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Stämpfli Verlag recht Zeitschrift für juristischeWeiterbildung und Praxis 32. Jahrgang 1/14 www.recht.recht.ch Abhandlungen 1 Urs Egli Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis (1. Teil) 16 Claudia M. Mordasini-Rohner Gerichtliche Fragepflicht und Untersuchungs- maxime in familienrechtlichen Verfahren 27 Sandra Hotz Zwischen Informed Consent und Verbot: Wertungs- widersprüche in der Reproduktionsmedizin? Von verbotener Leihmutterschaft und Eizellenspende über die Samenspende bis hin zu pränatalen Gentests 37 Martina Caroni Inländerdiskriminierung am Beispiel des Familiennachzuges Inhalt

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Stämpfli Verlag

rechtZeitschrift für juristische Weiterbildung und Praxis

32. Jahrgang

1/14www.recht.recht.ch

Abhandlungen1 Urs Egli

Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis(1. Teil)

16 Claudia M. Mordasini-RohnerGerichtliche Fragepflicht und Untersuchungs­maxime in familienrechtlichen Verfahren

27 Sandra HotzZwischen Informed Consent und Verbot: Wertungs­widersprüche in der Reproduktionsmedizin?Von verbotener Leihmutterschaft und Eizellenspende überdie Samenspende bis hin zu pränatalen Gentests

37 Martina CaroniInländerdiskriminierung am Beispieldes Familiennachzuges

Inhalt

ImpressumSchriftleitung: lic. iur. Thomas SchneiderStämpfli Verlag AG, Wölflistrasse 1Postfach 5662, CH-3001 BernTel. 031 300 62 15, Fax 031 300 66 88E-Mail: [email protected]

www.recht.recht.ch

Adressänderungen und Inserataufträge sind ausschliess-lich an den Stämpfli Verlag AG, Postfach 5662, 3001 Bern,zu richten.Die Aufnahme von Beiträgen erfolgt unter der Bedingung,dass das ausschliessliche Recht zur Vervielfältigung undVerbreitung an den Stämpfli Verlag AG übergeht. Der Verlagbehält sich alle Rechte am Inhalt der Zeitschrift «recht» vor.Insbesondere die Vervielfältigung auf dem Weg der Foto-kopie, der Mikrokopie, der Übernahme auf elektronischeDatenträger und andere Verwertungen jedes Teils dieserZeitschrift bedürfen der Zustimmung des Verlags.Die Zeitschrift erscheint sechsmal jährlich, im Februar, April,Juni, August, Oktober, Dezember.

Abonnementspreise 2014AboPlus(Zeitschrift + Onlinezugang)Schweiz: Normalpreis CHF 175.50,

für immatrikulierte Studenten CHF 143.–Ausland: CHF 185.–Onlineabo: CHF 137.–Einzelheft: CHF 22.–Die Preise verstehen sich inkl. Versandkostenund 2,5% resp. für Onlineangebote 8% MWSt.

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Inserate:Tel. 031 300 63 82, Fax: 031 300 63 90,[email protected]© Stämpfli Verlag AG Bern 2013Gesamtherstellung: Stämpfli Publikationen AG, BernPrinted in Switzerland, ISSN 0253-9810

Herausgeber und Redaktion

Privatrecht

WOLFGANG ERNSTProfessor für Römisches Rechtund Privatrecht, Universität Zürich

ROLAND FANKHAUSERProfessor für Zivilrecht undZivilprozessrecht, Universität Basel

PETER JUNGProfessor für Privatrecht,Universität Basel

CHRISTOPH MÜLLERProfessor für Vertragsrecht,Privatrechtsvergleichungund Europäisches Privatrecht,Universität Neuenburg

ALEXANDRA RUMO­JUNGOProfessorin für Zivilrecht,Universität Freiburg

Wirtschaftsrecht

PETER JUNGProfessor für Privatrecht,Universität Basel

PETER V. KUNZProfessor für Wirtschaftsrechtund Rechtsvergleichung,Universität Bern

ROGER ZÄCHProfessor em. für Privat-,Wirtschafts- und Europarecht,Universität Zürich

Strafrecht

FELIX BOMMEROrdinarius für Strafrecht, Straf-prozessrecht und InternationalesStrafrecht, Universität Luzern

SABINE GLESSOrdinaria für Strafrecht und Straf-prozessrecht, Universität Basel

Öffentliches Recht

MARTINA CARONIOrdinaria für öffentliches Recht,Völkerrecht und Rechtsverglei-chung im öffentlichen Recht,Universität Luzern

BERNHARD RÜTSCHEOrdinarius für Öffentliches Rechtund Rechtsphilosophie,Universität Luzern

DANIELA THURNHERRProfessorin für Öffentliches Recht,insb. Verwaltungsrecht undöffentliches Prozessrecht,Universität Basel

recht 2014 Heft 1

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Urs Egli

Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis(1. Teil)*

Das Kartellrecht schränkt die Vertragsfreiheit ein. Das ist bei der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen.Dieser Aufsatz vermittelt gegliedert nach Vertragstypen eine Übersicht über die wichtigsten problema-tischen Klauseln und gibt eine Anleitung, wie sie nach schweizerischem und europäischem Kartellrechtzu prüfen sind.

Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Kartellrechtliche Grundlagen1. Extraterritoriale Geltung des Kartellrechts2. Schweizerisches und europäisches Kartellrecht3. Rechtsquellen4. Adressaten des Kartellrechts5. Die drei Säulen des Kartellrechts6. Das Kartellverbot7. Wettbewerbsabsprachen in Verträgen8. Prüfschema9. Marktanteile

10. Anwendung des Kartellrechts auf KMU11. Auslegung und Ermessen12. Vorabklärungen bei den Kartellbehörden13. Verwaltungs- und Strafsanktionen14. Zivilrechtliche Nichtigkeit15. Zivilrechtliche Klagen

III. Beurteilung typischer Klauseln1. Vertriebsverträge2. Franchiseverträge3. Lizenzverträge4. Technologiepools5. Zuliefer- und Subunternehmerverträge6. Arbeitsgemeinschaften7. Kooperationsverträge8. Unternehmenskaufverträge9. Joint-Venture-Verträge

10. Wettbewerbsverbote im Besonderen11. Unzulässige Klauseln für marktbeherrschende

Unternehmen

IV. Empfehlungen

I. Einleitung

Die Vertragsfreiheit ist ein Grundpfeiler der libera-len Wirtschaftsordnung. Sie besagt, dass die Par-teien ihre vertraglichen Rechte und Pflichten inden Grenzen des Gesetzes frei regeln können.1Das Kartellrecht begrenzt die Vertragsfreiheit derParteien. Bei der Vertragsgestaltung sind die

Dr. iur. Urs Egli, Rechtsanwalt und Gründungspartner der epart-ners Rechtsanwälte AG, Zürich

* Der 2. Teil folgt in recht Heft 2/14.1 Grundlegend Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 5 ff.

Schranken des Kartellverbots zu beachten. Fürmarktmächtige Unternehmen besteht ein Kontra-hierungszwang, und die Fusionskontrolle kann dieVerfügung über Unternehmen verbieten.

Exemplarisch für die Bedeutung des Kartell-rechts bei der Vertragsgestaltung ist der Sachver-halt, welcher der CEPSA-Entscheidung des EuGHzugrunde lag:2 Die spanische MineralölhändlerinCEPSA schloss mit Tobar 1996 einen zehnjährigenTankstellenvertrag ab. CEPSA stellte die Zapfsäu-len und Kraftstofftanks zur Verfügung, und Tobarverpflichtete sich im Gegenzug, den Kraftstoff ex-klusiv von CEPSA zu beziehen. Tobar hielt sich nichtdaran und berief sich auf die Nichtigkeit des Allein-bezugsvertrages wegen eines Verstosses gegendas europäische Kartellrecht.

Bei der Gestaltung und der Verhandlung vonVerträgen muss der Jurist die Grenzen des Zuläs-sigen aufzeigen. Die Spezialdisziplin des Kartell-rechts wird jedoch nur von den Mitarbeitern derWettbewerbsbehörden und spezialisierten Wirt-schaftsanwälten wirklich verstanden.3 Bei der Ver-tragsredaktion und in Verhandlungssituationen istaber nicht immer ein Kartellrechtsspezialist verfüg-bar. Deshalb muss jeder Jurist, der mit Verträgenzu tun hat, über ein kartellrechtliches Grundwissenverfügen. Dieses kann er sich anhand der aktuel-len juristischen Literatur4 selber aneignen, wobeider Besuch einer Weiterbildung den Einstieg si-cher erleichtert.5

Im Folgenden werden unter II. die wichtigstenkartellrechtlichen Regeln dargestellt, die im Zusam-menhang mit der Vertragsgestaltung relevant sind.

2 EuGH, Urteil v. 11. September 2008, Rs. C-279/06 – CEPSA.3 Votum von J. Zürcher anlässlich der Tagung der Studienverei-

nigung Kartellrecht und des Instituts für Wirtschaftsrecht der Uni-versität Bern vom 21. Juni 2013, zitiert bei Prangenberg, Rz. 62.

4 Als Einstieg für den Praktiker eignen sich für die Schweiz We-ber/Volz und für das europäische Kartellrecht Dietze/Janssen. FürDetailabklärungen können der von Amstutz/Reinert herausgege-bene Basler Kommentar zum Kartellgesetz und die von Mägerherausgegebene, mit zahlreichen Zitaten versehene Darstellungdes europäischen Kartellrechts beigezogen werden.

5 Der Verfasser besuchte einen CAS-Lehrgang zum europäi-schen Kartellrecht an der Universität Konstanz.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

Anschliessend wird unter III. gegliedert nach Ver-tragstypen eine Übersicht über die kartellrechtlichproblematischen Klauseln vermittelt. Beides er-folgt unter Berücksichtigung des schweizerischenund des europäischen Kartellrechts. Dadurch sollein mit der Vertragsredaktion befasster Jurist indie Lage versetzt werden, kartellrechtlich kritischeKlauseln erstens zu erkennen und zweitens nachden anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen imDetail zu prüfen.

II. Kartellrechtliche Grundlagen

1. Extraterritoriale Geltungdes Kartellrechts

In Bezug auf die räumliche Geltung des Kartell-rechts gilt das Auswirkungsprinzip. Das Kartellrechtfindet auf alle Sachverhalte Anwendung, die sichauf den Wettbewerb der betroffenen Rechtsord-nung auswirken.6 Auf den Handlungsort kommt esdabei nicht an.7

Bei der Vertragsredaktion kann vom Juristennicht immer abgeschätzt werden, welche Kartell-rechtsordnungen betroffen sind. So kann beispiels-weise auch ein Kooperationsvertrag zwischeneinem schweizerischen und einem deutschen Her-steller den amerikanischen oder den brasiliani-schen Markt beeinflussen. Sich bei der Kartell-rechtsprüfung nur auf das schweizerische Kartell-recht zu beschränken, ist deshalb nicht ausreichend.

Mit einer Orientierung am europäischen Kartell-recht kann ein Schweizer Jurist jedoch die kartell-rechtlichen Risiken kontrollieren. Die wichtigenKartellrechtsordnungen gleichen sich, und das eu-ropäische Kartellrecht ist ein modernes und stren-ges Kartellrecht. Es kann deshalb davon ausgegan-gen werden, dass Klauseln auch nach anderen Kar-tellrechtsordnungen zulässig sind, wenn dies nacheuropäischem Kartellrecht der Fall ist. Zudem spieltsich der schweizerische Aussenhandel ohnehin zueinem grossen Teil im europäischen Raum ab.

Diese Überlegungen gelten nicht für Fusions-kontrollverfahren. Dafür sind in jedem Fall Kartell-rechtsspezialisten beizuziehen, welche in der be-troffenen Rechtsordnung praktisch tätig sind.

6 CH: Art. 2 Abs. 2 KG; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel,Rn. 21.

7 Illustrativ zum Auswirkungsprinzip sind die folgenden Ent-scheide: zur extraterritorialen Anwendung des US-Kartellrechtssiehe Hartfort Fire Insurance Co. vs California, 509 U.S. 764 (1993);für die Schweiz siehe die Verfügung der Wettbewerbskommis-sion vom 30.11.2009 in Sachen Gaba/Gebro, RPW 2010/1 65 ff.

2. Schweizerisches undeuropäisches Kartellrecht

Das europäische und das schweizerische Kartell-recht sind seit der letzten Revision im Jahr 2004 imBereich der materiellen Regeln praktisch deckungs-gleich, auch wenn die Normtatbestände anders auf-gebaut sind.8 Die Harmonisierung des schweizeri-schen und des europäischen Wettbewerbsrechtsist zudem ein zentrales Anliegen der schweizeri-schen Wettbewerbskommission (Weko).9

Unterschiede bestehen im Verfahrensrecht undbei den Sanktionen. So sind im schweizerischenanders als im europäischen Kartellrecht nicht alleVerstösse mit einer direkten Sanktion bedroht, son-dern nur die Verletzung der qualifizierten Bestim-mungen von Art. 5 Abs. 3 und 4 sowie Art. 7 KG.10

Für den Schweizer Juristen hat diese materielleÜbereinstimmung von schweizerischem und eu-ropäischem Kartellrecht den Vorteil, dass er bei derAuslegung des schweizerischen Kartellrechts diereichhaltige europäische Praxis und Literatur bei-ziehen kann.

3. Rechtsquellen

Das schweizerische Kartellrecht ist im Kartellge-setz (KG) kodifiziert. Daneben hat die Weko diverseBekanntmachungen erlassen, insbesondere dieVertikalbekanntmachung11 und die KMU-Bekannt-machung12. Bekanntmachungen sind keine Ge-setze, sondern eine Zusammenstellung der Ver-waltungspraxis einer Behörde.13 Sie binden wederdie Unternehmen noch die Zivilgerichte.14 Für dieWeko sind sie aufgrund des Vertrauensprinzips je-doch praktisch bindend.15

Die Grundsätze des europäischen Kartellrechtssind in den Artikeln 101–106 des Vertrags über dieArbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vom1. Dezember 2009 geregelt.16 Daneben hat die Eu-ropäische Kommission mehrere Verordnungen mitGesetzescharakter erlassen, welche im Zusam-menhang mit der kartellrechtskonformen Vertrags-

8 Zum Ganzen siehe Sturny 107 ff.; Zäch, Harmonisierung, miteiner detaillierten Analyse und einer synoptischen Darstellung.

9 Bekanntmachung über die wettbewerbsrechtliche Behand-lung vertikaler Abreden vom 28. Juni 2010, einleitende Bemer-kungen VI. und VII.

10 Siehe dazu hinten II.13.11 Bekanntmachung über die wettbewerbsrechtliche Behand-

lung vertikaler Abreden vom 28. Juni 2010.12 Bekanntmachung betreffend Abreden mit beschränkter Markt-

wirkung vom 19. Dezember 2005.13 Neff in BSK KG, Art. 6 KG N 23.14 Neff in BSK KG, Art. 6 KG N 27.15 Borer, Art. 6 KG N 3.16 Mit dem sog. Vertrag von Lissabon wurde der EG-Vertrag um-

benannt und neu strukturiert. Inhaltlich entsprechen die Bestim-mungen den früheren Art. 81 und 82 EGV.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

gestaltung von grosser Bedeutung sind, insbeson-dere die Vertikal-GVO17, die Spezialisierungs-GVO18,die TT-GVO19 sowie die F&E-GVO20.

Überdies äussert sich auch die EuropäischeKommission in Leitlinien zur Auslegung ihrerGesetze. Von Bedeutung sind die De-minimis-Bekanntmachung21, die Vertikal-Leitlinien22, dieTT-Leitlinien23 sowie die Leitlinien über die hori-zontale Zusammenarbeit.24 Die Leitlinien habenwie die Bekanntmachungen der Weko keinen Ge-setzescharakter.25

4. Adressaten des Kartellrechts

Das Kartellrecht richtet sich an Unternehmen. DerUnternehmensbegriff ist funktional auszulegen. Er-fasst wird jede Einheit, die eine wirtschaftliche Tä-tigkeit ausübt, unabhängig von der Rechtsform.26

Insbesondere findet das Kartellrecht auch aufdie wirtschaftliche Betätigung der öffentlichenHand Anwendung.27 Hingegen sind konzerninterneTransaktionen vom Anwendungsbereich des Kar-tellrechts ausgenommen.28

5. Die drei Säulen des Kartellrechts

Das Kartellrecht beruht auf drei Säulen: dem Kar-tellverbot, dem Verbot des Missbrauchs von Markt-macht und der Fusionskontrolle.

Das Kartellverbot erfasst horizontale und verti-kale Absprachen über das Wettbewerbsverhalten.Horizontale Absprachen werden zwischen Unter-nehmen auf der gleichen Marktstufe (Konkurren-ten) getroffen, vertikale Absprachen zwischen Un-

17 Verordnung (EU) Nr. 330/2010 über die Anwendung vonArt. 101 Abs. 3 AEUV auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungenund abgestimmten Verhaltensweisen.

18 Verordnung (EU) Nr. 1218/2010 über die Anwendung vonArt. 101 Abs. 3 AEUV auf bestimmte Gruppen von Spezialisie-rungsvereinbarungen.

19 Verordnung (EU) Nr. 772/2004 über die Anwendung von Art. 81Abs. 3 EGV auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen.

20 Verordnung (EU) Nr. 1217/2010 über die Anwendung vonArt. 101 Abs. 3 AEUV auf bestimmte Gruppen von Vereinbarun-gen über Forschung und Entwicklung.

21 Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen vongeringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäss Art. 81 Abs. 1EGV nicht spürbar beschränken, 2001/C 368/07.

22 Leitlinien für vertikale Beschränkungen, 2010/C 130/01.23 Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 EGV auf Technologie-

transfer-Vereinbarungen, 2004/C 101/02.24 Leitlinien zur Anwendung von Art. 101 AEUV auf Vereinbarun-

gen über horizontale Zusammenarbeit, 2011/C 11/01.25 Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 13.26 CH: Art. 2 Abs. 1 KG und Lehne in BSK KG, Art. 2 KG N 14 f.;

EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 15.27 CH: Art. 2 Abs. 1 KG; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel,

Rn. 15 f. Dies gilt im europäischen Kartellrecht allerdings nicht,wenn Beschaffungen im Hinblick auf die Wahrnehmung hoheitli-cher Aufgaben erfolgen (Mäger in Mäger [Hrsg.], 1. Kapitel, Rn. 15).

28 CH: Lehne in BSK KG, Art. 2 KG N 27 ff.; EU: Emmerich in Im-menga/Mestmäcker (Hrsg.), Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 49 ff.

ternehmen verschiedener Marktstufen, also z.B.zwischen einem Hersteller und einem Distributor.Das Kartellverbot ist bei der Vertragsgestaltungvon zentraler Bedeutung.

Marktbeherrschende Unternehmen dürfen ihreMarktmacht nicht dazu missbrauchen, andere Un-ternehmen zu behindern und die Marktgegenseitezu benachteiligen.29 Das Missbrauchsverbot unter-sagt marktbeherrschenden Unternehmen be-stimmte Geschäftspraktiken, die für andere, nichtmarktbeherrschende Unternehmen zulässig sind.Dies schränkt die Vertragsfreiheit marktbeherr-schender Unternehmen zusätzlich ein.

Mit der Fusionskontrolle schliesslich soll dasEntstehen von Marktstrukturen verhindert werden,welche für den Wettbewerb negativ sind (Mono-pole und Oligopole).30 Im Bereich der Unterneh-menskaufverträge hat die Fusionskontrolle einegrosse Bedeutung. Untersteht eine Transaktion derFusionskontrolle, so werden der Ablauf und dieStrukturierung der Transaktion dadurch entschei-dend beeinflusst und die Verfügung über ein Un-ternehmen kann sogar gänzlich untersagt werden.

6. Das Kartellverbot

Kartelle im eigentlichen Sinn sind horizontale Ab-reden zwischen konkurrierenden Unternehmen.31

Besonders anfällig für Kartellabsprachen sind ho-mogene Güter wie Benzin, Heizöl, Mehl, Bier,Sand, Kies, Zement sowie gewisse Versicherungs-und Bankprodukte.32 Der Hauptzweck einer Kar-tellabsprache besteht darin, den Wettbewerb zubeschränken. Kartellabsprachen werden meistensheimlich getroffen und nicht schriftlich in Verträ-gen niedergeschrieben.

Das Kartellverbot untersagt grundsätzlich Preis-absprachen, die Aufteilung von Märkten sowie dieEinschränkung von Produktions-, Bezugs- oder Lie-fermengen.

Unter einer Preisabsprache wird jede direkteoder indirekte Festsetzung von Preisen oder Preis-elementen verstanden.33 Preisabsprachen werdensowohl im schweizerischen wie auch im europäi-schen Kartellrecht bereits im Gesetzestext er-wähnt.34 Sie werden von der europäischen Kom-mission mit Nachdruck verfolgt und mit hohenBussen belegt.35

29 Art. 7 Abs. 1 KG und Art. 102 AEUV.30 Meinhardt/Waser/Bischof in BSK KG, Art. 10 KG N 11 ff.31 Zäch, Rz. 49.32 Siehe die beispielhafte Aufzählung homogener Güter bei Zäch,

Rz. 437.33 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 374; Zäch, Rz. 454.34 Art. 5 Abs. 3 lit. a KG; Art. 101 Abs. 1 lit. a AEUV.35 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 11.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

Bei Gebietsabsprachen ist eine Rechtfertigunghingegen eher denkbar. So sind im europäischenKartellrecht Gebietsabsprachen zwischen Konkur-renten im Rahmen von Lizenzverträgen unter be-stimmten Umständen zulässig,36 und im schwei-zerischen Kartellrecht kann der Nachweis geführtwerden, dass wirksamer Wettbewerb durch dieGebietsabsprache nicht beseitigt wird.37

Mit Mengen- oder Quotenkartellen38 wird dasGüterangebot künstlich verknappt.39 Darunter fälltauch die Vereinheitlichung von Produktions- undStillstandzeiten und der konzertierte Abbau vonProduktionskapazitäten40 sowie die Beschränkungder Forschungs- und Entwicklungstätigkeit.41 Sol-che Abreden finden sich beispielsweise in Koope-rations-, Joint-Venture- und Spezialisierungsverein-barungen.42

Und schliesslich untersagt das Kartellverbotauch den Austausch von Informationen zwischenkonkurrierenden Unternehmen, denn es bestehtdie Befürchtung, dass es aufgrund des Informa-tionsaustausches zu koordiniertem Verhalten zwi-schen den Wettbewerbern kommen wird.43 Grund-sätzlich unzulässig ist der Austausch strategischerDaten, die als Geschäftsgeheimnisse anzusehensind. Dazu zählen Preise, Kundenlisten, Produk-tionskosten, Mengen, Umsätze, Verkaufszahlen,Kapazitäten, Qualität, Marketingpläne, Risiken, In-vestitionen und Technologien.44

7. Wettbewerbsabsprachenin Verträgen

Das Kartellverbot untersagt nicht nur Kartelle imeigentlichen Sinn, sondern jede Abrede, welcheeine Wettbewerbsbeschränkung darstellt. Einesolche liegt vor, wenn die Handlungsfreiheitder Wettbewerbsteilnehmer in Bezug auf einenoder mehrere Wettbewerbsparameter (z.B. Preis,Marktgebiet, Kundenkreis, Absatzmengen) be-schränkt wird.45 Wettbewerbsabsprachen findensich meistens als Nebenabreden in Austausch- undGesellschaftsverträgen. Im Unterschied zu Kartel-len im eigentlichen Sinn bilden sie nicht den Haupt-zweck des Vertrages. Wettbewerbsabsprachensind sowohl in horizontalen Verträgen (z.B. inKooperationsverträgen) wie auch in vertikalen Ver-

36 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 74.37 Zäch, Rz. 459.38 Art. 5 Abs. 3 lit. b KG; Art. 101 Abs. 1 lit. b AEUV.39 Zäch, Rz. 456.40 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 15.41 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 17.42 Zäch, Rz. 456.43 Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit, Rn. 65.44 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 24.45 Borer, Art. 5 KG N 6; Zäch Rz. 379.

trägen (z.B. in Vertriebs-, Lizenz- und Beschaf-fungsverträgen) anzutreffen.

Wettbewerbsabsprachen setzen im Normalfallein Dauerschuldverhältnis voraus. In Zielschuldver-hältnissen sind sie selten anzutreffen. Kauf- undWerkverträge enthalten deshalb kaum je Wettbe-werbsabsprachen.46

Vertragsklauselnwerdenbisweilenalsschwarze,graue, rote und weisse Klauseln bezeichnet, umdamit eine prägnante Aussage zur Zulässigkeit zumachen.

Schwarze Klauseln enthalten unzulässige Kern-beschränkungen. Im europäischen Kartellrecht füh-ren schwarze Klauseln dazu, dass eine Vereinba-rung in der Gesamtheit nicht unter eine GVO fällt.47

Im Normalfall ist bei einer schwarzen Klausel aucheine Einzelfreistellung ausgeschlossen. Im schwei-zerischen Kartellrecht bewirken Kernbeschränkun-gen die Vermutung, dass wirksamer Wettbewerbbeseitigt ist. Auf die Marktanteile der beteiligtenUnternehmen kommt es dabei nicht an. Im schwei-zerischen Kartellrecht sind schwarze Klauselnselbst für Kleinstunternehmen grundsätzlich unter-sagt.48

Als graue Klauseln werden im europäischen Kar-tellrecht Abreden bezeichnet, die nach der anwend-baren GVO zwar ebenfalls unzulässig sind. Einegraue Klausel führt im Unterschied zu einer schwar-zen Klausel jedoch nicht zum Verlust der Freistel-lung für die gesamte Vereinbarung. Vielmehr istnur die betreffende Klausel nicht durch die GVOfreigestellt, während die GVO für die übrige Ver-einbarung grundsätzlich anwendbar bleibt.49 GraueKlauseln sind z.B. Wettbewerbsverbote, die fürlänger als fünf Jahre oder für unbestimmte Dauereingegangen werden50, sowie den Abnehmer bin-dende, nachvertragliche Wettbewerbsverbote51.

In Art. 12 der Vertikalbekanntmachung werdenfür das schweizerische Kartellrecht neben schwar-zen auch rote Klauseln aufgeführt. Rote Klauselnsind z.B. die Beschränkung von Querlieferungenzwischen Händlern eines selektiven Vertriebssys-tems oder Wettbewerbsverbote, die für mehr alsfünf Jahre oder für eine unbeschränkte Zeit einge-gangen werden.52 Bei roten Klauseln liegt zwareine erhebliche Wettbewerbsbeeinträchtigungvor.53 Sie bewirken jedoch keine Vermutung, dasswirksamer Wettbewerb beseitigt ist und sie unter-

46 Zu den Wettbewerbsverboten beim Unternehmenskauf siehehinten III.10.

47 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 69.48 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 263.49 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 73.50 Art. 5 Abs. 1 lit. a Vertikal-GVO.51 Art. 5 Abs. 1 lit. b Vertikal-GVO.52 Graber/Krauskopf, 793 f.53 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 261.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

stehen nicht dem mit direkten Sanktionen bedroh-ten Art. 5 Abs. 4 KG.

Im europäischen Kartellrecht gab es früher auchweisse Klauseln, die ausdrücklich zulässig waren.54

Heute kennen weder das europäische noch dasschweizerische Kartellrecht weisse Klauseln.

8. Prüfschema

Die konkrete Prüfung der kartellrechtlichen Klau-seln muss sich am anwendbaren Kartellrecht ori-entieren. Für das schweizerische Kartellrecht istdies der Art. 5 KG, für das europäische Kartellrechtder Art. 101 AEUV.

Das Prüfschema gemäss Art. 5 KG ist mehrstu-fig.55 Vereinfacht sind nacheinander die folgendenFragen zu stellen: Liegt ein Bagatellfall vor, der nichtvom Kartellverbot erfasst wird? Wird der wirksameWettbewerb durch die Abrede beseitigt, was inden Fällen von Art. 5 Abs. 3 und 4 KG vermutetwird? Wird der wirksame Wettbewerb zwar nichtbeseitigt, aber doch erheblich beeinträchtigt? Lässtsich die Beeinträchtigung durch wirtschaftliche Ef-fizienz rechtfertigen?

Wann eine Wettbewerbsbeschränkung denWettbewerb erheblich beeinträchtigt, wird imschweizerischen Kartellrecht nach quantitativenund nach qualitativen Kriterien beurteilt.56 Quanti-tative Kriterien stellen auf die Beeinträchtigung desWettbewerbs und damit auf die Marktanteile ab,qualitative Kriterien auf die Bedeutung der betrof-fenen Wettbewerbsparameter. Einschränkungender wichtigsten Wettbewerbsparameter wie Preisund Kundenkreis stellen deshalb bei einer rein qua-litativen Beurteilung unabhängig von den Markt-anteilen immer eine erhebliche Wettbewerbs-beschränkung dar.57 Die aktuelle Praxis nähert sichdem europäischen Kartellrecht an,58 welches zu-mindest im Bereich der absolut untersagten Kern-beschränkungen von qualitativen Kriterien ausgeht.

Ob wirksamer Wettbewerb beseitigt oder nurerheblich beeinträchtigt wird, ist in doppelter Hin-sicht relevant. Zum einen lassen sich Abreden, wel-che den Wettbewerb beseitigen, nicht mit wirt-schaftlicher Effizienz rechtfertigen.59 Zum anderensind nur den Wettbewerb beseitigende Abredenmit direkten Sanktionen bedroht.60

54 Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 103.55 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 658 f.; Weber/Vlcek,

Tafel 23.56 Zum Ganzen siehe Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG

N 148 ff. und Weber/Volz, Rz. 2.322 ff.57 So insbesondere Zäch, Rz. 388 ff. unter Berufung auf eine Aus-

legung der Vertikalbekanntmachung.58 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 167.59 Art. 5 Abs. 2 lit. b KG.60 Siehe hinten II.13.

Eine wichtige Rolle spielt die Beweislast.61 In zi-vilrechtlichen Verfahren ist Art. 8 ZGB massgebend,d.h., die Wettbewerbsbeschränkung ist von derje-nigen Partei zu behaupten und zu beweisen, diesich darauf beruft. Umgekehrt ist die wirtschaftli-che Effizienz einer nachgewiesenen Wettbewerbs-beschränkung von derjenigen Partei zu beweisen,welche sich auf die Gültigkeit der Abrede beruft.Die Beweislastregeln gelten insbesondere für diegesetzliche Vermutung gemäss Art. 5 Abs. 3 und4 KG. Ist die Vermutungsbasis nachgewiesen, sohat ein Gericht davon auszugehen, dass wirksamerWettbewerb beseitigt ist, sofern der Beweis desGegenteils nicht gelingt.62 Die Vermutung kann z.B.durch den Nachweis widerlegt werden, dass zuwenig Marktteilnehmer eingebunden sind63 oderdass die Abrede von den Parteien nicht beachtetwird.64 Führen Abreden jedoch zu einer Marktab-schottung des schweizerischen Marktes, ist derGegenbeweis, dass wirksamer Wettbewerb vor-liegt, von vornherein ausgeschlossen.65

Im europäischen Kartellrecht wird zwischen ei-ner Gruppenfreistellung und einer Einzelfreistel-lung unterschieden. In der Praxis ist zunächst zuprüfen, ob eine Wettbewerbsbeschränkung durcheine GVO freigestellt ist.66 Eine GVO gelangt nurzur Anwendung, wenn die Marktanteile der betei-ligten Unternehmen gewisse Schwellenwerte nichtüberschreiten (je nach GVO zwischen 20% und30%). Ein Sachverhalt kann in den Anwendungs-bereich mehrerer GVO fallen. Dann ist zu prüfen,welche Verordnung zur Anwendung gelangt.67 DieVertikal-GVO hat nachrangige Geltung.68

Ist keine GVO anwendbar, ist zu prüfen, ob dieVoraussetzungen für eine Einzelfreistellung erfülltsind. Diese ergeben sich aus Art. 101 Abs. 3 AE-UV.69 Wettbewerbsbeschränkungen sind dannvom Kartellverbot ausgenommen, wenn sie zurVerbesserung der Warenerzeugung oder -vertei-lung und zur Förderung des technischen Fort-schritts beitragen und die Marktgegenseite am er-zielten Gewinn angemessen beteiligen. Dies giltallerdings nur, wenn eine Wettbewerbsbeschrän-kung zur Erreichung dieser Ziele unerlässlich istund wenn der Wettbewerb für die betroffenen Wa-ren nicht vollständig ausgeschaltet wird.70

61 Ausführlich dazu Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KGN 622 ff.

62 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 658 ff.; Weber/Vlcek,Tafel 25, Fn 2; Zäch, Rz. 450.

63 Zäch, Rz. 476.64 Zäch, Rz. 487.65 Zäch, Rz. 486.66 Dietze/Jannsen, Rn. 158.67 Siehe dazu Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 55 ff.68 Art. 2 Abs. 5 Vertikal-GVO.69 Zur direkten Anwendbarkeit von Art. 101 Abs. 3 AEUV und

zum System der Legalausnahme siehe hinten II.12.70 Zum Ganzen siehe Ellger in Immenga/Mestmäcker, Art. 101

Abs. 3 AEUV, Rn. 128 ff.; Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 106 ff.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

Bei einer Einzelfreistellung haben die GVO Aus-strahlungswirkung. So kann bei einer nur gering-fügigen Überschreitung der Marktanteile mit einerFreistellung gerechnet werden.71 Dies gilt aberauch umgekehrt, und es ist unwahrscheinlich, dasseine Kernbeschränkung die Kriterien einer Einzel-freistellung erfüllt.72

9. Marktanteile

Bei der kartellrechtlichen Beurteilung von Sach-verhalten sind die Marktanteile der involvierten Un-ternehmen von zentraler Bedeutung. Vom Markt-anteil hängt ab, ob das Kartellrecht auf einenbestimmten Sachverhalt überhaupt Anwendungfindet oder ob Marktmacht als Voraussetzung desMissbrauchstatbestands vorliegt. Im europäischenKartellrecht ist eine Gruppenfreistellung nur mög-lich, wenn die in der entsprechenden GVO erwähn-ten Marktanteile nicht überschritten werden. Undbei der Fusionskontrolle schliesslich dreht sich beider materiellen Beurteilung alles darum, ob es zueiner unerwünschten Konzentration von Marktan-teilen kommt.

Um den Marktanteil eines Unternehmens zu be-stimmen, muss man den relevanten Markt in sach-licher, örtlicher und zeitlicher Hinsicht abgrenzen.73

In sachlicher Hinsicht gehören Güter oder Dienst-leistungen dann zum gleichen Markt, wenn sie ausder Sicht der Abnehmer austauschbar sind.74 Dergleiche Ansatz gilt für die Bestimmung des örtlichund zeitlich relevanten Marktes.

Für die Ermittlung der Marktanteile braucht esökonomische Kompetenz. Diese Aufgabe obliegtdeshalb nicht in erster Linie dem Juristen, und erdarf sie nicht ohne Unterstützung wahrnehmen. Inder Regel kennen die Unternehmen ihre Konkur-renten und den eigenen Marktanteil aber relativgenau.

Marktanteile können sich verändern. Eine ur-sprünglich zulässige Abrede kann deshalb im Ver-lauf der Zeit unzulässig werden, z.B. weil sie ausdem Anwendungsbereich einer GVO herausfällt.

10. Anwendung des Kartellrechts auf KMU

Das Kartellrecht bezweckt, die Wirksamkeit desWettbewerbs zu schützen. Entsprechend beschäf-tigt sich das Kartellrecht nicht mit Tatbeständen,welche aufgrund ihrer geringen Bedeutung keine

71 Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 121.72 Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 122.73 Zum Vorgehen siehe CH: Weber/Volz, Rz. 2.30 ff.; EU: Dietze/

Jannsen, 371 ff.74 Weber/Volz, Rz. 2.318.

Gefährdung des Wettbewerbs darstellen können.Wo die Grenzwerte liegen, wird von den verschie-denen Kartellrechtsordnungen unterschiedlich de-finiert.

Im Bereich des Kartellverbots kann davon aus-gegangen werden, dass unterhalb eines gemein-samen Marktanteils von 10% keine kartellrechts-relevante Beeinträchtigung des Wettbewerbsvorliegt.75 Dies gilt nicht für Kernbeschränkungenwie Preis- und Gebietsabsprachen, welche auchim Bagatellbereich unzulässig bleiben.76 Zudem ha-ben die Wettbewerbsbehörden Ermessen und kön-nen auch bei tieferen Werten von einer Beeinträch-tigung ausgehen.77

Für Kleinstunternehmen mit weniger als zehnMitarbeitenden und einem Jahresumsatz von un-ter CHF 2 Mio. hat die Weko besondere Regeln er-lassen. Die Weko betrachtet Wettbewerbsabre-den, an welchen ausschliesslich Kleinstunterneh-men beteiligt sind, als unerheblich.78 Aber auchdas gilt nicht für Kernbeschränkungen wie Preis-und Gebietsabsprachen79, weshalb der Nutzen die-ser Sonderregelung beschränkt ist.

11. Auslegung und Ermessen

Das Kartellrecht arbeitet mit zahlreichen unbe-stimmten Rechtsbegriffen und gibt den rechtsan-wendenden Organen viel Ermessen. Es ist nichtimmer klar, ob ein bestimmtes Verhalten zulässigoder verboten ist. In diesem Zusammenhangwerden die Begriffe «Per-se-Verbot» und «Rule ofReason» verwendet.80 Mit einem Per-se-Verbotwird eine Wettbewerbsabrede als kartellrechts-widrig erklärt. Eine allfällige Rechtfertigung wirdnicht geprüft.81 Bei einer Rule of Reason ist eineKlausel nicht von vornherein kartellrechtswidrig,sondern die rechtsanwendende Behörde muss imEinzelfall ermitteln, ob die Klausel wettbewerbs-politisch schädlich ist.82 Unter dem Schlagwort«More Economic Approach» schliesslich wirdgefordert, dass der Ökonomie bei der Kartell-

75 CH: Ziffer 3 KMU-Bekanntmachung; EU: Ziffer 7 De-minimis-Bekanntmachung.

76 CH: Ziffer 3 Abs. 2 sowie Ziffer 5 KMU-Bekanntmachung; EU:Ziffer 11 De-minimis-Bekanntmachung.

77 In der schweizerischen Lehre wird kritisiert, dass die KMU-Bekanntmachung im Vergleich zur europäischen De-minimis-Bekanntmachung weniger Rechtssicherheit vermittle (Ammann/Strebel, 228 ff.; Neff in BSK KG, Einleitung KMU-BM, N 1 ff.).

78 Ziffer 5 KMU-Bekanntmachung.79 Ziffer 5 lit. a KMU-Bekanntmachung.80 Im schweizerischen Kartellrecht z.B. im Zusammenhang mit

Art. 3 Abs. 2 KG (siehe Hilty in BSK KG, Art. 3 Abs. 2 KG N 46); imeuropäischen Kartellrecht im Zusammenhang mit der Frage, obKoppelungsgeschäfte per se verboten sind oder nur wenn sie denWettbewerb tatsächlich beeinträchtigen (Wirtz in Mäger [Hrsg.],6. Kapitel, Rn. 93).

81 Zäch, Rz. 171.82 Zäch, Rz. 170.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

rechtsanwendung eine grössere Bedeutung zu-kommen soll.83

Ist eine bestimmte Abrede nur verboten, wennsie sich bei einer ökonomischen Betrachtungnegativ auf den Wettbewerb und letztlich dieWohlfahrt auswirkt, so mag das für die direkt be-troffenen Unternehmen vorteilhaft sein. Auf dieBerechenbarkeit der Rechtsanwendung hat eingrosses Ermessen jedoch einen negativen Ein-fluss.84

Kartellrechtlichen Fragestellungen liegen hand-feste wirtschaftliche Interessen zugrunde. Vielesist umstritten und wenig ist wirklich klar. Entspre-chend zahlreich sind die juristischen Publikationenzu kartellrechtlichen Fragestellungen.85 Dass dieVerfasser solcher Publikationen gleichzeitig oftauch Interessenvertreter sind, erschwert die Su-che nach objektiven Anhaltspunkten.86 Das gilt fürdas schweizerische Kartellrecht noch viel mehr alsfür das europäische, wo sich eine gefestigte Pra-xis entwickeln konnte.

12. Vorabklärungen bei den Kartell­behörden

Es gibt weder für das schweizerische noch für daseuropäische Kartellrecht eine Möglichkeit, Ver-tragsklauseln durch die Kartellbehörden verbind-lich prüfen oder genehmigen zu lassen. Anderswar die Rechtslage im europäischen Kartellrechtbis zum 1. Mai 2004. Bis dahin erfolgte die Frei-stellung einer Wettbewerbsabrede vom Kartellver-bot mit einer ausdrücklichen Entscheidung derKommission.87 Seither gilt im europäischen Kar-tellrecht jedoch das System der Legalausnahme.88

Eine behördliche Entscheidung muss und kannnicht mehr eingeholt werden.89 Vielmehr gilt dieFreistellung direkt, wenn die Voraussetzungen da-für erfüllt sind. Allerdings müssen die Parteien ineigener Verantwortung und auf eigenes Risiko prü-fen, ob dies der Fall ist.90

Im schweizerischen Kartellrecht kann beim Se-kretariat der Weko eine kostenpflichtige Beratungin Anspruch genommen werden.91 Die Antwortweist den Gesuchsteller auf kartellrechtliche Pro-

83 Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 141.84 Bosch/Dallmann, 145; Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel,

Rn. 141; Zäch, 172; Zäch, Harmonisierung, 197.85 Siehe die aktuellste Zusammenstellung der Literatur zum ma-

teriellen Kartellrecht bei Weber/Volz, 47 f.86 Zürcher, 4.87 Dietze/Jannsen, Rn. 165.88 Dietze/Jannsen, Rn. 165.89 Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 zur Durchfüh-

rung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegtenWettbewerbsregeln; Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 31.

90 Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 118.91 Art. 23 Abs. 2 KG.

bleme hin. Sie bindet allerdings die Weko nicht undwird auch nicht publiziert.92 Zudem besteht nachArt. 49a Abs. 3 lit. a KG die Möglichkeit, Wettbe-werbsbeschränkungen zu melden. Dadurch wer-den jedoch lediglich direkte Sanktionen vermieden.Auf eine allfällige zivilrechtliche Unwirksamkeit derbetroffenen Klausel hat eine solche Meldung keineAuswirkungen.93

13. Verwaltungs­ und Strafsanktionen

Im schweizerischen Kartellrecht sind die Verwal-tungs- und Strafsanktionen in den Art. 49a–57 KGgeregelt. Verwaltungssanktionen richten sich ge-gen die beteiligten Unternehmen, Strafsanktionennur gegen die involvierten natürlichen Personen.94

Die in Art. 49a KG erwähnten Tatbestände sind miteiner direkten Verwaltungssanktion belegt. Dasbetrifft qualifizierte horizontale und vertikale Abre-den gemäss Art. 5 Abs. 3 und Abs. 4 KG sowieden Missbrauch von Marktmacht gemäss Art. 7KG. In allen anderen Fällen erfolgt eine Sanktionnach Art. 50 KG und setzt demnach voraus, dassdie Weko vorgängig eine Anordnung erlassen hat.

Verwaltungssanktionen können bis zu 10% desUmsatzes betragen, der in den letzten drei Ge-schäftsjahren in der Schweiz vom Unternehmenim relevanten Markt erzielt wurde.95 Bei der Mehr-zahl der bisher von der Weko rechtskräftig ent-schiedenen Verfahren beläuft sich die Busse aufBeträge unter CHF 1 Mio.96 Die höchste, rechts-kräftig verfügte Busse betrifft mit CHF 2500000.–Publigroupe.97 Die höchste je verfügte, allerdingsvom Bundesgericht wieder aufgehobene Bussebetraf mit CHF 333 Mio. das Verhalten von Swiss-com im Zusammenhang mit den Terminierungs-gebühren.98

Im europäischen Kartellrecht kann die Kommis-sion Sanktionen erlassen, wenn der gemeinsameeuropäische Markt betroffen ist.99 Die Kommissionkann alle kartellistischen Wettbewerbsbeschrän-kungen100 direkt mit einer Geldbusse von bis zu

92 Bangerter in BSK KG, Art. 23 KG N 51.93 Tagmann/Zirlick in BSK KG, Art. 49a KG N 236.94 Zäch, Rz. 1104.95 Art. 49a Abs. 1 KG, Art. 50 KG, Art. 3 der Verordnung über die

Sanktionen bei unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen vom12. März 2004.

96 Siehe die Zusammenstellung der Bussen bei Tagman/Zirlickin BSK KG, Art. 49a KG N 119.

97 BGer 2C_484/2010, Urteil vom 29. Juni 2012 i.S. Publi-groupe SA.

98 BGE 137 II 199.99 Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 zur Durchfüh-

rung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegtenWettbewerbsregeln.100 Anders als in der Schweiz gilt dies nicht nur für die besondersqualifizierten Abreden. Zu den Unterschieden des Sanktionssys-tems in der Schweiz und der EU grundlegend Zäch/Künzler.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

10% des Gesamtumsatzes im vorausgegangenenGeschäftsjahr belegen.101

Daneben kann auch jede Wettbewerbsbehördeeines betroffenen Mitgliedsstaates ein Verfahrenführen. Es besteht im europäischen Kartellrechtein System der parallelen Zuständigkeiten.102

Spielt sich das sanktionierte Verhalten im An-wendungsbereich verschiedener Kartellrechtsord-nungen ab, fällt jede zuständige Behörde eineSanktion aus. So wurden im Vitaminkartell, an wel-chem Roche beteiligt war, zwischen 1999 und2007 die folgenden kumulierten Bussen verfügt:USA (USD 500 Mio.), EU (EUR 462 Mio.), Kanada(CAD 48 Mio.), Australien (AUD 15 Mio.), Brasilien(USD 6 Mio.), Korea (USD 1.56 Mio.) und Mexiko(USD 50 000).103

14. Zivilrechtliche Nichtigkeit

Eine Kartellrechtsverletzung begründet nachschweizerischem Recht eine Widerrechtlichkeitund führt damit gemäss Art. 20 OR zur Nichtigkeitder betroffenen Abrede.104 Für das europäischeRecht ergibt sich die Rechtsfolge der Nichtigkeitdirekt aus der gesetzlichen Bestimmung vonArt. 101 Abs. 2 AEUV. Im Übrigen erfolgt die zivil-rechtliche Behandlung kartellrechtswidrigen Ver-haltens jedoch nach dem Zivilrecht der involvier-ten Mitgliedsstaaten.105 Nichtigkeit tritt nicht nurbei einer Verletzung des Kartellverbots ein, son-dern auch bei missbräuchlichen Abreden marktbe-herrschender Unternehmen.106

Im schweizerischen Zivilrecht bewirkt nur dieVerletzung der schweizerischen Rechtsordnungeine Widerrechtlichkeit. Trotzdem kann auch dieVerletzung von ausländischem Kartellrecht zurNichtigkeit führen, denn dies begründet allenfallseine ebenfalls von Art. 20 OR erfasste Sittenwid-rigkeit.107 Zudem ist Art. 19 IPRG zu beachten. Da-nach gelangt zwingendes ausländisches Recht zurAnwendung, wenn nach schweizerischer Rechts-auffassung schützenswerte und offensichtlichüberwiegende Interessen einer Partei es gebieten

101 Art. 23 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 zur Durchfüh-rung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegtenWettbewerbsregeln.102 Johanns in Mäger (Hrsg.), 12. Kapitel, Rn. 123; zum Grundsatz«ne bis in idem» im europäischen Kartellrecht siehe Mäger in Mä-ger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 63.103 Zitiert nach Dr. Bruno Meier, Referat «Unternehmen im Fokuskartellrechtlicher Ermittlungen: Das Vitaminkartell», Kontaktstu-dium Kartellrecht, Universität Konstanz, 10. September 2012.104 BGE 134 III 442 (Entscheidung «Konsortium Resh-Abfälle»).105 Johanns/Mäger in Mäger (Hrsg.), 11. Kapitel, Rn. 1.106 CH: Jacobs/Giger in BSK KG, Vor Art. 12–17, N 60; EU: Wirtzin Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 129.107 Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 19.

und der Sachverhalt mit jenem Recht einen engenZusammenhang aufweist.108

Aus einem nichtigen Vertrag erwächst kein Er-füllungsanspruch. Die Nichtigkeit wirkt ex tunc109

und ist absolut und unheilbar. Sie ist von Amteswegen zu beachten und jedermann kann sich je-derzeit darauf berufen.110 Folgeverträge sind je-doch von der Nichtigkeit nicht betroffen. Sie sindim schweizerischen Recht grundsätzlich gültig.111

Betrifft die Nichtigkeit nur einzelne Teile desVertrags, so liegt Teilnichtigkeit vor. Für diesen Fallenthält das schweizerische Recht eine Entschei-dungsregel. Die Nichtigkeit betrifft primär nur diebetroffenen Vertragsteile und erstreckt sich nurdann auf den Gesamtvertrag, wenn anzunehmenist, die Parteien hätten den Vertrag ohne die nich-tigen Teile nicht abgeschlossen.112 Massgebendist der hypothetische Parteiwille. Es ist also zu fra-gen, was die Parteien vereinbart hätten, wenn ih-nen der Teilmangel schon bei Vertragsabschlussbewusst gewesen wäre.113 Entsteht durch die Teil-nichtigkeit eine Lücke, so ist diese nach Massgabedes hypothetischen Parteiwillens zu ergänzen.114

Bei mehreren zulässigen Ersatzregeln ist jene Va-riante zu wählen, welche der unwirksamen Ver-tragsabrede am nächsten kommt.115

Im Bereich des Kartellrechts dürfte Teilnichtig-keit die Regel sein.116 Um den wirksamen Wettbe-werb zu schützen, genügt es, die Nichtigkeit aufjene Teile des Vertrages zu beschränken, die tat-sächlich gegen das Kartellgesetz verstossen. Sowäre eine kartellrechtswidrige Preisvorgabe fürden Zwischenhändler nicht beachtlich, der Ver-triebsvertrag im Übrigen jedoch gültig. Dies giltinsbesondere auch für Abreden, welche untermissbräuchlicher Ausnutzung von Marktmacht vonder Gegenpartei übermässige Zugeständnisse ver-langen. Bei solchen Abreden umfasst die Nichtig-keit nur den unangemessenen Teil, und es erfolgteine Reduktion auf das kartellrechtlich zulässigeMass.117

Gestützt auf einen nichtigen Vertrag erbrachteLeistungen sind nach den Regeln der Vindikation

108 Zur Anwendung von Art. 19 IPRG auf das Kartellrecht sieheMächler-Erne in BSK IPRG, Art. 19 IPRG N 24; Zenhäusern, 114.109 Jacobs/Giger in BSK KG, Vor Art. 12–17 KG N 36 ff.; Weber/Volz, Rz. 3.445; Zäch, Rz. 857.110 Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 53.111 Zäch, Rz. 869 f. Als Folgeverträge werden Verträge bezeich-

net, die eine beteiligte Partei in Durchführung der wettbewerbs-widrigen Absprache mit ihren eigenen Kunden oder Lieferantenabschliesst.112 Art. 20 Abs. 2 OR.113 Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 63.114 Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 64.115 Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 64.116 Zum Folgenden siehe Jacobs/Giger in BSK KG, Vor Art. 12–17

KG N 42 ff.; Weber/Volz, 3.442 sowie für die EU: Fort in Mäger(Hrsg.) 11. Kapitel, Rn. 9 ff.117 Jacobs/Giger in BSK KG, Vor Art. 12–17 KG N 42 ff.; Zäch,

Rz. 875 f.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

und der ungerechtfertigten Bereicherung zurück-zuerstatten. Dies ist jedoch dann nicht möglich,wenn in Erfüllung des nichtigen Vertrages Leistun-gen erbracht worden sind, die nicht zurückerstat-tet werden können. In diesem Fall ist die Bereiche-rung entweder objektiv zu schätzen oder aber siebestimmt sich nach dem Wert, den ihr die Parteienin ihrer nichtigen Vereinbarung zugemessen ha-ben.118 Mit diesem Argument hat das Bundesge-richt in der Entscheidung «Konsortium Resh-Ab-fälle» die an sich nichtige Entschädigungsforderungderjenigen Konsortialpartnerin geschützt, die sichaus dem Entsorgungsgeschäft zurückzog und da-für entschädigt werden wollte.119 Dem stand auchArt. 66 OR nicht entgegen, denn diese Bestim-mung schliesst nur die Rückforderung des eigent-lichen Gaunerlohns aus und gelangt im Bereich desKartellrechts im Normalfall nicht zur Anwendung.120

15. Zivilrechtliche Klagen

Im schweizerischen Kartellrecht kann bei Behin-derung durch unzulässige Wettbewerbsbeschrän-kungen gemäss Art. 12 KG auf Beseitigung, Un-terlassung, Schadenersatz, Genugtuung sowieGewinnherausgabe geklagt werden. ZivilrechtlicheVerfahren zur Durchsetzung des Kartellrechts ha-ben in der Schweiz allerdings eine geringe Bedeu-tung.121 Dies steht im Kontrast zur Situation in denUSA. Dort werden zwischen 90% und 95% derkartellrechtlichen Streitigkeiten in Zivilverfahren ge-führt, wobei Schadenersatzklagen im Vordergrundstehen.122

Im europäischen Kartellrecht erfolgt der privat-rechtliche Rechtsschutz vor den Gerichten der Mit-gliedsstaaten und die Verfahren werden nach ein-zelstaatlichem Recht geführt.123 Die europäischenKartellbehörden beurteilen die private Kartellrechts-durchsetzung im Vergleich zu den USA als unter-entwickelt und möchten sie fördern.124

Auch im Bereich der privaten Kartellrechtsdurch-setzung können schweizerische Unternehmen imAusland in Verfahren verwickelt werden oder sel-ber solche Verfahren führen. So klagten zwei inder Schweiz domizilierte Gesellschaften beimLandgericht Hamburg auf Feststellung, es bestehekeine Lieferpflicht, nachdem sie von einer italieni-schen Gesellschaft wegen einer Lieferverweige-rung abgemahnt worden waren. Parallel dazu klagte

118 BGE 129 II 320; BGE 134 III 443.119 BGE 134 III 438.120 BGE 134 III 445.121 Jacobs/Giger in BSK-KG, Vor Art. 12–17 KG N 8; Jacobs, 209.122 Fort in Mäger (Hrsg.), 11. Kapitel, Rn. 24.123 Dietze/Janssen, Rn. 637.124 Fort in Mäger (Hrsg.), 11. Kapitel, Rn. 26.

die italienische Gesellschaft in Italien auf Schaden-ersatz und Erteilung einer Patentlizenz.125

III. Beurteilung typischer Klauseln

1. Vertriebsverträge

Mit einem Vertriebsvertrag strukturiert ein Unter-nehmen seine Absatzkanäle im vertikalen Verhält-nis. Im schweizerischen Kartellrecht erfolgt die Be-urteilung von Vertriebsverträgen gemäss Art. 5Abs. 4 KG sowie anhand der Vertikalbekannt-machung. Im europäischen Kartellrecht ist insbe-sondere die Vertikal-GVO einschlägig.

Vorab ist zwischen Wiederverkaufs- und Agen-turverträgen zu unterscheiden. Die Anwendungvon Kartellrecht setzt voraus, dass selbständigeUnternehmen interagieren.126 Agenten gelten imVerhältnis zum Geschäftsherrn nicht als Unter-nehmen im Sinne des Kartellrechts.127 Das trifftnur so lange zu, wie der Agent für den Verkauf derHandelsware kein finanzielles oder geschäftlichesRisiko übernimmt.128

Insbesondere folgende Klauseln in Vertriebsver-trägen sind kartellrechtlich relevant:

Preisbindung: Als Preisbindung gilt eine Mass-nahme, welche den Händler darin beschränkt, sei-nen Wiederverkaufspreis frei festzusetzen.129 Un-zulässig ist insbesondere die Vorgabe einesMindestverkaufspreises oder eines Festpreises.Aber auch indirekte Preisabsprachen sind unter-sagt. Das gilt für Vorschriften über die Bandbreitedes Wiederverkaufspreises, über die Marge desHändlers,130 über den Endkunden zu gewährendeRabatte oder über Rückvergütungen, wenn derHändler ein bestimmtes Preisniveau einhält.131

Höchstpreisbindungen hingegen sind im Normal-fall kartellrechtlich unbedenklich.132

Preisempfehlung: Mit einer Preisempfehlungwird einem Händler die Anwendung bestimmterPreise nicht vorgeschrieben, sondern lediglichempfohlen. Preisempfehlungen sind nur unzuläs-sig, wenn sie durch Ausübung von Druck oder dasSetzen von Anreizen wie eine Preisbindung wir-

125 EuGH Rs. C-133/11 vom 25. Oktober 2012, Folien Fischer undFofitec/Ritrama, besprochen bei Peter, 2 ff.126 Siehe vorne II.4.127 Ruggli, 166.128 Dietze/Janssen, Rn. 289 f.; im schweizerischen Kartellrechtfehlen vergleichbar klare Aussagen zu diesem Thema (Ruggli, 159).129 Zäch, Rz. 464.130 Ein Preisklausel, welche den Einkaufspreis des Händlers alsProzentsatz des Endkundenpreises definiert, ist deshalb unzuläs-sig.131 CH: Krauskopf/Schaller in BSK-KG, Art. 5 KG N 401 ff.; Mägerin Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 180; Weber/Volz, Ziffer 2.190 ff.132 CH: Zäch, Rz. 465; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel,Rn. 182.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

ken.133 Wird eine Preisempfehlung nicht ausdrück-lich als unverbindlich bezeichnet, so gilt das als In-diz für deren Verbindlichkeit.134

Alleinvertrieb: Beim Alleinvertrieb sichert derLieferant dem Händler zu, im Vertragsgebiet nureinen einzigen Händler zu beliefern, und der Händ-ler verpflichtet sich, nicht ausserhalb des ihm zu-gewiesenen Gebietes zu verkaufen.135 Alleinver-triebssysteme sind zulässig, sofern nur der aktiveVerkauf untersagt wird.136 Damit allerdings von ei-nem Alleinvertriebssystem ausgegangen werdenkann, darf ein Gebiet nicht mehreren Händlern zu-gewiesen werden, was vertraglich sicherzustellenist.137 Marktmächtige Unternehmen dürfen grund-sätzlich keine exklusiven Vertriebsverträge ab-schliessen, da für sie eine Belieferungspflicht be-steht.138

Verbot des passiven Verkaufs: Unzulässig ist eshingegen, neben dem aktiven auch den passivenVerkauf zu verbieten. Unter passivem Verkauf ver-steht man die Belieferung von Kunden in einemfremden Gebiet auf deren Anfrage hin.139

Selbstvorbehalt des Lieferanten: Der Lieferantkann sich den eigenen Vertrieb im zugewiesenenGebiet neben dem Händler vorbehalten140 oder erkann darauf verzichten. Beides ist zulässig. Imschweizerischen Kartellrecht ist der Verzicht desLieferanten sogar dann zulässig, wenn er sich auchauf passive Verkäufe bezieht.141

Selektiver Vertrieb: Beim selektiven Vertrieb be-schränkt der Lieferant den Vertrieb auf eine Gruppezugelassener Einzelhändler, welche bestimmte Kri-terien qualitativer oder quantitativer Art erfüllenmüssen wie z. B. Vorschriften bezüglich Verkaufs-beratung, Service, Gestaltung der Verkaufs-räumlichkeiten oder Mindestbezugsmengen. ImGegenzug verpflichtet sich der Einzelhändler, dieVertragswaren nur an Endkunden und anderezugelassene Einzelhändler zu verkaufen.142 Miteinem selektiven Vertriebssystem kann der Liefe-rant erreichen, dass seine Händler gewisseStandards einhalten müssen, und er kann die sonst

133 CH: Ziffer 15 Abs. 2 Vertikalbekanntmachung; Leitentschei-dung Hors-Liste Medikamente RPW 2010/4, 649 ff. mit einer Be-urteilung durch Giger, Vertikale Abreden, 866 f.; EU: Mäger in Mä-ger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 181 sowie der Wortlaut von Art. 4 lit. aVertikal-GVO.134 Dazu sowie zu weiteren Indizien für die Verbindlichkeit sieheWeber/Volz, Rz. 2.237 ff.135 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 139; Zäch, Rz. 62.136 CH: Ziffer 12 Abs. 2 lit. b Vertikal-Bekanntmachung, EU: Art. 4lit. b i) Vertikal-GVO.137 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 148.138 Siehe dazu hinten III.11 sowie für das europäische Recht Dietze/Janssen, Rn. 546.139 Zäch, Rz. 469.140 Für das europäische Kartellrecht siehe Vertikal-Leitlinien,Rn. 51.141 Urteil des Handelsgerichts Zürich vom 17. Mai 2010 i.S. Jo-vani; wiedergegeben und kommentiert bei Giger, «Jovani».142 Zäch, Rz. 66; für das europäische Recht siehe die Legaldefini-tion in Art. 1 Abs. 1 lit. e Vertikal-GVO.

unzulässige und auch für passive Verkäufe geltendeEinschränkung machen, dass nur an Endkundenoder andere zugelassenen Einzelhändler verkauftwerden darf.

Abreden über selektive Vertriebssysteme gel-ten im europäischen Kartellrecht entweder garnicht als wettbewerbsbeschränkend143 oder abersie können durch die Vertikal-GVO oder eineLegalausnahme freigestellt sein.144 Im schweize-rischen Kartellrecht gelten selektive Vertriebssys-teme von vornherein nur dann als unerheblich,wenn die Art der vertriebenen Produkte ein selek-tives Vertriebssystem erfordert145 wie z.B. beitechnisch komplexen Produkten oder Markenpro-dukten.146

Die Kriterien für die Auswahl der Händler müs-sen diskriminierungsfrei angewendet werden.147

Zwar darf der Lieferant pro Gebiet nur einen Ein-zelhändler exklusiv zulassen. Es muss den ande-ren zugelassenen Händlern jedoch möglich sein,nicht nur passiv, sondern auch aktiv in andere Ge-biete hinein zu verkaufen.148 Ebenfalls unzulässigsind Wettbewerbsverbote, die es den zugelasse-nen Händlern untersagen, Marken bestimmter kon-kurrierender Anbieter zu verkaufen.149

Internetvertrieb: Ein vollständiges Verbot, Ver-tragsprodukte über das Internet zu verkaufen, istgrundsätzlich unzulässig,150 respektive nur aus-nahmsweise aus Gründen des Gesundheitsschut-zes oder der Sicherheit möglich.151 Hingegen istes zulässig, dem Händler bestimmte Vorgaben hin-sichtlich Internetauftritt und Präsentation der Pro-dukte zu machen, insbesondere bei selektivenVertriebssystemen.152 Es ist auch zulässig, vomHändler zu verlangen, dass er neben dem Internet-vertrieb ein Ladengeschäft betreibt (sog. Bricks-tore-Klausel).153 Reine Internethändler können da-mit ausgeschlossen werden. Ebenso kann derInternethandel über Auktionsplattformen einge-schränkt oder ausgeschlossen werden.154

143 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 160; Zimmer in Im-menga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 299.144 Art. 4 lit. c Vertikal-GVO; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel,Rn. 161 ff.145 Ziffer 14 i) Vertikalbekanntmachung; Weber/Volz, Rz. 2.356 ff;kritisch Giger, 871 f.146 Giger unter Verweis auf die europäische Rechtsprechung, 872;Weber/Volz, Rz. 2.358.147 Weber/Volz, Rz. 2.359.148 Für das europäische Kartellrecht siehe die Vertikal-Leitlinien,Rn. 176 sowie Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 165.149 Graber/Krauskopf, 794; Ziffer 12 lit. h Vertikalbekanntmachung;Art. 5 Abs. 1 lit. c Vertikal-GVO;150 Für das europäische Kartellrecht siehe Mäger in Mäger (Hrsg.),4. Kapitel, Rn. 173; kritisch zur Übernahme der europäischenPraxis im schweizerischen Recht siehe Neff in BSK KG, Ziffer 3Vert-BM N 4.151 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 58.152 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 94 ff.153 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 94 f.; Mäger in Mäger (Hrsg.),4. Kapitel, Rn. 173.154 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 109 ff.; Mäger in Mäger (Hrsg.),4. Kapitel, Rn. 177.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

Bei einer über das Internet eingehenden Bestel-lung eines Kunden aus einem anderen Vertragsge-biet wird von einem passiven Verkauf ausgegan-gen,155 welcher nicht untersagt werden darf. DerInternetvertrieb wird nur dann als aktiver Vertriebbeurteilt, wenn sich der Internetauftritt explizit anKunden aus einem anderen Vertragsgebiet wen-det, beispielsweise durch den Einsatz von Such-maschinen- oder Bannerwerbung.156

Dem Händler darf nicht vorgeschrieben wer-den, für den Internethandel an sich oder für Käu-fer aus anderen Vertragsgebieten höhere Preisezu verlangen (Dual Pricing).157 Ebenso ist es unzu-lässig, Anfragen aus anderen Vertragsgebieten au-tomatisch auf die Webseite des Herstellers oderanderer Händler umzuleiten oder die Transaktionabzubrechen.158

Alleinbezug: Dabei verpflichtet sich ein Abneh-mer, seinen gesamten Bedarf beim Lieferantenzu decken.159 Alleinbezugsverpflichtungen werdenals Wettbewerbsverbote betrachtet und sind des-halb unzulässig, wenn der Bezug mehr als 80%des Bedarfs des Abnehmers deckt oder mehr alsfünf Jahre dauert.160 Ob die «englische Klausel»161

das Wettbewerbsverbot aufhebt, ist fraglich.162

Marktbeherrschende Unternehmen dürfen ihrenVertragspartnern grundsätzlich keine Alleinbezugs-verpflichtung auferlegen.163

Mindestabnahmeverpflichtung: Dafür gelten diegleichen Regeln wie für den Alleinbezug.164

Verwendungsbeschränkungen: Eine Verwen-dungsbeschränkung kann dem Abnehmer dieWeiterverarbeitung verbieten (Weiterverarbei-tungsverbot) oder eine solche zur Pflicht machen(Weiterverarbeitungsgebot).165 In beiden Fällenhandelt es sich um Wettbewerbsbeschränkungen.Ein Verarbeitungsverbot stellt keine unzulässigeKundenkreisbeschränkung dar, ein Verarbeitungs-gebot möglicherweise jedoch schon.166

155 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 174.156 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 130 ff. mit einer ausführlichenAnalyse der heute gebräuchlichen Werbemittel, Mäger in Mäger(Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 175.157 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 81; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Ka-pitel, Rn. 173.158 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 78 ff.159 Zäch, Rz. 68.160 CH: Ziffer 6 Vertikalbekanntmachung und Ziffer 12 Abs. 2 lit. fVertikalbekanntmachung; Neff in BSK KG, Ziffer 6 Vert-BM N 2;EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 119.161 Zur englischen Klausel siehe hinten III.11.162 CH: Neff in BSK KG, Ziffer 6 Vert-BM N 2; EU: Mäger in Mä-ger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 129.163 Siehe hinten III.11.164 Dietze/Janssen, Rn. 274.165 Zum Ganzen siehe Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel ZifferRn. 195 ff.166 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Ziffer Rn. 195 ff.; ob OEM-Klauseln jedoch mit einer Beschränkung des Ersatzteilhandelsgleichzusetzen sind (BSK KG-Neff, Ziffer 12 Vert-BM N 20), istfraglich.

Ersatzteilhandel: Es darf einem Lieferanten vonErsatzteilen nicht untersagt werden, diese an End-verbraucher, Reparaturbetriebe und andere Dienst-leister zu liefern.167

Einschränkung des Komponentenhandels: BeiKomponenten, die zur Weiterverarbeitung gelie-fert werden (insb. bei sog. OEM-Verträgen), ist eszulässig, den Weiterverkauf dieser Komponentenan Konkurrenten des Herstellers zu verbieten.168

Verbot von Unterhändlern: Das an den Händlergerichtete Verbot, Unterhändler einzusetzen,schränkt dessen Abnehmerkreis ein und gilt des-halb im europäischen Kartellrecht als unzulässigeKundenkreisbeschränkung.169

Sprunglieferungsverbot: Die einem Grossistenauferlegte Verpflichtung, nicht direkt an Endver-braucher zu liefern, ist zulässig.170

Wettbewerbsverbot: siehe hinten III.10.Meistbegünstigungsklausel: Das Versprechen

des Lieferanten an den Abnehmer, anderen Ab-nehmern keine günstigeren Konditionen einzuräu-men, ist zulässig.171

2. Franchiseverträge

Mit einem Franchisevertrag überlässt der Franchi-segeber dem Franchisenehmer eine Geschäftsbe-zeichnung oder eine Marke, ein Organisations- undMarketingkonzept sowie Geschäftsmethoden undKnow-how zur Herstellung und zum Vertrieb vonWaren oder Dienstleistungen.172 Franchiseverträgewerden im schweizerischen und im europäischenKartellrecht nach den Bestimmungen über den ver-tikalen Vertrieb geprüft.173

Allerdings sind in Franchiseverträgen weiterge-hende Einschränkungen des Wettbewerbsver-haltens möglich als in gewöhnlichen Vertriebsver-trägen. Mit dem Franchising begriffsnotwendigverbundene Klauseln sind zulässig. Dies gilt ins-besondere für Anweisungen zur Ausstattung desGeschäfts, für Bezugspflichten, welche durcheine Qualitätssicherung begründet sind, und fürKonkurrenzverbote.174 Vertragliche Abreden, diedarüber hinausgehen wie z.B. die Aufteilung von

167 CH: Ziffer 12 Abs. 2 lit. e Vertikalbekanntmachung; EU: Art. 4lit. e Vertikal-GVO.168 CH: Ziffer 12 Abs. 2 lit. b iv) Vertikalbekanntmachung; EU:Art. 4 lit. b iv) Vertikal-GVO sowie Ellger in Immenga/Mestmäcker,VO (EU) 330/2010 Art. 4, Rn. 82 ff.169 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 191.170 CH: Ziffer 12 Abs. 2 lit. b ii) Vertikalbekanntmachung; EU: Art. 4lit. b ii) Vertikal-GVO.171 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 185.172 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 103; Zäch, Rz. 72.173 CH: Art. 5 KG, grundlegend Vogel; EU: Art. 101 und die Verti-kal-GVO.174 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 106.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

Märkten, sind jedoch auch in Franchiseverträgenunzulässig.175

Auch eine Preisbindung lässt sich nicht kartell-rechtskonform durchsetzen,176 selbst wenn eineeinheitliche Preispolitik für ein Franchisingsystemvon Bedeutung ist und sich in der Praxis beobach-ten lässt.177 Die Empfehlung von Richtpreisen isthingegen möglich.178

3. Lizenzverträge

Mit einem Lizenzvertrag wird eine als Patent oderals Know-how geschützte Technologie gegen Be-zahlung einer Lizenzgebühr zum Zweck der Wei-terverwendung und insbesondere der Produktionan den Lizenznehmer lizenziert. Lizenzverträgewerden von den Wettbewerbsbehörden grund-sätzlich als wettbewerbsfördernd betrachtet, weilsie die Innovation und die Verbreitung von Techno-logien fördern und Effizienzgewinne ermögli-chen.179

Auf europäischer Ebene ist im Bereich der Li-zenzverträge die TT-GVO zu beachten. Sie gilt fürPatent- und Know-how-Lizenzen sowie für Urhe-berrechtslizenzen im Bereich der Software,180 nichtjedoch für Markenlizenzen und allgemeine Urhe-berrechtslizenzen.181 Im Vergleich zur Vertikal-GVOlässt die TT-GVO mehr zu. So ist es insbesondereauch möglich, den passiven Verkauf zu untersa-gen. Im schweizerischen Kartellrecht sind Lizenz-verträge mangels Fallrecht und Verlautbarungender Weko einer allgemeinen Beurteilung nachArt. 5 KG zu unterziehen, wobei die TT-GVO rechts-vergleichend beigezogen werden kann.182

Im Bereich der Lizenzverträge besteht die Be-sonderheit, dass Wettbewerbswirkungen, die sichausschliesslich aus der Gesetzgebung über dasgeistige Eigentum ergeben, nicht unter das Kartell-recht fallen.183 Es besteht allerdings die Gefahr,dass der Lizenzgeber vom Lizenznehmer unter Be-rufung auf sein geistiges Eigentum Wettbewerbs-beschränkungen verlangt, die nicht mit der Aus-übung berechtigter immaterialgüterrechtlicherPositionen zu rechtfertigen sind.

Illustrativ ist der Entscheid des EuGH in SachenWindsurfing International (WSI), bei dem es umeinen kartellrechtswidrigen Lizenzvertrag über einpatentrechtlich geschütztes Rigg (Mast und Segel)

175 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 107; Vogel, Rz. 721 ff.176 Vogel, Rz. 585 ff.177 Vogel, Rz. 203 ff.; Zäch, Rz. 465.178 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 106.179 TT-Leitlinien, Rn. 17.180 Art. 1 Abs. 1 lit. b TT-GVO.181 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 24.182 Neff in BSK KG, Vert-BM Ziff 8 N 8; grundlegend Hilty.183 CH: Art. 3 Abs. 2 KG; EU: Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel,Rn. 15 ff.

für Windsurfer ging.184 Mit diesem wurden die Li-zenznehmer verpflichtet, die nicht patentrechtlichgeschützten Bretter durch WSI genehmigen zu las-sen. Zudem mussten sie die Lizenzgebühren aufder Basis des Gesamtwertes der Windsurfer (alsoinklusive der Bretter) abrechnen. Weiter durftensie die von ihnen in Lizenz produzierten Riggs nichtals Komponenten (d.h. ohne die Bretter) anbieten,die Produktion musste in Deutschland erfolgen,und auf dem Brett musste der Vermerk «lizenziertdurch WSI» angebracht werden. Und schliesslichmussten die Lizenznehmer die Wortmarken vonWSI anerkennen und sich verpflichten, die lizen-zierten Patente nicht anzugreifen. Alle diese Be-dingungen waren nicht durch die Ausübung derImmaterialgüterrechte am patentgeschützten Rigggerechtfertigt und damit unzulässige Wettbe-werbsbeschränkungen.

Insbesondere folgende Abreden in Lizenzver-trägen sind kartellrechtlich relevant:

Preisbindung: Jede direkte und indirekte Preis-bindung in Lizenzverträgen ist unzulässig.185 In Li-zenzverträgen zwischen Wettbewerbern sind so-gar Preisempfehlungen und die Festsetzung vonHöchstpreisen untersagt.186 Auch Preisüberwa-chungssysteme können indirekt eine Preisbindungbewirken.187

Im Übrigen können die Parteien die Festsetzungder Lizenzgebühren frei regeln.188 Möglich sindPauschalzahlungen oder absatzabhängige Lizenz-gebühren. Letztere können in Form von Pauscha-len pro verkauftes Produkt oder als Prozentsatzdes Verkaufserlöses ausgestaltet werden.189 Aller-dings ist in jedem Fall zu prüfen, ob nicht indirekteine unzulässige Preisabrede bewirkt wird. Insbe-sondere die Berechnung der Lizenzgebühren an-hand der erzielten Verkaufserlöse (Running Royal-ties) wird im europäischen Kartellrecht von derKommission als kritisch beurteilt, jedenfalls wasLizenzverträge zwischen Wettbewerbern be-trifft.190

Exklusivlizenz: Damit verpflichtet sich der Lizenz-geber, im bezeichneten Bereich keine Lizenzen anDritte zu erteilen und auf die Eigenproduktion zuverzichten.191 Zwischen Wettbewerbern stellenwechselseitige Exklusivlizenzen eine unzulässigeMarktaufteilung dar.192 Im Übrigen sind Exklusiv-

184 EuGH, Rs. 193/83 (Windsurfing International), Slg. 1986 643 ff.in Sachen Windsurfing International.185 CH: Art. 5 Abs. 3 KG; EU: Art. 4 Abs. 1 lit. a (Wettbewerber)und Art. 4 Abs. 2 lit. a (Nichtwettbewerber) TT-GVO.186 TT-Leitlinien, Rn. 79 und Art. 4 Abs. 2 lit. a TT-GVO e contra-rio.187 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 50.188 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel Rn. 94 ff.189 TT-Leitlinien, Rn. 156.190 TT-Leitlinien, Rn. 80; kritisch dazu Gehring in Mäger (Hrsg.),5. Kapitel Rn. 51.191 TT-Leitlinie, Rn. 162.192 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel Rn. 62.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

lizenzen im Rahmen der TT-GVO zulässig.193 Selbstwenn die Marktanteilsschwelle überschritten wird,besteht für Vereinbarungen zwischen Nichtwett-bewerbern die Aussicht auf eine Einzelfreistel-lung.194 Zwischen Nichtwettbewerbern kann demLizenznehmer neben dem aktiven während derersten zwei Jahre auch der passive Verkauf unter-sagt werden.195

Alleinlizenz: Im Unterschied zur Exklusivlizenzbehält sich der Lizenzgeber bei der Alleinlizenz dieEigenproduktion vor.196 Alleinlizenzen sind kartell-rechtlich weniger problematisch als Exklusivlizen-zen, da sie die Handlungsfähigkeit des Lizenzge-bers nicht beeinträchtigen.197

Outputbeschränkung: Darunter wird die Fest-setzung der unter der Lizenz zu produzierendenStückzahlen verstanden.198 In Lizenzverträgenzwischen Nichtwettbewerbern sind Outputbe-schränkungen im Anwendungsbereich der TT-GVOzulässig.199 Ebenfalls zulässig ist eine Outputbe-schränkung zulasten des Lizenznehmers in einemLizenzvertrag zwischen Wettbewerbern.200 Hinge-gen sind Outputbeschränkungen zwischen Wett-bewerbern, die neben dem Lizenznehmer auchden Lizenzgeber binden, unzulässig201, denn siesind mit einem Mengenkartell gleichzusetzen.202

Field-of-use-Klausel: Damit wird dem Lizenz-nehmer die Beschränkung auferlegt, die lizenzierteTechnologie nur in den definierten Anwendungs-bereichen oder Produktenmärkten zu nutzen.203

Die Klausel ist keine unzulässige Marktaufteilung,wenn die Technologie die Herstellung differenzier-barer Produkte ermöglicht.204 Die Differenzierbar-keit muss sich dabei anhand objektiver Kriteriennachvollziehen lassen (z.B. 4-Zylinder- anstatt 6-Zy-linder-Motoren).205

Field-of-use-Klauseln sind auch zwischen Wett-bewerbern grundsätzlich zulässig206, zwischenNichtwettbewerbern möglicherweise sogar ober-halb der Marktanteilsschwelle der TT-GVO.207

193 Für das europäische Kartellrecht siehe Art. 4 Abs. 1 lit. c TT-GVO (für Wettbewerber) und Art. 4 Abs. 2 lit. b TT-GVO (für Nicht-wettbewerber) sowie Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 61 ff.194 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel Rn. 64.195 Art. 4 Abs. 2 lit. b ii) TT-GVO.196 TT-Leitlinien, Rn. 162.197 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 66 f.198 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 54.199 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 60.200 Art. 4 Abs. 1 lit. b TT-GVO.201 Art. 4 Abs. 1 lit. b TT-GVO.202 Fuchs in Immenga/Mestmäcker, VO (EG) 772/2004 Art. 4 Kern-beschränkungen, Rn. 16; Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel,Rn. 55.203 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 68.204 Fuchs in Immenga/Mestmäcker, VO (EG) 772/2004 Art. 4 Kern-beschränkungen, Rn. 31.205 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 69.206 Art. 4 Abs. 1 lit. c i) TT-GVO.207 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 72.

F&E-Beschränkung: Beschränkungen der eige-nen Forschungs- und Entwicklungstätigkeit sindsowohl zwischen Wettbewerbern als auch zwi-schen Nichtwettbewerbern unzulässig, es seidenn, sie seien aus Gründen des Know-how-Schut-zes zwingend erforderlich.208

Rücklizenz an Verbesserungen: Die Verpflich-tung des Lizenznehmers, dem Lizenzgeber eineExklusivlizenz an von ihm selber entwickelten, ab-trennbaren Verbesserungen der Technologie ein-zuräumen oder die Rechte daran auf den Lizenz-geber zu übertragen, sind von der TT-GVO nichtfreigestellt (graue Klausel).209 Hingegen kann vomLizenznehmer die Einräumung einer nicht exklusi-ven Rücklizenz verlangt werden.210

Nichtangriffsabrede: Ebenfalls als nicht freige-stellte, graue Klausel gilt die Verpflichtung des Li-zenznehmers, die Gültigkeit der Immaterialgüter-rechte des Lizenzgebers nicht anzugreifen.211

Hingegen kann dem Lizenzgeber für diesen Fallein Kündigungsrecht eingeräumt werden.212 Nicht-angriffsklauseln bezüglich Know-how sind hinge-gen möglich.213

Qualitätsvorschriften und Bezugspflicht: Quali-tätsvorschriften des Lizenzgebers und die damitverbundene Verpflichtung des Lizenznehmers zumBezug von Komponenten und Rohstoffen sind nurdann zulässig, wenn sie erforderlich sind, um ei-nen bestimmten Mindeststandard abzusichern.214

Trifft diese Voraussetzung nicht zu, so bestimmtsich die Zulässigkeit einer Bezugspflicht nach denfür Vertriebsverträge geltenden Regeln.215

Wettbewerbsverbot: siehe dazu hinten III.10.Meistbegünstigungsklausel: Die Zusage des Li-

zenzgebers, dem Lizenznehmer immer die güns-tigsten Lizenzbedingungen zu gewähren, kann imRahmen von Lizenzverträgen gültig vereinbart wer-den.216

Verbot der Unterlizenzierung: Das Verbot derUnterlizenzierung durch den Lizenznehmer kannzulässig vereinbart werden.217

Längstlaufklausel: Darunter wird die Abrede ver-standen, dass sich die Lizenzdauer um die Schutz-dauer des ergänzten Schutzrechts verlängert,wenn der Lizenzgeber dem Lizenznehmer Verbes-

208 Art. 4 Abs. 1 lit. d TT-GVO und Art. 5 Abs. 2 TT-GVO sowieGehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 86 f.209 Art. 5 Abs. 1 lit. a und b TT-GVO.210 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 89.211 Art. 5 Abs. 1 lit. c TT-GVO.212 Art. 5 Abs. 1 lit. c TT-GVO.213 TT-Leitlinie, Rn. 112.214 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 99.215 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 99.216 Fuchs in Immenga/Mestmäcker, VO (EG) 772/2004 Art. 4 Kern-beschränkungen, Rn. 73; Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel,Rn. 101.217 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 92; Klawitter in Wie-demann (Hrsg.) § 13, Rn. 287.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

serungen hinsichtlich der Technologie mitteilt.Diese Abrede ist zulässig.218

Klausel betreffend Schutzrechtsvermerke: DerLizenznehmer kann verpflichtet werden, Lizenzver-merke oder Marken auf der lizenzierten Technolo-gie anzubringen, jedoch nur auf dieser und nichtauf Erzeugnissen, die vom Schutzrecht nicht er-fasst sind.219

Geheimhaltungsklausel: Geheimhaltungsklau-seln sind zulässig, denn sie sind für den Lizenzge-ber unerlässlich, um seine Technologie zu schüt-zen.220 Das gilt auch für vertragsüberdauerndeGeheimhaltungspflichten.221

Nutzungsverbot nach Vertragsablauf: Das Ver-bot, die lizenzierte Technologie nach Vertragsab-lauf weiter zu nutzen, ist nur zulässig, wenn dieTechnologie zu diesem Zeitpunkt noch geschütztist.222

4. Technologiepools

In einem Technologiepool bündeln Lizenzgeber ihreTechnologien zu einem Technologiepaket zwecksLizenzierung an die Poolmitglieder und an Dritte.223

Kartellrechtlich sind einerseits die Zulässigkeit derPoolgründung an sich sowie andererseits der In-halt der Lizenzverträge betreffend Weiterlizenzie-rung des Technologiepakets zu prüfen. Für das eu-ropäische Kartellrecht hat die Kommission in denTT-Leitlinien Richtlinien zur Beurteilung der Zuläs-sigkeit von Technologiepools erlassen. Die Grün-dung von Technologiepools fällt nicht in den An-wendungsbereich der TT-GVO und muss imEinzelfall geprüft werden, die Weiterlizenzierunghingegen schon.224 Im schweizerischen Kartell-recht erfolgt die Prüfung nach Art. 5 KG, wobeidies zu vergleichbaren Ergebnissen wie im euro-päischen Kartellrecht führen sollte.225

Technologiepools haben eine wettbewerbsbe-schränkende Wirkung und sind unzulässig, wennsie zu einem Preiskartell oder zu einer Behinde-rung des Wettbewerbs, insbesondere des Innova-tionswettbewerbs, führen.226 Diese Gefahr istgrösser, wenn am Pool Technologien beteiligt sind,die unter sich substituierbar oder für die Produk-tion nicht relevant sind. Solche Pools werden vonder Kommission als unzulässig beurteilt.227

218 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 103; Klawitter in Wie-demann (Hrsg.) § 13, Rn. 290.219 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 98.220 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 93.221 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 93.222 TT-Leitlinien, Rn. 156.223 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 112; TT-Leitlinien, 210.224 TT-Leitlinien, 212.225 Heinemann, 42.226 TT-Leitlinien, 213.227 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 114.

Werden im Pool hingegen Technologien zusam-mengefasst, die sich ergänzen und die für die Pro-duktion wesentlich sind, so kann der Pool durchSenkung der Transaktionskosten eine wettbe-werbsfördernde Wirkung haben.228 Weiter gilt,dass mit zunehmender Marktmacht auch die Ge-fahr einer wettbewerbsbeschränkenden Wirkungansteigt. Pools mit grosser Marktmacht müssenzudem offen sein und die Gleichbehandlung ge-währleisten und sie dürfen fremde Technologiennicht übermässig abschotten.229

Mit Technologiepools nicht vereinbar sind Ex-klusivitätsklauseln, mit welchen sich die Mitglie-der verpflichten, Produkte nur innerhalb des Poolsweiterzuentwickeln und ausserhalb des Poolskeine Lizenzen zu erteilen.230 Ebenso darf ein Poolkeine ungültigen Patente schützen.231

5. Zuliefer­ und Subunternehmerverträge

Mit einem Zuliefervertrag beauftragt der Auftrag-geber den Zulieferer, nach seinen Weisungen Wa-ren herzustellen oder Dienstleistungen zu erbrin-gen.232 Beim Subunternehmervertrag handelt derSubunternehmer ebenfalls im Interesse des Auf-traggebers. Er tritt jedoch im Gegensatz zum Zu-lieferer in direkten Kontakt mit dem Kunden desAuftraggebers.

Zuliefer- und Subunternehmerverträge regelndie Beschaffung und nicht den Vertrieb. Es gehtum die Herstellung optimaler Produktionsbedin-gungen, d.h. um die Realisierung von Effizienzge-winnen233 und nicht um die Strukturierung von Ab-satzkanälen. Zuliefer- und Subunternehmerverträgesind kartellrechtlich deshalb weniger problematischals Vertriebsverträge. Sie werden im schweizeri-schen Kartellrecht nach den allgemeinen Regelnvon Art. 5 KG geprüft. Im europäischen Kartellrechtist die Zulieferbekanntmachung zu beachten.234

Insbesondere folgende Abreden sind in Zulie-fer- und Subunternehmerverträgen235 kartellrecht-lich relevant:

Know-how-Schutz: Dabei geht es um Bestim-mungen, wonach die vom Auftraggeber stammen-den Kenntnisse und Betriebsmittel (Know-how,Pläne etc.) nur im Interesse des Auftraggebers ver-wendet werden dürfen. Solche Klauseln sind zu-

228 TT-Leitlinien, 215 ff.229 TT-Leitlinien, 224.230 TT-Leitlinien, 227.231 TT-Leitlinien, 229.232 CH: Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1 lit. a undb KG 1. HS N 51; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 110.233 Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1 lit. a und b KG1 HS N 61.234 Bekanntmachung der Kommission vom 18. Dezember 1978über die Beurteilung von Zulieferverträgen, Abl. 1979 C 1/2.235 Nachfolgend gemeinsam Zulieferverträge.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

lässig, ebenso wie Vertraulichkeitsklauseln undVerwertungsverbote zulasten des Zulieferers.236

Technische Verbesserungen: Die Verpflichtungdes Zulieferers, technische Verbesserungen demAuftraggeber zur Verfügung zu stellen, ist zuläs-sig.237 Hingegen darf dem Zulieferer nicht unter-sagt werden, die Resultate der eigenen For-schungs- und Entwicklungstätigkeit zu verwerten,sofern diese Resultate selbständig verwertbare Er-gebnisse darstellen.238

Exklusivität: Ein Zulieferer kann sich auch ver-pflichten, nur einen einzigen Auftraggeber zu be-liefern. Im europäischen Kartellrecht ist eine sol-che Alleinbelieferungsverpflichtung durch dieVertikal-GVO freigestellt,239 wenn weder der Zu-lieferer noch der Auftraggeber mehr als 30%Marktanteile halten.240

Wettbewerbsverbote: siehe dazu hinten III.10.

6. Arbeitsgemeinschaften

In einer Arbeitsgemeinschaft (auch Konsortium ge-nannt) schliessen sich mehrere Unternehmen pro-jektbezogen zusammen, um ein bestimmtes Vor-haben gemeinsam durchzuführen.241 Handelt essich dabei um Unternehmen, die auf unterschied-lichen sachlichen und räumlichen Märkten tätig

236 CH: Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1 lit. a undb KG 1. HS N 70; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 110 f.237 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 110 f.238 CH: Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1 lit. a undb KG 1. HS N 70; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 111.239 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 155 ff.240 Da sich mit der Belieferungspflicht der Lieferant und nicht derAbnehmer verpflichtet, gelangen die Einschränkungen der Verti-kal-GVO bezüglich Wettbewerbsverbote nicht zur Anwendung(siehe dazu hinten III.10).241 Böni/Wassmer, Rz. 5.

sind, fehlt es von vornherein an einer Wettbe-werbsbeschränkung.242 Handelt es sich bei denKonsortialpartnern um tatsächliche oder poten-zielle Konkurrenten, so ist zu prüfen, ob der Zusam-menschluss eine unzulässige Marktabsprache dar-stellt. Dies ist nicht der Fall, wenn die beteiligtenUnternehmen erst durch die Kooperation über-haupt in der Lage sind, das Projekt durchzufüh-ren.243 Dann führt die Arbeitsgemeinschaft nichtzu einer Bündelung von Angeboten, sondern zu ei-nem zusätzlichen Angebot, was kartellrechtlich po-sitiv zu bewerten ist.

Ob die Konsortialpartner für sich allein marktfä-hig sind, wird anhand objektiver Kriterien geprüftwie z.B. der technischen Kompetenz oder des fi-nanziellen und personellen Aufwands.244 Die Prü-fung erfolgt immer in Bezug auf ein konkretes Pro-jekt. Es kann also sein, dass Konkurrenten lediglichdas konkrete Projekt nicht allein durchführen kön-nen, sonst aber grundsätzlich als Konkurrenten amMarkt teilnehmen.245

Bei Arbeitsgemeinschaften besteht die Gefahr,dass sie als Plattformen für Preisabsprachen oderden Austausch vertraulicher Informationen die-nen.246

Fortsetzung folgt in Heft 2/14.

242 Dazu und zum Folgenden siehe Lübbig in Wiedemann, Rn. 228.243 Dazu sowie zum Folgenden siehe CH: Böni/Wassmer, Rz. 7;EU: Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit, Rn. 30;Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 85.244 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 88.245 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 87.246 Weber/Volz, Rz. 2.132; zu den Möglichkeiten der Preisabspra-che siehe insbesondere Böni/Wassmer.

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rechtZeitschrift für juristische Weiterbildung und Praxis

32. Jahrgang

2/14www.recht.recht.ch

Abhandlungen49 Vito Roberto/Marisa Walker

AGB-Kontrolle nach dem revidierten Art. 8 UWG

67 Urs EgliDie Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis(2. Teil)

76 René WiederkehrDie Beschwerdebefugnis des KonkurrentenEine Übersicht über die neuere Rechtsprechung undDoktrin zu Art. 48 Abs. 1 VwVG und Art. 89 Abs. 1 BGG

92 Marcel BrunGefahr der Verpolizeilichung des Vorverfahrens

Orientierung100 Alain Griffel

«Vom Wert einer guten Gesetzgebung»

Inhalt

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Herausgeber und Redaktion

Privatrecht

WOLFGANG ERNSTProfessor für Römisches Rechtund Privatrecht, Universität Zürich

ROLAND FANKHAUSERProfessor für Zivilrecht undZivilprozessrecht, Universität Basel

PETER JUNGProfessor für Privatrecht,Universität Basel

CHRISTOPH MÜLLERProfessor für Vertragsrecht,Privatrechtsvergleichungund Europäisches Privatrecht,Universität Neuenburg

ALEXANDRA RUMO-JUNGOProfessorin für Zivilrecht,Universität Freiburg

Wirtschaftsrecht

PETER JUNGProfessor für Privatrecht,Universität Basel

PETER V. KUNZProfessor für Wirtschaftsrechtund Rechtsvergleichung,Universität Bern

ROGER ZÄCHProfessor em. für Privat-,Wirtschafts- und Europarecht,Universität Zürich

Strafrecht

FELIX BOMMEROrdinarius für Strafrecht, Straf-prozessrecht und InternationalesStrafrecht, Universität Luzern

SABINE GLESSOrdinaria für Strafrecht und Straf-prozessrecht, Universität Basel

Öffentliches Recht

MARTINA CARONIOrdinaria für öffentliches Recht,Völkerrecht und Rechtsverglei-chung im öffentlichen Recht,Universität Luzern

BERNHARD RÜTSCHEOrdinarius für Öffentliches Rechtund Rechtsphilosophie,Universität Luzern

DANIELA THURNHERRProfessorin für Öffentliches Recht,insb. Verwaltungsrecht undöffentliches Prozessrecht,Universität Basel

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Urs Egli

Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis(2. Teil)*

Das Kartellrecht schränkt die Vertragsfreiheit ein. Das ist bei der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen.Dieser Aufsatz vermittelt gegliedert nach Vertragstypen eine Übersicht über die wichtigsten problema-tischen Klauseln und gibt eine Anleitung, wie sie nach schweizerischem und europäischem Kartellrechtzu prüfen sind.

Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Kartellrechtliche Grundlagen1. Extraterritoriale Geltung des Kartellrechts2. Schweizerisches und europäisches Kartellrecht3. Rechtsquellen4. Adressaten des Kartellrechts5. Die drei Säulen des Kartellrechts6. Das Kartellverbot7. Wettbewerbsabsprachen in Verträgen8. Prüfschema9. Marktanteile

10. Anwendung des Kartellrechts auf KMU11. Auslegung und Ermessen12. Vorabklärungen bei den Kartellbehörden13. Verwaltungs- und Strafsanktionen14. Zivilrechtliche Nichtigkeit15. Zivilrechtliche Klagen

III. Beurteilung typischer Klauseln1. Vertriebsverträge2. Franchiseverträge3. Lizenzverträge4. Technologiepools5. Zuliefer- und Subunternehmerverträge6. Arbeitsgemeinschaften7. Kooperationsverträge8. Unternehmenskaufverträge9. Joint-Venture-Verträge

10. Wettbewerbsverbote im Besonderen11. Unzulässige Klauseln für marktbeherrschende

Unternehmen

IV. Empfehlungen

Literaturverzeichnis

7. Kooperationsverträge

7.1 Vorbemerkungen

«Kooperationsvertrag» ist ein unscharfer Begriff.Er wird in der Vertragspraxis für die unterschied-lichsten Formen der Zusammenarbeit verwendet.Was der Vertragszweck ist, erschliesst sich erstbei einer Analyse der vertraglichen Leistungen. Sokommt es vor, dass selbst Vertriebs- oder Zulie-

ferverträge als Kooperationsverträge bezeichnetwerden. Kooperationsverträge haben oft einen ge-sellschaftsrechtlichen Aspekt. Immer handelt essich um Dauerschuldverhältnisse. Kooperations-verträge sind sowohl in horizontalen wie auch invertikalen Verhältnissen anzutreffen. Letzteres istz.B. der Fall, wenn ein Auftraggeber und sein Zu-lieferer im Rahmen einer F&E-Kooperation die Ent-wicklung ihrer jeweiligen Produkte aufeinander ab-stimmen.

Im europäischen Kartellrecht sind für horizon-tale Kooperationen einerseits die Leitlinien überdie horizontale Zusammenarbeit zu beachten. An-dererseits sind im Bereich der Produktion die Spe-zialisierungs-GVO und im Bereich von Forschungund Entwicklung die F&E-GVO einschlägig.247 FürF&E-Kooperationen im vertikalen Verhältnis kannaber auch die Vertikal-GVO zur Anwendung gelan-gen. Das ist dann der Fall, wenn der Auftraggeberdie Entwicklungsleistung bezahlt und lediglich beider Spezifikation der Ergebnisse mitwirkt. WelcheGVO Anwendung findet, ist von Bedeutung, da un-ter der Vertikal-GVO dem Auftragsentwickler stren-gere Wettbewerbsbeschränkungen auferlegt wer-den können als unter der F&E-GVO. Insbesondereist ein Konkurrenzverbot zulasten eines Auftrags-entwicklers unter der Vertikal-GVO zeitlich unbe-grenzt zulässig.248

Im schweizerischen Kartellrecht werden Koope-rationsverträge nach Art. 5 KG beurteilt. Von derNormsetzungskompetenz gemäss Art. 6 Abs. 1lit. a und b KG wurde noch kein Gebrauch gemacht.

Kartellrechtlich wenig problematisch sind F&E-Kooperationen im Bereich der Grundlagenfor-schung, die Zusammenarbeit von Auftraggebernmit spezialisierten Forschungsinstituten, reineAuftragsentwicklungen sowie F&E-Vereinbarun-gen ohne gemeinsame Verwertung.249 Besondersstrenge Regeln gelten demgegenüber für Koope-rationen zwischen Wettbewerbern. Insgesamt gilt,dass es bei Kooperationsverträgen stärker auf die

247 Zum Ganzen siehe Brandi-Dohrn.248 Brandi-Dohrn, 1353; siehe auch hinten III.10.249 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 156.

Dr. iur. Urs Egli, Rechtsanwalt und Gründungspartner der epart-ners Rechtsanwälte AG, Zürich

* Der 1. Teil ist in recht Heft 1/14, Seite 1–15 erschienen.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

Beurteilung des Einzelfalls ankommt. Entspre-chend ist die Rechtsunsicherheit grösser.

Bei einer umfangreichen und langdauernden Ko-operation kann die Gründung eines Joint Ventureseine Alternative zum Abschluss eines Kooperati-onsvertrages sein. Sind grosse Unternehmen be-teiligt, so ist ein Fusionskontrollverfahren durchzu-führen. Dieses hat den Vorteil, dass die Zulässigkeitder Kooperation durch die Kartellbehörden vorgän-gig geprüft wird.250

7.2 F&E-Kooperationen

Insbesondere die folgenden Klauseln sind kartell-rechtlich relevant:251

Zugang zu den F&E-Ergebnissen: Die F&E-GVOverlangt, dass alle beteiligten Unternehmen dengleichen Zugang zu den Ergebnissen haben.252

Einschränkung der F&E-Tätigkeit: Die Parteiendürfen sich bei ihrer F&E-Tätigkeit nur im sachli-chen Anwendungsbereich der Forschungskoope-ration beschränken.253

Verwendungsbeschränkungen: Die Verwertungder Ergebnisse muss nach Ablauf der Vereinba-rung frei möglich sein. Dies geht so weit, dass sichdie Parteien Zugang zu vorbestehendem Know-how gewähren müssen, sofern dieses für die Ver-wertung erforderlich ist.254 Hochschulen oder an-dere Unternehmen, die F&E-Dienstleistungenanbieten, können sich jedoch verpflichten, die Er-gebnisse nur für weitere Forschung zu verwen-den.255

Produktionsbeschränkung: Die Beschränkungder Produktion ist nicht zulässig.256 Ausgenommensind zulässige Absprachen zur gemeinsamen Ver-wertung.

Absprachen zur gemeinsamen Verwertung: Un-ter der Verwertung werden die Herstellung undder Vertrieb der Produkte, aber auch die Lizenzie-rung der entwickelten Technologien verstanden.Zur Kooperation können die Parteien entweder einegemeinsame Organisation mit der Verwertung be-auftragen oder aber, was weitaus häufiger der Fallist, sich bestimmte Gebiete, Kunden oder Anwen-dungsbereiche auf dem Weg der Spezialisierungselber vorbehalten. Letzteres kann auch dadurchgeschehen, dass nur eine beteiligte Partei die Ver-tragsprodukte herstellt und vertreibt und die ande-ren Parteien gänzlich darauf verzichten.257

250 Siehe hinten III.9.251 Die nachfolgende Darstellung orientiert sich hauptsächlich ander F&E-GVO.252 Art. 3 Abs. 2 F&E-GVO.253 Art. 5 lit. a F&E-GVO.254 Art. 3 Abs. 3 F&E-GVO.255 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 162.256 Art. 5 lit. b F&E-GVO.257 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 160.

Preisabsprachen: Die Festsetzung von Preisenist unzulässig.258

Verkaufsbeschränkungen: Aktive Verkaufsbe-schränkungen sowie das Verbot der Unterlizenzie-rung sind zulässig, sofern Gebiete oder Kunden-kreise einer Partei auf dem Weg der Spezialisierungzugewiesen sind.259 Dies gilt sogar für die Ein-schränkung des passiven Verkaufs.260

Field-of-use Klauseln sind zulässig.261

Wettbewerbsverbot: Haben die Parteien einegemeinsame Verwertung vorgesehen, so sindWettbewerbsverbote zulässig und die Parteienkönnen sich verpflichten, während des Verwer-tungszeitraums keine Produkte zu verkaufen, wel-che die gemeinsam entwickelten Produkte konkur-renzieren.262

Nichtangriffsabrede: Nichtangriffsabreden imBezug auf geistiges Eigentum sind grundsätzlichunzulässig. Eine Ausnahme besteht während derEntwicklungsphase und nur in Bezug auf Rechte,welche für die Kooperation von Bedeutung sind.263

Dauer der Kooperation: Nichtwettbewerber kön-nen sich hinsichtlich der F&E-Tätigkeit für die ge-samte, zeitlich unbegrenzte Dauer der Kooperationvertraglich binden. Ist anschliessend eine gemein-same Verwertung vorgesehen, so darf diese ma-ximal sieben Jahre dauern, beginnend mit dem Da-tum des ersten Inverkehrbringens.264 Handelt essich bei den Kooperationspartnern hingegen umWettbewerber, so gilt dies nur, wenn ihr gemein-samer Marktanteil 25% nicht übersteigt.265

7.3 Spezialisierungen

Absprachen über die Produktion werden im Rah-men von Spezialisierungsvereinbarungen getrof-fen.266 Unternehmen können die Produktion zu-sammenlegen (gemeinsame Produktion), siekönnen einseitig oder gegenseitig auf die Produk-tion bestimmter Komponenten verzichten unddiese Komponenten von der anderen Partei be-ziehen (Spezialisierung) und sie können Kompo-nenten – z.B. bei Produktionsengpässen – bei derjeweils anderen Partei beziehen (Zuliefervereinba-rungen zur Produktionsausweitung).267

258 Art. 6 lit. c F&E-GVO; im schweizerischen Kartellrecht soll eineRechtfertigung einer Preisfestsetzung nicht von vornherein aus-geschlossen sein (Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1lit. a und b KG 1.HS N 19).259 Art. 5 lit. e F&E-GVO.260 Art. 5 lit. d F&E-GVO.261 Art. 5 lit. b iii) F&E-GVO.262 Art. 5 lit. b iv) F&E-GVO.263 Art. 6 lit. a F&E-GVO.264 Art. 4 Abs. 1 F&E-GVO.265 Art. 4 Abs. 2 F&E-GVO.266 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 426; Weber/Volz,Rz. 2.206.267 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 30.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

Spezialisierungsvereinbarungen lassen sich oftaus ökonomischen Gründen rechtfertigen.268 Sol-che Vereinbarungen dürfen aber nicht zu einer Zu-nahme der Marktmacht der beteiligten Unterneh-men führen.269 Zudem kommt es darauf an, wiegross der Kostenblock der ausgelagerten Produk-tionskosten im Vergleich zu den Gesamtkosten ist.Machen die Produktionskosten einen Grossteil derGesamtkosten aus, so werden Marktverschlies-sungseffekte befürchtet. Für marktbeherrschendeUnternehmen ist das Eingehen einer Spezialisie-rungsvereinbarung a priori ausgeschlossen.270

Gemäss der Spezialisierungs-GVO können Al-leinbezugs- und Alleinbelieferungspflichten vorge-sehen werden.271 Ebenfalls ist es in bestimmtenGrenzen zulässig, dass die beteiligten Unterneh-men die betroffenen Produkte gemeinsam vertrei-ben.272 Die Exklusivität der Zusammenarbeit darfjedoch nur das Eingehen weiterer Spezialisierungs-kooperationen ausschliessen. Die Belieferung dereigenen Kunden der beteiligten Unternehmen darfnicht beschränkt werden.273

Kernbeschränkungen wie die Festsetzung derPreise, die Beschränkung der Produktion sowie dieMarkt- und Kundenaufteilung sind auch in Spezia-lisierungsvereinbarungen grundsätzlich nicht zuläs-sig.274 Innerhalb einer gemeinsamen Produktiondürfen die Parteien aber Preise und Produktions-kapazitäten vereinbaren.275

7.4 Einkaufskooperationen

Ob eine Koordination des Einkaufs den Wettbe-werb beschränkt, hängt von der Nachfragemachtder Einkaufskooperation auf dem Beschaffungs-markt ab.276 Im europäischen Kartellrecht werdenEinkaufskooperationen als unproblematisch be-trachtet, wenn ihr Marktanteil 15% nicht über-steigt.277 Weiter ist relevant, ob sich Unternehmenan der Einkaufskooperation beteiligen, die auf ih-ren eigenen Verkaufsmärkten marktmächtigsind.278 Auch eine Rolle spielt, wie hoch der Anteilder Kosten der eingekauften Komponenten an denGesamtkosten ist. Ein hoher Kostenanteil führt zur

268 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 426, Weber/Volz,Rz. 2.208.269 Dazu und zum Folgenden siehe Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Ka-pitel, Rn. 37.270 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel 3, Rn. 54.271 Art. 1 Abs. 1 Spezialisierungs-GVO.272 Art. 2 Abs. 3 lit. b Spezialisierungs-GVO.273 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 43.274 Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit, Rn. 160;Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 47 ff.275 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 47 f.276 Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1 lit. a und b KG 1.HS N 89 ff.; Weber/Volz, Rz. 2.188.277 Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit, Rn. 195.278 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 61.

Kostenangleichung auf den Verkaufsmärkten279

und fällt damit negativ ins Gewicht.Einkaufskooperationen können im europäischen

Kartellrecht unter eine Legalausnahme fallen. Diesist der Fall, wenn sich infolge niedrigerer Einkaufs-preise oder Transport- und Logistikkosten Leis-tungsgewinne und Einsparungen realisieren las-sen, die angemessen an die Marktgegenseiteweitergegeben werden.280

Bisweilen auferlegen Einkaufskooperationen ih-ren Mitgliedern einen Bezugszwang. Dies ist nurdann zulässig, wenn der Bezugszwang wirtschaft-lich notwendig ist, z.B. weil Investitionen in die Ko-operation amortisiert werden müssen oder weilsich die beabsichtigten Grössenvorteile nur so re-alisieren lassen.281 Nicht zulässig sind Abreden,welche die an der Kooperation beteiligten Unter-nehmen in der Verwendung der eingekauften Kom-ponenten sowie in der Preis- und Absatzpolitik be-schränken.282

7.5 Verkaufskooperationen

Eine Verkaufskooperation kann sich entweder aufsämtliche Vertriebsfunktionen oder nur auf Teiledavon beziehen, beispielsweise nur auf die Logis-tik- oder Wartungsleistungen, den Kundendienstoder die Werbung.283 Verboten und nur in Ausnah-mefällen freistellbar sind Verkaufskooperationen,bei denen die Verkaufspreise festgesetzt wer-den.284 Vereinbarungen über andere Vertriebsfunk-tionen ohne Festsetzung der Verkaufspreise sindim europäischen Kartellrecht nur dann kartellrecht-lich problematisch, wenn die gemeinsamen Markt-anteile 15% übersteigen.285

8. Unternehmenskaufverträge

Bei Unternehmenskaufverträgen ist zu prüfen, obein Fusionskontrollverfahren durchzuführen ist. Istdies der Fall, so muss ein Kartellrechtsspezialistbeigezogen werden und der Vertrag ist von der Be-dingung abhängig zu machen, dass die zuständi-gen Fusionskontrollbehörden den Zusammen-schluss genehmigen. Weiter soll der Vertrag einegegenseitige Beistandspflicht für das Fusionskon-trollverfahren enthalten und regeln, wer gegenüber

279 Leitlinien über die Horizontale Zusammenarbeit, Rn. 214 und222.280 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 64.281 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 65; Schroeder in Wie-demann (Hrsg.), § 8, Rn. 90 f.282 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 65.283 Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit, Rn. 225.284 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 70 ff.285 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 75.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

den Behörden für die Verfahrensführung zustän-dig ist (in der Regel der Erwerber).

Die Fusionskontrolle knüpft an zwei Kriterienan. Zum einen muss ein Zusammenschlusstatbe-stand vorliegen. Zum anderen müssen die betei-ligten Unternehmen bestimmte Umsatzschwellenerreichen.

Als Unternehmenszusammenschluss gilt eineFusion sowie jeder Vorgang, durch welchen dieKontrolle über ein bisher unabhängiges Unterneh-men erworben wird.286 Ein Kontrollerwerb kann dejure und de facto erfolgen.287 Als Kontrollerwerbgilt deshalb nicht nur der Erwerb der Aktienmehr-heit, sondern jede Transaktion, welche es demErwerber aufgrund der tatsächlichen Umständeermöglicht, die wesentlichen strategischen Ent-scheidungen des Zielunternehmens zu beeinflus-sen.288 So kann auch eine Minderheitsbeteiligungverbunden mit einer besonderen Einflussnahmeüber einen Aktionärsbindungsvertrag oder eine fi-nanzielle Abhängigkeit einen Kontrollerwerb dar-stellen.289 Auch der blosse Erwerb von Vermögen(Asset Deal) stellt einen Kontrollerwerb dar, wenndadurch die Kontrolle über die Gesamtheit oderüber Teile eines Unternehmens erworben wird.290

Die Umsatzschwellen sind im schweizerischenKartellrecht erreicht, wenn die beteiligten Unter-nehmen entweder einen Umsatz von insgesamtCHF 2 Mrd. oder einen auf die Schweiz entfallen-den Umsatz von CHF 500 Mio. erzielen, wobei ku-mulativ mindestens zwei der beteiligten Unterneh-men in der Schweiz einen Umsatz von jemindestens CHF 100 Mio. erwirtschaften müs-sen.291 Wurde in einem Verfahren festgestellt, dassein Unternehmen eine marktbeherrschende Stel-lung hat, besteht die Meldepflicht für Übernahmenin diesem Markt oder in vor- oder nachgelagertenMärkten in jedem Fall.292

Im europäischen Kartellrecht liegen die Umsatz-schwellen bei einem Gesamtumsatz von EUR 5 Mrd.,wobei mindestens zwei der beteiligten Unternehmenin der Union einen Umsatz von je EUR 250 Mio. er-zielen müssen.293

Bei internationalen Sachverhalten ist für jedebeteiligte Rechtsordnung zu prüfen, ob die Auf-greifkriterien erfüllt sind. Es sind deshalb mögli-cherweise parallele Fusionskontrollverfahren

286 Art. 4 Abs. 3 KG.287 Mäger in Mäger (Hrsg.), 8. Kapitel, Rn. 30.288 Mäger in Mäger (Hrsg.), 8. Kapitel, Rn. 30.289 Hoffet in Geiser/Krauskopf/Münch (Hrsg.), Rz. 10.14.290 Für das europäische Kartellrecht: Art. 3 Abs. 1 lit. b der Ver-ordnung (EG) Nr. 139/2004 über die Kontrolle von Unternehmens-zusammenschlüssen (FKVO).291 Art. 9 KG.292 Art. 9 Abs. 4 KG.293 Art. 1 Abs. 2 FKVO.

durchzuführen.294 Gelangt das europäische Fusi-onskontrollverfahren zur Anwendung, so ersetztes die Kontrollverfahren der Mitgliedstaaten.295

Vor Abschluss des Kontrollverfahrens bestehtein Vollzugsverbot und in Missachtung dieses Ver-botes geschlossene Rechtsgeschäfte sind zivil-rechtlich unwirksam.296 Andererseits müssen diebeteiligten Unternehmen die Transaktion planen,was ein Minimum an Kooperation auch währenddes Kontrollverfahrens voraussetzt. Unter demSchlagwort «Gun Jumping» wird diskutiert, wel-che Handlungen in dieser Phase noch zulässigsind und welche bereits vom Vollzugsverbot undvom Verbot des Informationsaustausches erfasstwerden.297

9. Joint-Venture-Verträge

Ein Gemeinschaftsunternehmen (Joint Venture) istein von mehreren Unternehmen gemeinsam kon-trolliertes Unternehmen.298 Die Gründung einesGemeinschaftsunternehmens stellt einen kontroll-pflichtigen Zusammenschluss dar, wenn das zugründende Unternehmen als selbständiges Unter-nehmen gilt (Vollfunktions-Gemeinschaftsunter-nehmen).299

Joint-Venture-Verträge sind aber auch unterdem Aspekt des Kartellverbots relevant, denn sieenthalten im Normalfall Abreden, welche dasWettbewerbsverhalten der Muttergesellschaftenbeschränken,300 wie z.B. exklusive Belieferungs-oder Bezugspflichten und Wettbewerbsverbote.

Kontrollpflichtig sind sowohl im schweizerischenwie auch im europäischen Kartellrecht nur Vollfunk-tions-Gemeinschaftsunternehmen, welche zudemdie Schwellenwerte erreichen. Alle anderen Joint-Venture-Verträge sind anhand der allgemeinen Re-geln auf ihre Vereinbarkeit mit dem Kartellverbotzu prüfen.301 Im Vergleich dazu hat das Kontrollver-fahren den Vorteil, dass die Vertragspartner eineEntscheidung der Kartellbehörden erwirken unddamit Rechtssicherheit für ihre Investitionen erlan-gen können.302

294 Hoffet in Geiser/Krauskopf/Münch (Hrsg.), Rz. 10.84.295 Dietze/Jannsen, Rn. 676.296 CH: Art. 34 KG; EU: Art. 7 Abs. 4 FKVO.297 Weber/Volz, Rz. 2.953 ff.298 Weber/Volz, Rz. 2.869.299 Art. 1 der Verordnung über die Kontrolle von Unternehmens-zusammenschlüssen (VKU).300 Mäger in Mäger (Hrsg.), 9. Kapitel, Rn. 3.301 Im europäischen Kartellrecht ist zudem noch zu prüfen, ob al-lenfalls eine mitgliedsstaatliche Fusionskontrolle Anwendung fin-det.302 Mäger in Mäger (Hrsg.), 9. Kapitel, Rn. 8.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

10. Wettbewerbsverbote im Besonderen

Ein Wettbewerbsverbot verbietet die Konkurren-zierung der Waren oder Dienstleistungen des Ver-tragspartners. In der schweizerischen Vertragspra-xis werden Wettbewerbsverbote deshalb auchals Konkurrenzverbote bezeichnet. Sie sind insbe-sondere in Vertriebsverträgen, Lizenzverträgen,Franchiseverträgen, Zuliefer- und Subunternehmer-verträgen, Kooperationsverträgen und in Gesell-schafts- und Unternehmenskaufverträgen anzu-treffen303 und kommen in der Praxis häufig vor.

Ein Wettbewerbsverbot ist von einer Exklusivi-tät abzugrenzen, wie sie z.B. bei exklusiven Be-zugs- oder Belieferungspflichten anzutreffen ist.304

Exklusivität verlangt vom Vertragspartner ein akti-ves Verhalten, ein Wettbewerbsverbot hingegennur eine Unterlassung. Eine Exklusivitätsverpflich-tung umfasst jedoch implizit auch ein Wettbe-werbsverbot, weshalb eine Bezugsverpflichtungim Umfang von mehr als 80% des Einkaufsbedarfskartellrechtlich wie ein Wettbewerbsverbot behan-delt wird.305

Wettbewerbsverbote unter Konkurrenten sindim Normalfall verboten. Sie stellen eine unzuläs-sige horizontale Marktaufteilung dar.306 Für Wett-bewerbsverbote in Vertriebs- und in Unterneh-menskaufverträgen gibt es relativ klare Regeln. Inallen anderen Fällen wird die Zulässigkeit einesWettbewerbsverbots anhand einer Güterabwä-gung im Einzelfall geprüft.

Wettbewerbsverbote in Vertriebsverträgen sindzwar zulässig, dürfen jedoch nicht für mehr als fünfJahre und nicht auf unbestimmte Zeit vereinbartwerden.307 Nachvertragliche Wettbewerbsverbotesind nur für maximal ein Jahr zulässig, wobei wei-tere Einschränkungen zu beachten sind.308 Das giltjedoch nur für Wettbewerbsverbote, die der Ab-nehmer (d.h. der Händler) eingeht.309 Der Anbie-ter kann sich grundsätzlich ohne zeitliche Beschrän-kung einem Wettbewerbsverbot unterwerfen.310

Weitergehende Wettbewerbsverbote beim Ver-trieb sind im Rahmen von Franchise- und Lizenz-verträgen möglich. In Franchiseverträgen sindWettbewerbsverbote während der Vertragsdauerohne zeitliche Beschränkung zulässig.311 In Lizenz-

303 Bernhard, 2785.304 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 131.305 Siehe vorne III.1.306 Bernhard, 2786.307 CH: Ziffer 12 lit. f Vertikalbekanntmachung; EU: Art. 5 Abs. 1lit. a Vertikal-GVO.308 CH: Ziffer 12 lit. g Vertikalbekanntmachung; EU: Art. 5 Abs. 3Vertikal-GVO.309 CH: Ziffer 6 der Vertikalbekanntmachung; EU: Art. 5 Abs. 1lit. a und b Vertikal-GVO; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel,Rn. 132.310 Auch für Konkurrenzverbote zulasten des Anbieters gelten je-doch die nachfolgend dargestellten Einschränkungen.311 Siehe vorne III.2.

verträgen kann sich der Lizenznehmer verpflich-ten, keine fremden Technologien zu verwenden,die mit der lizenzierten Technologie konkurrieren.312

Das ist im europäischen Kartellrecht selbst ober-halb der Marktanteilsgrenzen der TT-GVO mög-lich.313

In Unternehmenskaufverträgen wird als Neben-abrede meistens ein Wettbewerbsverbot zulastendes Verkäufers vereinbart.314 Damit soll sicherge-stellt werden, dass der Verkäufer seiner Verpflich-tung zur Übertragung des Unternehmens auchnachkommt und dies nicht durch eine Konkurren-zierung hintertreibt.315 Ein solches Wettbewerbs-verbot gilt nicht als kartellrechtlich relevanteWettbewerbsabrede, sofern sich sein Zweck aufdie Absicherung des Unternehmenskaufs be-schränkt.316 Sachlich und räumlich ist das Wettbe-werbsverbot auf den bisherigen Tätigkeitsbereichdes Unternehmens zu begrenzen.317 Zeitlich darfes für drei Jahre vereinbart werden, sofern mit demUnternehmen Goodwill und Know-how veräussertwerden, jedoch nur für zwei Jahre, wenn lediglichGoodwill übertragen wird.318 Eine längere Dauerist nur zulässig, wenn nachgewiesen wird, dassdie Kunden dem Veräusserer länger als drei Jahretreu bleiben.319 Diese Regeln gelten auch für Ab-werbeverbote und Vertraulichkeitsklauseln in Un-ternehmenskaufverträgen, da sie eine ähnlicheWirkung wie Wettbewerbsverbote haben.320

In den übrigen Fällen, insbesondere in Subun-ternehmer- und Kooperationsverträgen, sind Wett-bewerbsverbote zulässig, wenn sie zur Erfüllungdes Hauptzwecks erforderlich sind.321 Wettbe-werbsverbote lassen sich einerseits mit demSchutz des Know-how und andererseits mit demSchutz der Kundenbeziehung rechtfertigen. Allge-mein müssen Wettbewerbsverbote in sachlicher,räumlicher und zeitlicher Hinsicht erforderlich sein,um den vertraglichen Hauptzweck zu verwirkli-chen.322 In sachlicher Hinsicht darf sich das Wett-bewerbsverbot nur auf das preisgegebene Know-how beziehen. Ein Wettbewerbsverbot, das sich

312 TT-Leitlinie, Rn. 196.313 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 108.314 Borer/Kostka in BSK KG, Art. 32 N 90.315 Mäger in Mäger (Hrsg.), 8. Kapitel, Rn. 272.316 CH: Borer/Kostka in BSK KG, Art. 32 N 90; EU: Mäger in Mä-ger (Hrsg.), 8. Kapitel, Rn. 272.317 CH: Borer/Kostka in BSK KG, Art. 32 N 91; Weber/Volz Rz. 2.974;EU: Bekanntmachung der Kommission über die Einschränkungdes Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmens-zusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese not-wendig sind (2005/C 56/03), (zit. Bekanntmachung zu den Neben-abreden), Rn. 19.318 CH: Weber/Volz, Rz. 2.975; EU: Bekanntmachung zu den Ne-benabreden, Rn. 20.319 Weber/Volz, Rz. 2.975.320 Ruggli/Vischer, 301 f.321 Zum Ganzen Bernhard, 2787 ff.; zur Zulässigkeit in Subunter-nehmerverträgen siehe Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 113.322 Bernhard, 2787 f.; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 113.

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Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis

auf alle Vertragsprodukte erstreckt – unabhängigdavon, ob dafür vertragliches Know-how verwen-det wird –, ist nach der deutschen Rechtsprechungunzulässig.323

Nachvertragliche Konkurrenzverbote sind be-sonders kritisch. Die deutschen Gerichte gehenunter Bezugnahme auf die Vertikal-GVO im Nor-malfall von einer maximal zulässigen Dauer von ei-nem Jahr aus.324 So hat der BGH ein zweijährigesKonkurrenzverbot, welches ein Hersteller von Feu-erschutztoren einem Monteur auferlegte, als un-gültig beurteilt, weil es in diesem Umfang nicht er-forderlich war.325 Geht es um Kundenschutz, sokann ein Wettbewerbsverbot nur für die Dauer ver-einbart werden, für welche die Kundenbeziehungtypischerweise Bestand hat.326 Geht es hingegenum den Schutz des Know-how, können Wettbe-werbsverbote länger und unter Umständen sogarfür eine unbegrenzte Dauer vereinbart werden.327

Auch bei der Beurteilung von Wettbewerbsver-boten kommt es auf die Marktanteile an. Wettbe-werbsverbote, die marktbeherrschende Unterneh-men ihren Vertragspartnern auferlegen, werdennach einem strengeren Massstab geprüft undsind unter bestimmten Umständen sogar gänzlichunzulässig.328 Wettbewerbsverbote, an denenausschliesslich Unternehmen mit geringer Markt-macht beteiligt sind, sind demgegenüber privile-giert. So unterliegen solche Wettbewerbsverbotekeiner zeitlichen Begrenzung.329

Die kartellrechtlichen Vorschriften zu den Wett-bewerbsverboten haben Auswirkungen auf die Re-gelung der Vertragsdauer. Enthalten Vertriebsver-träge ein Wettbewerbsverbot zulasten desHändlers, so dürfen sie nur für eine maximaleDauer von fünf Jahren und insbesondere nicht aufunbestimmte Zeit abgeschlossen werden. SolcheVerträge müssen zwischen den Vertragsparteienjeweils vor Ablauf von fünf Jahren neu verhandeltwerden.330

11. Unzulässige Klauseln für markt-beherrschende Unternehmen

Das Missbrauchsverbot gemäss Art. 7 KG undArt. 102 AEUV schränkt die Vertragsfreiheit markt-

323 Bernhard, 2778.324 Bernhard, 2786 f.325 Brandi-Dohrn, 1353.326 Bernhard, 2787; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 113.327 Bernhard, 2787.328 CH: Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 447; Weber/Volz,Rz. 2.736; EU: Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, Art. 102AEUV, Rn. 231.329 Weber/Volz, Rz. 2.174. Dies ergibt sich daraus, dass solcheAbreden von der KMU-Bekanntmachung (CH) und der De-mini-mis-Bekanntmachung (EU) erfasst werden.330 Bernhard, 2788.

beherrschender Unternehmen zusätzlich ein. Alsmarktbeherrschend gelten Unternehmen, wennsie in der Lage sind, sich von anderen Marktteil-nehmern in wesentlichem Umfang unabhängig zuverhalten.331 Bei der Beurteilung des Kriteriumsder Marktbeherrschung spielen die Marktanteileeine wichtige Rolle. So wird bei Marktanteilen vonmehr als 50% eine marktbeherrschende Stellungvermutet, wenn keine besonderen Umstände vor-liegen.332 Bei einem tieferen Marktanteil müssennoch weitere Faktoren hinzutreten wie z.B. Markt-zutrittsschranken für Dritte, technischer Vorsprungoder Wirtschafts- und Finanzmacht.333 Solche Kon-stellationen werden auch als relative Marktmacht(in vertikalen Verhältnissen) respektive überra-gende Marktstellung (in horizontalen Verhältnis-sen) bezeichnet.334 Bei Marktanteilen von unter30% kann auch bei solchen Konstellationen nichtmehr von einer Marktbeherrschung ausgegangenwerden.335

Einschränkungen für marktbeherrschende Un-ternehmen ergeben sich insbesondere in folgen-den Bereichen:

Unangemessene Preise oder Geschäftsbedin-gungen: 336 Marktbeherrschende Unternehmenmüssen sich eine kartellrechtlich begründete Kon-trolle ihrer Preise und Geschäftsbedingungen ge-fallen lassen. Die Missbräuchlichkeit der Preise er-gibt sich aus dem Vergleich des Verkaufspreisesmit den tatsächlichen Produktionskosten.337 Miss-bräuchlich sind beispielsweise338 die Erzielung ei-ner überhöhten Gewinnspanne, das Verlangen vonLizenzgebühren für nicht bestehende Schutzrechte,die Verwendung unbilliger Geschäftsbedingungen,die Verrechnung überhöhter Komponentenpreisean andere Hersteller (Margin Squeeze)339 sowie dieAuferlegung ungerechtfertigter Bedingungen fürdie Weiterverwendung (z.B. Ausfuhrverbote oderBeschränkungen des Weiterverkaufs).

Predatory Pricing:340 Kampfpreisunterbietungenzielen darauf ab, weniger leistungsstarke Wettbe-werber aus dem Markt zu drängen.341 Eine unzu-

331 CH: Art. 4 KG; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 8.332 CH: Weber/Volz, Rz. 2.549; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Ka-pitel, Rn. 13 sowie der Leading Case des EuGH, Rs 85/76 (Hoff-mann-La Roche), Slg. 1979, 461, Rn. 41.333 CH: Weber/Volz, Rz. 2.550 mit einer Darstellung der Praxis derWeko; Zäch, Rz. 795 ff.; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel,Rn. 16 ff.334 Bosch/Dallmann, 129 ff; Heizmann, 172 ff.335 Weber/Volz, Rz. 2.551.336 CH: Art. 7 Abs. 2 lit. c KG; EU: Art. 102 Abs. 2 lit. a AEUV.337 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 61.338 Zu den folgenden Fallgruppen siehe Wirtz in Mäger (Hrsg.),6. Kapitel, Rn. 60 ff. und Rn. 79 ff.; im schweizerischen Kartell-recht existiert keine vergleichbar detaillierte Fallpraxis (Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 253).339 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 66.340 Art. 7 Abs. 2 lit. d KG; Art. 102 Abs. 2 lit. c AEUV.341 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 322; Wirtz in Mäger(Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 68.

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lässige Kampfreisunterbietung liegt gemäss EuGHin der Regel vor, wenn Produkte unter den variab-len Kosten angeboten werden. Werden Produkteüber den variablen Kosten, aber unter den Gesamt-kosten (Fixkosten zuzüglich variabler Kosten) an-geboten, so muss dem Unternehmen zusätzlicheine Verdrängungsabsicht nachgewiesen werdenkönnen.342

Diskriminierung: 343 Eine unzulässige Diskrimi-nierung von Handelspartnern liegt vor, wenn Ge-schäftspartner ohne objektive Gründe benachtei-ligt werden.344 Die Diskriminierung kann sich aufPreise und sonstige Geschäftsbedingungen bezie-hen. Als objektive, rechtfertigende Gründe kom-men zum Beispiel unterschiedliche Kosten für Roh-stoffe, Löhne, Produktion, Transport, Steuern, Zollund ähnliche Faktoren in Frage.345

Exklusivität: Marktmächtige Unternehmen dür-fen von ihrer Marktgegenseite keine Zusicherungder Exklusivität verlangen.346 Dabei spielt es keineRolle, ob die Exklusivität vertraglich vereinbart oderauf andere Weise faktisch erzwungen wird, etwaweil essenzielle Vergünstigungen nur bei einemexklusiven Bezug gewährt werden.347

Wettbewerbsverbot: Siehe vorne III.10.Englische Klausel: Mit dieser Abrede wird der

Geschäftspartner verpflichtet, den Lieferantenüber günstigere Drittangebote zu informieren, umdiesem die Möglichkeit zum Mitziehen zu geben.348

Sie ist meistens mit einer Exklusivitätsverpflich-tung oder einer Rabattregelung verbunden.349 Eng-lische Klauseln dürfen von marktmächtigen Unter-nehmen nicht vereinbart werden.350

Rabattsysteme: Im europäischen Kartellrechthat sich eine Praxis zur Zulässigkeit von Rabattsys-temen marktbeherrschender Unternehmen entwi-ckelt.351 Unzulässig sind Treuerabatte, die daraufabzielen, dass ein Unternehmen seinen gesamtenBedarf beim marktbeherrschenden Unternehmendeckt. Zu den Treuerabatten zählen Zielrabatte, diegewährt werden, wenn ein Kunde einen bestimm-ten, substanziellen Prozentsatz seines jährlichen

342 Siehe dazu Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 68.343 Art. 7 Abs. 2 lit. b KG;344 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 155.345 CH: Weber/Volz, Rz. 2.634 ff.; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Ka-pitel, Rn. 73 ff.346 CH: Weber/Volz, Rz. 2.735; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Ka-pitel, Rn. 76.347 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 77.348 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 241; Weber/Volz,Rz. 2.642.349 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 241; Weber/Volz,Rz. 2.737; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 129; Wirtz in Mä-ger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 78.350 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 78; weniger eindeutigfür das schweizerische Kartellrecht Amstutz/Carron in BSK KG,Art. 7 KG N 241; Weber/Volz, Rz. 2.643 und 2.737.351 Zum folgenden Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 82 ff.;die schweizerische Praxis ist dagegen spärlich (Amstutz/Carron inBSK KG, Art. 7 KG N 237); zur Zulässigkeit der einzelnen Rabattar-ten im schweizerischen Kartellrecht siehe Weber/Volz Rz. 2.637 ff.

Bedarfs beim marktbeherrschenden Unternehmendeckt. Unzulässig sind aber auch Jahresumsatzra-batte, bei denen ein Rabatt zum Jahresende rück-wirkend auf die gesamte Bezugsmenge gewährtwird, wenn bestimmte Umsatzziele erreicht wer-den.352 Unzulässig sind auch Paketrabatte, die da-ran anknüpfen, dass ein Kunde mehrere Produkteaus dem Sortiment oder für mehrere geografischeMärkte bestellt. Zulässig sind für marktmächtigeUnternehmen somit eigentlich nur noch reine Men-genrabatte.

Koppelungsgeschäfte: 353 MarktbeherrschendeUnternehmen dürfen ihre Vertragspartner nichtverpflichten, zusätzlich zum Vertragsgegenstandnoch weitere Produkte oder Leistungen zu bezie-hen, ohne dass dazu ein sachlicher Grund be-steht.354 Für die Qualifizierung als Koppelung ist esnicht entscheidend, ob sie explizit vertraglich ver-einbart wird oder sich aus der Preisgestaltung oderaus technischen Massnahmen ergibt.355

Keine unzulässige Koppelung liegt vor, wenn dieGüter von den Nachfragern entweder als ein ein-ziges Gut betrachtet werden oder wenn sachlicheGründe für die Koppelung bestehen.356 Diese Fragestellt sich insbesondere bei der an einen Kaufver-trag gekoppelten Verpflichtung zum Bezug vonWartungs- und Serviceleistungen.357

Belieferungspflicht: Die Verweigerung oder derAbbruch von Geschäftsbeziehungen kann einenMissbrauch von Marktmacht darstellen.358 Sowohlnach europäischem wie auch nach schweizeri-schem Kartellrecht besteht somit für marktbeherr-schende Unternehmen in solchen Fällen ein Kon-trahierungszwang.359 Dies gilt auch für die Erteilungvon Lizenzen, wenn diese für die Entwicklung ei-nes neuen, für den Konsumenten vorteilhaften Pro-duktes zwingend erforderlich sind.360

Bei einer eigentlichen Monopolstellung darf eineGeschäftsbeziehung nur bei objektiver Unzumut-barkeit verweigert werden.361 Das Gleiche gilt nachder Essential Facilities Doctrin für den Zugang zueiner wesentlichen Einrichtung (z.B. Flug- und

352 EuG, Rs T-203/01 (Michelin II), Slg. 2003, II-4071, Rn. 113.353 CH: Art. 7 Abs. 2 lit. f KG; EU: Art. 102 Abs. 2 lit. d AEUV.354 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 90; Zäch, Rz. 700.355 CH: Weber/Volz, Rz. 2.761 ff.; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Ka-pitel, Rn. 91.356 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 526 ff.; Weber/Volz,Rz. 2.756 ff. und Rz. 2.770 ff.357 Weber/Volz, Rz. 2.760; für eine unzulässige Koppelung von In-standhaltungs- und Reparaturarbeiten durch einen marktbeherr-schenden Maschinenhersteller siehe den Entscheid Tetrapak II(Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rn. 304).358 So ausdrücklich Art. 7 Abs. 2 lit. a KG.359 CH: Bucher in BSK OR I, Vor Art. 1–40 OR N 7; Weber/Volz,Rz. 2.577; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 107.360 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 N 148; Wirtz in Mäger (Hrsg.),6. Kapitel, Rn. 117.361 CH: Weber/Volz, Rz. 2.586; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Ka-pitel, Rn. 110.

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Seehäfen sowie Strom-, Gas-, Schienen- undTelekommunikationsnetze).362

Handelt es sich beim marktbeherrschenden Un-ternehmen weder um einen Monopolisten nochum eine «Essential Facility», sind die Interessendes Lieferanten und des Kunden gegeneinanderabzuwägen.363 Objektiv gerechtfertigte Gründe füreine Lieferverweigerung sind z.B. eine finanzielleoder persönliche Unzuverlässigkeit des Vertrags-partners oder die Bevorzugung der eigenen Stamm-kundschaft bei Lieferengpässen.364 Kein ausrei-chender Grund ist dagegen der Wunsch desmarktbeherrschenden Unternehmens, den Kon-kurrenten keine Hilfestellung leisten zu müssen.365

IV. Empfehlungen

Bei der Vertragsredaktion sind Grenzen einzuhal-ten, die durch das Kartellrecht gesetzt werden.Wenn der Vertragsredaktor über Kartellrechts-kenntnisse verfügt, kann und soll er den Vertragselber kartellrechtlich prüfen. Bei besonders kom-plexen Fragestellungen sowie für eine Vertretungin förmlichen Kartell- oder Fusionskontrollverfah-ren ist in jedem Fall ein Kartellrechtsspezialist zumandatieren.

Bei der Kartellrechtsprüfung sind zuerst alle Ver-tragsbestimmungen zu identifizieren, welche di-rekt oder indirekt das Wettbewerbsverhalten einerder Vertragsparteien betreffen. Sie sind daran zuerkennen, dass sie sich nicht mit der vertraglichenKernleistung befassen, sondern mit der Gestaltungvon Geschäftsbeziehungen gegenüber Dritten. Siebetreffen meistens den Vertrieb.

Wettbewerbsbeschränkungen sind beispiels-weise Preisabsprachen, Preisbindungen der zwei-ten Hand, Einschränkungen von Produktions-, Be-zugs- oder Liefermengen, die Aufteilung vonMärkten nach Gebieten oder Geschäftspartnern,die Vereinbarung von Exklusivität, Alleinbezugs-oder Mindestabnahmeverpflichtungen, Vorschrif-ten zur Ausgestaltung des Vertriebs, Wettbe-werbs- oder Konkurrenzverbote, Zusicherungeneiner Meistbegünstigung, Einschränkungen bei derNutzung einer lizenzierten Technologie sowie F&E-Beschränkungen. Auch die Vertragsdauer ist in dieKartellrechtsprüfung einzubeziehen, weil be-stimmte Abreden nur für eine beschränkte Dauervereinbart werden dürfen.

362 CH: zur Praxis siehe Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KGN 147; Weber/Volz, Rz. 2.597 ff; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Ka-pitel, Rn. 113 f.363 Weber/Volz, Rz. 2.586.364 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 109.365 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 110.

Anschliessend sind die identifizierten Vertrags-bestimmungen auf ihre Vereinbarkeit mit demschweizerischen und – wenn eine Wirkung auf dasAusland nicht von vornherein auszuschliessen ist –auch mit dem europäischen Kartellrecht zu prüfen.Dabei sind die unter II.8. dargelegten Prüfsche-mata anzuwenden.

Bei der Kartellrechtsprüfung ist es wichtig, dieMarktanteile der betroffenen Unternehmen zu ken-nen. Für marktmächtige Unternehmen gelten be-sonders strenge, für Unternehmen mit geringenMarktanteilen weniger strenge Regeln. Als Faust-regel kann man sich für das europäische Kartell-recht die Tennis-Zählformel 15-30-40 merken: Bis15% gilt die De-minimis-Bekanntmachung, bis30% kommt eine Gruppenfreistellung in Frage undab 40% muss ein Unternehmen damit rechnen,als marktbeherrschend beurteilt zu werden.

Klar kartellrechtswidrige Klauseln dürfen nichtvereinbart werden. Sie nützen nichts, denn sie sindnichtig. Zudem setzen sich die betroffenen Unter-nehmen einem Sanktionsrisiko aus.

Nicht immer wird sich aber mit Sicherheit sa-gen lassen, ob eine Klausel gültig oder kartell-rechtswidrig ist. Bei solchen Grenzfällen liegt dieGefahr für die beteiligten Unternehmen wenigerim Sanktionsrisiko366 als vielmehr darin, dass dievertragsmüde Partei die Möglichkeit hat, sich un-ter Berufung auf eine Teilnichtigkeit von ihrenPflichten loszusagen.

Andererseits ist zu bedenken, dass sich die Un-ternehmen von der beabsichtigten Vertragsklauseleinen Nutzen versprechen. Bei Grenzfällen kate-gorisch und ohne Risikoabwägung auf alle kriti-schen Klauseln zu verzichten, ist nicht sinnvoll.Diese sogenannte Over-Compliance ist weder be-triebs- noch volkswirtschaftlich erwünscht. Wieweit man hier gehen will, ist ein unternehmerischerEntscheid, bei welchem jedoch marktmächtigeoder kartellrechtlich exponierte Unternehmen be-sonders vorsichtig sein müssen.

366 Im europäischen Kartellrecht wird nur eine Geldbusse ver-hängt, wenn vorgängig die relevanten Bestimmungen durch Ur-teile der Gerichte oder Kommissionsentscheidungen geklärt wor-den sind (Zäch/Künzler, 743). Im schweizerischen Kartellrecht sindvon vornherein nur die qualifizierten Abreden mit Sanktionen be-droht (siehe vorne II.13).

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