Betroffenen selber. Wu und Volker
(2011) beschreiben in einer von ihnen durchgeführten Studie zur Übertragbarkeit der
humanistischen Theorie der Pflege in den Palliativ- und Hospizbereich, dass es ausgesprochen
wichtig ist, dass sich Pflegekräfte ihrer eigenen Vorstellungen bewusst sind, um den Betroffenen
zu helfen ihre Erfahrungen am Ende des Lebens zu verstehen (Wu, Volker 2011).
Gleichermaßen ist es in der palliativen Versorgung auch wichtig den Patienten dort zu
unterstützen wo er ist und ihm seine Individualität zu lassen (Santos et al. 2007, S. 353). Kritisch
zu betrachten ist auch hier nur die Tiefe der Beziehungen zwischen Pflegekraft und Patienten.
Und auch in diesem Fall stellt sich die Frage ob es für eine Pflegekraft tragbar ist, sich immer
wieder auf solch tiefe Beziehungen einzulassen und ob es überhaupt von beiden Seiten
gewünscht wird sich auf solch tiefe Beziehungen einzulassen. Trotzdem scheint eine
Anwendung besonders auf Palliativstationen geeignet, da sie auch den spirituellen Kontext der
Betreuung mit erfasst. Paterson und Zderad’s Theorie mag zwar in einigen Bereichen abstrakt
erscheinen, trotzdem beinhaltet sie viele Kriterien, die sich mit dem palliativen Konzept decken.
Wu und Volker (2011) schreiben in ihrer Studie dazu, dass die Theorie der humanistischen
Pflege gut in das Konzept der palliativen Versorgung passt, beziehungsweise als Basis dafür
Verwendung finden kann (Wu, Volker 2011).
46
Erkenntnisse aus bereits genannten Studien sollen die Aussagen dieser Arbeit noch besser
untermauern und eine weitere Erläuterung für die danach folgende Beantwortung der
Forschungsfrage sein.
Ein theoretischer Rahmen ist wie bereits erwähnt für die professionelle Pflege unumgänglich.
Dieser hilft Pflegemaßnahmen sinnvoll zu planen und dadurch mehr Effizienz zu erreichen. Jede
pflegerische Einrichtung entscheidet sich für einen bestimmten theoretischen Rahmen, der
idealerweise zur Philosophie der Einrichtung passen sollte (Raudonis, Acton 1997, S. 138).
Daraus lässt sich ableiten, dass es für keinen Pflegebereich eine fixe Pflegetheorie gibt die
vorgeschrieben werden könnte bzw. die als einzig ideal für einen Bereich bezeichnet werden
könnte. Ebenso kann dies für den palliativen Bereich behauptet werden. Da Pflege im palliativen
Bereich schon einer eigenen Philosophie unterliegt, nämlich dem Prinzip der Palliative Care,
muss sich die gewählte Pflegetheorie mit deren Anforderungen decken. Patientenbedürfnisse
sollten ebenso Beachtung finden. Diese wurden ebenfalls schon mittels Studien ermittelt. Eine
davon führten Carter et al. 2004 durch, die die Prioritäten ermittelten die terminal Erkrankte in
dieser Phase des Lebens hatten. Ihre Untersuchung ermittelte die Bedürfnisse aus
Betroffenenperspektive. Herauskristallisiert haben sich 5 Hauptthemen: Neben inneren Faktoren
wie beispielsweise Möglichkeiten tägliche Aktivitäten auszuführen nennen sie externe Faktoren
(Einflüsse von Systemen auf den Menschen), Perspektiven für die Zukunft und die Sichtweise
der Betroffenen von Normalität. Als zentral erwies sich das Thema der Übernahme. Kontrolle ist
kritisch für das Outcome. Damit ist Kontrolle haben gemeint. Zentral sind für die Betroffenen
dien Einschränkungen ihrer terminalen Erkrankung und nicht der „gute“ Tod. Auch darüber
machen sich die Betroffenen Gedanken, allerdings stehen diese Gedanken nicht im Vordergrund
(Carter et al. 2004, S. 611 – 618). Aus dieser Studie lässt sich zusätzlich zu den in Kapitel 4
genannten Kriterien die eine Pflegetheorie aufweisen sollte um auf Palliativstationen zur
Anwendung kommen zu können, ein weiterer wichtiger Punkt hinzufügen. Nämlich die
Selbstbestimmung des Patienten und die Kontrolle die er bis zum Schluss über seine Behandlung
haben will.
Auch hierzu lassen sich Studien finden, die belegen wie wichtig es ist Pflegetheorien zu haben,
die die Selbstbestimmung als Kriterium nennen. Eine davon stammt von Whelton (2008) der in
seiner Untersuchung die menschliche Natur und deren Fundament für die Palliativpflege
beleuchtete. In diesem Zusammenhang nannte er die Zielerreichungstheorie von Imogene King
und das mutual goal setting (die beidseitige Zielvereinbarung) als fundamental (Whelton 2008,
S. 85).
47
Wie ebenfalls schon genannt, ist es bei der Betreuung von palliativen Patienten gleichermaßen
wichtig sich über die Einstellungen zum eigenen Leben bewusst sein. Den Patienten soll
geholfen werden verantwortliche Entscheidungen zu treffen. Dazu scheint die Pflegetheorie von
Paterson und Zderad absolut geeignet. Studien die diese Theorien auf ihre Anwendbarkeit für
Palliativstationen überprüft haben wurden von Santos et al. 2007 und Wu und Volker 2011
durchgeführt. Die Selbstrealisierung dient dabei der menschlichen Weiterentwicklung und es
zeigt sich, dass nicht nur die Technik des Pflegens entscheidend ist, sondern auch das da – sein
und das mit – sein. Damit ist eine aktive Präsenz der Pflegekraft gemeint wie sie in Paterson’s
und Zderad’s Theorie propagiert wird. Diese Fähigkeiten erweisen sich im palliativen Setting als
sehr wichtig (Santos et al. 2007, S. 354). Auch die Interdisziplinarität und die Beachtung der
Familie sind im palliativen Bereich entscheidend. Paterson und Zderad sagen, dass das Setzen
von gemeinsamen Zielen von allen Beteiligten zusammen, für den Erfolg der Pflegebeziehung
entscheidend ist. Die Beteiligten sind dabei Patienten, Angehörige und die Mitglieder des
Betreuungsteams. Diese Ansicht erweist sich nach Wu und Volker (2011) als elementar für die
Betreuung von terminal Erkrankten. Die Ansichten von betreuenden Personen, Angehörigen und
Patienten sollen vereint werden. In der Untersuchung wird aber auch darauf hingewiesen, dass
Paterson’s und Zderad’s Theorie sehr viele abstrakte Aspekte aufweisen, die noch weiterer
Forschung bedürfen. Diese sollte darauf abzielen, die abstrakten Teile der Theorie der
humanistischen Pflege herauszuarbeiten, und aus den Resultaten spezifische Theorien mit
besserer praktischer Anwendbarkeit, die aber die Inhalte von Paterson und Zderad in sich tragen,
herauszubekommen (Wu,Volker 2011).
Nach den Vergleichen der verschiedenen Theorien und den Ergebnissen aus den präsentierten
Studien, lässt sich die einleitend gestellte Forschungsfrage demnach so beantworten:
Die Zielerreichungstheorie von Imogene Kind und die Theorie der humanistischen Pflege von
Paterson und Zderad scheinen auf Palliativstationen anwendbar zu sein.
Im abschließenden Kapitel folgen nun die Schlussfolgerungen die sich aus der Arbeit ergeben
haben und die Ergebnisse werden im Rahmen einer zusammenfassenden Darstellung nochmals
präsentiert.
48
8. Schlussfolgerung und Zusammenfassung
Die geeignete Pflegetheorie für einen bestimmten Bereich zu finden ist ein gar nicht so leichtes
Unterfangen. Kann doch aus verschiedensten Theorien ausgewählt werden und unterscheiden
sich doch die Tätigkeitsbereiche der Pflege in gewissen Fachbereichen sehr. Dadurch ist es
unsinnig zu glauben, die eine hundertprozentig richtige Pflegetheorie auf Anhieb zu finden. Es
bedarf einer konkreten Auseinandersetzung mit der Materie und ein fundiertes Wissen um eine
passende Pflegetheorie für den eigenen Fachbereich finden zu können. Am besten entscheidet
das gesamte Team darüber, welche Theorie für alle am geeignetsten erscheint, damit alle die
Entscheidung mittragen können.
Diese Arbeit sollte die Frage klären, welche Pflegetheorien auf einer Palliativstation zur
Anwendung kommen könnten. Die Arbeit auf einer Palliativstation zählt sicherlich zu den
herausforderndsten Tätigkeiten im Pflegebereich, verlangt sie von den dort tätigen
Professionisten nicht nur ein umfassendes Fachwissen, sondern auch gute soziale und
kommunikative Fähigkeiten. Es ist wichtig sich der Kraft der verbalen und nonverbalen
Kommunikation bewusst zu sein und auch Fertigkeiten in diesen Disziplinen vorweisen zu
können. Ebenso wichtig ist es die Patienten nicht nur auf ihr Krankheitsbild zu limitieren,
sondern sich bewusst zu sein, dass ihre schwerwiegende Erkrankung Auswirkungen auf ihr
gesamtes Leben, also auf ihre psychische und auch auf ihre soziale Situation hat. Genauso
wichtig ist es auch spirituelle Bedürfnisse mitzudenken, wenn es von den Betroffenen gewünscht
wird. Gleichermaßen ist auch die Betreuung der Angehörigen auf Palliativstationen ein zentrales
Kriterium. Daher sollte eine Pflegetheorie dies alles berücksichtigen.
Während der Auseinandersetzung mit diesem Thema haben sich King’s Zielerreichungstheorie
und Paterson und Zderad’s Theorie der humanistischen Pflege als besonders geeignet für die
Anwendung auf Palliativstationen herausgestellt. King’s Theorie deswegen, weil sie neben der
praktischen Anwendbarkeit das Selbstbestimmungsrecht der Patienten als zentral sieht, indem
die zu erreichenden Ziele gemeinsam mit den Betroffenen erarbeitet werden. Zusätzlich ist der
von King ebenfalls angeführte Pflegeprozess als Instrument für die Pflege heute sehr wichtig.
Denn neben all den anderen Kriterien die Beachtung finden müssen, ist es doch auch zentral
nach bestimmten Kriterien vorzugehen, die dokumentierbar sind und somit auch die Leistung die
die Pflege bringt transparent macht. Paterson und Zderad beschreiben in ihrer Theorie zwar den
Pflegeprozess nicht so umfassend wie King, allerdings beinhaltet die Theorie der humanistischen
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Pflege viele Ansichten, die sich mit dem palliativen Kontext decken. Nennen sie beispielsweise
auch spirituelle Belange in ihrer Theorie, welche bei King keine Beachtung finden.
Natürlich hat es im Rahmen dieser Arbeit auch Limitationen gegeben, die hinsichtlich der
Wissenschaftlichkeit nicht unerwähnt bleiben dürfen. Einerseits war es aufgrund des
beschränkten Rahmens der Arbeit nicht möglich alle vorhandenen Pflegetheorien zu lesen, um
diesen nicht zu sprengen. Daher beschränkte sich der Vergleich auf die Interaktionstheorien. Es
kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass in einer anderen Denkschule nicht vielleicht
doch eine Theorie vorhanden gewesen wäre, die ebenso für den palliativen Kontext geeignet
wäre. Eine zusätzliche Limitation ergab sich daraus, dass nicht für alle verglichenen Theorien
Studien gefunden wurden, die die Anwendbarkeit auf Palliativstationen belegen. Während zu
Corbin und Strauss im Palliativbereich keine Studie gefunden werden konnte, fand sich zu
Travelbee’s Theorie der interpersonalen Aspekte der Pflege lediglich eine Studie auf
Portugiesisch, die daher nicht in den Vergleich mit eingebunden werden konnte.
Aufgrund dieser Limitationen bleibt sicherlich noch Raum für weitere Forschung. Einerseits
wäre in einer weiteren Literaturrecherche noch zu klären, ob Studien die Anwendung von
Theorien anderer Denkschulen auf Palliativstationen belegen und andererseits ließen sich
Studien durchführen inwieweit Travelbee’s und Corbin und Strauss‘ Theorie auf
Palliativstationen anwendbar sind.
Abschließend ist daher zu sagen, dass diese Arbeit nur einen kleinen Teilbereich der Forschung
abdeckt, die zu diesem Thema noch möglich wäre. Daher kann diese Arbeit für Leser als
Anregung genommen werden, sich weiterhin mit diesem umfassenden Thema
auseinanderzusetzen.
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