scheidung im alter nach langjähriger ehe; divorce in the elderly after long-time marriage;

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1 3 Zusammenfassung Einleitung Das durchschnittliche Scheidungsalter ist so- wohl bei Männern als auch bei Frauen in den letzten Jah- ren stetig angestiegen. Ebenso steigt der Anteil der Schei- dungen nach einer längeren Ehedauer. Der vorliegende Beitrag zielt darauf ab, Aufschlüsse über die Ursachen der Scheidung nach langjähriger Ehe im höheren Lebensalter zu gewinnen. Material und Methode Die forschungsleitende Frage lau- tete: Warum lassen sich Ehepaare ab einem Lebensalter von 55 Jahren und einer Ehedauer von mehr als 30 Jah- ren scheiden? In einer qualitativen Dokumentenanaly- se wurden retrospektiv deskriptive Daten aus der Doku- mentation von Ehescheidungsakten der Jahre 2008–2010 (n = 422) betrachtet. Die daraus gebildete zielgerichtete Stichprobe (n = 53) enthielt Dokumente von Personen, die das 55. Lebensjahr vollendet hatten und vor der Trennung mindestens 30 Jahre verheiratet waren. Ethische Überle- gungen und datenschutzrechtliche Bestimmungen wurden berücksichtigt. Ergebnisse Anhand der Datenanalyse werden 9 Katego- rien als Ursache für die Scheidung nach langjähriger Ehe im höheren Lebensalter herausgearbeitet. Wesentlich für den Scheidungsentschluss ist die Persönlichkeitsverände- rung der Partner. Dies zeigt sich in einer schleichenden Entfremdung zwischen den Partnern, verbunden mit einer mangelnden Kommunikation sowie sexueller Untreue. Weitere identifizierte Ursachen wie ein verändertes Rol- lenverständnis in der Ehe sind für den Trennungsentschluss eher nachrangig. Diskussion Die Ursachen für die späte Scheidung sind vielfältig und werden hauptsächlich von emotionalen Be- ziehungsproblemen bestimmt. Die Loslösung der erwach- senen Kinder vom Elternhaus beeinflusst insbesondere den Zeitpunkt der Trennung. Die öffentlichen Pflegesys- teme werden zukünftig zusätzlich belastet, wenn ältere Geschiedene durch den Wegfall des aus Ehepartner, Kin- dern, Freunden und Verwandten bestehenden Netzwerks in verstärktem Maß öffentliche Pflege in Anspruch nehmen müssen. Schlüsselwörter Partnerschaft · Beziehung · Alter · Ehe · Qualitative Dokumentenanalyse Divorce in the elderly after long-time marriage Retrospective document analysis and examples Abstract Introduction The average divorce age has been constantly rising in recent years for both men and women. The propor- tion of divorces after long-time marriage is also increasing. The present article aims at gaining information about the causes of divorce after long-time marriage in old age. Materials and methods The leading research question is: why do married couples aged 55 years and over decide to divorce after more than 30 years of marriage? Within a qualitative document analysis, retrospective, descriptive data from divorce documents from the years 2008–2010 (n = 422) were investigated. The resulting target sample (n = 53) comprised documents from people who were over HeilberufeSCIENCE (2012) 3:64–70 DOI 10.1007/s16024-012-0100-9 Scheidung im Alter nach langjähriger Ehe Retrospektive Dokumentenanalyse Michael Weiskopf · David Rester · Bernd Seeberger M. Weiskopf () Rotdornweg 14, 66793 Saarwellingen, Deutschland E-Mail: [email protected] D. Rester · B. Seeberger Institut für Gerontologie und demografische Entwicklung, Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik (UMIT), Hall in Tirol, Österreich Eingegangen: 17. Oktober 2011 / Angenommen: 2. Februar 2012 / Online publiziert: 13. März 2012 © Springer-Verlag 2012

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Page 1: Scheidung im Alter nach langjähriger Ehe; Divorce in the elderly after long-time marriage;

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ZusammenfassungEinleitung  Das  durchschnittliche  Scheidungsalter  ist  so-wohl bei Männern als auch bei Frauen in den letzten Jah-ren stetig angestiegen. Ebenso steigt der Anteil der Schei-dungen  nach  einer  längeren  Ehedauer.  Der  vorliegende Beitrag zielt darauf ab, Aufschlüsse über die Ursachen der Scheidung  nach  langjähriger  Ehe  im  höheren  Lebensalter zu gewinnen.Material und Methode  Die  forschungsleitende  Frage  lau-tete:  Warum  lassen  sich  Ehepaare  ab  einem  Lebensalter von  55  Jahren  und  einer  Ehedauer  von mehr  als  30  Jah-ren  scheiden?  In  einer  qualitativen  Dokumentenanaly-se  wurden  retrospektiv  deskriptive  Daten  aus  der  Doku-mentation  von  Ehescheidungsakten  der  Jahre  2008–2010 (n = 422)  betrachtet.  Die  daraus  gebildete  zielgerichtete Stichprobe  (n = 53)  enthielt Dokumente von Personen, die das 55. Lebensjahr vollendet hatten und vor der Trennung mindestens  30  Jahre  verheiratet  waren.  Ethische  Überle-gungen  und  datenschutzrechtliche  Bestimmungen wurden berücksichtigt.Ergebnisse  Anhand  der  Datenanalyse  werden  9  Katego-rien  als Ursache  für  die Scheidung nach  langjähriger Ehe im  höheren  Lebensalter  herausgearbeitet.  Wesentlich  für den  Scheidungsentschluss  ist  die  Persönlichkeitsverände-rung  der  Partner.  Dies  zeigt  sich  in  einer  schleichenden Entfremdung zwischen den Partnern, verbunden mit  einer mangelnden  Kommunikation  sowie  sexueller  Untreue. 

Weitere  identifizierte  Ursachen  wie  ein  verändertes  Rol-lenverständnis in der Ehe sind für den Trennungsentschluss eher nachrangig.Diskussion  Die  Ursachen  für  die  späte  Scheidung  sind vielfältig  und werden  hauptsächlich  von  emotionalen Be-ziehungsproblemen bestimmt. Die Loslösung der  erwach-senen  Kinder  vom  Elternhaus  beeinflusst  insbesondere den  Zeitpunkt  der  Trennung.  Die  öffentlichen  Pflegesys-teme  werden  zukünftig  zusätzlich  belastet,  wenn  ältere Geschiedene  durch  den Wegfall  des  aus  Ehepartner, Kin-dern, Freunden und Verwandten bestehenden Netzwerks in verstärktem Maß  öffentliche  Pflege  in Anspruch  nehmen müssen.

Schlüsselwörter  Partnerschaft · Beziehung · Alter · Ehe · Qualitative Dokumentenanalyse

Divorce in the elderly after long-time marriage 

Retrospective document analysis and examples

AbstractIntroduction  The  average divorce  age has been  constantly rising in recent years for both men and women. The propor-tion of divorces after long-time marriage is also increasing. The  present  article  aims  at  gaining  information  about  the causes of divorce after long-time marriage in old age.Materials and methods  The  leading  research  question  is: why  do  married  couples  aged  55  years  and  over  decide to  divorce  after  more  than  30  years  of  marriage? Within a  qualitative  document  analysis,  retrospective,  descriptive data  from  divorce  documents  from  the  years  2008–2010 (n = 422)  were  investigated.  The  resulting  target  sample (n = 53) comprised documents from people who were over 

HeilberufeSCIENCE (2012) 3:64–70DOI 10.1007/s16024-012-0100-9

Scheidung im Alter nach langjähriger EheRetrospektive Dokumentenanalyse

Michael Weiskopf · David Rester · Bernd Seeberger

M. Weiskopf ()Rotdornweg 14, 66793 Saarwellingen, DeutschlandE-Mail: [email protected]

D. Rester · B. SeebergerInstitut für Gerontologie und demografische Entwicklung, Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik (UMIT), Hall in Tirol, Österreich

Eingegangen: 17. Oktober 2011 / Angenommen: 2. Februar 2012 / Online publiziert: 13. März 2012© Springer-Verlag 2012

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65Scheidung im Alter nach langjähriger Ehe

55 years of age and who had been married  for more  than 30  years  before  they  broke  up with  the marriage  partner. Ethical considerations and data protection regulations have been taken into consideration.Results  Based  on  the  data  analysis,  nine  categories  of causes  of  divorce  after  long-term marriage  in  older  peo-ple could be defined. An essential element  in  the decision to divorce  is  the personality change of  the partners which becomes  evident  in  a  gradual  estrangement  between  the partners,  accompanied  by  a  lack  of  communication  and infidelity.  Other  causes  that  could  be  identified,  such  as a  changed  understanding  of  roles within marriage,  play  a minor role in the decision to separate.Discussion  The  causes  of  late  divorce  are  manifold  and mainly  determined  by  emotional  relationship  problems. The gradual separation of adult children from the parents’ house  particularly  influences  the  point  in  time  when  the parents separate. In the future, an additional burden will be placed on public care institutions as divorced elderly peo-ple lose the existing network of marriage partner, children, friends and relatives and therefore have to make increased use of public care systems.

Keywords  Couples · Relationship · Age · Marriage · Qualitative document analysis

Einleitung

Während  Ehescheidungen  nach  langer  Ehedauer  und  in höherem  Lebensalter  in  den  zurückliegenden  Jahren  die Ausnahme  waren,  gehen  Ehepaare  zunehmend  auch  in einem Alter von über 55  Jahren den Schritt der Trennung und Scheidung [15]. Die Scheidung im höheren Lebensalter und  nach  langjähriger  Ehe  stellt  immer  noch  den Gegen-entwurf zur Realität von silbernen, goldenen und eisernen Hochzeiten dar. Die Zahl der langjährigen Ehen, die im Alter Bestand haben, übersteigt derzeit noch die Zahl der im Alter gescheiterten  Ehen  [15].  Ob  dies  bei  den  nachfolgenden Generationen so bleiben wird, ist fraglich, da die Scheidung als  ein  mehr  oder  weniger  akzeptiertes  Konfliktlösungs-muster bei bestehenden Partnerschaftskonflikten angesehen wird [7]. Mit dem Nachrücken jüngerer Ehepaare ins höhere Erwachsenenalter wird damit zu rechnen sein, dass zukünf-tig eine als unbefriedigend erlebte langjährige Ehe aufgelöst wird  [12]. Daneben werden demografische Faktoren  ihren Einfluss  entfalten: Die durch die höhere Lebenserwartung zunehmende Zahl langjähriger Ehen wird die Wahrschein-lichkeit einer Scheidung im höheren Scheidungsalter deut-lich erhöhen  [4]. Ziel der Untersuchung  ist,  einen Beitrag zur  besseren  Steuerung  der  juristischen  Beratung  älterer Scheidungswilliger  und  ebenfalls  eine  Verbesserung  der 

mediativen Angebote für den betroffenen Personenkreis zu erbringen.

Stand der Forschung

In Deutschland steckt die Auseinandersetzung mit der Schei-dung nach langjähriger Ehe im höheren Alter noch in den Anfängen.  Bisher  sind  hierzu  vorwiegend  ältere Untersu-chungen überwiegend aus dem angloamerikanischen Raum verfügbar  [1–3, 9,  10,  16].  Innerhalb dieser Untersuchun-gen existieren große konzeptionelle Unstimmigkeiten, ins-besondere bei der Definition des Begriffs der „langjährigen Ehe“ [16]. Die Definition umfasst Ehen mit einer Dauer von 15 bis  zu 50  Jahren und  lässt  die  steigende Lebenserwar-tung unberücksichtigt. Der Forschungsstand in Deutschland beschränkt  sich  auf  eine  Expertise  von  Fooken  und  Lind [6] zur Scheidung nach langjähriger Ehe im mittleren und höheren Erwachsenenalter sowie eine bindungstheoretische Analyse der späten Scheidung durch Lind [12]. Fooken und Lind zeigen einen dürftigen Forschungsstand auf und  for-dern ein verstärktes Forschungsinteresse  zu den Ursachen und  Auswirkungen  von  Scheidungen  nach  langjährigen Ehen  [6]. Hierzu können  auf  der Basis  bisheriger  empiri-scher Ergebnisse eine schleichende Entfremdung zwischen den  Partnern,  verbunden  mit  mangelnder  Kommunika-tion sowie sexueller Untreue als wesentliche Faktoren der Instabilität identifiziert werden [6]. Paare mit traditioneller Rollenverteilung  scheinen  nach  diesen Analysen  für  eine Instabilität nach langer Ehedauer anfälliger zu sein [6]. Es handelt sich hierbei um einen Faktor von hoher demografi-scher Relevanz. Ein zusätzliches destabilisierendes Moment der Ehe bei einer seit Längerem bestehenden Unzufrieden-heit eines oder beider Partner ist die Ablösung der erwach-senen Kinder vom Elternhaus [6]. Die älteren von Fooken und  Lind  1996  [6]  sowie  von  Lind  2001  [12]  erstellten Analysen wurden nicht fortgesetzt. Es besteht daher immer noch ein erhebliches Forschungsdefizit. In der Bundesrepu-blik Deutschland liegen keine Ergebnisse aus Studien vor, die explizit den Ursachen, Bewältigungsmechanismen und Auswirkungen  langjähriger  Ehen  nachgehen  [6].  Eine  in verschiedenen  Suchmaschinen  wie Google Scholar,  Juris und  MetaGer  mit  den  Suchanfragen  „Ehescheidung  im Alter“  und  „Ehescheidung  nach  langer  Ehedauer“  sowie den  entsprechenden  Suchbegriffen  ohne weitere  Ein-  und Ausschlusskriterien durchgeführte Literaturrecherche ergab ebenfalls keine weiteren relevanten Treffer.

Statistische Datenlage

Das  durchschnittliche  Scheidungsalter  ist  in  den  letzten Jahren  stetig  angestiegen.  Es  betrug  1990  bei  Männern 

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66 M. Weiskopf et al.

38,5  Jahre und bei Frauen 35,7  Jahre. Das durchschnittli-che Scheidungsalter lag 2008 bei 44,2 Jahren (Männer) bzw. 41,4 Jahren (Frauen) und hat damit sowohl bei Männern als auch bei Frauen um gut 5 Jahre zugenommen. Der Antrag auf  Scheidung  wird  zumeist  von  der  Frau  eingereicht (54,2  %;  [15]).  Die  durchschnittliche  Dauer  der  Ehe  bis zur Scheidung ist über die Jahre hinweg angestiegen [15]. Wurde im Jahr 1950 im Mittel nach 10,5 Jahren geschieden und im Jahr 1965 sogar bereits nach durchschnittlich 9 Jah-ren, kam es im Jahr 2008 in den alten Ländern im Schnitt nach 13,1 Jahren zur Scheidung. Bei den 2008 registrierten Scheidungen waren 55,9 % der Frauen und 66,1 % der Män-ner  zum Zeitpunkt  der Scheidung 40  Jahre  und  älter. Am geringsten besetzt waren 2008 sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen die Altersgruppen der unter 20-Jährigen sowie die der 65-Jährigen und älteren Geschiedenen  [15]. Das  statistische Risiko  einer Scheidung  ist  bei  einer Ehe-dauer zwischen 5 und 6 Jahren am höchsten, auch wenn das Risiko einer späteren Scheidung nach einer Ehedauer von mehr als 10 Jahren erneut steigt [15]. Der Anteil geschiede-ner Ehen, die länger als 30 Jahre andauerten, betrug in den Jahren 2008 und 2009 rund 5,5 %. Der Anteil der Ehepaare, die im Zeitpunkt der Ehescheidung länger als 40 Jahre ver-heiratet waren, betrug 0,2 % ([15]; Tab. 1).

Die Anzahl der im späten Alter geschiedenen Männer ist fast doppelt so hoch wie Anzahl der geschiedenen Frauen. Der Anteil Geschiedener  über  55  Jahre und  älter  ist  stark angestiegen.  Im  Jahr  2008  waren  von  den  Geschiedenen 13,1 % der Männer und 7,5 % der Frauen älter als 55 Jahre, während der Anteil 2007 bei den Männern 12,1 % und bei den Frauen 6,9 % betrug ([15]; (Tab. 2)).

Material und Methode

Forschungsfrage und qualitativ-empirische Methode

Die  forschungsleitende Frage  zur Betrachtung  von Schei-dungen im höheren Lebensalter und nach langjähriger Ehe lautete: Warum lassen sich Ehepaare ab einem Lebensalter von 55 Jahren und einer Ehedauer von mehr als 30 Jahren scheiden? Die  zugrunde gelegte Altersgrenze  (55 Lebens-jahre)  sowie  die  Bestimmung  langjähriger  Ehen  (mehr als  30  Lebensjahre)  wurden  vom  Forscher  aufgrund  feh-lender  Anhaltspunkte  anderer  Untersuchungen  bestimmt. Drei weitere Annahmen waren hierbei  leitend: Erstens die Annahme, dass  sich das Phänomen der Ehescheidung mit zunehmender Ehedauer und zunehmendem Lebensalter als bedeutender für das soziale Leben eines Menschen erweist. Zweitens  die  Tatsache,  dass  die Altersgrenze  55  Lebens-jahre  üblicherweise  in  demografischen  und  gerontologi-schen Untersuchungen  verwendet wird. Drittens  stellt  die Ehedauer von 30 Jahren in etwa die Mitte bisheriger defini-torischer Ansätze dar (s. Abschn. „Stand der Forschung“). Es wurde eine retrospektive Dokumentenanalyse von Ehe-scheidungsakten und dazugehörigen Aktenotizen durchge-führt,  die  dem Ansatz  der  qualitativen  „nonreaktiven“  [5] Sozialforschung  folgt.  Diese  nicht  sozialwissenschaftlich gewonnenen „… dokumentarischen Daten“ [8, S. 167] sind als empirische Grundlage denen der Feldforschung gleich-gestellt zu behandeln [8, S. 168]. Nach Flick [5] enthalten diese Dokumente mehr als  Informationen. Sie bieten dem Forscher  die Möglichkeit  und Notwendigkeit,  das  Daten-material  in  umfassenderen  Zusammenhängen  zu  sehen. Dadurch wird außerdem die Nachvollziehbarkeit der Entste-hung und der Autorenschaft des Dokuments gewährleistet.

 Zugang zum Forschungsfeld und ethische Überlegungen

Die  Ehescheidung  und  ihre  Dokumentation  sind  sowohl datenschutzrechtlich  als  auch  persönlich  für  die  Betroffe-nen ein sensibler Untersuchungsgegenstand. Von daher  ist zum einen der Zugang zum Forschungsfeld erschwert. Zum anderen sind im Besonderen datenschutzrechtliche und ethi-sche Überlegungen sowie Selbstauflagen für die Datenerhe-bung notwendig. Sowohl der Zugang zum Forschungsfeld 

Tab. 1  Ehescheidungen nach Ehedauer. (Statistisches Bundesamt [15])Ehedauer (Jahre) 2008 20070–4 22.554 22.7125–9 52.508 52.33310–14 36.509 35.33815–19 30.407 30.34920–25 26.841 24.87926–29 10.447 936630–35 7912 762936–39 2545 235840 und mehr   399   377Gesamt 190.122 185.341

Tab. 2  Ehescheidungen nach Alter der Ehegatten. (Statistisches Bun-desamt 2009, eigene Darstellung [15])Lebensalter (Jahre) 2008 2007

Männer Frauen Männer Frauen55–60 13.206 8288 11.999 730360–65 6153 3322 5568 319565–70 3655 1822 3325 169770–75 1264 574 1034 49275–80 423 143 370 15480–85 119 48 117 4885–90 43 13 36 1390–95 5 1 5 1Gesamt 24.871 14.211 22.454 12.903

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67Scheidung im Alter nach langjähriger Ehe

als auch die Datengewinnung konnten durch den Erstautor über  seine  Rechtsanwaltskanzlei  realisiert  werden.  Die-ser ist als Fachanwalt für Familienrecht und ausgebildeter, erfahrener Mediator für das Dokumentenverständnis quali-fiziert. Hinzu kommt, dass der Erstautor und Forscher die Dokumente selbst erstellt hat, entweder als offizielles Ehe-scheidungsdokument oder als Transkript der Gespräche mit Mandanten  der Anwaltskanzlei. Als  Rechtsanwalt  ist  der Forscher  gesetzlich  nach  §  43a Abs.  2  der Bundesrechts-anwaltsordnung (BRAO) zur Verschwiegenheit verpflichtet [11]. Diese Pflicht bezieht sich auf alles, was ihm in Aus-übung seines Berufs bekannt geworden ist [11]. Weiter ist eine Rückverfolgbarkeit der Daten nicht möglich. Personen-bezogene Daten, die eine Verbindung zu Mandanten aufzei-gen könnten, wurden nicht erhoben. Dies war bereits durch das  Datenarchiv  gewährleistet,  aus  dem  die  Dokumente entnommen wurden. Diese sind ohne Namen abgelegt und erst durch die darin enthaltene Codierung und gemeinsame Betrachtung  mit  anderen  Dokumenten  personenbezogen lesbar. So kann auch gewährleistet werden, dass den Man-danten durch die Dokumentenanalyse keine Nachteile ent-stehen können.

 Stichprobe und Erhebungsinstrument

Es wurden  Ehescheidungsakten  und  dazugehörige Akten-otizen aus den Jahren 2008 bis 2010 genutzt. Es handelte sich  um  eine  zielgerichtete  Auswahl  des  Datenmaterials [13]. Der gewählte Erfassungszeitraum diente dazu, mög-lichst aktuelle Daten zu erhalten, die aber in Quantität und Umfang  überschaubar  bleiben  sollten  [5].  Eingeschlos-sen  wurden  alle  Dokumente,  die  im  Rahmen  eines  Ehe-scheidungsverfahrens entstanden sind. Aus der Zielgruppe wurden Stichproben nach Personen gebildet, die einerseits das 55. Lebensjahr vollendet hatten und vor der Trennung mindestens  30  Jahre  verheiratet waren.  Für  den Zeitraum von  2008  bis  2010  konnten  insgesamt  422  Scheidungs-fälle ausgewertet werden. Die Auswertung bezog sich auf die mandatierenden Personen, nicht auf dessen Ehepartner. In 53 Fällen war diese über 55  Jahre  alt  (20 Männer und 33 Frauen). Hiervon waren 14 Ehen kinderlos (Tab. 3).

Von den Ehen dieser Personen dauerten bis zu ihrem Ent-schluss, sich zu trennen, 31 Ehen länger als 30 Jahre. Von diesen waren wiederum 4 Ehen kinderlos (Tab. 4).

Im Vergleich zu der amtlichen Statistik entsprechen die Zahlen aus den Jahren 2009 und 2010 dem dortigen reprä-sentativen Durchschnitt, während die Zahlen aus 2008 mit 9,9  %  die  Angaben  des  Statistischen  Bundesamts  über-schreiten (Tab. 2).

Die  Datengewinnung  erfolgte  anhand  einer  Dokumen-tenanalyse [5]. Das Erhebungsinstrument, ein Fragenraster, beinhaltete  folgende  Aspekte:  Bei  der  Mandatsaufnahme gibt der Mandant in einen vom Forscher entwickelten Frage-bogen neben seinen soziografischen Daten auch Daten über Beruf,  Einkommen, Vermögen,  Güterstand,  Kinder  sowie die Dauer  der  Ehe  bis  zur Trennung  an.  Im Rahmen  des etwa  einstündigen  Beratungsgesprächs  werden  die  Daten anhand einer offenen Gesprächsführung ermittelt. Im direk-ten Anschluss an die Erstberatung fertigt der Forscher einen Aktenvermerk über den Inhalt des Beratungsgesprächs, ins-besondere  den  zeitlichen Ablauf  der  Trennung  sowie  die Einschätzung  des  Mandanten  über  die  Trennungsgründe an. Der Aktenvermerk endet mit der eigenen Einschätzung des Forschers. Gleiches gilt  für  in der Folge  stattfindende Beratungsgespräche. Der Forscher begleitet den Mandanten von  seinem ersten Besuch  in  der Kanzlei  bis  zum  rechts-kräftigen  Scheidungsbeschluss  über  einen  Zeitraum  von etwa  1  bis  2  Jahren:  In  besonderen  Fällen  wurden  dafür Gedächtnisprotokolle über den Verlauf des Ehescheidungs-verfahrens,  die  Reaktionen  des  anderen  Ehepartners  und den persönlichen Eindruck des Forschers erstellt. Grundla-gen der Datengewinnung waren Fragebogen, Aktenvermerk und Gedächtnisprotokoll,  die  im Rahmen einer  retrospek-tiven  Betrachtung  ausgewertet  wurden.  Eine induktive Kategorienbildung wird dabei durch Beispielfälle aus der Stichprobe unterstützt. Diese ermöglichen ein besseres Fall-verständnis und belegen die Ergebniskategorien. Auf deren Darstellung wird im vorliegenden Beitrag jedoch aus Platz-gründen verzichtet. Die analysierten Dokumente sind vom Forscher erstellte Mitschriften und Transkripte.

Tab. 4  Anteil der länger als 30 Jahre dauernden Ehen. (Statistisches Bundesamt 2009, eigene Darstellung [15])Jahr Gesamtzahl der länger als 

30 Jahre dauernden EhenMänner Frauen Paare mit 

Kindern2008 17 4 13 152009   8 0   8   72010   6 5   1   5Gesamt 31 9 22 27

Jahr Gesamtanzahl Ehescheidungen

Anteil der Ehen mit 1 Partner über 55 Jahre

Männer Frauen Paare mit Kindern

2008 169 27 7 20 192009 143 14 5 9 112010 110 12 8 4 9Gesamt 422 53 20 33 39

Tab. 3  Ehescheidungen mit Mandanten über 55 Jahre. (Statistisches Bundesamt 2009, eigene Darstellung [15])

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Datenauswertung

Die darauf aufbauende Kategorienbildung erfolgte datenge-leitet und  induktiv. Die Auswertung der Daten beinhaltete eine  Häufigkeitszuweisung  zu  den  Kategorien.  Innerhalb der  Kategorien  wurden  die  Hauptursachen,  die  zur  Tren-nung  führten,  festgehalten.  Die  Ursachen,  die  zum  Tren-nungsentschluss  führten,  werden  durch  Paraphrasierung und  Abstraktion  beschrieben,  indem  sie  in  verschiedene Kategorien zusammengefasst werden.

Ergebnisse

Von den befragten Ehepartnern wurden unter Berücksich-tigung von Mehrfachnennungen nachstehende Tatbestände als Ursache für die Trennung angegeben:

 Mangel an Kommunikation

Bei insgesamt 14 Ehepaaren wurde das Fehlen einer offenen Kommunikation mit  dem Ehepartner  genannt. Nach Aus-sage der Befragten wurden gemeinsame Unternehmungen nach und nach weniger. Als  letztes verbindendes Element seien  die Kinder  nach  ihrem Auszug  aus  dem Elternhaus weggefallen.  Das  Gefühl  zusammenzugehören  konnte weder  durch  die  gemeinsame  Lebensplanung  noch  durch gemeinsame  Gespräche,  noch  über  gemeinsames  Erleben erzeugt  oder  beibehalten  werden.  Die  Kommunikation beschränkte sich mit der Zeit auf das Maß des Notwendigen und brach letztendlich zusammen.

Sexuelle Untreue

Bei  3  der  befragten Männer war Grund  für  die Trennung eine sexuell lang anhaltende Unzufriedenheit in der Ehe. Bei 2 Befragten war die sexuelle Unzufriedenheit Auslöser, sich einem  anderen  Partner  zuzuwenden.  Sie  empfanden,  dass einerseits  die  mangelnde  Kommunikation  zu  einem Aus-einanderleben  mit  ihrem  Ehepartner  mit  der  Konsequenz eingeschränkter sexueller Kontakte führte. Ob die sexuelle Einschränkung bzw. die langsam auftretende Unzufrieden-heit  zur Entfernung vom Partner  führten, war  letztendlich bei allen Betroffenen nicht mehr zu ergründen.

 Alkoholismus oder Drogenabhängigkeit

Alkoholabhängigkeit spielt eine wichtige Rolle bei der ehe-lichen Instabilität.  In 2 Fällen war  insbesondere der Alko-holabusus der Ehefrauen Veranlassung für die Männer, die Trennung  herbeizuführen.  Drogenabhängigkeit  oder  der Genuss von Drogen mit den entsprechenden strafrechtlichen 

Konsequenzen spielt in der Generation der über 55-Jährigen keine Rolle für die Trennungsentscheidung.

 Körperliche Beeinträchtigungen aufgrund des Alters

Zwei  Befragte  im Alter  von  73  und  78  Jahren  sahen  die altersbedingten  körperlichen  Veränderungen  des  Ehepart-ners und die damit verbundenen Einschränkungen für sich selbst als Ursache für eine Verschlechterung der ehelichen Beziehung und der damit verbundenen Trennung an. Nach Ansicht der Befragten seien sie immer anfälliger für emo-tionalen  Stress  geworden  und  hegten  Gefühle  der  Über-forderung,  was  sich  wiederum  negativ  auf  die  eheliche Beziehung ausgewirkt habe.

Persönlichkeitsveränderungen

In  4  Fällen  gaben  die Ehepartner  an,  die  Persönlichkeits-veränderung des Partners  sei  für den Trennungsentschluss ausschlaggebend gewesen. Sie hätten im Laufe der Ehe fest-gestellt,  dass  sich  der  Partner  negativ  verändert  habe  und nicht mehr der Person entsprach, die sie geheiratet hätten. Nach anfänglich glücklichen Jahren habe sich zunehmend eine  Enttäuschung  und  Desillusionierung  eingestellt,  was zu  einer  immer  größeren  emotionalen Distanzierung  vom Partner geführt habe.

Verändertes Rollenverständnis in der Ehe

Vier Frauen und ein Mann bewerteten das veränderte Rol-lenverständnis  in der Ehe als Ursache  für den Entschluss, sich vom Ehemann bzw. der Ehefrau zu trennen. Die befrag-ten  Ehefrauen  beschrieben  ihre  Ehe  dahingehend,  dass der Ehemann  in der Ehe der zentrale Entscheidungsträger gewesen sei und weitgehend alle wichtigen Entscheidungen mit Macht und Dominanz getroffen habe. Sie selbst hätten durch  ihren  Ehemann  sehr  wenig Wertschätzung  für  ihre Leistung als Hausfrau und Mutter oder ihre hierneben aus-geübte berufliche Tätigkeit erfahren, sodass ihr Selbstwert-gefühl über die langen Jahre der Ehe hinweg stetig gesunken sei. Ein Ehemann im Alter von 78 Jahren gab an, während der gesamten 40-jährigen Ehe seine Homosexualität unter-drückt und damit seine Identität verraten zu haben. Er wolle sein Leben nicht mit dieser Lüge beenden und seine Homo-sexualität, wenn möglich, noch ausleben.

Gewalt in der Ehe

In 3 Fällen hatten Frauen während der Ehedauer unter der Gewalt des Ehemanns zu  leiden. Die befragten Ehefrauen akzeptierten ihre Männer als Familienoberhäupter und ord-neten  sich  ihnen  unter.  Eine  Beendigung  der  Beziehung scheiterte, da sie  sich von  ihrem Partner abhängig  fühlten 

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und  nicht  in  der  Lage  waren,  sich  als  selbstständig  und fähig  zu  sehen.  Nach  Schilderung  der  Betroffenen  erleb-ten  sie  sich  als  inkompetent  und  litten  unter  negativen Selbstwertgefühlen. In 2 Fällen wurde festgestellt, dass die Ehefrauen bereits  in  ihrer Kindheit vom Vater geschlagen worden waren. In allen Fällen war der Schutz der Kinder der Grund,  sich nicht  in der Erziehungsphase,  sondern erst  in der Nacherziehungsphase zu trennen. In allen Fällen waren die erwachsenen Kinder Katalysatoren für den Trennungs-entschluss der Mutter.

Diskussion

Die  einleitend  gestellte  Forschungsfrage  lautete:  Warum lassen sich Ehepaare ab einem Lebensalter von 55 Jahren und einer Ehedauer von mehr als 30 Jahren scheiden? Die Antwort auf die Forschungsfrage  ist wie folgt zusammen-zufassen:  Mit  zunehmender  Ehedauer  treten  immer  stär-ker  emotionale  Beziehungsprobleme  als  Ursache  für  die Scheidung in den Vordergrund. Die Ergebnisse zeigen, dass die Mehrheit der Befragten als  zentrale Ursache  für  ihren Trennungsentschluss  einen  Mangel  an  Kommunikation zwischen  den  Partnern  sieht. Die Mehrheit  der  Befragten war mit Art und Ausmaß, in dem der Partner positive Emo-tionen  ihnen  gegenüber  ausdrückte,  unzufrieden.  Hierbei war  weniger  ein  qualitativer  verbaler Austausch,  sondern ein quantitativer Mangel an verbaler Kommunikation fest-stellbar.  Eine  nichtfunktionierende  Kommunikation,  als bisherige Voraussetzung für das Lösen ehelicher Probleme und Konflikte führte zu fehlenden Konfliktlösungen und in der Folge zu Aggression, Entfremdung und Gleichgültigkeit gegenüber  dem Ehepartner.  Paare  können  diesem Prozess durch den Aufbau neuer gemeinsamer Interessen und Akti-vitäten entgegnen. Beim Auszug der Kinder fehlt jedoch ein verbindendes Element, sodass sich eine sinnentleerte Bezie-hung oder eine Trennung als Konsequenz ergibt [14].

Befragt nach dem konkreten Anlass oder dem Auslöser der Trennung wurde als weitere zentrale Ursache sexuelle Untreue,  meist  aufseiten  des  Ehemanns,  genannt.  Fest-zustellen  ist,  dass  der Anteil  der Männer,  die  außereheli-che  sexuelle  Kontakte  gepflegt  haben,  bedeutend  höher ist  als  der Anteil  der  Frauen. Dies wurde  bereits  in  einer Studie  von  Hayes  et  al.  [9]  1980  festgestellt.  Das  Aus-brechen  aus  der Ehe  durch  sexuelle Untreue  kann  als  ein mögliches  unbewusstes  Signal  eines  Partners  interpretiert werden,  wonach  unbewusste  oder  nichtausgesprochene Unzufriedenheiten  innerhalb  der Beziehung bestehen. Ein Zusammenhang zwischen einer späten Scheidung und einer bestimmten ehelichen Rollenverteilung ist insbesondere in traditionellen Ehen festzustellen. Die geänderte Einstellung zu Ehe und Familie hat bei den Befragten dazu geführt, die schlechte Ehequalität oder die Unzufriedenheit mit der Part-

nerschaft  nicht  bis  zum Ende  des  Lebens  zu  akzeptieren, sondern die letzte Phase des Lebens wieder neu und unab-hängig vom Partner in einer Atmosphäre der Zufriedenheit zu  gestalten. Auffallend  ist,  dass  bei  fast  allen  Befragten nicht  eine  einzige  Ursache,  sondern  kumulativ  weitere Gründe für die Trennung hinzutraten. Als Hauptgrund sind die zunehmende Entfremdung der Ehepartner, die zurück-gehende  Kommunikation  und  das  Fehlen  von  Gemein-samkeiten  sowie  die  sexuelle  Unzufriedenheit  mit  dem Ehepartner genannt worden. Die mangelnde Kommunika-tion und die stetige Entfremdung der Ehepartner sind häufig nur bei älteren Ehepaaren festzustellen. Viele der Befragten gaben an, nach anfänglich glücklichen Ehejahren habe sich eine zunehmende Enttäuschung und Desillusionierung ein-gestellt. Grund  hierfür  sind  nicht  zuletzt  die während  der Ehe  durch  gemachten  persönlichen  Entwicklungen  eines jeden Ehepartners. Nach den  Jahrzehnten des Zusammen-lebens sehen sich demnach beide Partner mit einer Situation konfrontiert, in der sie mit einem Partner zusammenleben, den sie unter ganz anderen Bedingungen kennengelernt und ausgewählt haben. Die Gründe, die in jungen Jahren zu der Entscheidung geführt haben, gerade diesen Ehepartner für ein gemeinsames Leben auszuwählen, sind in der Zeit der nachkindlichen  Erziehungsphase  nicht  mehr  vorhanden. In  diesem Zusammenhang wird  ein  gewisser Einfluss  der erwachsenen Kinder  auf  den  Zeitpunkt  der  Trennung  der Eltern deutlich. Die Hälfte der Befragten gab an, die Tren-nung  bewusst  aufgeschoben  zu  haben,  bis  die Kinder  ein gewisses Alter erreicht hatten.

Für ein explorierendes Vorgehen ist die deskriptive Prä-sentation  der Daten  zunächst  geeignet. Diese  repräsentie-ren unterschiedliche Dokumente und wurden  zielgerichtet durch den Forscher für eine Zusammenfassung aufbereitet. Der Verzicht auf entsprechende erklärende Ankerbeispiele (Beispielfälle)  muss  jedoch  pragmatisch  (aus  Platzman-gel) begründet werden. Die ethischen Überlegungen recht-fertigten  aufgrund  der  Schwierigkeit  des  Zugangs  zum Forschungsfeld  und  der  Datenschutzgewährleistung  das methodische  Vorgehen.  Eine  prospektive  Datenerhebung erscheint zudem nicht als aussichtsreich. Denn Personen in der Trennungs- und Scheidungsphase befinden sich in einer belastenden Lebenssituation. Hinzu kommt die Unmöglich-keit, den Erhebungszeitraum abzugrenzen, da Trennung und Scheidung zeitlich nicht bestimmbar sind.

Fazit

Das  Phänomen  der  Ehescheidung  im  höheren  Lebens-alter wird in der Wissenschaft nur sehr wenig thematisiert. Besonders  im  deutschsprachigen  Raum  fehlen  aussage-kräftige  Studien,  obwohl  das  Forschungsdefizit  zu  Schei-dungen nach langjähriger Ehe bekannt  ist und die Gruppe 

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dieser  Scheidungswilligen  in  den  letzten  Jahren  weiter-zugenommen  hat.  Grundlegende  Arbeiten  stammen  aus den  1970er  und  1980er  Jahren.  Gesetzesänderungen  und Veränderungen  der Wertigkeit  von  Ehe  und  Familie  sind wissenschaftlich nicht aufgearbeitet. Aufgrund der beacht-lichen gesellschaftlichen Relevanz vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung unserer Gesellschaft erschei-nen neue Forschungsbemühungen unerlässlich. Die negati-ven Folgen einer Ehescheidung im höheren Lebensalter auf die  individuelle  Lebenssituation  der  Betroffenen  im Alter werden ebenso Gegenstand neuer Forschungsprojekte sein müssen wie die Frage der arbeitsmarktpolitischen Aspekte. Wenn ältere Geschiedene nach der Scheidung keinem Netz-werk  aus  Ehegatten,  Kindern,  Freunden  und  Verwandten angehören, werden sie verstärkt auf die öffentliche Pflege angewiesen sein, was zu einer zusätzlichen Belastung des öffentlichen Pflegesystems führen wird. Da die Rente durch den  Versorgungsausgleich  faktisch  halbiert  werden  wird, droht  die  Gefahr  der  unzureichenden  Altersabsicherung einhergehend mit der Notwendigkeit finanzieller Unterstüt-zung durch den Staat.

Interessenkonflikt  Es  besteht  bei  keinem  der  Autoren  ein Interessenskonflikt.

Literatur

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