psychiatrische krankheitslehre einzelne erkrankungen … · aggressive/sexuelle zwangsgedanken...
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Psychiatrische Krankheitslehre Einzelne Erkrankungen und ihre
forensische Relevanz Teil 3
1
Manuela Dudeck
Internationale Klassifikation psychischer
Störungen (ICD-10) der WHO, 1994
F0 Organisch, einschließlich symptomatischer psychischer
Störungen
F1 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope
Substanzen
F2 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen
F3 Affektive Störungen
F4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen
F5 Verhaltensauffälligkeiten in Verbindung mit körperlichen
Störungen und Faktoren
F6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
F7 Intelligenzminderung
Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen nach ICD-10
F 40 phobische Störungen z.B. Agoraphobie mit/ohne Panikstörung F 41 sonstige Angststörungen z.B. Generalisierte Angststörung F 42 Zwangsstörungen F 43 Reaktionen auf schwere Belastungen und
Anpassungsstörungen z.B. Posttraumatische Belastungsstörung F 44 dissoziative Störungen z.B. Amnesie, Fugue, Stupor F 45 somatoforme Störungen F 48 sonstige neurotische Störungen
3
4
• weltweit 1 - 3 % der Bevölkerung*
• „the hidden disease“
• 1 Mio. Erkrankte in Deutschland
• zumeist chronisch - episodische Verläufe
Zwangsstörungen
*Bebbington, 2000; Grabe et al. 2000,2001; Kano et al. 1988
Subsyndromale Zwangssymptome
• Kontrollieren der Elektrogeräte vor einem längeren Urlaub
• Kontrollieren des Inhalts und der Anschrift eines wichtigen
Briefs
5
Kontrollzwänge
Wasch-/Putzzwänge
Symmetriezwänge
Ordnungszwänge
Wiederholungszwänge
Aggressive/sexuelle Zwangsgedanken
Zwangssymptome
6
Genetische
Faktoren,
familiäre
Belastung mit
Zwangsstörung
Stress
Belastende
Lebensereignisse
(z.B. Hausbau,
Geburt Kind,
sexuelle Erfahrung,
Tod Angehöriger
Biologische Faktoren
PANDAS als Kind,
Imbalancen im
Transmitterhaushalt,
Hyperaktivität im
Frontalhirn, strukturelle
Veränderung,
neurologische
Erkrankung
Hormonelle
Veränderungen
Persönlichkeits-
eigenschaften:
z.B. Ängstlichkeit,
hohe
Schadensvermeidung,
Perfektionismus,
Impulsivität,
Risikovermeidung,
Genauigkeit,
Pedanterie, Rigidität
Erziehung:
Bindung,
Kontrolle,
Überfürsorge
,
Ängstlichkeit
der Eltern
Umgang mit
Stress
(Coping)
Nicht-funktionale
(falsche)
Überzeugungen
Vulnerabilitäts-Stress Modell der Zwangsstörung
7
Kognition-Neutralisierung-Konditionierung
am Friedhof vorbeifahren Triggernder Stimulus
Aufdringl. Gedanke jemand aus der Familie
könnte sterben
Automat. Gedanke So etwas darf ich nicht
denken. Ich muss es
verhindern. Anspannung
Angst
Neutralisieren= Zwang
positives Gegenbild
vorstellen
beten
anrufen
II. Neg.Verstärkung
I. Angstreduktion
kognitives Modell für Zwänge nach Salkovskis und Warwick, 1988
8
Therapieoptionen
• Exposition-Reaktionsmanagement (Video)
• Pharmakotherapie-SSRI/Atypika
• Kognitive Therapie
• Psychodynamische Therapie
• Tiefenhirnstimulation
N. accumbens
9
Trauma & Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD)
Alle berühmten Moralisten der Vergangenheit haben darauf
hingewiesen, dass bestimmte Ereignisse unauslöschliche
quälende Erinnerungen hinterlassen- Erinnerungen, die den
Leidenden ständig heimsuchen und ihn Tag und Nacht
quälen (Janet, 1919)
Trauma: Definition gemäß WHO
Ein kurz oder lang anhaltendes Ereignis oder
Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung
oder mit katastrophalem Ausmaß, dass nahezu
bei jedem Betroffenen eine tief greifende
psychische Verzweiflung und Hilflosigkeit
auslösen würde
11
Trauma: Definition (Fischer und Riedesser, 1998)
• … vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten
12
Bedrohung Bewältigung
Desillusionierung
13
Dauerhafte Erschütterung einer positiven und kontrollierbaren Umwelt eigene Unverletzlichkeit Welt verständlich, kontrollierbar Wahrnehmung des Selbst als positiv und wertvoll
Posttraumatische Belastungsstörung
14
A. Traumakriterium
B. Intrusionen
C. Vermeidung/Numbing
D. Hyperarousal
E. Symptome länger als ein Monat
15
Ereignisfaktoren*
Unerwartetheit
Dauer, Schweregrad
Kontrollierbarkeit
Interpersonelle Brutalität
Risikofaktoren**
Alter bei Ereignis
Geschlecht
Frühere Traumata
Frühere psychische Störungen
Peritraumatische Dissoziation
Psychosoziale Variablen
Schutzfaktoren***
Kohärenzsinn
Soziale Unterstützung
Interpretation als einmalig
Temperament
PTSD
Literatur z.B.
* Litz & Roemer, 1996
** Breslau & Davis, 1992
*** Frankl, 1973;
Schützwohl, 1999;
Pennebaker, 1989
Hyperaktivität des limbischen Systems?
16
AKZEPTANZ (Einbettung in biografische
Geschichte)
KONFRONTATION
EMDR
Kognitives Umstrukturieren
(Veränderung problematischer
Interpretationen)
Exposition
Abbau von Vermeidung
Erholungsphase:
SICHERHEIT UND STABILITÄT
Symptomlinderung
Therapeutische Beziehung
Aktivierung sozialer Ressourcen
Wesentliche Schritte der Therapie
Therapie: Debriefing
• Traumazentrierte Frühintervention
– keine Reduktion von psychischem Stress
– keine Risikosenkung für PTSD
– 1 Jahres-Follow-up: erhöhtes Risiko für PTSD (OR 2.01 - 2.88)
Erklärung:
- Unterbrechung des naturalistischen Verarbeitungsprozesses
- Debriefing durch unbekannten Therapeuten
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Metaanalysen u.a.: Arendt et al., 2001; Rose et al., 2001
Effektstärken von Therapieformen bei PTSD Bezogen auf Hauptsymptomatik, Fragebogenmaße
(aus: van Etten & Taylor, 1998, Metaanalyse )
Abbrecher-
Raten (%) Prä-Post-Effektstärken
Kognitive Verhaltenstherapie 15,1 1,27 (nach 4 Monaten 1,63)
EMDR 14,4 1,24 (nach 4 Monaten 1,33)
Tiefenpsychologische Therapien 11,0 0,90
Entspannungsverfahren 8,0 0,45
Hypnose 11,0 0,94
Psychotherapie insg. (27 Studien) 14,0 1,17
Trizyklische Antidepressiva 26,4 0,54
MAO-Hemmer 36,4 0,61
Serotonin-Wiederaufn.-Hemmer 36,0 1,38
Pharmakotherapie insg. (17 Studien) 31,9 0,69
Kontrollbedingungen (15 Studien) 16,6 0,43 18
Studienlage in Maßregel und Gefängnis
Art und Schwere früher
Traumatisierungen
Hohe Prävalenzraten
hinsichtlich Missbrauch und
Vernachlässigung
Driessen et al., 2006
Spitzer et al., 2006
PTBS und Dissoziative Störungen
4-20% Aktualprävalenz von PTBS; 25%
dissoziative Störungen
Kristiansson et al., 2004
Goff et al., 2007
Cycle of sexual violence
Früher sexueller Missbrauch häufiger in
Biographie von Sexualstraftätern
Burton et al., 2002
Salter et al., 2003
Auswirkung von Antisozialität und
Traumata auf Schwere des Delikts
ASPS -> mehr und schwerwiegen-
deres kriminelles Verhalten
Kosson, et al.;2006
Driessen et al., 2006
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PTBS - Prävalenzen
Spitzer C, Dudeck M et al., 2001: Journal of Forensic Psychiatry
Berichtete Traumata
Traumata Alle Traumata in %
PTBS in % Partielle PTBS in %
Körperliche Misshandlung 24.5 9.4 11.3
Verlust relevanter Dritter 24.5 9.4 -
Eigenes Delikt 9.4 7.5 1.9
Sexueller Missbrauch 5.7 1.9 1.9
Emotionale Vernachlässigung 5.7 3.8 1.9
Zeuge bei traumatischen Ereignissen 5.7 1.9 3.8
Folter 5.7 5.7 -
Vergewaltigung 3.8 3.8 -
Politische Repression 2.0 - 1.9
21
Trauma und PTBS
Drenkhahn & Dudeck, 2007: Neue Kriminalpolitik 22
Individuelles Risiko von Sexual-und Gewaltdelikten in Abhängigkeit von früher Traumatisierung (N = 1055)
21
***
n.s. *
***p <.001; *p <.05 (Vierfelder-Chi2-Test)
n.s.
Zusammenfassung Studie I und II
Maßregelpatienten (N = 53)
Gefängnisinsassen (N = 1055)
SHIP-I* (N = 4310)
Traumata (M) 2.0 3.0 0.5
Aktual-PTBS 17.0% 13.7% 1.6%
Opfer-Täter-Transfer (Sex)
ja ja -
22 * Study of Health in Pomerania, BMBF gefördert seit 1997, 2. Katamnesephase
Dissoziative Störungen Lebenszeitprävalenz dissoziativer Störungen:
• in der Allgemeinbevölkerung 2-12%
• Im klinisch psychiatrischen Bereich ca. 23%
• Sexualstraftäter ca. 70%
• Gewaltstraftäter ca. 50%
• Deliktübergreifend im forensischen Kontext 21-49%
• Psychisch kranke Straftäter > Gefängnisinsassen
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Dissoziative experiences and disorders in forensic inpatients (Spitzer et al., 2003)
Instrumente: 1. SCID-D (Steinberg, 1994)
2. FDS (Spitzer et al., 2005)
Ergebnisse:
• 24,5% erfüllten die Kriterien für eine Dissoziative Störung
• 5,7% Dissoziative Amnesie
• 3,8% Depersonalisation
• 15,1 % Nicht näher bezeichnete dissoziative Störung
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Truman Capote: Kaltblütig
In der Nacht des 15. November
1959 wurden der Farmer Herb
Clutter (48), seine Frau Bonnie
(45), die Tochter Nancy (16) und
der Sohn Kenyon (15) in ihrem
Haus bei Holcomb, Kansas, auf
grauenvolle Weise umgebracht.
Ein Motiv war zunächst nicht
erkennbar, denn mehr als 40 oder 50
Dollar gab es nicht zu erbeuten. Die
beiden jungen Mörder gingen der
Polizei am 30. Dezember 1959 in Las
Vegas „ins Netz“. Sie wurden am 14.
April 1965 gehängt.
27
Dudeck et al., 2007: Dissoziative Phänomene während der Straftat bei forensischen Patienten – eine
Pilotstudie
Entwicklungsmodell Trauma-Dissoziation-Delinquenz ( Burgess,1987; Meloy, 1988)
28
Frühere kumulative Traumata:
Missbrauch, Vernachlässigung
Vor-Trauma-Phase: famliäre
Instabilität, Gewalt,Kriminalität,
Substanzmissbrauch, emot.
Isolation
Defizitäre/negative Ich-,Charakter-
undKognitionsentwicklung;path.
Abwehrformen
Prädisposition des traumatisierten
Kindes für Ärger und Groll,
Rachegefühle,-phantasien,
Identifikation mit Gruppenaggression
Trauma-
phase
Nach-
Trauma-
Phase
Mehrere Abwehrebenen beginnen mit Dissoziation, Änderung physiologischer
Zustände: Abstumpfung, Angst, Ausbildung externalisierter aggressiver Acting-Outs,
internalisierender Muster (Vermeidung, Rückzug)
Dissoziation bewirkt massive Blockierung auf: 1.sensorischer Ebene z.B: Überwindung
von Abstumpfung via Erregungszustände (Drogen etc. ,2. Wahrnehmungebene:
Bedürfnis nach minimaler zwischenmenschlichen Kontakten gepaart Vorliebe für
deviante Stimuli, kognitiv:Verzeihen sexueller Gewalt, Negation sozialer Werte
Dissoziation führt zur Versiegelung traumatischer Erfahrungen und Trennung der
psychischen und sensorischen Erfahrungen. Unverarbeitete traumatische
Erfahrungen werden agiert via Verhaltensreinzenierungen: Aggression, Delinquenz
Verleugnung von Verletzlichkeit/Hilflosigkeit als kindliches Opfer verstärkt Identifikation
Mit Aggression = erzeugt Verbindung vom Missbrauchten zum Missbräuchler.
D
E
L
I
N
Q
U
E
N
Z
suggerieren zunächst eine somatische Krankheit (deshalb auch der Begriff somatoform)
umfassen verschiedene Formen von Störungen, deren Hauptmerkmale einzelne oder vielfältige körperliche Symptome sind
Gemeinsames Merkmal: Vorhandensein körperlicher Beschwerden, die nicht vollständig
durch einen körperlichen Befund, eine Substanzeinwirkung oder durch eine andere psychische Störung erklärt werden können.
gehen mit deutlichen Beeinträchtigungen in unterschiedlichen Lebensbereichen einher
im Gegensatz zur Vorgetäuschten Störung und zur Simulation sind die körperlichen Symptome nicht absichtlich erzeugt
Was sind somatoforme Störungen?
Arten somatoformer Störungen
30
Verlauf Symptomatik Diagnose
k.A. (pseudo) neurologische
Symptome
Konversionsstörung
Dauer > 6 Monate Angst vor einer ernsthaften
Erkrankung
Hypochondrie
k.A. Eingebildeter körperlicher
Mangel, Entstellung
Körperdysmorphe Störung
Dauer > 6 Monate
Akut (< 6 Monate
Chronisch (> 6 Monate)
Beginn vor 30 LJ
Langjähriger Verlauf
1+ körperliche Symptome Undifferenzierte
Somatoforme Störung
Schmerzsymptome
polysymptomatisch
Schmerzstörung
Somatisierungsstörung
F 5 Verhaltensauffälligkeiten in Verbindung mit körperlichen Störungen
F 50 Essstörungen
F 51 nichtorganische Schlafstörungen
F 52 nichtorganische sexuelle Funktionsstörungen
•
•
F 55 Missbrauch von nicht abhängigkeitserzeugenden Substanzen
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Begutachtung Beeinträchtigunsschwere – Score nach Schepank 1982:
• Körperlicher Leidens- und/oder Beeinträchtigungsgrad (Schmerzen, Gehbehinderung etc.) 0-6 Punkte
• Psychischer Leidens- und/oder Beeinträchtigungsgrad (Ängste, Zwänge, Hypochondrien etc.) 0-6 Punkte
• Auswirkungen auf die sozial-kommunikativen Bezüge (Arbeit, Beziehung etc.) 0-8 Punkte
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Bewertung von Beeinträchtigungen Foerster (1999) keine Wiederherstellung der
Erwerbsfähigkeit bei:
1. Mehrjähriger Verlauf der Störung
2. Kontinuierliche, primär chronische Zunahme der Symptomatik
3. Regelmäßige ambulante Therapie
4. Stationäre Behandlungsversuche mit unterschiedlichen Therapieansätzen
5. Scheitern von Rehabilitationsmaßnahmen.
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Sozialrecht • GdB und MdE je nach Schwere der Störung von 0 – 100
• Zwangsstörungen punkten wesentlich höher
• Zusammenhangsfragen nach Unfällen
Fahreignung
• Muss selten beurteilt werden und hängt von z.B. der Impulsivität ab
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Exkurs: Simulation und Aggravation Formen der Simulation: • Die Inszenierung eines Vorfalls, z.B. eines „Anfalls“ vor oder
in unmittelbarer Nähe des gewünschten Beobachters
• Das Erfinden von Symptomen, z.B. Schmerzen, die nicht näher zu objektivieren sind.
• Die Selbstschädigung, um ärztliche Intervention zu fordern oder dem Beobachter einen Schaden zu demonstrieren.
• Die Fälschung ärztlicher Befunde, um dadurch das angestrebte Ziel zu erreichen.
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Motive • Vermeidungsverhalten: Vermeidung von Gefahr und
Schwierigkeiten, Verantwortung oder Strafe.
• Sekundärer Krankheitsgewinn: Krankenhausbehandlung, Versorgung durch Familie, Medikamentengabe, Unterkunft, Berentung
• Vergeltung und Entschädigung: Nach Schädigung oder Verlust, z.B. durch Unfall, oder Arbeitsplatzverlust, als Folge von Kränkungen.
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Kriterien für Simulation (Glatzel, 1998)
• Ausweichen in nichtsprachliche Ausdrucksformen
• Lange Antwortlatenzen
• Wiederholter Themenwechsel
• Mehrdeutige Antworten
• Abbruch der Exploration oder der therapeutischen Beziehung unter dramatischer Darstellung der Symptome
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Delinquenz
• Bei den meisten Delikten – wie bei den meisten
Menschlichen Handlungen – spielen unbewusste Motive und emotional bedingte Intentionen eine nicht unwesentliche Rolle.
• Universität München: Untersuchung von Aggressionstätern von 1972 – 1987 nur 2% NEUROSEN
• „Affektdelikte“
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Strafrecht • Diagnose der neurotischen Störungen allein sagt über die
Schuldfähigkeit nichts aus
Zivilrecht
• Selbst schwer Zwangskranke sind selten geschäftsunfähig
• Beurteilung bei Scheidung oder Wohnungswechsel ob unzumutbare Härte
39
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen nach ICD-10
F 60 Persönlichkeitsstörungen
F 61 kombinierte und sonstige Persönlichkeitsstörungen
F 62 andauernde Persönlichkeitsänderung
40
41
Achse II Störungen II (kategorial)
Temperament & Charakter
42
Personen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung: • Niedrige Ausprägungen auf den Charakterdimensionen • Hohes Neugierverhalten / Geringe Schadensvermeidung / Geringe Belohnungsabhängigkeit
** p < 0.01 * p < 0.05
TCI, Rohwerte Allgemein (N = 133)
Gefängnis (N = 89)
A vs. G (T) p
Alter (MW) 41.2 28.7 -13.025 .000**
Neugierverhalten 18.2 21.8 5.731 .000**
Schadensvermeidung 12.4 13.7 2.032 .045*
Belohnungsabhängigkeit 14.5 13.1 -3.192 .002**
Kooperativität 32.7 27.5 -6.672 .000**
Selbstlenkungsfähigkeit 36.4 29.1 -8.917 .000**
Hippokrates (400 v. Chr.): Vier Säfte - Lehre
Sanguiniker: leichtblütig, wechselhafte Stimmungen
Melancholiker: schwerblütig, schwermütig
Choleriker: heftig, leicht erregbar
Phlegmatiker: kaltblütig, schwer erregbar
43
Historisches
Persönlichkeit I
44
Die individuelle Persönlichkeit zeichnet sich durch das
Bestehen unterschiedlicher Persönlichkeitszüge aus
(Big-five-Modell).
Extraversion (kontaktfreudig-zurückhaltend)
Verträglichkeit (friedfertig-streitsüchtig)
Gewissenhaftigkeit (gründlich-nachlässig)
Neurotizismus (entspannt-überempfindlich)
Offenheit (kreativ-phantasielos)
Persönlichkeitsstörung ist ein tief verwurzeltes, anhaltendes und weitgehend
stabiles Verhaltensmuster, das sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen zeigt.
In vielen Fällen geht diese Störung mit persönlichem Leid und gestörter sozialer Funktionsfähigkeit einher.
Gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung zeigen sich deutliche Abweichungen im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in der Beziehung zu anderen.
45
Entstehung und Aufrechterhaltung
46
Schemata Äußere Ereignisse
Voreingenommene
Wahrnehmung und
Erinnerung Reaktionen anderer
Automatische Gedanken
Emotionale Reaktion Zwischenmenschliches Verhalten
Threshold liability model (FARAONE,1999)
47
Prävalenz (TORGERSON et al., 2001; CASEY, 1989)
0
10
20
30
40
50
unbehandelt poliklinisch stationär
48
Deutschland: ca. 11% MAIER et al.,1992
49
Komorbidität
Persönlichkeitsstörung
60%
Komorbidität
Depression
Panik
Störungen
Dissoziation
Sucht
Störungen
PTSD Psychosen
Somatoforme
Störungen
Zwangs
störungen
Klassifikation nach DSM IV • Hauptgruppe A = „sonderbar, exzentrisch“: (1) paranoid (2) schizoid (3) schizotyp • Hauptgruppe B = „dramatisch, emotional, launisch“: (1) narzisstisch (2) histrionisch (3) antisozial (4) borderline • Hauptgruppe C = „ängstlich“: (1) selbstunsicher (2) dependent (3) zwanghaft
50
Die paranoide Persönlichkeitsstörung I
51
Die wesentlichen Merkmale
sind:
ausgeprägtes Mißtrauen
übertriebene Empfindlichkeit
rigides, streitsüchtiges
Beharren auf vermeintlichen
eigenen Rechten
Unbehandelte Prävalenz:
3%, mehr Männer, Gefangene,
Flüchtlinge, Immigranten,
Hörgeschädigte, Ältere
Die paranoide Persönlichkeitsstörung II
Definition: Patienten mit einer paranoiden Persönlichkeitsstörung zeigen in verschiedensten Situationen die durchgängige und ungerechtfertigte Neigung, die Handlungen anderer als absichtlich erniedrigend oder bedrohlich zu interpretieren. Die Patienten vermeiden engere Kontakte und neigen zu pathologischer Eifersucht. Richtet sich die situationsunangemessene Reaktion auf eine überwertige Idee, so spricht man auch von einer fanatischen Persönlichkeit. Steht der Kampf gegen ein wirkliches oder vermeintliches Unrecht im Mittelpunkt, dann wird auch von einer querulatorischen Persönlichkeit gesprochen.
52
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung
53
Diese Persönlichkeitsstörung
zeichnet sich durch ein
durchgängiges Muster von
"Großartigkeit" (in Phantasie oder
Verhalten), von Überempfindlichkeit
gegenüber der Einschätzung durch
andere und von Mangel an
Einfühlungsvermögen aus. Das
Selbstwertgefühl ist oft sehr instabil.
Das überwertige Selbstwertgefühl
kann auch plötzlich in das Gefühl
der absoluten Wertlosigkeit
umschlagen. Durch dieses verhalten
sind die zwischenmenschlichen
Beziehungen meist deutlich gestört.
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung Prävalenz:
• in der Bevölkerung ca. 0,4%
• Bei psychiatrischen insbesondere psychosomatischen Patienten bis zu 1,3%
54
Dudeck et al.,2006: Die Bedeutung von Persönlichkeit und sexueller Traumatisierung für
forensische Patienten mit einem Sexualdelikt.
Die antisoziale Persönlichkeitsstörung
Definition: Das Hauptmerkmal der dissozialen Persönlichkeitsstörung ist ein
Muster von verantwortungslosem und antisozialem Verhalten, das in der Kindheit oder frühen Adoleszenz beginnt und bis ins Erwachsenenalter fortdauert. • Unvermögen zur Beibehaltung längerer Beziehungen • Geringe Frustrationstoleranz • Kein Schulderleben • Unfähigkeit aus Erfahrung (Strafe) zu lernen • Rationalisierungen für eigenes Verhalten
55
Die antisoziale Persönlichkeitsstörung Prävalenz:
• 3-7% der Männer; 1-2% der Frauen (Robins et al., 1991)
• In Strafvollzugsanstalten 12-70% (Cummings et al., 1989)
Ursachen:
• Genetik 50-60% Konkordanz bei monozygoten Zwillingen
• Alkohol- und Drogenabhängigkeit ist prädiktiv (Carey & Goldmann, 1997)
• Minderfunktion im serotonergen System (Carey & Goldmann, 1997)
• Mindefunktion der fronto-limbischen Affektkontrolle
(Herpertz, 2001)
• Peer-Gruppen
56
„Es ist genau diese Furchtlosigkeit ein
besonderer Stoff, aus dem die Helden und die
antisozialen Persönlichkeiten sind.“ (Sass, 1987)
57
Dudeck M et al. (in submission): Die Prävalenz psychischer Erkrankungen bei Gefängnisinsassen
mit Kurzzeitstrafe. 2009
Die emotional-instabile Persönlichkeitsstörung
vom Borderline – Typus
Historisches Die Bezeichnung „Borderline“ hielt vor ca. 110 Jahren Einzug in die
Psychiatrie (Stone 1986). • Kraepelin 1904: impulsives Irresein, Triebmenschen • Bleuler 1911: latente Schizophrenie • 1923 K. Schneider: stimmungslabiler, explosibler Psychopath • 1925 Reich: triebhafte Charaktere • 1938 Stern: Borderline ist ein Phänomen im
„Übergangsbereich“ von Neurose und
Psychose • 1954 Peterson: subklinische Schizophrenie • 1958 Knight: pseudoneurotische Schizophrenie • 1980 Stone: Borderline - Syndrom • Schmiedeberg: Stabilität in der Instabilität
59
Die emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus
60
Es kommt oft zu
selbstschädigendem Verhalten,
z.B. durch multiple
Schnittverletzungen an den
Unterarmen.
Epidemiologie
• Prävalenz: ca. 1,5 – 2%
(in Deutschland 3% aller Frauen, ca. 1% aller Männer)
• In psychiatrisch/psychotherapeutischer Behandlung: ca. 80%, Ersthospitalisation mit 24 Jahren
• Häufigkeit in Klinik: 15%
• Suizidraten: 7-10%
• Direkte Kosten: ca. 3 Mrd. Euro jährlich
(d.h. 15 % der Kosten für psychische Störungen)
• 90% davon sind stationäre Kosten
• Liegezeit 68 Tage
61
Leitsymptom der BPS
– Einschießende, starke Spannung, die als äußerst aversiv erlebt wird und keiner klaren, handlungsweisenden Emotion zugeordnet werden kann.
62
Psychopharmakotherapie Studien beruhen auf :
• Kleinen Fallzahlen
• Kurzen Beobachtungszeiträumen
d.h. bislang gibt es kein zugelassenes Medikament zur
Behandlung von Persönlichkeitsstörungen.
63
Therapie (Behandlungsrichtlinien der APA 2001)
• Kognitive Verhaltenstherapie
(Dialektisch – behaviorale Therapie nach Linehan)
• Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
• Metaanalyse zur Effizienz von Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen
(Leichsenring und Leibing, Am J Psychiatry, 2003)
64
Begutachtung Die Begutachtung ist in allen Rechtsbereichen schwierig, da
schon die klinische Abgrenzung zwischen
Persönlichkeitsakzentuierungen und
Persönlichkeitsauffälligkeiten problematisch ist.
Strafrecht • Großer individueller Ermessensspielraum für den Gutachter
• Erheblichkeit ist entscheidend
• Motivationaler und situativer Zusammenhang
• Dissoziale Täter sind meistens voll schuldfähig
• Schwere andere seelische Abartigkeit
65
Vorgehen bei der Begutachtung
1) Liegt eine PST gemäß ICD-10 oder DSM – IV vor?
2) Ist diese Diagnose unter der Kategorie „schwere seelische Abartigkeit „ einzuordnen?
3) Ist die Straftat symptomatisch für die PST?
4) Bedingt die PST eine erhebliche Beeinträchtigung der Einsichts-oder Steuerungsfähigkeit?
66
Gründe dafür… (Boetticher et al. 2005)
1. Erhebliche Auffälligkeiten der affektiven Ansprechbarkeit bzw. der Affektregulation.
2. Einengung der Lebensführung bzw. Stereotypisierung des Verhaltens.
3. Durchgängige oder wiederholte Beeinträchtigung der Beziehungsgestaltung und psychosozialen Leistungsfähigkeit durch affektive Auffälligkeiten, Verhaltensprobleme sowie unflexible, unangepasste Denkstile.
4. Durchgehende Störung des Selbstwertgefühls.
5. Deutliche Schwäche von Abwehr- und Realitätsprüfungsmechanismen.
67
Gründe dagegen… (Boetticher et al., 2005)
1. Auffälligkeiten der affektiven Ansprechbarkeit ohne schwerwiegende Beeinträchtigung der Beziehungsgestaltung und psychosozialen Leistungsfähigkeit.
2. Weitgehend erhaltene Verhaltensspielräume.
3. Selbstwertproblematik ohne durchgängige Auswirkungen auf die Beziehungsgestaltung und psychosoziale Leistungsfähigkeit.
4. Intakte Realitätskontrolle, reife Abwehrmechanismen.
5. Altersentsprechende biographische Entwicklung.
68
Zivilrecht
• Häufig Prozessrecht betroffen bei sog. „Querulanten“ siehe paranoide Persönlichkeitsstörung
Sozialrecht • PST allein bedingen praktisch nie Arbeitsunfähigkeit
Fahreignung • „Krankheit und Kraftverkehr“: Hohe Risikobereitschaft,
niedrige Selbstkontrolle, häufige Sorgfaltsfehler und Fehler bei psychometrischen Leistungstests sind Risikofaktoren
69
70
Schluss für heute!