scham und familienbeziehungen bei bulimie; shame and family relations in bulimia;

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Psychotherapeut 2014 · 59:38–45 DOI 10.1007/s00278-013-1010-8 Online publiziert: 13. Oktober 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 Ulrike Frost 1  · Micha Strack 2  · Klaus-Thomas Kronmüller 3  · Annette Stefini 4  ·  Hildegard Horn 5  · Klaus Winkelmann 5  · Hinrich Bents 6  · Ursula Rutz 1  · Günter Reich 1 1  Psychotherapeutische Ambulanz für Studierende (PAS), Ambulanz für Familientherapie und für  Essstörungen, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie,   Universitätsmedizin Göttingen (UMG) 2  Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie, Universität Göttingen 3  Abteilung für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, LWL-Klinik Gütersloh 4  Klinik für Allgemeine Psychiatrie, Universitätsklinikum Heidelberg 5  Institut für Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie, Heidelberg 6  Psychologisches Institut, Universität Heidelberg Scham und  Familienbeziehungen  bei Bulimie Mediationsanalyse zu Essstörungssymptomen  und psychischer Belastung Das Beziehungsgeflecht zwischen fa- miliären Faktoren und essgestör- tem Verhalten ist komplex. Hierbei scheint eine erhöhte Schamneigung einerseits mit dysfunktionalen Fami- lienbeziehungen und andererseits mit Essstörungssymptomen in Ver- bindung zu stehen. Scham stellt da- mit einen wichtigen Faktor dar, um die Verknüpfung zwischen bulimi- schem Verhalten und familiären Be- ziehungen zu verstehen. Der As- pekt der Scham wurde bisher im Zu- sammenhang mit Familienbeziehun- gen und Bulimie nicht abschließend untersucht. Hintergrund In dem multifaktoriellen Ätiologiemodell der Essstörungen beschäftigt sich die For- schung seit etwa 25 Jahren mit dem fami- liären Einfluss auf die Aufrechterhaltung und Entstehung von essgestörtem Verhal- ten. Zahlreiche empirische Studien zei- gen einen Zusammenhang zwischen Ess- störungssymptomen und familiären Fak- toren (Cierpka u. Reich 2010; Reich 2003; Reich 2005). Die Familie kann auf 2 We- gen auf die Entwicklung essgestörten Ver- haltens Einfluss nehmen: einerseits über die familiären Einstellungen zu Essen, Ge- wicht und Figur, andererseits über dys- funktionale Familienbeziehungen, ver- mittelt über ein defizitäres Selbstwerter- leben (Reich 2003). Eng mit einem nied- rigen Selbstwerterleben ist die Emotion der Scham verbunden, die durch Gefühle der Wertlosigkeit und des Sich-klein- Fühlens begleitet wird (Lewis 1971; Reich 2008). Ein erhöhtes Schamempfinden ist mit verschiedenen Störungsbildern asso- ziiert (Goss u. Allan 2009), im Besonde- ren auch mit Essstörungen. Mehrere Kor- relationsstudien haben einen Zusammen- hang zwischen Schamerleben und der Ausprägung von Essstörungssymptomen nachgewiesen (Hayaki et al. 2002; Sanft- ner et al. 1995; Troop et al. 2008). Essge- störte Patientinnen empfinden eine stär- kere Schamausprägung im Vergleich zu Patientinnen mit subklinischen Essstö- rungssymptomen (Hayaki et al. 2002), Pa- tientinnen mit einer vollremittierten Ess- störung (Troop et al. 2008), depressiven Patientinnen (Frank 1991; Grabhorn et al. 2006), Angstpatientinnen (Grabhorn et al. 2006) und gesunden Kontrollproban- dinnen (Frank 1991). Die Schamneigung entsteht vermut- lich im Laufe der Kindheit (Tangney u. Dearing 2002). Die Familie als erste so- ziale Gruppe hat wahrscheinlich erheb- lichen Einfluss auf die Entwicklung einer erhöhten Schamausprägung. Nach Loa- der (1998) ist das Erleben von Scham im familiären Kontext unvermeidlich, aber nicht unbedingt nachteilig für das Kind. Erst wenn Schamempfindungen in dys- funktionalen Familienbeziehungen auf- treten, kann sich ein erhöhtes Schamer- leben negativ auswirken (Loader 1998). So geht eine im Erwachsenenleben ge- steigerte Schamneigung mit Erinnerun- gen an dysfunktionale Familienbeziehun- gen einher. In einer studentischen Stich- probe war eine hohe Schamausprägung mit niedrigen Ausprägungen der Fami- lienkohäsion, Expressivität, intellektuel- len und kulturellen Orientierung, mora- lisch-religiösen Orientierung und mit ho- Redaktion M. Cierpka, Heidelberg B. Strauß, Jena 38 | Psychotherapeut 1 · 2014 Originalien

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Page 1: Scham und Familienbeziehungen bei Bulimie; Shame and family relations in bulimia;

Psychotherapeut 2014 · 59:38–45DOI 10.1007/s00278-013-1010-8Online publiziert: 13. Oktober 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Ulrike Frost1 · Micha Strack2 · Klaus-Thomas Kronmüller3 · Annette Stefini4 · Hildegard Horn5 · Klaus Winkelmann5 · Hinrich Bents6 · Ursula Rutz1 · Günter Reich1

1 Psychotherapeutische Ambulanz für Studierende (PAS), Ambulanz für Familientherapie und für 

Essstörungen, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie,  

Universitätsmedizin Göttingen (UMG)2 Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie, Universität Göttingen3 Abteilung für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, LWL-Klinik Gütersloh4 Klinik für Allgemeine Psychiatrie, Universitätsklinikum Heidelberg5 Institut für Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie, Heidelberg6 Psychologisches Institut, Universität Heidelberg

Scham und Familienbeziehungen bei BulimieMediationsanalyse zu Essstörungssymptomen und psychischer Belastung

Das Beziehungsgeflecht zwischen fa-miliären Faktoren und essgestör-tem Verhalten ist komplex. Hierbei scheint eine erhöhte Schamneigung einerseits mit dysfunktionalen Fami-lienbeziehungen und andererseits mit Essstörungssymptomen in Ver-bindung zu stehen. Scham stellt da-mit einen wichtigen Faktor dar, um die Verknüpfung zwischen bulimi-schem Verhalten und familiären Be-ziehungen zu verstehen. Der As-pekt der Scham wurde bisher im Zu-sammenhang mit Familienbeziehun-gen und Bulimie nicht abschließend untersucht.

Hintergrund

In dem multifaktoriellen Ätiologiemodell der Essstörungen beschäftigt sich die For-schung seit etwa 25 Jahren mit dem fami-liären Einfluss auf die Aufrechterhaltung und Entstehung von essgestörtem Verhal-ten. Zahlreiche empirische Studien zei-gen einen Zusammenhang zwischen Ess-störungssymptomen und familiären Fak-

toren (Cierpka u. Reich 2010; Reich 2003; Reich 2005). Die Familie kann auf 2 We-gen auf die Entwicklung essgestörten Ver-haltens Einfluss nehmen: einerseits über die familiären Einstellungen zu Essen, Ge-wicht und Figur, andererseits über dys-funktionale Familienbeziehungen, ver-mittelt über ein defizitäres Selbstwerter-leben (Reich 2003). Eng mit einem nied-rigen Selbstwerterleben ist die Emotion der Scham verbunden, die durch Gefühle der Wertlosigkeit und des Sich-klein-Fühlens begleitet wird (Lewis 1971; Reich 2008). Ein erhöhtes Schamempfinden ist mit verschiedenen Störungsbildern asso-ziiert (Goss u. Allan 2009), im Besonde-ren auch mit Essstörungen. Mehrere Kor-relationsstudien haben einen Zusammen-hang zwischen Schamerleben und der Ausprägung von Essstörungssymptomen nachgewiesen (Hayaki et al. 2002; Sanft-ner et al. 1995; Troop et al. 2008). Essge-störte Patientinnen empfinden eine stär-kere Schamausprägung im Vergleich zu Patientinnen mit subklinischen Essstö-rungssymptomen (Hayaki et al. 2002), Pa-tientinnen mit einer vollremittierten Ess-

störung (Troop et al. 2008), depressiven Patientinnen (Frank 1991; Grabhorn et al. 2006), Angstpatientinnen (Grabhorn et al. 2006) und gesunden Kontrollproban-dinnen (Frank 1991).

Die Schamneigung entsteht vermut-lich im Laufe der Kindheit (Tangney u. Dearing 2002). Die Familie als erste so-ziale Gruppe hat wahrscheinlich erheb-lichen Einfluss auf die Entwicklung einer erhöhten Schamausprägung. Nach Loa-der (1998) ist das Erleben von Scham im familiären Kontext unvermeidlich, aber nicht unbedingt nachteilig für das Kind. Erst wenn Schamempfindungen in dys-funktionalen Familienbeziehungen auf-treten, kann sich ein erhöhtes Schamer-leben negativ auswirken (Loader 1998). So geht eine im Erwachsenenleben ge-steigerte Schamneigung mit Erinnerun-gen an dysfunktionale Familienbeziehun-gen einher. In einer studentischen Stich-probe war eine hohe Schamausprägung mit niedrigen Ausprägungen der Fami-lienkohäsion, Expressivität, intellektuel-len und kulturellen Orientierung, mora-lisch-religiösen Orientierung und mit ho-

RedaktionM. Cierpka, HeidelbergB. Strauß, Jena

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Originalien

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her Konfliktausprägung assoziiert (Pula-kos 1996). In einer weiteren Studie stand Scham im Zusammenhang mit niedriger elterlicher Fürsorge, mit Erniedrigung und Geschwisterbevorzugung oder Über-behütung (Gilbert et al. 1996). An studen-tischen Stichproben zeigte sich, dass be-sonders Erinnerungen an eine zurückwei-sende ignorierende Mutter (Abell u. Ge-cas 1997; Claesson u. Sohlberg 2002) mit einer hohen Schamneigung in Beziehung stehen. Zudem scheint eine Parentifizie-rung mit gesteigerter Schamausprägung assoziiert zu sein (Wells u. Jones 2000). Walter u. Burnaford (2006) fanden hin-gegen bei Jugendlichen aus 3 verschiede-nen Altersgruppen keine Beziehung zwi-schen Scham und Familiennähe. Erst als das Ausmaß an Schuld statistisch kont-rolliert wurde, ergab sich ein Zusammen-hang zwischen hoher Schamausprägung der Jugendlichen und niedriger väterli-cher Nähe.

Murray u. Waller (2002) untersuch-ten die Bedeutung von Scham im Kontext von familiären Beziehungen und der Aus-prägung von bulimischen Symptomen an einer nichtklinischen Stichprobe: Interna-lisierte Scham zeigte sich hier als Media-tor der Beziehung zwischen der Wahrneh-mung von väterlichem Schutz und bulimi-schem Essverhalten. Auch ergab sich das Schamempfinden als vollständiger Media-tor der Beziehung von berichteten sexuel-len Missbrauchserfahrungen und bulimi-schen Symptomen, wenn nur intrafami-liäre Missbrauchserfahrungen einbezogen wurden (Murray u. Waller 2002). In einer Gruppe essgestörter Frauen konnten die Körperunzufriedenheit und das Schlank-heitsstreben über die Ausprägung von dysfunktionalen Gedanken wie Scham, Defektsein und die Angst vor Verlassen-werden durch die Wahrnehmung der vä-

terlichen Zurückweisung vorhergesagt werden (Jones et al. 2006).

Fragestellung

Eine erhöhte Schamneigung scheint ei-nerseits mit dysfunktionalen Familien-beziehungen und andererseits mit Essstö-rungssymptomen in Verbindung zu ste-hen. Einige Studien, wie die von Murray u. Waller (2002), deuten auf eine Media-torfunktion von Scham in der Beziehung zwischen negativ empfundenen Famili-enbeziehungen und Essstörungssymp-tomen hin. Diese Mediationsannahme soll hier in einer klinischen Stichprobe ge-prüft werden. Das Vorgehen in der Medi-ationsanalyse nach Baron u. Kenny (1986) lässt sich über 4 Schritte beschreiben, die in eine Prüfung von 4 Hypothesen mün-det (. Abb. 1):F  H1: Dysfunktionale Familienbezie-

hungen können das Ausmaß von Ess-störungssymptomen vorhersagen.

F  H2: Dysfunktionale Familienbezie-hungen können die Ausprägung von Scham vorhersagen.

F  H3: Scham kann Essstörungssympto-me vorhersagen.

F  H4: Wenn die Wirkung der Scham-ausprägung auf die Essstörungssym-ptome kontrolliert wird, kann die Fa-miliendysfunktionalität die Essstö-rungssymptome nicht mehr zusätz-lich vorhersagen.

In der Hypothese 4 (. Abb. 1) ist eine sta-tistische Nullhypothese formuliert, um ei-ne vollständige Erklärung des Familienbe-ziehung-Essstörung-Zusammenhangs zu zeigen. Sollte H4 nicht angenommen wer-den können, weil eine Wirkung der Fami-liendysfunktionalität auf die Essstörungs-symptome auch dann erhalten bleibt,

wenn die Schamausprägung aus den Ess-störungssymptomen bereits auspartiali-siert ist, liegt nur eine unvollständige Me-diation vor. Weitere erklärende Variablen sind dann zu suchen.

Methode

Teilnehmende

Untersucht wurden 69 Patientinnen, die an einer ambulanten Psychotherapiewirk-samkeitsstudie für weibliche Jugendliche und junge Erwachsene mit bulimischen Essstörungen in Göttingen, Heidelberg und Kassel teilnahmen. Die Teilneh-menden meldeten sich telefonisch oder per E-Mail aufgrund von Zeitungs- und Internetannoncen. In einem ersten Ge-spräch wurde über die Studie aufgeklärt, die Teilnahmebereitschaft dokumentiert und anschließend eine Studiendiagnostik durchgeführt. Die Teilnehmenden wur-den danach an ambulante Studienthera-peuten überwiesen.

Anhand von standardisierten Inter-views [Strukturiertes Klinisches Inter-view für DSM-IV1 (SKID), Eating Dis-order Examination (EDE)] zeigten sich bei 55 Teilnehmenden (79,7%) das Voll-bild einer Bulimia nervosa (nach DSM-IV) und bei 14 (20,3%) eine nicht näher bezeichnete Essstörung (nach DSM IV). Das Alter der Mädchen und jungen Frau-en betrug zwischen 14 und 22 Jahre [Mit-telwert (M)=18,55 Jahre, Standardabwei-chung (SD) ±1,9 Jahre]. Die Hälfte der Teilnehmenden war Schülerinnen (n=35, 50,7%); es hatten 24 Teilnehmende bereits das Abitur oder eine Fachoberschule ab-solviert. Zirka ein Fünftel studierte zum Untersuchungszeitpunkt (n=15; 21,7%); zehn Frauen befanden sich in einer Aus-bildung (14,5%). Dreißig Teilnehmende (43,5%) wohnten bei beiden leiblichen El-tern, 13 (18,8%) bei der leiblichen Mutter, und 19 (27,5%) lebten allein oder in einer Wohngemeinschaft.

Messverfahren

Die Diagnosestellung erfolgte anhand des standardisierten EDE (Hilbert u. Tuschen-

1   Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 4. Aufl.

Essstörungssymptome

Hypothese 3Hypothese 2

Hypothese 1

Hypothese 4

DysfunktionaleFamilienbeziehungen

Scham

Abb. 1 8 Hypothesenübersicht

39Psychotherapeut 1 · 2014  | 

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Caffier 2006a) und des SKID I (Wittchen et al. 1997). Ausschlusskriterium war u. a. das Vorliegen einer Borderline-Störung.

SymptomatikDie Essstörungssymptomatik wurde an-hand der Kurzform des Eating Disor-der Inventory (EDI; Paul u. Thiel 2005) und des Eating Disorder Examination Questionnaire (EDE-Q; Hilbert u. Tu-schen-Caffier 2006b) erhoben. Die Kurz-form des EDI enthält 64 6-stufige Häu-figkeits-Ratings, die Essstörungssymp-tome auf 8 Skalen erfasst (Schlankheits-streben, Bulimie, körperliche Unzufrie-denheit, Ineffektivität, Perfektionismus, zwischenmenschliches Misstrauen, inte-rozeptive Wahrnehmung, Angst vor dem Erwachsenwerden). Die Gütekriterien des EDI sind gut: Die Skalenkonsistenz vari-iert zwischen 0,7 und 0,9; Retest-Reliabi-litäten erreichen 0,8; mit mehr als 80%iger korrekter Klassifikationen gelingt die Dis-krimination essgestörter Patientinnen von Kontrollpersonen (Paul u. Thiel 2005).

Der EDE-Q erfasst mit 28 Items Ver-haltensweisen und Einstellungen in Be-zug auf Essen, Figur und Gewicht in den letzten 4 Wochen 4 Skalen („restraint“, „eating concern“, „weight concern“, „sha-pe concern“) und einen Gesamtwert. Die Evaluation des deutschsprachigen EDE-Q nahmen Hilbert, Tuschen-Caffier, Kar-wautz, Niederhofer und Munsch (2007) vor. Gute interne Konsistenzen (Cron-bachs α=0,85–0,93) und Retest-Reliabi-litäten (Intervall von 3 Monaten) zeigten sich für den Gesamtwert und die Skalen. Validitätsuntersuchungen erbrachten, dass der EDE-Q mit konzeptverwandten Fragebogen korreliert (konvergente Va-lidität) und die Essstörungsgruppe von psychiatrischen Vergleichs- und der Kon-trollgruppe differenzieren kann (diskri-minative Validität).

Neben der spezifischen Erfassung der Essstörungssymptomatik wurden psy-chopathologische Merkmale anhand der Symptom Checklist 90R (SCL-90R, Franke 2002) erhoben. Die SCL-90R be-steht aus 90 Items, die verschiedene psy-chische Symptome darstellen. Die Stärke der Symptome wird auf einer 5-stufigen Skala beurteilt; als Bezugsrahmen dienen die letzten 7 Tage. Der globale Schwere-index („global severity index“, GSI), der

Zusammenfassung · Abstract

Psychotherapeut 2014 · 59:38–45   DOI 10.1007/s00278-013-1010-8© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Ulrike Frost · Micha Strack · Klaus-Thomas Kronmüller · Annette Stefini · Hildegard Horn · Klaus Winkelmann · Hinrich Bents · Ursula Rutz · Günter ReichScham und Familienbeziehungen bei Bulimie. Mediationsanalyse zu Essstörungssymptomen und psychischer Belastung

ZusammenfassungHintergrund.  Empirische Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen familiären Faktoren und essgestörtem Verhalten. Eben-so ist ein erhöhtes Schamempfinden mit einer stärkeren Ausprägung von Essstörungs-symptomen und mit als dysfunktional wahr-genommenen Familienbeziehungen asso-ziiert. Scham kommt somit als Mediator der Beziehung zwischen dysfunktionalen Fami-lienbeziehungen und Essstörungssymptome in Betracht.Material und Methoden.  Bei 69 Patientin-nen (55-mal Bulimia nervosa, 14-mal „eating disorder not otherwise specified“, EDNOS) im Alter von 14 bis 22 Jahren, die an einer ver-gleichenden Therapiewirksamkeitsstudie teil-nahmen, wurden zu Therapiebeginn Essstö-rungssymptome [Eating Disorder Invento-ry (EDI), Eating Disorder Examination-Ques-tionnaire (EDE-Q)] sowie die allgemeine psy-chische Belastung (Symptom Checklist-90-R, SCL-90R), die Schamausprägung (Test zur Er-fassung selbstwertbezogener Emotionen für Kinder und Jugendliche, TESE-KJ) und die wahrgenommenen Familienbeziehungen (Allgemeiner Familienbogen, FB-A) erfasst.

Ergebnisse.  Je dysfunktionaler die Familien-beziehungen wahrgenommen wurden, desto höher war die Schamausprägung, und je hö-her die Scham, desto stärker wurde von Esss-törungs- und anderen psychopathologischen Symptomen berichtet. Scham zeigte sich als partieller Mediator der Beziehung zwischen Familienfunktionalität und Symptomen.Diskussion.  Erhöhte Schamneigung könn-te durch dysfunktionale Familienbeziehun-gen entstehen, aber auch eine negativere Einschätzung interpersoneller Beziehungen bewirkt haben. Die Kausalitätsrichtung kann in dem korrelativen Studiendesign nicht be-stimmt werden. Scham ist dennoch ein wich-tiger Faktor, um die Mechanismen zwischen dysfunktionalen Familienbeziehungen und Essstörungssymptomen zu verstehen.

SchlüsselwörterScham · Familienbeziehungen · Bulimie

Shame and family relations in bulimia. Mediation analysis of eating disorder symptoms and psychiatric burden

AbstractBackground.  Empirical studies show a re-lationship between family factors and dis-turbed eating behavior. Feelings of shame are associated with a higher level of eating disor-der symptoms and with family relations per-ceived as being dysfunctional. Thus shame can be understood as a mediator of the rela-tionship between dysfunctional family rela-tions and eating disorder symptoms.Material and methods.  For 69 female pa-tients, including 55 with bulimia nervosa and 14 with eating disorder not otherwise spec-ified (EDNOS) between 14 and 22 years of age, who participated in a comparative study of psychotherapy outcome, eating disorder symptoms (EDI, EDE-Q), general psychiatric symptoms severity (SCL-90R), level of shame (TESE-KJ) and perceived family relations (FB-A) were measured at the beginning of psy-chotherapy.Results.  The higher the feeling of shame the more dysfunctional the perceived family re-

lationships were and the more the eating dis-orders and general symptoms severity were reported. Shame was a partial mediator of the relationship between family functionality and symptoms.Discussion.  Feelings of shame could origi-nate in dysfunctional family relationships but could also evoke more negative perceptions of interpersonal relationships. The direction of causality could not be proven in the correl-ative design; nevertheless, shame contributes to an understanding of the mechanisms be-tween dysfunctional family relationships and eating disorder symptoms.

KeywordsShame · Family relations · bulimia nervosa

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Gesamtmittelwert der SCL-90-R, gibt die grundsätzliche psychische Belastung wie-der. Die Gütekriterien der SCL-90R wur-den bereits in verschiedenen Untersu-chungen evaluiert und erbrachten gute Ergebnisse (Franke 2002).

SchamDie Schamausprägung wurde mit der Ju-gendlichenversion des Tests zur Erfas-sung selbstwertbezogener Emotionen für Kinder und Jugendliche (TESE-KJ, Kron-müller et al. 2008) ermittelt. Der szena-riogestützte Test misst die habitualisier-ten Emotionen Schuld, Scham, Stolz, Ex-ternalisierung und Distanzierung. Fünf-zehn alltägliche Situationen sind vorge-geben; die Auftretenswahrscheinlichkeit von emotionsrelevanten Attributions-mustern und Reaktionen soll auf einer 5-stufigen Skala („gar nicht wahrschein-lich“ bis „sehr wahrscheinlich“) bewer-tet werden. Ein Beispiel für ein solches Szenario (Kronmüller et al. 2008): „Du wachst eines Morgens auf und stellst fest, dass deine Mutter heute Geburtstag hat. Du hast vergessen, ihr etwas zu kaufen“. a) „Ich würde denken: Auf das Geschenk kommt es nicht an. Was zählt ist, dass ich sie mag“ (Distanzierung); b)“Ich wür-de denken: Nach allem, was sie für mich getan hat: Wie konnte ich bloß ihren Ge-burtstag vergessen?“ (Schuld); c) „Ich würde mir verantwortungslos und ge-dankenlos vorkommen“ (Scham); d) „Ich würde denken: ‚Es hätte mich jemand da-ran erinnern sollen‘“ (Externalisierung). Die Gütekriterien der deutschen Version wurden von Kronmüller et al. (2008) an einer nichtklinischen sowie einer klini-schen Kinder- und Jugendlichenstichpro-be untersucht. Die internen Konsisten-zen der Skalen Scham, Schuld und Exter-nalisierung sind gut (Cronbachs α=0,76–

0,83), die der Stolz-Skala und der Ska-la Distanzierung nur ausreichend (Cron-bachs α=0,53–0,61). Ähnlich gut sind die Retest-Reliabilität (Vierwocheninter-vall, N=30) für die Skalen Scham, Schuld, Externalisierung und Distanzierung (rtt=0,77–0,91). Zusammenhänge zwi-schen den TESE-KJ-Skalen und anderen Konstrukten (Depressivität, Selbstwert-gefühl, körperliche Beschwerden) fielen erwartungskonform aus; beispielsweise korreliert die Schamausprägung mit De-pressivität (r=0,36) und mit körperlichen Beschwerden (r=0,24) sowie negativ mit dem Selbstwertgefühl (r=−0,41).

FamilienbeziehungenDie wahrgenommenen Familienbezie-hungen wurden mit dem Allgemeinen Familienbogen (FB-A, Cierpka u. Fre-vert 1995) erfasst. Der FB-A besteht aus 40 Items, die sich auf 7 Skalen (Aufga-benerfüllung, Rollenverhalten, Kommu-nikation, Emotionalität, affektive Bezie-hungsaufnahme, Kontrolle, Werte und Normen) sowie 2 Kontrollskalen (Abwehr und soziale Erwünschtheit) verteilen. Die Einschätzung der Items erfolgt auf einer 4-stufigen Rating-Skala. Hohe Skalenwer-te entsprechen einer höheren Ausprägung von Problemen in der Familienfunktiona-lität. Ein Gesamtwert bildet das Ausmaß der wahrgenommenen allgemeinen Fa-miliendysfunktionalität ab. Die internen Konsistenzen der Skalen sind meist zu-friedenstellend; lediglich die Skala Werte und Normen zeigte eine niedrige Reliabi-lität von α=0,45 (Cierpka u. Frevert 1995). Für die inhaltliche Validität spricht die Übereinstimmung von Familienmitglie-dern im Gesamtwert. Die Korrelationen zwischen den Familienbogen und kons-truktnahen Instrumenten erbrachten die erwarteten Zusammenhänge.

Die Prüfung der 4 Hypothesen wird mit den jeweiligen Gesamtwerten der Fra-gebogeninstrumente vorgenommen: Als Prädiktor (. Abb. 1) dient der Gesamt-wert des FB-A (Cierpka u. Frevert 1995), als Mediator die Schamskala des TESE-KJ (Kronmüller et al. 2008) und als abhängi-ge Variablen die Gesamtwerte der Essstö-rungsfragebogen EDI (Paul u. Thiel 2005) und EDE-Q (Hilbert u. Tuschen-Caffier 2006b) sowie zusätzlich der GSI der SCL-90R (Franke 2002). Da für alle Variab-len Intervallskalenniveau angenommen wird, werden Regressionen berechnet. Eine Testplanung,2 die die geringe Teil-nehmendenzahl berücksichtigt und fair gegen den Fehler 2. Art abwägt, kommt zu einer Festlegung des kritischen Signi-fikanzniveaus auf α1s<0,07.

Ergebnisse

Einfluss von Essstörungsdiag-nosen, Komorbiditäten, Alter

Durch das EDE (Hilbert u. Tuschen-Caf-fier 2006a) ließ sich bei der Mehrheit der Teilnehmenden (n=55) eine Erfül-lung der Kriterien einer Bulimia nervo-sa (F50.2 nach ICD-103) feststellen. Eine kleinere Gruppe (n=14) erfüllte die Krite-rien nur teilweise, wies aber dennoch eine bulimische Kernsymptomatik auf (atypi-sche Bulimie, F50.3 nach ICD-10). Signi-fikante Unterschiede der 2 Diagnosegrup-pen (Bulimia nervosa vs. atypische Buli-

2   Mittlere Korrelationen (r=0,30) und entspre-chende mittelstarke standardisierte Regres-sionskoeffizienten für H1–H3 (. Abb. 1) kön-nen mit einseitigem α und dem Fairnesskri-terium β=2α (G*Power; Erdfelder et al. 1996) sowie mit einem N=69 bzw. 68 nur mit α =0,07 aufgedeckt werden. Um unter diesen Bedingun-gen α =0,05 einzuhalten, wäre eine Effektstärke von r=0,34 nötig.Für die Hypothese H4, die eine vollständige Mediation über eine Nullhypothe-se prüft, sollte mit dem β-Fehler streng verfah-ren werden. Das Fairnesskriterium wird für H4 daher auf α =2β gesetzt, und α bleibt zweiseitig. Mit einem N=69 bzw. 68 führen dann ebenfalls mittlere Effekte (r=0,30) der Familienbeziehung auf die Symptomatik unter Auspartialisierung der Scham mit Fehlerwahrscheinlichkeit Alpha =0,20 und β =0,10 zur Ablehnung des Modells vollständiger Mediation.3   International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, 10. Aus-gabe.

Tab. 1  Deskriptive Statistiken der Familienfunktionalität (FB-A), der Schamskala des TESE-KJ (T_Scham), der Gesamtwerte in Eating Disorder Examination Questionnaire (EDE-Q) und Eating Disorder Inventory (EDI) und des Gesamtschwereindex (GSI) der Symptom-Checklist SCL-90R

Variable Anzahl (n) Minimum Maximum Mittelwert Standardabweichung

FB-A 69 0,29 2,68 1,32 ±0,59

T_Scham 68 1,07 4,40 2,91 ±0,71

EDE-Q 69 0,87 5,68 3,60 ±1,24

EDI 69 2,16 5,00 3,72 ±0,71

GSI 68 0,01 2,58 1,00 ±0,52TESE-KJ Test zur Erfassung selbstwertbezogener Emotionen für Kinder und Jugendliche.

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mie) zeigten sich erwartungsgemäß nur in der Essstörungssymptomatik [EDI-G: F(1,68) =4,10, p=0,05; EDE-Q-G: F(1,68) =4,25, p=0,04]: Teilnehmende mit dem Vollbild einer Bulimia nervosa gaben eine stärkere Ausprägung der Essstörungssym-ptome an als Teilnehmende mit einer aty-pischen Bulimie. In der wahrgenomme-ne Familienfunktionalität, der Schamaus-prägung und der weiteren Symptombelas-tungen bestehen keine Unterschiede (alle F<1,7, p>0,20).

Durch das SKID I (Wittchen et al. 1997) konnten auch komorbide psychi-sche Störungen standardisiert erfasst wer-den. Affektive Störungen lagen bei 19 Teil-nehmenden vor, Angststörungen bei 3 Teilnehmenden. Die meisten Teilneh-menden (n=46) wiesen keine zusätzliche psychische Störung auf. Auf die wahrge-nommene Familienfunktionalität, das Schamempfinden und die Symptombe-lastung hatte das Vorliegen einer komor-biden psychischen Störung jedoch kei-nen Einfluss (einfaktorielle Varianzanaly-sen, alle F<1,0, p>0,30), d. h., Probandin-nen mit Komorbidität unterschieden sich nicht von Teilnehmenden ohne komorbi-de Störungen in den untersuchungsrele-vanten Variablen. Komorbiditäten kön-nen somit als Einflussfaktor vernachläs-sigt werden. Auch das Alter der Patientin-nen korrelierte weder mit der Wahrneh-mung der Familienbeziehungen noch mit dem Schamerleben oder der Symptom-ausprägung. Deskriptive Statistiken der Variablen finden sich in . Tab. 1.

Die Interkorrelationen der 3 abhän-gigen Variablen sind erwartungsgemäß stark. Eine hohe generelle psychische Be-lastung hing mit einer hohen Ausprägung der Essstörungssymptomatik zusammen (rSCL-ED=0,68, rSCL-EDE-Q=0,72). Die Ska-len der beiden Essstörungsfragebogen

korrelierten ebenfalls stark zu rEDE-Q-ED

I=0,78 miteinander.

Mediationsanalyse anhand von Regressionen

Im ersten Schritt der Mediationsanaly-se wird der zu erklärende Befund be-stimmt: Es wird die Regression der ab-hängigen Variablen Essstörungssympto-matik auf den Prädiktor Familienfunktio-nalität vorgenommen. Der Gesamtwert des FB-A konnte 13,1% der Varianz des Gesamtwerts des EDI, 4,5% der Varianz des Gesamtwerts des EDE-Q und 8,0% der Varianz des GSI der SCL-90R auf-klären. Die jeweiligen Regressionskoeffi-zienten erreichten schwache bis mittlere Effektstärken und das in der Testplanung festgelegte Fairnesskriterium von p1s≤0,07 (. Tab. 2). Je dysfunktionaler die Fami-lienbeziehungen wahrgenommen wer-den, desto stärker sind die Essstörungs-symptome und auch die allgemeine psy-chische Belastung ausgeprägt.

In . Abb. 2  sind die standardisier-ten Regressionskoeffizienten β der Me-diationsanalyse Familienfunktionalität → Scham → Essstörungssymptomatik, die wie Korrelationen interpretiert werden können, dargestellt.

Im zweiten Schritt wurde der Zusam-menhang zwischen dem Prädiktor Fami-lienbeziehungen und dem Mediator Scham geprüft. Der Gesamtwert des FB-A konnte 11,7% der Varianz der TESE-Scham-Ska-la aufklären. Der Regressionskoeffizient ist mit einem α1s≤0,07 signifikant und be-sitzt eine mittlere Effektstärke. Je dysfunk-tionaler die Familienbeziehungen wahr-genommen werden, desto stärker ausge-prägt wird auf belastende Situationen mit Scham reagiert.

Im dritten Schritt der Mediationsana-lyse wurde der Zusammenhang zwischen dem Mediator Scham und den abhängi-gen Variablen Essstörungssymptomatiken und generelle psychische Belastung unter-sucht. Die TESE-Scham-Skala konnte 23,5% der Varianz des Gesamtwerts des EDI und 10,6% der Varianz des Gesamt-Scores des EDE-Q sowie 11,5% der Varianz des GSI der SCL-90R aufklären. Die jewei-ligen Regressionskoeffizienten erreichten für alle abhängigen Variablen bei einem αes≤0,07 mittlere Effektstärken. Je stärker auf belastende Situationen mit Scham re-agiert wird, desto stärker sind die Essstö-rungssymptome und auch die allgemeine psychische Belastung ausgeprägt.

Im vierten Schritt der Mediationsana-lyse wurde geprüft, ob die Beziehung zwi-schen dem Prädiktor Familienbeziehungen und den abhängigen Variablen der Symp-tomatik, die im ersten Schritt gezeigt wor-den war, nach statistischer Kontrolle des Mediators Scham nicht mehr besteht, zu-mindest nicht mehr signifikant ist. Denn die Wirkung der dysfunktionalen Fami-lienbeziehungen soll über den Weg der Schamausprägung bereits möglichst voll-ständig erklärt (vermittelt, mediiert) wor-den sein.

Während die Schamskala des TESE-KJ 23,5% des Gesamtwerts des EDI aufklärte (Zeile H3 in . Tab. 2), erbrachte der Ge-samtwert des FB-A einen Zuwachs der Va-rianzaufklärung des EDI von immerhin noch 4,3% [F(1,64) =3,90, p2s=0,05; Zeile H4 in . Tab. 2]. Für den Gesamtwert des EDI liegt folglich keine vollständige, son-dern nur eine partielle Mediation vor. Die Beziehung zwischen Familiendysfunktio-nalität und Essstörungssymptomschwere wird nur teilweise durch die Scham erklärt (numerisch immerhin knapp 9 der 13%, also etwa zu zwei Dritteln).

βH3 = 0,485

Scham

FB-A EDI

βH2 = 0,342

βH1 = 0,361 βH4 = 0,221H1/ H4

H2 H3

βH3 = 0,325

Scham

FB-A EDEQ

βH2 = 0,342

βH1 = 0,212 βH4 = 0,114H1/ H4

H2 H3

βH3 = 0,339

Scham

FB-A GSI

βH2 = 0,342

βH1 = 0,283 βH4 = 0,189H1/ H4

H2 H3

Abb. 2 8 Mediationsanalyse Familienfunktionalität → Scham → Essstörungssymptomatik. FB-A Allgemeiner Familienbogen, EDE-Q Eating Disorder Examination-Questionnaire, EDI Eating Disorder Inventory, GSI „global severity index“ der Symptom Checklist 90R

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Originalien

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Die Varianzaufklärung des EDE-Q durch die Scham (10,6%) wuchs durch die Hinzunahme des Gesamtwerts des FB-A hingegen nur um 1,2% (F=0,85, p2s=0,36) auf 11,7%. Auch der Regressionskoeffizi-ent des FB-A erwies sich unter Kontrol-le der Scham als nichtsignifikant (β=0,114; t=0,92; p1s=0,18; . Tab. 2). Die Wirkung der Familienfunktionalität auf die Sym-ptomatik des EDE-Q, die jedoch nicht sehr stark ausfiel (4,5%; . Tab. 2, Zeile H1), kann somit statistisch hinreichend durch das Schamempfinden erklärt wer-den. Hier müsste keine weitere Erklärung gesucht werden; die Schamerklärung ge-nügte.

Die psychische Gesamtbelastung im GSI der SCL wurde zu 11,5% durch Scham aufklärt, die Familiendysfunktionali-tät (FB-A) erbringt aber noch einen Zu-wachs der Varianzaufklärung von 3,2% [F(1,64) =2,37, p2s=0,13], der nach dem festgelegten Fairnesskriterium als bedeut-sam gewertet werden muss. Für den GSI der SCL-90-R liegt folglich keine vollstän-dige, sondern ebenfalls nur eine partielle Mediation vor.

Die vorgenommenen Mediationsana-lysen lassen für alle 3 abhängigen Variab-len eine Erklärung der Wirkung dysfunk-tionaler Familienbeziehungen über die Scham zu. (H1, H2 und H3 konnten an-

genommen werden.) Allerdings ist die-se Erklärung in 2 der 3 abhängigen Va-riablen nur unvollständig. (H4 konnte 2-mal nicht angenommen werden.) Da die 3 Symptombelastungsmaße hoch kor-reliert sind, kann insgesamt nur von einer partiellen Mediation und einer Erklärung von gut der Hälfte des Familien-Symp-tom-Zusammenhangs ausgegangen wer-den.

Diskussion

Anhand einer klinischen Stichprobe von Patientinnen mit Bulimia nervosa bzw. atypischer Bulimie wurde untersucht, ob Scham als Mediator zwischen dysfunktio-nalen Familienbeziehungen und psychi-schen Symptomen fungiert. Je dysfunk-tionaler die Familienbeziehungen be-schrieben wurden, desto stärker ausge-prägt wurde auch die Symptomatik ange-geben. Dies steht im Einklang mit der For-schungstradition (u. a. Reich 2003; Reich 2005; Reich u. Cierpka 2010). Die nega-tiv empfundenen Familienbeziehungen kommen als Ursache, aber auch als Fol-ge der Symptomatik infrage. Kluck (2008) konnte zeigen, dass der Zusammenhang zwischen allgemeinen familiären Dys-funktionen und Essstörungssymptomen über die Ausprägung von essensbezoge-

nen negativen familiären Erfahrungen er-klärt werden kann. Familiäre Dysfunktion könnte sich evtl. nur in Kombination mit negativen essensbezogenen Erfahrungen in essgestörtem Verhalten äußern, wäh-rend andere Erfahrungen zu anderen psychopathologischen Beschwerden füh-ren können.

Das erhöhte Empfinden von dys-funktionalen Familienbeziehungen steht in der analysierten Patientinnengrup-pe mit einem gesteigerten Schamerleben in einem mittelstarken Zusammenhang. Auch Studien mit nichtklinischen Stich-proben fanden Beziehungen zwischen negativ erlebten Familienmerkmalen wie niedrigem Familienzusammenhalt, gerin-ger elterlicher Fürsorge und hohem Kon-fliktpotenzial mit einer erhöhten Scham-neigung (Gilbert et al. 1996; Pulakos 1996). Tangney u. Dearing (2002) beschreiben verschiedene Vermittlungswege, wie die Schamneigung in Familien übertragen werden kann, u. a. über den elterlichen Erziehungsstil und das Familienklima. Durch schlecht angepasste Kommunika-tionsmuster, Familienkonflikte oder Ver-strickung kann eine erhöhte Schamemp-findung entstehen. Schamneigung könn-te jedoch auch mit einer Tendenz einher-gehen, Beziehungen zu wichtigen Perso-nen verstärkt negativ zu erleben. Empi-

Tab. 2  Vier Schritte der Mediatortestung. (Nach Baron u. Kenny (1986)

  X   Y R2 ΔR2 df F p β t p

Abhängige Variable: Gesamtwert des Eating Disorder Inventory (EDI)

H1 FB-A → EDI 0,131         0,361 3,17 0,001*

H2 FB-A → Scham 0,117         0,342 2,95 0,002*

H3 Scham → EDI 0,235         0,485 4,51 0,001*

H4 Scham → EDI 0,279 0,043 65 3,90 0,05 0,409 3,65 0,001

FB-A 0,221 1,97 0,053

Abhängige Variable: Gesamtwert Eating Disorder Examination Questionnaire (EDE-Q)

H1 FB-A → EDE-Q 0,045         0,212 1,78 0,040

H2 FB-A → Scham 0,117         0,342 2,95 0,002*

H3 Scham → EDE-Q 0,106         0,325 2,79 0,004*

H4 Scham → EDE-Q 0,117 0,012 65 0,85 0,36 0,286 2,31 0,024

FB-A 0,114 0,92 0,360

Abhängige Variable: globaler Schwereindex (GSI) der Symptom Checklist-90-R (SCL-90R)

H1 FB-A → GSI 0,080         0,283 2,40 0,010*

H2 FB-A → Scham 0,117         0,342 2,95 0,002*

H3 Scham → GSI 0,115         0,339 2,90 0,003*

H4 Scham → GSI 0,146 0,032 64 2,37 0,13 0,274 2,23 0,029

FB-A   0,189 1,54 0,129Prädiktor: allgemeiner Familienbogen (FB-A), Mediator: Schamskala des Test zur Erfassung selbstwertbezogener Emotionen für Kinder und Jugendliche (TESE-KJ), abhängi-ge Variablen: Gesamtwerte des EDE-Q und EDI, GSI der SCL-90R.

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rische Studien belegen, dass Scham mit einem Rückgang an positiven Beziehun-gen und einem Mangel an Empathie ein-hergeht (Tangney u. Dearing 2002). Bei Schamempfindung ist der Fokus auf das Selbst gerichtet, sodass empathisches Ver-stehen des anderen erschwert ist.

Je stärker die hier analysierten Patien-tinnen Scham erlebt haben, desto stärker ausgeprägt war ihre Symptomatik. Die-se Assoziation konnte in mehreren Un-tersuchungen an klinischen und nicht-klinischen Stichproben demonstriert werden (u. a. Andrews et al. 2002; Har-der et al. 1992; Tangney et al. 1992; Frank 1991; Sanftner et al. 1995; Tangney u. Dea-ring 2002; Troop et al. 2008). Die erhöhte Schamneigung könnte als Ursache psy-chischer Belastung die psychopatholo-gischen Symptome verstärkt haben (Tan-gney et al. 1992). Schamgefühle können sich auf verschiedene physische und psy-chische Eigenschaften beziehen. Bei Frau-en spielen die physischen Merkmale Figur und Gewicht eine besondere Rolle. Unzu-friedenheiten mit dem Körper und mit der Figur erzeugen Scham und Diätversuche (Sanftner et al. 1995). Umgekehrt könnte eine Neigung zu Scham überhaupt erst durch die psychische Belastung der Ess-störung entstehen. Betroffene mit Bulimie könnten durch die Essanfälle oder Erbre-chen Scham entwickeln oder dadurch, dass sie bestimmte diätetische Ziele nicht erreicht haben. Oder ein dritter Faktor könnte sowohl die Schamausprägung als auch die Essstörungssymptome verursa-chen. Hierfür kämen – neben dysfunkti-onalen Familienbeziehungen – z. B. ko-gnitive Verzerrungen wie Übergenerali-sierung und dichotomes Denken infrage (Sanftner et al. 1995).

In der vorliegenden Untersuchung war bei 2 der 3 verwendeten Symptommaße Scham nicht ausreichend wirksam, um als vollständige Erklärung der Wirkung des allgemeinen familiären Funktionsniveaus und der psychopathologischen Merkma-len gelten zu können. Die Mediationswir-kung war über die 3 Belastungsmaße aber in der Stärke ähnlich; die Beziehungen zwischen Familieneinschätzung und Sym-ptomausprägungen wurden etwa in ihrer Hälfte durch das Schamerleben erklärt.

Murray et al. (2000) fanden für inter-nalisierte Scham eine vollständige Me-

diation für die Beziehung zwischen vä-terlichem Schutz und Essstörungssymp-tomen. Dort wurden im Gegensatz zur vorliegenden Untersuchung die Famili-enbeziehungen für Mutter und Vater ge-trennt eingeschätzt. Abell u. Gecas (1997) fanden z. B. Interaktionen zwischen Ge-schlecht der Eltern, Erziehungsstil und der Schamausprägung der Kinder. Ein affektiver Erziehungsstil vonseiten der Mutter hatte eine höhere Schamausprä-gung bei deren Söhnen zur Folge, ein af-fektiver Erziehungsstil der Väter eine ge-ringere Schamempfindung der Söhne. Die Ergebnisse von Jones et al. (2006) weisen in die Richtung, dass die Vaterbeziehung für das Schamempfinden der Töchter ei-ne besondere Rolle einnimmt.

Auch wenn Scham in der untersuchten Stichprobe die Beziehung zwischen dys-funktionalen Familienbeziehungen und psychopathologischen Symptomen nicht vollständig erklären konnte, kann sie doch für gut die Hälfte des Zusammen-hangs verantwortlich gemacht werden. Scham ist somit ein wichtiger Faktor, um die Verknüpfung zwischen bulimischem Verhalten und familiären Beziehungen zu verstehen, auch wenn bislang diskutier-bar bleibt, welche Variablen Ursachen und welche Konsequenzen sind. Zudem wird deutlich, dass das Beziehungsgeflecht vermutlich wesentlich komplexer ist und weitere Faktoren wie z. B. der Einfluss von Unterschieden zwischen den Elternteilen, familiären Essenskonflikten und Mobbing bis hin zu Missbrauchserfahrungen in Be-tracht gezogen werden müssen. Für wei-tere Forschung in diesem Bereich sind ein Kontroll- oder Vergleichsgruppendesign und prospektive Studien wünschenswert.

Fazit für die Praxis

Schamreaktionen und dysfunktionale Fa-milienbeziehungen sind bei der Diagnos-tik und Behandlung von Essstörungen zu beachten. Während Familienbeziehun-gen schon oft einbezogen werden, ver-dienen die verschiedenen möglichen Zu-sammenhänge zwischen Essstörungen und Scham, z. B. Essstörung als Folge von auf den Körper bezogener Scham, Scham als Folge der bulimischen Symptomatik oder der gestörten Familienbeziehungen besondere Aufmerksamkeit. Das thera-

peutische Vorgehen verlangt dabei ein genaues Austarieren von notwendiger Konfrontation und Beachten der Tole-ranzgrenze für Schamaffekte.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Günter ReichPsychotherapeutische Ambulanz für Studieren-de (PAS), Ambulanz für Familientherapie und für Essstörungen, Klinik für Psychosomatische Me-dizin und Psychotherapie, Universitätsmedizin Göttingen (UMG)Humboldtallee 38, 37073 Gö[email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt.  Ulrike Frost, Micha Strack, Klaus-Thomas Kronmüller, Annette Stefini, Hildegard Horn, Klaus Winkelmann, Hinrich Bents, Ursula Rutz und Günter Reich geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Alle im vorliegenden Manuskript beschriebe-nen Untersuchungen am Menschen wurden mit Zu-stimmung der zuständigen Ethikkommissionen (Ethik-kommissionen der Medizinischen Fakultäten der Uni-versitäten Göttingen und Heidelberg), im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patienten liegt eine Einverständniserklärung vor. 

Das vorliegende Manuskript enthält keine Studien an Menschen oder Tieren.

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44 |  Psychotherapeut 1 · 2014

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Reinhold-Schwarz-Förderpreis für Psychoonkologie 2013 erst-mals verliehen

Die Arbeitsgemeinschaft für Psychoonko-

logie in der Deutschen Krebsgesellschaft 

(PSO), der Verein für Fort- und Weiter-

bildung Psychosoziale Onkologie (WPO 

e. V.) sowie die Familie Schwarz haben 

am 22.11.2013 erstmals den Reinhold-

Schwarz-Förderpreis für Psychoonkologie 

vergeben. Preisträgerinnen 2013 sind die 

Diplompsychologinnen Hilke Rath und 

Sigrun Vehling, beide vom Universitäts-

klinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und 

Poliklinik für Medizinische Psychologie, 

Hamburg. 

Die Arbeit von Sigrun Vehling (Receiving 

palliative treatment moderates the effect 

of age and gender on demoralization in 

patients with cancer) untersucht in einer 

methodisch hochwertigen Studie die 

Einflussfaktoren für die Entstehung psy-

chischer Folgeprobleme insbesondere der 

Demoralisierung bei Patienten in der pallia-

tiven Behandlung.

Die Arbeit von Hilke Rath (Work-related 

predictors of not returning to work after 

inpatient rehabilitation in cancer patients) 

untersucht den bisher wenig beforschten 

Bereich der beruflichen Wiedereingliede-

rung von Krebspatienten. Hierzu wurden 

in komplexen Analysen Einflussfaktoren 

identifiziert, die die berufliche Wiederein-

gliederung erschweren.

Die Studien beider Preisträgerinnen sind in 

international hochrangigen Fachzeitschrif-

ten publiziert worden.

Die Preisverleihung erfolgte im Rahmen der 

12. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft 

für Psychoonkologie in der Deutschen 

Krebsgesellschaft e.V. (PSO) in Dresden.  

Der Preis ist mit insgesamt 3.000 € dotiert 

und wird jährlich ausgeschrieben.

Quelle: Arbeitsgemeinschaft für

Psychoonkologie in der Deutschen Krebs-

gesellschaft e.V., www.pso-ag.de

Fachnachrichten

45Psychotherapeut 1 · 2014  |