schizophrenie, schizoid, schizothymie. (kritische bemerkungen.)

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Schizophrenie, Schizoid, Schizothymie. (Kritisehe Bemerkungen.)

Von Priv.-Doz. Dr. Ewald (Erlangen).

(Eingegangen am 14. April 1922.)

Vor etwa Jahresfrist erschien das Buch Kretschmers fiber ,,KSrper- bau und Charakter", ein Buch, das durch die geistreiche Heraushebung groBer umfassender Gesichtspunkte ebenso, wie durch die besteehende Form gl~nzender Darstellung die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf sich gezogen haben dfirfte. ,,Indem Kretschmer, seinen Blick fiber die Mauern der Klinik hinausrichtend, das vielgestaltige Leben mustert, verschwimmen ihm die Grenzen zwischen Krankheit und Gesundheit immer mehr; der zirkul~re Krankheitstypus geht ohne sichtbare Grenze in die cyclothyme PersSnlichkeit fiber; der schizophrene Kranke hat im ,Schizoiden' seine Abortivform, und im ,schizothymen' Gesunden sein charakterologisches Rudiment oder vielmehr seinen weiten bio- logischen Rahmen." So sagt Gaupp in seinem Vorwort zum Kretsch- mersehen Werk.

Wie es immer gehen mag, wenn ein Autor mit ffir den Augenbliek fiberraschenden und bestechenden Gedankengi~ngen vor einen Leserkreis tritt , so haben auch hier wohl die meisten sich erst das GehSrte zu Faden geschlagen, kritisch geprfift und das Ffir und Wider erwogen, und so erkliirt es sich, dal~ es fiber das Kretschmersche Buch in der Literatur bisher recht still geblieben ist*). Allm~hlich dfirfte die genfi- gende ])istanz aber gewonnen sein, um in eine kritische Besprechung der neuen Ideen und Gedankeng~inge einzutreten.

Der zirkuli~re Krankheitstypus geht f fir Kretschmer ohne sichtbare Grenze in die cyclothyme PersSnlichkeit fiber. Das ist niehts Neues. Kretschmer schaltet nut noch den Komparat iv des Cycloiden zwisehen den Positiv des Cyclothymen und den Superlativ des zirkul~r Psycho- tischen. Neu und bemerkenswert ist nun aber, dall Kretsehmer die Schi- zophrenie in ganz analoger Weise auffaBt als einen Superlativ eines Positivs, dem er den :Namen Schizothymie gibt, und dem er den Kompa-

*) Auf der Tagung siidwestdeutscher Psychiater 1921 hat sich Wilman~a recht vorsichtig gegentiber Kretschmer ausgesprochen, und auch Wuth ~uBerte sich ktirzlich (Miinch. reed. Wochenschr. 1922, Nr. ll) sehr zuriickhaltend.

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rativ des Schizoids an die Seite stellt. Cyclothyme und schizothyme PcrsSnlichkeiten, das sind 2 normale Menschentypen, aus denen bei grotesker Steigerung ihrer psychischen Eigentiimlichkeiten das heraus- wachst, was wir manisch-melancholiches Irresein und Schizophrenic nennen. Kretschmer hat mit der ihm eigenen Eleganz der Darstellung psychologischer Ph~nomene, -- eine Kunst, die ich aufrichtig an ihm bewundere, - seine Hypothese psychologiseh zu begriinden versueht, er ist diesmal sogar noch weiter gegangen, hat die biologischen For- schungsmethoden herangezogen, und glaubt in subtilen Messungen des KSrperbaus auch eine yon biologischer Seite nicht anfechtbare Sttitze gefunden zu haben.

Wir miissen gestehen, dal.~ hier Kretschmers Hand keine unglfick- liehe war, wenn sich auch maneherlei gegen dieses Verfahren ein- wenden l~i.Itt. Fiir eine kritische Naehpriifung der Kretschmerschen ]deen war es jedenfalls das gebotene Vorgehen, zunachst zum Taster- zirkel zu greifen, und sich der Richtigkeit der Kretschmerschen KSrper- messungen zu vergewissern. Kretschmer war bekanntlich zu dem Resultat gekommen, daft die manisch-depressiven Kranken ebenso wie die eyclothymen PersSnlichkeiten in hohem Ih'ozentsatz (8'4%) einen Gesamthabitus aufweisen, dem er den Namen des pyknischen KSrper- baus gab, w~hrend die Schizophrenie und die Schizothymie andere KSrperformen, besonders die asthenische, die athletische und die dysplastischc K~rperform bevorzugcn, und zwar in ziemlich gleich- mh[tigen ProzentverhMtnissen. Wir haben cine grS[3ere Zahl yon Geisteskranken, Psychopathen und Gesunden untersucht, und konntcn im gro[ten und ganzen die Kretschmerschen Zahlen best~itigen; insbeson- dere scheint uns zuzutreffen, daJt die pyknischen KSrperformen h~ufig mit manisch-depressiven Ziigen vergesellschaftet sind. Weniger zu- treffend erscheint uns die Charakterisierung der anderen KSrperbau- typen; d. h. wit fanden auch viel Astheniker und Athletiker unter den Sehizophrenen, allein vielfach waren diese Typen so wenig ausgesprochen, daft man nur mit reeht viel gutem Willen sich fiir diese oder jene K~}rper- bauform entscheiden konnte, und auch nach keiner Richtung hin besonders auffallende KSrperformen kamen nieht allzuselten zur Beobachtung. Wir konnten uns des Eindrucks nicht ganz erwehren, dal~ sich vielfach das eine oder andere fiir den schizophrenen KSrperbau angeblich eharakteristische Merkmal aufweisen licit, w~hrend der tibrige KSrper nichts Absonderliches bot: bald war ein Winkelprofil vorhanden, bald ein Pelzmiitzenhaar oder abet die gezogene, scharf modellierte Nase, bald war es der ]-lochwuchs, oder die charakteristiseh asthenische Schmalbriistigkeit und Feingliedrigkeit, bald die athletisehe BreitbrOstigkeit und das gewaltige Muskelrelief oder die derben Knochen, bald die Gesichtsform oder eine besondere Bart- oder Schamhaar-

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verteilung, die man in den Vordergrund stellen konnte, um damit die Zugeh6rigkeit zur asthenischen, athletischen oder dysplastischen Gruppe zu beweisen, kurzum, es wollte uns scheinen, als ob der Merkmale so viele seien, da[.~ man sich unter Hinweis auf das eine oder andere immer eine der psychischen Diagnose zustimmendt- Stellungnahme sichern k6nnte. Auch muf~ten wir beobaehten, da[~ unsere mehr oder weniger pyknischen Maniseh-Depressiven bald dieses, bald jenes ,,k6rperlich- schizophrene" Krankheitsmerkmal aufwiesen, bald eine zu lange Nase oder ein mehr als angedeutetes Pelzmtitzenhaar von borstiger Beschaffen- holt, so dab man ohne Kenntnis der Diagnose wohl hatte im Zweifel sein k6nnen, zu welcher Kategorie der Kranke zu rechnen w~re. Nun ja, das sind dann Mischungen, und solehe mug es ja geben, mu3 es mehr geben, als reine Typen, und ieh glaube auf Grund meiner Beobachtungen auch best~tigen zu kSnnen, dab bei solchen nicht ganz typisehen Pykni- kern zumeist charakterlich eine besondere Note vorhanden war, bald in einer Neigung zu Zornreaktionen, bald in lcicht paranoischer Ein- stellung sich ~uBernd. Im ganzen gewannen wir abet durchaus den Ein- druck, dab die pyknische K6rperform Beziehungen besitzen mfisse zu den biologisch-pathogenetisehen Grundlagen des manisch-melancho- lichen Irreseins, undes ist umgekehrt sicherlieh richtig, dab sich unter den Dementia-praccox-Kranken nur ganz vereinzelt solehe mit pyknischem K6rperbau finden.

ZunSchst besteht also darin Ubereinstimmung, daf~ es berechtigt erscheint, Cyclothymie und manisch- melancholisches Irresein biologiseb einheitlich aufzufassen; denn auch den Cyclothymen ist gleich den manifest Manisch-Melancholischen die pyknische KSrperform in fiber- wiegendem Mal~e -- allerdings auch nicht immer -- eigen, odeL negativ ausgedriickt, unter den Psychopathentypen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ffir eine schizophrene Erkrankung vorbestimmt erscheinen, finden sich nur selten pyknische Formen; diese Psycho- pathentypen, die man nach Bleuler mit dem Namen der Schizoiden zu belegen sich gew6hnt hat -- obwohl mir eine einigermaBen befrie- digende Umgrenzung des Schizoids noch keineswegs gegeben zu sein scheint, -- zeigen eine gewisse , ,Immunit~t" gegenfiber dem manisch- melancholischen Irresein, und Pykniker pflegen umgekehrt im allgemei- nen nicht an Schizophrenie zu erkranken. Sicberlich ein beachtenswertes Ergebnis.

Aber Kretschmer geht nun welter. Er geht auch von den asthenischen, athletischen und dysplastischen K6rperformen, die er bei den manifest Schizophrenen fand, fiber das Schizoid hinein ins Normale. Nieht nur (tie yon ihm als schizoid bezeichneten mannigfachen Psychopathentypen schienen ihm diese K6rperformen aufzuweisen, er fand sic auch bei den Normalen, und zwar findet man sit nach unseren Beobachtungsergeb-

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nissen, bei einer so gewaltigen Zahl yon Normalen, dal~ man versucht ist, sich auf den Standpunkt zu stellen, wer nicht pyknisch ist, muB eine der schizothymen KSrperformen tragen, wenigstens wenn man, wie man es bei der Einreihung der manifest Schizophrenen auch zu tun gezwungen war, all die kleinen Einzelziige eines Winkelprofils, einer besonderen Gesichtsform. einer gezogenen Nasenbildung, eines abnormen Haar- wuchses usw. mit in die Wagschale wirft. Kretschmer verwahrt sich zwar dagegen, dab mit den angeftihrten Kategorien die Zahl der KSrperformen erschSpft ski, vielleicht werde es noch einmal gelingen, auch anderen Erkrankungen spezifisehere KSrperbauformen zuzuordnen. Allein, ich wiiBte wirklich kaum in welcher l~ichtung man hinaussollte. Man neigte bisher dazu, das Stiernackig-Herkulisehe fiir die genuine Epilepsie in Anspruch zu nehmen, und das Grazil-Asthenische land man so h~ufig bei den zu hysterischen Reaktionen neigenden Psychopathen. Athle- tisches und Asthenisches sind nunmehr aber bereits an die Schizo- phrenie, bzw. an die Schizothymie vergeben.

Ist man wirklich berechtigt, alle, oder fast alle die Menschen, die nicht einen pyknischen Habitus besitzen, von vornherein der Schizo- phrenie zugi~nglich zu bezeichnen, oder doch zugi~nglicher, als es die Pykniker sind ? Wir glauben das nicht. Wohl erscheint kS uns nieht unmSglich, dab der pyknische Habitus -- in Grenzen -- ein Kriterium daffir ist, dag sein Tr~ger den manisch-depressiven Erbfaktor in sieh beherberge, ich betone, nicht unm6glich; das Umgekehrte aber, dab der Nichtpykniker in seinem huBeren Gewand schon den Stempel der Schizo- phreniebereitschaft aufgedriickt erhalten habe, dab er das Insichbergen eines Schizophreniekeimes damit schon offenbare, das will uns denn doch als ein zu gewagtes Unterfangen erscheinen.

Aber Kretschmer stfitzt seine Hypothese nicht nur auf seine K6rper- messungen, wir haben den Eindruck, dab er, v o n d e r psychologischen Analyse herkommend, erst im K6rperlichen eine Best~tigung seiner psychologischen Deduktionen suchte. Die Frage lautet: :Hat die ,,Schi- zophrenie" -- Schizophrcnie in dem von Bleuler gebrauchten Sinne als Oesamtersatz fiir den Begriff der Dementia praecox genommen --, die eines ihrer Hauptmerkmale (wir wollen einmal nicht sagen das Hauptmerkmal) eben in der allmhhlich fortschreitenden spezifischen VerblSdung und VerSdung des Seelenlebens hat, hat diese in den meisten F~llen zu schwerem Defekt fiihrende Erlcranlcung wirklich pathogenetisch etwas zu tun mit den Psychopathentypen des ,,Schizoids" oder mit der normalen Charakterart des , ,Schizothymen"? Denn nur dann ist der Name ,,schizoid" und ,,schizothym" berechtigt, nur dann ist man bei Anlegen eines biologiseh-naturwissenschaftliehen MaBstabes berechtigt, davon zu sprechen, ,,dab da schon etwas Schizophrenes ist", wie man dreist von einem Cyclothymen behaupten kann, dab er ,,schon etwas

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Manisch-Depressives" habe. Liegen hier wirklich nur quantitative und nicht qualitative Versehiedenheiten vor, wie ersteres bei Cyclo- thymie und manisch-melaneholischem Irresein der Fall ist*)?

Kretschmer sucht den Nachweis zu erbringen, da$ die ftir die Schizo- phrenie charakteristischen Zfige sich auch sehon bei seinen als schizoid bezeichneten Psychopathen und bei den schizothymen Normalen erkennen lassen. Dieses Charakteristicum ist ihm die besondere ,,psych- iisthetische Proportion", und er versteht darunter ,,das" Mischungs- verhMtnis, in dem beim einzelnen Schizoiden die hyperasthetischen mit den ani~sthetischen Elementen der schizoiden Temperamentskala sieh fiberschiehten," denn der Sehizoide ist ,,nicht entweder iiberemp- findhch oder kiihl", sondern ,,iiberempfindlieh und kfihl zugleieh". Und dieses tiberempfindlich und kfihl -- oder sagen wir gleich stumpf --, ist auch beim tief verblSdeten Katatoniker nach Kretschmer noch vor- handen; denn wir erleben es immer wieder, ,,wie eine soleh scheinbare vSllig empfindungslos daliegende, katatonische Versteinerung, mit einem Ruck gelSst, geradezu monument ale AffektstSBe aus ihrem Innern hervorbrechen li~Bt".

Was abet ist nun eigentlich ein sehizoider Psychopath ? Das sind die Menschen, denen eine ausgepri~gte psychi~sthetisehe Proportion eigen ist; es sind sehr versehiedenartige Typen, nur das Misehungs- verhifltnis yon iiberempfindlieh und kfihl ist verschieden, abet eine Mischung ist immer da. An dem einen 1)ol stehen die ,,Mimosenhaften" mit der Glasscheibe zwischen sich und den anderen Menschen, an dem anderen Pol der kontinuierliehen Reihe aber die, die da sind ,,hart wie Eis" oder ,,stumpf wie Leder", bei denen aber unter der starren AuBen- hiille alas nur selten gesproehene Wort schlummert, ,,ihr wiflt gar nicht, wie weh mir das alles rut". Allein, die hyperi~sthetischen Formen bleiben gewShnlich nieht hyperi~sthetisch, die psychi~sthetische Proportion ver- schiebt sich im Laufe des Lebens, alas gespreizt fiberspannte Puber- t~tspathos schwindet und maeht Lahmheit und Kiihle Platz, der iiber- schwengliche Jiiugling wird knapp noch Alltagphilister, ,,die Puber- ti~tswelle hob ihn hSher und stiirzte ihn tiefer, als den Normalmenschen". Nur einige wenige Sehizoide bleiben hyperi~sthetisch, die anderen gehen alle diesen Gang, und die torpiden Schizoiden sind schon gleichsam in diesem Endstadium auf die Welt gekommen.

Und nun kommen die verschiedenen sehizoiden Charaktertypen: Da kommen die ,,autistischen" als absolut ungesellig oder eklektiseh gesellig oder oberfli~chlich gcsellig. Da sind die Gutmiitigen, die naeh- geben aus Seheu und Affektlahmheit, da sind die Schtiehternen aus

*) Kraschmer hat sich in einem neuen Aufsatz etwas anders ausgesprochen, als in seinem Buche. Darauf soll zum Schlul~ zuriickgekommen werden.

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hilfloser _~ngstlichkeit, die bis zur Linkischkeit fiihrt, Pedanten, stille Biicher- und Naturfreunde, aber auch miirrische Sonderlinge. Als aktive Typen kommen die Erfinder und Propheten, als eklektisch gesellige die aristokratisch Zuriickhaltenden, die bigotte Betschwester gehSrt hierher ebenso wie der hrutale Erotiker, der nur ,,das Weib" schlechtweg sucht. Und unter den oberflachlich Geselligen da finden wir dann die kalten Rechner, die harten Herren, die Strebernaturen, aber auch iladolente, lahme, ironische Naturen. Zum Schizoid geh6rt der schroffe und kalte Egoismus und die pharis~ische Selbstgef~lligkeit ebenno wie altruistinche Aufopferung grSftten Stiles und ~Jdelstes Streben nach Mennchenbegliickung.

Aber damit nicht genug; inn Schizoide geht noch viel mehr ein: Da sind die Stumpfen, die Kalten und die ,,Wurstigen", die eigensinnigen Querk6pfe, die pedantinch Vertrockneten und die zerfahren Bummeln- den, die Affektlahmen, insbesondere die ausgesprochenen Musterkinder~ die Humorlosen und die MiBmutigen. Dann kommen die passiv Affekt- stumpfen, die Phlegmatiker, die Taktlonen und Nachlassigen und nchlieft- lich noch die j~thzornigen Stumpfen oder Stumpfbrutalen, die Haun- tyrannen und chsarischen Despoten. Und unter den Wurstigen da kom- men die Landstreicher und verbummelten Studenten, Prostituierte und yon Weihern ausgcnutzte Herrenn6hne, ,,ein groBes Heer yon unaufhaltsam sozial Sinkenden, Haltlosen, Verschwendern, Spielern und Trinkern", die giftigen, hageren alten Jungfern ziehen auf und die Hausdrachen, die Intriganten und Tyrannen und Geizh~lne und viele, viele andere mehr, ja, Kretschmer sagt selbst ,,wir k6nnten ein ganzes Buch allein mit Lebensbildern von all den konstitutionellen Varianten und sozialen Typen fiilh, n, die im Umkreis des schizophrenen Irreseins an~sthetinche Komponenten im Sinne der Gemiitsarmut, Gemiitn- k~ilte und Gemiitstrockenheit verraten."

Das ist also ,,schizoid". Und nun frage ich: ,,Was int schizoid"? oder ,,Wan ist nicht schizoid"? Ja, auch uns scheinen die Grenzen zwinchen normal und pnychopathisch, zwischen schizoid und nchizo- thym immer mehr zu verschwimmen, es geht schlieBlich in eins auf und darum fragen wir gleich: ,,Wan ist schizothym?" und ,,Was ist nicht schizothym ?" Mir will en ncheinen, dab schizothym gleichbedeu- tend ist mit Charakter; ntrcichen wir den Akzent, den dan Schizoid als Psychopathentype den einzelnen Varianten noch verleiht, so behalten wir nichts als einen nicht gerade langweilig-normalen Charakter. Denn jeder ausgesprochene Charakter geht bei nur leichter Abschw~chung der oben gezeiehneten schizoiden Charaktere in die schizothymen Charaktere ein.

Und was ist ein nicht schizothymer Charakter? Kretschmer wird sofort auf seine maniseh-depressiven Charaktermerkmale hinweisen.

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Da sind die Geselligen, die Gutherzigen, Freundlichen, Gemfitlichen, und welter die Heiteren, Humoristischen, Lebhaften -- die Hitzigen mul3 ich ihm abstreichen, es ist das wohl sin ,,schizoider Einschlag" --~ und endlich die Stillen, Ruhigen, Schwernehmenden, Weichen. VeJ- suchen wit diesen Charaktermerkmalen, die gewi~ oft genug schon an Cycloiden und nicht nur an cyclothymen Naturen gewonnen wurden, auch den letzten manischen Schwung oder melancholischen Nachdruck abzustreichen, so bleibt, ich bin versucht zu sagen, fast ein langweiligcr Charakter, das was man eben ,,normal" nennen mSchte, es bleibt nicht sin Charakter im Sinne yon ,,Pers5nlichkeit", es bleibt eine Person zur/ick mit mehr oder weniger erfreulichen Eigenschaften, mit der es sich im allgemeinen sehr gut leben li~I~t, problemlos und unkompliziert. Erst der im cyclothymen, biologischen Geschehen gegebene Nachdruck bringt das hinein, was das Liebenswerte und das Sympathische beim Manisch-Depressiven oder Cycloiden oder Cyclothymen am Charakter ausmacht, das erst l~13t die genannten Eigenschaften auch den Ange- hSrigen als erw~hnenswert erscheinen. Diese Eigenschaften erscheinen aber sofort anders, wenn das sich finder, was Kretschmer einen schizoiden Einschlag nennen wiirde ; und das ist gewi[~ nichts Seltenes. Die echten, reinen Pykniker, auf die alles das, was Kretschmer yon ihnen fordert, zutrifft, bei denen nicht bald die Nase zu ]ang, das Profil zu scharf, (lie Gesichtsform zu markant, der Haarwuehs zu borstig ist usw., die finden sich doch recht, recht selten, ebenso selten, wie die wirklich rein erfreulichen Manisch-Depressiven, die nicht, reden wir einmal in unserer gewohnten Sprache, einen reizbaren, oder querulatorisch- parauoischen, cinen tyrannischen oder haltlosen, einen hysterischen oder phantastischen Einsch]ag haben. [ch mSchte auf das hinaus, was ich frfiher schon einmal betonte : Der Charakter als psychische Reaktionsart hat mit dem manisch-depressiven Irresein (pathogenetisch) an sich nichts zu tun*). Was aber den nichtschizothymen Charakter anlangt, so komme ieh zu dem Schlu[.~, da[~ er alle wenigcr ausgeprii, gten Charaktere umfa|3t, der sehizothymc Charakter abet ist innerhalb der Breite der Normalit'~t naeh Kretschmer das, was man einen ausgepr~gten Charakter nennt, das Schizoid endlich ist der Sammelbegriff fiir alle abnormen Charaktere.

Denn wo sind die Charaktere, dis wir bisher als reaktiv labile, als hysterische, als phantastische zu bezeichnen pflegten? Wo sind die paranoid eingestellten und wo die epileptoid'en ?*). Wo sind die Halt- losen und die Sthenischen, die mit labilem PersSnlichkeitsbewu~tsein

*) Kretschmer sagt selbst an eincr Stelle (S. 127) in bezeichnender Weise: ,,Diese Form schizophrenen Ji~hzorns hat in ihrem psychologischen Mechanismus der latenten Affektstauung und besinnungslos eruptiver Entladung manche Ver- wandtschaft mit gewissen hirntraumatischen und epileptischen Syndromen".

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und die StarrkSpfigen ? Alle nimmt die weite Mutter des Schizoids in die Armc. Das Schizoid ist wirklich zu dem Ziehharmonikabegriff geworden, den man ihm weissagen mul3te. Die Schizophrenic war schon bekannt als gro[ter Topf, ins Gewaltige erweiterte sieh das Schizoid, und die Schizothymie umspannt 9/10 der Menschheit. ttier kann ich nicht mit.

Angesichts dieser ungemeinen Mannigfaltigkeit der versehiedensten Charaktertypen, die in die Schizothymie und in das Schizoid eingehen, kann es uns natiirlich auch nicht wundernehmen~ wenn die KSrper- bautypen so wenig einheitlieh sind; die asthenische Form ilberwicgt ja, bildet aber noch nicht 50% und die athletische und dysplastische Form ist auch mit recht betr~chtlichen S~tzen vertreten. Es muB auch immer wieder darauf hingewiesen werden, dab selbst bei manifest Schizophrenen nicht so selten nur das eine oder andere Merkmal sich findet, der Gesamt- habitus aber geradezu erstaunlieh wohlproportioniert erscheint, und die gemischten Formen, insbesondere die gemischt asthenisch-ath!etisehe nahm bei unseren Beobachtungen einen breiteren Raum ein, als bei Kretschmer. 1)

Ich habe an mehreren anderen Stellen~) a) schon darauf hingewiesen, dab mir die endokrinen MSglichkeiten des Konstitutionsaufbaues viel zu mannigfaltig erschienen, als dal3 man die kSrperliche bzw. serologisehe Konstitution differentialdiagnostisch verwerten kSnne. KSrtke 4) hat wohl als erster die M5glichkeit ausgesprochen, da[t die Abderhaldensche Reaktion uns einen Schlfissel geben kSnne zu den fiir die Dementia praecox vorbestimmten Psyehopathen. Bauten Psychopathen ab, so sollten dies am ,Morbus dementiae praecocis" leidende Psychopathen sein, die aber v o n d e r Psychose Dementia praecox noch nicht ergriffen seien. Und Bleuler hat kfirzlieh unter dem Hinweis auf racine Abderhaldenuntersuchungen bei Psychopathen und Praecocen aueh von der MSgliehkeit gesproehen, dab die Psychopathen, die die bei Dementia praecox recht h~ufige Abbaugruppierung der ,,Trias" Gehirn-Genitale-Sehilddriise zeigten, die schizoiden Psychopa- then sein kSnnten. Ich habe, um mich auf Tatsachen stfitzen zu kSnnen, eine gr5Bere Anzahl von Psyehopathen, die kSrpcrlich dem asthenischen, athletischen oder gemischt asthenisch-athletisehen Typ angehSrten, und die man nach ihrer ,,psych~sthetischen Proportion" dem Kretsch- merschen Schizoid zuzurechnen h~tte, mit der Abderhaldensehen Methode untersucht. Das Resultat war ein recht uneinheitliches, und wer die Abderhaldensche Reaktion kennt, insbesondere das Kommen und Gehen positiver Resultate beim gleichen Individuum innerhalb verh~ltnismhBig kurzer Zeitspannen einmal verfolgt hat, den kann ein solches Ergebnis auch nicht wundern. Die Abderhaldensche Reaktion in ihrer jetzigen Form hat versagt, und ich bin iiberzeugt, da[t sic auch

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bei gr6flerer Konstanz die Frage in dem von Bleuler und Kretschmer gewtinschten Sinne nicht beantworten wiirde.

Wir haben also gesehen, dab bei der bis in die letzte Konsequenz der Schizothymie durchgedachten Aufstellung des Schizoids, so wie es Kretschmer uns vor Augen fiihrt, eigentlich herauskommen muB, dab alle nach ihrer K6rperform nicht pyknisch gebauten Individuen, und alle etwas ausgepri~gteren Charaktere, insbesondere aber die allerver- schiedensten Psychopathentypen, mit Ausnahme der cycloiden Psycho- pathen reinster Form, an Dementia praecox erkranken k6nnen. Damit stehen wit aber wieder an dem Punkte unseres Wissens, zu dem uns schon die Untersuchungen frfiherer Autoren hingewiesen haben; es sei besonders an eine sehr griindliche Studie yon Medow aus der Erlanger Klinik erinnert, der die mannigfachsten Psychopathentypen an der Schizophrenic sich beteiligen sah, ohne sic in irgendeine sichere Ver- bindung mit der Psychose bringen zu kSnnen. Er hat daher auch nicht den gewagten SchluB gezogen, sie alle als schizoidc Psychopathen unter einem Namen zusammenzufassen.

Bleuler hat diesen Schritt getan, und in noeh weitgehenderem, abet anscheinend yon Bleuler gebilligtem MaBe, Kretschmer. Sic nennen diese Psychopathen samt und sonders ,,schizoid" und in dem gleichen Moment ist die pathogenetische Beziehung zwischen dem Schizoid und der Schizophrenie hergestellt. Kretschmer sucht ffir das Versinken des Schizoiden und das Ver6den des Schizophrenen seine Parallelen bis hinein ins normale Leben, bis zu seiner Schizothymie : ,,Auch die Psych- ~sthesie der gesunden Durchschnittsmenschen mittleren Temperaments (er k6nnte sagen psych~sthetische Proportion der Schizothymiker) erreicht ja in der typisch sentimental gef~rbten t~berschwenglichkeit und Empfindsamkeit der Pubert;~tszeit ihren H6hepunkt, um etwa yore 25. Lcbensjahre langsam bis zu einer gewissen ruhigen Solidit~tt der Lebensauffassung, h~ufig auch bis zu ernfichternd platter und trock- ner Schwunglosigkeit sich abzukfihlen." Die Pubert~tswelle aber tr~gt die hyper~sthetischen Schizoiden h6her bis zu einer enorm gestei- gerten Reizsamkeit ihres Temperaments im Sinne elegischer Z~rtlich- keit oder eines mehr gespreizt fiberspannten Puberti~tspathos, ,,nach wenig Jahren aber gehen sic als kaum noch leidliche Durchschnitts- biirger allm~hlieh immer matter und kiihler, einsphnnig, schweigsam und trocken hinweg". Die allopsychische Resonanz erlischt vor der autopsyehisehen, ,,und erst wenn aueh die pers6nlichkeitseigenen Inhalte ihren Affektwert verlieren, ist das 3. Stadium der Mfektver- bl6dung erreicht". So denkt sich Kretschmer das ttineinwachsen in die Sehizophrenie, ein nur graduell verschiedenes Leerbrennen des affektiven Verm6gens, der eine wird der trockene Philister, der Schi- zoide, der in kurzem, aber treibhausmi~Bigem Aufbliihen seine Affek-

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t ivit~t verpufft, kaum noeh ein Durchsehnittsbtirger, und den 1)ritten reiBt das Verh~ngnis in die Tiefe der Affektverbl6dung, wie HSlderlin, dcr Reizsamsten einen.

Mir seheint das eine geistreiehe Parallele, dem normalen Leben abgewonnen, und an einem H61derlin erprobt und reeht befunden. Aber an wiehtigen klinisehen Tatsaehen geht sic voriiber. Es ist meines Erachtens zun:~tchst schon ein Akt der Willkfir, die v611ige Affektver- bl6dung der Sehizophrenen in Analogie zu setzen zu dem Nachlassen des affektiven Schwunges mit dem Altern. Gewig, in einzelnen F~llen m6ehte einem dergleichen plausibel erscheinen. Hyper'~tsthetische, unklare Brausek6pfe versanden und versinken wirklich mitunter in soleher Weise und enden in sehizophrener Verbl6dung, so dab man an eine Selbstentwicklung der Schizophrenic glauben k6nnte. Wie aber, wenn sieh solehe Ent~vicklung stiirmiseh innerhalb weniger Woehen unter unseren Augen vollzieht ? Und wie soll man yon einer Selbstent- wieklung reden, wenn vorher wirklieh nieht naehweisbar aus der normalen Breite herausfallende Charaktere fast fiber Naeht in einen ka ta tonen Stupor verfallen, und dann raseh geistig ver6den ? Und so etwas kommt keineswegs ganz selten vor. Es kann doeh gar nieht anders sein, hier mu 13 ein zerst6rendes Element seine Hand im Spie]e haben, das prozeghaft fortschreitend in kurzem die ganze affektive Resonanz ert6tet, so oft. ffir immer ert6tet. Und dann die ganzen anderen uns so gi~nzlieh fremd- artigen Syraptome, die sehizophrene Zerfahrenheit und die krassen katatonen Erseheinungen und Ma.nieren. Wit' k6nnen nieht umhin, wit miissen hier annehmen, dab etwas ganz Neues hinzugekommen ist, das das Seelenleben zerst6rt und mit einem Male so fremdartig erseheinen li~gt, dab man wie vor lauter Riitseln steht, dab unsere normale Psyche nieht mehr mitsehwingen kann, dab nns die Teilnahme am Seelenleben des Kranken fehlt, wie er aueh nieht mehr auf unsere Geffihlsregungen anzuspreehen vermag. Gerade diese vollkommene Unm6gliehkeit des Einftihlens und Verstehens, das FehIen der affektiven Resonanzfiihigkeit, ist ja doeh das, was uns aueh initial bei der Diagnosestelhmg der Sehizo- phrenie leitet. Hier mug ein strenger Strieh gezogen werden ; die Schizo- phrenic fttngt da an, wo die Fremdheit beginnt, wo das normale Gefiihls- leben nieht mehr mitsehwingen kann. Ieh kann den Weg yon der Normalpsyehe zur sehizophrenen Psyche nicht Iinden.

Da hilft es aueh nieht, wenn wir so manehe Ziige bei Sehizophrenen finden, die uns im normalen Leben nieht fremd sind. Der Autismus maeht den Sehizophrenen nieht aus; mit dem tollsten Eigenbr6dler und sehrullenhaftesten Sonderling kann ieh mieh in Beziehung setzen, und habe doeh noeh eine gesehlossene Pers6nliehkeit, wenn aueh eine besonders geartete und merkwtirdige, vor mir. Aber ieh kann mit ihm reden und ~erde gemiitliehe Resonanz finden und seelisch an seinem

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Innenleben teilnehmen kSnnen. Zwischen den Schizophrenen und mich legte sich aber eine Schranke, fiber die wir beide nicht mchr hinweg- kommen. Nicht anders ist es mit dem Negativismus.

Es ist das eine engere Fassung der Schizophrenie, als Bleuler und auch Kretschmer sie hat. Ich habe erst kfirzlich einen Psychopathen unter- sucht, den Kretschmer in seinem Buch als ,,in vollem Ausbruch seiner Psychose stehend" bezeichnet, der gewil3 ein wunderlichcr, hyper- iisthetischer und pathetischer Psychopath war, der nach den verschie- densten Richtungen hin schillerte, dem ich aber das Attribut des Schizo- phrenen noch nicht zu geben wagte. Kann sein, dal3 er noch einmal den HSlderlinweg gehen wird, vorli~ufig aber war er so v611ig einffihlbar und in seinem ganzen Seelenleben verstiindlich, nichts Fremdes legte sich zwischen ihn und reich, und seine idealistischen Gedankengi~nge, mit denen er sich und seine Umwelt zerquiilte und zergriibelte, waren nicht ,,schizophren zerfahren", zeigten noeh niehts yon der ,,Lockerung der Assoziationsspannung" und nichts von Neologismen, waren nicht durchwoben yon wahnhaften oder halluzinatorischen Erlebnissen, so dal3 ich reich nicht entschlieften konntc, ,,fiber ihn den Stab zu brechen" und ihm sein geistiges Todesurteil zu sprechen.

War er ein ,,schizoider" Psychopath ? Kann sein. Es kann sein, dal.~ wir in dicsen Typen einmal die Vorliiufer linden werden ffir die Schizo- phrenie, es kann aber auch anders sein. Nicht wenn wir die Schizo- phrenie so weit als m(iglieh fassen, werden wir ihrem Kern nigher kommen, s(mdern nur bei sehaffer Umgrenzung, m6glichst schaffer Umgrenzung auch der einzelnen Schizophrenieformen. Wir mfissen es vorliiufig eingestehen, da[.l wir fiber die zur Schizophrenie ffihrenden biologischen Ursaehen ebensowenig wissen, wie fiber ihr pathogenetisches Geschehen. Gerade aber bei der Prozeftkrankheit der Schizophrenie werden wir bier anzugreifen versuchen mfissen; Effolg versprechende Anf~nge sind ja gerade jetzt da. Welche Psychopathentypen a.ber zur sehizophrenen Erkrankung neigen, und ob fiberhaupt irgendwelche Kategorien beson- ders bevorzugt werden, das wissen wir nicht. Ihnen in der Gesamtheit den Namen der Schizoiden zu geben, das hat m. E. keinen Sinn, und wir haben dazu auch keine wissenschaftlich hinreichend fundierte Berechti- gung.

Was ich geschrieben habe, soll gewi$ keine Verkleinerung der Kretsch- merschen Arbeit sein. Er hat uns in geradezu kfinstlerischer Weise ab- normc Charaktere geschildert und den feinsinnig-kfihlen Aristokratentyp, den pathetischen Idealistentyp, den empfindsam-affektlahmen Typ hat er prachtvoll herausgehoben. Wir finden nicht weniger schOn gezeichnct den kalten Despoten und den zerfahrenen Bummler und die J:~ihzornig-S.tumpfen. So haben wir alle diese Psychopathen in unserer Sprechstundc erlebt, und in mehr oder weniger ausgeprSgter Form

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sehen auch wir diese Charaktertypen unter unseren normalen Mitmcn- schen. Auch fiber unsere Genialen nachzudenken hat Kretschmer uns in grol~zfigiger Weise Anregung gegeben, wenn auch gerade da manehes bei Detallstudium wird korrigiert werden miissen. Seine KSrperbau- untersuchungen aber haben uns das wertvolle Ergebnis einer gewissen biologischen Affinit~t zwischen pyknischen KSrperformen und dem manisch-depressiven Irresein gebracht, u n d e r hat das Verdienst, uns Psychiater wieder einmal mit Nachdruck darauf hingewiesen zu haben, dab es auch KSrperlich-Gleichgiiltiges fiir den Psychiater schlechthin nicht gibt. Aueh das soll ihm gerne zugegeben werden, dal~ Individuen mit den yon ihm angegebenen nicht pyknischen KSrperformen sehr oft einen komplizierteren und uneinheitlichen Charakter haben.

Wogegen ich mich entschieden wenden zu miissen glaubte, das war das Zusammenfassen der Prozei3krankheit Sehizophrenie mit den allerverschiedensten Psyehopathentypen und auch sehr variabler KSrper- bauformen zu einer biologisch pathogenetischen Einheit. Noch niemand hat mir in einer befriedigenden Weise definieren kSnnen, was eigentlich ein Sehizoider sei. DaB Psychopathen vorzugsweise v o n d e r Dementia praecox befallen werden, das wissen wir, wir wissen aber noch nicht, welche es sind, und warum es gerade diese sind. Die psych~,sthetische Proportion kann uns nicht leiten; denn wir kommen mit ihr vSllig ins Uferlose.

Endlieh birgt diese neue Art der Diagnosestellung eine grol~e Gefahr der Verflachung unserer Diagnostik in sich. Sic braucht nicht zur Verflaehung zu ffihren, aber die Versuchung ist da. Erscheint z. B. bei einem manisch-depressiven Kranken im Symptomenbi]d etwas ]JngewShnliches, treten katatone Zfige auf, oder zeigt er sich enorm explosibel, hysteriseh reagierend oder yon ungewShnlieher Empfindlich- keit oder einer gewissen Schrullenhaftigkeit, hat er einen disharmonischen Charakter oder reagiert er vorzugsweise paranoid, schon hat man eine Etikette, das ist eben ein manisch-depressiver Kranker mit schizoidem Einschlag oder schizoiden Zfigen. Das ist nieht ein theoretisches Be- denken, sondern eine am eigenen Leib empfundene Tatsache. Sieht man etwas Sonderbares oder Ungewohntes, sofort dr~ngt sich der Gedanke in den Vordergrund, dab etwas Schizoides hineinspiele, und die Gefahr sich dabei zu beruhigen und sich nicht weiter den Kopf zu zerbrechen, liegt ungemein nahe. Und wenn aus dem anf~nglieh als Manie oder Melancholie imponierenden Kranken schlie$1ich doch ein Schizophrener wird, wenn es sich zun~ichst nur um ein manisehes oder depressives Zustandsbild gehandelt hat, das verkannt wurde, so greift man wom6glich noch zum Begriff des Dominanzweehsels und reehtfertigt sich auf diese Weise vor sich ~elbst. Wenn der Begriff des Schizoids in dem yon Kretschmer ausgeffihrten Umfang zu Recht bestfinde, dann k6nnte

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man vielleicht gar nicht viel gegen solche Etikettierung sagen, ich vermag aber ein solches Schizoid als umschriebene Psychopathentype und den Begriff der Schizothymie nicht anzuerkennen.

Kretschmer hat unter dem Einflu]3 der neuesten Ergebnisse der Erblichkeitsforschung, insbesondere wohl unter dem EinfluB Kahn- scher ~) Arbeiten sich in einer kurzen zusammcnfassenden Arbeit fiber das Konstitutionsproblem in der Psychiatric ganz neuerlich etwas andcrs fiber die Stellung der Schizophrenie zu Schizoid und Schizo- thymie ausgesprochen, oder wenigstens, er hat klare Stellung gcnommen zu der Frage des Zusammenhangs zwischen Schizophrenic und seinem Schizoid 5). ,,Ein recessiver Erbgang der Dementia praecox ist mit groiler Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Allerdings nicht in der einfachsten Form mit nur einem mendelnden Merkmalpaar. Vielmehr ist der Aus- bruch einer sehizophrenen Psychose hSchst wahrscheinlich bedin~ durch das Zusammentreffen mehrerer sich ergdnzender pathologischer Faktoren aus beidcn Ursprungsfamilien, der v~terlichen sowohl, wie der mfitter- lichen". Und weiter: ,,Jedenfalls entsteht die schizophrene Psychose aus dem Schizoid nicht einfach durch unspezifische Kumulierung; wic wir denn 5fters sehen k5nnen, da] zwei schizoide Psychopathen sich heiraten, ohne dab deshalb notwendig ihre Kinder schizophrene Psychosen bekommen mfilJtcn." Dadurch komme ich mir mit Kretsch- mer wieder wesentlich n~,her. Es mul~ also bei der Schizophrenic noch etwas Neues hinzukommen, das, was Kahn den Erbfaktor ,,P_rozelt- psychose" nennt. Dieser Erbfaktor ,,Prozel3psychose" ist aber doch das Hauptmerkmal der Schizophrenic; er ist doch erst das Element, das zur Spaltung, zu der unverst~ndlichen, nicht mehr einfiihlbaren und nacherlebbaren Spaltung der Pers6nlichkeit ffihrt, zu dem Defekt, dem die Schizophrenie ihren Namen vcrdankt. Wenn man nun den Begriff des ,,Schizoids" so ungemein erweitert, wie Kretschmer es tut, wenn nahezu alle denkbaren Psyehopathentypen in diesen Begriff eingehen, so ist es frcilich richtig, dab der Zusammentritt von dem Erbfaktor ,,Schizoid" mit dem Erbfaktor ,,ProzeBpsychose" die Schizo- phrenic ausmacht; denn eine psychopathische Mindcrwertigkeit er- leichtert aueh nach unseren bisherigen Anschauungen einer Prozel~- psychose das Angreifen. Das biologische Ineinandergreifen, die ge- meinsame biologische Grundlage yon Schizoid und Prozeitpsychose Schizophrenie wird aber durch diese Scheidung der getrennt laufenden Erbfaktoren aufs schwerste erschfittert. Mit dem Augenblick, wo Kretschmer den Erbfaktor Prozel3psychose als gesondert laufendes Gen aufnimmt, mul~ ieh ihm noch mehr die Berechtigung bestreiten, von einem Schizoid zu reden, ganz besonders aber in einer so unendlich umfassenden Form. Der Schizoid und Schizophrenie verbindende biologiseh-patho- genetische Faden ist mit dieser Scheidung durchschnitten, und ich kann

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nicht einsehen, mit welchem Rcch t wir diesen Namen weitcrfiihren sollen. Was bei Wirken nur des Faktors , ,ProzeSpsychose" geschieht, vcrmag Kahn selbst nicht recht zu sagen; vielleicht geh6ren doch vielc yon den Schizophrenen hierher, bei denen wir prhpsychotisch nichts, aber auch gar nichts fiber abnorme Zfige erfahren konnten. Wie un- gemein vorsichtig man bei Bewertung mehrerer getrennt mendelnder, recessiver Erbmerkmale sein muir, das versteht sich von selbst. Man kann auf solche Weise freilich alles erkli~ren, ich mu$ aber gestehen, ffir mich handelt es sich einfach dabei um ein Verdecken unseres Nicht- wissens. L~$t man schliel~lich auch noch aus dem Zusammcnt r i t t yon Schizothymie, als der Abor t ivform des Schizoids, und dcm Erb- fak tor Prozei~psychose die Schizophrcnie entstehen, so ist natfirlich alles gel6st, - - oder aber wir stehen an dem gleichen Punkt , wie zuvor ; 9/10 der Menschen tragen die Disposit ion zu schizophrener E rk rankung in sich.

Literaturverzeichnis.

1) Kretschmer, KSrperbau und Charakter. Berlin, Springer. 1921. - - 2) Ewald, Charakter, Konstitution und der Aufbau des maniseh und depressiven Irreseins. Zeitschr. f. d. ges. ~eurol. u. Psychiatr. 71, 1921. - - a) Ders., Die Abderhaldensehe Reaktion, mit besonderer Berticksichtigung ihrer Ergebnisse in der Psyehiatr., Berlin. Karger. 1920. Beiheft zur Monatsschr. f. Psychiatr. Nr. 10. - - 4) KSrtke, Ein Dilemma in der Dementia-praecox-Frage. Zeitschr.f.d.ges. Neurol. u. Psychiatr. 48, 1919. - - 5) Kretschmer, Das Konstitutionsproblem in der Psychiatrie. Klin. Wochenschr. I, 1922. - - 6) Kahn, Konstitution, Erbbiologie und Psyehiattic, Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr. 5~, 1920.