santiago calatrava: ein besserer hundertwasser? · santiago calatrava: ein besserer hundertwasser?...
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Porträt
Der European Prize for Architecture ist laut Pressemel-
dung „Europe‘s most prestigious prize“ und „Europe‘s
Highest Award“. Vergeben wird er vom Architektur- und
Designmuseum Chicago Athenaeum und dem Euro-
pean Centre for Architecture Art Design and Urban
Studies aus Dublin. Dessen Aufgabe ist eher allgemein
definiert: „The mission of the European Centre is to
improve all aspects of the human and urban experi-
ence by promoting greater public awareness and the
broader appreciation and importance of architecture,
design, art, and urban planning.“ Letztes Jahr erhielt die
Auszeichnung Alessandro Mendini, davor Bjarke Ingels,
die Berliner graft, das norwegische Büro TYIN Tegnestue
und der Finne Marco Casagrande. Die diesjährige Ver-
gabe des Preises an Calatrava lässt Raum für Überlegun-
gen grundsätzlicher Art.
Der erste Stararchitekt
Der 1951 in Valencia geborene Santiago Calatrava Valls
war einer der ersten seines Fachs, denen das Label „Star-
architekt“ aufgedrückt wurde. Die Presseaussendung
zum nun vergebenen Preis bezeichnet seine Architektur
als „neo-futuristic“ – was von
einer erstaunlichen Unkennt-
nis der Prinzipien des Futu-
rismus zeugt – sowie „visio-
nary“, „utopian“ und „iconic“.
Was genau ist nun die Vision,
die Utopie in Calatravas Ar-
chitektur, die ferner, gemäß
der Eigendefinition des
Preises, außerdem als „deeply
humane and committed to
forward the principles of Eu-
ropean humanism“ betrach-
tet wird?
Iris Meder
SANTIAGO CALATRAVA: EIN BESSERER HUNDERTWASSER?
In Architektenkreisen gilt der mit zahllosen Würdigun-
gen und Ehrendoktoraten ausgezeichnete Calatrava
heute als besserer Hundertwasser, als Designer des
schnellen, populären Wow-Effekts und Aha-Erlebnisses
an der Grenze zum Kitsch, beliebt bei Laien, nicht ernst
genommen von der Fachwelt. Das war nicht immer
so. Ursprünglich als Bauingenieur ausgebildet, stand
Calatrava in den 1980er und 1990er Jahren vor allem
für hochelegante Brücken und Bahnhöfe; sein größter
Triumph waren die Bauten für die Olympischen Spiele
in Barcelona. Leicht wiedererkennbare Markenzeichen
Calatravas sind seither, kurz gesagt, Konstruktionen in
der Art weißer Vogelgerippe, die, mit Glas ausgefacht,
unterschiedliche öffentliche Funktionen aufnehmen.
Konstruktive Fehlplanungen
Nicht nur wegen seiner zunehmend eher auf Effekte
als auf Funktionalität und Praktikabilität abzielenden
Signature-Architektur ist Calatrava in den letzten Jahren
in die Kritik geraten: Seine spektakulären Bauten haben
sich mehr als einmal als massive konstruktive Fehlpla-
nungen erwiesen. 2,96 Millionen Euro Schadensersatz –
die Differenz aus einer errechneten Entschädigung von
10,24 Millionen und seinem Honorar von 7,28 Millionen
– muss Calatrava der spanischen Stadt Oviedo zahlen,
nachdem aufgrund von Planungsfehlern während der
Bauphase u. a. Dachteile des Kongresspalasts einge-
stürzt waren. Nachdem es in das Opernhaus in Valencia
stark hineinregnet, mag ihm auch seine Heimatstadt
keine Aufträge mehr erteilen. Auf der Calatrava-Brücke
in Bilbao rutschen reihenweise Fußgänger aus, und der
Fußgängersteg beim Bahnhof in Venedig wurde 2009
nach zwölfjähriger Planungszeit ohne Festakt seiner
Bestimmung übergeben, nachdem schwere statische
Mängel die Konstruktion zu einem hochriskanten Unter-
nehmen gemacht hatten. Calatrava gilt in Venedig seit-
Die Zubizuri-Fußgängerbrücke in
Bilbao (1997, dahinter zwei Türme
von Arata Isozaki).
Beim Palau de les Arts, Valencia (2005) regnete es herein.
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Der katalanische Bauingenieur und Architekt Santiago Calatrava ist mit dem Europäischen Architekturpreis 2015
ausgezeichnet worden. Was genau ist nun die Vision in seiner Architektur?
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her als persona non grata, die „Brücke des Lichts“ als Glas
gewordener Alptraum mit zahllosen Pannen, Verzöge-
rungen, auf mehr als das Dreifache gestiegenen Kosten
und weiteren Schadensersatzforderungen von Seiten
der Kommune in der Höhe von 3,4 Millionen Euro.
Insofern hat die Stadt Wien wohl richtig gehandelt, als
sie den im Jahr 2008 freihändig vom damaligen Stadtrat
Rudolf Schicker an Calatrava vergebenen Auftrag für
eine Fußgängerbrücke über die Triester Straße stor-
nierte – Calatrava hatte sich
geweigert, die Kostendecke-
lung zu akzeptieren und mit
Fachleuten vor Ort zusam-
menzuarbeiten. Unmut hatte
bei Architekturschaffenden
vor allem die Umgehung
der nach Vergabegesetz
erforderlichen EU-weiten
Wettbewerbsausschreibung
durch die Stadt Wien erregt
– mit dem Argument des
Kunstcharakters der Brücke. Auch vom angekündigten
Auftrag für die U-Bahn-Station Aspern an Calatrava war
bald keine Rede mehr. „Signale“ und „Wahrzeichen“ hatte
sich Schicker für Wien erhofft und damit eine Haltung
gezeigt, die eine Stadt als touristisches Erlebnisland be-
greift, nicht ohne gebannten Blick auf den Aufschwung
Bilbaos durch ein einziges Bauwerk von Calatravas Kol-
legen Frank Gehry.
Stararchitektur als Massenbetrieb
Nun: Probleme mit Statik und eindringendem Regen
hatten auch Größen der Architekturgeschichte wie Pe-
ter Behrens und Le Corbusier, deren Bedeutung außer
Frage steht. Aber was bringt letztlich die Architektur
voran, wie es ja der Anspruch des nun an Calatrava ver-
liehenen Preises ist? Der für und von ihm selbst immer
wieder in Anspruch genommene „organische“ Charakter
seiner Entwürfe ist als Konzept auch schon bald hun-
dert Jahre alt. Calatravas zwischen Eleganz und Bom-
bast angesiedelte Bauten funktionieren, wie sich gezeigt
hat, gerade in ihrer Statik vielfach nicht und können
damit konstruktiv nicht vorbildhaft wirken. Bleibt also
der Landmark-Charakter der Bauten, der nur allzu gern
im Sinne eines City Branding eingesetzt wird. Hier beißt
sich die Katze in den Schwanz, wenn sich mehr und
mehr Städte mehr und mehr Tourismus von der Investi-
tion in einen Calatrava, Coop, Gehry oder Hadid erhof-
fen. Die immer kapitalintensiveren, spektakuläreren Pro-
jekte haben der Qualität der Architektur noch in keinem
Fall gut getan, sondern im Gegenteil austauschbare, im
schlimmsten Fall sich selbst kopierende Projekte her-
vorgebracht, deren Reiz mit zunehmender Dichte stark
abnimmt. Bei dem Massenbetrieb, als der die Büros der
Architekten-Stars unterdessen funktionieren, ist dies
wohl auch schwer anders möglich. Wie die Kriterien der
Preisvergabe für Calatrava im Detail begründet wurden,
muss offen bleiben.
Planungsfehler beim Kongresspalast von Oviedo, Spanien (2011).
Foto
: Wik
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