“problemthemen” des chemieunterrichts in der sekundarstufe i - gegenwärtige situation und...

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CHEMIE IST EIN UNTERRICHTSFACH, das bei den Schülern nur wenig beliebt ist. Es wird häufig als zu schwer und zu theoretisch empfunden. Während hinsichtlich dieses Problerilkomplexes in bisherigen Untersuchungen vor allem Schülereinschätzungen analysiert wurden, stand in einer von uns durchgeftihrten Untersuchung die Lehrersicht im Vorder- grund.· Es werden Ergebnisse einer Lehrerbefragung zur Schwierigkeit des Unterrichtens der obligatorischen und fakultativen Themen des Chemieunterrichts in der Sek. I vorgestellt. Auf der Grundlage dieser Untersuchungsergebnisse werden die "Problemthemen" ermittelt und Konsequenzen für die zukünftige fachdidaktische Arbeit aufgezeigt. ----..J Stichworte: Problemthemen im Chemieunterricht 1. Einleitung Untersuchungen zur Lage des Chemieunterrichts an allge- mein bildenden Schulen haben gezeigt, dass Chemie in der Be- liebtheitsskala der Fächer einen unteren Rang einnimmt [1-3]. Daran hat sich im Laufe der letzten Jahre nichts geändert, wie ein Blick auf ältere Untersuchungs ergebnisse deutlich macht [4-6]. Sinkende Schülerzahlen in Chemiekursen der gymnasi- alen Oberstufe zeigen weiterhin eine gefährliche Entwicklung. Die Gründe für die geringe Beliebtheit der Chemie dürften vielschichtig sein. Nach Christen [7] beruht die mangelnde Ak- zeptanz des Chemieunterrichts vorwiegend auf drei Faktoren: der "Struktur" des Faches, den Lehrplänen und der Lehrer- persönlichkeit. Wolf, Höner und Wenck [8] konnten bei ihren Untersuchungen zu den Wahlmotiven fiir Leistungskurse fest- stellen, dass die Ursachen hierfiir im Unterricht der Sek. I zu suchen sind. Dort machen die Schülerinnen und Schüler ihre Erfahrungen mit den jeweiligen Unterrichtsfächern, die für die Kurswahl in der Sek. 11 von großer Bedeutung sind. Ziel der von uns durchgefiihrten Untersuchung war es, er- gänzend zu bisherigen Analysen der Schülereinschätzung des Chemieunterrichts, auch die Lehrerseite in den Blick zu neh- men und zu ermitteln, an welchen Stellen des Mittelstufen- unterrichts nach Einschätzung der Lehrer das Unterrichten des Faches Chemie besonders schwierig ist, welche Themen also als besonders schwierig zu unterrichten empfunden werden. Außerdem sollten die Gründe hierfiir ermittelt werden. Auf der Basis dieser Ergebnisse können dann Schlussfolgerungen für die fachdidaktische Forschung gezogen werden, weil dadurch Informationen darüber erhalten werden, wo neue Unterrichts- konzepte dringend erforderlich oder auch Lehrplanänderungen sinnvoll wären. 2. "Problemthemen" des Chemieunterrichts in der Sek. I 2.1 Durchführung der Untersuchung Chemielehrerinnen und -lehrer an Gymnasien im Ruhrgebiet (Raum Bochum und Essen) wurden mithilfe eines anonymen Fragebogens befragt. Dazu wurden die Fachvorsitzenden Che- CHEMKON (Weinh.) @WILEY-VCHVerlagGmbH, D-69451 Weinheim, 2001 0944-5846/01/0410-199 $ 17.50 + .50/0 "Problemthemen" des. Chemieunterrichts in der Sekundarstufe I - gegenwärtige Situation und fachdidaktische Konsequenzen SIefan Fiebig und Insa Melle rnie von 55 Schulen angeschrieben und gebeten, selbst einen Fragebogen auszufiillen und außerdem Befragungsbögen an die Fachkollegen weiterzuleiten. Die jeweilige Anzahl der an den Schulen tätigen Chemielehrerinnen und -lehrer wurde dem "Philologen-Jahrbuch" 1998/99 entnommen [9]. Referendare blieben aufgrund der geringenschulpraktischen Erfahrungen von der Befragung ausgeschlossen. Von den angeschriebenen 186 Chemielehrerinnen und -lehrern antworteten 52, also etwa 28 %. Diese recht geringe Rücklaufquote resultiert vermutlich daraus, dass einige der angeschriebenen Lehrerinnen und Leh- rer nicht in der Mittelstufe oder gar nicht das Fach Chemie un- terrichten bzw. Fragebögen vom Fachvorsitzenden nicht an die Kollegen weitergeleitet wurden. Ein weiterer Grund könnte darin liegen, dass, Z.B. wegen Beurlaubungen, gegenwärtig weniger Lehrer an den ausgewählten Schulen unterrichten, als im "Philologen-Jahrbuch" angegeben ist. Der Fragebogen fiir die hier beschriebene Untersuchung untergliederte sich in einen personenbezogenen und einen the- matischen Teil. Personenspezifische Daten wurden zu folgen- den Bereichen erhoben: Weitere Lehrfächer, Geschlecht, Ge- burtsjahr, Lehrbefähigung, Bezug chemiedidaktischer Zeit- schriften. Im thematischen Teil sollten die Untersuchungsteil- nehmer die fiir die Sek. I obligatorischen Themen hinsichtlich der Schwierigkeit ihrer unterrichtlichen Behandlung beurteilen. Da die Untersuchung in Nordrhein-Westfalen durchgefiihrt wurde, orientierten sich die Themen am Lehrplan dieses Bun- deslandes [10]. Die obligatorischen und fakultativen Themen der Jahrgangsstufen 7 bzw. 9 und 10 können der Abb. 1 ent- nommen werden. Stefan Fiebig, Jahrgang 1972, studierte von 1992 bis 1997 an der Universität Münster die Fächer Chemie und Geographie für das Lehramt an den Sekundarstufen I und II. Danach absolvierte er sein Referendariat und war von 2000 bis 2001 als Wissenschaftlicher Mit- arbeiter am Lehrstuhl für Didaktik der Chemie Il an der Universität Dortmund tätig. Seit Februar 2001 ist er Studienrat an der Gesamt- schule Fischbek in Hamburg. Insa Meile, Jahrgang 1966, studierte von 1985 bis 1991 die Fächer Chemie und Mathematik for das Lehramt an Gymnasien an der Universität Oldenburg. Nach dem 1. Staatsexamen und der Promotion im Arbeitskreis von Prof Dr. Jansen absolvierte sie von 1993 bis 1995 ihren Referendardienst am Studienseminar Oldenburg. Danach war sie im Arbeitskreis von Prof Dr. Bader als wissenschaftliche Assistentin an der Universität Frankfurt/M. tätig, wo im Jahr 2000 die Habilitation erfolgte. 1998 folgte sie einem Ruf auf eine C3-Professur an die Universität Jena, 1999 nahm sie einem Ruf auf den Lehrstuhl für Didaktik der Chemie Il an der Universität Dortmund an. Anschrift: Stefan Fiebig, Prof Dr. Insa Meile, Universität Dortmund, Fachbereich Chemie, Postfach 500500,44221 Dortmund 199

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Page 1: “Problemthemen” des Chemieunterrichts in der Sekundarstufe I - gegenwärtige Situation und fachdidaktische Konsequenzen

CHEMIE IST EIN UNTERRICHTSFACH, das bei den Schülern nur wenig beliebt ist. Es wird häufig als zu schwer und zu theoretisch empfunden. Während hinsichtlich dieses Problerilkomplexes in bisherigen Untersuchungen vor allem Schülereinschätzungen analysiert wurden, stand in einer von uns durchgeftihrten Untersuchung die Lehrersicht im Vorder­grund.· Es werden Ergebnisse einer Lehrerbefragung zur Schwierigkeit des Unterrichtens der obligatorischen und fakultativen Themen des Chemieunterrichts in der Sek. I vorgestellt. Auf der Grundlage dieser Untersuchungsergebnisse werden die "Problemthemen" ermittelt und Konsequenzen für die zukünftige fachdidaktische Arbeit aufgezeigt. ----..J

Stichworte: Problemthemen im Chemieunterricht

1. Einleitung Untersuchungen zur Lage des Chemieunterrichts an allge­

mein bildenden Schulen haben gezeigt, dass Chemie in der Be­liebtheitsskala der Fächer einen unteren Rang einnimmt [1-3]. Daran hat sich im Laufe der letzten Jahre nichts geändert, wie ein Blick auf ältere Untersuchungs ergebnisse deutlich macht [4-6]. Sinkende Schülerzahlen in Chemiekursen der gymnasi­alen Oberstufe zeigen weiterhin eine gefährliche Entwicklung.

Die Gründe für die geringe Beliebtheit der Chemie dürften vielschichtig sein. Nach Christen [7] beruht die mangelnde Ak­zeptanz des Chemieunterrichts vorwiegend auf drei Faktoren: der "Struktur" des Faches, den Lehrplänen und der Lehrer­persönlichkeit. Wolf, Höner und Wenck [8] konnten bei ihren Untersuchungen zu den Wahlmotiven fiir Leistungskurse fest­stellen, dass die Ursachen hierfiir im Unterricht der Sek. I zu suchen sind. Dort machen die Schülerinnen und Schüler ihre Erfahrungen mit den jeweiligen Unterrichtsfächern, die für die Kurswahl in der Sek. 11 von großer Bedeutung sind.

Ziel der von uns durchgefiihrten Untersuchung war es, er­gänzend zu bisherigen Analysen der Schülereinschätzung des Chemieunterrichts, auch die Lehrerseite in den Blick zu neh­men und zu ermitteln, an welchen Stellen des Mittelstufen­unterrichts nach Einschätzung der Lehrer das Unterrichten des Faches Chemie besonders schwierig ist, welche Themen also als besonders schwierig zu unterrichten empfunden werden. Außerdem sollten die Gründe hierfiir ermittelt werden. Auf der Basis dieser Ergebnisse können dann Schlussfolgerungen für die fachdidaktische Forschung gezogen werden, weil dadurch Informationen darüber erhalten werden, wo neue Unterrichts­konzepte dringend erforderlich oder auch Lehrplanänderungen sinnvoll wären.

2. "Problemthemen" des Chemieunterrichts in der Sek. I

2.1 Durchführung der Untersuchung Chemielehrerinnen und -lehrer an Gymnasien im Ruhrgebiet

(Raum Bochum und Essen) wurden mithilfe eines anonymen Fragebogens befragt. Dazu wurden die Fachvorsitzenden Che-

CHEMKON (Weinh.) @WILEY-VCHVerlagGmbH, D-69451 Weinheim, 2001 0944-5846/01/0410-199 $ 17.50 + .50/0

"Problemthemen" des. Chemieunterrichts in der Sekundarstufe I - gegenwärtige Situation und fachdidaktische Konsequenzen

SIefan Fiebig und Insa Melle

rnie von 55 Schulen angeschrieben und gebeten, selbst einen Fragebogen auszufiillen und außerdem Befragungsbögen an die Fachkollegen weiterzuleiten. Die jeweilige Anzahl der an den Schulen tätigen Chemielehrerinnen und -lehrer wurde dem "Philologen-Jahrbuch" 1998/99 entnommen [9]. Referendare blieben aufgrund der geringenschulpraktischen Erfahrungen von der Befragung ausgeschlossen. Von den angeschriebenen 186 Chemielehrerinnen und -lehrern antworteten 52, also etwa 28 %. Diese recht geringe Rücklaufquote resultiert vermutlich daraus, dass einige der angeschriebenen Lehrerinnen und Leh­rer nicht in der Mittelstufe oder gar nicht das Fach Chemie un­terrichten bzw. Fragebögen vom Fachvorsitzenden nicht an die Kollegen weitergeleitet wurden. Ein weiterer Grund könnte darin liegen, dass, Z.B. wegen Beurlaubungen, gegenwärtig weniger Lehrer an den ausgewählten Schulen unterrichten, als im "Philologen-Jahrbuch" angegeben ist.

Der Fragebogen fiir die hier beschriebene Untersuchung untergliederte sich in einen personenbezogenen und einen the­matischen Teil. Personenspezifische Daten wurden zu folgen­den Bereichen erhoben: Weitere Lehrfächer, Geschlecht, Ge­burtsjahr, Lehrbefähigung, Bezug chemiedidaktischer Zeit­schriften. Im thematischen Teil sollten die Untersuchungsteil­nehmer die fiir die Sek. I obligatorischen Themen hinsichtlich der Schwierigkeit ihrer unterrichtlichen Behandlung beurteilen. Da die Untersuchung in Nordrhein-Westfalen durchgefiihrt wurde, orientierten sich die Themen am Lehrplan dieses Bun­deslandes [10]. Die obligatorischen und fakultativen Themen der Jahrgangsstufen 7 bzw. 9 und 10 können der Abb. 1 ent­nommen werden.

Stefan Fiebig, Jahrgang 1972, studierte von 1992 bis 1997 an der Universität Münster die Fächer Chemie und Geographie für das Lehramt an den Sekundarstufen I und II. Danach absolvierte er sein Referendariat und war von 2000 bis 2001 als Wissenschaftlicher Mit­arbeiter am Lehrstuhl für Didaktik der Chemie Il an der Universität Dortmund tätig. Seit Februar 2001 ist er Studienrat an der Gesamt­schule Fischbek in Hamburg.

Insa Meile, Jahrgang 1966, studierte von 1985 bis 1991 die Fächer Chemie und Mathematik for das Lehramt an Gymnasien an der Universität Oldenburg. Nach dem 1. Staatsexamen und der Promotion im Arbeitskreis von Prof Dr. Jansen absolvierte sie von 1993 bis 1995 ihren Referendardienst am Studienseminar Oldenburg. Danach war sie im Arbeitskreis von Prof Dr. Bader als wissenschaftliche Assistentin an der Universität Frankfurt/M. tätig, wo im Jahr 2000 die Habilitation erfolgte. 1998 folgte sie einem Ruf auf eine C3-Professur an die Universität Jena, 1999 nahm sie einem Ruf auf den Lehrstuhl für Didaktik der Chemie Il an der Universität Dortmund an.

Anschrift: Stefan Fiebig, Prof Dr. Insa Meile, Universität Dortmund, Fachbereich Chemie, Postfach 500500,44221 Dortmund

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Page 2: “Problemthemen” des Chemieunterrichts in der Sekundarstufe I - gegenwärtige Situation und fachdidaktische Konsequenzen

"Problemthemen" des Chemieunterrichts

Mittelwerte der Themeneinschätzungen

_1,6 , , , , Stoffe und Stoffeigenschaften ,

2,5 , , Teilchenvorstellung , ,

2,2 , , Lösungen ,

Jg.7 3,3 :

2,1 , , Stoff·IEnergieumsatz·

Luft und Verbrennung , 2,4 : , Metalle ,

2,3 , , , Wasser als Oxid ,

chemische Grundgesetze" , , 2,3

, , ausgewählte Hauptgruppen I

Atomaufbau und PSE 3,0 , Ionenbindung 3,1 ,

Elektronenübertragungsreaktionen 3,4 I

Eleklronenpaarbindung , 3,4

Jg.9110 I I 2,5 I I

saure/alkalische Lösungen

FetteISeifen/Waschmittel'" 2.1. I

Kunststoffe'" 3,3 , Brennstoffe'" 12,9

I

organische Säuren'" , 12,9

Kohlenhydrate'" 3,4

3,8

Anzumerken ist, dass bei Themen, deren Mittelwerte sich um mindestens 0,4 unterscheiden, die Unterschiede auf dem 5 %­Niveau signifikant sind.

Nach dieser Bewertung wird das Fach Chemie im Allge­meinen als nicht schwer zu unterrichten eingeschätzt. Mit ei­nem über alle Themen errechneten Mittelwert von 2,8 liegt der Schwierigkeitsgrad in einem Bereich, der nach der Beurtei­lungsskala etwas besser ist als mittelmäßig. Allerdings gibt es jahrgangsstufenbezogene Unterschiede. So werden die Themen der Jahrgangsstufe 9 und 10 mit einem Mittelwert von 3,1 als deutlich schwerer zu unterrichten eingestuft als die Themen der Jahrgangsstufe 7 (Mittelwert: 2,3). Dieses Ergebnis korreliert mit der sinkenden Fachbeliebtheit im Laufe der Mittelstufe [2, 5]. Auffällig ist, dass unter den obligatorischen Themen gerade die theorielastigeren wie der Stoff- und Energieumsatz, die chemischen Grundgesetze, die Elektronenübertragungsreaktio­nen und die Bindungsarten als überdurchschnittlich schwer zu unterrichten angesehen werden.

Weiterhin wurde untersucht, ob es hinsichtlich der Einschät­zung der Themen geschlechtsspezifische Unterschiede gibt. Die Analyse ergab, dass dieses nicht der Fall ist. Überaschen­derweise konnten auch keine nennenswerten facherspezifi­schen Unterschiede festgestellt werden - noch nicht einmal

2 3 4 5 beim Thema chemische Grundgesetze, bei dem Grundlagen aus Mittelwerte Mathematik und Physik aufgegriffen werden, so dass man

[sehr leicht (1), leicht (2), mittelmäßig (3), schwer (4) und sehr schwer (5) zu annehmen könnte, dass dieses Thema den Befragten, die diese unterrichten], 'obligatorisch für Jg. 7 und Jg. 9/10, "Thema beinhaltet u. a. die F" h . h . P bl b' "d I d Einführung von Atommassse, Formel und Molbegriff, "'fakultativ ac er unterrlc ten, weruger ro eme ereIten wur e asen Abb. I: Bewertung der Themen hinsichtlich der Schwierigkeit ihres Unter- übrigen. Nur beim Thema Kohlenhydrate trat ein signifikanter richtens facherspezifischer Unterschied auf. So schätzten die Befragten,

Zu jedem Thema wurde als Antwortmöglichkeit folgende runfstufige Beurteilungsskala vorgegeben: sehr leicht (1), leicht (2), mittelmäßig (3), schwer (4) und sehr schwer (5) zu unterrichten. Des Weiteren sollten die Untersuchungs­teilnehmer bei den Themen, die sie als schwer oder sehr schwer zu unterrichten empfinden, die Ursachen fiir diese Schwierigkeiten angeben. Dazu konnten sie zwischen vorgege­benen Iterns auswählen - wobei Mehrfachnennungen möglich waren - und auch eigene Anmerkungen machen (vgl. Tab. 1).

2.2 Ergebnisse der Untersuchung

2.2.1 Rahmendaten Von den Befragten waren rd. 40 % weiblich und 60 %

männlich. Nahezu alle Befragten hatten die Lehrbefähigung rur die Sekundarstufen I und 11, Die Altersstruktur der Teilnehmer zeigt annähernd eine Glockenform, wobei das Maximum zwi­schen 45 und 55 Jahren liegt. Häufigstes weiteres Unterrichts­fach ist Biologie (36 %), gefolgt von Mathematik (32 %) und Physik (16 %). Nur etwa 25 % der Befragten haben ein weite­res Fach, das nicht zum mathematisch-naturwissenschaftlich­technischen Aufgabenfeld gehört.

2.2.2 Schwierigkeit der Themen Zur Auswertung der Themeneinschätzungen hinsichtlich der

Schwierigkeit ihres Unterrichtens wurde fur jedes Thema der Mittelwert errechnet. Die Ergebnisse sind in Abb. 1 dargestellt.

200

die als weiteres Fach Biologie unterrichten, dieses Thema im Vergleich zu den anderen Teilnehmern als weniger schwierig zu unterrichten ein. Dies dürfte daran liegen, dass diese Unter­gruppe bereits durch ihr weiteres Fach mit den Lerninhalten dieses Themas intensiver vertraut ist und ihr das Unterrichten deshalb leichter fällt. Interessant wäre sicherlich noch zu er­mitteln, inwieweit alters spezifische Unterschiede bei der Be­wertung eine Rolle spielen. Da jedoch die Datenbasis insbe­sondere in den jüngeren Altersklassen zu gering war, musste diese Analyse entfallen.

2.2.3 Gründe für auftretende Schwierigkeiten Es gibt sicherlich verschiedene Gründe darur, dass Themen

als eher schwer zu unterrichten eingeschätzt werden. Deshalb sollten die Untersuchungsteilnehmer die Ursachen ftir die auf­tretenden Schwierigkeiten angeben. Ausgewertet wurden die Antworten bezüglich derjenigen Themen, deren Mittelwerte höher als 3,0 lagen. In Tab. 1 ist rur diese "Problemthemen" dargestellt, mit welchem Prozentsatz die jeweiligen Ursachen genannt wurden.

Auffällig ist, dass die Befragten die Ursachen rur die Schwierigkeiten in erster Linie auf der Seite der Schüler sehen. So werden ein geringes Lehrerinteresse und ein geringes Wis­sen seitens der Lehrerin bzw. des Lehrers praktisch überhaupt nicht als Grund genannt. Als Hauptursachen gelten vielmehr ein geringes Schülerinteresse, vor allem bei den Themen Stoff­/Energieumsatz, chemische Grundgesetze sowie Atomaujbau und PSE, und ein ho her Schwierigkeitsgrad fiir die Schüler.

CHEMKON!8. Jahrg. 200J/Nr.4

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"Problemthemen" des Chemieunterrichts

Tab. 1: Ursachen rur die Schwierigkeiten bei der Behandlung der ,,Problemthemen"

Thema

Stoff- chemische Atom- lonen- Elektronenüber- Elektro- Kunst- Kohlenhydrate IEnergie- Grundge- aufbau u. bindung tragungs- nenpaar- stoffe umsatz setze PSE reaktionen bindung

Grund % % % % % % % % hoher Schwierigkeitsgrad für die Schüler 96 89 86 75 83 47 80 .. _-- .. _----- ._--- ----~---- -----_. __ .. ----"------geringes Schülerinteresse 70 83 64 50 45 48 12 10 ------_ .. _--_. 1--------- .- ---""---" ..... _ ..... _._._ .. _---r-- .. -... --.. --- _._ ... _----_. fehlende geeignete Versuchsvorschriften 17 26 29 -~ 25 39 41 25 .. __ . ... __ . __ .- ._. __ ."- --_ .. _------- -_._ ...... - -------mangelhafte Experi-mentierausstattung 26 23 f-----~ ~-- 30 9 41 25 --------_ . .. _._------- ---------unzureichende mediale Unterstützung 17 r----1-~.--- 50 -~--- 30 44 24 5 ------ -------"-_._ ... ---_._-_."----- ---- -------_. ----_ .. fehlende geeignete Unterrichtskonzepte 30 29 21 19 25 13 65 20

--~"--"."-- .-- ---------"-- _._---- -_._._--- ------_._""-"---_ .. geringes Lehrer-interesse 0 0 0 0 0 0 0 10

."" -------".- .. _----"--- ._----_._-geringes Wissen seitens

0 0 des Lehrers 0 0 0 _IL. __ 0 r--.Jl---_._. __ ._- ""-_ ... - .----- -. __ .- . __ ._--_._- ... _ ...

Sonstiges 0 3 0

Insbesondere flir den letztgenannten Grund werden enonn hohe Werte erreicht. So geben flir alle Themen, die als schwer oder sehr schwer zu unterrichten empfunden werden, mehr als 75 % der Befragten einen hohen Schwierigkeitsgrad ftir die Schüler als Grund an. Eine Ausnahme stellt das Thema Kunststoffe dar, wo diese Ursache nur von 47 % angegeben wird. Warum die Untersuchungs teilnehmer bei den einzelnen "Problemthemen" den Schwierigkeitsgrad ftir die Schüler als hoch einschätzen, kann an dieser Stelle nur vennutet werden. Prinzipiell wären zwei Gründe bzw. eine Mischung aus diesen beiden denkbar: Zum einen könnten die Schwierigkeiten in den Lerninhalten begründet sein und zum anderen aus den als zu gering einge-

. schätzten Fähigkeiten der Schüler resultieren. Letzterer Erklä­rungsansatz wird von einigen Anmerkungen der Befragten ge­stützt. Folgende individuelle Angaben der Befragten sollen dies verdeutlichen:

" Oft fehlen Grundlagen aus Mathematik und Physik. " "Bei allen Themen, die größeres Abstraktionsvermögen von Seiten der Schüler verlangen, wird das Unterrichten zunehmend schwierig. " " Grundkenntnisse sind oftmals nicht vorhanden. " "Immer wenn Modelldenken und mathematische Grund­lagen gefordert sind, wird es schwierig. "

Aus den Anmerkungen der Befragten wurde weiterhin deut­lich, dass Schwierigkeiten nicht zuletzt aus der Stofffülle des Lehrplans resultieren, die eine angemessene Behandlung der "Problemthemen" kaum ennöglicht.

Die vorhandenen Versuchsvorschriften, die Unterrichtskon­zepte sowie die Experimentierausstattung werden von den Un­tersuchungsteilnehmern kaum bemängelt, somit werden die ex­perimentellen Erarbeitungsmöglichkeiten als günstig beurteilt. Eine Ausnahme bilden nur die Themen, die theorielastiger sind, wie z.B. Atomaufbau und PSE, Ionenbindung und Elekt­ronenpaarbindung. Bei diesen Themen bemängeln mindestens

CHEMKONl8. Jahrg. 2001lNr. 4

6 5 4 6 5

etwa 30 % der Befragten fehlende geeignete Versuchsvor­schriften. Etschwerend kommt bei diesen Themen noch hinzu, dass auch die medialen Unterstützungsmöglichkeiten als eher unzureichend bewertet werden. Fehlende Unterrichtskonzepte werden in nennenswertem Umfang bei den Themen Stoff- und Energieumsatz und chemische Grundgesetze sowie Kunststof­fen beklagt.

Das letztgenannte Thema stellt einen Sonderfall dar. Hier liegen die Ursachen flir die Schwierigkeiten bei der unterricht­lichen Behandlung nicht so sehr auf der Seite der Schüler, son­dern im Fehlen geeigneter Unterrichtskonzepte und den expe­rimentellen Erarbeitungsmöglichkeiten. Dies erklärt auch, dass immerhin 17 % der Befragten dieses fakultative Thema noch nie unterrichtet haben.

2.2.4 Einflusspotenzial fachdidaktischer Zeitschriften Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass gerade bei den

,,Problemthemen" neue Impulse nötig sind. Dazu gibt es ftir Lehrer eine Reihe von Möglichkeiten. Ein wichtiges Medium stellen Publikationen in fachdidaktischen Zeitschriften dar. Um zu ermitteln, wie viele Lehrer Zugang zu diesen haben, sollten sie die Anzahl der fachdidaktischen Zeitschriften angeben, die sie privat abonnieren bzw. von ihrer Schule abonniert werden. In Tab. 2 sind die Prozentwerte daftir wiedergegeben. Zum Vergleich sind Ergebnisse einer 1996 im Frankfurter Raum durchgeführten empirischen Untersuchung angegeben [11].

Tab. 2: Anteil der Lehrer, die über ein Abonnement mindestens einer fachdidaktischen Zeitschrift verfugen

Ruhrgebiets-Lehrer Frankfurter Lehrer [11]

Privat

Privat oder Schule

42%

60% 20% 39%

Fast die Hälfte der Befragten hat somit mindestens eine fachdidaktische Zeitschrift privat abonniert, und 40 % verfUgen

201

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"Problemthemen" des Chemieunterrichts

weder in der Schule noch privat über ein Abonnement. Damit liegt die private und schulische Abonnementrate dieser Perso­nengruppe . deutlich höher als bei den Frankfurter Chemie­lehrern. Aufgrund dieser Abonnementraten lässt sich grob ab­schätzen, dass ungefähr die Hälfte aller Chemie lehrer durch Aufsätze in fachdidaktischen Zeitschriften neue Impulse für ih­ren Unterricht erhalten. An dieser Stelle sollte jedoch nicht un­erwähnt bleiben, dass natürlich keine Gewissheit besteht, ob insbesondere die von der Schule abonnierten Zeitschriften auch tatsächlich von den Lehrern gelesen werden.

3. Konsequenzen für die zukünftige fachdidaktische Arbeit Das Unterrichten eines Themas wird durch viele Faktoren

beeinflusst. In Abb. 2 sind die wesentlichen Aspekte zusam­mengefasst.

Lehrplan-vorgaben

Lehrer

1 Schüler

~ / Unterrichten

eines Themas

/ 1 ~ Medien schulische Rahmenbe-

Unterrichts- dingungen konzepte

Abb. 2: Wesentliche Aspekte beim Unterrichten eines Themas

Wie die Befragung gezeigt hat, sehen Lehrer die Hauptur­sachen für die Schwierigkeiten bei der Behandlung der ,,Pro­blemthemen" im hohen Schwierigkeitsgrad für die Schüler und im geringen Schülerinteresse . Interessanterweise decken sich diese Ergebnisse mit der allgemeinen Einschätzung des Che­mieunterrichts aus der Sicht der Schüler, die das Fach als zu schwer, zu theoretisch und trotz interessanter Inhalte als eher langweilig empfinden [1, 3]. Insbesondere bei den "Problem­themen" ist also ein dringender Handlungsbedarf feststellbar. Neue Ansätze hierzu dürften von den Chemielehrern dankbar aufgenommen und im Unterricht umgesetzt werden.

Es gilt nun zu ermitteln, wie die "Problemthemen" umges­taltet werden können, damit das Schwierigkeitsniveau und die Lerninhalte nicht zu einer Demotivierung der Schüler führen. Erforderlich sind in diesem Zusammenhang Analysen, wo bei den "Problemthemen" die genauen Schwierigkeiten liegen und wie diese behoben werden können. Dieses könnte neue Unter­richtskonzepte erfordern, auch wenn diese von den Befragten unmittelbar nur bei dem Thema KunststojJe und in geringerem Umfang auch bei den Themen Stoff- und Energieumsatz und chemische Grundgesetze eingefordert wurden.

202

Wie aus den Anmerkungen der Untersuchungsteilnehmer ebenso hervorgeht, führt u. a. die Stofffülle der Lehrpläne dazu, dass der Lernerfolg nicht in einem hinreichenden Maße gegeben ist. Auf dieses Problem wurde bereits an anderer Stelle aufmerksam gemacht [7, 12, 13]. Viele gültige Lehr­pläne enthalten einen zu umfangreichen Stoffkatalog und sind teilweise durch theoretische Inhalte überfrachtet. Christen [7] schlägt deshalb einen" drastischen StojJabbau" und eine "Ent­rümpelung der Lehrpläne" vor. Eine Stoff reduktion könnte zu einer vertieften Behandlung der obligatorischen Lerninhalte fiihren, so dass die Schwierigkeiten, die sich aus Zeitmangel ergeben, verringert würden. Bei der Auswahl der Lerninhalte sollte überlegt werden, welche Unterrichtsgegenstände bzw. -themen auf grund des erforderlichen hohen Abstraktionsgrads besser in die Sek 11 verschoben werden oder gar wegfallen sollten. Des Weiteren sollten auch die Interessen der Schüler stärker berücksichtigt werden. Hierbei kann auf Ergebnisse von Untersuchungen zum Schülerinteresse am Chemieunterricht in der Mittelstufe zurückgegriffen werden [z.B. 14].

Literatur

[1] V. Woest, Der »ungeliebte« Chemieunterricht? Ergebnisse einer Befragung von Schülern der Sekundarstufe 2, MNU 50/1 (1997) 50-57

[2] K. Höner, T. Greiwe, Chemie - nein danke? Eine empirische Untersuchung affektiver und kognitiver Aspekte des Chemie­unterrichts der Sekundarstufe I in Abhängigkeit von der Jahr­gangsstufe, chimica didactica 26/1 (2000) 25-55

[3] W. Gräber, Untersuchungen zum Schülerinteresse an Chemie und Chemieunterricht, Chern. Sch. 39/7/8 (1992) 270-273

[4] H.-J. Becker, Chemie - ein unbeliebtes Schul fach? Ergebnisse und Motive der Fachbeliebtheit, MNU 31/8 (1978) 455-459

[5] H.-J. Becker, Eine empirische Untersuchung zur Beliebtheit von Chemieunterricht, chimica didactica 9/1 (1983) 97-123

[6] K.-H. Berck, Warum zu wenig Interesse der Schüler am natur­wissenschaftlichen Unterricht?, MNU 40/7 (1987) 387-389

[7] H. R. Christen, Chemie - faszinierend oder ein Horrorfach? Zur Akzeptanz des Chemieunterrichts, CHEMKON 4/4 (1997) 175-180

[8] E. Wolf, K. Höner, H. Wenck, Biologie oder Chemie? Eine empirische Untersuchung zum Leistungskurs-Wahlverhalten der gymnasialen Oberstufe, chimica didactica 24/2 (1998) 129-150

[9] Philologen-Verband Nordrhein-Westfalen (Rrsg.), Philologen-Jahrbuch 1998/99. Gymnasien· Gesamtschulen, Münster 1999

[10] Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Richtlinien und Lehrpläne rur das Gymnasium - Sekundarstufe I - in Nordrhein-Westfalen: Chemie, Frechen 1993

[11] C. Neu, 1. Meile, Die Fortbildung von Chemielehrerinnen und -lehrern. Gegenwärtige Situation und Möglichkeiten zur Verän­derung, CHEMKON 5/4 (1998) 181-186

[12] H. J. Bader, Chemielehrpläne - Die unendliche Geschichte, CHEMKON 1/4 (1994) 171-172

[13] R. P. Kreher, Lehrpläne für den Chemieunterricht - Grundsätze und Folgerungen, CHEMKON 1/2 (1994) 90-93

[14] W. Gräber, Interesse am Unterrichtsfach Chemie, an Inhalten und Tätigkeiten, Chem. Sch. 39/10 (1992) 354-358

Eingegangen am 20. März 2001 o

CHEMKONl8. Jahrg. 2001/Nr. 4