realitätscheck für den klimaschutz298/20113/sh_realitätscheck... · in einer welt voller...
TRANSCRIPT
Realitätscheckfür denKlimaschutz
Herausgeber
Steffen HentrichHolger Krahmer
Globale Klimapolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Realitätscheck für den Klimaschutz
Herausgeber
Steffen HentrichHolger Krahmer
Globale Klimapolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektivManuel Frondel
Eine vernünftige Klimapolitik in einer Welt voller UnsicherheitenRoss McKitrick
© 2011
Die Autoren und Herausgeber
Herausgeber
Steffen Hentrich
Holger Krahmer
Autoren
Ross McKitrick
Manuel Frondel
Titelgestaltung, Layout, Satz
RAUM II
Agentur für visuelle Kommunikation
Christoph Jahn | Frank Ekelmann
www.raum-zwei.com
Übersetzung aus dem Englischen
Tanja Felder
www.sprachfelder.de
Lektorat
Ewald Oetzel
Druck
Förster & Borries GmbH & Co. KG
www.foebo.de
Papier
Inhalt: Profibulk 1.3, 115 g/m²
Bezug: Profisilk, 140 g/m²
Steffen Hentrich
Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Liberales Institut
Referent | Senior Research Fellow
Karl-Marx-Straße 2
14482 Potsdam
Telefon +49 331 7019129
www.freiheit.org
Holger Krahmer
Mitglied des Europäischen Parlaments
Abgeordnetenbüro ‘krahmerladen’
Nonnenmühlgasse 1
04109 Leipzig
Telefon +49 341 2535580
www.holger-krahmer.de
Erste Auflage
Alle Rechte vorbehalten.
Dieses Werk oder Teile des Werkes dürfen
nicht ohne die schriftliche Genehmigung der
Herausgeber vervielfältigt, in Datenbanken
gespeichert oder in irgendeiner Form
übertragen werden.
ISBN 978-3-00-036040-4 | Print
ISBN 978-3-00-03604 1- 1 | eBook
Printed in Germany
Inhalt
Vorwort 7
Eine vernünftige globale Klimapolitik 13in einer Welt voller UnsicherheitenRoss McKitrick
1. Einleitung 15
2. Theoretische Grundlagen der Klimapolitik 29
3. Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens 47
4. Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse 79
bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise
5. Schlussfolgerungen 91
Literatur 95
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv 103
Manuel Frondel
1. Einleitung 105
2. Der geringe Effekt der 109
Treibhausgasminderungspolitik der EU
3. Kontraproduktive internationale Rückwirkungen 119
4. Mangelnde Kosteneffizienz der 123
Treibhausgasminderungspolitik der EU
5. Schlechte Chancen für ein globales 135
Klimaabkommen zur Treibhausgasminderung
6. Erfolgsträchtigere Alternativen 141
7. Anpassung an die globale Erwärmung 149
8. Zusammenfassung und Schlussfolgerung 155
Literatur 159
Die Autoren und Herausgeber 167
Vorwort
Vorwort
Steffen Hentrich | Holger Krahmer
Die derzeitige klimapolitische Diskussion geht von der Prämisse aus,
dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das globale Klima und
den darauf wirkenden Einfluss des Menschen hinreichend sind, um da-
raus schon heute klare Handlungsempfehlungen für eine langfristige
Klimapolitik ableiten zu können. Ebenso vorherrschend ist der Glaube,
dass internationale Abkommen möglich und derzeit praktizierte und
geplante Klimaschutzmaßnahmen wirksam sind. Bei näherer Betrach-
tung wird jedoch die Realitätsferne dieser Annahmen offensichtlich.
Tatsächlich gehen die Einschätzungen über die Validität der herrschen-
den wissenschaftlichen Lehre über die Ursachen und das Ausmaß des
Klimawandels unter den Experten der unterschiedlichsten wissen-
schaftlichen Disziplinen weit auseinander. Um Klimamodelle und Kli-
madaten gibt es einen intensiven wissenschaftlichen Disput.
Doch nicht nur die naturwissenschaftliche Dimension des Klima-
wandels ist heiß umstritten, sondern auch die Frage nach einer ange-
messenen Reaktion auf die globalen Klimaveränderungen und die ge-
eignete Implementierung klimapolitischer Maßnahmen. Obwohl sich
Klimawissenschaftler ebenso wie Umweltpolitiker der herrschenden
Unsicherheiten bewusst sein sollten, werden die damit verbundenen
Herausforderungen für die menschliche Handlungsfähigkeit in der
internationalen Klimapolitikarena selten zugegeben. Hinter dieser
Kulisse der Sicherheit sind die unterschiedlichsten Interessengruppen
schon längst dabei, die Löcher der wissenschaftlichen Erkenntnis mit
7
den notwendigen Zutaten für die Durchsetzung ihrer eigenen Interes-
sen zu stopfen. Kein Wunder, dass es dem Sammelsurium der derzei-
tig praktizierten Klimaschutzinstrumente an Effektivität und Effizienz
fehlt. Selbst in der heilen Welt des Klimakonsenses kommt man nicht
umhin, die Risse in der Fassade der wackligen Konstruktion internati-
onaler Vereinbarungen anzuerkennen. Wo politische Entscheidungslo-
gik, Lobbyismus und der Glaube an eine ökologisch motivierte Wirt-
schaftslenkung geprägte Ideologie regiert, ist wenig Platz für Rationali-
tät und wirtschaftliche Freiheit.
Rationale Klimapolitik muss sich der Herausforderung der natur-
wissenschaftlichen und sozioökonomischen Unsicherheiten stellen,
nicht nur um den derzeitigen Stillstand der internationalen Klimaver-
handlungen zu beenden. Der Wohlstand der Menschen in der entwi-
ckelten Welt steht ebenso auf dem Spiel wie die Entwicklungsoptio-
nen in den ärmsten Regionen unseres Planeten. Unter den gegebenen
technologischen Bedingungen ist die künstliche Verknappung von
reichlich vorhandenen und kostengünstig nutzbaren fossilen Energie-
trägern ein nicht zu unterschätzendes Hemmnis für Produktivitäts-
fortschritte, die notwendig sind, Millionen Menschen auf der Erde an-
gemessen zu ernähren sowie menschenwürdige Lebensbedingungen
und realistische Entwicklungschancen zu ermöglichen. Wir wissen bis
heute nicht, ob eine Konzentration auf die Vermeidung von Treibhaus-
gasemissionen in der Klimapolitik ein wirksamer Weg zur Verhinde-
rung der befürchteten Folgen eines globalen Klimawandels ist. Unter
den Bedingungen ungenauer Kenntnis der Zusammenhänge zwischen
klimatischen Veränderungen und wirtschaftlichen Aktivitäten und
den hohen Unsicherheiten über die Dynamik der wirtschaftlichen Ent-
wicklung ist ein verantwortlicher Umgang mit knappen Ressourcen
unumgänglich, will eine Gesellschaft Hemmnisse für ihre zukünftigen
Entwicklung möglichst gering halten. Mehr Wohlstand und weniger
Umweltverschmutzung sind gemeinsam nur zu erreichen, wenn wir
mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln so effizient wie möglich
8
Steffen Hentrich | Holger Krahmer
Vorwort
umgehen. Wenn nicht, riskieren wir wertvolle Entwicklungsoptionen
für die heute lebenden Menschen und zukünftige Generationen.
Doch nicht nur die sozioökonomischen Folgen des herrschenden
klimapolitischen Paradigmas geben Anlass zur Sorge, auch die im
Namen des Klimaschutzes immer stärker um sich greifende Erosion
bürgerlicher Freiheiten ist alarmierend. Grundlegende Menschen-
rechte stehen ebenso auf dem Spiel wie Entwicklung und Fortschritt.
Auch aus diesem Grund ist eine flexiblere und effiziente Klimapoli-
tik unumgänglich, eine Klimapolitik, die sich statt an starren Zielen
am sich wandelnden Wissen orientiert und sich auf Maßnahmen be-
schränkt, die nachweislich die Belastungen für die Bürger minimie-
ren. Das bedeutet eine Kombination eines maßvollen Einsatzes effi-
zienter Instrumente zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen
und von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel, die mit
einem Minimum an Eingriffen in Märkte und die individuellen Rech-
te der Bürger auskommen.
Dieses Buch versucht die Lücke zwischen dem Allmachtsanspruch
der Klimapolitik und dem nach menschlichem Ermessen sinnvollen
Beitrag zur Vorsorge in einer Welt unsicherer zukünftiger Entwicklun-
gen zu schließen, offensichtliche Schwächen der Klimapolitik aufzude-
cken und Alternativen zu beschreiben.
Ross McKitrick analysiert hierzu die wohlfahrtsökonomischen Vo-
raussetzungen der Klimapolitik unter naturwissenschaftlichen und
sozioökonomischen Unsicherheiten, zeigt diese anhand jüngster Er-
gebnisse der empirischen und modellorientierten Klimaforschung auf
und zieht daraus Schlussfolgerungen für die praktische Klimapolitik.
Kern seiner Empfehlung ist eine Emissionsabgabe, deren Höhe entspre-
chend einer transparent nachvollziehbaren Entscheidungsregel flexibel
an beobachtbare Temperaturentwicklungen angepasst werden kann.
Ein derartiges Klimaschutzinstrument vermeidet die Gefahr politischer
Überreaktionen oder systematischer Fehleinschätzungen des notwen-
digen Umfangs von Vermeidungsmaßnahmen und veranlasst die be-
9
troffenen Akteure eigene Prognosen klimatischer Veränderungen ohne
interessengeleitete Manipulation der Ergebnisse zur Verfügung zu stel-
len. Eine derartige Abgabe zeichnet sich nicht nur durch ökonomische
Vorteile gegenüber der heutigen Mengensteuerung in der Klimapolitik
aus, sondern vermag auch der sich immer weiter verschärfenden Politi-
sierung der Klimawissenschaft entgegenzuwirken.
Manuel Frondel arbeitet sich durch die Defizite der Klimapolitik
der Europäischen Union und zeigt die Ursachen für ihren Mangel an
Wirksamkeit und Effizienz auf. Wirtschaftswissenschaftliche Überle-
gungen und praktische Beobachtungen zeigen dabei eindrucksvoll, wel-
che gefährlichen Folgen der Glaube an eine europäische Vorreiterrolle
in der Klimapolitik haben kann. Klimapolitischer Pragmatismus würde
dahingegen viel stärker auf sich evolutionär entwickelnde Strategien
setzen, die sich auf regional wirksame Anpassungsmaßnahmen und die
Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich emissionsredu-
zierender Energieumwandlungstechnologien konzentrieren.
Rationale Klimapolitik kann ohne Opfer an Wohlstand und Frei-
heit auskommen. Doch für den dazu notwendigen Politikwandel ist
eine offene Debatte über Ursachen und Lösungsalternativen der Pro-
bleme des Klimawandels unumgänglich. Dieser Herausforderung will
sich dieses Buch stellen.
Steffen Hentrich | Potsdam
Holger Krahmer | Leipzig
Juli 2011
10
Steffen Hentrich | Holger Krahmer
1.
Einleitung
Zwanzig Jahre Misserfolg
„Wir müssen der unschönen Wahrheit ins Auge blicken und erkennen, dass der klimapolitische Prozess am Ende ist. 2012 läuft das einzige Abkommen zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen – das Kyoto-Protokoll – aus. Die Hoffnung auf den Abschluss eines Nachfolgeabkommens vor diesem Zeitpunkt ist nicht realistisch: Über das bestehende Abkommen wurde fünf lange Jahre verhandelt; acht weitere gingen ins Land, bevor es schließlich in Kraft trat. Hinsichtlich einer echten Hoffnung auf globales Handeln gegen den Klimawandel liegen wir heute weit hinter dem Stand von 1997 oder sogar 1992 zurück. Und dabei geht es nicht nur darum, dass wir 18 wertvolle Jahre verloren haben. In der Zeit der guten Absichten und großen Worte haben wir letztlich sogar Rückschritte gemacht. |...| Wie sollen wir mit der Tatsache umgehen, die wir zu verdrängen suchten, nämlich dass in 18 Jahren vollmundiger Versprechungen und großer Töne nichts geschehen ist?“
George MonbiotGuardian Newspaper | 20. September 2010
In diesem Beitrag geht es um die Gestaltung einer Politik zur Bekämp-
fung der globalen Erwärmung durch eine Reduzierung von Treibhaus-
gasemissionen (THG), insbesondere Kohlendioxid (CO2). Mit dem Erd-
gipfel der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro im Jahr 1992 erlangte
das Thema große politische Aufmerksamkeit. Doch trotz zwanzig
Jahre intensiver Arbeit, die durch ein annähernd globales Einverneh-
men der politischen und gesellschaftlichen Eliten darüber geprägt
war, dass es sich bei der globalen Erwärmung um eine Krise handelt,
die ein unverzügliches und weit reichendes Eingreifen erfordert, so-
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
15
wie wiederholter Äußerungen von Spitzenpolitikern, entschlossen
handeln zu wollen, wurden letztlich kaum kohärente politische Maß-
nahmen auf den Weg gebracht. Im Gegenteil: Die Staaten scheiterten
mehrfach in dem Versuch, sich auf Abkommen oder andere Koordi-
nierungsmechanismen zu einigen, und auch darüber, was in abseh-
barer Zukunft getan werden könnte oder sollte, scheint nur wenig Ei-
nigkeit zu herrschen.
Dieser Umstand ist meiner Meinung nach im Wesentlichen darauf
zurückzuführen, dass es in der Vergangenheit nicht gelungen ist, die
Klimapolitik auf eine ökonomisch vernünftige Grundlage zu stellen.
Ein Großteil der populärsten klimapolitischen Ideen ist aus ökonomi-
scher Sicht nicht durchführbar und alle dahingehenden Bestrebungen
legen letztlich nur das Fundament für ihr späteres Scheitern. Ein zu-
friedenstellender Fortschritt in der Klimapolitik ist daher nicht abseh-
bar, solange wir uns nicht eingestehen, dass die bestehenden globalen
Initiativen auf tönernen Füßen stehen und eine grundlegend andere
Richtung eingeschlagen wird.
In diesem Beitrag möchte ich zunächst die meines Erachtens
bestehenden vier grundlegenden Mängel der aktuellen Klimapolitik
darlegen: Erstens haben weder die Bürokratie noch die Politik erkannt,
dass es sich bei CO2 um einen Sonderfall handelt, der nicht in eine Rei-
he mit den vorherrschenden Umweltthemen der 1970er und 1980er
Jahre wie Schwefeldioxid-Emissionen (SO2) und Fluorchlorkohlenwas-
serstoff-Emissionen (FCKW) gestellt werden kann, zu deren wirksamer
Bekämpfung konventionelle Institutionen ausreichend waren. Die
Verhandlungsmechanismen und politischen Initiativen zur Lösung
dieser Probleme wurden einfach auf die CO2-Problematik übertragen,
ohne für diese jedoch passende Lösungen bieten zu können.
Zweitens ist es der Politik nicht gelungen, mit dem Anstieg der in
der Ökonomie als Grenzvermeidungskostenkurve (GVK) bezeichneten
Kostenfunktion der Klimapolitik angemessen umzugehen, d. h. zu ver-
stehen, in welchem Maße die Kosten für die Optionen zur Vermeidung
16
Einleitung
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
von CO2 bei Ausweitung der Ziele zur Emissionsreduzierung steigen.
Das führt dazu, dass politische Ziele verfolgt werden, die höhere Kos-
ten verursachen, als die Öffentlichkeit zu akzeptieren bereit ist. Einige
Verfechter dieses politischen Vorgehens versuchten zu zeigen, dass die
Politik zur Reduzierung von Treibhausgasen ökonomische Vorteile mit
sich bringen kann. Tatsächlich fußt ein Großteil der Rhetorik der jüngs-
ten Vergangenheit in Bezug auf eine „grüne Ökonomie“ auf dieser irri-
gen Behauptung. In Wahrheit verhält es sich jedoch so, dass politische
Maßnahmen, die ausreichen würden, um die allgemein vorgebrachten
Ziele zur Emissionsreduzierung zu erreichen, mit den aktuell existie-
renden Technologien deutlich höhere Kosten verursachen würden, als
die Öffentlichkeit zu tragen bereit ist, und auch deutlich höhere Kos-
ten, als die Politiker, die diesen Weg verfechten, sich vor Augen zu füh-
ren scheinen. Die Art der von der Politik regelmäßig vereinbarten Ziele
entbehrt folglich, angesichts des dabei ausbleibenden Erfolgs, diese zu
erreichen, jeglicher demokratischen Legitimation.
Drittens zeigt eine ökonomische Analyse, dass die Politik zur Re-
duzierung der Treibhausgase Emissionspreise anstelle von Emissions-
grenzen festsetzen sollte. Die Regulierungsbehörden haben die Wahl,
ob sie einen Preis für Emissionen fixieren und den Markt über die
Menge entscheiden lassen oder ob sie es bevorzugen, ein Emissionsziel
vorzuschreiben und den Markt den Preis bestimmen zu lassen – bei-
des zugleich geht nicht. Aus technischen Gründen wissenschaftlicher
und ökonomischer Natur sind Preismechanismen geeigneter als eine
Strategie zur Regulierung von Treibhausgasen. Alle bis heute durchge-
führten größeren globalen Initiativen, einschließlich des Kyoto-Proto-
kolls und ähnlicher Instrumente, legten ihren Schwerpunkt dennoch
auf Mengenbegrenzungen. Eine Begrenzung der Emissionsmengen
oder, noch schlimmer, indirekte regulatorische Maßnahmen zur Ver-
änderung des Energieverbrauchsverhaltens sind kostenintensiv, intru-
siv und häufig nutzlos. Eine große Herausforderung, beim Versuch, die
globale Klimapolitik auf eine vernünftige Grundlage zu stellen, liegt
17
also darin, die Diskussion auf die Wahl einer Preis- statt einer Mengen-
steuerung umzulenken. Richtet sich das Augenmerk hingegen weiter
auf Mengenbegrenzungen, steht fest, dass die kommenden zwanzig
Jahre ein ebenso kostenintensiver Misserfolg sein werden wie die ver-
gangenen.
Schließlich ergibt sich für die Politik aus den großen Unsicher-
heiten, den langen Planungshorizonten sowie der Erwartung, dass in
den kommenden Jahren einschlägige neue Informationen über das
Ausmaß der Umweltschädigung durch Treibhausgasemissionen und
die Kosten zu deren Vermeidung vorliegen werden, die Notwendigkeit,
sich primär auf zustandsabhängige (bzw. anpassungsfähige) Preisrege-
lungen anstatt auf starre, langfristige Verpflichtungen zur Emissions-
begrenzung zu konzentrieren.
Ziel dieses Beitrags ist es, die konventionelle Auffassung von der
globalen Klimapolitik grundlegend in Frage zu stellen. Wer sich dem
aktuellen politischen Handlungsrahmen stark verbunden fühlt und
eine solch umfassende Neubewertung ablehnt oder diese für nachtei-
lig erachtet, sollte versuchen, seine Zweifel über Bord zu werfen und
sich offen auf die Argumente einzulassen. Wer sich ernsthaft eine ver-
nünftige und wirksame Klimapolitik wünscht, kann mit den letzten
zwei Jahrzehnten nicht zufrieden sein. Die Zeit ist reif für eine tiefgrei-
fende Neugestaltung.
Emissionsvermeidungspolitik vs. ‘Klimapolitik’
Ich möchte diesen Beitrag ungeachtet des Titels damit beginnen,
zunächst Kritik an dem unpassenden Begriff der „Klimapolitik“ an-
zubringen, die meines Erachtens besser als Treibhausgas-Emissions-
vermeidungspolitik bezeichnet würde. Diese Unterscheidung ist von
großer Bedeutung. Politiker können zwar langfristig betrachtet den
Emissionsverlauf der Wirtschaft beeinflussen; das Klima zu verändern,
ist hingegen niemand in der Lage.
18
Einleitung
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Die diesbezügliche Verwirrung führt bisweilen zu einer eigen-
artigen Rhetorik. In einer Rede vor dem Toronto Economic Club am
30. Mai 2007 rühmte sich der damalige kalifornische Gouverneur Ar-
nold Schwarzenegger der starken Begrenzung der Treibhausgasemis-
sionen, zu der sich sein Bundesstaat verpflichtet hatte (Erreichen der
Ziele von 1990 bis 2020); er sagte: „Ich bin überzeugt, dass wir das Kli-
ma dieses Planeten reparieren können.“ Dieser Ausspruch fand sich
am 31. Mai 2007 auf dem Titel der National Post wieder.
Die Aussage, staatliche Politik könne das Klima des Planeten „re-
parieren“, ist grotesk. Es ist vielleicht möglich, das Erscheinungsbild
eines Stuhls oder eines Paars Schuhe zu verändern, wobei auch in
diesen Fällen versucht wird, ein ursprüngliches Erscheinungsbild neu
nachzubilden. Doch welches sind die ursprünglichen Bedingungen für
das Erdklima, wenn es denn tatsächlich möglich sein sollte, diese zu
erreichen? Gemessen an einer geologischen Zeitskala wären als Ziel
tropische Bedingungen an den Polen oder eine globale Eiszeit vor-
stellbar – oder auch irgendetwas dazwischen. Und selbst wenn das Ziel
lautete, zu den klimatischen Bedingungen des vergangenen Jahrhun-
derts zurückzugelangen, bleibt unklar, wonach genau wir streben. Eine
Entscheidung bspw. für den Status quo der 1930er, 1950er oder 1970er
Jahre würde voraussetzen, man sitze dem Irrtum auf, es gäbe einen op-
timalen Klimazustand und jegliches Abweichen von diesem, in welch
geringem Maße auch immer, käme einer Katastrophe gleich.
Was Gouverneur Schwarzenegger offenkundig meinte war, dass
die von ihm vorgeschlagenen Treibhausgasemissionsziele seiner An-
sicht nach erreichbar wären. Das mag richtig sein, ist jedoch mit ho-
hem Kostenaufwand verbunden. In weiten Teilen seiner Rede lobte
Schwarzenegger die Marktchancen für neue Technologien (wie Elekt-
roautos und Solarzellen), deren Einsatz in Kalifornien er fördern woll-
te. Doch zeigt seine eigene Politik, dass zu ihrer Umsetzung höhere
Subventionen und strenge gesetzliche Vorgaben vonnöten wären, und
zwar aus dem einfachen Grund, dass sie nicht profitabel bzw. ganz ein-
19
fach teuer sind. Das Erreichen dieser Ziele erfordert mehr als einige
kleinere Verbesserungen bei der Energieeffizienz und optimistische
Rhetorik; um diese Ziele zu erreichen, müssen die Menschen bereit
sein, enorme Kosten zu tragen.
Ein weitaus gravierenderes Problem in der Denkweise von Arnold
Schwarzenegger (und vielen anderen Spitzenpolitikern auf dieser Welt)
liegt darin, dass die tatsächliche Emissionsreduzierung im Rahmen ei-
nes jeden Ziels, das vernünftigerweise als bezahlbar erachtet werden
kann, so gering ausfällt, dass die Folgen für das Klimasystem nahezu
unbemerkt bleiben. In diesem Sinne gibt es so etwas wie „Klimapolitik“
nicht. Niemand kann das Klima direkt beeinflussen. Wenn diejenigen
also, die spezifische Maßnahmen vorschlagen, von „Klimapolitik“ spre-
chen, erwecken sie den Eindruck, ihre Ideen hätten direkten, vorhersag-
baren und unmittelbaren Einfluss auf das globale Klima. Im Ergebnis
werden die möglichen Kosten des globalen Klimawandels bisweilen mit
den Kosten der jeweiligen lokalen Politikmaßnahmen zur Emissions-
kontrolle verglichen und, wenn letztere gegenüber ersteren gering aus-
fallen, von den Urhebern dieser Politik als Beleg dafür herangezogen,
dass diese umgesetzt werden sollte. Diese Argumentation lässt sich
jedoch nicht aufrechterhalten, da die lokale Politik zur Emissionskon-
trolle im Allgemeinen geringen bzw. überhaupt keinen Einfluss auf die
künftige Entwicklung des globalen Klimas hat. Selbst wenn multilate-
rale Abkommen wie das Kyoto-Protokoll umgesetzt würden, so wäre
der Nutzen für das Klima äußerst gering. Belegt wird dies in komplexen
Modellsimulationen (z. B. Wigley et al. 1998), doch ist die dem zugrun-
deliegende Argumentation leicht nachvollziehbar.
> Der Einfluss von Treibhausgasen auf die Veränderung des Klimas ist
von der in der Atmosphäre vorhandenen Menge dieser Gase abhän-
gig, nicht von den jährlichen Emissionen.
> Aktuell befinden sich etwa 750 Gigatonnen CO2 (in Kohlenstoffäqui-
valent) in der Atmosphäre (Houghton 1997).
20
Einleitung
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
> Die weltweiten jährlichen Emissionen liegen bei 8,4 Gigatonnen, von
denen etwa 3 auf natürliche Weise sequestriert werden (Marland et
al. 2010).
> Von den etwa 5,4 Gigatonnen Nettoemissionen stammt die Hälfte
aus den Industriestaaten.
> Diese 2,7 Gigatonnen an Emissionen sollten laut Kyoto-Protokoll auf
etwa 5 % unter das Emissionsniveau von 1990 bzw. um etwa 0,7 Giga-
tonnen ausgehend vom heutigen Stand reduziert werden.
> Es wird erwartet, dass auch wenn die Teilnehmer des Kyoto-Protokolls
ihre Pflichten vollständig erfüllen, ein Teil dieser Emissionen durch
das Phänomen der Carbon Leakage – das Entstehen höherer Emis-
sionen andernorts durch die Verlagerung von Produktionsprozessen
in Länder ohne Emissionsbeschränkungen – aufgewogen wird. Ver-
öffentlichte Schätzungen dieser Leckrate reichen je nach angenom-
menen Marktstrukturen und Merkmalen der Brennstoffbeschaffung
von Null bis über 100 %. Wenn wir von einer Leckrate von 20 % aus-
gehen, entspräche dies einer Reduzierung des Emissionsvolumens
durch das Kyoto-Protokoll um etwa 0,6 Gigatonnen und damit einer
Reduzierung des in der Atmosphäre gespeicherten Kohlenstoffs um
etwa 0,08 %.
Selbst wenn also die Vorgaben des Kyoto-Protokolls eingehalten wür-
den, hätte dies nur geringe Emissionsreduzierungen mit minimalen
Auswirkungen auf die globale Kohlendioxidkonzentration zur Folge.
Und für die meisten Länder erwies sich die Umsetzung des Kyoto-Pro-
tokolls als zu kostspielig und schwierig. Ich wiederhole noch einmal:
Ziele zur Emissionsreduzierung, die hinreichend weit angelegt sind,
um spürbare Auswirkungen zu zeitigen, sind in ihrer Umsetzung zu
teuer. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass nichts getan werden
sollte; doch es bedeutet sehr wohl, dass die gesetzten Ziele und Fristen
sich an der Realität orientieren müssen und nicht bloße Rhetorik oder
Wunschdenken sein sollten.
21
Es ist falsch, auf die potenziellen Kosten des globalen Klimawan-
dels zu verweisen und diese mit den potenziellen Kosten lokaler poli-
tischer Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen zu vergleichen.
Richtig wäre es hingegen, die Kosten der lokalen politischen Maßnah-
men zur Emissionsreduzierung zu ermitteln und diese mit den Vortei-
len der anzunehmenden Veränderungen einer potenziellen künftigen
Entwicklung des globalen Klimas zu vergleichen. Erzielt eine Politik
zur Emissionsreduzierung solch geringe Auswirkungen auf die globale
Atmosphäre, dass ein Land daraus in der Zukunft keinen Einfluss auf
das Klima erwarten kann, liegt der Nutzen einer solchen Politik in Be-
zug auf die Verringerung klimabedingter Schäden bei null.
Die besonderen Herausforderungen der Kontrolle von CO2-Emissionen
Es mag allzu pessimistisch erscheinen zu sagen, dass die finanzierbaren
Ziele zur Emissionsreduzierung nicht weit genug reichen, um spürbare
Auswirkungen auf das Klima zu zeitigen. Doch spiegelt diese Aussage
die Wirklichkeit für Kohlendioxid – im Gegensatz zu anderen Formen
der Luftverschmutzung – wider. So ist es in Nordamerika und Europa
beispielsweise gelungen, die Schwefeldioxid-Problematik erfolgreich in
den Griff zu bekommen. Politische Maßnahmen, die sowohl auf loka-
ler als auch auf nationaler Ebene umgesetzt wurden, führten seit den
1970er Jahren zu einer umfangreichen Reduzierung der SO2-Emissio-
nen und -Konzentrationen zu durchaus erschwinglichen Kosten. Vor
diesem Hintergrund könnte man der Versuchung erliegen zu glauben,
auch für CO2 ließen sich zu geringen Kosten Programme zur Reduzie-
rung der Emissionen mit ähnlich überzeugenden Ergebnissen auflegen.
Doch dieses Argument hinkt, da es für CO2 im Vergleich zu SO2 nur sehr
wenige Möglichkeiten gibt, die Emissionen zu reduzieren.
Tabelle 1 zeigt die wesentlichen Optionen zur Emissionsreduzierung
sowie deren Verfügbarkeit in Bezug auf CO2 und SO2.
22
Einleitung
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Die vier verfügbaren Vermeidungsoptionen sind: Installation von
Abluftwäschern auf Schornsteinen, Umstieg auf eine sauberere Ver-
sion desselben Brennstoffs (z. B. von stark schwefelhaltiger Kohle auf
schwach schwefelhaltige Kohle), Umstieg auf einen anderen Brenn-
stoff (z. B. von Kohle auf Erdgas) und Einschränkung des Umfangs der
produktiven Tätigkeit. Die beiden ersten sind die billigsten Optionen.
Im Falle der Erfüllung der Clean Air Act Amendments von 1990 (US-
Luftreinhaltungsgesetze), in deren Rahmen die Schwefelemissionen in
den USA um etwa 40 % gesenkt wurden, nahmen die Installation von
Abluftwäschern sowie der Umstieg auf andere Kohlearten 45 bzw. 55 %
der gesamten in Phase I erzielten Emissionssenkungen, insbesondere
des starken Emissionsrückgangs zwischen 1994 und 1996, ein (Schma-
lensee et al. 1998). Doch stehen alle genannten Optionen, auf die da-
mals zur Senkung der SO2-Emissionen zurückgegriffen wurde, für die
CO2-Kontrolle nicht zur Verfügung:
> Schwach schwefelhaltige Kohle existiert, schwach kohlenstoffhaltige
Kohle dagegen nicht.
> Für CO2 gibt es keine Abluftwäscher.
Der zweite Punkt ist den Kraftwerksbetreibern wohlbekannt. In einer
Studie über die Optionen zur Vermeidung luftverschmutzender Emis-
VERMEIDUNGSOPTIONEN UND -KOSTEN
Vermeidungsoption Verfügbarkeit Relative Kosten SO2 CO2
Schornsteine mit Abluftwäscher Niedrig Ja Nein
Umstieg auf sauberere Version Niedrig Ja Neindesselben Brennstoffs
Umstieg auf anderen Brennstoff Hoch Ja Ja
Gesamtverbrauch senken Hoch Ja Ja
23
sionen kam die Ontario Power Authority (2007) zu dem Schluss, dass
simulierte CO2-Emissionsveränderungen vollständig durch geschätzte
Veränderungen der Ausstoßniveaus verursacht wurden:
„[Geplante] Reduzierungen der CO2-Emissionen zwischen 2010 und 2014 wurden viel mehr durch Reduzierungen der kohle[-befeuerten Elektrizitäts-]Produktion erzielt als durch Emissionskontrollen. Es gibt derzeit keine realisierbare Kontrolltechnologie zur Reduzierung der CO2-Emissionen aus Kohlekraftwerken. Die CO2-Reduzierungen sind daher bei allen Alternativen identisch.“
OPA | 2007 | Seite 5
Ausgehend davon sind die einzigen Möglichkeiten, die CO2-Emissio-
nen einzudämmen, die kostenintensiveren Optionen des Umstiegs
auf andere Brennstoffe und der Senkung des Verbrauchs. Kraftwerke
können Kessel durch gasbefeuerte Anlagen ersetzen oder den Gesamt-
brennstoffverbrauch senken, was im Allgemeinen eine Reduzierung
der gesamten Energieproduktion erfordert.
Der Umstieg von Kohle auf andere Brennstoffe ist nicht nur auf-
grund der Kapitalkosten teuer, sondern auch wegen des langfristigen
Anstiegs der Erdöl- und Gaspreise gegenüber Kohle. Abbildung 1 zeigt
die (inflationsbereinigten) jeweils auf den Wert 100 indexierten Real-
preise der drei zentralen fossilen Energiequellen auf dem US-Markt
zwischen 1949 und 2009. Die Kohlepreise haben sich danach kaum
verändert, wohingegen der Gaspreis nach seinem jüngsten, um das
18-Fache höheren Spitzenwert achtmal höher liegt. Der Ölpreis hat sich
nach einem um das Fünffache höher liegenden Spitzenwert gegenüber
Kohle verdoppelt. Bezogen auf die relativen Kosten und die preisliche
Volatilität ist Kohle damit nach wie vor die beste Energiequelle.
24
Einleitung
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Quelle: US Energy Information Administration | http://www.eia.doe.gov/overview_hd.html(Daten für 2009, vorläufig [P])
Europa vs. USA: andere Rhetorik, gleiches Ergebnis
Die Europäische Union unterzeichnete und ratifizierte das Kyoto-
Protokoll 2002 mit dem Versprechen, die Treibhausgasemissionen
bis 2008 gegenüber dem Stand von 1990 um 8 % zu senken. Die USA
haben dies nicht getan und sich auf keine verbindlichen Ziele zur Sen-
kung der Emissionen eingelassen. Stattdessen kündigte der damalige
Präsident George W. Bush 2002 das unverbindliche Ziel an, die Emis-
sionsintensität (Treibhausgase je Dollar BIP) bis 2012 um 18 % gegen-
über dem Stand von 2002 zu senken – was allein durch Beibehaltung
des nach den 1980er Jahren eingeschlagenen Entwicklungstrends der
Emissionen erreicht werden konnte. Die beiden genannten großen
2.000
1.800
1.600
1.400
1.200
1.000
800
600
400
200
0
1949 1954 1959 1964 1969 1974 1979 1984 1989 1994 1999 2004 2009P
Kohle Erdgas Erdöl
Abbildung 1Reale Preise von Kohle, Erdgas und Erdöl 1949 – 2009,indexiert auf 1949 = 100
25
Akteure haben somit nahezu das gesamte vergangene Jahrzehnt zwei
völlig unterschiedliche Ziele verfolgt: Business as usual in den USA,
tiefgreifende Emissionseinschnitte in der EU.
Ein Blick auf die Daten zeigt jedoch, dass beide Regionen hinsicht-
lich der Emissionsintensität nicht allzu unterschiedlich abgeschnitten
haben. Zwischen 1995 und 2007 ging die Treibhausgasemissionsinten-
sität in der gesamten EU (einschließlich Deutschland) um etwa 32 %
zurück (Marland et al. 2010). In den USA sank die Emissionsintensität
innerhalb desselben Zeitraums um 23 %. Ohne es überhaupt zu ver-
suchen, ist es den USA gelungen, die Emissionsintensität ihrer Pro-
duktion annähernd so weit zu senken wie in Europa. Wie Abbildung 2
zeigt, besteht der einzige Unterschied zwischen den USA und Europa
hinsichtlich der Emissionsintensität ausschließlich in der Geschwin-
digkeit, nicht in der Richtung.
Quelle: EU http://epp.eurostat.ec.europa.eu | USA http://www.gpoaccess.gov/eop/tables10.html und http://cdiac.ornl.gov/trends/emis/usa.html | Berechnungen des Verfassers
120,0
100,0
80,0
60,0
40,0
20,0
0,0
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
USAEU
Abbildung 2Treibhausgasemissionsintensität in den USA und Europa (EU-25)
100,0 100,0 96,5 86,5 81,1 78,5 73,4 70,590,6 83,4 81,2 76,9 71,9 67,898,4 92,9 89,1 85,9 82,4 77,396,8 89,8 86,4 83,7 80,5 76,7
26
Einleitung
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Wie oben erwähnt, setzt eine Senkung der CO2-Emissionen eine
Senkung des Energieverbrauchs voraus. Was bedeutet das für das Wirt-
schaftswachstum? Zentrale Frage hierbei ist, ob ein höherer Energie-
verbrauch einen Anstieg des BIP bedingt oder durch einen Anstieg
des BIP bedingt wird. Diese Unterscheidung ist von großer Bedeu-
tung. Ist ein höherer Energieverbrauch eine bloße Nebenerscheinung
von Wachstum, könnte er gedeckelt und ohne Beeinträchtigung des
Wirtschaftswachstums gesenkt werden. Wirkt ein höherer Energiever-
brauch hingegen wachstumsfördernd, ist eine Abkoppelung des einen
vom anderen nicht ohne weiteres möglich.
Um in Zeitreihendaten eine Kausalitätsrichtung (bzw. „Granger-
Kausalität“, wie sie in der Ökonomie fachsprachlich bezeichnet wird)
erkennen zu können, sind statistische Techniken wie die so genannte
Kointegrationsanalyse und die Vektorautoregression erforderlich. Mit-
hilfe dieser Techniken wurden Daten aus den USA (Stern 2000), Kana-
da (Ghali und El-Sakka 2004) und anderen Ländern ausgewertet. Die
Ergebnisse zeigen, dass der Energieverbrauch das Wirtschaftswachs-
tum bedingt und die Kausalität in einzelnen Fällen in beide Richtun-
gen verläuft. Das Magazin Stern zieht daraus folgenden Schluss:
„Die multivariate Analyse zeigt, dass die Energie das BIP wie in dem ersten der drei untersuchten Modelle entweder einseitig oder möglicherweise in einer wechselseitig kausalen Beziehung im Sinne der Granger-Kausalität bedingt. |...| Die in diesem Beitrag vorgestellten Ergebnisse stärken meinen früheren Schluss, dass Energie ein das Wirtschaftswachstum begrenzender Faktor ist. Auf die Energieversorgung einwirkende Schocks werden die Produktion daher eher einschränken.“
Stern | 2000 | Seite 281
Der Satz „Energie ist ein das Wirtschaftswachstum begrenzender Fak-
tor“ ist dabei besonders wichtig. Der Energieverbrauch ist keine bloße
Nebenerscheinung, die vom BIP-Wachstum abgekoppelt werden kann.
Eine bewusste Senkung des Energieverbrauchs wird das Wirtschafts-
27
wachstum voraussichtlich ausbremsen und dabei die negativen Fol-
gen für Politiker steigern, die versuchen, entsprechende politische
Maßnahmen umzusetzen.
Ferner wirken die steigenden Elektrizitätspreise regressiv, sodass
die Kostenlast Haushalte mit geringerem Einkommen im Verhältnis
stärker trifft als Haushalte mit höherem Einkommen. Einige Untersu-
chungen über Kohlenstoffsteuern (Jorgensen et al. 1992) haben sich
mit der Frage der Regressivität befasst und herausgefunden, dass die
Tatsache, ob eine Kohlenstoffsteuer regressiv wirkt oder nicht, davon
abhängt, wie sie umgesetzt (und wie Ungleichheit gemessen) wird.
Dinan und Rogers (2002) zeigten, dass die Einführung eines Cap-
and-Trade-Systems mit gratis zu vergebenden Genehmigungen für
die gesamte US-Wirtschaft höchst regressiv wirken würde, wobei die
ärmsten Haushalte jährlich 500 USD verlieren, die reichsten dagegen
jährlich 1.000 USD gewinnen würden. Der finanzielle Vorteil für die
Haushalte mit höherem Einkommen ergäbe sich dabei daraus, dass ih-
nen die Unternehmen, die die wertvollen Genehmigungen entgeltlos
erhielten, gehören.
28
Einleitung
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
2.
Theoretische Grundlagen der Klimapolitik
Grenzschäden und Grenzvermeidungskosten
Um das Versagen der Klimapolitik in vollem Umfang verstehen zu
können, muss man zunächst einige der Anreizmechanismen verste-
hen, welche die Volkswirtschaften mit der Umwelt verbinden. Treiben-
de Kraft der wirtschaftlichen Entwicklung ist in erster Linie die Inter-
aktion zwischen „Konsumentenpräferenzen und Technologie“, anders
gesagt, der beständige Fluss von Signalen zwischen den Präferenzen
der Verbraucher und den Kapazitäten der Produzenten. Verbraucher
verlangen nach Waren und Dienstleistungen, die ihre Wünsche und
Bedürfnisse erfüllen. Unternehmen entwerfen Produktionspläne, um
ihren Gewinn zu maximieren. Diese Kräfte von Angebot und Nachfra-
ge bilden die Grundlage des preisbasierten Marktsystems.
Die ökonomische Umweltanalyse betrachtet Umweltverschmut-
zung als ein „Versagen des Marktes“. Unternehmen können ihre Ge-
winne durch eine stärkere Verursachung von Umweltverschmutzung
(anders formuliert: dadurch, dass sie kein Geld für die Vermeidung von
Verschmutzung ausgeben) steigern, während Verbraucher weniger Ver-
schmutzung bevorzugen. Da den Verbrauchern kein Mechanismus zur
Verfügung steht, Unternehmen für ihre Verschmutzung bezahlen zu
lassen, gibt es keine Preissignale und es kommt zu einer übermäßigen
Verschmutzung. Dieses Standardargument für ein Eingreifen des Staa-
tes bietet jedoch keine Begründung für ein unbegrenztes Eingreifen. Vor
29
allen Dingen rechtfertigt die ökonomische Analyse von Umweltproble-
men keine Politiken, die mehr kosten als nutzen. Der Staat ist vielmehr
angehalten ein deutliches Preissignal zu setzen oder die Umweltver-
schmutzung auf ein Niveau zu regulieren, das bei Vorliegen eines an-
gemessenen Marktpreissignals erreicht worden wäre. Um eine Aussage
über die optimale Form politischen Eingreifens treffen zu können, müs-
sen wir verstehen, auf welche Weise der Markt ein Preissignal für Um-
weltschäden aussenden würde, wenn die Mechanismen von Angebot
und Nachfrage tatsächlich greifen würden.
Die Analyse von Angebot und Nachfrage beruht auf der Unter-
suchung schrittweiser Veränderungen, da es immer einen Ausgangs-
punkt gibt, von dem aus der Weg in eine bestimmte Richtung führt.
Hinsichtlich der Verschmutzung geht es für die Regulierer für gewöhn-
lich darum, ob die zulässigen Grenzwerte gegenüber dem aktuellen
Stand erhöht oder gesenkt werden sollten. Es wird daher unterschieden
zwischen Grenzschäden, d. h. den zusätzlichen Kosten einer geringfügig
höheren Verschmutzung für die Gesellschaft, und Grenzvermeidungs-
kosten, also dem Kostenzuwachs (aus Sicht der Gesellschaft), der eine
geringfügige Reduzierung der Verschmutzung mit sich bringt.
Beide Konzepte sind in Abbildung 3 grafisch dargestellt, Emissio-
nen (e) auf der horizontalen, der Wert in Dollar (bzw. Euro) je Emissi-
onseinheit auf der vertikalen Achse. Die ansteigende Grenzschaden-
kurve (GS) gibt an, dass mit steigenden Emissionen die gesellschaftli-
chen Kosten für jede weitere höhere Verschmutzungseinheit ebenfalls
zunehmen. Die Grenzvermeidungskostenkurve (GVK) fällt von links
nach rechts betrachtet ab. Von rechts nach links gesehen ist diese Kur-
ve ansteigend und gibt an, dass mit sinkenden Emissionen die Grenz-
kosten weiterer Emissionsreduzierungen ansteigen.
30
Theoretische Grundlagen der Klimapolitik
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Beide Kurven können in Abhängigkeit vom Emissionsniveau je-
weils als aufsteigend bzw. als abfallend gelesen werden. Formal be-
trachtet entspricht die GS-Kurve nicht den Kosten für die Beseitigung
der Schäden der Verschmutzung, sondern einer auf mikroökonomi-
schen Modellen öffentlicher Güter beruhenden konzeptuellen Größe.
In aufsteigender Richtung betrachtet lautet die ökonomische Definiti-
on von Grenzschäden, dass diese der Höhe des zusätzlichen Einkom-
mens entsprechen, das die von der Verschmutzung betroffenen Per-
sonen erhalten müssten, um mit den zusätzlichen Emissionen ebenso
gut dazustehen wie ohne sie. Mit anderen Worten handelt es sich hier-
bei um eine Kompensationsmaßnahme, und der Bereich unterhalb
der GS-Kurve innerhalb eines bestimmten Intervalls gibt an, welche
Kompensation angesichts des Umfangs steigender Emissionen, wie
ihn das Intervall darstellt, erforderlich wäre.
Vergleichen wir beispielsweise den Anfangspunkt der Kurve mit
dem Emissionsniveau e*, gibt das Feld a an, welche Kompensation
für die dargestellte Gesellschaft insgesamt erforderlich wäre, um mit
USD pro Tonne
GrenzvermeidungskostenGVK
GrenzschädenGS
e
a
P*
b
c
e* Emissionen
Abbildung 3Grenzschaden, Grenzvermeidungskosten und optimales Emissionsniveau
31
Emissionen e* ebenso gut dazustehen wie ohne. Steigen die Emissio-
nen um eine Einheit, gibt die Höhe der Grenzschadenskurve an, wel-
che zusätzliche Kompensation, in diesem Falle P*, erforderlich ist. Stei-
gen die Emissionen auf e, müsste die zusätzliche Kompensation b+c
betragen.
Liest man die GVK-Kurve von links nach rechts, gibt sie den Grenz-
nutzen an, der sich für den Verursacher (üblicherweise ein Unterneh-
men oder Industriebetrieb) aus der Erlaubnis ergibt, seine Emissionen
um eine Einheit zu erhöhen. Für aktuelle Emissionen im Umfang von
e* ergeben sich für das Unternehmen aus der Notwendigkeit, seine
Emissionen um eine Einheit zu senken, die Kosten P*; umgekehrt be-
läuft sich der Nutzen für das Unternehmen durch die Erlaubnis, eine
Einheit mehr auszustoßen, auf P*. Nutzen bzw. Kosten bezeichnen
hierbei nicht nur die Aufwendungen, die für die Anschaffung von Aus-
rüstungen zur Emissionsvermeidung anfallen, sondern die Verände-
rung des Unternehmensgewinns insgesamt. Diese Veränderung ergibt
sich teilweise aus der Anschaffung von Ausrüstungen zur Emissions-
vermeidung, umfasst jedoch auch die Folgen der Anpassung des Inves-
titions- bzw. Produktionsniveaus.
Die Veränderung des Unternehmensgewinns ist aus zwei Grün-
den ein Hinweis auf die gesellschaftlichen Kosten eines Wechsels in
der Umweltpolitik: Zum einen steigen die Gewinne eines Unterneh-
mens immer dann, wenn seine Produktion mehr einbringt, als es da-
für an Produktionsfaktoren aufwenden muss. Der Markt sendet so das
Signal aus, dass das Unternehmen den Haushalten einen Nettonutzen
verschafft. In diesem Sinne sind Gewinne kein Signal dafür, dass Un-
ternehmen der Gesellschaft Wohlstand entziehen – im Gegenteil: es
zeigt, dass die Unternehmen den von ihnen genutzten Produktions-
faktoren einen Mehrwert hinzufügen. Eine Drosselung der Tätigkeit,
die einen Mehrwert schafft, kommt für eine Gesellschaft allgemein
einem Verlust gleich. Zum anderen werden Gewinne als Einkünfte an
Anteilseigner, wie etwa Investoren oder Beziehern von Firmenrenten,
32
Theoretische Grundlagen der Klimapolitik
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
weitergegeben. Sinkende Gewinne sind demnach in Form geringerer
Einkünfte für Anteilseigner spürbar.
Angenommen, ein Verschmutzung verursachendes Unterneh-
men wird zunächst verpflichtet, seine Emissionen auf das Niveau e* zu
beschränken, und anschließend werden alle Emissionsbeschränkun-
gen aufgehoben. Das Unternehmen wird beginnen, seine Emissionen
zu steigern, da der Grenznutzen einer solchen Maßnahme positiv ist,
nämlich P*. Die Emissionen werden daraufhin so lange weiter steigen,
bis der Grenznutzen den Wert null erreicht, also bis zu dem Punkt, an
dem die GVK-Kurve die horizontale Achse bei e schneidet. Der Gesamt-
nutzen, der sich für das Unternehmen aus der Erlaubnis ergibt, seine
Emissionen von e* auf e zu steigern, beläuft sich auf den zwischen
diesen beiden Punkten liegenden Bereich b unterhalb der GVK-Kurve.
Müsste das Unternehmen hingegen seine Emissionen von e auf e* sen-
ken, lägen die Grenzvermeidungskosten insgesamt bei b.
Bei einem Emissionsniveau von e, also einem Emissionsniveau
ohne Regulierung, sind die Grenzschäden gegenüber den Grenzver-
meidungskosten vergleichsweise hoch. Folglich ist es gesellschaftlich
erstrebenswert, die Emissionen zu senken. Dies bleibt so bis zum Errei-
chen des Emissionswerts e*. An diesem Punkt belaufen sich die Grenz-
vermeidungskosten der letzten Einheit der Emissionsreduzierung auf
P* und entsprechen damit der Reduzierung des Grenzschadens. Wer-
den die Emissionen unter diesen Punkt reduziert, würden die dafür
entstehenden Grenzvermeidungskosten den Nutzen (der Reduzierung
des Grenzschadens) übersteigen. Das gesellschaftlich optimale Emissi-
onsreduzierungsziel in diesem Fall ist folglich e*.
Liegen die Emissionen hingegen anfänglich bei null, ist es rat-
sam, eine Zunahme der Emissionen zu gestatten, da die Grenzvermei-
dungskosten über dem Grenzschaden liegen bzw., anders gesagt, der
Grenznutzen der Emissionen höher ist als der Grenzschaden. Eine sol-
che Emissionssteigerung ist bis zu e* ratsam, da an diesem Punkt der
Grenznutzen der Emissionen genau mit den Grenzkosten P* zusam-
33
menfällt. Über diesem Punkt verursachen zusätzliche Emissionen ei-
nen Grenzschaden, der über dem entsprechenden Nutzen (GVK) liegt,
sodass eine weitere Zunahme nicht empfehlenswert ist.
Nehmen wir e* als optimales Emissionsniveau an. Es handelt sich
dabei um das Niveau, bei dem die Nettogewinne der verschmutzen-
den Tätigkeit bzw. der Nettonutzen der Verschmutzungsreduzierung
ihren Höchststand erreichen.
Jedem Punkt auf der GS- und der GVK-Kurve ist ein Preis zugeord-
net. Dies ist eine der wichtigsten prinzipiellen Unterscheidungen der
ökonomischen Analyse von Umweltverschmutzungen und der Um-
weltschutzanalyse in den Umwelt-, Rechts- oder Politikwissenschaften.
Die ökonomische Analyse der Umweltverschmutzung geht bei der Wahl
eines bestimmten Emissionsniveaus e von einem entsprechenden Preis
entsprechend der Position auf der GS- und der GVK-Kurve aus.
Die Antwort eines Emittenten auf umweltpolitische Maßnahmen
wird durch die Kurve der Grenzvermeidungskosten (GVK) bestimmt.
Angesichts einer Emissionssteuer in Höhe von P* würden Unterneh-
men bis zum Punkt e*, jedoch nicht darüber hinaus Emissionen aus-
stoßen. Andernfalls würde der Grenznutzen für die Unternehmen
– abzulesen an der GVK-Kurve – unter den Betrag P* je Emissionsein-
heit fallen, den sie an Steuern auf die zusätzlichen Emissionen zahlen
müssten. Mit anderen Worten: Sie könnten Vermeidungsstrategien
anwenden, die weniger kosten als die Steuern, und einen finanziellen
Vorteil aus der Senkung der Emissionen ziehen. Statt eine Emissions-
steuer von bspw. 50 USD/Tonne zu bezahlen, werden Unternehmen es
vorziehen, Vermeidungsoptionen zu wählen, solange diese weniger als
50 USD/Tonne kosten.
Der Emissionssteuersatz gibt folglich den zusätzlichen Wert an, der
sich für ein Unternehmen aus der Möglichkeit, seine Emissionen um
eine weitere Einheit erhöhen zu dürfen, ergibt. So gesehen entspricht
die GVK-Kurve im Grunde einer Nachfragekurve für Emissionen, wie
sie in jedem volkswirtschaftlichen Einführungswerk zu finden ist.
34
Theoretische Grundlagen der Klimapolitik
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Das der GS-Kurve entsprechende Preisniveau gibt den Geldbetrag
an, der als Kompensation für eine weitere Einheit Verschmutzung er-
forderlich wäre. In dieser Hinsicht entspricht die GS-Kurve einer kon-
ventionellen Angebotskurve, die den Betrag angibt, der bezahlt werden
müsste, damit die Menschen bereit wären, eine Erlaubnis für eine wei-
tere Verschmutzungseinheit „anzubieten“.
Durch die Kombination aus Preis- und Mengenachse sieht Abbil-
dung 3 wie ein herkömmliches Angebots- und Nachfragemodell aus
jedem Wirtschaftslehrbuch aus. Wie bereits angedeutet, ist diese Ähn-
lichkeit nicht dem bloßen Zufall geschuldet. Die ansteigende GS-Kurve
gleicht einer Angebotskurve, die abfallende GVK-Kurve einer Nach-
fragekurve. Der Unterschied gegenüber gewöhnlichen Angebots- und
Nachfragekurven besteht darin, dass in einem regulären Markt Pro-
duktions- und Verbrauchsentscheidungen durch das Preissignal hin zu
dem Punkt geführt werden, an dem sich die Kurven schneiden. Im Falle
von Schadstoffemissionen hingegen wird kein Preissignal ausgesendet,
sodass eine Koordinierung der Emissionsniveaus nicht möglich ist.
Die Politik sollte daher nach Möglichkeit darauf abzielen, das Ver-
sagen des Marktes durch die Einführung eines Preismechanismus zu
korrigieren, der den Menschen ermöglicht ihre eigenen Reaktionen
auf die Preissignale zu finden. Eine auf Grundlage von marktwirt-
schaftlichen Prinzipien gestaltete Politik wird sich im Ergebnis dem
optimalen Emissionsniveau e* annähern. Etwas komplexer wird die
Angelegenheit, wenn, wie in Abschnitt 4 erläutert, darüber hinaus Un-
sicherheit, Dynamik und ähnliche Faktoren berücksichtigt werden. Als
Grundgedanke der ökonomischen Betrachtung umweltpolitischer Fra-
gen gilt, dass die Lösung für das Verschmutzungsproblem entweder in
der Einrichtung geeigneter Preissignale oder in der Festlegung einer
Emissionsmenge liegt, die sich aus der Existenz eines Marktpreissig-
nals ergeben hätte.
35
Preisregulierung vs. Mengenregulierung
Ein Preissignal kann entweder durch die Festlegung eines Emissions-
preises (mit Hilfe einer Schadstoffsteuer bzw. -abgabe) oder durch die
Begrenzung der Emissionsmenge ausgesendet werden. Dies erfolgt
über eine Emissionssteuer bzw. die Ausgabe einer fixen Anzahl von Ge-
nehmigungen, für die sich anschließend durch einen Handel auf dem
Markt ein Preis herausbildet. Anders ausgedrückt: Der Regulierer kann
einen Preis bestimmen und den Markt die Menge festlegen lassen oder
umgekehrt eine Menge bestimmen und dem Markt die Preisfindung
überlassen. Beides gleichzeitig ist nicht möglich.
Wie bereits erwähnt, werden Unternehmen im Falle der Festset-
zung einer Emissionssteuer in Höhe P* maximal eine Menge e* emit-
tieren. Werden demgegenüber Emissionsgenehmigungen bis zu einer
Menge e* ausgegeben, werden die Unternehmen für diese bereit sein
auf dem Markt den Gleichgewichtspreis P* zu bieten. Mehr als diesen
Preis werden sie nicht zu bezahlen bereit sein, da sie ihre Emissionen
auch unter Aufwendung von Grenzkosten in Höhe von P* selbst ver-
meiden könnten, anstatt zu einem höheren Preis eine weitere Emissi-
onsgenehmigung zu erwerben. Andererseits wird auf dem Markt auch
kein niedrigerer Preis Bestand haben, da die Unternehmen eher die
günstigere Genehmigung kaufen würden, als Grenzvermeidungskos-
ten in Höhe von P* einzugehen. Liegt die Menge der Genehmigungen
bei e*, beträgt der sich daraus ergebende Marktpreis P*.
Da die vorliegende Argumentation genau derjenigen einer belie-
bigen anderen Nachfragekurve entspricht, kann die GVK-Kurve als die
„Nachfragekurve für Emissionen“ bezeichnet werden.
Aufgrund der bestehenden Unsicherheiten ist es jedoch wichtig,
sich vor Augen zu führen, über welche Informationen ein Regulierer bei
der Wahl des geeigneten Umweltschutzinstruments realistischerweise
verfügen kann. In den meisten Umweltfragen kann der Regulierer sich
bestenfalls einiger weniger wichtiger Details sicher sein. Es sind dies:
36
Theoretische Grundlagen der Klimapolitik
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
A die aktuelle Emissionsmenge,
B die ungefähre Steigung der Grenzvermeidungskostenkurve bei
sinkenden Emissionen,
C die annähernde Steigung der Grenzschadenskurve bei steigenden
Emissionen.
Der erste Punkt wird durch einfache Beobachtung ermittelt. Der zwei-
te Punkt kann anhand technischer bzw. ökonomischer Analysen oder
auf Grundlage von Informationen von Unternehmen, die mit einer
möglichen Regulierung konfrontiert sind, geschätzt werden. Biswei-
len, jedoch nicht in jedem Fall, können Unternehmen versucht sein,
ihre Vermeidungskosten zu übertreiben.1 Der dritte Punkt kann durch
Analysen ermittelt werden, die ökologische Informationen mit ökono-
mischen Daten kombinieren, z. B. durch die so genannte kontingente
Bewertungsmethode oder andere empirische Modellversuche.
Die Regulierer können typischerweise keine präzisen Informati-
onen bezüglich der Werte auf der vertikalen Achse der dargestellten
Diagramme erhalten. So ist zwar möglicherweise bekannt, dass die GS-
Kurve im Rahmen des zu regulierenden Emissionsintervalls eher flach
verläuft. Eine genauere Aussage über die Höhe des Wertes ist jedoch
nicht möglich, sodass sich lediglich eine Spannweite, die zwischen 10
und 30 USD/Tonne liegen dürfte, angeben lässt.
Nichtsdestoweniger sind die unter a bis c genannten Parameter
ausreichend, um zu entscheiden, ob eine Regulierung des Emissions-
preises oder der Emissionsmenge vorzuziehen ist. Der Ökonom, der
dies zuerst formulierte, war Martin Weitzman (1974), und seine Analy-
se wurde seither umfassend rezipiert. Sein Ansatz ist folgender:
1 Dies ist von der Art der Politik abhängig, die Unternehmen erwarten. Siehe McKitrick (2010a), Kapitel 5.1.
37
Angenommen, die Situation stellt sich wie in Abbildung 4 dar, in
welcher die Steigung der GS-Kurve gegenüber dem Anstieg der GVK-
Kurve über dem für den Regulierer relevanten Emissionsbereich als
verhältnismäßig flach angenommen wird. Das optimale Emissionsni-
veau liegt bei e*; wo genau sich dieses Niveau befindet, ist jedoch un-
bekannt. Unternimmt man den Versuch, die richtige Emissionsmenge
zu erraten, führen geringfügige Fehler im Umfeld von e* (horizontaler
Pfeil) zu groben Fehlern in Bezug auf den optimalen Preis (vertikaler
Pfeil), d. h. den entsprechenden Preisbereich auf der GVK- bzw. Emis-
sionsnachfragekurve. Das große Ausmaß dieser Fehler schlägt sich
in unerwartet hohen Risiken für emittierende Unternehmen und die
Wirtschaft allgemein nieder. Der durch die Pfeile abgegrenzte Bereich
spiegelt den Bereich wider, in dem sich die Emissionspolitik als stö-
rend, kostspielig und chaotisch für die Wirtschaft erweist.
Im Gegensatz dazu führen Fehler auf der Preisachse jedoch bei
einem beliebig gewählten Preis lediglich zu relativ geringfügigen Feh-
lern auf der Mengenachse. Ist die Festlegung des optimalen Preises
für Emissionen fehlerbehaftet (Abweichung nach oben oder unten),
kommt das Ergebnis dem optimalen Emissionsniveau gleichwohl recht
nah und die Gefahr einer unerwartet hohen Volatilität ist relativ gering.
Es ist daher besser zu versuchen, den Preis möglichst genau zu schätzen
und den Markt die Menge bestimmen zu lassen, als umgekehrt.
Verläuft die GVK-Kurve relativ flach, geht die Argumentation in
die andere Richtung, d. h., es wäre besser zu versuchen, die optimale
Emissionsmenge zu ermitteln und den Markt den Preis bestimmen zu
lassen, anstatt einen Preis festzulegen und möglicherweise starke und
teure Ausschläge auf der Mengenachse in Kauf zu nehmen.
38
Theoretische Grundlagen der Klimapolitik
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
In Abbildung 4 ist die Situation für CO2 schematisch dargestellt.
> Die GS-Kurve verläuft relativ flach, da es sich bei CO2 um ein globales
Gas handelt, d. h. das Klima wird nicht durch örtliche Emissionen in
Mitleidenschaft gezogen, sondern durch den global vorhandenen Be-
stand. Hinsichtlich der Emissionen einer einzelnen Nation wird der
Grenzschaden der ersten Emissionseinheit derjenigen der letzten
Einheit entsprechen, da sich die global vorhandene Treibhausgas-
menge infolge der jährlichen Emissionen eines Landes, wenn über-
haupt, nur unwesentlich verändert.
> Die GVK-Kurve verläuft sehr steil, da, wie oben erläutert, nur sehr
wenige Kontrollmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Kurzfristig be-
steht für Haushalte und Unternehmen der einzige Weg, ihre Emis-
sionen zu senken, darin, ihren Energieverbrauch zu senken. Län-
gerfristig wird die Reduzierung der Emissionen angesichts teurerer
USD pro Tonne
GrenzvermeidungskostenGVK
GrenzschädenGS
e
P*
e* Emissionen
Abbildung 4Wahlmöglichkeiten der Politik angesichts bestehender Unsicherheiten
39
Brennstoffe oder alternativer Energien höhere Kapitalinvestitionen
erforderlich machen. Zwei Indikatoren legen eine steile GVK-Kurve
nahe. Erstens hat der europäische Emissionsmarkt angesichts einer
vergleichsweise geringen Mengenvolatilität eine recht hohe Preisvo-
latilität gezeigt (Ellerman und Joskow 2008), wobei dies jedoch teil-
weise darauf zurückzuführen war, dass in der ersten Phase des eu-
ropäischen Programms keine Genehmigungen auf spätere Handels-
perioden übertragen werden konnten. Und zweitens haben sich die
europäischen Emissionen trotz jahrelanger Bemühungen kaum ver-
ändert. Dieser Umstand wird durch den Zusammenbruch der DDR
und anderer Übergangswirtschaften sowie durch die Umstellung der
Energiewirtschaft Großbritanniens von Kohle auf Gas in den frühen
1990er Jahren verschleiert, wodurch die CO2-Emissionen eine ein-
malige Reduzierung erfuhren. Diakoulaki und Madaraka (2007) ha-
ben die steigenden CO2-Emissionswerte aus 14 EU-Ländern im Zeit-
raum 1990 bis 2003 unter Berücksichtigung der von allen Ländern
außer Spanien umgesetzten politischen Maßnahmen untersucht.
In allen Ländern, außer Großbritannien und Deutschland, wo sich
alle fertigungsbedingten Reduzierungen vor 1997 vollzogen und an-
schließend ein Anstieg zu verzeichnen war, wurden gleichbleibende
oder steigende Emissionen verzeichnet. Die Autoren kamen zu dem
Schluss, „dass keine systematischen Anzeichen dafür vorliegen, das
sich das Verhalten der untersuchten Länder in der Zeit vor und nach
Kyoto unterscheidet“ (Seite 655).
Angesichts der Tatsache, dass Emissionspolitik unter unsicheren Be-
dingungen gemacht wird, wäre es folglich besser, statt einer Menge ei-
nen Preis festzulegen. Für eine Preissteuerung der Emissionen anstelle
einer Emissionsgrenze sprechen zudem zwei weitere Gründe.
Erstens gestaltet sich die Verwaltung eines Systems handelbarer
Genehmigungen deutlich schwieriger, da der Regulierer zunächst eine
40
Theoretische Grundlagen der Klimapolitik
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Erstzuweisung (mittels einer Auktion, einer Bestandsregelung oder einer
anderen Methode) vornehmen und die für den Handel mit diesen Ge-
nehmigungen entstehenden Märkte einer Prüfung unterziehen muss.
Zweitens haben Regierungen die Genehmigungen in der Praxis für ge-
wöhnlich kostenlos ausgegeben, anstatt eine Auktion durchzuführen,
was sowohl im Falle des US-Marktes für Schwefeldioxidgenehmigun-
gen als auch im Falle des neuen EU-Marktes für Kohlenstoff-Emissions-
zertifikate so geschah. Die heute übliche Vorstellung einer „doppelten
Dividende“ beruht darauf, dass die durch die Verschmutzungspolitik
erhöhten Einnahmen des Staates darauf verwendet werden können,
die Steuerlast an anderer Stelle zu reduzieren. Ein System handelbarer
Genehmigungen jedoch, in dem Genehmigungen kostenlos an die Ver-
ursacher von Verschmutzung ausgegeben werden, steht dem im Wege,
sodass keine steuerliche Verrechnung möglich ist. Empirische Arbeiten
in Bezug auf die USA haben verdeutlicht, dass nicht auf dem Wege einer
Auktion vergebene CO2-Emissionsquoten die gesellschaftlichen Kosten
der Politik drastisch erhöhen (Parry 2003, 2004). Die Quoten schaffen
ähnlich wie bei Marketing-Gesellschaften für landwirtschaftliche Er-
zeugnisse und städtischen Vergabesystemen für Taxilizenzen Kartell-
einkünfte für die Empfänger und erhöhen im Grunde die finanzielle
Belastung der Haushalte durch die Förderung von Marktlagengewinnen
(sogenannte „Windfall Profits“) für Emittenten.
Fünf Grundsätze rationaler Klimapolitik
Die obige Analyse führt uns zu fünf wesentlichen ökonomischen
Grundsätzen einer rationalen Klimapolitik:
1 PREISGESTALTUNG: Eine Politik zur Senkung der Treibhausgasemis-
sionen ist weniger marktverzerrend und kostspielig, wenn sie auf
einem festgelegten Emissionspreis anstatt auf einem festgelegten
Ziel zur Emissionsreduzierung beruht.
41
2 REALISMUS: Da die GVK-Kurve aktuell sehr steil verläuft, liegt das
optimale Emissionsniveau derzeit nicht weit unter dem unregu-
lierten Emissionsniveau. Jedes Mal, wenn die Politik neue Pläne
offenlegt, die Emissionsgrenzen zu verschärfen, steigen die ökono-
mischen Kosten der Vermeidung rasant an und führen zu heftigen
Reaktionen auf jeden Versuch, über das optimale Ziel der Emissi-
onsreduzierung hinauszugehen. Es wäre demnach besser, den An-
stieg der GVK-Kurve durch die Beobachtung der Mengenanpassung
als Reaktion auf ein bestimmtes Preissignal zu ermitteln, anstatt
tiefgreifende Emissionseinschnitte vorzuschreiben und angesichts
einer irrational hohen Kostenexplosion sehenden Auges in eine un-
vermeidbare Krise zu schlittern.
3 REDUNDANZVERMEIDUNG: Marktmechanismen sollten anstelle
von regulatorischen Mechanismen zum Einsatz kommen, nicht
ergänzend dazu. Nach der Festlegung eines Emissionspreises (bzw.
einer Emissionsmenge) durch die Politik, sollte von weiteren über-
flüssigen technischen Regulierungen und Verhaltenskontrollen
zur Überwachung der Einhaltung der bestehenden politischen
Maßnahmen Abstand genommen werden. Wird Kraftwerken bei-
spielsweise der Erwerb von Emissionszertifikaten vorgeschrieben,
so reicht diese Maßnahme aus, ihre Emissionen zu regulieren. Da-
rüber hinaus weitere Vorschriften zu erlassen, in denen Haushal-
ten vorgeschrieben wird, welche Glühbirnen oder Haushaltsgeräte
sie verwenden dürfen, oder Kraftwerksbetreibern vorzuschreiben,
dass sie einen bestimmten Anteil ihrer Energie über den Ankauf
von Windenergie abdecken müssen, ist redundant. Das einzige, was
dadurch erreicht wird, sind höhere Kosten und eine verständliche
Ablehnung des gesamten Konzepts der Klimapolitik durch die Be-
völkerung.
42
Theoretische Grundlagen der Klimapolitik
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
4 KOSTENEFFIZIENZ: Um die mögliche Vermeidung mithilfe der be-
grenzten Ressourcen, die eine Gesellschaft dafür zu geben bereit ist,
zu maximieren, müssen die Vermeidungsoptionen ohne Wenn und
Aber dahingehend überprüft werden, ob die Grenzkosten die bes-
ten Schätzungen der Grenzschäden übersteigen. Bei Vorliegen eines
Preisgestaltungsinstruments erfolgt dies automatisch in umfassen-
der Weise. Angesichts der aktuellen technologischen Vermeidungs-
möglichkeiten ergibt sich daraus eine vermutlich eher geringe
Vermeidung; doch mit zunehmender technologischer Entwicklung
und Abflachung der GVK-Kurve wird auch das Emissionsniveau au-
tomatisch sinken.
5 ZIELAUSRICHTUNG: Politische Maßnahmen einschließlich von
Preisgestaltungsinstrumenten sollten an der jeweiligen Zielvariablen
ausgerichtet werden, in diesem Zusammenhang, an den CO2-Emissi-
onen. Allzu häufig wenden Politiker Regeln auf andere Variablen (z. B.
Kraftstoffverbrauchsregeln, Größe von Haushaltsgeräten, Art der zu
verwendenden Glühbirnen usw.) an, die nur indirekt mit dem eigent-
lichen Umweltproblem verbunden sind. Die Emissionsreduzierung
wird dadurch nur unnötig verteuert und verliert an Effizienz.
Die Irrationalität der ‘grünen Ökonomie’
Dank obiger Analyse können wir nun das Problem der weit verbreiteten
Vorstellung einer „grünen Ökonomie“ verstehen. Der Begriff der „grü-
nen Ökonomie“ bezeichnet Tendenzen zahlreicher Länder auf der gan-
zen Welt – vor allem der Industrienationen –, sich spezieller Vorschriften
und Subventionen zu bedienen, um den Übergang von konventionellen
Energieträgern auf alternative Quellen wie Wind- und Solarenergie zu
fördern und auf kleinerer Ebene den Elektrizitäts- und Brennstoffver-
brauch der Haushalte durch detaillierte Beschränkungen der zulässigen
Geräte, Fahrzeuge und anderen Bedarfsartikel vorzuschreiben.
43
Die Motivation für diese Art von Politik ist nicht ganz klar. Manch-
mal wird behauptet, das Ziel sei die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die
Behauptung, dass durch Subventionen oder Vorschriften Arbeitsplät-
ze in einer bestimmten Branche geschaffen werden könnten, ist alt
und stößt immer wieder auf dieselben Schwierigkeiten. Arbeitet die
Industrie profitabel, braucht sie keine Subventionen oder speziellen
Vorschriften, um zu wachsen. Ist sie nicht profitabel, sollte sie vom
Staat nicht subventioniert oder begünstigt werden. Unter normalen
Umständen zeigt ein Unternehmen dadurch, dass es kontinuierlich
Geld verliert, dass seine Erzeugnisse weniger wert sind als die Mittel,
die es in seinen Produktionsprozess investiert hat. Zwingt die Politik
die Industrie nun, dennoch zu wachsen, muss dies zwangsläufig zu ei-
ner Zerstörung von Wohlstand in der Wirtschaft führen. Berücksichtigt
man diesen Wohlstandsverlust sowie die Kosten, die den Steuerzahlern
aufgebürdet werden, das Subventionsprogramm zu finanzieren, zeigt
sich in der Regel, dass durch derlei Maßnahmen mehr Arbeitsplätze
verloren gehen, als neue geschaffen werden. Wenn die subventions-
bzw. regulierungsgesteuerte Ausweitung einer Branche tatsächlich ein
verlässlicher Mechanismus zur Schaffung von Arbeitsplätzen wäre,
dürfte es angesichts der häufigen Versuche vieler Regierungen schon
längst keine Arbeitslosigkeit mehr geben.
Bisweilen geben Politiker vor, die „grüne Ökonomie“ ziele darauf
ab, die Vorteile revolutionärer neuer Technologien zu nutzen, um
nicht Gefahr zu laufen, im Wettbewerb um deren Einführung „ins
Hintertreffen zu geraten“. Gelegentlich treten tatsächlich echte neue
Technologien auf den Plan – wie beispielsweise das Internet oder der
Verbrennungsmotor oder tragbare Computer. Doch die Produktion
und Nutzung solcher Güter findet allein aufgrund der Tatsache welt-
weite Verbreitung, dass die Menschen diese kaufen wollen und Unter-
nehmer davon profitieren, in Unternehmen zu investieren, die diese
anbieten können. Zu einer Verbreitung neuer Technologien kommt es
für gewöhnlich nicht, weil der entsprechende Industriezweig von der
44
Theoretische Grundlagen der Klimapolitik
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Regierung gefördert wird. Handelt es sich um echte brauchbare Inno-
vationen, regeln Angebot und Nachfrage den Markt von selbst. Anders
gesagt: echte brauchbare Technologien finden den Weg zu den geeig-
neten Nutzern über den Markt. Gelingt es der Technologie nicht, sich
allein durchzusetzen, steht zu vermuten, dass es sich entweder tech-
nologisch oder wirtschaftlich – oder aus beiderlei Hinsicht – nicht um
eine brauchbare Technologie handelt.
Schließlich wird die „grüne Ökonomie“ häufig als eine Form der
Umweltpolitik angepriesen, deren Ziel in der Regel die Reduzierung
der Treibhausgasemissionen ist. In diesem Fall jedoch verdeutlicht die
Tatsache, dass sie den oben genannten fünf Grundsätzen zuwiderläuft,
dass es sich um ein für den gewünschten Zweck im Grunde äußerst un-
wirksames Instrument handelt. Die Subventionierungen industrieller
Windkraftanlagen und riesiger Solarparks sind indirekte Maßnahmen
zur Umsetzung willkürlicher Mengenziele (wie bspw. die Forderung,
10 % der Elektrizität müssten aus Windenergie stammen), die unge-
achtet dessen verfolgt werden, ob die Grenzkosten den Grenznutzen
übersteigen und sie angesichts anderer Maßnahmen zur direkten
Emissionsbegrenzung redundant sind. Geht es der Politik tatsächlich
um Treibhausgasemissionen, sollte sie eine auf Treibhausgasemissio-
nen ausgerichtete Preispolitik gestalten. Maßnahmen im Rahmen ei-
ner „grünen Ökonomie“ sind bestenfalls überflüssig, schlimmstenfalls
verschwenderisch und wirtschaftsschädigend.
45
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
3.
Unsicherheit bezüglich des GrenzschadensWenden wir uns nun einer genaueren Diskussion der Grenzschadens-
kurve (GS-Kurve) zu. Angenommen, die optimale Politik besteht in
einer Emissionssteuer, so stehen wir dennoch vor der großen Heraus-
forderung, uns nicht nur darüber zu einigen, auf welchem Niveau die-
se Steuer einsetzen, sondern auch wie sie sich mit der Zeit entwickeln
sollte. Um diese Fragen beantworten zu können, ist eine Betrachtung
der potenziellen Schäden erforderlich, die durch CO2-Emissionen ver-
ursacht werden können. Dieses Kapitel befasst sich mit der allgemei-
nen Frage, ob CO2-Emissionen als extreme Gefahr, die ein drastisches
Eingreifen erfordert, als triviale Erscheinung, die ignoriert werden
kann, oder als irgendetwas dazwischen betrachtet werden sollten. Ich
argumentiere wie folgt:
1 Es gibt genügend Anlass, CO2-Emissionen als Besorgnis erregend zu
betrachten, auch wenn nicht feststeht, in welchem Maße.
2 Die Auswirkungen der CO2-Emissionen (und anderer Treibhaus-
gase) auf die Umwelt sind von komplexen natürlichen Rückkopp-
lungen abhängig, deren Ausmaß nicht einfach anhand bekannter
physikalischer Grundprinzipien ermittelt werden kann und damit
zwangsläufig auf Modellannahmen beruht.
47
3 Modellannahmen sind für sich genommen kein Beweis für das Aus-
maß der gesamten ökologischen Auswirkungen von CO2 und müs-
sen anhand konkreter Daten überprüft werden.
4 Die verfügbaren Daten variieren in Bezug auf Qualität und Zeit-
raum ihrer Verfügbarkeit. Die längsten Datenreihen sind für ge-
wöhnlich von geringerer Qualität und umgekehrt. Einige der hoch-
wertigsten Datenreihen sind inzwischen allerdings ausreichend
lang, um eine aussagekräftige Überprüfung von Modellannahmen
zu ermöglichen.
5 Zwischen den Klimamodellprognosen und den Beobachtungen
bestehen signifikante statistische (und klimatologische) Diskrepan-
zen, die darauf hinweisen, dass die Rückkopplungen geringer aus-
fallen als in den Klimamodellen angenommen.
6 Die derzeit existierenden Überwachungssysteme werden innerhalb
des nächsten Jahrzehnts ausreichend Daten hoher Qualität bieten,
um die bestehenden Fragen bezüglich der Auswirkungen von CO2
auf das globale Klima zu beantworten.
In den folgenden Abschnitten werden die genannten Fragen genauer
erörtert.
CO2-bedingte Erwärmung und Rückkopplungen
Die Energie der Sonne erwärmt die Erd- und die Meeresoberfläche.
Um das energetische Gleichgewicht zu wahren, muss die Erde dieselbe
Menge Energie wieder abgeben, die sie von der Sonne erhält. Die Erd-
und Meeresoberflächen der Erde geben auf zweierlei Arten Energie ab:
durch Radiation und durch Konvektion. Bei Radiation handelt es sich
um die Emission von Infrarotenergie in die Atmosphäre. Konvektion
48
Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
entsteht durch den Austausch von Warmluft nahe der Erdoberfläche
und Kaltluft aus den oberen Schichten der Atmosphäre, wodurch Luft-
strömungsmuster, Windsysteme, Wolken und Stürme sowie andere
Wettererscheinungen entstehen (Held und Soden 2000, Houghton
1997, Essex 1991).
CO2-Emissionen und andere Treibhausgase lassen die Luft für
Infrarotstrahlen undurchlässiger werden, wodurch die Effizienz der
Atmosphäre bei der Abgabe von Energie an den Weltraum gemindert
wird. Eine Aufrechterhaltung der Emissionsintensität verursacht einen
Anstieg der atmosphärischen Temperatur und Veränderungen der kon-
vektiven Aktivität. Während die Temperaturveränderung für gewöhn-
lich als relativ vorhersagbar gilt, ergeben sich aus den Veränderungen
der konvektiven und zirkulativen Aktivität Turbulenzprobleme, die
anhand der bekannten Grundprinzipien der Atmosphärenphysik nicht
vorhergesagt werden können. Aus diesem Grund kommen numerische
Klimamodelle oder allgemeine Zirkulationsmodelle (General Circulati-
on Models, GCM) zum Einsatz. Das auch den Modellen des IPCC-Berichts
von 2007 zugrundeliegende aktuelle Schema geht davon aus, dass eine
Verdoppelung der in der Atmosphäre vorhandenen CO2-Menge einen
relativ geringen Anstieg der Durchschnittstemperatur um etwa 1 °C
(siehe Held und Soden 2000) nach sich ziehen würde. Das wiederum
führt zu einer Erhöhung des Wasserdampfgehalts der Atmosphäre und
nach Berücksichtigung der Rückkopplungsprozesse, insbesondere eben
dieser Ansammlung von Wasserdampf in der Atmosphäre, zu einer
mindestens doppelt so hohen Erwärmung von zwei bis vier Grad. Ein
Großteil der Sorgen in der Politik bezüglich der CO2-Emissionen ist auf
das Ausmaß der potenziellen Rückkopplungsprozesse zurückzuführen
und weniger auf die Folgen von CO2 selbst.
Klimamodelle rechnen nicht einfach auf Grundlage der zugrun-
deliegenden physikalisch-theoretischen Formeln, da die Bewegungs-
gleichungen zwar auf lokaler Ebene wie bspw. in Bezug auf ideale Gase
oder isolierte Volumina Gültigkeit haben, nicht jedoch in bekannter
49
Form auf globaler Ebene anwendbar sind. Die Modelle beruhen daher
immer auf vereinfachten Darstellungen, so genannten „Parametrisie-
rungen“, die einfache Näherungswerte unter Verwendung von empi-
rischen oder auf Grundlage von Näherungsprozessen hergeleiteten
Koeffizienten heranziehen (Knutti 2008).
Wolken beispielsweise entstehen durch Tröpfchenbildung auf
molekularer Ebene. Da die Gleichungen, anhand derer die Tröpf-
chenbildung beschrieben wird, nicht für allgemeingültige Aussagen
bezüglich der durchschnittlichen Wolkendecke herangezogen werden
können, müssen empirische Näherungsmodelle entwickelt werden,
die von anderen in der Atmosphäre über einer bestimmten Region
herrschenden Bedingungen wie Temperatur, Windmuster, Atmosphä-
renchemie usw. ausgehen, um die durchschnittliche Wolkendecke
über großen Regionen und lange Zeiträume vorherzusagen. Schwan-
kungen in der modellhaften Darstellung des Wolkenverhaltens sind
die Ursache für einige der größten Abweichungen von einem Modell
zum anderen (Kiehl 2007, CCSP 2008, Seite 41). Bereits geringfügige
Schwankungen beim Ausmaß der Rückkopplungsprozesse können zu
großen Abweichungen bei der simulierten Klimasensitivität gegen-
über Treibhausgasen führen.
Da viele der Prozesse, die für das Ausmaß der Rückkopplung
grundlegend sind, auf empirischen Näherungswerten beruhen, ist
eine Prüfung der GCM-Ergebnisse in Bezug auf Daten aus Beobach-
tungen für die Bestätigung oder Ablehnung der den GCM in Form von
Parametrisierungen zugrundeliegenden Annahmen von wesentlicher
Bedeutung. Weder können Modellversuche als Prüfung für die Gültig-
keit von Modellen dienen, noch kann die Ähnlichkeit von Modellversu-
chen in verschiedenen Modellgruppen als Nachweis für die Gültigkeit
von Modellen dienen, da allen dieselben Fehler zugrundeliegen kön-
nen. Modelle müssen daher immer in Bezug auf aus Beobachtungen
gewonnenen Daten geprüft werden.
50
Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Klimadaten
Um überhaupt eine Aussage über potenzielle Schäden treffen zu kön-
nen, die auf die globale Erwärmung zurückzuführen sind, ist eine Mes-
sung der Klimaveränderungen erforderlich. Nachfolgend werden die
im Allgemeinen herangezogenen Datenquellen untersucht.2
Daten in Bezug auf die Erdoberfläche
Bezüglich der Erdoberfläche gibt es drei zentrale globale Temperatur-
datenreihen. Das Institut für Klimaforschung der Universität von East
Anglia (Climate Research Unit, CRU) veröffentlicht die CRUTEM-Daten,
die in Jones et al. (1999) beschrieben sind, sowie die aktualisierten Fas-
sungen CRUTEM2 (Jones und Moberg 2003) und CRUTEM3 (Brohan et
al. 2006). Die abweichungsbereinigte Fassung ist unter der Bezeich-
nung CRUTEM3v bekannt. Eine weitere Datenreihe stammt vom God-
dard Institute of Space Studies (GISS) der NASA, eine dritte von der US-
amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration
(NOAA). Alle drei Datenreihen greifen auf das als GHCN – Global Histo-
rical Climatology Network – bekannte Wetterdatenarchiv zurück.3
2 Dieser Abschnitt greift auf zuvor in McKitrick (2010d) veröffentlichte Daten zurück.
3 Die Internetadresse des GHCN lautet http://www.ncdc.noaa.gov/oa/climate/ghcn-monthly/index.php. Eine Liste der Quellen findet sich unter http://www.ncdc.noaa.gov/oa/climate/ghcn-monthly/source-table1.html.
51
Datenquelle: GHCN | Für detailierte Berechnungen vgl. McKitrick (2010d)
Abbildung 5GHCN-Zahlung der Wetterstationen
1910 1950 19901910 1950 1990 1910 1950 1990
6.000
4.500
3.000
1.500
0
6.000
4.500
3.000
1.500
0
6.000
4.500
3.000
1.500
0
Unbereinigte GHCN-DatenUm fehlende Daten und Mehrfachzählungen bereinigte GHCN-Daten
Global Nördliche Hemisphäre
Südliche Hemisphäre
52
Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Das GHCN wurde in den frühen 1990er Jahren als Kooperations-
projekt des Carbon Dioxide Information and Analysis Center (CDIAC)
und des National Climatic Data Center (NCDC) ins Leben gerufen. Ziel
war der Aufbau eines gegenüber den damals über das CRU oder andere
Forschungsinstitute erhältlichen Daten umfassenderen Temperatur-
datenarchivs. Die erste Version wurde im Jahr 1992 (Vose et al. 1992)
auf Grundlage von Bestandsdaten ohne Korrektur von Inhomogeni-
täten veröffentlicht4. Die zweite Version (GHCN v2) erschien im Jahr
1997 und ist in Peterson und Vose (1997) beschrieben. Erläuterungen
zu den Methoden der Qualitätssicherung finden sich in Peterson et al.
(1998). Während der Vorbereitung von GHCN v2 nahmen die Autoren
einige Korrekturen von Inhomogenitäten vor und ergänzten die Da-
ten der Messstationen im Hinblick auf ein besseres Verständnis der
Quellenqualität durch die Nutzer um Metadaten wie die umliegende
Bevölkerung sowie um genaue Informationen zu den Standorten der
einzelnen Messstationen.
Wie Abbildung 5 zeigt, stehen für die nördliche Hemisphäre fünf-
mal mehr Wetteraufzeichnungen zur Verfügung als für die südliche
Hemisphäre. Die Gesamtanzahl der Wetteraufzeichnungen des GHCN
erreichte in den 1960er und 1970er Jahren einen Höhepunkt und
nahm seitdem in beiden Hemisphären deutlich ab. Dieser Trend setz-
te sich nach 1989 fort, bis schließlich im Jahr 2005 ein schwerer Ein-
bruch zu verzeichnen war. Der mittlere bzw. linke Teil der Abbildung
4 Der Begriff „Inhomogenitäten“ ist in Bezug auf Temperaturdaten eher untechnisch definiert und bezeichnet ursprünglich eine durch Veränderungen der Gerätschaften, Veränderungen der Beobachtungszeit, die Verlegung einer Wetterstation o. Ä. hervorgerufene Messdiskontinuität. Einige Autoren verwenden den Begriff auch, um Messabweichungen aufgrund von Urbanisierung, Veränderungen der Landnutzung und anderen nichtklimatischen Einflüssen abzubilden, auch wenn hierfür viele Autoren auf eine unterschiedliche Begrifflichkeit zurückgreifen. Wenn also in Bezug auf ein Archiv wie dem GHCN von einer „Korrektur von Inhomogenitäten“ die Rede ist, kann dies daher als „Korrektur von Messdiskontinuitäten“, nicht notwendigerweise jedoch als „Korrektur von durch lokale, nichtklimatische Einflüsse hervorgerufenen Messabweichungen“ ausgelegt werden.
53
zeigt die nördliche bzw. südliche Hemisphäre und belegt, dass es sich
bei der sinkenden Anzahl von Wetterstationen um ein globales Phä-
nomen handelte. Der Messumfang ist von seinem Höhepunkt Anfang
der 1970er Jahre um etwa 75 % auf den tiefsten Wert seit dem Ende des
neunzehnten Jahrhunderts gesunken. Aktuell erfasst das GHCN weni-
ger Temperaturdaten als zu Ende des Ersten Weltkrieges.
Während GHCN v2 zumindest über Daten aus nahezu allen Ge-
genden der Welt verfügt, liegen für das gesamte 20. Jahrhundert wei-
testgehend auf die USA, Südkanada, Europa und einige wenige andere
Standorte beschränkte Daten vor. Die globale Abdeckung mit voll-
ständigen täglichen Aufzeichnungen (einschließlich der Ablesung der
Höchst- und Tiefstwerte sowie von Durchschnittswerten) ist seit 1900
äußerst unvollständig. Abgesehen von den USA, Südkanada und den
australischen Küstenregionen liegen nur wenige entsprechende Auf-
zeichnungen, für das Landesinnere ganzer Teile von Südamerika, Af-
rika, Europa und Asien überhaupt keine Beobachtungen vor (Peterson
und Vose 1997, Abbildungen 3 und 4).
Von den 31 für das GHCN herangezogenen Datenquellen sind nur
für drei regelmäßige monatliche Aktualisierungen erhältlich. Bei zwei-
en davon handelt es sich um US-Netzwerke, bei dem dritten um ein
aus 1.500 Stationen bestehendes Netzwerk, das über das so genannte
CLIMAT-Netzwerk automatisch Wetterdaten übermittelt.
Die Veränderung der verwendeten Datenquellen erfolgte in Bezug
auf die Art der Quellen nicht einheitlich. So haben sich die Messungen
beispielsweise hin zu Flughafenstandorten verlagert, die dem Problem
unterworfen sind, dass sie sich häufig an urbanen oder suburbanen
Standorten befinden, die in den vergangenen Jahrzehnten errichtet
wurden. Zudem hat der zunehmende globale Luftverkehr zu einer
Erwärmung durch Faktoren wie Verkehr, Straßenwege, Gebäude und
Abfall geführt, die ausnahmslos nur schwer aus den Temperaturauf-
zeichnungen herausgenommen werden können. Wie Abbildung 6 zu
entnehmen ist, kam es infolge der oben gezeigten Stationsverluste
54
Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
zu einer Zunahme der Beobachtungen von Flughafenstandorten. Die
meisten Regionen wiesen hier mit 40 % oder mehr im Jahr 1980 be-
reits zu Beginn hohe Werte auf. Gegenüber knapp über 20 % in den
späten 1920er Jahren stammt heute mindestens die Hälfte der regio-
nalen Messungen von Flughäfen.
Die CRUTEM-Daten beruhen fast vollständig auf dem GHCN. In-
folge eines 2007 gestellten Antrags gemäß dem Freedom of Informa-
tion Act5 , der allen US-Bürgern freien Zugang zu den Akten, Unterla-
gen und Informationen der Verwaltung gewährt, gab das CRU offiziell
an, dass die von ihm verwendeten Stationsdaten aus zwei Quellen
stammten: dem GHCN und dem US-amerikanischen National Cen-
ter for Atmospheric Research (NCAR) in Form der Datensätze ds540.0
und ds570.0. Auf der NCAR-Website entspricht ds540.0 im Wesentli-
chen dem GHCN v2 (http://dss.ucar.edu/datasets/ds564.0/). Bei dem
Datensatz ds570.0 handelt es sich um die World Monthly Surface Sta-
tion Climatology (http://dss.ucar.edu/datasets/ds570.0/), die größte
Einzelkomponente des GHCN-v2-Archivs (Peterson und Vose (1997),
Tabelle 1). In einer weiteren Darstellung gab das CRU den Anteil der aus
diesen Quellen stammenden Daten mit etwa 98 % an.
5 Das Korrespondenzarchiv findet sich im Internet unter http://climateaudit.files.wordpress.com/2008/05/cru.correspondence.pdf.
55
Quelle: GHCN | Für detaillierte Berechnungen siehe McKitrick (2010d)
Die globalen Temperaturdaten des Goddard Institute of Space Stu-
dies der NASA gehen auf drei Ausgangsarchive zurück: GHCN v2 für
die gesamte Welt mit Ausnahme der USA und der Antarktis, das US
Historical Climatology Network (USHCN, ebenfalls ein NCDC-Produkt)
sowie ein Archiv der Antarktisstationen des Scientific Committee on
Antarctic Research6. Der größte Teil der von den USA in das GHCN ein-
gespeisten Daten stammt aus dem USHCN, das jedoch auch seine eige-
nen Anpassungen zur Qualitätssicherung vornimmt.
6 http://data.giss.nasa.gov/gistemp/sources/gistemp.html
Abbildung 6Anzahl GHCN-Stationen an Flughäfen in Prozent im Zeitraum 1890 – 2009
1890 1930 1970 2010 1890 1930 1970 2010 1890 1930 1970 2010
80
60
40
20
0
80
60
40
20
0
80
60
40
20
0
Global Nördliche Hemisphäre
Südliche Hemisphäre
56
Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Die NOAA veröffentlicht monatlich eine Übersicht über globale
Temperaturanomalien (http://www.ncdc.noaa.gov/cmb-faq/anomali-
es.html). Auf der NOAA-Website findet sich der Hinweis, dass die Land-
aufzeichnungen aus dem GHCN-Archiv stammen. Weitere Quellen
sind nicht aufgeführt. Die drei zentralen Rasterdatensätze in Bezug
auf globale Temperaturanomalien beruhen daher ausschließlich bzw.
nahezu ausschließlich auf Daten aus dem GHCN-Archiv. Die Proble-
me des GHCN wie Messdiskontinuitäten und Verunreinigungen durch
Urbanisierung und andere Formen veränderter Landnutzung wirken
sich daher auch auf die Daten des CRU, des GISS und der NOAA aus.
Die mit der Zeit abnehmende Qualität der GHCN-Daten führt damit
zu einer ebenfalls abnehmenden Qualität der Datensätze des CRU, des
GISS und der NOAA sowie zu einem stärkeren Einfluss durch Datenan-
passungen zum Ausgleich von Messabweichungen.
Daten in Bezug auf die Meeresoberfläche
Alle historischen Daten bezüglich der Meeresoberflächentemperatur
(Sea Surface Temperature, SST) sind dem International Comprehensi-
ve Ocean-Atmosphere Data Set (ICOADS, http://icoads.noaa.gov/) oder
einem seiner Vorgängerarchive entnommen. Das ICOADS kombiniert
etwa 125 Millionen SST-Datensätze aus Schiffsaufzeichnungen sowie
weitere 60 Millionen Werte aus Bojen und anderen Quellen (Woodruff
et al. 2005). Das ICOADS stützt sich auf eine große Sammlung von Ein-
gangsdaten, wobei jedoch darauf hingewiesen werden sollte, dass sich
bspw. aufgrund von Veränderungen der räumlichen Abdeckung, der
Beobachtungsinstrumente und der Messzeiten sowie der Größe und
Geschwindigkeit des Schiffes gravierende Schwierigkeiten ergeben. Im
Grunde handelt es sich bei den ICOADS-Datensätzen um eine große
Ansammlung problematischer Daten.
57
Das britische Hadley Centre erstellt hinsichtlich der Meeresoberflä-
chentemperatur zwei gerasterte Datensatzsammlungen: HADSST2
und HADISST (Beschreibungen finden sich unter www.hadobs.org).
Die in der Sammlung HADSST2 verzeichneten Datensätze werden
mit den CRUTEM-Daten für die Erdoberfläche zu dem so genannten
globalen HADCRU-Datensatz kombiniert. Die HADSST2 zugrundelie-
genden Methoden sind in Rayner et al. (2006) dargestellt. Bis 1997
verwendete HADSST2 die ICOADS-Daten, 1998 erfolgte die Umstel-
lung auf ein ICOADS-Teilsystem namens Near Real-Time (NRT) Mari-
ne Observations (http://icoads.noaa.gov/nrt.html). Das ICOADS weist
darauf hin, dass beide nicht vollständig konsistent sind (siehe http://
icoads.noaa.gov/products.html). Ende 2010 läuft das NRT-System
aus, da das ICOADS-System nunmehr hinreichend automatisiert ist,
um kontinuierlich aktualisiert werden zu können; das Hadley Centre
wird in der Folge vermutlich wieder auf die ICOADS-Daten als Quelle
zurückgreifen.
Die HADSST2-Datensatzsammlung weist Lücken und spärliche
Daten in der Oberflächenabdeckung auf. Die HADISST-Datensatz-
sammlung bietet unter Verwendung von Interpolationsmethoden
eine „vollständige“ globale Abdeckung bzw. anders ausgedrückt Zah-
len für jede Rasterzelle. Wichtigste Datenquelle ist die britische Met
Office’s Marine Data Bank, die bis 1995 durch ICOADS-Daten aufgefüllt
wurde. Fehlende Rasterzellen werden durch eine auf Hauptkomponen-
tenanalysen beruhende numerische Methode ergänzt. Nach 1982 flos-
sen Satellitendaten in den Interpolationsalgorithmus ein.
Die NOAA verwendet zur Ermittlung der so genannten Extended
Reconstruction Sea Surface Temperature (ERSST) ICOADS-Daten. Seit
1985 griff die NOAA zur Abdeckung in den Polargebieten auf Satelliten-
beobachtungen des Advanced Very High Resolution Radiometer (AV-
HRR) zurück, stellte dabei jedoch einen leichten Rückgang des Trends
fest und führte diesen Effekt auf systematisch zu niedrig gemessene
Temperaturen (Cold Bias) zurück, sodass die Satellitendaten in der
58
Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Folge entfernt wurden (siehe http://www.ncdc.noaa.gov/oa/climate/
research/sst/ersstv3.php).
Das GISS verwendet andere NOAA-Daten, nämlich die Optimal In-
terpolation Version 2 (OI.v2) Datenbank von Reynolds et al. (2008), die
bis 1998 auf ICOADS-Daten beruhte. Anschließend erfolgte wie beim
Hadley Centre eine Umstellung auf ein kontinuierlich aktualisiertes
Teilsystem, wodurch mit einem Mal etwa 20 % der Messungen verloren
gingen. Das aktualisierte Teilsystem wird durch Bojendaten ergänzt, da
viele Schiffsaufzeichnungen nur als Hardcopy vorgelegt werden. Die
OI.v2-Datenbank greift zudem auf AVHRR-Satellitendaten zurück, um
die Interpolation für Regionen, in denen keine Messungen stattfinden,
zu verbessern. Im Gegensatz zum ERSST-Datensatz finden die Satelli-
tendaten in den OI.v2-Datensatz nach wie vor Eingang.
Bis in die 1930er Jahre beschränkte sich die Meeresdatenerfassung
auf die Gebiete, in denen Schiffsverkehr herrschte. In den meisten Re-
gionen des Südpazifik, in etwa in dem Bereich südlich einer Linie von
der Halbinsel Baja California bis zur Südspitze Afrikas, wurden inner-
halb eines Jahrzehnts weniger als 99, in vielen Gebieten überhaupt kei-
ne Messungen durchgeführt. In den 1970er Jahren war die Abdeckung
mit Ausnahme von Südaustralien, Südamerika und Afrika nahezu
komplett. Heute fehlen auf der Karte nur noch einige Polargebiete
(Woodruff et al. 2008, Abbildung 5).
Die Daten für die Zeit vor 1978 stammen nahezu vollständig aus
Schiffsaufzeichnungen. Seit 1978 erfolgt die Datenerfassung haupt-
sächlich mittels Treib- und Mooringbojen (Woodruff et al. 2008). Mes-
sungen auf Schiffen und Bojen werden als In-Situ-Messungen bezeich-
net. Eine weitere Datenquelle, die in den vergangenen Jahrzehnten an
Bedeutung gewann, sind Satellitenbeobachtungen der Meeresoberflä-
che, die dazu dienen, die Abdeckung auch auf Gebiete außerhalb der
In-Situ-Gebiete auszuweiten. Rayner et al. (2003) weisen jedoch dar-
auf hin, dass auch Satellitensysteme mit Schwierigkeiten verbunden
sind. Satellitenmessungen der Meeresoberflächentemperatur weisen
59
Ungenauigkeiten auf, sobald eine Wolkendecke vorhanden ist und es
zu Schwankungen hinsichtlich des Staubs und der Aerosole in der At-
mosphäre kommt. Infrarotdaten aus dem AVHRR-System können die
SST zwar exakt messen, müssen jedoch gegenüber den bestehenden
SST-Datensätzen kalibriert werden, um Messgeräteabweichungen zu
vermeiden. Bei tief hängenden Wolkendecken und hoher Aerosolbela-
stung sind die Messungen unzuverlässig. Neue Satellitenplattformen
wie die Tropical Rainfall Measuring Mission (TRMM) und das Advan-
ced Microwave Scanning Radiometer (AMSR-E) haben in den vergan-
genen Jahren die Möglichkeiten der Datenerfassung bei Vorliegen von
Wolken und Aerosolen deutlich verbessert.
Schiffsdaten werden aufgrund der Vermischung von zwei unter-
schiedlichen Messtypen skeptisch beäugt. Früher wurde zur Messung
der SST ein Eimer Wasser von der Meeresoberfläche an Deck eines
Schiffes gezogen und die Temperatur des Wassers mit einem Ther-
mometer gemessen. Je nachdem, was für ein Eimer dafür verwendet
wurde – bspw. ein Holzeimer oder ein vom Wetteramt ausgegebener
Segeltucheimer –, wurden verschiedene Messergebnisse erzielt, die in
Bezug auf die tatsächliche Temperatur häufig nach unten abwichen
(Thompson et al. 2008). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgten die
Messungen angesichts der Ablösung von Segelschiffen durch Motor-
schiffe zunehmend über Sensoren, welche die Temperatur des in das
Motorkühlsystem eingesaugten Wassers überwachten. Diese Daten
weichen gegenüber der tatsächlichen SST für gewöhnlich nach oben
ab (Thompson et al. 2008). Insgesamt wird davon ausgegangen, dass
US-amerikanische Schiffe recht schnell auf diese motorgetriebenen
Ansaugsysteme umgestellt haben, wohingegen britische Schiffe ihre
Messungen deutlich länger mithilfe der Eimermethode durchführten.
In jüngerer Zeit wurden von einigen Schiffen über Rumpfsensoren er-
mittelte Messdaten übermittelt, und durch veränderte Schiffsgrößen
fanden zudem künstliche Trends Eingang in die ICOADS-Datensätze
(Kent et al. 2007).
60
Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Bis vor kurzem ging man davon aus, dass der Übergang von un-
isolierten bzw. teilisolierten Eimern hin zu Ansaugsystemen plötzlich
im Dezember 1941 mit Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg er-
folgte (Folland und Parker 1995). Das Hadley Centre korrigierte dar-
aufhin seine SST-Daten aus der Zeit vor 1941 aufgrund der Annahme,
die Eimermessung sei zu diesem Zeitpunkt eingestellt worden, nach
oben. Als Kent et al. (2007) jedoch kürzlich Schiffsmetadaten zusam-
mentrugen, stießen sie darauf, dass in den von Schiffen stammenden
ICOADS-Daten im Jahr 1980 nach wie vor etwa die Hälfte aus solchen
Eimermessungen stammte.
Bei der Verwendung der Kent-Daten legten Thompson et al. (2008)
ein weiteres Problem im Zusammenhang mit den SST-Daten in den
Jahren 1945 und 1946 offen: zwischen 1940 und 1945 war der Anteil
der von US-Schiffen stammenden Daten explosionsartig auf mehr als
80 % der Proben angestiegen; mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges
hingegen stieg der Anteil der Daten aus Großbritannien innerhalb
eines Jahres von etwa 0 % auf etwa 50 % der Gesamtdaten an, wohin-
gegen die USA weniger Daten lieferten als zuvor. Gleichzeitig fiel der
ICOADS-Durchschnitt um etwa 0,5 °C, was einer starken Verfälschung
gleichkommt, die in den veröffentlichten globalen Temperaturreihen
sichtbar wird. Thompson et al. weisen darauf hin, dass die Auswirkun-
gen der Korrektur dieses Temperaturknicks in der Mitte des Jahrhun-
derts erheblich sein können. Wird diese Diskontinuität zur Anpas-
sung an die vor 1945 erfassten Datenreihen durch Erhöhung der nach
1945 erhobenen Daten gelöst, flachen die Reihen ab und lassen für
den Zeitraum von etwa 1940 bis in die späten 1990er Jahre keinerlei
Rückschlüsse auf eine Erwärmung zu. Das im 20. Jahrhundert vorherr-
schende Verständnis der Erderwärmung wird dadurch drastisch verän-
dert. Wird die Diskontinuität hingegen gelöst, indem die nach 1945 er-
fassten Datenreihen durch eine Verringerung der vor 1945 erhobenen
Daten harmonisiert werden, führt dies zu einem deutlich längeren
und über das gesamte 20. Jahrhundert anhaltenden Erwärmungstrend
61
als angenommen. In beiden Fällen wird die wie auch immer geartete
Entscheidung über die Beseitigung dieser kürzlich entdeckten schwer
identifizierbaren Diskontinuität in den SST-Datenreihen eine weit ge-
fasste Überprüfung des aktuellen Verständnisses der globalen Erwär-
mung zur Folge haben.
Eine weitere Schwierigkeit zeigt sich, ähnlich wie bei den Erdober-
flächendaten, in einem beständigen Rückgang der Anzahl von Schif-
fen, die sich in den vergangenen Jahren bereit erklärt haben, Daten für
das ICOADS zu liefern. Die neue weltweite ARGO-Flotte (www.argo.net)
deckt seit 2003 für die gesamten Weltmeere bis in eine Tiefe von 2.000
Metern die Messungen von Temperatur, Salzgehalt und Strömungen
ab. Einen vollständigen Ausgleich der immer weniger werdenden
Schiffsdaten kann diese Flotte jedoch nicht leisten, da sie keine direk-
ten Messungen der SST vornimmt. Stattdessen beginnt ihr Profiling in
einer Tiefe von 10 Metern unter dem Meeresspiegel, wohingegen ihre
Ansaugpumpen in einer Tiefe von 8 Metern unter dem Meeresspiegel
automatisch abschalten.
Eine weitere Herausforderung stellt das Meereis dar. Die Schiff-
fahrt in eisbedeckten Regionen ist gefährlich, sodass aus der Zeit vor
dem Einsatz von Satelliten (etwa ab 1978) nur spärliche Daten vor-
liegen. Für die Zeit zwischen 1901 und 1995 liegen zwar Diagramme
über die Meereiskonzentration in der nördlichen Hemisphäre vor,
doch können nur die Ränder beobachtet werden und die darüber hin-
ausgehende Abdeckung ist als einheitlich anzunehmen (Rayner et al.
2003). Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass für die Herbst-
und Wintermonate (September bis März) überhaupt keine Daten
vorliegen, sodass die Meereiskonzentration in den Randgebieten auf
Grundlage der Daten aus den Sommermonaten geschätzt werden
muss. Daten über das in der Antarktis vorhandene Meereis wurden
erst ab 1973 mit Beginn der Satellitenbeobachtungen verfügbar. Aus
früheren Jahren liegen nur einige Beobachtungen von Forschungsex-
peditionen vor. Die HADISST-Datenreihe des Hadley Centre greift für
62
Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
die Jahre zwischen 1929 und 1939 auf Daten aus Deutschland zurück
und rechnet auf deren Grundlage zurück bis in das Jahr 1871. Für den
Zeitraum 1947 – 1962 dienen russische Forschungsdaten als Grundla-
ge, Daten für andere Jahre wurden bis zu den ersten Satellitenmessun-
gen durch Interpolation gewonnen.
Für die Erstellung globaler Datensätze wird die SST in der Annah-
me mit den GHCN-Daten für die Erdoberfläche kombiniert, beide zu-
sammen ergeben einen Durchschnittswert für die oberflächennahe
Lufttemperatur. Aufzeichnungen der Meereslufttemperatur (Marine
Air Temperature [MAT] im Gegensatz zur SST) gibt es nur sehr weni-
ge, die zudem durch die im Verlaufe des Jahrhunderts zunehmende
Schiffshöhe beeinträchtigt wurden und daher im Zeitverlauf, außer in
den Fällen, in denen die Messung auf gleicher Höhe erfolgt ist, nicht
streng vergleichbar sind. Die Übereinstimmung zwischen SST- und
Lufttemperaturtrends wurde in einigen wenigen Fällen untersucht.
Christy et. al. (2001) konzentrierten sich dabei auf Standorte, an denen
sie die Luft- und die SST-Messungen an ein und demselben Ort direkt
miteinander vergleichen konnten. Die Untersuchung umfasste von
Schiffen erfasste Daten bezüglich der Meereslufttemperatur sowie Da-
ten von Wettersatelliten, Wetterballons und einer Reihe von Bojen im
tropischen Pazifik. Die Daten aus dem Bojennetz sind dabei besonders
hilfreich, da diese an ein und demselben Ort sowohl die Temperatur
einen Meter unter der Oberfläche als auch drei Meter über der Oberflä-
che messen. Bei allen Vergleichen der SST mit der Lufttemperatur trat
zutage, dass das Meer sich gegenüber der Luft erwärmt hat, was darauf
hindeutet, dass die SST gegenüber den Lufttemperaturtrends zu hoch
angegeben wurde. Darüber hinaus weisen drei der Lufttemperatur-Da-
tensätze (Satellit, Ballon und Reanalyse) darauf hin, dass sich die Mee-
reslufttemperatur direkt über der Meeresoberfläche in den Tropen seit
1979 alle zehn Jahre um durchschnittlich 0,01 bis 0,06 °C abgekühlt
hat, während die SST-Daten auf eine Erwärmung schließen ließen. Die
Autoren berechneten daher die globalen Durchschnittstemperaturen
63
für den Zeitraum von 1979 bis 1999 für Zeiträume, für die Lufttem-
peraturdaten anstelle von SST-Daten vorlagen, neu, woraus sich eine
Reduzierung des globalen Trends um 0,05 °C pro Jahrzehnt ergab.
Messungen der Lufttemperatur per Satellit
Eine Alternative zu Oberflächendaten eröffnete sich, als Spencer und
Christy (1990) neue Klimadatenreihen veröffentlichten, die auf einer
Auswertung von Daten der von der National Oceanographic and At-
mospheric Administration (NOAA) der USA 1979 ins All geschickten
Wettersatelliten Tiros-N geliefert worden waren. Diese Satelliten sind
mit so genannten Microwave Sounding Units (MSU) ausgestattet, die
die von Sauerstoffmolekülen in verschiedenen Schichten der Atmo-
sphäre abgegebene Strahlung messen und so täglich eine nahezu voll-
ständige Übersicht über die gesamte Tropos- und Stratosphäre liefern.
Jede Messung kann dabei stellvertretend für den Gesamtdurchschnitt
der Lufttemperatur betrachtet werden.
Der Vorteil der MSU-Reihe besteht darin, dass Spencer und Chri-
sty durch die Kalibrierung der MSU-Daten gegenüber Messungen der
Lufttemperatur aus einem globalen Radiosondennetz7 in der Lage wa-
ren, die erste auf einer konsistenten Probenmethode beruhende glo-
bale Durchschnittstemperaturreihe für die gesamte Atmosphäre und
vor allem die besonders wichtige Troposphäre vorzulegen. Allerdings
zeigten sich unter anderem auch folgende Nachteile:
7 Bei Radiosonden handelt es sich um auf Wetterballons montierte Thermometer, die aus unterschiedlicher Höhe Temperaturmessdaten an am Boden befindliche Monitore übermitteln. Ein Netzwerk meteorologischer Stationen wird so mit globalen Daten gespeist.
64
Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
> Die Messdatenreihen reichen nur bis 1979 zurück. Auch wenn auf
diesem Wege also inzwischen Messdaten aus den 30 Jahren vorlie-
gen, in denen die Erdoberfläche sich am stärksten erwärmt hat, kön-
nen daraus keine Schlüsse bezüglich der Erwärmungsmuster in der
Mitte des 20. Jahrhunderts gezogen werden.
> An verschiedenen Punkten der Reihen wurden Satelliten ausge-
tauscht, sodass der Trend durch die Messpunktkalibrierung beein-
flusst worden sein kann.
Die Daten von Spencer und Christy werden üblicherweise nach den
Initialen der Universität von Alabama in Huntsville, an der die beiden
Forscher tätig sind, als UAH-Reihe bezeichnet. Ein unabhängiger Al-
gorithmus zur Auswertung der MSU-Daten wurde von dem kaliforni-
schen Forschungsunternehmen Remote Sensing Systems (RSS) entwi-
ckelt (Mears et al 2003). Beide existierenden Versionen ähneln sich au-
ßerhalb der Tropen stark, wohingegen die RSS-Reihen über den Tropen
einen deutlich höheren Trend aufweisen, was mit einem stufenartigen
Anstieg um 1992 zusammenzuhängen scheint, der sich zeitgleich mit
einem Satellitenaustausch ereignete (Christy et al. 2010). Aus den
RSS-Daten lässt sich für die Zeit nach 1993 relativ zu Wetterballonda-
ten (Randall und Herman 2008) und Reanalysedaten8 (Bengtsson und
Hod ges 2010) sowie im Vergleich zu einigen anderen regionalen Da-
tensätzen (Christy et al. 2010) eine Erwärmung ablesen.
Durch das RSS-Team wurde als Problem erkannt, dass es aufgrund
eines Höhenverlustes durch veränderte Satellitenbahnen mit der Zeit zu
verfälschten Abkühlungstrends kommen könnte. Sowohl die UAH- als
8 Reanalysedaten werden auf Grundlage von Wetterprognosen für die nächsten 6 und 12 Stunden gewonnen. Die Wettermodelle werden auf Grundlage von Beobachtungen definiert und liefern vollständige räumliche Daten für unterschiedliche Atmosphäreschichten. Da kurzfristige Prognosen die höchste Zuverlässigkeit aufweisen, stellen diese eine gute Datenquelle zum Vergleich mit direkten Beobachtungen dar.
65
auch die RSS-Forscher haben als Ausgleich für diesen Effekt historische
Korrekturen entwickelt. Nach 2002 begann das UAH-Team mit der Inte-
gration von MSU-Daten aus dem so genannten AQUA-Satellitensystem,
das dank eines eigenen Antriebssystems auf konstanter Höhe gehalten
werden kann. Von RSS werden keine AQUA-Daten verwendet.
Abschließende Bemerkungen
Mein Eindruck der verschiedenen zur Messung des globalen Klima-
wandels zur Verfügung stehenden Datensammlungen ist, dass die
längsten Datenreihen, d. h. die Datenreihen in Bezug auf die Erd- und
die Meeresoberfläche, gravierende Probleme hinsichtlich ihrer Erhe-
bung, Kontinuität und Qualität aufweisen, sodass eine langfristige
Kontinuität der Daten illusorisch ist. Die Schwierigkeiten im Zusam-
menhang mit der Erhebung von Daten für die Erdoberfläche haben
sich in den vergangenen Jahrzehnten ausgeweitet. Ferner kann der
Aussage, der Abgleich der drei globalen Datenreihen untereinander
komme einer Qualitätsprüfung gleich, nicht zugestimmt werden, da
alle auf denselben Archiven basieren und damit eine nur unzurei-
chende Unabhängigkeit aufweisen. Die MSU-Satellitendatenreihe ist
kürzer, verfügt jedoch hinsichtlich von Konsistenz und Vollständigkeit
der Datenerfassung, der Qualität der Geräteausstattung sowie der Va-
lidierung gegenüber unabhängigen Beobachtungsplattformen über
klare Vorteile. Für Zwecke der politischen Entscheidungsfindung halte
ich die MSU-Daten für das am meisten geeignete System.
Vergleich von Modelldaten
Parametrisierungen sind in Modellen unvermeidbar. Daher ist es
umso wichtiger, dass die verschiedenen Klimamodelle zur Beurtei-
lung der Qualität der empirischen Näherungswerte konkreten Daten
gegenübergestellt werden. Einfache eindimensionale Vergleiche der
66
Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
anhand von Modellen generierten globalen Durchschnittstempe-
ratur mit auf Beobachtungen basierenden globalen Durchschnitts-
werten finden sich im 20. Jahrhundert vielfach (z. B. Knutson et al.
2006, CCSP 2008). Der globale Durchschnitt wird jedoch von einem
langsamen und stetigen Aufwärtstrend beherrscht; die Entwicklung
eines Modells, das einen einfachen Aufwärtstrend aufweist, ist nicht
schwierig. Angesichts der großen Zahl widersprüchlicher Hypothe-
sen, die zu einer solchen Form führen können, ist die Feststellung
einer Übereinstimmung zwischen Beobachtungen und Modellen des
globalen Durchschnitts allein als Beweis nicht ausreichend. Knutti
(2008), CCSP (2008, Seite 44), Knutti und Hegerl (2008), Kiehl (2007),
Hegerl et al. (2007, Seite 678), Schwartz et al. (2007) und andere haben
darauf verwiesen, dass der beobachtete globale Durchschnittstrend
gleichermaßen konsistent mit stärkeren und schwächeren Annah-
men bezüglich der Sensitivität gegenüber einer durch Treibhausga-
se verursachten Erwärmung sein kann, wenn er mit ausgleichenden
Annahmen bezüglich einer aerosolbedingten Abkühlung, einer Wär-
meaufnahme durch die Weltmeere oder anderen Mechanismen in
Verbindung gebracht wird. In der Praxis weisen Modelle, die von einer
stärkeren Sensitivität gegenüber Treibhausgasen ausgehen, in einem
Maße eine Tendenz zu einem stärken Ausgleich durch Abkühlungs-
mechanismen auf, das nicht zufällig erscheint (Kiehl 2007).
Die GCM-Auswertung gemäß Kapitel 8 des vierten Berichts des
Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) (Ran-
dall et al. 2007) besteht vorrangig aus statischen Reproduktionstests,
die Aussagen über die Verteilung der Durchschnittstemperatur und
der Niederschlagshöhen ermöglichen, jedoch keine weltweiten Trends
reproduzieren, und a priori-Kontrollen, um festzustellen, ob bekann-
te meteorologische Prozesse in die Modelle Eingang gefunden haben.
Der IPCC weist darauf hin, dass relativ wenige Studien die Frage auf-
geworfen haben, ob die empirische Treue zwischen den Modellsimu-
lationen der Vergangenheit und den dazugehörigen Beobachtungsda-
67
ten die Genauigkeit von Klimatrendprognosen verbessern (Randall et
al. 2007, Seite 594). Daher sind Methoden zur Bewertung der Modelle
entsprechend ihrer Fähigkeit, verschiedene räumliche Trendmuster zu
erfassen, erforderlich. Berk et al. (2001) verwiesen diesbezüglich darauf,
dass nur wenige quantitative Vergleiche von Modellergebnissen und
mit aus Beobachtungen gewonnenen Daten vorlägen, die sich zudem
noch „extrem auf subjektive Bewertungen stützen“ (Berk et al., Seite
126). Die Situation hat sich seit 2001 kaum verändert. Weder die Über-
prüfung der GCM durch das US-amerikanische Climate Change Science
Program (CCSP 2008) noch der jüngste Bericht des IPCC liefern statis-
tische Untersuchungen darüber, wie gut Klimamodelle das räumliche
Temperaturtrendmuster der vergangenen Jahrzehnte reproduzieren.
Stattdessen verlassen sie sich auf subjektive Bewertungen. In Kapitel 9
des IPCC-Berichts (Hegerl et al. 2007) finden sich die Diskussion eines
Diagramms (Abbildung 9.6, Seite 684 – 686) über die durchschnittli-
chen Ergebnisse aus 58 GCM-Simulationen und das besondere Tempe-
raturmuster von Trends an der Erdoberfläche zwischen 1979 und 2005,
wobei Modellsimulationen, die von der Annahme ausgehen, das Klima
würde durch Treibhausgase nicht erwärmt, Modellsimulationen gegen-
übergestellt werden, die auf der Annahme beruhen, dass dies sehr wohl
der Fall sei. In diesem Zusammenhang wird behauptet, letztere An-
nahme passe besser zu den Beobachtungsdaten; ein quantitativer Be-
leg wird jedoch nicht erbracht. Der CCSP-Bericht (2008) enthält einen
visuellen Vergleich hinsichtlich der Übereinstimmung der zwischen
1979 und 2003 beobachteten und den von der GISS in ihrem Modell
ausgearbeiteten Trendmustern. Auch diese Diskussion ist rein quali-
tativ – dem Leser wird noch nicht einmal ein Korrelationskoeffizient,
geschweige denn eine Reihe von Signifikanztests vorgelegt.
Einer der zentralen Tests für die Qualität von GCM ist es, zu prüfen,
ob sie geeignet sind, das Verhalten der riesigen tropischen Region kor-
rekt dazustellen. Die allgemeine atmosphärische Zirkulation entsteht
im Wesentlichen durch die unterschiedlich starke Erwärmung der Erde
68
Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
am Äquator und an den Polen.9 Durch die starke Sonneneinstrahlung
und die damit verbundene Erwärmung am Äquator steigt heiße und
feuchte Luft auf, die sich in der Höhe abkühlt und um etwa 30 Breiten-
grade in Richtung der Pole strömt. Dort sinkt sie wieder ab und strömt
in Bodennähe zurück zum Äquator. Ein Teil der absteigenden Luft wird
abgelenkt und vermischt sich mit einer Luftströmung in Richtung der
Pole, die in verschiedenen, an den Polen endenden Zirkulationen ver-
läuft. Globale Atmosphärenmodelle müssen diese Prozesse auf einer
rotierenden Kugel unter Berücksichtigung geeigneter Verteilungen hin-
sichtlich von Feuchtigkeit, Impuls und Energie abbilden. Im Rahmen
von auf diesen Modellen beruhenden Experimenten wurde regelmäßig
gezeigt, dass die stärkste Erwärmung aufgrund der Konzentrationserhö-
hung von Treibhausgasen in der tropischen Troposphäre erfolgt. Held
und Soden (2000, Seite 464) beschreiben, dass Modelle etwa 60 % der
globalen atmosphärischen Wasserdampfrückkopplung der oberen Tro-
posphäre über den Tropen in einem Gebiet zwischen 30 Grad nördli-
cher Breite und 30 Grad südlicher Breite zuordnen, während nur 40 %
der Rückkopplung auf die übrigen Breiten entfallen.10
Alle Klimamodelle sagen eine außergewöhnlich starke und
schnelle durch Treibhausgase verursachte Erwärmung der Tropo-
sphäre (d. h. in einer Höhe von 1 – 16 km) über den Tropen vorher.
Dieses Phänomen ist in Abbildung 10.7 des Berichts der IPCC-Ar-
beitsgruppe I, die im Internet unter http://www.ipcc.ch/graphics/
ar4-wg1/jpg/fig-10-7.jpg erhältlich ist, dargestellt. Ursprünglich wur-
den vom IPCC zwölf Klimamodellprognosen für den vierten IPCC-
9 Eine einfache schematische Beschreibung der allgemeinen Zirkulation findet sich bei Lockwood (1979), Kapitel 4.
10 Dieses Verhältnis bezieht sich auf die „freie Atmosphäre“ bzw. Troposphäre oberhalb der Grenzschicht (d. h. der unteren 1 – 2 km). 10 % des globalen Effekts schlagen sich in dieser Grenzschicht nieder, sodass sich für die Troposphäre ein Verhältnis von 55 % Tropen und 35 % Nicht-Tropen ergibt.
69
Sachstandsbericht archiviert, die entsprechende Internetseite wurde
zwischenzeitlich jedoch entfernt.11 Diese Modellexperimente folgen
dem A1B-Emissionsszenario, das für die Emissionsentwicklung bis
2100 einen mittleren Pfad beschreitet. Die durchschnittliche globale
Oberflächenerwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts beträgt laut
GISS-Modell etwa 2,3 °C.12 Der troposphärische Durchschnitt liegt mit
5 °C in etwa doppelt so hoch, und das fokale Muster in der tropischen
Troposphäre tritt zu Beginn des Prognosezeitraums auf. Das Muster
war in allen für den IPCC-Bericht von 2007 erstellten 12 Klimamodell-
simulationen klar zu erkennen.
Abbildung 9.113 des IPCC-Berichts von 2007 enthält ferner einen
Modelltest (sogenannter „Hindcast“), in dem modellbasierte Klima-
muster für den Zeitraum von 1890 bis 1999 mit Hilfe historischer
Klimadaten überprüft werden. Hierbei zeigt sich dasselbe Muster, das
von einem bereits in Gang befindlichen starken, gegenüber allen übri-
gen Antrieben vorherrschenden, Erwärmungstrend in der tropischen
Troposphäre ausgeht.
Ein identisches Muster ist auch in einem modellbasierten Modell-
test dargestellt, der die klimatischen Veränderungen zwischen 1958
und 1999 unter der Annahme einer starken THG-Erwärmung simuliert
und für den Bericht des US-amerikanischen Climate Change Science
Program (CCSP 2006) angefertigt wurde; siehe Seite 25, Abbildung 1.3 A
und F, im Internet abrufbar unter http://www.climatescience.gov/Lib-
rary/sap/sap1-1/finalreport/default.htm. Auch in dieser Darstellung ist
die helle Scheibe als Temperaturindikator der tropischen Troposphäre
besonders dominant.
11 Eine unvollständige Archivversion findet sich unter http://web.archive.org/web/20070925231825/http://ipcc-wg1.ucar.edu/wg1/Report/suppl/Ch10/Ch10_indiv-maps.html.
12 Vierter IPCC-Sachstandsbericht (Arbeitsgruppe I), Kapitel 10, Abbildung 10.5
13 Online unter http://www.ipcc.ch/graphics/ar4-wg1/jpg/fig-9-1.jpg
70
Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Quelle: McKitrick, McIntyre und Herman (2010)
Insgesamt betrachtet stimmen alle Modelle darin überein, dass
bereits heute ein Muster einer starken Erwärmung der tropischen Tro-
posphäre zu beobachten sein müsste, wenn die durch THG verursach-
te Erwärmung tatsächlich der vorherrschende, langfristig auf unser
Klima einwirkende Effekt wäre und auch die künftigen Klimaverände-
rungen dominiert. Einig sind sich die Modelle weiterhin darüber, dass
die Erwärmung der oberen Troposphäre in den Tropen stärker als in
der übrigen Troposphäre und in der Höhe stärker als an der Oberfläche
ausfallen wird.
Dessen ungeachtet lässt sich das erwartete Muster für die tropi-
sche Troposphäre in den Daten nicht beobachten. Dies führt zu zwei-
erlei Diskrepanzen:
Abbildung 7Vergleich beobachteter und modellierter Temperaturtrends von 1979 – 2009 in der tropischen Troposphäre
0,30
0,20
0,10
0,00
-0,10
°C Untere Troposphäre Mittlere Troposphäre
Modelle
Modelle
Modelle
BeobachtungenRSS
Satelliten
UAH
Radiosonden
71
> Auf Ebene der unteren und der mittleren Troposphäre über den Tro-
pen sagen die Klimamodelle eine zwei- bis viermal so hohe Erwär-
mung voraus, als zwischen 1979 und 2009 beobachtet wurde (siehe
Abbildung 7). Während bis 1999 laufende frühere Untersuchungen
von Messungen davon ausgingen, dass zwar die Erwärmung in den
Modellen zu hoch prognostiziert würde, Modelle und Beobachtun-
gen jedoch aufgrund breiter Konfidenzintervalle vereinbar seien, ge-
lang es McKitrick et al. (2010) anhand von bis Ende 2009 reichenden
Daten aufzuzeigen, dass die Erwärmung in den Modellen deutlich
zu hoch prognostiziert wird. Zudem ließ sich unter Einsatz zuver-
lässiger parametrischer und nichtparametrischer Tests nachweisen,
dass sich Modelle und Daten bei einem Signifikanzniveau von 99 %
statistisch signifikant voneinander unterscheiden. Grundlage dafür
waren multivariate Vergleiche unter Einbeziehung aller verfügbaren
Klimamodelle sowie der gesamten von Satelliten- und Wetterballons
ermittelten Datensätze.
> In den Modellen wird weiterhin eine stärkere Erwärmung der oberen
Troposphäre als in Oberflächennähe prognostiziert, wobei das Ver-
hältnis der Trends dabei mit etwa 1,4:1 angegeben wird. Christy et al.
(2010) ist jedoch anhand umfassender Beobachtungsdatensätze der
Nachweis gelungen, dass die in den Tropen in der Höhe beobachtete
Erwärmung in Wirklichkeit geringer ausfällt als an der Oberfläche,
wobei das beobachtete Verhältnis mit etwa 0,8 angegeben wird. Die-
ses Ergebnis lässt auf eine deutliche Inkonsistenz zwischen Modellen
und Daten schließen.
Anders ausgedrückt: Für die Tropen prognostizieren alle Modelle in
der Höhe einheitlich eine stärkere Erwärmung und einen stärkeren
Vervielfachungsfaktor, als beobachtet wird.
Dieses Problem wurde im Jahr 2006 vom US Climate Change Sci-
ence Program (CCSP 2006) erkannt. Die Modelle sagen für die tropi-
sche Troposphäre ein vertikales Muster vorher, das den Ergebnissen
72
Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
aus 7 von 8 im Rahmen des CCSP14 untersuchten Vergleichen (der
achte Vergleich ließ keine Schlussfolgerungen zu) widersprach. Ferner
ergab sich aus keiner der verfügbaren troposphärischen Datenreihen
eine statistisch signifikante Erwärmung der Troposphäre. Bezogen auf
die Äquatorregion zwischen dem 20. Grad nördlicher Breite und dem
20. Grad südlicher Breite, enthält der Bericht zusammenfassend fol-
gende Aussage:
Auch wenn die Mehrheit der Beobachtungsdatensätze auf eine an der
Oberfläche gegenüber der Troposphäre höhere Erwärmung schließen
lässt, zeigen einige Beobachtungsdatensätze ein gegenteiliges Verhal-
ten. Nahezu alle Modellsimulationen weisen auf eine stärkere Erwär-
mung in der Troposphäre als an der Oberfläche hin. Diese Diskrepanz
zwischen Modellen und Beobachtungen ist möglicherweise auf Fehler
in allen Modellen, auf Fehler in den Beobachtungsdatensätzen oder
auf eine Kombination der beiden genannten Alternativen zurückzu-
führen. Die zweite Erklärung erscheint plausibler, die Frage ist aller-
dings noch offen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Klimamodelle, die den Treib-
hauseffekt auf die Annahme einer starken positiven Rückkopplung
stützen, unisono einen in der tropischen Troposphäre zu beobachten-
den starken Erwärmungstrend von mindestens 0,2 Grad/Jahrzehnt
prognostizieren. Die Temperaturen in diesem Bereich der Atmosphäre
werden von Wettersatelliten und Wetterballons überwacht. Nachweise
für eine solche Prognose gibt es nicht. Der von der RSS-Satellitenreihe
gezeigte deutliche Erwärmungstrend ist möglicherweise auf eine Ab-
weichung nach oben aufgrund von Schwierigkeiten bei der Satelli-
tenkalibrierung zurückzuführen. Die übrigen Datenreihen (UAH und
14 Siehe Bericht, Seite 111, Abbildung 5.4 G
73
Radiosonden) stimmen in ihren in den meisten Fällen unerheblichen
Trends von 0,1 °C/Jahrzehnt oder weniger überein. Das erwartete ver-
tikale Muster wird nicht beobachtet: die Erwärmung in der Höhe ist
gegenüber der Oberflächenerwärmung nicht erhöht. Insgesamt kön-
nen wir den aktuellen Daten daher entnehmen, dass die CO2-bedingte
Erderwärmung im unteren Bereich der getroffenen Prognosen liegen
dürfte. Daraus folgt, dass sich die auf CO2 zurückzuführenden Umwelt-
schäden sehr wahrscheinlich im unteren Bereich der veröffentlichten
Schätzungen bewegen werden.
Ökonomische Grenzschadenmodelle
Über die von Treibhausgasen verursachten Grenzschäden gibt es
zahlreiche Studien, die auf Grundlage der Annahme berechnet wur-
den, dass die Ergebnisse der Klimamodellprognosen als realistische
Schätzungen akzeptiert werden können. Tol (2005) untersuchte
mehr als 100 dieser Berechnungen. Während hinsichtlich der Metho-
den und Annahmen große Vielfalt herrschte, nahmen alle Studien
einheitlich Klimaprognosen als Grundlage und wiesen den globalen
Auswirkungen von Emissionen bestimmte Dollarwerte zu. Der ein-
zige Unterschied bestand in der Art und Weise der Bewertung dieser
Auswirkungen, die Ergebnisse insgesamt wiesen überraschende Ähn-
lichkeit auf.
Eine starke Modalwertkonzentration zeigte sich zwischen 0 und
10 USD/Tonne Kohlenstoff.15 Der Modus lag bei 2 USD/Tonne Kohlen-
15 An dieser Stelle ist eine begriffliche Klärung erforderlich: Schäden aufgrund von Erwärmung sind auf Kohlendioxid im Gegensatz zu „Kohlenstoff“ (einem Begriff, der Rußpartikel und Aerosole beinhalten kann) zurückzuführen. Emissionen und Kosten werden hingegen für gewöhnlich in Tonnen Kohlenstoff, nicht in Tonnen Kohlendioxid angegeben. Das Verhältnis zwischen Kohlenstoff und Kohlendioxid beträgt 11:3, d. h., eine Tonne Kohlenstoff entspricht 3,67 Tonnen CO2. Eine Steuer in Höhe von 37 USD/Tonne Kohlenstoff entspräche folglich in etwa einer Steuer in Höhe von 10 USD/Tonne Kohlendioxid.
74
Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
stoff, der Median bei 14 USD/Tonne und das arithmetische Mittel bei 93
USD/Tonne (25 USD/Tonne CO2). Tol schloss in seine Untersuchungen
zunächst auch graue Literatur mit Schätzungen bis zu 800 USD/Ton-
ne ein. Bei ausschließlicher Berücksichtigung von Fachliteratur fallen
der Mittelwert auf 43 USD/Tonne und der Modus auf 1,50 USD/Tonne,
wobei Tol die letzte Zahl für eine verlässliche Angabe im Hinblick auf
viele Qualitätsgewichtungskonfigurationen hält. Werden Aufsätze, die
ausschließlich eine Zeitpräferenzrate von unter 3 % anwenden, nicht
berücksichtigt, fällt der Median auf etwa 6 USD/Tonne (Tol, 2005, Abbil-
dung 5). Die Hälfte der in der Fachliteratur veröffentlichten Studien, die
auf eine konventionelle Diskontierung zurückgreifen, setzt die Kosten
damit auf 6 USD/Tonne oder weniger fest.
2007 legte Tol eine aktualisierte Untersuchung vor, in der mehr
als 200 Studien über die gesellschaftlichen Kosten von CO2-Emissio-
nen (in Kohlenstoffäquivalenten) berücksichtigt wurden. Die durch-
schnittliche Schätzung der Grenzschäden aller Studien aus Fachli-
teratur und grauer Literatur gleichermaßen lag bei 127 USD/Tonne
Kohlenstoff (35 USD/Tonne CO2). Bei den Fachstudien beliefen sich
das Mittel bzw. der Modus auf 71 bzw. 20 USD/Tonne. Die Studien, die
eine reine Zeitpräferenz von 3 % anwendeten, kamen zu einem Mittel
von 24 USD/Tonne und einem Modus von 14 USD/Tonne. Tol stellte
weiterhin fest, dass der durchschnittlich geschätzte Schaden mit der
Zeit abgenommen hat und der Mittelwert der nach 2001 durchge-
führten Studien weniger als die Hälfte der vor 1996 veröffentlichen
Studien beträgt.
Selbst wenn wir also die grundlegende Unsicherheit bezüglich der
Auswirkungen von CO2 auf das Klima ignorieren, besteht nur wenig
Unsicherheit hinsichtlich der Grenzschäden von Kohlenstoff. Die ge-
sellschaftlichen Kosten von Kohlenstoff auf globaler Ebene liegen mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unter 50 USD/Tonne
und vermutlich sogar unter 20 USD/Tonne. Ein Preis von circa 15 USD/
Tonne Kohlenstoff (rund 4 USD/Tonne CO2) wäre somit angesichts der
75
aktuellen Schadenschätzungen ein vernünftiger Ausgangspunkt für
eine Kohlenstoffsteuer, sofern CO2 tatsächlich ursächlich für die glo-
bale Erwärmung verantwortlich ist.
Zusammenfassung der Herausforderungen
Nehmen wir die aktuellen Klimamodelle für bare Münze, können wir
eine niedrige Kohlenstoffsteuer auf der Grundlage rechtfertigen, dass
die Emissionen dadurch nur unwesentlich gesenkt werden könnten
und die Steuer stattdessen einzig der Internalisierung externer Kos-
ten dienen würde. Angesichts dessen, dass die Emissionen kaum ge-
senkt würden, könnte man berechtigterweise die Frage stellen, wozu
eine solche Steuer überhaupt erforderlich sein sollte. Es herrscht noch
immer die Angst, dass das Problem der globalen Erwärmung zu einer
Beschleunigung der Schäden in der Zukunft führen oder unerwartet
gravierende Folgen haben könnte, die heute noch nicht vorhergesehen
werden können. Diese Möglichkeit ist der Grund für die anhaltenden
Rufe nach einer deutlichen Reduzierung der Emissionen. Da es sich je-
doch um nicht mehr als eine Vermutung handelt, die noch dazu von
den aktuell vorliegenden Daten nicht gestützt wird, bildet diese Be-
gründung keine überzeugende Grundlage für die hohen Kosten einer
groß angelegten Reduzierung der CO2-Emissionen.
All das bedeutet nicht, dass in den nächsten Jahren nicht mög-
licherweise neue Informationen in Form besserer Klimadaten oder
neuer technologischer Innovationen vorliegen werden, die für eine
Reduzierung der Emissionen sprechen. Aus diesem Grund ist ein po-
litischer Mechanismus erforderlich, der neue Informationen automa-
tisch berücksichtigt, sobald diese verfügbar sind, und die Klimapolitik
je nachdem verschärft oder lockert. Die aktuelle Politik ergeht sich in
wiederholten Ankündigungen von weit in der Zukunft liegenden fes-
ten Emissionszielen. Abgesehen davon, dass solche Ziele selten einge-
halten werden, besteht das Problem dabei darin, dass die Ankündigung
76
Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
eines festen Ziels für einen Zeitpunkt in zehn oder zwanzig Jahren da-
von ausgeht, dass wir in der Zwischenzeit keine neuen Erkenntnisse
gewinnen, die für die Festlegung des optimalen politischen Weges rele-
vant wären. Das ist jedoch nicht zutreffend. Denn einer Sache können
wir trotz aller klimatischer Unsicherheiten sicher sein: Es gibt viel zu
lernen und in den kommenden Monaten und Jahren werden mit Si-
cherheit relevante neue Informationen verfügbar sein.
Abschließend möchte ich mich nun noch mit der Frage beschäfti-
gen, inwiefern die Aussicht auf neue Informationen bei der Festlegung
der Klimapolitik berücksichtigt werden sollte. 77
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
4.
Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise Integrierte Bewertungsmodelle und pseudooptimale Lösungen
Dem Problem der dynamischen Unsicherheit bei der Gestaltung der
Klimapolitik wurde mit vielerlei Lösungsansätzen beizukommen ver-
sucht.16 Der Ansatz eines integrierten Bewertungsmodelles (Integra-
ted Assessment Model, IAM) nach Nordhaus et al. (2007) geht von der
Kenntnis von zentralen Parametern in den Funktionen zur Beschrei-
bung von Wirtschaft und Klima aus, auf deren Grundlage eine sanfte
politische „Rampe“ in Form einer im Zeitverlauf ansteigenden Besteu-
erung von CO2-Emissionen eingerichtet werden solle. Diese Lösung
kann nur unter der Annahme korrekter Modellparameter als optimal
gelten, die jedoch starken Unsicherheiten unterworfen sind. Die sug-
gerierte politische Rampe ist daher dahingehend nur pseudooptimal,
dass sie nur unter strengen Annahmen bezüglich zentraler funktiona-
ler Formen und Parameter gültig ist, die bei Einführung einer solchen
Politik keinen Prüfungen unterzogen werden.
16 Dieser Abschnitt greift auf in McKitrick (2010b) vorgestellte Materialien zurück.
79
Bayes’sche Lernmodelle
Kelly und Kolstad (1999) sowie Leach (2007) näherten sich dem Pro-
blem auf andere Weise, indem sie die Möglichkeit der Beobachtung
der Reaktion des Klimas auf politische Maßnahmen untersuchten
und die aus dieser Untersuchung gewonnenen Informationen in eine
Bayes’sche Lernroutine einfügten. Ziel des Analysemodells des poli-
tischen Systems ist es, genügend Informationen zu sammeln, um
den politischen Entscheidungsträgern die Möglichkeit zu bieten, die
Hypothese, dass die richtige Politik verfolgt wird, mit 95-prozentiger
statistischer Sicherheit zu überprüfen. In Anwendung auf den Klima-
wandel fanden sie heraus, dass bereits die Unsicherheit bezüglich ei-
nes oder zweier zentraler struktureller Parameter ausreicht, um die
Ermittlung eines als optimal erwarteten Politikpfades um Hunderte
von Jahren zu verzögern. Leach (2007) legte ein demjenigen von Nord-
haus ähnliches Modell vor, in dem die politischen Entscheidungsträ-
ger alle neuen Informationen hinsichtlich der Reaktionen des Klimas
auf politisch motivierte Emissionsveränderungen nutzen. Die gestell-
te Frage lautete, wie lange es (unter Annahme verschiedener Voraus-
setzungen) dauern würde, bis genügend Informationen vorlägen, um
mit 95-prozentiger Signifikanz eine falsche Nullhypothese über die
Bedeutung des zugrundeliegenden Problems zu widerlegen. Unterlie-
gen nur zwei Modellparameter Unsicherheiten, variiert die Lernzeit
je nach Emissionszunahme im Basisfall von mehreren Hundert bis
mehreren Tausend Jahren.
Eine erweiterte Version des Modells, die eine einfache Produk-
tionsfunktion und eine zeitübergreifende Kapitalanlagestruktur
modelliert, führt nicht nur zu einer in Jahrhunderten gemessenen
Lernzeit, selbst wenn die meisten Modellparameter als bekannt vor-
ausgesetzt werden und nur entsprechend den verschiedenen Klima-
datensätzen variieren, sondern sogar dazu, dass der eingeschlagene
politische Weg nie das richtige Ziel erreicht.
80
Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Dieses Ergebnis mag übermäßig pessimistisch erscheinen, da die
politischen Entscheidungsträger Jahrhunderte warten müssen, um he-
rauszufinden, ob der eingeschlagene Weg der richtige war. Die Antwort
kommt zu spät, um relevant zu sein. Jedoch verhält es sich nicht so,
dass das IAM oder der pseudooptimale Ansatz besser wären. Der wahre
Unterschied besteht darin, dass der Bayes’sche Ansatz zumindest die
Möglichkeit bietet, irgendwann zu erkennen, ob der eingeschlagene
Weg falsch ist, was bei Verwendung des IAM nicht möglich ist.
Versicherung und Fat Tails
Martin L. Weitzman (2009) näherte sich dem Problem der Wahl ei-
ner Politik gegen die globale Erwärmung, indem er versuchte, einen
Preis für einen Versicherungsvertrag festzulegen, wenn eine ernst zu
nehmende Wahrscheinlichkeit extremer Schäden besteht. Unter be-
stimmten Bedingungen ist es unmöglich, einen begrenzten Wert für
einen Vollversicherungsvertrag festzulegen. Das Modell von Weitzman
beruht auf einer Reihe spezifischer Annahmen, von denen einige recht
konventionell sind und andere nicht. Eine übliche Annahme lautet,
dass die Möglichkeit einer unendlichen (positiven oder negativen) Kli-
masensitivität besteht oder dass die Möglichkeit eines extremen Kli-
mawandels (zwanzig Grad oder mehr) zwar gering ist, jedoch, gleich
in welchem Umfang, nicht vollständig ausgeschlossen werden kann.
Darüber hinaus beinhaltet die Theorie beispielsweise Annahmen da-
rüber, wie Veränderungen der Temperatur die Einkommen beeinflus-
sen. Beruhend auf diesem Aufbau führt Weitzman eine Finanzanalyse
durch, um daraus die Kosten für eine vollständige Absicherung gegen
das Risiko einer Klimakatastrophe abzuleiten. Das Ergebnis deckt sich
zufällig mit einer Gleichung aus der mathematischen Statistik, der so
genannten momenterzeugenden Funktion einer Verteilung t. Statisti-
sche Lehrbücher warnen, dass diese Gleichung zu keinem endlichen
Ergebnis führe. Weitzman interpretiert dies so, als sei das Ergebnis un-
81
endlich, was bedeutet, dass die heutige Gesellschaft bereit sein sollte,
ihr gesamtes aktuelles Einkommen darauf zu verwenden, sich gegen
eine möglicherweise in der Zukunft eintretende Katastrophe zu ver-
sichern. Um diese unrealistische Konsequenz zu umgehen, muss die
Verteilung der möglichen Klimasensitivitätswerte im Rahmen dieses
Modells als begrenzt angenommen bzw. davon ausgegangen werden,
dass sie „Thin Tails“ aufweist. Weitzman gibt jedoch zu bedenken, dass
das bedeute, dass die optimale Versicherungspolitik von Annahmen
bezüglich der Verteilung möglicher Klimaänderungen in Regionen
abhängig sei, für die zu wenige Beobachtungen vorliegen, um siche-
re Aussagen treffen zu können. So wie die Dinge derzeit liegen, ver-
ordnet das „Dismal Theorem“ von Weitzman weniger eine unendlich
hohe Versicherungsprämie, sondern verweist vielmehr darauf, dass
die Kosten-Nutzen-Analyse laut IAM nur pseudooptimal ist und sich
unter den annahmegemäß ausgeschlossenen Unsicherheiten auch
diejenigen befinden, die für eine Versicherungslösung gegen extreme
Ereignisse sprechen.
Der zustandsabhängige Ansatz
Angesichts des Scheiterns früherer Methoden im Hinblick darauf, eine
plausible Lösung für das Problem der langfristigen Preisfestsetzung
für THG-Emissionen zu finden, habe ich einen neuen Ansatz vorge-
schlagen, der anstelle einer statischen langfristigen Emissionsbegren-
zung die Entwicklung einer dynamischen Preisgestaltung vorsieht.
Im Rahmen des üblichen ökonomischen Modells (gemäß Abschnitt 2
oben) werden aktuelle Schäden als direkte Folge aktueller Emissionen
betrachtet:
82
Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
In Bezug auf THG gestaltet sich die Situation angesichts zweier
weiterer Komplexitäten jedoch anders: Emissionen können verzögerte
Auswirkungen haben und die Dauer der Verzögerung ist möglicher-
weise unbekannt. Wir müssen uns also nicht nur um die unmittelba-
ren Folgen aktueller Emissionen Gedanken machen, sondern auch um
ihre möglichen zukünftigen Folgen. Anders betrachtet erleben wir ak-
tuell nicht nur die Folgen der heutigen Emissionen, sondern auch von
Emissionen, die weit in der Vergangenheit entstanden sind.
Erschwerend kommt hinzu, dass Emissionen Schäden nicht direkt
verursachen, sondern Einfluss auf bestimmte Umweltaspekte (wie die
durchschnittliche Lufttemperatur) nehmen, die dann wiederum Schä-
den verursachen. CO2-Emissionen sind an und für sich nicht schäd-
lich. Mögliche Schäden entstehen aus der Veränderung des Klimazu-
stands. Mit anderen Worten: Emissionen beeinflussen eine messbare
Zustandsvariable und Veränderungen der Zustandsvariablen verur-
sachen Schäden. Oben stehende Darstellung muss demnach wie folgt
angepasst werden.
AktuelleEmissionen
Aktuelle undvergangeneEmissionen
Zustands-variable
Aktuelle Schäden
AktuelleSchäden
83
Der Einfluss aktueller und vergangener Emissionen auf die Zu-
standsvariable ist komplex und von Unsicherheit geprägt. Dieser
Umstand erschwert nicht nur die Entscheidung darüber, wie aktuelle
Emissionen preislich zu behandeln sind, sondern führt uns zudem vor
Augen, dass die Zustandsvariable Informationen über die zeitlichen
Folgen von Emissionen beinhaltet, die zur Verringerung der Unsicher-
heit herangezogen werden können.
Angenommen, CO2-Emissionen werden in Höhe eines veränderli-
chen Betrages besteuert und dieser Betrag ist an Bewegungen einer be-
obachtbaren Zustandsvariablen, z. B. eine Messung der Lufttemperatur,
gekoppelt. Wenn aktuelle und vergangene Emissionen nahezu keine
Auswirkungen auf die Zustandsvariable haben, bleibt der Emissions-
preis unverändert. Zeigen sich hingegen starke Auswirkungen und eine
steigende Temperatur, so steigt auch der Emissionspreis. In McKitrick
(2010b) habe ich aufgezeigt, dass es möglich ist, mithilfe einer einfa-
chen Formel, die sich obige Beobachtungen hinsichtlich von Zustands-
variablen und Emissionsdaten zunutze macht, der auf der zeitüber-
greifenden Grenzschadenfunktion beruhenden, nicht beobachtbaren
optimalen dynamischen Emissionssteuer sehr nahe zu kommen. Diese
Formel für eine zustandsabhängige Steuer t lautet:
Dabei bezeichnen y eine Konstante, e die aktuellen Emissionen, e
den gleitenden Durchschnitt aus aktuellen und vergangenen Emissio-
nen (wobei so weit in die Vergangenheit zurückgegangen werden kann,
wie eine Beeinflussung des aktuellen Zustands durch die Emissionen
angenommen wird) und s die aktuelle Beobachtung der Zustandsva-
riablen. In diesem Ansatz ist y frei wählbar, sodass der Steuersatz t bei
einem dem politischen Entscheidungsträger aktuell sinnvoll erschei-
t = y x – x see
84
Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
nenden Wert beginnt. Anschließend wird die Entwicklung der Steuer
vorrangig durch die Entwicklung von s gesteuert.
Um den aktuellen Wert der Emissionssteuer zu berechnen, sind
einzig Daten bezüglich aktueller und vergangener Emissionen sowie
der aktuelle Wert der Zustandsvariablen erforderlich. Im Falle von THG
stehen Emissionsdaten auf nationaler und globaler Ebene fertig zur
Verfügung. Europäische Daten sind über Eurostat (http://epp.euro-
stat.ec.europa.eu), Daten für alle übrigen Länder (mit einigen Jahren
Rückstand) über das US-amerikanische Oak Ridge National Lab (Mar-
land et al. 2010; im Internet abrufbar unter http://cdiac.ornl.gov/
trends/emis/tre_regn.html) erhältlich.
Bei der Wahl der Zustandsvariablen s sind das zugrunde liegende
wissenschaftliche Vorgehen sowie die verschiedenen Qualitätsproble-
me klimatischer Daten zu berücksichtigen. Wie oben in Abschnitt 3
aufgezeigt wurde, weisen die Daten für die Erd- und Meeresoberfläche
ernsthafte Qualitätsprobleme auf, sodass es nicht angeraten ist, sie für
politische Zwecke heranzuziehen. Satellitensysteme, vor allem dieje-
nigen, die sich zur Beibehaltung einer konstanten Höhe des AMSU-
Systems bedienen, bieten verlässlichere Messergebnisse bezüglich der
Lufttemperaturen. Zur Ermittlung einer passenden Zustandsvariablen
lege ich die Verwendung der mittleren Temperatur in der unteren bzw.
mittleren tropischen Troposphäre nahe, da es sich bei dieser um einen
kontinuierlich überwachten Indikator handelt, der gegenüber Treib-
hausgasen eine besondere Sensitivität aufzuweisen scheint.
Da zur Ermittlung der Steuer t keine Informationen bezüglich der
Vermeidungskosten verwendet werden, mag es so erscheinen, als kön-
ne es sich nicht um ein umfassendes politisches Modell handeln. Bei
den aus integrierten Bewertungsmodellen abgeleiteten steuerlichen
Entscheidungen handelt es sich um Lösungen für ein zweiseitiges
Optimierungsproblem, bei denen zeitübergreifende Schäden gegen
zeitübergreifende Vermeidungskosten aufgerechnet werden. Dabei
darf jedoch nicht vergessen werden, dass die oben genannte Formel
85
keinen politischen Weg vorschreibt, sondern eine Regel beinhaltet,
die Steuersatz und Umweltzustand aneinander bindet. Die tatsächli-
che Höhe der Steuer im Zeitlauf wird durch die Entwicklung der Zu-
standsvariablen bestimmt. Die Höhe der Vermeidung wird daraufhin
von den Emittenten festgelegt, die entsprechend ihren aktuellen und
künftigen Grenzvermeidungskosten auf die aktuellen und erwarteten
künftigen Steuersätze reagieren. Verfügen die Unternehmen über va-
riables Kapital, werden sie auf Emissionssteuersätze ähnlich reagieren
wie auf alle anderen veränderlichen Kosten. Ist das Kapital gebunden
und nimmt der Aufbau neuen Kapitals viel Zeit in Anspruch, werden
Unternehmen Prognosen hinsichtlich der künftigen Höhe des Steuer-
satzes erstellen müssen, die wiederum von den künftigen Werten der
Temperaturvariablen abhängig sind. Die Einführung der zustandsab-
hängigen Emissionssteuer schafft damit einen Markt für genaue Pro-
gnosen der Umweltzustandsvariablen. Ein derartiger Markt existiert
derzeit nicht, da verschiedene Parteien einen Nutzen darin zu sehen
scheinen, die Prognosen bezüglich der globalen Erwärmung je nach
der Politik, die sie beeinflussen wollen, bzw. je nach Aufmerksamkeit,
die sie für ihre Arbeit erhalten möchten, über- bzw. unterzubewerten.
Unternehmen jedoch, die versuchen, den konkreten künftigen Steu-
ersatz zu prognostizieren, haben nichts davon, dafür auf unzutreffen-
de Prognosen zurückzugreifen, sondern sind ganz im Gegenteil be-
sonders daran interessiert, möglichst genaue Prognosen für die künf-
tige Entwicklung von s zugrundezulegen. Dieser Markt wird schlechte
Klimamodelle auf diese Weise aussondern und den Weg für genauere
Klimamodelle frei machen.
86
Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Quelle: McKitrick (2010d)
Ein interessantes Merkmal der zustandsabhängigen Steuer ist ihre
potenzielle Fähigkeit, bei einer breiten Interessengemeinschaft auf
Zuspruch zu stoßen. Menschen mit widersprüchlichen Annahmen
hinsichtlich der künftigen Entwicklung der Zustandsvariablen werden
nichtsdestoweniger alle erwarten, dass der von ihnen bevorzugte po-
litische Weg verfolgt wird. Diejenigen, die der Ansicht sind, dass Emis-
sionen keine Auswirkungen auf das Klima haben, werden in Zukunft
überwiegend niedrige Emissionssteuern erwarten, diejenigen, die Kli-
maveränderungen in starkem Maße auf Emissionen zurückführen,
werden eher von einer schnell steigenden Steuer ausgehen. Die Tatsa-
che, dass jeder mit dem von ihm bevorzugten Ergebnis rechnet, kann
die Zustimmung zur Einführung einer Steuer erleichtern. Eine der Her-
ausforderungen der Klimapolitik besteht darin, auf globaler Ebene eine
Abbildung 8Wert der zustandsabhängigen Steuer auf Treibhausgasemissionen seit 1979
40
20
0
–20
–40
1980 1990 2000 2010
Emis
sion
sste
uer
USD
pro
Ton
ne
Steuer Durchschnittlicher 3-Jahres-Steuersatz
87
Einigung zu erzielen. Verschiedene Regionen haben verschiedene An-
sichten über die Dringlichkeit des Problems sowie seiner Auswirkungen
auf ihre jeweiligen volkswirtschaftlichen Prioritäten, was eine Einigung
über die Emissionsziele ebenso wie die Einhaltung früherer Vereinba-
rungen praktisch unmöglich macht. Einfacher könnte es hingegen sein,
politische Entscheidungsträger auf der ganzen Welt dazu zu bringen,
sich auf eine zustandsabhängige Steuer zu einigen. Die Steuereinkünf-
te würden in den einzelnen Ländern verbleiben und das Ungleichge-
wicht zwischen den verschiedenen Nationen verringern. Während der
Verhandlungen gäbe es für Länder mit konträren Ansichten hinsicht-
lich der wahrscheinlichen künftigen Temperaturentwicklung, keinen
Grund, auch bezüglich der Frage, ob die Steuer erstrebenswert ist oder
nicht, konträre Ansichten zu vertreten, da jede Partei im Endeffekt das
erhielte, was sie für das „richtige“ Ergebnis erachtet.
Wie hätte eine solche Steuer ausgesehen, wenn sie früher einge-
führt worden wäre? In McKitrick (2010b) habe ich zur Berechnung hy-
pothetischer Werte für eine an die mittlere Temperatur der tropischen
Troposphäre gekoppelte Kohlenstoffsteuer sowohl auf UAH- als auch
auf RSS-Daten sowie auf globale CO2-Emissionsreihen zurückgegriffen.
Das Ergebnis für den Zeitraum zwischen 1979 und 2009 ist in Abbil-
dung 8 dargestellt. Der Wert für y ist so gewählt, dass der Steuersatz für
das Jahr 2002 – also etwa den Zeitpunkt der Ratifizierung des Kyoto-
Protokolls – bei 15 USD/Tonne Kohlenstoff liegt. Die Entwicklung der
Steuer zeigt einen Aufwärtstrend von etwa fünf Dollar pro Jahrzehnt,
was knapp unter dem von Nordhaus ermittelten Wert von etwa acht
Dollar pro Jahrzehnt liegt. Der Unterschied gegenüber dem Ansatz von
Nordhaus, der eine Verpflichtung zu einer bestimmten Preisentwick-
lung für viele Jahrzehnte enthält, besteht darin, dass der zustandsab-
hängige Ansatz einzig eine Verpflichtung dahingehend erfordert, jähr-
lich oder, falls gewünscht, monatlich einen neuen Satz festzulegen.
Steigen die Temperaturen schneller als erwartet, steigt auch die Steuer;
steigt die Temperatur langsam, so gilt dies auch für die Steuer.
88
Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Zwischen dem zustandsabhängigen Ansatz zur Emissionspreisge-
staltung und den in der Währungspolitik angewandten Mechanismen
besteht eine gewisse Ähnlichkeit. Die Zentralbanken gehen keine lang-
fristigen Verpflichtungen zur Festlegung von Zinssätzen oder bezüg-
lich des Geldmengenwachstums ein. Stattdessen verpflichten sie sich
zur Einhaltung allgemeiner Regeln, die die aktuellen wirtschaftlichen
Bedingungen in aktuelle Werte dieser politischen Ziele übertragen.
Mit einer Verpflichtung der Zentralbanken zu auf zehn oder zwanzig
Jahre festgelegten Zinssätzen wäre niemand einverstanden, da in der
Zukunft neue Informationen auftauchen werden, die Einfluss auf die
Wahl des jeweils geeigneten Zinssatzes nehmen. Ebenso ist es für die
Politik unsinnig, langfristige Verpflichtungen bezüglich der CO2-Emis-
sionspreise einzugehen, da auch hier in der Zukunft neue Informatio-
nen über die Auswirkungen von Treibhausgasen und die Entwicklung
der Lufttemperaturen zur Verfügung stehen werden. Heute Pläne zu
machen, die davon ausgehen, dass wir in Zukunft nichts darüber er-
fahren werden, ob diese Pläne geeignet sind oder nicht, ist ganz ein-
fach unrealistisch.
Die Anwendung eines zustandsabhängigen Preisgestaltungsin-
struments bedeutet nicht, dass Emissionen mit einem bestimmten
Preis belegt werden, nachdem der Schaden bereits erfolgt ist. Unter-
nehmen sind zukunftsgerichtet. Ihre Investitionspläne werden im-
mer auf möglichst genauen Prognosen bezüglich der Auswirkungen
von Emissionen auf den künftigen Klimawandel beruhen. Mit der Zeit
werden diese Prognosen weiter verbessert und aktualisiert. Unterneh-
men, die die künftige Entwicklung einer Emissionssteuer unterschät-
zen, werden gegenüber Unternehmen, die ihre Planung auf genauen
Prognosen aufgebaut haben, einen Wettbewerbsnachteil erfahren. Die
Entwicklung der Emissionssteuer zu über- oder unterschätzen, wird
keinen Vorteil bringen. Die optimale Strategie für Unternehmen wird
daher darin bestehen, korrekte Schätzungen anzustellen. Steht uns
eine Zeit der schnellen, treibhausgasbedingten Klimaerwärmung be-
89
vor und sind wir in der Lage, verlässlich vorherzusagen, dass uns eine
solche Zeit bevorsteht, wird die Industrie wissen, dass mit einem stark
steigenden Emissionspreis zu rechnen ist. Das wiederum wird zu ei-
ner Reduzierung der Emissionen und zu Investitionen in Technologien
führen, durch die tiefere Emissionseinschnitte verkraftbar sind. Kann
der Nachweis dafür, dass uns eine solche Klimaerwärmung bevorsteht,
hingegen nicht glaubhaft erbracht werden, investieren Unternehmen
nur geringfügig in Vermeidungsoptionen und warten ab, bis bessere
Informationen vorliegen. Das sind die richtigen Antworten auf die dy-
namischen Unsicherheiten, denen die Welt heute gegenübersteht. 90
Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
5.
SchlussfolgerungenEs gibt vermutlich keinen anderen politischen Bereich, in den über die
vergangenen zwanzig Jahre so viele Anstrengungen und so viele Res-
sourcen investiert wurden und der so konsequent gescheitert ist wie
die Klimapolitik. Ich bin der Ansicht, dass dies darauf zurückzuführen
ist, dass die Klimapolitik seit langem auf einer falschen ökonomischen
Grundlage steht. Schlecht durchdachte Politik führt immer zum Schei-
tern. Um zufriedenstellende Fortschritte bei der Ausarbeitung einer
erfolgreichen Klimapolitik erzielen zu können, ist daher ein grundle-
gendes Umdenken erforderlich.
Ich habe in diesem Beitrag zunächst die meines Erachtens beste-
henden vier grundlegenden Mängel der aktuellen Klimapolitik darge-
legt. Zunächst erkannten weder die Bürokratie noch die Politik, dass es
sich beim Treibhausgas CO2 um einen Sonderfall handelt, der insbeson-
dere nicht mit Schwefeldioxid- (SO2) oder Fluorchlorkohlenwasserstoff-
Emissionen (FCKW) vergleichbar ist. In den beiden genannten Fällen ist
es den Parteien auf dem Verhandlungswege gelungen, sich auf Strate-
gien zu verständigen, da die Gefahren offenkundiger und die Lösungen
wirtschaftlich deutlich günstiger waren. Die Verhandlungsmechanis-
men und politischen Initiativen, die in diesen Fällen Wirksamkeit be-
wiesen, wurden einfach auf die CO2-Problematik übertragen, für welche
sie jedoch ungeeignet und weitestgehend nutzlos sind.
Zweitens ist es der Politik nicht gelungen, mit dem Anstieg der
Grenzvermeidungskostenkurve (GVK) angemessen umzugehen, d. h.
zu verstehen, in welchem Maße die Kosten für die Vermeidungsopti-
onen bei Ausweitung der Ziele zur Emissionsreduzierung steigen, was
91
in direktem Zusammenhang mit dem oben genannten ersten Punkt
steht. Das führt dazu, dass politische Ziele verfolgt werden, die ohne
höhere Kosten, als die Öffentlichkeit zu akzeptieren bereit ist, nicht er-
reicht werden können. Nun verhält es sich aber so, dass politische Maß-
nahmen, die moderat genug sind, um finanzierbar zu sein, angesichts
der aktuell existierenden Technologien solch geringe Auswirkungen
auf das Klima zeitigen, dass sie nutzlos sind. Politische Maßnahmen,
die streng genug wären, um die allgemein vorgebrachten Ziele zur Re-
duzierung der Emissionen zu erreichen, würden deutlich höhere Kos-
ten verursachen, als die Öffentlichkeit zu tragen bereit ist, und auch
deutlich höhere Kosten, als die Politiker, die diesen Weg verfechten,
sich vor Augen zu führen scheinen. Das starre Festhalten an der Illu-
sion, Subventionen und Vorschriften könnte eine erfolgreiche „grüne
Ökonomie“ hervorbringen, hat einzig und allein dazu geführt, die Kos-
ten der Klimapolitik in die Höhe zu treiben – bedeutende Fortschritte
im Umweltschutz wurden dadurch nicht erzielt.
Drittens zeigt eine ökonomische Analyse, dass die Politik zur Re-
duzierung der Treibhausgase Emissionen mit Kosten belegen und kei-
ne Emissionsgrenzen festsetzen sollte. Alle bisherigen größeren glo-
balen Initiativen, einschließlich des Kyoto-Protokolls und ähnlicher
Instrumente, legten ihren Fokus jedoch auf Mengenbegrenzungen
oder, was noch schlimmer ist, auf indirekte regulatorische Maßnah-
men dahingehend, das Energieverbrauchsverhalten zu verändern.
Eine solche Politik ist kostenintensiv, intrusiv und häufig nutzlos. Die
einzig große Herausforderung dahingehend, die globale Klimapolitik
auf eine vernünftige Grundlage zu stellen, liegt also darin, die Diskus-
sion in Richtung auf Preismechanismen umzulenken. Diese Heraus-
forderung ist von grundlegender Bedeutung, wenn in den nächsten
zwanzig Jahren die teuren Fehler der vergangenen zwanzig Jahre ver-
mieden werden sollen.
Schließlich ergibt sich für die Politik aus den großen Unsicher-
heiten, den langen Planungshorizonten sowie der Erwartung, dass in
92
Schlussfolgerungen
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
den kommenden Jahren einschlägige neue Informationen über das
Ausmaß der Umweltschädigung durch Treibhausgasemissionen und
die Kosten zu deren Vermeidung vorliegen werden, die Notwendigkeit,
sich primär auf zustandsabhängige (bzw. anpassungsfähige) Preisrege-
lungen anstatt auf starre, langfristige Verpflichtungen zur Emissions-
begrenzung zu konzentrieren.
93
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
LiteraturBengtsson, Lennart und Kevin Hodges (2010): On the evaluation of temperature trends in the tropical troposphere | Climate Dynamics DOI 10.1007/s00382-009-0680-y
Berk, Richard A., Robert G. Fovell, Frederic Schoenberg und Robert E. Weiss (2001): The use of statistical tools for evaluating computer simulations | Climatic Change 51, S. 119 – 130
Brohan, P., Kennedy, J., Harris, I., Tett, S.F.B. und Jones, P.D. (2006): Uncertainty estimates in regional and global observed temperature changes: a new dataset from 1850 | J. Geophys | Res. 111, D12106, doi:10.1029/2005JD006548
CCSP (2008): Climate Models: An Assessment of Strengths and Limitations | A Report by the U.S. Climate Change Science Program and the Subcommittee on Global Change Research [Bader D.C., C. Covey, W.J. Gutowski Jr., I.M. Held, K.E. Kunkel, R.L. Miller, R.T. Tokmakian und M.H. Zhang (Verf.)] | Department of Energy, Office of Biological and Environmental Research, Washington, D.C., USA, S. 124 ff
Christy, J.R., Herman, B., Pielke, R., Sr., Klotzbach, P., McNider, R.T., Hnilo, J.J., Spencer, R.W., Chase, T. und Douglass, D. (2010): What Do Observational Datasets Say about Modeled Tropospheric Temperature Trends since 1979? Remote Sens. 2010, 2, S. 2148 – 2169
Christy, John R., David E. Parker, Simon J. Brown, Ian Macadam, Martin Stendel und William B. Norris (2001): Differential Trends in Tropical Sea Surface and Atmospheric Temperatures since 1979 | Geophysical Research Letters 28(1), S. 183 – 186
D. Diakoulaki, M. Mandaraka (2007): Decomposition analysis for assessing the progress in decoupling industrial growth from CO2 emissions in the EU manufacturing sector |Energy Economics 29 (2007), S. 636 – 664
Dinan, T.M. und D.L. Rogers (2002): Distributional effects of carbon allowance trading: how government decisions determine winners and losers | National Tax Journal LV (2002), S. 199 – 222
Ellerman, A. Danny und Paul L. Joskow (2008): The European Union’s Emission Trading System in Perspective | Arlington: Pew Center on Global Climate Change, Mai 2008
95
Essex, Chris (1991): What Do Climate Models Teach Us about Global Warming? Pure and Applied Geophysics 135(1), S. 125 – 133
Folland, C.K. und D.E. Parker (1995): Correction of Instrumental Biases in Historical Sea Surface Temperature Data | Quarterly Journal of the Royal Meteorological Society (1995) 121, S. 319 – 367
Ghali, K.H. und M.I.T. El-Sakka (2004): Energy use and output growth in Canada: a multivariate cointegration analysis | Energy Economics 26, S. 225 – 238
Hegerl, G.C., F. W. Zwiers, P. Braconnot, N.P. Gillett, Y. Luo, J.A. Marengo Orsini, N. Nicholls, J.E. Penner und P.A. Stott, (2007): Understanding and Attributing Climate Change | In: Climate Change 2007: The Physical Science Basis | Contribution of Working Group I to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Solomon, S., D. Qin, M. Manning, Z. Chen, M. Marquis, K.B. Averyt, M. Tignor und H.L. Miller (Hrsg.)] | Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA
Held, I. und B. J. Soden (2000): Water Vapor Feedback and Global Warming | Annual Review of Energy and Environment 25, S. 441 – 75
Houghton, J. (1997): Global Warming: The Complete Briefing 2. Ausgabe Cambridge: CUP, S. 15
Jones, P.D. und A. Moberg (2003): Hemispheric and Large-Scale Surface Air Temperature Variations: An Extensive Revision and an Update to 2001 | Journal of Climate 16, S. 203 – 223
Jones, P.D., M. New, D. E. Parker, S. Martin und I. G. Rigor (1999): Surface air temperature and its changes over the past 150 years | Reviews of Geophysics 37, S. 173 – 199
Jorgenson, D.W., D.T. Slesnick, P.J. Wilcoxen, P.L. Joskow, R. Kopp (1992): Carbon Taxes and Economic Welfare. Brookings Papers on Economics Activity | Microeconomics. Vol. 1992, S. 393 – 454
Kelly, D. L. und C. D. Kolstad (1999): Bayesian learning, growth, and pollution | Journal of Economic Dynamics and Control 23, Nr. 4, S. 491 – 518
Kent, E.,C. S.D. Woodruff und D.I. Berry (2007): Metadata from WMO Publication No. 47 and an Assessment of Voluntary Observing Ship Observations in ICAODS | Journal of Atmospheric and Ocean Technology 24 DOI: 10.1175/JTECH1949.1
96
Literatur
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Kiehl, J.T. (2007): Twentieth century climate model response and climate sensitivity | Geophysical Research Letters 34 L22710, doi:10.1029/2007GL031383, 2007
Knutson, T. R.; Delworth, T. L.; Dixon, K. W.; Held, I. M.; Lu, J.; Ramaswamy, V.; Schwarzkopf, M. D.; Stenchikov, G.; Stouffer, R. J (2006): Assessment of Twentieth-Century Regional Surface Temperature Trends Using the GFDL CM2 Coupled Models | Journal of Climate 19, S. 1624 – 1651
Knutti, R. (2008): Why are climate models reproducing the observed global surface warming so well? | Geophysical Research Letters 35, L18704, doi:10.1029/2008GL034932, 2008
Knutti, R. und G. Hegerl (2008): The equilibrium sensitivity of the Earth’s temperature to radiation changes | Nature Geoscience doi: 10.1038/ngeo337, S. 735 – 743
Leach, A. J. (2007): The climate change learning curve | Journal of Economic Dynamics and Control 31, Nr. 5, S. 1728 – 1752
Lockwood, John G. (1979): Causes of Climate | New York: John Wiley
Marland, G., T.A. Boden, R. J. Andres, A. L. Brenkert und C. Johnston. (2010): Global, Regional, and National CO2 Emissions | In Trends: A Compendium of Data on Global Change | Carbon Dioxide Information Analysis Center, Oak Ridge National Laboratory, U.S. Department of Energy, Oak Ridge, Tenn., USA | http://cdiac.esd.ornl.gov/trends/emis/em_cont.htm
McKitrick, Ross R. (2010a): Economic Analysis of Environmental Policy | Toronto: University of Toronto Press
McKitrick, Ross R. (2010b): A Simple State-Contingent Pricing Rule for Complex Intertemporal Externalities Energy Economics doi:10.1016/ j.eneco.2010.06.013
McKitrick, Ross R. (2010c): Atmospheric Oscillations do not Explain the Temperature-Industrialization Correlation | Statistics, Politics and Policy, Band 1, Juli 2010
McKitrick, Ross R. (2010d): A Critical Review of Global Surface Temperature Data Products; SSRN Working Paper 1653928, August 2010
McKitrick, Ross R. und Nicolas Nierenberg (2010): Socioeconomic Signals in Climate Data | Journal of Economic and Social Measurement, angenommen
97
McKitrick, Ross R., Stephen McIntyre und Chad Herman (2010): Panel and Multivariate Methods for Tests of Trend Equivalence in Climate Data Sets | Atmospheric Science Letters DOI: 10.1002/asl.290
Nordhaus, William D. (2007): To Tax or Not to Tax: Alternative Approaches to Slowing Global Warming | Rev Environ Econ Policy 1, Nr. 1 (1. Januar): S. 26 – 44 | doi:10.1093/reep/rem008
Ontario Power Authority (2007): Ontario’s Integrated Power System Plan | Addendum to Discussion Paper 7” Toronto: mimeo
Parry, I.W.H. (2003): Fiscal Interactions and the Case for Carbon Taxes over Grandfathered Carbon Permits | Resources for the Future Discussion Paper, S. 3 – 46
Parry, I.W.H. (2004): Are Emission Permits Regressive? | Journal of Environmental Economics and Management 47 (2004), S. 364 – 387
Peterson T.C. und R.S. Vose (1997): An Overview of the Global Historical Climatology Network Temperature Database | Bulletin of the American Meteorological Society 78, S. 2837 – 2849
Peterson, Thomas C., Russell Vose, Richard Schmoyer und Vyachesvslav Razuavev (1998): Global Historical Climatology Network (GHCN) Quality Control of Monthly Temperature Data | International Journal of Climatology 18, S. 1169 – 1179
Randall, D.A., R.A. Wood, S. Bony, R. Colman, T. Fichefet, J. Fyfe, V. Kattsov, A. Pitman, J. Shukla, J. Srinivasan, R.J. Stouffer, A. Sumi und K.E. Taylor (2007): Climate Models and Their Evaluation | In: Climate Change 2007: The Physical Science Basis | Contribution of Working Group I to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Solomon, S., D. Qin, M. Manning, Z. Chen, M. Marquis, K.B. Averyt, M.Tignor und H.L. Miller (Hrsg.)] | Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA
Randall, Robb M. und Benjamin M. Herman (2008): Using limited time period trends as a means to determine attribution of discrepancies in microwave sounding unit-derived tropospheric temperature time series | Journal of Geophysical Research 113 (5. März): D05105. doi:10.1029/2007JD008864
98
Literatur
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Rayner, N. A., D. E. Parker, E. B. Horton, C. K. Folland, L. V. Alexander, D. P. Rowell, E. C. Kent und A. Kaplan (2003): Global analyses of sea surface temperature, sea ice, and night marine air temperature since the late nineteenth century | Journal of Geophysical Research, 108(D14), S. 4407 | doi:10.1029/2002JD002670
Rayner, N.A., P. Brohan, D.E. Parker, C.K. Folland, J.J. Kennedy, M. Vanicek, T.J. Ansell und S.F.B. Tett (2006): Improved Analyses of Changes and Uncertainties in Sea Surface Temperature Measured In Situ since the Mid-Nineteenth Century: The HadSST2 Dataset Journal of Climate 19, S. 446 – 469
Reynolds, Richard W., Thomas C. Peterson und Jay Lawrimore (2008): Improvements to NOAA’s Historical Merged Land-Ocean Surface Temperature Analysis (1880 – 2006) | Journal of Climate DOI: 10.1175/2007JCLI2100.1
Schmalensee, Richard; Paul L. Joskow; A. Denny Ellerman; Juan Pablo Montero; Elizabeth M. Bailey (1998): An Interim Evaluation of Sulfur Dioxide Emissions Trading | The Journal of Economic Perspectives, Bd. 12, Nr. 3 (Sommer 1998), S. 53 – 68
Schwartz, Stephen E., R.J. Charlson und H. Rodhe (2007): Quantifying climate change – too rosy a picture? | Nature reports climate change 2, S. 23 – 24
Spencer, R.W. und J.C. Christy (1990): Precise Monitoring of Global Temperature Trends from Satellites. Science 247, S. 1558 – 1562
Stern, D.I. (2000): A multivariate cointegration analysis of the role of energy in the US macroeconomy | Energy Economics 22, S. 267 – 283
Thompson, David W. J., John J. Kennedy, John M. Wallace und Phil D. Jones (2008): A large discontinuity in the mid-twentieth century in observed global-mean surface temperature Nature Bd. 453, 29. Mai 2008, doi:10.1038/nature06982
Tol, R.S.J. (2005): The marginal damage costs of carbon dioxide emissions: an assessment of the uncertainties | Energy Policy 33, Nr. 16, S. 2064 – 2074
Tol, R.S.J. (2007): The Social Costs of Carbon: Trends, Outliers and Catastrophes | Economics Discussion Paper 2007-44 www.economics-ejournal.org, September 2007
Vose, R. S., R. L. Schmoyer, P. M. Steurer, T. C. Peterson, R. Heim, T. R. Karl und J. Eischeid (1992): The Global Historical Climatology Network: Long-term monthly temperature, precipitation, sea level pressure, and station pressure data | ORNL/CDIAC-53, NDP-041, S. 325 ff
99
Weitzman, Martin L. (1974): Prices vs. Quantities | The Review of Economic Studies 41(4), S. 477 – 491
Weitzman, Martin L. (2009): On Modeling and Interpreting the Economics of Catastrophic Climate Change Review of Economics and Statistics 91(1), S. 1 – 19
Wigley, T.M.L. (1998): The Kyoto Protocol: CO2, CH4 and climate implications | Geophysical Research Letters 25(13), S. 2285 – 2288
Woodruff, S.D., H.F. Diaz, S.J. Worley, R.W. Reynolds und S.J. Lubker, (2005): Early ship observational data and ICOADS | Climatic Change, 73, S. 169 – 194
Woodruff, S.D., H.F. Diaz, E.C. Kent, R.W. Reynolds und S.J. Worley (2008): The evolving SST record from ICOADS. In: Climate Variability and Extremes during the Past 100 Years [S. Brönnimann, J. Luterbacher, T. Ewen, H.F. Diaz, R.S. Stolarski und U. Neu (Hrsg.)] | Advances in Global Change Research, Bd. 33, Springer, S. 65 – 83 (DOI: 10.1007/978-1-4020-6766-2_4)
100
Literatur
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
1.
Einleitung
Die sogenannte Klimaerwärmung ist seit geraumer Zeit eines der
weltweit meistdiskutierten Themen. Unter Klimaerwärmung wird
allgemein die Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur ver-
standen. In der Tat ist die Durchschnittstemperatur der Erde im Laufe
der vergangenen hundert Jahre um etwa 0,8 Grad Celsius angestiegen
(IPCC 2008). Ein guter Teil dieses Anstiegs vollzog sich in den beiden
letzten Dekaden des vergangenen Jahrhunderts.
Für die Klimaerwärmung mit verantwortlich gemacht wird der
anthropogen bedingte Ausstoß von Treibhausgasen, allen voran von
Kohlendioxid (CO2). Dieses Treibhausgas entsteht größtenteils durch
die Verbrennung von fossilen Brennstoffen. In welchem Ausmaß dies
zur Klimaerwärmung beiträgt, ist nach wie vor umstritten, ebenso
wie die Stärke der Bedrohung durch den damit einhergehenden soge-
nannten Klimawandel. So umfasst das Spektrum der Positionen zum
Klimawandel sowohl Einschätzungen, nach denen der Beitrag des an-
thropogen generierten CO2 zur globalen Erwärmung vernachlässig-
bar klein und unbedeutend ist (Lüdecke 2008:163), als auch Aussagen,
dass die globale Erwärmung größere Schäden anrichtet als irgendein
Krieg dies vermag (Stiglitz 2006:1). Damit einhergehen könnten bei-
spielsweise ein substantieller Anstieg des Meeresspiegels, eine Zu-
nahme der Häufigkeit und der Intensität von Stürmen oder auch die
Ausdehnung von Wüsten.
Ohne dass eine Einmischung in diese Diskussion erforderlich
wäre, beschäftigt sich der vorliegende Beitrag mit der Effektivität und
105
der Kosteneffizienz der Klimaschutzpolitik der Europäischen Kommis-
sion, die sich weitgehend auf die Verringerung des Treibhausgasaus-
stoßes konzentriert, bislang vor allem auf die Verringerung von CO2,
während Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel, wie etwa
die Verstärkung und Erhöhung von Deichen zum Schutz vor einem
Anstieg des Meeresspiegels, eher im Hintergrund stehen.
Der folgende Abschnitt 2 erläutert die treibende Rolle, welche die
Europäische Kommission beim Zustandekommen des unter dem Na-
men Kyoto-Protokoll weltbekannten internationalen Klimaschutzab-
kommens gespielt hat und die sie mit der Bekanntgabe eines unkondi-
tionierten und ambitionierten Treibhausgasminderungsziels für das
Jahr 2020 noch deutlich untermauert hat. Dabei ist das Ziel unabhän-
gig davon, ob andere bedeutende Emittentenländer wie China oder die
USA ebenfalls Minderungsanstrengungen unternehmen. Die bishe-
rigen Treibhausgasreduktionsbemühungen der Europäischen Union
(EU) und ihrer Mitgliedstaaten werden daher in Abschnitt 2 mit denen
anderer führender Industrie- und Schwellenländer verglichen.
Abschnitt 3 erläutert die kontraproduktiven internationalen Rück-
wirkungen der ambitionierten, aber einseitigen Bemühungen der
Kommission zur Treibhausgasminderung. Der vierte Abschnitt stellt
die Frage nach der Kosteneffizienz der einseitigen EU-Politik, an der
sich aus vielfältigen Gründen zweifeln lässt. Abschnitt 5 erläutert die
Gründe dafür, dass die Chancen für das Zustandekommen eines glo-
balen Klimaabkommens zur Treibhausgasminderung schlecht stehen,
obwohl ein solches höchst wünschenswert wäre, da Teilkooperationen
oder gar Alleingänge eher nutzlos verpuffen, wenn nicht gar kontra-
produktiv sind.
Abschnitt 6 diskutiert aussichtsreichere Politikalternativen zur
Auferlegung von Emissionsrestriktionen, bei denen die einzelnen
Länder in erster Linie selbst von den zu ergreifenden Maßnahmen
profitieren und daher ein hohes Eigeninteresse an deren Umsetzung
haben. So hätte ein weltweites Abkommen über eine sukzessive Er-
106
Einleitung
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
höhung der Ausgaben für die Forschung und Entwicklung (F&E) von
Energieumwandlungs- und -speichertechnologien, mit dem man zwar
nicht unmittelbar, aber doch innerhalb einiger Jahrzehnte Treibhaus-
gasminderungen erzielen könnte, eine realistische Chance auf ein Zu-
standekommen.
Abschnitt 7 setzt sich mit den Vorteilen von Maßnahmen zur An-
passung an die globale Erwärmung auseinander, zu denen unter an-
derem die gezielte Preisgabe von Land gehören könnte sowie die Um-
siedelung der Bevölkerung in weniger gefährdete Landstriche. Einer
Strategie zur Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen kommt ins-
besondere deshalb eine hohe Bedeutung zu, weil Anstrengungen zur
globalen Emissionsminderung letztendlich wenig Aussicht auf Erfolg
haben dürften. Der abschließende Abschnitt präsentiert ein Fazit zur
eingeschlagenen Klimapolitikstrategie der Kommission und schlägt
als Schlussfolgerung einen gravierenden Strategiewechsel vor.
107
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
2.
Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungs-politik der EU
Seit Beginn der 1990er Jahre hat sich die Europäische Kommission − im
Folgenden kurz (EU-)Kommission genannt − aktiv für Maßnahmen zur
Minderung von Treibhausgasen auf internationaler Ebene eingesetzt
(Abbildung 1). Bei der Ratifizierung und Implementierung des Kyoto-
Protokolls übernahm die Kommission sogar eine führende Rolle: Ohne
explizite und vergleichsweise hohe Minderungsziele seitens der EU
wäre das Kyoto-Protokoll wohl kaum 1997 verabschiedet worden und
ohne das strategische Geschick der Kommission wäre nach der US-ame-
rikanischen Ablehnung des Protokolls im Jahr 2001 der Kyoto-Prozess
vermutlich gescheitert (Böhringer 2010:60). Erst mit der Ratifizierung
des Kyoto-Protokolls durch Russland, dem Land, dem als Zünglein an
der Waage die besondere diplomatische Aufmerksamkeit sowie zahlrei-
che Zugeständnisse der Kommission zuteil wurden (Requate 2010:1),
konnte das Protokoll als völkerrechtlich bindender Vertrag 2005 in
Kraft treten. Sanktionen bei Nichteinhaltung der im Protokoll verein-
barten Ziele sind damit allerdings nicht verbunden.
109
Mit der Ratifizierung des Kyoto-Protokolls hat sich die EU ver-
pflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Treibhausgasausstoß der Jahre
2008 – 2012 im Schnitt um 8 % niedriger liegt als im Jahr 1990. Zur Er-
reichung dieses für die gesamte EU geltenden Ziels wurde mit dem so-
genannten EU-Burden-Sharing-Agreement von 1998 festgelegt, welche
Lasten die einzelnen Mitgliedstaaten zu schultern haben. Mit dem Ziel,
die Treib hausgasemissionen um 21 % gegenüber 1990 zu verringern
(Abbil dung 2), trägt Deutschland mit Abstand die höchste Minderungs-
last: Die Reduktionsverpflichtung Deutschlands macht rund drei Viertel
der im Kyoto-Protokoll festgelegten Minderungsleistung der EU aus.
Mit einer Verringerung der Treibhausgasemissionen um 6,5 % ge-
genüber 1990 waren die EU-15-Staaten im Jahr 2008 ihrem Kyoto-Ziel
einer Minderung um 8 % nahe, auch wenn sich bei einigen Ländern
Abbildung 1Wichtige Eckpunkte der Klimapolitik seit 1990
110
Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungspolitik der EU
1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010
Klimarahmenkonvention der vereinten Nationenbeschlossen und von derUSA ratifiziert
Berliner Mandat fordert Emissionsziele für dieIndustriestaaten
Die USA lehnen eine Umsetzung des Kyoto-Protokolls ab
Kyoto-Protokoll wird beschlossen
Das Kyoto-Protokoll tritt in Kraft
Russland ratifiziert das Kyoto-Protokoll
Klimakonferenzin Kopenhagen
Aktionsplan von Bali: parallele Verhandlungen, Kyoto-Protokoll und Klimarahmenkonvention
Klimakonferenzin Cancún
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
wie Dänemark, Österreich, Luxemburg, Italien oder Spanien erhebli-
che Schwierigkeiten bei der Zielerreichung andeuten (Abbildung 2).
Andere Mitgliedsländer wie Frankreich, Schweden, das Vereinigte Kö-
nigreich oder Deutschland haben hingegen ihre Minderungsziele be-
reits erreicht.
Die Einhaltung der eigenen Kyoto-Verpflichtungen stellt selbstre-
dend eine Grundvoraussetzung für die Glaubwürdigkeit der einseiti-
gen und ambitionierten Minderungsziele dar, die sich die Kommission
für das Jahr 2020 gesetzt hat. So wurde im Energie- und Klimapaket
der Kommission Anfang 2009 festgelegt, die EU-weiten Treibhausgas-
emissionen bis zum Jahr 2020 um mindestens 20 % gegenüber dem
Niveau von 1990 zu senken − bei vergleichbaren Anstrengungen be-
deutender anderer Industrienationen ist sogar ein Minderungsziel
von 30 % vorgesehen. Damit hat die Europäische Union endgültig die
Vorreiterrolle bei der Bekämpfung des Treibhausgasausstoßes über-
nommen. Andere Staaten haben sich keine derartig anspruchsvollen
Ziele für die Zeit nach der Kyoto-Erfüllungsperiode von 2008 – 2012
gesetzt, für die es bislang kein dem Kyoto-Protokoll vergleichbares in-
ternationales Klimaschutzabkommen gibt.
Zur besseren Einschätzung des Klimaschutzehrgeizes der Kom-
mission sollte bedacht werden, dass die bisherigen Minderungserfol-
ge weniger einer stringenten Politik, sondern zu erheblichen Teilen
einmaligen historischen Ereignissen zu verdanken sind. Dazu zählen
der wirtschaftliche Zusammenbruch der ehemaligen Ostblockstaa-
ten infolge politischer Umwälzungen, die ökonomische Erneuerung
der ostdeutschen Länder nach der deutschen Wiedervereinigung so-
wie die tiefgreifende Rezession nach der Banken- und Finanzmarkt-
krise am Ende der ersten Dekade dieses Jahrtausends. Laut einer
2009 vom Europäischen Parlament in Auftrag gegebenen Studie ist
lediglich etwa die Hälfte der Emissionsminderungen in der EU seit
1990 auf einschlägige umweltpolitische Maßnahmen zurückzufüh-
ren (Böhringer 2010:63).
111
Abbildung 2EU-Burdensharing und Veränderung des Treibhausgasausstoßes von 1990 – 2008
EU-BurdensharingVeränderung des Treibhausgasausstoßes
Spanien
Portugal
Irland
Griechenland
Österreich
Italien
Finnland
Niederlande
Luxembourg
Frankreich
EU (EU-15)
Belgien
Dänemark
Schweden
Großbritannien
Deutschland
–30% –20% –10% 0% 10% 20% 30% 40% 50%
27 %
32,3 %
– 6,5 %4,7 %
4 %– 11,7 %
– 6,1 %0 %
25 %
22,8 %
– 6 %– 2,4 %
– 21 %
– 22,2 %
– 7,5 %
– 7,1 %
13 %
23 %
– 0,3 %0 %
– 12,5 %
– 18,5 %
– 8 %
– 6,5 %
15 %
42,3 %
– 13 %10,8 %
– 21 %– 7,3 %
– 28 %– 4,8 %
112
Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungspolitik der EU
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
Darüber hinaus darf die Kommission nicht darüber hinwegsehen,
dass neben einigen europäischen Ländern zahlreiche andere Industrie-
länder, die das Kyoto-Protokoll unterzeichnet und gar ratifiziert haben,
von ihren Kyoto-Zielen sehr weit entfernt sind (Abbildung 3). So ist
Australien mit einer Emissionssteigerung um 38 % zwischen 1990 und
2008 unerreichbar weit von seinem Kyoto-Ziel entfernt. In den USA,
Kanada und Japan sind die Emissionen ebenfalls angestiegen, wohin-
gegen die Kyoto-Verpflichtungen dieser Länder Emissionssenkungen
vorsehen, die kaum mehr erreichbar scheinen, vor allem für Kanada.
Bereits eine Umkehr der bislang steigenden Emissionstrends wäre für
diese Länder als ein Erfolg anzusehen, an eine Einhaltung der Kyoto-
Ziele ist hingegen kaum zu denken.
Quelle Abbildung 2: UNFCCC (2010) | GHG Total Emissions including LULUCF (land-use, land-use change and forestry) | United Nations Framework Convention on Climate ChangeQuelle Abbildungen 3/4: Cerina (2010) | Weltweite CO2-Emissionen: Länderranking 2009
Abbildung 3Veränderung des CO2-Ausstoßes bedeutender Emittenten von 1990 – 2009
Kyoto-ZieleVeränderungen der aktuellen Emissionen (2009) zum Basisjahr (1990)
China
Indien
Australien
Alle Länder
Kanada
USA
Japan
EU (EU-15)
Deutschland
–50% 0% 50% 100% 150% 200% 250%
0 %202,9 %
0 %144,2 %
8 %38 %
– 5,2 %27,1 %
– 6 %24,9 %
– 7 %9 %
– 6 %3,9 %
– 8 %– 3,2 %
– 21 %– 22,5 %
113
Dies dürfte zusammen mit den substantiellen Kosten, die für
den Klimaschutz aufzubringen sind, wesentlicher Grund dafür gewe-
sen sein, dass selbst Staaten wie Kanada, die durch das Kyoto-Proto-
koll vertraglich gebunden sind, davon Abstand nehmen (Böhringer,
Rutherford 2010). Dies ist wohl auch auf das Fehlen von wirksamen
Sanktionen zurückzuführen (Böhringer 2010:60). Insgesamt sind die
weltweiten CO2-Emissionen trotz der erfolgreichen Minderungsan-
strengungen der Europäischen Union zwischen 1990 und 2008 um
rund 37 % gestiegen (Abbildung 3), anstatt um 5,2 % zu sinken, wie im
Kyoto-Protokoll vorgesehen ist.
Allem Eifer der Kommission sind aber nicht zuletzt auch da-
durch Grenzen gesetzt, dass der Anteil der EU-15 an den weltweiten
CO2-Emissionen relativ gering ist und im Jahr 2008 knapp 12 % be-
trug (Abbildung 4). Ohne ein Mitwirken Chinas und der USA, der bei-
den bedeutendsten Emittentenländer, deren Anteile an den globalen
CO2-Emissionen 2008 bei 21,4 % und 19,1 % lagen, können die globalen
Emissionen in keinem Fall gesenkt werden, wie die Vergangenheit klar
gezeigt hat.
114
Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungspolitik der EU
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
Abbildung 4CO2-Emissionen der bedeutendsten Emittentenländer im Jahr 2009
Alle Länder
China
USA
EU (EU-15)
Russland
Indien
Japan
Deutschland
Südkorea
Kanada
Saudi Arabien
Iran
Großbritannien
Südafrika
Mexiko
Italien
Brasilien
Frankreich
Indonesien
Australien
Spanien
Ukraine
0 5.000 10.000 15.000 20.000 25.000 30.000 35.000
7.426
1.529
606
463
403
3.381
797
544
438
385
5.951
1.225
544
441
390
1.534
664
531
415
342
279
31.098
115
Tatsächlich lautet die unbequeme Wahrheit, dass der Treibhausgas-
minderung in der Europäischen Union im globalen Kontext lediglich
eine sehr untergeordnete Bedeutung zukommt (Böhringer 2010:56).
So haben sich die CO2-Emissionen in China zwischen 1990 und 2009
mehr als verdreifacht (Abbildung 3) und stiegen von 2,45 auf 7,43 Mrd.
Tonnen, wohingegen die CO2-Emissionen der EU-15-Staaten um 3,2 %
gesunken sind (Abbildung 3), von 3,49 auf 3,38 Mrd. Tonnen (Cerina
2010). Der Minderung der EU-15-Staaten um 0,11 Mrd. Tonnen stand so-
mit ein Zuwachs an Emissionen in China von knapp 5 Mrd. Tonnen ge-
genüber. Auch im Vergleich zu den zu erwartenden Emissionsanstiegen
in Entwicklungs- und Schwellenländern wie China, Russland oder Indi-
en wird die Emissionsentwicklung in der EU oder anderen Industrie-
ländern weiterhin eine untergeordnete Rolle spielen, wie die folgende
Abbildung 5 zeigt.
Würde der CO2-Ausstoß in den OECD-Ländern bis 2050 tatsäch-
lich um 83 % gesenkt werden, wie es der nach den US-Kongressab-
geordneten Waxman und Markey benannte Plan vorsieht, könnte
der künftige Anstieg der globalen Emissionen allenfalls moderat
gedämpft werden, wie Abbildung 5 zeigt. Der Emissionspfad ohne
Minderungen der OECD-Länder, wie sie der Waxman-Markey-Plan
vorsieht, entspricht dabei dem wirtschaftsorientierten A1-Szenario
des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC 2010), das
eine zunehmende Globalisierung unterstellt. Gemäß dem A1-Szena-
rio dreht sich der Trend zu höheren weltweiten Emissionen erst im
Jahr 2070 um. Hauptursache dafür ist der unterstellte Rückgang der
Weltbevölkerung.
Kurzum: Selbst wenn die EU zusammen mit allen anderen OECD-
Ländern ihre CO2-Emissionen im Laufe der nächsten Jahrzehnte auf
Null zurückführen würde, hätte dies auf den globalen CO2-Ausstoß le-
diglich eine sehr beschränkte Wirkung. Im Klartext: Ohne drastische
Einschränkungen der künftigen Pro-Kopf-Emissionen in den prospe-
rierenden Schwellenländern, welche bislang noch relativ niedrig aus-
116
Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungspolitik der EU
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
fallen, ist der Anstieg der weltweiten Emissionen in Zukunft kaum zu
dämpfen, geschweige denn, dass der globale Treibhausgasausstoß ge-
genüber dem heutigen Niveau gesenkt werden kann.
Quelle: Authors Calculations and IPCC (2001) | Special Report on Emissions Scenarios, Intergovernmental Panel on Climate Change.
Abbildung 5Künftiger CO2-Ausstoß im A1-Szenario des IPCC (2010) und bei Umsetzung des Waxman-Markey-Plans
80
70
60
50
40
30
20
10
0
1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050 2060 2070 2080 2090
Mrd
. Ton
nen
CO2
(Gt C
O 2)
Globale Emissionen A1 IPCC Globale Emissionsreduktionen Waxman-MarkeyOECD-1990 Emissionen A1 IPCC OECD-1990 Emissionsreduktionen Waxman-Markey
117
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
3.
Kontraproduktive internationale Rückwirkungen
Die einseitigen Bemühungen der Kommission zur Treibhausgasminde-
rung können nicht zuletzt auch deshalb wenig zur Dämpfung des welt-
weiten Emissionsanstiegs beitragen, weil sie kontraproduktive interna-
tionale Rückwirkungen haben können (Böhringer 2010:58). So könnten
Länder ihre Minderungsanstrengungen nach den Erkenntnissen der
umweltökonomischen Literatur zurücknehmen, wenn sich eine Nation
oder eine Staatengemeinschaft wie die Europäische Union weithin er-
kennbar und mit hoher Glaubwürdigkeit auf verstärkte Anstrengungen
zur Emissionsvermeidung festlegt (Beirat BMF 2010:14).
Denn: Je stärker eine Staatengemeinschaft wie die EU zur Dämp-
fung des Anstiegs oder gar Senkung der weltweiten Emissionen bei-
trägt, desto kleiner werden die Vorteile eines anderen Staates aus
dessen eigenen Minderungsanstrengungen (Beirat BMF 2010:16). In
anderen Worten: Der Grenznutzen der Vermeidungsmaßnahmen der
übrigen Staaten nimmt mit den zunehmenden EU-Bemühungen ab.
Bei sinkendem Grenznutzen ist es folglich für die Nicht-EU-Staaten
reizvoll, ihre eigenen Anstrengungen infolge der EU-Ambitionen ein-
zuschränken.
Andere Länder profitieren daher in doppelter Hinsicht von den
Anstrengungen der EU. Zum einen steigt deren Wohlfahrt in unmit-
telbarer Weise durch die verstärkten Emissionsminderungen der EU-
119
Länder, falls diese überhaupt einen positiven Effekt auf das Weltklima
haben. Zum anderen sinken infolge der verstärkten Vermeidungsan-
strengungen der EU die Klimaschutzkosten der übrigen Staaten, wenn
diese ihre Emissionsminderungsmaßnahmen entsprechend zurück-
schrauben.
Kurzum: Die Änderung in ihrem Kosten-Nutzen-Kalkül führt
dazu, dass die Nicht-EU-Länder ihre Treibhausgasminderungspolitik
tendenziell weniger restriktiv bzw. ambitioniert ausgestalten könn-
ten als ohne die EU-Anstrengungen, sodass die Nicht-EU-Länder ihre
Treibhausgasvermeidungskosten reduzieren könnten (Hoel 1991,
Warr 1993). Die Wirkung der Selbstverpflichtung, die sich die Kom-
mission durch die Verkündung des 20-%-Ziels auferlegt hat, besteht
somit in einer als Crowding-Out bezeichneten Verdrängung der Ver-
meidungsanstrengungen anderer Länder. Unter sehr plausiblen An-
nahmen kann dies zu einem teilweisen oder gar nahezu gänzlichen
Ausgleich der durch die EU bewirkten Emissionsreduktionen führen
(Beirat BMF 2010:14).
Wenn folglich die Kommission eine einseitige Selbstverpflich-
tung zu hohen Emissionsminderungen eingeht, mag sie darauf hof-
fen, damit ein positives Beispiel zu setzen, dem andere Länder folgen.
In einer realen Welt, in der die Emissionen aller Länder durch deren
individuelles Kosten-Nutzen-Kalkül bestimmt sind, ist dies jedoch
eine fromme Hoffnung (Beirat BMF 2010:14). Es besteht vielmehr die
große Gefahr, dass andere Länder durch die starke Vorreiterrolle der
EU nicht mehr, sondern weniger Anstrengungen zur Verringerung der
globalen Emissionen unternehmen werden. Die kurzfristigen Wohl-
fahrtswirkungen einer solchen Vorreiterpolitik sind eindeutig: Die
Wohlfahrt in der sich selbst verpflichtenden EU sinkt, während sich
die Wohlfahrt aller anderen Länder – zumindest auf kurze Sicht – er-
höht (Beirat BMF 2010:14).
Bei einer unilateralen Minderungspolitik der EU kommt es insbe-
sondere zu Verlagerungen der Emissionen in Länder ohne Emissions-
120
Kontraproduktive internationale Rückwirkungen
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
beschränkungen (Hoel 1991, Felder, Rutherford 1993), ein Effekt, der
unter dem Begriff Emissions oder Carbon Leakage bekannt ist. Darun-
ter versteht man das Phänomen, dass die einseitige Belastung der ener-
gieintensiven europäischen Industrie zu Erhöhungen der Emissionen
in Länder außerhalb der EU führen, in denen keine vergleichbaren Kli-
maschutzkosten anfallen. Dadurch stehen den Emissionssenkungen in
Europa erhöhte Emissionen im Nicht-EU-Ausland gegenüber (Oliveira-
Martins et al. 1992).
Dafür gibt es drei Gründe: Erstens kann es zu Standortverlagerun-
gen umwelt- und energieintensiver Industrien ins Nicht-EU-Ausland
kommen. Kritiker halten dem entgegen, dass Umweltregulierung nur
einer von vielen Standortfaktoren wäre, räumen die Möglichkeit der
Standortverlagerung jedoch ein (Hentrich, Matschoss 2006:51). Zwei-
tens können Importe umweltintensiver Güter die Produktion in Euro-
pa verdrängen. Dies dürfte nach den Ergebnissen einer empirischen
Studie von Demailly und Quirion (2006) beispielsweise bei Zement
in nicht unerheblichem Maße der Fall sein. Drittens könnte ein sub-
stantieller Nachfragerückgang in Ländern mit starken Emissionsmin-
derungen zu weltweit geringeren Energiepreisen führen, sodass post-
wendend die Nachfrage nach fossilen Energierohstoffen in den übri-
gen Ländern steigt (Böhringer 2010:58).
Um diese kontraproduktiven Rückwirkungen abzuschwächen,
kann es sinnvoll sein, energie- und handelsintensive Industrien
weniger stark zu belasten, konstatieren Böhringer und Schwager
(2003:213), so wie dies etwa im Zusammenhang mit der Erhebung der
Stromsteuer in Deutschland bislang geschieht. Auch die Kommission
hat die Relevanz des Leakage-Effekts erkannt und wird die Unterneh-
men der handels- und zugleich energieintensiven Industriesektoren
von der Verpflichtung der Ersteigerung der von ihnen benötigten
Zertifikate ab dem Jahr 2013 teilweise ausnehmen. Unter die Ausnah-
menregelungen fallen diejenigen Sektoren, bei denen die durch den
Emissionshandel verursachten zusätzlichen Energiekosten mindes-
121
tens 5 % der Bruttowertschöpfung betragen und deren Handelsinten-
sität17 zugleich über 10 % liegt. Als vom Carbon Leakage besonders
betroffen − und deshalb ebenfalls ausgenommen − gelten sodann
diejenigen Sektoren, für die bereits eines dieser beiden Kriterien bei
über 30 % liegt.
Bei diesen Ausnahmeregelungen ist allerdings zu beachten, dass
sie die so identifizierten Unternehmen nicht vollständig von den
CO2-Kosten entlasten. Vielmehr erhalten die energieintensiven Unter-
nehmen, die sich erwiesenermaßen im internationalen Wettbewerb
behaupten müssen, in der kommenden Handelsperiode (2013 – 2020)
eine Gratiszuteilung der Zertifikate lediglich in einer Höhe, die sich
nach einem sektorspezifischen Benchmark bemisst (BMU 2008). Zur
Festlegung der EU-einheitlichen Benchmarks werden jeweils die effi-
zientesten 10 % der Anlagen einer Branche in der EU betrachtet. Jene
Unternehmen aber, die bei weitem nicht zu den 10 % der effizientes-
ten ihrer Branche gehören, könnten trotz Gratiszuteilung in Höhe des
Benchmarks mit erheblichen Kosten infolge des Erwerbs der darüber
hinaus benötigten Zertifikate konfrontiert sein.
Eine allzu ambitionierte unilaterale Klimapolitik, die in Zukunft
immer strengere Klimaschutzziele verfolgt, kann schließlich auch
dazu führen, dass fossile Energieressourcen schneller gefördert wer-
den, weil die Rohstoffanbieter befürchten könnten, dass infolge künf-
tig verstärkter Klimaschutzbemühungen die Nachfrage und damit die
Preise nach Energierohstoffen fallen. Nach dem „grünen Paradoxon“
von Sinn (2008:140) könnte so der weltweite Ausstoß an Treibhaus-
gasen paradoxerweise sogar höher ausfallen als ohne Klimaschutzbe-
mühungen.
17 Die Handelsintensität ist die Summe aus Importen und Exporten dividiert durch die Summe aus dem in der EU erzielten Umsatz und den Importen (BMU 2008).
122
Kontraproduktive internationale Rückwirkungen
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
4.
Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungs-politik der EUAuch wenn die Klimapolitik der Kommission nach den vorangehen-
den Erläuterungen im weltweiten Maßstab wenig oder gar Kontra-
produktives bewirkt, stellt sich die Frage nach der Kosteneffizienz
der einseitigen EU-Politik. An der Kosteneffizienz lässt sich aber vor
allem aus folgenden Gründen zweifeln (Böhringer 2010:63): Erstens
sind Mehrkosten dadurch vorprogrammiert, dass neben dem im Jahr
2005 eigens zum Zwecke der Treibhausgasminderung etablierten Kli-
maschutzinstrument des Handels von CO2-Emissionszertifikaten eine
Vielzahl von sich überlagernden Regulierungsinstrumenten in der EU
zum Einsatz kommen, obwohl laut umweltökonomischer Literatur die
Minderung von Treibhausgasen mit dem Emissionshandel auf kurze
Sicht zu den geringsten gesamtwirtschaftlichen Kosten erreicht wer-
den kann: Durch dieses Klimaschutzinstrument können Emissions-
minderungsziele nicht nur ökologisch treffsicher, sondern – zumin-
dest in statischer bzw. kurzfristiger Betrachtungsweise – auch ökono-
misch effizient realisiert werden (Bonus 1998:7).
Zweitens entstehen auch dadurch erhebliche Mehrkosten, dass
der Emissionshandel bislang auf die Europäische Union begrenzt ist
(Nordhaus 2009:50). Eine Ausweitung des EU-Emissionshandelssys-
tems auf weitere Regionen, welche insbesondere die größten Emitten-
123
ten wie die USA und China einschließen, würde die Vermeidung ein
und derselben Emissionsmenge zu günstigeren Kosten erlauben, da
mit Hilfe dieses Instrumentes die Emissionen dort gemindert werden,
wo es am kostengünstigsten ist (Böhringer 2010:64). Mit einer inter-
nationalen Ausweitung des Emissionshandels sollte sich die Anzahl
an zur Verfügung stehenden kostengünstigen Vermeidungsoptionen
vergrößern. Im Ergebnis führt dies zu einer Senkung der Kosten für die
Erreichung einer bestimmten Emissionsminderung.
Zu einer Ausweitung des EU-Emissionshandelssystem auf einen
weltweiten Handel besteht aber wenig Hoffnung, da dies ein weltum-
spannendes klimapolitisches Abkommen voraussetzt. Die Aussichten
auf den Abschluss eines wirkungsvollen internationalen Klimaabkom-
mens mit völkerrechtlich bindenden Minderungszielen der bedeu-
tendsten Emittenten sind allerdings sehr schlecht (Beirat BMF 2010:7),
wie im nächsten Abschnitt erläutert wird. Ein Hauptgrund dafür ist,
dass es keine Weltregierung gibt und es wenig wahrscheinlich ist, dass
es eine solche jemals geben wird.
Drittens ist die Europäische Union trotz der als positiv hervor-
zuhebenden Etablierung und Weiterentwicklung des Emissionshan-
dels noch weit von einer kohärenten Klimapolitik entfernt (Böhrin-
ger 2010:66). Dies ist vorwiegend dem Umstand geschuldet, dass in
den Emissionshandel bislang nur der Stromerzeugungssektor und
die energieintensiven Produktionsbetriebe einbezogen sind, welche
zusammen für etwa 40 % der EU-weiten CO2-Emissionen verantwort-
lich sind. Andere Bereiche wie der Verkehrssektor oder die Sektoren
der privaten Haushalte oder der Gewerbe-, Handels- und Dienstleis-
tungsunternehmen sind hingegen nicht in den Emissionshandel
integriert. Anstatt den Emissionshandel auf andere Bereiche auszu-
weiten, besteht in der Europäischen Union die Tendenz, jeden Sek-
tor spezifisch zu regulieren, um so das EU-weite Minderungsziel zu
erreichen. Dies hat erhebliche Effizienzverluste zur Folge (Böhringer
et al. 2005).
124
Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
So ist im Bereich des privaten Pkw-Verkehrs künftig ein spezifi-
scher Emissionsstandard das von der Kommission präferierte Regu-
lierungsinstrument (Frondel, Schmidt 2008:330). Mit der EU-Verord-
nung 443/2009 ist ab 2012 für Neuwagen ein zulässiges Höchstmaß an
spezifischen CO2-Emissionen je Kilometer vorgeschrieben, das mit der
Masse des Fahrzeugs ansteigen darf (Frondel, Schmidt 2009:179). Mit
dieser Art der Regulierung sind CO2-Vermeidungskosten verbunden,
die zwischen 475 und 950 Euro je Tonne CO2 liegen können (Frondel,
Schmidt, Vance 2010), während der CO2-Zertifikat-Preis im Rahmen
des Emissionshandels bislang noch nicht über 30 Euro je Tonne hin-
ausging. Die hohen Vermeidungskosten, die mit dieser Regulierung
verbunden sein können, gehen bei einer zwar weitgehend unbekann-
ten, aber definitiv endlichen Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung
für Klima- bzw. Umweltschutz unmittelbar zu Lasten anderer, kosten-
günstigerer Treibhausgasvermeidungsmaßnahmen.
Der Existenz des Emissionshandels zum Trotz gibt es zusätzlich
dazu eine Vielzahl von Maßnahmen und Politikinstrumente, zu de-
ren Rechtfertigung die Kommission die Verringerung des Treibhaus-
gasausstoßes zumindest als eines von mehreren Motiven angibt. An
erster Stelle sind dabei Richtlinien zur Steigerung der Energieeffizienz
sowie zum Ausbau des Einsatzes von erneuerbaren Energietechnolo-
gien zu nennen. Damit sollen die im Energie- und Klimaschutzpaket
genannten 20-20-20-Ziele erreicht werden. Dabei stellt die Minde-
rung der Treibhausgasemissionen um 20 % gegenüber 1990 eines der
Ziele für das Jahr 2020 dar, während die Ausweitung des Beitrags der
erneuerbaren Energietechnologien zur Deckung des Primärenergie-
verbrauchs in der EU auf 20 % bis 2020 sowie die Steigerung der Ener-
gieeffizienz um 20 % gegenüber dem Weiter-wie-Bisher die übrigen
Zielmarken sind.
Zu dem Bündel an Regulierungen zur Erreichung dieser Ziele zählt
nicht zuletzt auch das am 1. September 2009 erlassene sukzessive Ver-
bot des Verkaufs herkömmlicher Glühbirnen, das bis spätestens 31. Au-
125
gust 2012 den Verkauf sämtlicher Arten von Glühbirnen in der EU ver-
bietet (EU-Verordnung 244/2009) und daher unter dem Begriff „Glüh-
birnenverbot“ firmiert. Dieses Verbot wird von der Kommission vor
allem mit zwei Argumenten gerechtfertigt (Frondel, Lohmann 2010).
Erstens würden energieeffiziente Energiesparlampen den privaten
Haushalten und übrigen Stromverbrauchern helfen, Strom und damit
Kosten zu sparen, sodass deren Stromrechnungen signifikant sinken.
Frondel, Lohmann (2010) halten dem entgegen, dass die Verwendung
von Energiesparlampen zwar bei häufiger Nutzung große Kostenvor-
teile aufweist. Bei sehr geringen Nutzungszeiten, wie dies etwa bei der
Keller- und Dachbodenbeleuchtung der Fall ist, erleiden die Verbrau-
cher durch dieses Verbot aber wirtschaftlichen Schaden. Allein aus
diesem Grund ist das generelle Glühbirnenverbot der EU-Kommission
unangebracht und sollte wieder zurückgenommen werden.
Mit den Einsparungen an Strom infolge des Glühbirnenverbots
kann nach Auffassung der Kommission zweitens der Ausstoß an Treib-
hausgasen verringert werden, der mit der konventionellen Erzeugung
von Strom auf Basis fossiler Brennstoffe wie Kohle oder Gas verbun-
den ist. Tatsächlich aber ist der Nettoeffekt dieses Verbotes bei einer
Koexistenz mit dem 2005 etablierten Emissionshandel gleich Null,
ebenso wie bei allen anderen Maßnahmen, die auf eine Absenkung
des Stromverbrauchs und des damit verbundenen CO2-Ausstoßes
abzielen: Da der Emissionshandel eine bindende Obergrenze für die
CO2-Emissionen vorgibt, können mit Maßnahmen wie etwa dem Er-
neuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zur Förderung alternativer Stromer-
zeugungstechnologien in Deutschland keinerlei weitere Einsparungen
erzielt werden (Frondel, Ritter, Schmidt 2008:4201).
Die via EEG geförderte Stromerzeugung sorgt zwar für geringere
Emissionen im deutschen Stromsektor, weshalb die Zertifikatpreise
niedriger ausfallen als ohne EEG. Dadurch werden jedoch Vermei-
dungsmaßnahmen in anderen am Emissionshandel beteiligten Sekto-
ren nicht ergriffen, weil es kostengünstiger ist, stattdessen Zertifikate
126
Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
zu kaufen. Andere Stromerzeugungssektoren in der EU sowie die In-
dustriesektoren, die in den Emissionshandel eingebunden sind, wei-
sen folglich höhere Emissionen auf und gleichen so die Emissionsein-
sparungen, die im deutschen Stromerzeugungssektor durch das EEG
ausgelöst werden, gänzlich aus.
Im Ergebnis ergibt sich lediglich eine Emissionsverlagerung,
der durch das EEG bewirkte CO2-Einspareffekt ist aber de facto Null
(BMWA 2004:8, Morthorst 2003). So kann es sich bei einem starken
Ausbau der erneuerbaren Energien in der EU und den damit verbun-
denen signifikanten den CO2-Preis senkenden Wirkungen gerade für
die Betreiber alter Kohlekraftwerke eher lohnen, ihre wenig effizienten,
emis sionsintensiven Anlagen weiterzubetreiben, als den Anteil der Er-
neuerbaren weiter zu steigern. Durch die Regulierungsüberlagerung
kommt es somit sogar zu paradoxen Folgen (Böhringer 2010:69).
Letztlich werden vergleichsweise kostengünstige Maßnahmen
nicht ergriffen, die in der kontrafaktischen Situation ohne ein deut-
sches EEG und mit den in den übrigen EU-Staaten existierenden In-
strumenten zur Förderung erneuerbarer Energietechnologien um-
gesetzt worden wären. Stattdessen wird gerade mit der Solarstrom-
produktion die teuerste aller derzeit in der Diskussion befindlichen
Technologien zur Vermeidung von CO2-Emissionen umgesetzt (Ab-
bildung 6). So taxieren Frondel, Ritter, Schmidt, Vance (2010a:119) die
mit der Förderung der Photovoltaik in Deutschland einhergehenden
Vermeidungskosten auf mehr als 600 Euro je Tonne CO2. Die Interna-
tionale Energieagentur geht sogar von einem höheren Wert von rund
1.000 Euro je Tonne aus (IEA 2007:74).
127
Quelle: Fahl (2006)
Als Folge davon summieren sich die realen Nettokosten für alle
zwischen 2000 und 2009 in Deutschland installierten Photovolta-
ikmodule auf rund 52,3 Mrd. Euro (Frondel, Ritter, Schmidt, Vance
2010b:4051). Dies konterkariert das Prinzip des Emissionshandels, den
Treibhausgasausstoß dort zu verringern, wo es am kostengünstigsten
ist, bzw. die Treibhausgase mit den kosteneffizientesten Technologien
zu reduzieren.
Diese theoretische Argumentation wird durch die numerische
Analyse von Traber und Kemfert (2009) für Deutschland untermau-
ert. Danach ändert sich der CO2-Ausstoß auf europäischer Ebene
Abbildung 6Emissionsvermeidungskosten verschiedener technologischer Maßnahmen
700
600
500
400
300
200
100
0
–100
–200
Euro
pro
Ton
ne C
O2
Kernenergie (EPR)
Erdgas-G
uD-Kraftwerk
Solartherm
ie
Windkraftwerk
Effizie
nte Diesel-Pkw
Wärmedämmung EF
H
Effizie
nte Benzin-Pkw
Geothermie
Biokraftstoffe
Photovoltaik
734
29
75 91
37
254
326
415
540585
611
420
215190
102
52
–5 –21
–113
128
Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
kaum, obwohl die Emissionen im deutschen Stromerzeugungssektor
durch das EEG um 11 % reduziert werden. Der Grund dafür ist, dass die
Stromerzeugung auf Basis erneuerbarer Technologien in Deutschland
die Dringlichkeit der Emissionsreduktion in den übrigen EU-Ländern
verringert, indem die EU-weit geltenden Preise für CO2-Zertifikate ge-
genüber einer Situation ohne ein deutsches EEG um 15 % niedriger aus-
fallen (Traber, Kemfert 2009:169).
Nun wird häufig argumentiert, man könne die ökologische Un-
wirksamkeit des EEG bzw. des EU-weiten Ausbaus der Erneuerbaren
dadurch beheben, dass das Emissionsbudget beim Emissionshandel
um die zu erwartenden CO2-Minderungsbeiträge infolge des Ausbaus
der regenerativen Stromerzeugung reduziert wird (Diekmann, Kem-
fert 2005; Kemfert, Diekmann 2009). So sei in der EU-weit geltenden
Emissionsobergrenze für 2020 der CO2-senkende Einfluss des Zubaus
regenerativer Stromerzeugungstechnologien berücksichtigt worden
(COM 2008) und der Ausbau erneuerbarer Energien hätte daher sehr
wohl eine CO2-senkende Wirkung. Diese Argumentation ist unzutref-
fend, da es allein das Instrument des Emissionshandels ist, das die Ein-
haltung der Emissionsobergrenze (Cap) garantiert. Diese Obergrenze
würde auch dann eingehalten, wenn auf den weiteren Ausbau der er-
neuerbaren Energien in sämtlichen EU-Ländern verzichtet würde − zu-
gegeben eine wenig wahrscheinliche Entwicklung.
Dennoch verdeutlicht diese Überlegung, dass es allein das Inst-
rument des Emissionshandels ist, das eine Senkung der Treibhaus-
gasemissionen bewirkt (Häder 2010:14). Dieser kaum bestreitbaren
Tatsache wird häufig entgegengehalten, dass es gerade die Förderung
der erneuerbaren Energien ist, die weit niedrigere zukünftige Ober-
grenzen im EU-Emissionshandel erlauben würde als andernfalls.
Dieses Argument ist wenig stichhaltig, da die EU-Länder sich mit
weitaus weniger Subventionen, als die Förderung der erneuerbaren
Energien verschlingt, in die Lage versetzen könnten, niedrige künfti-
ge Emissionsobergrenzen einzuhalten.
129
Der Weiterbetrieb der Kernkraftwerke in Deutschland, die nach
geltendem Gesetz bereits nach 32 Jahren Laufzeit abgeschaltet werden
sollen, obwohl die technische Lebensdauer bei 60 Jahren und mehr
liegt, wäre nur eines von vielen Beispielen, wie man auf kostengüns-
tige Weise strengere Emissionsgrenzen anstreben könnte. In diesem
Beispiel wären die volkswirtschaftlichen Kosten sogar negativ: Die
Wohlfahrt in der EU und vor allem in Deutschland würde zweifellos
gesteigert (Energieprognose 2009). Konträr dazu erweisen sich zusätz-
liche Politiken zur Förderung erneuerbarer Energien als besonders teu-
er: Böhringer et al. (2009a) wiesen darauf hin, dass sich die Kosten für
die Treibhausgasminderung in der Europäischen Union durch solche
Politikmaßnahmen sogar verdoppeln können.
Ein weiteres Beispiel für ein ebenfalls den Emissionshandel be-
rührendes Instrument sind Stromsteuern. Eine solche wurde in
Deutschland unter dem Begriff Ökosteuer im Jahr 1999 eingeführt.
Unternehmen, die sowohl Stromsteuern bezahlen als auch dem
Emissionshandel unterliegen, vermeiden ineffizient viel (Böhringer
2010:68). Dadurch subventionieren sie indirekt die Unternehmen sol-
cher EU-Länder, die ebenfalls in den Emissionshandel eingebunden
sind, aber nicht einer Stromsteuer unterworfen sind. Auch hier gilt:
Da die Gesamtemissionen im EU-Emissionshandel gedeckelt sind,
haben zusätzliche Strom- oder CO2-Steuern keinen CO2-senkenden
Effekt (Böhringer 2010:68).18
Dies gilt ebenso für alle weiteren Instrumente, die auf eine Sen-
kung des Stromverbrauchs in den EU-Ländern abzielen. Dazu gehören
in Deutschland etwa das Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz,
das den Kauf energieeffizienter Stromgeräte stärkt, die Förderung der
18 Dementsprechend sind die Vermeidungskosten je eingesparter Tonne CO2 im Prinzip unendlich hoch, da ungeachtet der Höhe der Kosten, die durch die einzelnen Maßnahmen den Verbrauchern auferlegt wird, der CO2-Einspareffekt Null ist und bei der Berechnung der spezifischen Vermeidungskosten je Tonne CO2 durch Null dividiert werden müsste.
130
Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) via KWK-Gesetz oder das Energiebetrie-
bene-Produkte-Gesetz, das ineffiziente Geräte vom Markt ausschließt.
Infolge der gleichzeitigen Existenz des Emissionshandels sind diese
Gesetze ebenso nutzlos im Hinblick auf Treibhausgaseinsparungen
(Häder 2010:17) wie der in Italien und Großbritannien etablierte Han-
del mit sogenannten weißen Zertifikaten, mit dem Stromeinsparun-
gen erreicht werden sollen.
Aber selbst wenn es keinen CO2-Emissionshandel gäbe, wären Wei-
ße-Zertifikate-Systeme nicht das Instrument 1. Wahl: Jede Politik, die
pauschal an der Nachfrage nach Energie ansetzt, um Umweltexternali-
täten zu verringern, ohne dabei den mit dem jeweiligen Energieträger
verbundenen spezifischen Umwelteffekten Rechnung zu tragen, ist
ineffizient (Mennel, Sturm 2009:27).
Tatsächlich sind solche auf den Emissionshandel aufgesattelten In-
strumente wie auch technologie-spezifische Förderungen, allen voran
die Subventionierung der Erneuerbaren, nicht nur ineffektiv bzw. öko-
logisch überflüssig. Sie sind aus ökonomischer Sicht sogar kontrapro-
duktiv, da Klimaschutz damit unnötig teuer wird (Häder 2010:15). Die
Förderung alternativer Technologien zur Produktion „grünen“ Stroms,
welche in Europa mit vielen Milliarden Euro im Jahr unterstützt wird −
allein in Deutschland betrugen die Einspeisevergütungen für „grünen“
Strom im Jahr 2009 rund 10 Mrd. Euro (Schiffer 2010:83) –, muss sich
daher aus anderen Gründen rechtfertigen.
Bedauerlicherweise darf man wegen der massiven finanziellen
Belastungen durch die Erneuerbaren-Politik der Kommission keine
positive Auswirkungen auf Beschäftigung erwarten (Frondel, Ritter,
Schmidt, Vance 2010b:4055). So gehen mit den höheren Stromprei-
sen infolge der Förderung der erneuerbaren Energien, etwa durch das
deutsche Erneuerbaren-Energie-Gesetz (EEG), Kaufkraftverluste von
privaten Haushalten einher. Zusammen mit dem Entzug von Inves-
titionskapital bei den industriellen Stromverbrauchern bewirkt dies
negative Arbeitsplatzeffekte in anderen Sektoren. Indem die Budgets
131
der industriellen Verbraucher durch höhere Strompreise geschmälert
werden, stehen vor allem weniger Mittel für alternative und profitable-
re Investitionen zur Verfügung. Daher ist zu bezweifeln, ob die Arbeits-
platzeffekte des deutschen EEG im Saldo tatsächlich positiv ausfallen
können (Frondel, Ritter, Schmidt, Vance 2010a:123).
Demnach ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich in der Ver-
gangenheit zahlreiche Studien skeptisch in Bezug auf positive Nettobe-
schäftigungseffekte der Förderung erneuerbarer Energien in Deutsch-
land äußerten. So konstatiert das Institut für Wirtschaftsforschung in
Halle, dass bei Berücksichtigung der Investitionskosten bzw. der Ver-
drängung der privaten Verwendung der Investitionsmittel „praktisch
keine Beschäftigungseffekte mehr festgestellt werden könnten“ (IWH
2004:72). Ähnlich äußerten sich Fahl, Küster und Ellersdorfer (2005),
Pfaffenberger (2006) und das RWI (2004) bzw. Hillebrand et al. (2006).
In jedem Falle sind die durch die Förderung erneuerbarer Energi-
en geschaffenen Bruttoarbeitsplätze teuer erkauft. So erforderte die
Schaffung von 50.000 „grünen Jobs“ in Spanien Ausgaben von 28,7
Mrd. Euro (Álvarez et al. 2009:24). Pro Arbeitsplatz sind das 574.000
Euro. Ähnlich hohe Subventionen werden in Deutschland für jeden Ar-
beitsplatz in der Photovoltaikbranche bezahlt. Auf Basis der Nettokos-
ten von rund 17,4 Mrd. Euro für alle im Jahr 2009 installierten Anlagen
(Frondel, Ritter, Schmidt, Vance 2010b:4051) lägen die Subventionen
pro Kopf bei rund 290.000 Euro, wenn man von 60.000 Beschäftigten
im deutschen Photovoltaiksektor ausgeht (BSW 2009).
Diese Ergebnisse sind nicht weiter überraschend, schließlich ist
der komparative Vorteil der Politik nicht unbedingt in der unmit-
telbaren Schaffung von Arbeitsplätzen zu vermuten. So würde man
eher dem Markt, welcher die wettbewerbsfähigen konventionellen
Stromerzeugungstechnologien begünstigen würde, als der Politik,
die sich als Förderer ineffizienter „grüner“ Technologien betätigt, zu-
trauen, für insgesamt mehr Beschäftigung und somit eine größere
Wohlfahrt zu sorgen.
132
Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
Tatsächlich sollte der Handlungsschwerpunkt der Politik nicht in
der Schaffung von Arbeitsplätzen liegen, sondern in der Gestaltung
günstiger Rahmenbedingungen, welche die möglichst kostengünstige
Produktion von Gütern und Dienstleistungen erlauben. Zu diesen Rah-
menbedingungen gehört die allgemeine Förderung der Erforschung
und Entwicklung neuer Produktionsmethoden, bei denen weniger
Ressourcen an Energie, Umwelt, Kapital oder auch an Arbeit eingesetzt
werden, um denselben Output zu erzeugen wie mit den bestehenden
Technologien. Indem die frei werdenden Ressourcen für andere Zwe-
cke verwendet werden können, kann so der Lebensstandard der Bevöl-
kerung gesteigert werden. Die von der Kommission mit der Steigerung
des Anteils der Erneuerbaren am Energiemix beabsichtigte Technolo-
gieförderung ist in dieser Hinsicht allerdings wenig erfolgreich, wie in
Abschnitt 7 dargestellt wird.
133
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
5.
Schlechte Chancen für ein globales Klimaabkommen zur TreibhausgasminderungNationale Klimapolitiken zur Senkung von Treibhausgasen sehen sich
einem fundamentalen Dilemma ausgesetzt19: Die Bürger eines einzel-
nen Landes, welche von dessen Regierung die vollen Kosten einer ein-
seitigen Minderungspolitik aufgebürdet bekommen, profitieren nur
zu einem geringen Teil von dieser Klimapolitik, falls denn diese Min-
derung der Treibhausgase überhaupt die globale Erwärmung signifi-
kant beeinflussen kann. Der weit überwiegende Nutzen einer solchen
Politik fällt im Ausland an (Beirat BMF 2010:8).
Aus diesem Grund haben einzelne Länder in der Regel nur geringe
Anreize20, erhebliche Kosten für Treibhausgasminderungen aufzuwen-
den, da diese wegen der weltweiten Auswirkungen des Ausstoßes von
Treibhausgasen allen zu Gute kommen, aber im weltweiten Maßstab
19 Das Dilemma wurde von Hardin (1968) als Tragedy of Commons bezeichnet. Damit gemeint ist die Tragik der Allmende- bzw. öffentlichen Güter, die allen zur Verfügung stehen, dadurch keinen Preis haben und daher unter Übernutzung leiden.
20 Nur wenige Länder beteiligen sich freiwillig an der Vermeidung von Emissionen (Beirat BMF 2010:11). Dass ein Land zu dieser Gruppe gehört, ist umso wahrscheinlicher, je größer und bevölkerungsreicher das Land ist, je wohlhabender das Land ist, je niedriger die Kosten der Emissionsvermeidung für dieses Land sind, je dramatischer die Veränderung des Klimas für das Land negativ zu Buche schlägt und je bedeutender und politisch einflussreicher die Ökologiebewegung in einem Land ist.
135
wenig bewirken (Abschnitt 2). Im Gegenteil: Ein einzelnes Land hat
vielmehr den Anreiz, sich als Trittbrettfahrer zu verhalten (Weimann
1994:73) und nichts zu tun, um ohne eigenen Kostenaufwand von den
Anstrengungen der anderen Länder zu profitieren.
Die zentrale Herausforderung ist daher, einen Weg zu finden, mit
dem es gelingen kann, Staaten vom Trittbrettfahrerverhalten abzubrin-
gen und die Chancen für das Zustandekommen eines Klimaabkom-
mens auf globaler Ebene, mit dem sich nahezu alle Staaten oder zumin-
dest sämtliche bedeutenden Emittenten, Treibhausgasrestriktionen
auferlegen, zu erhöhen. Aufgrund des Fehlens einer Weltregierung, die
ein Trittbrettfahrerverhalten wirksam sanktionieren könnte (Weimann
1994:73), welche es aber mit Sicherheit niemals geben wird, besteht in-
ternationale Klimapolitik allerdings allein aus freiwilligem Engagement.
Dabei stellt sich die Frage, welche Rolle Kooperationen einzelner Länder
spielen können, um die Teilnahmebereitschaft der übrigen Länder an
einem globalen Klimaabkommen zu beeinflussen.
Kooperationen einer Teilgruppe von Ländern, etwa der 27 EU-Mit-
gliedstaaten, können für die einzelnen Teilnehmerstaaten durchaus
attraktiv und ökonomisch rational sein, wie an dem folgenden Beispiel
erläutert werden soll. Nehmen wir vereinfachend an, dass sich die 27 EU-
Staaten dazu verpflichten, jeweils dieselbe Emissionsmenge zu vermei-
den. Diese Verpflichtung lohnt sich für ein einzelnes EU-Mitglied genau
dann, wenn seine Emissionsminderungskosten geringer sind als der Nut-
zen, den die 27-mal so hohe Emissionsminderung, zu der sich die Part-
nerländer via Vertrag verpflichtet haben, stiftet.21 Man würde meinen,
dass die Teilnahme eines Landes an einem solchen Kooperationsvertrag
21 Die vereinfachende Annahme, dass alle Länder sich zur selben Minderungsmenge verpflichten, ist irrelevant. Tatsächlich spielt es für das Kosten-Nutzen-Kalkül eines Landes, das sich zu einer bestimmten Emissionsminderung verpflichtet, offenkundig keine Rolle, wie die Verteilung der Minderungsverpflichtungen auf die übrigen Länder ausfällt, solange die gesamte Minderungsmenge dieselbe bleibt.
136
Schlechte Chancen für ein globales Klimaabkommen zur Treibhausgasminderung
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
umso attraktiver ist, je mehr Kooperationspartner sich zu Minderungsan-
strengungen verpflichten, da die eigenen Anstrengungen mit dem ent-
sprechenden Vielfachen an Emissionsminderung belohnt werden.
Auf den ersten Blick würde man folglich erwarten, dass eine solche
Kooperation einer Teilgruppe von Ländern die Chancen für das Zustan-
dekommen eines globalen Abkommens erhöht, da man sich von dieser
Kooperation eine förderliche Signalwirkung erhoffen könnte und die mit
der Kooperation übernommene Vorreiterrolle sich positiv auf die Erwei-
terung des Teilabkommens zu einem globalen Abkommen auswirkt.
Die Antwort der umweltökonomischen Literatur auf die Frage nach
der Bedeutung von Teilkooperationen für die Chancen eines weltwei-
ten Klimaabkommens ist jedoch höchst ernüchternd: Aus genau den-
selben Gründen, die in Abschnitt 3 dargestellt wurden und die dazu
führen, dass das übermäßige Engagement eines einzelnen Landes oder
einer Staatengruppe wie der Europäischen Union die Bereitschaft der
übrigen Länder zur Emissionsminderung verringert, kann die Koope-
rationsbereitschaft der übrigen Länder durch eine Kooperation einer
Teilgruppe von Staaten reduziert und so das Zustandekommen eines
weltweiten Klimaabkommens sogar erschwert werden (Beirat BMF
2010:16), anstatt die Chancen auf ein solches zu verbessern.
Denn: Je mehr ein Land oder eine Staatengruppe bereit ist zu tun
und dies in einem Kooperationsvertrag zu manifestieren, desto attrak-
tiver wird es für die übrigen Länder, selbst weniger zu vermeiden und
einem zu erheblichen Anstrengungen verpflichtenden Abkommen
fernzubleiben, da der Grenznutzen der eigenen Anstrengungen mit
den Bemühungen der Vorreiterländer sinkt22.
22 In der ökonomischen Literatur überwiegt das rationale Kosten-Nutzen-Kalkül als Basis für individuelle Entscheidungen. In anderen Sozialwissenschaften wie auch in Teilbereichen der Ökonomik werden dagegen häufig Entscheidungen mit unvollständiger Information oder beschränkter Rationalität betrachtet. >>
|Fortsetzung der Fußnote am nächsten Seitenende|
137
Das Abkommen einer Teilgruppe von Staaten, wie etwa die Selbst-
verpflichtung der EU-Staaten auf eine 20-%-Reduktion der Treibhaus-
gase gegenüber 1990, kann somit die Dynamik zukünftiger Verhand-
lungen über ein weltweites Klimaabkommen negativ beeinflussen
(Beirat BMF 2010:17): „Das Vorwegmaschieren einer Teilgruppe von
Ländern und die Einigung auf hohe Emissionsminderungsziele mar-
kieren in der Politik vielleicht einen herausragenden moralischen
Sieg. Wenn es darum geht, das Weltklima im Rahmen eines globalen
Umweltabkommens zu retten, ist diese Form des moralischen Han-
delns jedoch eher verfehlt. Sie kann eine effiziente Lösung, die ohne
ein Vorwegmarschieren im Bereich des Möglichen gewesen wäre, so-
gar verhindern.“
Die Zusammenarbeit einer Teilgruppe von Ländern ist jedoch
nicht nur wenig hilfreich für das Zustandekommen eines globalen Kli-
maabkommens. Nach der umweltökonomischen Literatur birgt dies
sogar das Risiko einer erheblichen Umverteilung der Kosten zulasten
der Länder, die sich zur Kooperation bereit erklärt haben (Buchholz,
Haslbeck, Sandler 1998, Konrad 2003). Die Kommission sollte daher
diese Zusammenhänge und Wirkungsmechanismen bedenken, wenn
es um die Frage geht, ob die Klimapolitik in den Händen der einzel-
nen EU-Länder bleiben oder zentral von Brüssel aus koordiniert wer-
den sollte. Während selbst eine koordinierte EU-Klimapolitik nur einen
kleinen Beitrag zur globalen Emissionsminderung leisten kann (Ab-
schnitt 2), werden die Chancen für eine weltweit koordinierte Klimapo-
litik verringert, aber die Lasten für die Emissionsminderung eher den
Abweichungen in dieser Richtung per se lassen allerdings die Ineffizienz noch nicht verschwinden. Wenn beispielsweise die Länder ihre Vermeidungsanstrengungen in einem evolutionären Prozess – statt über vollständig rationale Wohlfahrtsmaximierung – bestimmen, bleiben Vorleistungen einzelner Länder ebenfalls wirkungslos. Länder imitieren in einem evolutionären Prozess erfolgreiche Strategien anderer Länder; und erfolgreicher sind auch hier die Länder, die nur geringe Vermeidungsanstrengungen leisten. Auch im evolutionären Prozess setzt sich die ineffizient niedrige Vermeidung durch (Beirat BMF 2010:10).
>>
138
Schlechte Chancen für ein globales Klimaabkommen zur Treibhausgasminderung
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
Mitgliedsstaaten aufgebürdet, wohingegen die übrigen OECD-Staaten
tendenziell eher entlastet werden (Beirat BMF 2010:14).
Abgesehen davon, dass die Klimapolitik der Kommission eher kon-
traproduktiv wirkt, stehen die Chancen für ein globales Klimaabkom-
men, das zu einer nennenswerten Verringerung der globalen Emissio-
nen führt oder zumindest zu einer weitgehenden Stagnation, ohnehin
denkbar schlecht, falls dieses Abkommen auf die Beschränkung des
Treibhausgasausstoßes der Staaten mit dem umfangreichsten Treib-
hausgasausstoß abzielt. So wird sich der weltweit größte Treibhaus-
gasemittent China mit Sicherheit keinerlei Emissionsbeschränkung
unterwerfen wollen, wenn diese zulasten der wachsenden Prosperität
dieses Landes gehen würde.
Zu Recht würde China stattdessen zuerst von denjenigen Ländern
ihren substantiellen Tribut verlangen, die in der Vergangenheit vor-
wiegend für den Anstieg der Treibhausgaskonzentration maßgeblich
verantwortlich waren. Mit dem ebenso berechtigten Hinweis auf die
geringe Effektivität verweigert der zweitgrößte Emittent, die USA, be-
reits heute einschneidende Vermeidungsmaßnahmen, falls Schwel-
lenländer wie China oder Indien sich nicht ebenfalls zu Minderungsan-
strengungen verpflichten, die den künftigen Anstieg ihrer Emissionen
deutlich dämpfen. Einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma, der
nicht unmittelbar bei der Vermeidung von Emissionen ansetzt, prä-
sentiert der folgende Abschnitt.
139
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
6.
Erfolgsträchtigere AlternativenAussichtsreichere Alternativen zur Auferlegung von Emissionsrestrik-
tionen bestehen in solchen Strategien und Politiken, bei denen die
einzelnen Länder in erster Linie selbst von den zu ergreifenden Maß-
nahmen profitieren und daher ein hohes Eigeninteresse an deren Um-
setzung haben. Dazu gehören Anpassungsmaßnahmen an den Klima-
wandel, die wie der Bau von Deichen zum Schutz vor einem Anstieg
des Meeresspiegels darauf abzielen, die Folgekosten der globalen Erwär-
mung zu reduzieren, und damit unmittelbar der Bevölkerung desjeni-
gen Landes zugute kommen, das diese Maßnahmen durchführt.
Zusätzlich zu einer solchen Politik, deren Umsetzungsgrad vor al-
lem im Ermessen des einzelnen Landes liegt, könnten sich Länder in
einem weltweiten Abkommen zu einer sukzessiven Erhöhung ihrer
Ausgaben für die Forschung und Entwicklung (F&E) von Energieum-
wandlungs- und -speichertechnologien verpflichten.23 Mit derartigen
F&E-Maßnahmen werden zwar nicht unmittelbar Treibhausgasmin-
derungen erzielt. Über Zeiträume von einigen Jahrzehnten hinweg
23 Weil davon auszugehen ist, dass von den Früchten der F&E-Investitionen zum großen oder gar überwiegenden Teil die investierenden Länder selbst profitieren, sollte das Trittbrettfahrerverhalten in Form von nicht investierenden Ländern geringer sein als bei Aktivitäten zur Treibhausgasvermeidung. Allerdings ist zu konzedieren, dass einzelne Länder deshalb zu wenig in F&E investieren könnten, weil Kosten und Nutzen dieser Investitionen zeitlich weit auseinander fallen können und der eigene Nutzen der F&E-Investitionen nicht korrekt bzw. zu niedrig eingeschätzt wird.
141
können F&E-Investitionen in revolutionäre Technologien nichtsdesto-
trotz zu sehr hohen Treibhausgasminderungserfolgen führen.
Ein Beispiel für eine solche Technologie ist die Kernfusion. Diese
stellt eine CO2-freie Technologie zur Stromerzeugung dar, der ein gro-
ßes Potential attestiert wird, langfristig in großem Umfang zu einer
sauberen, versorgungssicheren und gefahrlosen Stromversorgung
beizutragen (DPG 2010:122). Im Gegensatz zu Kernkraftwerken würde
der Betrieb von Fusionskraftwerken keine radioaktiven Abfälle hin-
terlassen. Im Erfolgsfall des praktischen Einsatzes, den die Deutsche
Physikalische Gesellschaft bei der derzeitigen vergleichsweise gerin-
gen Forschungsförderung für die Mitte dieses Jahrhunderts erwartet
(DPG 2010:122), könnte die europäische Stromerzeugung bis 2100 al-
lein auf Basis dieser Technologie wohl gänzlich emissionsfrei erfolgen.
In Kombination mit den erneuerbaren Energietechnologien sowie mit
der Kernkraft könnte so bereits ab der Mitte dieses Jahrhunderts eine
weitgehende Dekarbonisierung des Stromerzeugungssektors Realität
werden, so wie dies von Deutschland heute bereits angepeilt wird, al-
lerdings allein auf Basis von erneuerbaren Energietechnologien.
Das Beispiel des experimentellen Reaktors ITER, dessen Bau in Süd-
frankreich in weltweiter Zusammenarbeit begonnen wurde, zeigt, dass
ein globales Abkommen über Verpflichtungen der Länder zu wachsen-
den F&E-Anteilen am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt im Bereich des
Möglichen liegt. Mit einem derartigen Abkommen über Quoten zu F&E-
Förderausgaben für Energieumwandlungs- und -speichertechnologien
können auf lange Sicht negative externe Umwelteffekte verringert, aber
auch die typischen positiven Spill-Over-Effekte von F&E-Aktivitäten er-
zielt werden (Jaffe, Newell, Stavins 2002). Somit haben F&E-Ausgaben
eine doppelte Dividende, eine Umwelt- und eine Technologiedividende,
die zwar allen Ländern, aber in hohem Maße auch demjenigen Land zu-
gutekommen, das diese Ausgaben finanziert. Im Erfolgsfall einer weit-
reichenden Diffusion einer Technologie profitieren davon insbesonde-
re diejenigen Unternehmen, die diese Technologien vertreiben.
142
Erfolgsträchtigere Alternativen
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
Darüber hinaus kann ein Land mit einer sukzessiven Steigerung
seiner F&E-Ausgabenanteile ein chronisches Manko beseitigen. So fällt
die von privaten Marktakteuren finanzierte Forschungsleistung ten-
denziell zu gering aus (Nelson 1959). Dabei liegt aus volkswirtschaft-
licher Sicht ein Zuwenig an Forschung vor, wenn die Ausgaben gerin-
ger ausfallen als die daraus zu erwartenden Erträge. Vor allem an der
Finanzierung von Grundlagenforschung dürften private Akteure ein
sehr geringes Interesse zeigen, da bei dieser die Wahrscheinlichkeit für
die unmittelbare marktwirtschaftliche Nutzung von Forschungserfol-
gen relativ klein ist und die Erfolge in der Regel allen zugutekommen.
In diesem Falle von Marktversagen ist es Aufgabe des Staates, die For-
schungs- und Technologieförderung voranzutreiben.
Die staatliche Forschungs- und Technologieförderung sollte aller-
dings ungezielt betrieben werden, da die Politik die zukünftig erfolg-
reichen Technologien nicht Jahrzehnte im Voraus identifizieren kann
(Karl, Wink 2006:275-276). Von Hayek (1978) führt dies vor allem auf
das Informationsdefizit des Staates zurück, der in der Regel nicht über
die notwendigen Informationen verfügt. Demnach sollte der Staat vie-
le verschiedene Technologien gleichermaßen fördern, nicht zuletzt
auch deshalb, weil eine Bevorzugung einer Technologie, etwa aus in-
dustriepolitischen Motiven, zugleich immer auch eine Diskriminie-
rung anderer technologischer Entwicklungen bedeutet (Kronberger
Kreis 2009:34).
Mit der höchst privilegierten EEG-Förderung der Photovoltaik, die in
Deutschland mit Abermilliarden Euro in exorbitantem Ausmaße geför-
dert wird, geschieht indessen das Gegenteil: Der Staat maßt sich mit der
drastischen Überförderung der Photovoltaik nicht vorhandenes Wissen
an. Die Photovoltaik erhält im Vergleich zum damit erzielten Stromout-
put mit Abstand die meisten Subventionen (Frondel, Ritter, Schmidt,
Vance 2010a:116): Für alle zwischen 2000 und 2010 in Deutschland in-
stallierten Photovoltaikmodule belaufen sich die Nettokosten real auf
rund 81,5 Mrd. Euro (Frondel, Ritter, aus dem Moore, Schmidt 2011)).
143
Mit ihrer Erneuerbaren-Politik verstößt auch die Kommission ge-
gen das Prinzip der Technologieoffenheit einer guten F&E-Förderung
in eklatanter Weise. Mittels symbolischer Ziele, deren Zielwerte nicht
das Resultat rationaler Optimierungsüberlegungen sind, sondern of-
fenkundig mit dem Zieljahr zusammenhängen, wie dies etwa beim
20-%-Anteil der Erneuerbaren für das Jahr 2020 der Fall ist, soll der
Ausbau der erneuerbaren Energietechnologien vorangetrieben wer-
den, obwohl diese Privilegierung der Erneuerbaren bei einer Koexis-
tenz mit dem Emissionshandel nicht durch die Beseitigung negativer
externer Klimaschutzeffekte gerechtfertigt werden kann.
Wenn die Kommission mit ihrem Erneuerbaren-Ziel für 2020
eine Technologieförderung im Sinn hat, so sollte außerdem die
Wahl des Förderinstruments nicht den Mitgliedsländern überlassen
bleiben. Besonders ineffektiv ist diesbezüglich das in Deutschland
verwendete Einspeisevergütungssystem, bei dem die Forschung
und Entwicklung (F&E) lediglich auf indirekte Art gefördert wird. In
Deutschland hat dies in der Praxis nicht zu hohen Forschungsauf-
wendungen der durch das EEG begünstigten Unternehmen geführt:
Obwohl sich die EEG-Vergütungen zwischen 2000 und 2009 mehr
als verzehnfacht haben und von etwa 0,9 auf rund 10 Mrd. Euro ge-
stiegen sind (BDEW 2001, 2009), waren die Ausgaben der Privatwirt-
schaft für die Energieforschung in Deutschland allgemein rückläufig.
Investierte die Wirtschaft im Jahr 1991 noch etwa 503 Mio. Euro in
die Energieforschung, so waren es im Jahr 2007 nur noch 139 Mio.
Euro (BMWi 2010). Im Vergleich zu den Vergütungen für erneuerbare
Energien von 7,6 Mrd. Euro im Jahr 2007 sind 139 Mio. Euro ein gerin-
ger Betrag, welcher nicht einmal der Erforschung regenerativer Tech-
nologien allein diente, sondern der Forschungsförderung sämtlicher
Energietechnologien.
Dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Bereich
erneuerbare Energien sowohl in absoluter Höhe wie auch in Relation
zu den erzielten Umsätzen gering ausfallen, wird durch Zahlen zu den
144
Erfolgsträchtigere Alternativen
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
Forschungsausgaben von Photovoltaikunternehmen bestätigt. Die
beiden größten deutschen Solarunternehmen, Q-Cells und Solarworld,
gaben im Jahr 2009 mit 26,5 Mio. Euro bzw. 12,0 Mio. Euro lediglich
rund 1,2% bzw. 3,3% ihres Umsatzes für Forschung aus (Breyer 2010).
Damit liegen diese noch vergleichsweise jungen Unternehmen weit
hinter den F&E-Ausgaben traditioneller Firmen zurück. Siemens etwa
investierte im Jahr 2008 mit 3,8 Mrd. Euro etwa 4,9% des Umsatzes in
Forschung und Entwicklung, während Unternehmen aus dem Gesund-
heitsbereich üblicherweise sehr hohe Forschungsausgaben tätigen. So
investierte Roche 5,6 Mrd. Euro bzw. bis zu 19,4% ihres Umsatzes des
Jahres 2008 in F&E (Booz & Company 2009).
Auch die Deutsche Physikalische Gesellschaft kritisiert in ihrer
Studie vom Juni 2010, dass trotz des massiv über das EEG unterstütz-
ten Marktes die F&E-Intensität der Photovoltaikindustrie in den ver-
gangenen Jahren von 2 % auf unter 1,5 % des Umsatzes gesunken ist,
wohingegen forschungsintensive Unternehmen wie große Pharmaun-
ternehmen eine Forschungsintensität von 15 – 20 % aufweisen; Firmen
der Computerbranche wie Intel oder Microsoft haben entsprechende
F&E-Quoten von 15,2 % bzw. 13,8%. Zudem konzentrierten sich die ge-
ringen F&E-Aktivitäten der Solarbranche vorwiegend auf fertigungs-
nahe Aspekte (DPG 2010:102).
Anstatt zur Technologieförderung, zu der die Finanzierung von
Prototypen genügt (Kronberger Kreis 2009:34), wurden die Förder-
gelder für Erneuerbare folglich in weit überwiegendem Maße zur flä-
chendeckenden Verbreitung von Anlagen benutzt. Von der so geför-
derten Verbreitung von Anlagen profitieren neben den heimischen
auch ausländische Unternehmen. So stieg das 2001 gegründete chi-
nesische Unternehmen Suntech Power vor allem aufgrund der deut-
schen Einspeisevergütungen in die Weltspitze der Photovoltaikmo-
dulhersteller auf, während es in China bislang keine nennenswerte
Förderung gab. Einspeisevergütungssysteme wie das EEG verschaffen
der Konkurrenz offenkundig genau dieselben Chancen auf technolo-
145
gische Entwicklung und Export wie den heimischen Unternehmen.
Wenngleich dies unter Wohlfahrtsgesichtspunkten nicht negativ be-
wertet werden muss, entspricht dies nicht unbedingt der Zielsetzung
der Förderung.
Um die Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen zu verbessern,
wäre folglich jeder Staat gut beraten, wenn er direkt auf F&E-Förde-
rung setzen würde, anstatt auf die gießkannenartige und indirekte
Förderung mittels Einspeisevergütungen, von der ausländische Unter-
nehmen ebenso profitieren können und die nicht notwendigerweise
zu hohen Forschungsaufwendungen privater Unternehmen führen.
Entscheidend für die Erlangung tatsächlicher Wettbewerbsvorteile ist,
dass gezielte Anreize geboten werden, die zur Entwicklung besserer
Technologien führen. In dieser Hinsicht versagt ein Einspeisevergü-
tungssystem nahezu auf ganzer Linie, da es die Anreize für Innovatio-
nen weitgehend dadurch erstickt, dass jede Technologie Subventionen
entsprechend ihres Wettbewerbsdefizits erhält.24
Die Internationale Energieagentur (IEA 2007:74,77) schlägt daher
in ihrem Länderbericht zur Energiepolitik Deutschlands vor, andere
24 Auch mit dem immer wieder angeführten Argument des First-Mover-Vorteils von Ländern, die im weltweiten Markt frühzeitig Fuß fassen und sich so vermeintlich langfristige Vorteile verschaffen könnten, ist es nicht weit her. Dass dieses Argument wenig haltbar ist, zeigt aktuell das Beispiel Deutschlands, das die Photovoltaiktechnologie nun seit einer Dekade mittels Einspeisevergütungen fördert − seit 2005 in extrem steigendem Maße − und dennoch zunehmend mit der Dominanz der asiatischen Hersteller − vor allem aus China − auf dem Weltmarkt zu kämpfen hat. Obwohl die chinesischen Firmen sich keiner so exorbitanten nationalen Förderung erfreuen durften wie die deutschen Hersteller, konnten sich diese keinen entscheidenden Vorteil gegenüber den asiatischen Herstellern sichern. Im Gegenteil: Es ist wahrscheinlich, dass die hohen EEG-Vergütungen für Solarstrom eine Mitschuld an den Effizienznachteilen deutscher Unternehmen tragen, da die Anreize zu entsprechenden Effizienzanstrengungen gefehlt haben. Bei dem Argument des First-Mover-Vorteils sollte zudem bedacht werden, dass die Förderung der erneuerbaren Energietechnologien immer auch zu Lasten anderer Sektoren geht, die diese Vorreiterrolle mit zu finanzieren haben. Im Saldo betrachtet sind negative makroökonomische Effekte sehr wahrscheinlich, da produktive, wettbewerbsfähige Sektoren zugunsten der ansonsten nicht wettbewerbsfähigen Erneuerbaren-Branche geschwächt werden. Um ein Bild zu verwenden: Es ist wenig wahrscheinlich, dass Deutschland im ökonomischen Wettlauf um die höchsten Wachstumsraten unter den besten Ländern sein wird, wenn es seine schnellsten Läufer dazu verpflichtet, ihr Tempo zugunsten seiner weniger konkurrenzfähigen Läufer zu drosseln, um diesen als Wasserträger zu dienen.
146
Erfolgsträchtigere Alternativen
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
Instrumente als Einspeisevergütungen zur Förderung der Photovol-
taik zu benutzen, welche vorwiegend die Forschung und Entwicklung
dieser Technologie fördern und nicht deren flächendeckende Verbrei-
tung. Diesem Ratschlag sollte die Kommission folgen und zu einer
F&E-Förderung sämtlicher Energieumwandlungs- und -speichertech-
nologien übergehen, anstatt durch die Vorgabe symbolischer Ziele für
den Anteil der Erneuerbaren am Energiemix allein die Verbreitung
von erneuerbaren Energietechnologienanlagen zu forcieren. Dies
verhilft diesen Technologien nicht zu den entscheidenden internati-
onalen Wettbewerbsvorteilen, wie das Negativbeispiel der deutschen
Photovoltaikförderung zeigt.
Erfolgversprechender sollte ein Weg sein, bei dem die Kommissi-
on den Mitgliedsländern zur Energietechnologieförderung F&E-Aus-
gaben-Quoten in Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) vorgibt.
Damit kann eine sehr viel stärkere Forschungsförderung erfolgen als
mit der Vorgabe von Erneuerbaren-Energien-Anteilen. Der Weg der
sukzessiven Steigerung der F&E-Ausgabenanteile für Energietechno-
logien dürfte wegen der damit verbundenen Spill-Over-Effekte gleich-
zeitig auch umso effektiver für die langfristige Senkung der globalen
Treibhausgasemissionen sein, je mehr Nachahmung das Beispiel welt-
weit findet. Der Weg zu einem globalen Abkommen mit Energiefor-
schungsförderungszielen dürfte dann nicht mehr weit sein.
147
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
7.
Anpassung an die globale ErwärmungZusätzlich zur Vermeidung von Emissionen gibt es die Möglichkeit,
den Folgen der Klimaerwärmung durch Anpassung zu begegnen. Be-
stehen die Folgen etwa in einer Zunahme der Häufigkeit und Intensität
von Stürmen, wofür es bislang allerdings keinen wissenschaftlichen
Beweis gibt (Bouwer 2010), kann eine Anpassungsreaktion seitens des
Staates in baurechtlichen, städtebaulichen und land- oder forstwirt-
schaftliche Maßnahmen bestehen.
Zu den Anpassungsprozessen können viele andere Maßnahmen
gehören, wie die Gewinnung neuer Anbauflächen und Siedlungsge-
biete in derzeit noch zu kalten Regionen, falls diese durch die globale
Erwärmung weniger unwirtlich werden, Änderungen in der landwirt-
schaftlichen Produktion, die Umsiedelung der Bevölkerung von Inseln,
die durch einen Meeresspiegelanstieg bedroht sind, oder eine Verbes-
serung der Malariaprävention.
Emissionsvermeidung und Anpassung sind selbstverständlich
keine Substitute hinsichtlich der Senkung von Emissionen.25 Wohl aber
25 Zwischen der Vermeidungs- und Anpassungsstrategie gibt es einen Zusammenhang, der bisher in der politischen Debatte wie auch in der ökonomischen Literatur wenig Beachtung gefunden hat (Tol 2005): Setzt ein Land verstärkt auf Anpassungsmaßnahmen und reduziert demzufolge seine Minderungsanstrengungen, könnte dies in Umkehrung der Argumentation von Abschnitt 3 dazu führen, dass die übrigen Länder höhere Vermeidungsbemühungen unternehmen und so höhere Kosten übernehmen. >>
|Fortsetzung der Fußnote am nächsten Seitenende|
149
sind beide Strategien substitutiv, wenn es darum geht, die Folgekosten
der globalen Erwärmung zu minimieren. Denn man kann die Folge-
kosten entweder dadurch verringern, dass man weniger CO2 emittiert
oder dass man sich auf die mit dem CO2-Ausstoß verbundenen Folgen
besser einstellt (Beirat BMF 2010:26).
Die Anpassungsstrategie wurde bereits zu Beginn der Klimadebat-
te von Autoren wie William Nordhaus (1994) sehr ernsthaft diskutiert.
Wenngleich diese Strategie in der aktuellen Klimadebatte etwas im
Hintergrund steht, hat Deutschland erste wichtige Schritte in Rich-
tung einer umfassenderen Anpassungsstrategie übernommen (Beirat
BMF 2010:25). So wurden in der im Dezember 2008 beschlossenen
„Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel“ zahlreiche Be-
reiche wie die Landwirtschaft oder das Gebiet der Gesundheit identifi-
ziert, für die Bund und Länder bis 2011 einen detaillierten Aktionsplan
vorlegen sollen.
Der Grund ist, dass je nach Anpassungsmaßnahme diese ver-
nünftigerweise auf einer von vielen unterschiedlichen Ebenen ange-
siedelt sein sollte, entweder auf internationaler, nationaler, Länder-,
kommunaler oder gar individueller Ebene. So könnte es allein Sache
der Hauseigentümer sein, ihr Wohneigentum durch bauliche Maß-
nahmen individuell gegen Sturmschäden zu wappnen. Alternativ
oder ergänzend könnten entsprechende Versicherungen abgeschlos-
sen werden. Dieses Beispiel zeigt: Bei vielen Anpassungsmaßnahmen
kann davon ausgegangen werden, dass die individuellen Anpassungs-
entscheidungen auch sozial optimal sind und ein Staatseingriff nicht
Eine solche Strategie kann in Umkehrung der Argumentation von Abschnitt 5 ferner dazu führen, dass sich die Chancen für das Zustandekommen eines weltweiten Klimaabkommens verbessern: „Sollte es auf der Seite der weniger entwickelten und armen Länder unrealistisch hohe oder übertriebene Erwartungen hinsichtlich der tatsächlichen Opferbereitschaft der Industrieländer geben, kann eine sichtbare und konsequent verfolgte Anpassungsstrategie seitens der entwickelten Industrienationen diese Erwartungen korrigieren helfen und so zu einer internationalen Konsensfindung beitragen“ (Beirat BMF 2010:27).
>>
150
Anpassung an die globale Erwärmung
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
notwendig ist, da individuelle und kollektive Kosten-Nutzen-Kalküle
übereinstimmen.
„Wer sein Haus gegen vermehrt drohende Sturmschäden absi-
chert, berücksichtigt im Wesentlichen alle relevanten Vor- und Nach-
teile einer solchen Anpassungsmaßnahme. Hier muss und soll der
Staat in die individuellen Anpassungsmaßnahmen nicht eingreifen.
Lediglich wenn das individuelle vom kollektiven Kosten-Nutzen-Kal-
kül abweicht, ist der Staat in der Pflicht“ (Beirat BMF 2010:28). Dies ist
etwa bei der Erhöhung von Deichen zum Schutz aller Einwohner einer
Region vor den Folgen von Stürmen der Fall.
Im Vergleich zu Anstrengungen zur Emissionsminderung haben
Anpassungsmaßnahmen einige Vorteile. Erstens: Derjenige, der die
Kosten der Anpassungsmaßnahme zu tragen hat, wie etwa ein Haus-
besitzer, der die Dachbedeckung sturmtauglicher macht, hat den allei-
nigen oder zumindest den überwiegenden Nutzen davon. Im Gegen-
satz dazu trägt derjenige, der Minderungsmaßnahmen durchführt, die
vollen Kosten dafür, profitiert aber, wenn überhaupt, nur geringfügig
davon, während der Hauptnutzen auf alle diejenigen entfällt, die un-
ter der globalen Erwärmung etwas weniger zu leiden haben, falls diese
Maßnahme sich als effektiv erweist.
Es gibt daher ein Übergewicht an potentiellen Nutznießern von
Minderungsmaßnahmen, während nur einige wenige die Kosten da-
für zu tragen haben. Der Anreiz zu Minderungsanstrengungen dürfte
demnach ungleich geringer sein als zur Durchführung von Anpas-
sungsmaßnahmen. Das fundamentale Dilemma des Trittbrettfahrer-
verhaltens, das die Chancen auf eine effektive Verringerung der globa-
len Treibhausgase gegen Null gehen lässt, tritt folglich bei einer Strate-
gie, die auf Anpassungsmaßnahmen setzt, nicht auf.
Zweitens: Bei Minderungsanstrengungen gibt es eine große zeit-
liche Divergenz von Kosten und potentiellem Nutzen: Während der
Nutzen dieser Maßnahmen sich erst sehr viel später zeigen wird, mög-
licherweise erst in Jahrzehnten, fallen die Kosten dafür unmittelbar
151
an, wenn sie heute ergriffen werden. Es ist eine höchst strittige gesell-
schaftliche Frage der Diskontierung, wie ein erst Jahrzehnte später an-
fallender Nutzen im Vergleich zu dem bereits heute anfallenden Kos-
tenaufwand zu bewerten ist (Nordhaus 2007, Weitzman 2007, Stern
2007). Ökonomisch zweifelsfrei ist lediglich, dass Aufwendungen von
einer Milliarde Euro für Treibhausgasreduktionen heute höhere Kos-
ten darstellen als eine Milliarde Euro für Anpassungsmaßnahmen in
20 Jahren.
Bei Anpassungsnahmen ist die zeitliche Diskrepanz zwischen Kos-
ten und Nutzen in der Regel weit geringer. So wird man Maßnahmen
zur Erhöhung von Deichen erst dann treffen, wenn absehbar ist, dass
bei einem weiteren Meeresspiegelanstieg die bestehende Deichhöhe
eventuell nicht mehr ausreicht. Ein wichtiger Vorteil der Anpassungs-
strategie ist folglich, dass kein jahrzehntelanger Vorlauf benötigt wird,
wie bei der Vermeidungspolitik (Beirat BMF 2010:30). Vielmehr kön-
nen Anpassungsmaßnahmen relativ zeitnah und als Reaktion auf sich
in ihrem Umfang vergleichsweise klar abzeichnende Umweltverände-
rungen ergriffen werden.
Drittens: Der Umfang der mit der globalen Erwärmung einher-
gehenden Schäden ist gegenwärtig noch mit einer sehr hohen Unsi-
cherheit behaftet. Wegen der potentiell irreversiblen Folgen des CO2-
Ausstoßes müsste die Politik im Prinzip möglichst früh reagieren und
Maßnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen ergreifen. Denn: Lässt
man ein zu hohes Emissionsniveau zu, wobei derzeit höchst unklar ist,
was zu hoch bedeutet, könnten eventuelle gravierende Folgeschäden
nicht mehr vermieden werden. Daher könnte die Politik geneigt sein,
frühzeitig relativ hohe Vermeidungsanstrengungen zu unternehmen.
Dies könnte sich als Fehler herausstellen, wenn die Folgeschä-
den weitaus kleiner als erwartet ausfielen. Zu warten, bis sich die Un-
sicherheit über die Folgeschäden reduziert hat, wäre in diesem Fall
kostensparend gewesen. Aus Sicht der Politik könnte es sich folglich
lohnen, klimapolitische Maßnahmen in die Zukunft zu verschieben,
152
Anpassung an die globale Erwärmung
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
falls die Unsicherheit über die Folgeschäden durch weitere Forschung
nach und nach verringert werden könnte. Diese Strategie des Abwar-
tens könnte die Gesellschaft aber im schlimmsten Fall teuer zu stehen
kommen.
Ein Ausweg aus diesem Dilemma stellt die Anpassungsstrategie
dar, die es zumindest teilweise gestattet, die Kosten sparende Option
zu ergreifen, mit Gegenmaßnahmen zu warten, da man durch Anpas-
sungsmaßnahmen schwerwiegende Folgen auch noch in Zukunft ver-
ringern kann (Beirat BMF 2010:29). Diese Option spart deshalb Kosten,
weil sie der Politik erlaubt, heute auf teure Vermeidungsmaßnahmen
zu verzichten, um im Eventualfall hohe künftige Folgeschäden durch
entsprechend umfangreiche Anpassungsmaßnahmen zu bekämpfen.
Viertens: Es besteht in der Wissenschaft Einigkeit darüber, dass
die globale Erwärmung Verlierer, aber auch Gewinner hervorbringt
(Tol 2010). Anpassungsmaßnahmen werden indessen nur diejenigen
ergreifen, die von der globalen Erwärmung negativ betroffen sind.
Denjenigen Regionen, die von der globalen Erwärmung profitieren,
bleiben bei einer Anpassungsstrategie die Vorteile erhalten. Im Ge-
gensatz dazu werden durch Minderungsanstrengungen eventuell die
negativen, aber auch die positiven Auswirkungen einer globalen Er-
wärmung verringert.
Während es nichtsdestoweniger unklar ist, ob es am Ende nicht we-
sentlich teurer kommt, allein auf Anpassungsmaßnahmen zu setzen,
als im Falle, dass ausschließlich Anstrengungen zur Emissionsminde-
rung ergriffen werden, würde sich die reine Anpassungsstrategie letzt-
lich in zwei Fällen als überlegen erweisen: Falls es sich herausstellen
sollte, dass Treibhausgase und die anthropogene Beeinflussung ihrer
Konzentration in der Atmosphäre entgegen den jetzigen, nicht gesi-
cherten Erkenntnissen nur einen geringfügigen Einfluss auf die globa-
le Erwärmung haben und diese weitgehend durch nicht-anthropogene
Ursachen gesteuert wird, könnte es zum einen sein, dass es zu weit
geringeren Auswirkungen auf das Klima kommt, als die heutigen Kli-
153
mamodelle vorhersagen. In diesem Falle würden kaum oder gar keine
Anpassungsmaßnahmen erforderlich sein und die Kosten dafür ent-
sprechend gering sein oder gar nicht anfallen. Zum anderen könnten
die nicht-anthropogenen Ursachen zu ähnlichen oder gar noch gravie-
renderen Auswirkungen führen als von den heutigen Klimamodellen
vorhergesagt wird. Dann sind Anpassungsmaßnahmen die adäquatere
Antwort, wohingegen Minderungsmaßnahmen in diesem Fall weitge-
hend nutzlos und im ersten Fall sogar überflüssig wären.
154
Anpassung an die globale Erwärmung
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
8.
Zusammenfassung und SchlussfolgerungKlimapolitik ist eindeutig eine ökonomische Angelegenheit: Böhrin-
ger et al. (2010) schätzen, dass die Klimapolitik der Kommission die
EU-Staaten im Jahr 2020 zwischen 1 und 4 % an Wohlfahrt kosten
könnte. Eine gute Klimapolitik orientiert sich grundsätzlich am Prin-
zip des rationalen Mitteleinsatzes. Demnach sollte ein Ziel wie die
Vermeidung der negativen Folgen der globalen Erwärmung mit mög-
lichst geringen volkswirtschaftlichen Kosten umgesetzt werden. In der
Regel wird diesem Prinzip am ehesten ein Mix an kosteneffizienten
Maßnahmen gerecht, der sich sowohl aus Anstrengungen zur Treib-
hausgasminderung zusammensetzt, die bis zu einem gewissen Maße
durchgeführt werden, als auch aus Maßnahmen zur Anpassung an die
globale Erwärmung.
Übermäßige Anstrengungen zur Vermeidung von Treibhausga-
sen sollten sich hingegen als ineffizient erweisen, vor allem, wenn nur
ein Teil der bedeutendsten Staaten sich dazu verpflichtet (Nordhaus
2009:51): Kosten-Nutzen-Analysen von Maßnahmen zur Treibhaus-
gassenkung zeigen in der Tat, dass diese lediglich in einem begrenz-
ten Umfang umgesetzt werden sollten (Tol 2010). So argumentiert
etwa Nordhaus (1993), dass die optimale Emissionsreduktionsrate
gegenüber einem Szenario ohne eine jegliche globale Klimapolitik
bei 10 – 15 % liegt. Demnach wäre die Klimapolitik der EU-Kommission
nicht optimal, da sie den Staaten der Europäischen Union bis zum Jahr
2020 eine Emissionsreduktion um 20 % gegenüber 1990 als Ziel ge-
155
setzt hat. Falls andere bedeutende Industrieländer sich zu ähnlichen
substantiellen Anstrengungen verpflichten, würde die Kommission
das Reduktionsziel für das Jahr 2020 sogar auf 30 % erhöhen.
Eine solche Vorreiterrolle der Kommission bei Treibhausgasmin-
derungsmaßnahmen wäre indessen nicht nur ineffizient, sie wäre so-
gar kontraproduktiv: Erstens werden West- bzw. Osteuropa von zahl-
reichen Studien als die Gewinnerregionen der globalen Erwärmung
angesehen (Tol 2010:16). So schätzt Maddison (2003), dass sich als Fol-
ge das BIP Westeuropas um 2,5 % erhöhen könnte.
Zweitens können die hohen selbst gesetzten Emissionsminde-
rungsziele dazu führen, dass andere Länder in ihren klimapolitischen
Anstrengungen nachlassen, statt diese zu erhöhen. Denn: Je mehr die
Europäische Union bereit ist zu tun, desto attraktiver wird es für die
übrigen Länder, selbst weniger zu vermeiden, da der Grenznutzen der
eigenen Anstrengungen mit den Bemühungen der EU sinkt. Eine kli-
mapolitische Vorreiterrolle der EU führt deshalb tendenziell zu hohen
Kosten, ohne dass eine entscheidende Reduzierung des globalen Emis-
sionsniveaus sichergestellt werden kann.
Drittens können die besonderen Anstrengungen der EU die
Chancen für das Zustandekommen eines globalen Abkommens ver-
schlechtern, da die Verringerung des verbleibenden Vorteils aus ei-
nem globalen Klimaabkommen dessen Zustandekommen unwahr-
scheinlicher machen. Klimaabkommen müssen aber darauf gerich-
tet sein, möglichst alle Länder mit einzuschließen. Teilabkommen
zwischen Ländern wie den EU-Mitgliedsstaaten führen hingegen aus
denselben Gründen wie besondere Anstrengungen einer Staaten-
gruppe wie der EU zu einem Nachlassen der Anstrengungen der üb-
rigen Länder. Wenn wichtige Länder sich nicht beteiligen, kann es da-
her sinnvoll sein, auf ein Abkommen zu verzichten, selbst wenn eine
Teilgruppe von Ländern sich einig sein sollte (Beirat BMF 2010:16), so
wie dies bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union weitgehend
der Fall ist.
156
Zusammenfassung und Schlussfolgerung
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
All diese Argumente sprechen gegen einen Alleingang der Europä-
ischen Union, aber keinesfalls gegen Verhandlungen über ein effektives
weltweites Abkommen. Für ein globales Abkommen über Treibhaus-
gasrestriktionen stehen die Chancen allerdings denkbar schlecht. So
wird sich der weltweit größte Treibhausgasemittent China mit Sicher-
heit keinerlei Emissionsbeschränkung unterwerfen wollen, wenn diese
zulasten der wachsenden Prosperität dieses Landes gehen würde.
Zu Recht würde China stattdessen zuerst von denjenigen Ländern
ihren substantiellen Tribut verlangen, die in der Vergangenheit vor-
wiegend für den Anstieg der Treibhausgaskonzentration maßgeblich
verantwortlich waren. Mit dem ebenso berechtigten Hinweis auf die
geringe Effektivität verweigert der zweitgrößte Emittent, die USA, be-
reits heute einschneidende Vermeidungsmaßnahmen, falls Schwel-
lenländer wie China oder Indien sich nicht ebenfalls zu Minderungsan-
strengungen verpflichten, die den künftigen Anstieg ihrer Emissionen
deutlich dämpfen.
Einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma besteht in Politik-
alternativen zur Auferlegung von Emissionsrestriktionen (The Hart-
well Paper 2010), bei denen die einzelnen Länder in erster Linie selbst
von den zu ergreifenden Maßnahmen profitieren und daher ein hohes
Eigeninteresse an deren Umsetzung haben. So dürfte ein weltweites
Abkommen über eine sukzessive Erhöhung der Ausgaben für die For-
schung und Entwicklung (F&E) von Energieumwandlungs- und -spei-
chertechnologien eine realistische Chance auf ein Zustandekommen
haben. Damit könnte man zwar nicht unmittelbar, so doch innerhalb
einiger Jahrzehnte Treibhausgasminderungen erzielen − möglicherwei-
se in massiver Weise, wie das Beispiel der Fusionstechnologie zeigt.
Auch bei Anpassungsmaßnahmen an die globale Erwärmung, wie
dem Bau oder der Erhöhung von Deichen, profitieren im Idealfall in
erster Linie diejenigen davon, welche die Kosten dafür zu tragen ha-
ben. Einer Strategie zur Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen
kommt eine besonders hohe Bedeutung zu, weil zum einen Anstren-
157
gungen zur Emissionsminderung letztendlich wenig Aussicht auf
Erfolg haben dürften und diese Strategie zum anderen zumindest
teilweise gestattet, die Kosten sparende Option zu ergreifen, mit Ver-
meidungsmaßnahmen zu warten und stattdessen auf die F&E-Förder-
strategie zu setzen. Denn: Durch Anpassungsmaßnahmen kann man
die schwerwiegendsten Folgen auch noch in Zukunft verringern. Diese
Option spart deshalb Kosten, weil sie der Politik erlaubt, heute auf teu-
re Vermeidungsmaßnahmen zu verzichten, um im Eventualfall hohe
künftige Folgeschäden durch Anpassungsmaßnahmen zu bekämpfen,
deren Umfang sich vergleichsweise genau an den sich abzeichnenden
Folgen orientieren kann.
In dasselbe Horn stößt Goklany (2009:35), der zeigt, dass eine fo-
kussierte Anpassungsstrategie, bei der etwa Malaria direkt bekämpft
wird, anstatt mit Vermeidungsmaßnahmen den Klimawandel und so-
mit indirekt die damit verbundene Verbreitung von Malaria mildern
zu wollen, bei weitem einen größeren Nutzen haben würde als gar die
intensivste Vermeidungsstrategie − und dies zu weitaus geringeren
Kosten von lediglich einem Fünftel der Belastungen, die durch die Um-
setzung des ineffektiven Kyoto--Protokolls zustande kommen (Goklany
2009:30). Während der Nutzen von Vermeidungsmaßnahmen wegen
der Unsicherheit der Wirkungen, die mit dem Klimawandel verbunden
sind, ebenfalls höchst ungewiss ist und sich erst nach Jahrzehnten he-
rausstellen wird, gibt es keinen Zweifel, dass fokussierte Anpassungs-
maßnahmen zur Bekämpfung sehr drängender aktueller und schwer-
wiegender Probleme wie Malaria, Hungersnöte und Überschwemmun-
gen ganzer Küstenregionen in kürzester Zeit und mit großer Sicherheit
einen weitaus größeren Nutzen stiften (Goklany 2009:25), da diese
Geißeln der Menschheit derzeit ungleich höhere Schäden verursa-
chen als der häufig in unzutreffender Weise als höchst gravierend dar-
gestellte Klimawandel.
158
Zusammenfassung und Schlussfolgerung
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
LiteraturÁlvarez, G.C., Jara, R.M., Julián, J.R.R., Bielsa, J.I.G. (2009): Study of the Effects on Employment of Public Aid to Renewable Energy Sources | Universidad REY Juan Carlos www.juandemariana.org/pdf/090327-employment-public-aid-renewable.pdf
BDEW (2001 bis 2009): EEG Jahresabrechnungen, Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft | Berlin
Beirat BMF (2010): Klimapolitik zwischen Emissionsvermeidung und Anpassung | Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen | Berlin, Januar 2010
BMU (2006): Erneuerbare Energien: Arbeitsplatzeffekte, Wirkungen des Ausbaus erneuerbarer Energien auf den deutschen Arbeitsmarkt | Kurz- und Langfassung | Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit | Berlin
BMU (2008): Kernelemente der neuen EU-Richtlinie zum Emissionshandel | Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit | Berlin www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/hintergrund_ets_richtilinie.pdf
BMWA (2004): Zur Förderung erneuerbarer Energien | Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit | Berlin | Dokumentation Nr. 534
BMWi (2010): Energiestatistiken | Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie | Berlin www.bmwi.de/energie
Böhringer, C. (2010): 1990 bis 2010: Eine Bestandsaufnahme von zwei Jahrzehnten europäischer Klimapolitik | Perspektiven der Wirtschaftspolitik 11(s1), S. 56 – 74
Böhringer, C., Rutherford, T. F. (2010): Canada’s Policy Options under the Kyoto Protocol | The World Economy 33, S. 177 – 211
Böhringer, C., Rutherford, T. F. Tol, R.S.J., (2010): The EU 20/20/20 Targets: An Overview of the EMF 22 Assessment | Energy Economics, forthcoming
Böhringer, C., Tol, R.S.J., Rutherford, T. F. (2009a): The EU 20/20/20 Targets: An Overview of the EMF 22 Assessment | Energy Economics 31, S. 268 – 273
159
Böhringer, C., Löschel, A., Moslener, U., Rutherford, T. F. (2009b): EU Climate Policy Up to 2020: An Economic Impact Assessment | Energy Economics 31, S. 295 – 305
Böhringer, C., Hoffmann, T., Lange, A., Löschel, A., Moslener, U. (2005): Assessing Emission Reduction in Europe | An Interactive Simulation Approach | The Energy Journal 26, S. 1 – 22
Böhringer, C., Schwager, R. (2003): Die Ökologische Steuerreform in Deutschland – ein umweltpolitisches Feigenblatt | Perspektiven der Wirtschaftspolitik 4 (2), S. 211 – 222
Bonus, H. (1998): Umweltzertifikate | Der steinige Weg zur Marktwirtschaft | Herausgeber des Sonderheftes 9. Zeitschrift für Angewandte Umweltforschung
Booz & Company (2009): Profits Down, Spending Steady: The Global Innovation 1000, strategy+business, issue 57, Winter 2009 | Booz & Company
Bouwer, L. M. (2010): Have Disaster Losses Increased due to Anthropogenic Climate Change | Bulletin of the American Meteorological Society, forthcoming
Breyer, Christian (2010): Global Photovoltaic Diffusion, Regions, Market Segments and Cost, 8. Workshop Student Chapters – GEE, 7. Mai 2010 | Mannheim
BSW (2009): Statistics for the German solar power industry (photovoltaics), Mai 2009 | Bundesverband Solarwirtschaft www.bsw-solar.de
COM (2008): Annex to the Impact Assessment | Document accompanying the package of implementation measures for EU’s objectives on climate change and renewable energy for 2020 | Commission Staff Working Document, SEC(2008) 85, Vol. II Brüssel, 27.2.2008
Cerina (2010): Weltweite CO2-Emissionen: Länderranking 2009 www.cerina.org/?page_id=366&lang=de
Demailly, D., Quirion, P. (2006): CO2-Abatement, Competitiveness, and Leakage in the European Cement Industry under the EU ETS: Grandfathering versus Output-based Allocation | Climate Policy (6), S. 93 – 113
Diekmann, J., Kemfert, C. (2005): Erneuerbare Energien: Weitere Förderung aus Klimaschutzgründen unverzichtbar | Wochenbericht DIW 29, S. 439 – 451
160
Literatur
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
Energieprognose (2009): Die Entwicklung der Energiemärkte bis 2030 | Gutachten für das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) | bearbeitet von IER, Stuttgart, RWI, Essen, und ZEW, Mannheim
Fahl, U. (2006): Optimierter Klimaschutz – CO2-Vermeidungskosten von Maßnahmen im Vergleich, in: N. Metz und U. Brill (Hrsg.) |Abgas- und Verbrauchsverringerungen – Auswirkungen auf Luftqualität und Treibhauseffekt | Haus der Technik Fachbuch Bd. 72, expert Verlag | Renningen 2006, S. 73 – 94
Fahl, U., Küster, R., Ellersdorfer, I. (2005): Jobmotor Ökostrom? Beschäftigungseffekte der Förderung von erneuerbaren Energien in Deutschland | Energiewirtschaftliche Tagesfragen 55 (7), S. 476 – 481
Felder, S., Rutherford, T., F. (1993): Unilateral CO2-Reductions and Carbon Leakage – The Consequences of International Trade of International Trade in Oil and Basic Materials | Journal of Environmental Economics and Management 25, S. 162 – 176
Frondel, M., Lohmann, S. (2010): Das Glühbirnendekret der EU – ein unnötiges Verbot | Zeitschrift für Energiewirtschaft, Ausgabe 4/2010, S. 247 – 253
Frondel, M., Ritter, N. (2010): Deutschlands Art der Förderung erneuerbarer Energien: Nicht zur Nachahmung zu empfehlen | Zeitschrift für Umweltpolitik & Umweltrecht, S. 261 – 283
Frondel, M., Ritter, N., aus dem Moore, N. Schmidt, C.M., (2011): Die Kosten des Klimaschutzes am Beispiel der Strompreise für private Haushalte | Zeitschrift für Energiewirtschaft 35(3), erscheint
Frondel, M., Ritter, N., Schmidt, C.M., Vance, C. (2010a): Die ökonomischen Wirkungen der Förderung Erneuerbarer Energien: Erfahrungen aus Deutschland | Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 59 (2), S. 107 – 133
Frondel, M., Ritter, N., Schmidt, C. M., Vance, C. (2010b): Economic Impacts from the Promotion of Renewable Energy Technologies: The German Experience | Energy Policy 38, S. 4048 – 4056
Frondel, M., Ritter, N., Schmidt, C. M. (2008): Photovoltaik: Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten | List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik, 34 (1), S. 28 – 44
Frondel, M., Schmidt, C.M. (2008): Benötigt die EU Nachhilfe in Regressionsrechnung? Eine statistische Analyse des Vorschlags der EU-Kommission zur Begrenzung der CO2-Emissionen von Pkw | AStA Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv 2 (4), S. 329 – 341
161
Frondel, M., Schmidt, C.M. (2009): Die Begrenzung der CO2-Emissionen von Pkw: Ein wohlkonzipierter Beschluss der EU-Kommission? Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften 59, S. 177 – 191
Frondel, M., Schmidt, C.M., Vance, C. (2010): A Regression on Climate Policy: The European Commission’s Legislation to Reduce CO2 Emissions from Automobiles | Transportation Research Part A: Policy and Practice, forthcoming
Gagelmann, F., Frondel, M. (2005): The Impact of Emissions Trading on Innovation – Science Fiction or Reality? | European Environment, 15, S. 203 – 211
Graichen, P., Requate, T. (2005): Der steinige Weg von der Theorie in die Praxis des Emissionshandels: Die EU-Richtlinie zum CO2-Emissionshandel und ihre nationale Umsetzung | Perspektiven der Wirtschaftspolitik 6 (1), S. 41 – 56
Goklany, I. M. (2009): Addressing Climate Change in the Context of Other Problems: A Plea for Realism over Ideology | Occasional Paper 78 | Liberal Institute, Friedrich-Naumann-Stftung für die Freiheit | This paper is based on ‘Discounting the Future’ | Regulation, Spring 2009, S. 36 – 40, and Goklany, I. M. (2009) ‘Is Climate Change the Defining Challenge of Our Age?’ | Energy & Environment 20 (3), S. 279 – 302
Häder, M. (2010): Klimaschutzpolitik in Deutschland − eine ökonomische Konsistenzanalyse der Rahmenbedingungen für den Strommarkt | Zeitschrift für Energiewirtschaft 43 (1), S. 11 – 19
Hardin, G. (1968): The Tragedy of Commons | Science 162, S. 1243 – 1248
The Hartwell Paper (2010): A new direction for climate policy after the crash of 2009 | Institute for Science, Innovation, and Society, University of Oxford, and London School of Economics (LSE) http://eprints.lse.ac.uk/27939
Hayek, F.A. von (1978): The errors of constructivism, in F.A.v. Hayek (Ed.) | New Studies in Philosophy, Politics, Economics and the History of Ideas | London
Hentrich, S., Matschoss, P. (2006): Emissionshandel in Deutschland – Klimaschutz im Schatten von Lobbyismus und Industriepolitik | Energiewirtschaftliche Tagesfragen, 56. Jahrgang, Heft 10, S. 50 – 53
Hillebrand, B., H.-G. Buttermann, M. Bleuel und J.- M. Behringer (2006): The Expansion of Renewable Energies and Employment Effects in Germany | Energy Policy 34 (18), S. 3484 – 3494
162
Literatur
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
Hoel, M. (1991): Global Environmental Problems: The Effect of Unilateral Actions Taken by One Country | Journal of Environmental Economics and Management 20, S. 55 – 70
IEA (2007): Energy Policies of IEA Countries: Germany, 2007 Review | Internationale Energie Agentur, OECD | Paris
IPCC (2008): Climate Change 2007: Synthesis Report | Intergovernmental Panel of Climate Change | Geneva
IPCC (2010): Special Report on Emissions Scenarios | Intergovernmental Panel on Climate Change | Geneva www.grida.no/publications/other/ipcc_sr/?src=/climate/ipcc/emission
IWH (2004): Beschäftigungseffekte durch den Ausbau erneuerbarer Energien | Steffen Hentrich, Jürgen Wiemers, Joachim Ragnitz | Sonderheft 1/2004 | Institut für Wirtschaftsforschung Halle | Halle
Jaffe, A. B., Newell, R. G., Stavins, R. N. (2002): Environmental Policy and Technological Change | Environmental and Resource Economics 22, S. 41 – 69
Karl, H., Wink, R. (2006): Innovation Policy and Federalism: the German experience, International Journal of Foresight and Innovation Policy, 2 (3/4), S. 265 – 284.
Kemfert, C., Diekmann, J. (2009): Förderung erneuerbarer Energien und Emissionshandel − wir brauchen beides | Wochenbericht DIW 11, S. 169 – 174
Kronberger Kreis (2009): Für einen wirksamen Klimaschutz | Band 49 der Schriftenreihe der Stiftung Marktwirtschaft | Der Kronberger Kreis ist der Wissenschaftliche Beirat der Stiftung Marktwirtschaft. Ihm gehören Juergen B. Donges, Johann Eekhoff, Lars P. Feld, Werner Möschel und Manfred J. M. Neumann an.
Lüdecke, H.-J. (2008): CO2 und Klimaschutz – Fakten, Irrtümer, Politik | 2. Auflage | Bouvier
Maddison, D.J. (2003): The Amenity Value of the Climate: The Household Production Function Approach | Resource and Energy Economics 25, S. 155 – 175
Mennel, T., Sturm, B. (2009): Energieeffizienz – eine neue Aufgabe staatlicher Regulierung? | Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 58 (1), S. 3 – 35
Michaels, R., Murphy, R. P. (2009): Green Jobs: Fact or Fiction? | Institute for Energy Research, January 2009 | Washington DC
163
Morris, A. P., Bogart, W. T., Dorchak, A., Meiners, R. E. (2009): 7 Myths about Green Jobs | PERC POLICY SERIES, No. 44 | Montana
Morthorst, P. (2003): National environmental targets and international emission reduction instruments | Energy Policy 31 (1), S. 73 – 83
Nelson, R. R. (1959): The Simple Economics of Basic Scientific Research | The Journal of Political Economy 67 (3), S. 297 – 306
Nordhaus, W. D. (2009): The Impact of Treaty Nonparticipation on the Costs of Slowing Global Warming | Special Edition 2009: Climate Change Policies after 2012 | The Energy Journal 30 (Special Issue 2), S. 39 – 51
Nordhaus, W. D. (2007): A Review of the Stern Review on the Economics of Climate Change | Journal of Economic Perspectives XLV, S. 686–702
Nordhaus, W. D. (1994): Managing the Global Commons: The Economics of Climate Change | MIT-Press, Cambridge, MA
Nordhaus, W. D. (1993): Rolling the ‘DICE’: An Optimal Transition Path for Controlling Greenhouse Gases | Resource and Energy Economics 15, S. 27 – 50
Oliveira-Martins, J., Burniaux, H.M., Martin, J.P. (1992): Trade and the Effectiveness of Unilateral CO2-Abatement Policies: Evidence from GREEN, OECD Economic Studies 19 | Paris
Pfaffenberger, W. (2006): Wertschöpfung und Beschäftigung durch grüne Energieproduktion? | Energiewirtschaftliche Tagesfragen 56 (9), S. 22 – 26
Requate, T. (2010): Klimaschutz: Stand und Perspektiven | Vorwort des Gastherausgebers | Perspektiven der Wirtschaftspolitik 11(s1), S. 1 – 3
RWI (2004): Gesamtwirtschaftliche, sektorale und ökologische Auswirkungen des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) | Energiewirtschaftlichen Institut (EWI) der Universität Köln | Institut für Energetik und Umwelt, Leipzig | Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), Essen | Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (BMWA)
Schiffer, H.-W. (2010): Deutscher Energiemarkt 2009 | Energiewirtschaftliche Tagesfragen, 60. Jahrgang, Heft 3, S. 76 – 88
Sinn, H.-W. (2008): Das grüne Paradoxon: Warum man das Angebot bei der Klimapolitik nicht vergessen darf | Perspektiven der Wirtschaftspolitik 9 (Sonderheft), S. 109 – 142
164
Literatur
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
Stern, Nicholas (2007): The Economics of Climate Change: The Stern Review | Cambridge University Press | Cambridge and New York
Stiglitz, J.E. (2006): A New Agenda for Global Warming | Economists Voice | The Berkely Electronic Press www.bepress.com/ev
Traber, T., Kemfert, C. (2009): Impacts of the German Support for Renewable Energy on Electricity Prices, Emissions, and Firms | The Energy Journal, 30(3), S. 155 – 178
Tol, R.S.J. (2010): The Economic Impact of Climate Change | Perspektiven der Wirtschaftspolitik 11(s1), S. 13 – 37
Tol, R.S.J. (2005): Adaptation and Mitigation: Trade-offs in Substance and Methods | Environmental Science & Policy 8, S. 572 – 578
Weimann, J. (2008): Die Klimapolitik-Katastrophe – Deutschland im Dunkel der Energiesparlampe | Metropolis | Marburg
Weimann, J. (1994): Umweltökonomik, eine theorieorientierte Einführung, 3. Auflage | Springer
Weitzman, M. L. (2007): A Review of The Stern Review on the Economics of Climate Change | Journal of Economic Perspectives XLV, S. 703 – 724
165
Die Autoren und Herausgeber
Ross McKitrickRoss McKitrick ist Professor der Wirtschaftswissenschaften (Umwelt-
ökonomie) an der University of Guelph in Ontario. Außerdem ist
er Senior Fellow des Fraser Institute in Vancouver, ein Mitglied des
Academic Advisory Boards des John Deutsch Institute in Kingston,
Ontario und der Global Warming Policy Foundation in London, Groß-
britannien.
Seine Forschungsinteressen erstrecken sich auf das Modellieren
des Verhältnisses zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Schad-
stoffemissionen, das Design von Regulierungsmechanismen sowie
auf verschiedene Aspekte der Wissenschaft und der Politik der glo-
balen Erwärmung. Seine Forschungsergebnisse wurden in führen-
den wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht, wie dem Journal
of Environmental Economics and Management, Energy Economics,
Economic Modeling, dem Canadian Journal of Economics, Empirical
Economics, dem Energy Journal sowie Environmental and Resource
Economics. Seine physikalischen Forschungsergebnisse erschienen in
Zeitschriften wie dem Journal of Geophysical Research, den Geophysi-
cal Research Letters, den Atmospheric Science Letters, dem Journal of
Non-Equilibrium Thermodynamics and den Proceedings of the Natio-
nal Academy of Sciences.
Er ist Autor des Lehrbuchs „Economic Analysis of Environmental
Policy” (University of Toronto Press 2010) und veröffentlichte 2002 zu-
sammen mit Christopher Essex von der University of Western Ontario
das Buch „Taken by Storm: The Troubled Science, Policy and Politics of
Global Warming” (2. überarbeitete Auflage 2008), ausgezeichnet mit
dem Donner Prize for the Best Book on Canadian Public Policy.
169
Manuel FrondelProf. Dr. Manuel Frondel ist Diplom-Physiker und Diplom-Wirtschafts-
ingenieur und führt seit 2003 die Forschungsabteilung für Umwelt
und Ressourcen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschafts-
forschung (RWI). Seit 2009 ist er Professor für Energieökonomik und
angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum. Von 2001
bis 2003 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Euro-
päische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim und Professor in
Teilzeit an der Hochschule Heilbronn. Er hat an der wirtschaftswissen-
schaftlichen Fakultät der Universität Heidelberg promoviert.
Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Umwelt-, Res-
sourcen- und Energieökonomik. Prof. Frondel hat in führenden Zeit-
schriften, wie der Review of Economics and Statistics und den Econo-
mic Letters, Beiträge veröffentlicht.
170
Die Autoren und Herausgeber
Die Autoren und Herausgeber
Steffen HentrichSteffen Hentrich ist Referent am Liberalen Institut der Friedrich-
Naumann-Stiftung für die Freiheit in Potsdam. Nach seinem Studium
der Wirtschaftswissenschaften an der Technischen Universität Berlin
war er Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftsforschung in Halle und
arbeitete für mehrere Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim
Sachverständigenrat für Umweltfragen. Er hat sich auf Umwelt- und
Ressourcenfragen spezialisiert.
171
Holger KrahmerHolger Krahmer wurde 1970 in Leipzig geboren. Nach der Schulzeit
und einer Berufsausbildung zum Instandhaltungsmechaniker be-
gann er 1990 seine berufliche Laufbahn als Bankkaufmann bei der
Commerzbank AG. Seit 1993 ist er Mitglied der FDP und seit 2004 Vor-
stand der GANOS Kaffee-Kontor & Rösterei AG in Leipzig.
Im Juni 2004 wurde er erstmals in das Europäische Parlament ge-
wählt. Er ist Mitglied des Parlamentsausschusses für Umwelt, Volksge-
sundheit und Lebensmittelsicherheit und stellvertretendes Mitglied
im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie. Als Berichterstat-
ter des Parlaments bzw. der liberal-demokratischen Fraktion ALDE war
er federführend an EU-Gesetzgebungen unter anderem zur Luftrein-
haltung, zur Minderung von CO2-Emissionen und der Arzneimittel-
zulassung beteiligt. So arbeitete er an den EU-Richtlinien für Luftqua-
lität, Industrieemissionen, an Luftschadstoffnormen für Pkw, leichte
Nutzfahrzeuge sowie schwere Lkw und Busse. Auch an der Richtlinie
zur Einbeziehung des Luftverkehrs in den CO2-Emissionshandel und
der Verordnung zur Vermeidung von Arzneimittelfälschungen war er
federführend beteiligt.
Im Jahr 2010 veröffentlichte er die viel diskutierte Schrift „Unbe-
queme Wahrheiten über die Klimapolitik und ihre wissenschaftlichen
Grundlagen“.
172
Die Autoren und Herausgeber
ISBN 978-3-00-036040-4 | Print
ISBN 978-3-00-036041-1 | eBook
Wissenschaftler, Medien und Politiker scheinen sich einig: Der Klimawandel ist Realität und der Mensch ist schuld daran. Es muss etwas geschehen – koste es, was es wolle. Doch der Schein trügt: Noch steckt die Klimaforschung in den Kinderschuhen, kämpft mit ungenauen Daten und einer Natur, die sich auch mit den komplexesten Modellen nicht zufriedenstellend beschrei-ben lässt. Zukunftsprognosen bleiben Kaffeesatzleserei.
Angesichts dieser Unsicherheiten zerbrechen sich die Experten den Kopf, wie dem Problem Herr zu werden ist. Für die einen steht das Klima und damit die Zukunft von Natur und Mensch-heit auf dem Spiel, die anderen sehen in klimapolitischem Ak-tionismus eine Gefahr für Wohlstand und Entwicklung. Folglich wird auf dem Basar der internationalen Klimapolitik von der Be-schleunigung des grünen Wachstumsmotors bis zum kräftigen Tritt auf die Klimaschutzbremse alles feilgeboten. Kein Wunder, dass die Verhandlungen feststecken.
Nur ein Realitätscheck kann die Situation noch retten. Die Wirt-schaftswissenschaftler Ross McKitrick und Manuel Frondel decken unangenehme Wahrheiten auf und weisen einen Weg aus der Sackgasse der Klimapolitik.