polytrauma im alter — unfallchirurgie am limit

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Wann Knie-TEP bei Patienten unter 50 Jahren? Für Knie-Endoprothesen rieten Experten beim DKOU- Kongress zu einer genaueren Indikationsstellung. Denn sonst seien junge Patienten mit dem funktionellen Ergebnis des en- doprothetischen Knieersatzes häufig nicht zufrieden, weil sie sehr hohe Erwartungen an die Belastbarkeit haben. „Dies ist der eigentliche Grund für die gebotene Zurückhaltung in der Versorgung von jüngeren Pati- enten mit einer Knie-TEP,“ be- tonte Prof. Heiko Reichel, Or- thopädische Universitätsklinik Ulm am RKU. So lange es irgend geht, solle daher eine Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung mit alternativen Maßnahmen angestrebt werden. Sonst dro- hen aufgrund der hohen Bean- spruchung Osteolyse, asepti- sche Lockerung der Knie-TEP und letztlich eine verkürzte Standzeit der Endopropthese. Für körperlich aktive Patienten mit mittelgradiger bzw. uni- kompartimenteller Arthrose riet Reichel zur hohen tibialen Osteotomie (HTO) oder mono- kondylären Prothese. Erst wenn unter 50-Jährige eine fortge- schrittene Arthrose in mehr als einem Kompartiment (Stadium IV nach Kellgren und Lawrence) oder eine ausgeprägte beglei- tende Instabilität aufwiesen, sei die Indikation für eine Knie- TEP gegeben (Tab.). Auch dann sei es wichtig, die Patienten über die postoperativen Ein- schränkungen hinsichtlich der Belastbarkeit und sportlicher Aktivitäten aufzuklären. wk Polytrauma im Alter – Unfallchirurgie am Limit Alte polytraumatisierte Patienten, sei es nach Verkehrsunfällen oder häuslichen Stürzen, stellen Unfallchirurgen vor beson- dere Herausforderungen. Denn zu den häufig schweren oder multiplen unfallchir- urgischen Verletzungen gesellt sich oft ein internistisches Polytrauma hinzu. Darauf verwies Prof. Reinhard Hoffmann, Berufsge- nossenschaftliche Unfallklinik, Frankfurt am Main, bei der DKOU-Sitzung „Polytrauma im Alter – Was mache ich anders?“. „Neben Knochenbrüchen der Gliedmaßen treten besonders Kopf-Hals-Verletzungen mit teilweise schweren intrakraniellen Blutun- gen auf, weil viele alte Patienten blutver- dünnende Medikamente einnehmen“, skizzierte Hoffmann die Situation. Die Krankenhaussterblichkeit sei daher dreifach höher als bei jüngeren Patienten mit Poly- trauma. Hoffmann stellt folgende Forderun- gen an die Versorgung dieser Patienten: 1. Schnelle Diagnostik und beherzte Inter- vention statt Altersnihilismus. 2. Eine umso aggressivere Therapie, je älter der Patient ist. 3. Stufenweises Vorgehen statt „Early Total Care“. 4. Adäquate medikamentöse Therapie der Komorbiditäten. 5. Besonders sorgfältige Überwachung im Hinblick auf Blutgerinnung, Nierenfunk- tion und Weichteilverhältnisse. 6. Eine der Knochenqualität angepasste Wahl der Implantate (z. B. Winkelstabili- tät, Palacos-Augmentation) und an- schließende Belastung der Osteosyn- these. 7. Eine altersgerechte, interdisziplinäre Nachbehandlung unter Einbeziehung eines Geriaters (geriatrische Rehabilita- tion, Osteoporosetherapie, kognitives Training). Gerade die geriatrischen Aspekte sind wichtig, denn ein Drittel der Patienten lei- det sonst nach einem Knochenbruch an sozialen Einschränkungen, weil Muskelab- bau, Kreislaufprobleme und schließlich ko- gnitive Einschränkungen hinzukommen, die das Leben zu Hause unmöglich machen. Werden diese Aspekte aber berücksichtigt, kann eventuell das therapeutische Ergebnis bei diesen Patienten verbessert werden. Derzeit sterben nach einer Datenanalyse Hoffmanns von 7.923 polytraumatisierten Patienten knapp 50% der ≥ 80-Jährigen und fast 25% der 70-79-Jährigen. In der Gruppe der 18- bis 59-Jährigen sind es demgegen- über 14%. wk springermedizin.de Weitere Berichte finden Sie in unserem DKOU-Kongressdossier im Internet unter www.springermedizin.de/ dkou-2013 ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2013; 16 (6) 49 Medizin aktuell DKOU 2013 | Tabelle Indikationen und (relative) Kontraindikationen für val- gisierende HTO und Knie-TEP bei Patienten < 50 Jahren valgisierende hohe Tibiaosteotomie Knie-TEP Indikationen unikompartimentelle Gonarthrose Knorpelschaden Schwere- grad II. (III.) klinisch sichtbare Varusdeformität Bandstabilität, insbesondere VKB ROM mind. E/F 0/10/120° höherer Aktivitätsanspruch bi-/trikompartimentelle Gonarthrose Knorpelschaden Schweregrad (III.) IV. Beinachse varisch, valgisch oder neutral zusätzliche Bandinstabilität ROM < E/F 0/10/120° geringerer Aktivitätsanspruch Kontraindika- tionen wie Knie-TEP, zusätzlich: Knorpelschäden kontralateral Außenmeniskusverlust Übergewicht eingeschränkter ROM (s.o.) rheumatoide Arthritis Nikotinabusus verminderte Knochenquali- tät (Osteoporose) floride Entzündung Insuffizienz des Streckapparats neuromuskuläre Gelenkinstabilität manifeste psychische Erkrankung, z. B. schwere Depression zu große Erwartungs- haltung

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Page 1: Polytrauma im Alter — Unfallchirurgie am Limit

Wann Knie-TEP bei Patienten unter 50 Jahren?

— Für Knie-Endoprothesen rieten Experten beim DKOU-Kongress zu einer genaueren Indikationsstellung. Denn sonst seien junge Patienten mit dem funktionellen Ergebnis des en-doprothetischen Knieersatzes häu�g nicht zufrieden, weil sie sehr hohe Erwartungen an die Belastbarkeit haben. „Dies ist der eigentliche Grund für die gebotene Zurückhaltung in der Versorgung von jüngeren Pati-enten mit einer Knie-TEP,“ be-tonte Prof. Heiko Reichel, Or-thopädische Universitätsklinik Ulm am RKU. So lange es irgend geht, solle daher eine Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung mit alternativen Maßnahmen angestrebt werden. Sonst dro-hen aufgrund der hohen Bean-

spruchung Osteolyse, asepti-sche Lockerung der Knie-TEP und letztlich eine verkürzte Standzeit der Endopropthese. Für körperlich aktive Patienten mit mittelgradiger bzw. uni-kompartimenteller Arthrose riet Reichel zur hohen tibialen Osteotomie (HTO) oder mono-kondylären Prothese. Erst wenn unter 50-Jährige eine fortge-schrittene Arthrose in mehr als einem Kompartiment (Stadium IV nach Kellgren und Lawrence) oder eine ausgeprägte beglei-tende Instabilität aufwiesen, sei die Indikation für eine Knie-TEP gegeben (Tab.). Auch dann sei es wichtig, die Patienten über die postoperativen Ein-schränkungen hinsichtlich der Belastbarkeit und sportlicher Aktivitäten aufzuklären. wk

Polytrauma im Alter – Unfallchirurgie am Limit

— Alte polytraumatisierte Patienten, sei es nach Verkehrsunfällen oder häuslichen Stürzen, stellen Unfallchirurgen vor beson-dere Herausforderungen. Denn zu den häu�g schweren oder multiplen unfallchir-urgischen Verletzungen gesellt sich oft ein internistisches Polytrauma hinzu. Darauf verwies Prof. Reinhard Ho�mann, Berufsge-nossenschaftliche Unfallklinik, Frankfurt am Main, bei der DKOU-Sitzung „Polytrauma im Alter – Was mache ich anders?“. „Neben Knochenbrüchen der Gliedmaßen treten besonders Kopf-Hals-Verletzungen mit teilweise schweren intrakraniellen Blutun-gen auf, weil viele alte Patienten blutver-dünnende Medikamente einnehmen“, skizzierte Ho�mann die Situation. Die Krankenhaussterblichkeit sei daher dreifach höher als bei jüngeren Patienten mit Poly-trauma. Ho�mann stellt folgende Forderun-gen an die Versorgung dieser Patienten: 1. Schnelle Diagnostik und beherzte Inter-

vention statt Altersnihilismus.2. Eine umso aggressivere Therapie, je

älter der Patient ist.

3. Stufenweises Vorgehen statt „Early Total Care“.

4. Adäquate medikamentöse Therapie der Komorbiditäten.

5. Besonders sorgfältige Überwachung im Hinblick auf Blutgerinnung, Nierenfunk-tion und Weichteilverhältnisse.

6. Eine der Knochenqualität angepasste Wahl der Implantate (z. B. Winkelstabili-tät, Palacos-Augmentation) und an-schließende Belastung der Osteosyn-these.

7. Eine altersgerechte, interdisziplinäre Nachbehandlung unter Einbeziehung eines Geriaters (geriatrische Rehabilita-tion, Osteoporosetherapie, kognitives Training).

Gerade die geriatrischen Aspekte sind wichtig, denn ein Drittel der Patienten lei-det sonst nach einem Knochenbruch an sozialen Einschränkungen, weil Muskelab-bau, Kreislaufprobleme und schließlich ko-gnitive Einschränkungen hinzukommen, die das Leben zu Hause unmöglich machen.Werden diese Aspekte aber berücksichtigt,

kann eventuell das therapeutische Ergebnis bei diesen Patienten verbessert werden. Derzeit sterben nach einer Datenanalyse Ho�manns von 7.923 polytraumatisierten Patienten knapp 50% der ≥ 80-Jährigen und fast 25% der 70-79-Jährigen. In der Gruppe der 18- bis 59-Jährigen sind es demgegen-über 14%. wk

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Weitere Berichte finden Sie in unserem DKOU-Kongressdossier im Internet unter

www.springermedizin.de/ dkou-2013

ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2013; 16 (6) 49

Medizin ak tuell DKOU 2013

| TabelleIndikationen und (relative) Kontraindikationen für val-gisierende HTO und Knie-TEP bei Patienten < 50 Jahren

valgisierende hohe Tibiaosteotomie

Knie-TEP

Indikationen • unikompartimentelle Gonarthrose

• Knorpelschaden Schwere-grad II. (III.)

• klinisch sichtbare Varusdeformität

• Bandstabilität, insbesondere VKB

• ROM mind. E/F 0/10/120°• höherer Aktivitätsanspruch

• bi-/trikompartimentelle Gonarthrose

• Knorpelschaden Schweregrad (III.) IV.

• Beinachse varisch, valgisch oder neutral

• zusätzliche Bandinstabilität

• ROM < E/F 0/10/120°• geringerer

Aktivitätsanspruch

Kontraindika-tionen

• wie Knie-TEP, zusätzlich:• Knorpelschäden

kontralateral• Außenmeniskusverlust• Übergewicht• eingeschränkter ROM (s.o.)• rheumatoide Arthritis• Nikotinabusus• verminderte Knochenquali-

tät (Osteoporose)

• floride Entzündung• Insuffizienz des

Streckapparats• neuromuskuläre

Gelenkinstabilität• manifeste psychische

Erkrankung, z. B. schwere Depression

• zu große Erwartungs-haltung