schreibkompetenz entwickeln und evaluieren : eine studie
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Schreibkompetenz entwickeln und evaluieren
Eine Studie im Bereich Deutsch als Fremdsprache in Afghanistan
Dissertation
zur
Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie
in der Fakultät für Philologie
der
RUHR-UNIVERSITÄT BOCHUM
Vorgelegt von:
Sarah Faseli
Aus Kabul, Afghanistan
Erstgutachterin: Frau Prof. Dr. Karin Kleppin
Zweitgutachter: Herr Prof. Dr. Hermann Funk
Tag der mündlichen Prüfung: 21.07.2017
i
Danksagung
Die vorliegende Arbeit ist eine überarbeitete Version meiner Dissertation, die vom
Seminar für Sprachlehrforschung der Ruhr-Universität Bochum 2017 angenommen
wurde. Die Dissertation wurde durch ein Stipendium des Deutschen Akademischen
Austauschdienstes (DAAD) ermöglicht, das für dieses Projekt in Zusammenarbeit mit
dem Seminar für Sprachlehrforschung der Ruhr-Universität Bochum und dem Projekt
„DaF in Afghanistan“ des Instituts für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und
Interkulturelle Studien der Friedrich-Schiller-Universität Jena gewährt wurde. Herr Dr.
Hans-Joachim Althaus, Leiter des TestDaF-Instituts, nahm mich während meines
Forschungsaufenthalts in Bochum auf und stand mir mit viel Interesse und
Unterstützung zur Seite. Dafür bedanke ich mich ganz herzlich bei DAAD und
TestDaF-Institut.
Mein tief empfundener Dank gebührt meiner Doktormutter Frau Prof. Dr. Karin
Kleppin, die meine Arbeit durch unerschöpfliche persönliche und wissenschaftliche
Unterstützung und Liebenswürdigkeit betreut hat. Ihre Größe und Bescheidenheit
werden mich lebenslang inspirieren. Meinem Zweitgutachter Herrn Prof. Dr. Hermann
Funk gebührt ebenfalls größter Dank.
Für konstruktive Kritik, anregende Kommentare und Vorschläge bei der Erstellung
dieser Arbeit, möchte ich mich auch herzlich bei Herrn Prof. Dr. Rupprecht S. Baur,
Herrn Prof. Dr. Rüdiger Grotjahn, Herrn Dr. Hans-Joachim Althaus, Frau Dr. Ulrike
Arras und Frau Dr. Gabriele Kecker bedanken. Besonderer Dank gilt Herrn Günther
Depner für seine Freundschaft und Bereitschaft, mir von Beginn an geduldig zur Seite
zu stehen. Nicht zuletzt möchte ich auch jenen für ihre Unterstützung danken, die ich
nicht namentlich genannt habe oder die nicht namentlich genannt werden wollten.
Zu Dank verpflichtet bin ich Herrn Prof. Ghulam Dastgir Behbud und Herrn Dr.
Mohammad Aslam Nassimi der Deutschabteilung der Universität Kabul, die mich bei
der Entstehung der Arbeit mit Verständnis und Ermutigung begleitet haben. Ebenfalls
gilt mein Dank allen Teilnehmenden meiner Untersuchung für ihre Schreibbeiträge und
Antworten auf meine Fragen.
Mein abschließender und größter Dank gilt meinen Eltern und Geschwistern, die mich
auf meinem Weg durch das Studium begleitet und moralisch unterstützt haben.
ii
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung, Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit .................................... 1
1.1. Methodologischer Zugriff (qualitativer Forschungsansatz) .............................. 4
1.2. Aufbau der Arbeit ............................................................................................. 6
2. Kulturelle und bildungspolitische Bedingungen des Schreibens in
Afghanistan. ..................................................................................................................... 8
2.1. Zum Begriff „Schreiben“ im Allgemeinen ....................................................... 8
2.2. Stellenwert und Funktion des Schreibens in Afghanistan ................................ 9
2.2.1. Bildung in Afghanistan gestern und heute .................................................. 12
2.2.2. Was bedeutet Schule in Afghanistan? ......................................................... 15
2.2.3. Überblick über den Erwerb von Schreibkompetenz an den afghanischen
Schulen .................................................................................................................... 17
2.3. Zusammenfassung des Kapitels ...................................................................... 19
3. Zur geschichtlichen Entwickung des Deutschunterrichts in Afghanistan ....... 21
3.1. Die Sprachensituationen in Afghanistan ......................................................... 21
3.2. Stellenwert des Deutschen als Fremdsprache in Afghanistan ........................ 23
3.2.1. Deutsch an den staatlichen Schulen ............................................................ 25
3.2.2. Deutsch im Hochschulbereich .................................................................... 26
3.2.3. Deutsch im außerschulischen Bereich ........................................................ 27
3.3. Zusammenfassung des Kapitels ...................................................................... 28
4. Zur Entwicklung von Schreibkompetenz im DaF-Unterricht an der
Universität Kabul .......................................................................................................... 29
4.1. Was ist „Schreibkompetenz“? ......................................................................... 29
4.1.1. Was bedeutet „Schreibprozess“? ................................................................ 33
4.1.1.1. Der muttersprachliche Schreibprozess ................................................ 35
4.1.1.2. Der fremdsprachliche Schreibprozess ................................................. 38
4.1.1.2.1. Zur Rolle der Muttersprache beim fremdsprachlichen
Schreibprozess ................................................................................................ 42
4.1.1.2.2. Zum Einfluss von L2-Sprachkompetenz und L1-Schreibkompetenz
auf den fremdsprachlichen Schreibprozess ..................................................... 44
iii
4.2. Zur Entwicklung der Schreibkompetenz ......................................................... 46
4.3. Zur Organisation und Entwicklung der Schreibkompetenz im Rahmen des
BA-Curriculums an der Universität Kabul ................................................................. 49
4.3.1. Rahmenbedingungen des Unterrichts Deutsch als Fremdsprache .............. 51
4.3.2. Curriculare Vorgaben für die Entwicklung von Schreibkompetenz im DaF-
Unterricht ................................................................................................................ 53
4.4. Zusammenfassung des Kapitels ...................................................................... 55
5. Die empirische Studie ........................................................................................... 56
5.1. Schreibproduktion: Subjektive Theorien der afghanischen DaF-Studierenden
zum Thema Schreiben in Dari als Muttersprache und in Deutsch als Fremdsprache . 56
5.1.1. Ausgangspunkt und Anliegen der Studie .................................................... 56
5.1.2. Subjektive Theorien .................................................................................... 58
5.1.3. Das Konstrukt: fremdsprachliche und muttersprachliche
Schreibproduktion.. .............................................................................................. ...60
5.1.4. Methodisches Vorgehen: Qualitatives Verfahren ....................................... 61
5.1.5. Erhebungsinstrumente und Durchführung .................................................. 62
5.1.5.1. Schreibaufträge ................................................................................... 62
5.1.5.2. Leitfadeninterview: Durchführung und Rahmenbedingungen ........... 64
5.2. Die Auswertung von Leitfadeninterviews ...................................................... 69
5.2.1. Die Erstellung des Kategoriensystems der vorliegenden Studie ................ 74
5.2.1.1. Kategorie 1: Subjektives Fremdsprachenprofil und Gründe für das
Deutschlernen...................................................................................................... 78
5.2.1.2. Kategorie 2: Subjektive Deutung vom Stellenwert des Schreibens .... 84
5.2.1.3. Kategorie 3: Subjektive Aspekte zur Schreibproduktion in der
Fremdsprache Deutsch ........................................................................................ 86
5.2.1.4. Kategorie 4: Subjektive Aspekte zur Schreibproduktion in der
Muttersprache Dari ............................................................................................. 90
5.2.1.5. Kategorie 5: Selbsteinschätzung; Gründe für Zufriedenheit mit der
eigenen Schreibproduktion ................................................................................. 92
5.2.1.6. Kategorie 6: Methodische Schreibschritte .......................................... 95
5.2.1.7. Kategorie 7: Subjektive Einstellung vom Stellenwert der
Textkomponenten................................................................................................ 98
5.2.1.8. Kategorie 8: Individuelle Überarbeitungsstrategien ........................... 99
iv
5.2.1.9. Kategorie 9: Kompensationsstrategien zum Ausgleich der Defizite
beim Schreiben .................................................................................................. 101
5.2.1.10. Kategorie 10: Eigene Ideen zur weiteren Entwicklung der
Schreibkompetenz ............................................................................................. 103
5.2.2. Zusammenfassende Bemerkungen aller zehn Kategorien dieser Studie .. 105
5.2.3. Vorgehensweise bei der kriterialen Beschreibung der Lernertexte .......... 106
5.2.4. Analyse und Vergleich von drei ausgewählten Lernertexten ................... 108
5.2.5. Zusammenfassende Bemerkungen ............................................................ 124
5.3. Überlegungen zur Verbesserung der Schreibentwicklung im Fach Deutsch als
Fremdsprache an der Universität Kabul .................................................................... 129
5.3.1. Prozessorientierung statt Produktorientierung .......................................... 130
5.3.2. Das Verankern von kurzen schriftlichen Arbeiten in der Studien- und
Prüfungsordnung ................................................................................................... 132
5.3.3. DaF-Lehrwerkanalyse und Erstellung lernrelevanter Schreibmaterialien und
-aufgaben ............................................................................................................... 134
5.3.4. Fortbildungen der Lehrkräfte im Fachbereich DaF .................................. 135
5.3.5. Einsatz der Muttersprache im DaF-Unterricht .......................................... 136
5.3.6. Herstellung eines größtmöglichen Maßes der Kontaktvorstellungen und -
möglichkeiten mit dem Zielsprachenland ............................................................. 137
6. Schriftliche Leistungen der afghanischen TestDaF-Teilnehmenden in
Kabul..... ....................................................................................................................... 140
6.1. Was ist der TestDaF? .................................................................................... 140
6.1.1. Der schriftliche Ausdruck im TestDaF ..................................................... 142
6.1.2. Zur Beurteilung des Prüfungsteils „Schriftlicher Ausdruck“ ................... 144
6.2. Analyse ausgewählter schriftlichen Leistungen der afghanischen DaF-
Studierenden im Prüfungsteil „Schriftlicher Ausdruck“ ........................................... 146
6.2.1. Vorgehensweise ........................................................................................ 146
6.2.2. Kriterien zur Beschreibung der schriftlichen Leistungen ......................... 148
6.2.3. Analyse ausgewählter Texte ..................................................................... 150
6.2.3.1. Gesamteindruck: Wie wirkt der Text beim Lesen auf eine Leserin oder
einen Leser? ...................................................................................................... 151
6.2.3.1.1. Lesefluss ....................................................................................... 151
6.2.3.1.2. Gedankengang .............................................................................. 153
6.2.3.1.3. Textaufbau .................................................................................... 154
v
6.2.3.2. Behandlung der Aufgabe: Wie wurde die Aufgabe inhaltlich
bearbeitet? ......................................................................................................... 158
6.2.3.2.1. Punkte der Aufgabenstellung ........................................................ 158
6.2.3.2.2. Beschreibung der Grafik ............................................................... 159
6.2.3.2.3. Argumentativer Teil ...................................................................... 162
6.2.3.3. Sprachliche Realisierung: Welche sprachlichen Mittel weist der Text
auf?.......... .......................................................................................................... 165
6.2.3.3.1. Sprachliche Mittel: Kohäsion und syntaktische Strukturen.......... 166
6.2.3.3.2. Wortschatz .................................................................................... 169
6.2.3.3.3. Korrektheit .................................................................................... 170
6.2.4. Zusammenfassende Bemerkungen ............................................................ 173
6.2.5. Didaktische Überlegungen für die Vorbereitung auf den TestDaF in
Kabul.... ................................................................................................................. 175
6.2.5.1. Entwicklung eines spezifischen Kursangebotes ............................... 175
6.2.5.2. Integrative Förderung der vier fremdsprachlichen Kompetenzen .... 178
6.2.5.3. Weiterbildungsmöglichkeiten für DaF-Lehrkräfte ........................... 179
7. Schlussbetrachtungen und Perspektiven .......................................................... 181
7.1. Intensivierung der Schreibforschungen außerhalb des deutschsprachigen
Raums........................................................................................................................ 183
7.2. Gründung von universitären Schreibangeboten ............................................ 184
7.3. DaF-Unterricht als Türöffner für Schlüsselkompetenzen ............................. 185
Literaturverzeichnis .................................................................................................... 187
Abbildungsverzeichnis ................................................................................................ 212
Anhang ......................................................................................................................... 213
Eigenständigkeitserklärung ....................................................................................... 219
1
1. Einleitung, Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Entwicklung der Schreibkompetenz im DaF-
Bereich an der Universität Kabul. Schreibkompetenz ist eine höchst komplexe
Fähigkeit, weil dabei unter Betrachtung und Anwendung bestimmter Schreibstrategien
Texte verfasst werden, „die ziel- und adressatenorientiert einen Sachverhalt bzw. ein
Thema strukturiert und geordnet darlegen, vorhandene Schreibmuster aufgreifen und
weiterentwickeln sowie bestimmte Schreibkonventionen wie Rechtschreibung, Zeichen-
setzung und Grammatik beachten“ (Dahmen: 2007, S. 4f). Hierzu benötigt der
Verfasser1 eines Textes entsprechende metakognitive Fähigkeiten, damit das
Schreibvorhaben sich durchführen und dieses in Bezug auf oben erwähnte Aspekte
planen lässt (vgl. ebd.). Zu den bereits komplexen Anforderungen des Schreibens
kommen noch weitere hinzu, sobald es in einer Fremdsprache geschrieben wird und die
fremdsprachlichen Schreibende zum einen aufgrund der defizitären Schreibvermittlung
im Bildungssystem, zum anderen wegen der Zugehörigkeit zu einer nicht
schriftbasierten Sprach- und Kulturgemeinschaft noch über sehr geringe
Schreiberfahrung und -entwicklung in ihrer Muttersprache verfügen. Während in den
Industrieländern die Fähigkeit Texte zu schreiben, einen hohen Stellenwert besitzt und
sie in nahezu allen Bereichen des Lebens, z. B. Bildung und Beruf verlangt wird, ist sie
jedoch infolge der jahrelangen andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen in
Afghanistan unterbewertet und sie wird nicht viel als eine Schlüsselkompetenz für alle
Arbeits- und Lebensbereiche dargestellt. An den afghanischen Bildungseinrichtungen
wie Schulen und Hochschulen fehlen auch bisher die Grundlagen einer effektiven und
systematischen Schreibförderung und somit erfüllt sie nahezu nur eine Funktion, die in
der Überprüfung des Gelerntem besteht. Hierzu bilden die Bewusstmachung der
Prozesshaftigkeit des Schreibens und die Vermittlung von Strategien und anderen
Hilfstechniken, die diesen Prozess erleichtern, nur eine Seltenheit. Infolgedessen ist eine
gut ausgebildete Schreibkompetenz durch derartige Förderung in der Schul- und
Studienzeit in Afghanistan sehr wenig zu erwarten. In der Schreibforschung gab es
jedoch lange Zeit sehr unterschiedliche Vorstellungen über die Entwicklung der
1 Bei allen Personenbezeichnungen sind immer Angehörige beider Geschlechter
gemeint, unabhängig davon, ob die geschlechtsneutrale, die männliche oder die
weibliche Form verwendet wird.
2
Schreibkompetenz. Am Anfang ging man einzig vom Schreibprodukt aus (vgl. Merz-
Grötsch: 2005, S. 116) und erst mit Beginn der 1980er Jahre rückten einzelne
Fähigkeiten und Prozesse während des Schreibens in den Forschungsmittelpunkt. Laut
Beisbart (2003, S. 60) sind Schreibhandlungskomponenten Planung, Ausführung,
Formulierung, Motorik und Evaluation.
Während es im Bereich der Schreibforschung und Schreibdidaktik des Deutschen als
Muttersprache oder Fremdsprache umfangreiche empirische Untersuchungen und
Literatur gibt, fehlen die konkreten Kenntnisse über den Entwicklungsstand der
afghanischen Lernergruppen in schriftsprachlichen Fähigkeiten sowohl in der deutschen
als auch in der muttersprachlichen Literatur und in Studien. Daher ist das zu
untersuchenden Thema dieser Arbeit noch relativ unerforscht und es gibt darüber wenig
oder gar keine Literatur. Es ist dennoch so, dass viele afghanischen Lehrkräfte sich
vermehrt über die großen Defizite und die Abneigung ihrer Lernenden beim Verfassen
eines Textes beklagen. Diese Mängel sollen aber angesichts der oben beschriebenen
Situation nicht als der Verlust von Intelligenz oder die Missachtung des Unterrichts
betrachtet werden. Es ist vielmehr eine Tatsache, dass es zu viele Lernende gibt, die in
diese Anforderung und Kompetenzen nicht systematisch hineinwachsen und diese
weder in der Familie noch in der Öffentlichkeit, z. B. an den Schulen und Universitäten
erlebt, gefördert und angefordert worden sind, denn für die Entwicklung von
Schreibkompetenz reicht die traditionelle produkt-, lehrer- und lehrbuchorientierte
Schreibvermittlung nicht länger aus. In diesem Sinne weiß man z. B. im DaF-Unterricht
in Kabul wenig über die unterschiedlichen Lebens- bzw. Schulhintergründe,
Voraussetzungen, Befähigungen, Bedürfnisse und Interessen von den DaF-Studierenden
und deren Auswirkungen beim Schreiblernen in der Fremdsprache Deutsch. Hingegen
wissen aber die afghanischen DaF-Studierenden um ihre mangelhaften Deutsch-
kenntnisse und im Besonderen um ihre eingeschränkte Schreibkompetenz Bescheid.
Deshalb ist der Wunsch nach Überwindung ihrer Schreibschwierigkeiten oder
zumindest deren Reduzierung groß und die Erfüllung sehen sie vor allem in den
gezielten methodisch-didaktischen Lehrangeboten im Bereich Schreiben ihres
Deutschstudiums im BA-Curriculum, denn bis jetzt wird ihnen im DaF-Unterricht bei
der Förderung der Kompetenz Schreiben sehr wenig durch Schreiben der Weg zum Text
abgehandelt, sondern vielmehr das Wissen über das Schreiben vermittelt, mit der
Annahme, dass sich das Schreiben vor allem durch Nachahmung von Textmustern
entwickle (vgl. Fix: 2006, S. 51). Damit wird nur begrenzt auf Schreibschritte,
3
Strategien bzw. Schwierigkeiten bei der Produktion eines Textes eingegangen. Hinzu
kommt, dass Schreiben laut Kästner (1997, S. 162) bei den Lehrenden nicht beliebt ist,
da es als eine zeit- und kraftaufwendige Angelegenheit empfunden wird und es oftmals
nur auf Hausaufgaben oder Mit- und Abschreibübungen reduziert wird.
Ein weiterer kritischer Aspekt bezieht sich darauf, dass bei der Konzipierung der DaF-
Lehrwerke fast keine Aufmerksamkeit der sprech- und schriftsprachlichen, den
kulturellen und regionalen Hintergründen der DaF-Lernende gewidmet wird, so dass z.
B. die DaF-Studierenden in Afghanistan sich von den meisten erstellten
Schreibaufgaben in den verwendeten Lehrwerken nicht angesprochen fühlen und sich
damit nicht identifizieren können, da diese ihnen lebensfern und nutzlos erscheinen.
Demnach sind die Schreibprobleme von afghanischen DaF-Lernenden zum Teil auch
auf den Mangel an geeigneten Schreiblehrmethoden und -materialien in den DaF-
Lehrwerken zurückzuführen, die mehr der Förderung der mündlichen Sprachkompetenz
verpflichtet, europazentriert und somit lebensfern sind.
Die problematischen Seiten einer oben beschriebenen Schreibförderung im mutter-
sprachlichen wie auch fremdsprachlichen Unterricht in Afghanistan werden erst dann
erkennbar, wenn man zur Aus- oder Fortbildung in einem anderen Land ist. Dies habe
ich während meines Studienaufenthalts in Deutschland deutlich wahrgenommen. Durch
immer intensivere Formen der Begegnung der Menschen bzw. Lernenden aus der
ganzen Welt hat die Sprach- bzw. Schreibkompetenz zur Zeit größe Bedeutung und
Aufmerksamkeit gewonnen und wird diese sogar „in eine Situation der Interkulturalität
versetzt“ (Sorrentino: 2012, S. 12). Das heißt mit dieser Fähigkeit kann man die
Voraussetzung besitzen, im globalen Leben zurechtzukommen und sich erfolgreich in
den schriftlichen Kommunikationssituationen in einer Sprache zu verständigen.
Diese Hintergründe motivierten und bestärken mich, in dieser Arbeit die
Schreibproduktionen der afghanischen DaF-Studierenden in der Fremdsprache Deutsch
an der Universität Kabul unter Berücksichtigung ihrer bereits vorhandenen
muttersprachlichen Erfahrungen sowie auch ihres fremdsprachlichen Deutschunterrichts
im Bereich Schreiben zu untersuchen. Damit soll herausgefunden werden, wie die
Schreibprodukte von den afghanischen DaF-Studierenden an der Universität Kabul
hergestellt werden und über welche Schreibentwicklung sie verfügen und was ihnen bei
der Herstellung eines Schreibproduktes in der Fremdsprache Deutsch am meisten
Probleme bereitet. In diesem Sinne wird das Schreiben in dieser Arbeit an das
4
Textproduktionsmodell von Hayes und Flowers (1980) als ein Prozess der
Problemlösung angelehnt, d. h. als Problemloseprozess aufgefasst, bei dem von der
Schreibaufgabe (Problem) zum fertigen Text (Lösung) von den drei Hauptkomponenten
Planen, Formulieren und Überarbeiten ausgegangen wird.
1.1. Methodologischer Zugriff (qualitativer Forschungsansatz)
Die Arbeit befasst sich mit der Entwicklung der Schreibkompetenz im DaF-Bereich an
der Universiät Kabul mittels einer qualitativ-interpretativen Forschungsmethode. Im
Mittelpunkt dieser qualitativen Untersuchung stehen diese zentralen Fragen:
Welche Defizite/Defekte sind in den L1 (Dari) bzw. L2 (Deutsch)
Schreibprodukten der afghanischen DaF-Studierenden zu beobachten und auf
welche Faktoren sind diese zurückzuführen?
Mit diesem Beitrag wird das Ziel verfolgt zu begründen, warum die bereits vorhandenen
muttersprachlichen Erfahrungen der afghanischen Lehrenden und Lernenden wie auch
ihre Einstellungen und Vorstellungen zum Thema Schreiben und insbesondere die Art
und Weise des DaF-Unterrichts einen direkten Einfluss auf den fremdsprachlichen
Schreiberwerb hat. Um objektive Aufschlüsse über bisherige Sprach- und
Schreibkompetenz afghanischer DaF-Studierenden unter besonderer Berücksichtigung
ihrer Realität im schulischen und universitären Unterricht sowie auch im Bereich DaF
an der Universität Kabul zu sammeln, werden anhand Analyse der Schreibaufträge von
afghanischen DaF-Studierenden an der Universität Kabul und damit verbundenen
Leitfadeninterviews mit Beteiligten Daten zu ihren Schreibprodukten bzw. ihrem
Schreibvorgang erhoben. Zur Analyse der Schreibproduktion der DaF-Studierenden an
der Universität Kabul werden jeweils zwei ausgewählte Texte von drei Probanden
qualitativ analysiert, welche im Rahmen des dieser Arbeit zu Grunde liegenden
Schreibauftrags von den sechs DaF-Studierenden des dritten BA-Studienjahres (6.
Semester) geschrieben wurden. Dabei haben die Probanden zu demselben Thema zwei
Texte einmal in Deutsch als Fremdsprache, ein weiteres Mal in Dari als Muttersprache
mit mindestens einer Woche zeitlichem Abstand zur Kontrolle des Reihenfolge Effekts
verfasst (vgl. Abschnitt 5.1.5.1.). Als Grundlage für die Beschreibung der Textprodukte
von Probanden dienen das Textanalyseraster von Zürcher, das laut Auffassung von
Nussbaumer (1996) als ein Instrument zur Untersuchung der in einem Text verwendeten
5
sprachlichtextuellen Mittel fungiert, und TestDaF-Bewertungskriterien des schriftlichen
Ausdrucks (vgl. Abschnitt 5.2.2.). Damit können einerseits diese verfassten Lernertexte
als ein „Spiegel dahinterliegender Fähigkeiten“ (Nussbaumer: 1996, S.97) erfasst und
„moglichst umfassend und systematisch, explizit und reflektiert“ (Sieber: 1994, S.149)
eingeschätzt werden. Andererseits lässt sich daraus ableiten, wie die afghanischen DaF-
Studierenden mit der Herstellung eines Textes in ihrer Muttersprache wie auch in der
Fremdsprache Deutsch umgehen. In diesem Zusammenhang wurden aber auch die
subjektiven Theorien der Probanden zum Thema „Schreiben“ auf Basis der einzelnen
Leitfadeninterviews erhoben, die dann durch Erstellung eines Kategoriensystems
qualitativ ausgewertet wurden (vgl. Abschnitte 5.1.2., 5.2., 5.1.5.2. und zehn Kategorien
in den Abschnitten 5.2.1.1. bis 5.2.1.10.). Bei Bedarf wird während der Textanalyse der
Probanden auf die qualitative Inhaltsanalyse der durchgeführten Interviews Bezug
genommen. Hierfür dient das Leitfaden-Interview als qualitatives Verfahren, das
angelehnt an den bereits dargestellten Schreibauftrag, der direkt nach der Anfertigung
des Schreibauftrags durchgeführt wurde (vgl. Abschnitt 5.1.5.2.). Dabei wurden
subjektive Theorien der Probanden über ihre Erfahrungen und Erlebnisse im Umgang
mit dem Schreiben in der Fremdsprache Deutsch und in der Muttersprache Dari und
ihre daraus gewonnenen Einstellungen gegenüber der Schreibproduktion erfragt.
Demzufolge wurde in dieser Arbeit als qualitative Erhebungsmethodik vor allem das
Instrument der leitfadengestützten Einzelinterviews und zur Datenauswertung das
strukturierende inhaltsanalytische Verfahren nach Mayring (2008) eingesetzt. Die
Interviews als qualitatives Verfahren gestatten es dem Forscher auf Basis von
Antworten der Befragten, die Vorstellungen, Begründungen und ihre Umsetzung in der
Realität gemäß Labudde (2000, S. 323) „in moglichst vielen Facetten“ aufzudecken und
insbesondere zu analysieren. Durch Befragung nach subjektiven Theorien der
Probanden wird außerdem die mentale Dimension des Schreibens betrachtet und
aufschlussreiche Erkenntnisse zu ihren Schreibvorgang sowohl in der Muttersprache als
auch in der Fremdsprache Deutsch gesammelt, auf die bei Bedarf in den
Textbeschreibungen und Überlegungen zurückgegriffen wird. Dadurch wird den DaF-
Studierenden ebenfalls Recht und Gelegenheit gegeben, selbst über ihre Erfahrungen,
Schwierigkeiten, Möglichkeiten und Vorgehensweisen im Umgang mit dem Schreiben
sowohl in der Muttersprache, als auch in der Fremdsprache zu reflektieren, um
abschließend diese der Vermittlung von Schreibkompetenz im DaF-Unterricht zu
verwenden. Darüber hinaus zeigt die Analyse schriftlicher Leistungen von zehn
afghanischen DaF-Studierenden der Universität Kabul, die sie im Prüfungsteil
6
„Schriftlicher Ausdruck“ der Prüfung TestDaF im September 2014 im TestDaF-
Zentrum an der Universität Kabul produziert haben, ein objektives und zuverlässiges
Bild bezüglich ihrer Sprach- bzw. Schreibentwicklungsstände, um abschließend
praktische Konsequenzen für die Vorberietung auf die Prüfung TestDaF im Fachbereich
Deutsch als Fremdsprachenunterricht in Kabul zu formulieren.
Unter dieser Betrachtung ist die vorliegende Arbeit als eine vorwiegend qualitative
Untersuchung im Rahmen eines interview- bzw. textbezogenen Ansatzes mit der Frage
nach den Besonderheiten bzw. Schwierigkeiten der Schreibproduktionen afghanischer
DaF-Studierende unter besonderer Betrachtung ihrer Schreibentwicklung in der
Muttersprache Dari und ihrer Schreibförderung im Fremdsprachenunterricht Deutsch im
DaF-Bereich an der Universität Kabul anzusehen. Sie versteht sich somit als
„systematische Erfassung und Deutung sozialer Erscheinungen“ (Atteslander: 2000, S.
5) und bedient sich deshalb den Methoden der empirischen Sozialforschung.
1.2. Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Arbeit wird in eine hinführende Einleitung und in fünf inhaltliche
Kapitel (2., 3., 4., 5., 6.) gegliedert sein. Das Fazit (7.) versucht die aufgeworfenen
Fragen und inhaltlichen Diskussionen in eine tragfähige Zukunftsperspektive münden
zu lassen. Die ersten Schritte dieser Arbeit befassen sich in den hinführenden Kapiteln
im Theorieteil ausführlich mit dem Thema „Schreiben“ sowohl in der Muttersprache
Dari als auch in der Fremdsprache Deutsch. Dabei dienen die Kapitel 2., 3., und 4. der
Situationsbeschreibung der Förderung des Schreibens im Allgemeinen in Afghanistan
und dann im Besonderen in der Deutschabteilung der Universität Kabul. Insgesamt
sollte in diesen drei Kapiteln kulturelle und bildungspolitische Bedingungen des
Schreibens in Afghanistan, die geschichtliche Entwicklung des Deutschunterrichts in
Afghanistan und die Entwicklung von Schreibkompetenz im DaF-Unterricht an der
Universität Kabul thematisiert werden. Damit sollen theoretisch-praktische
Grundkenntnisse über den Einsatzort des DaF-Unterrichts in einem nicht
deutschsprachigen Raum wie Afghanistan verschafft werden. Aus diesen Betrachtungen
heraus soll der heutige Bedarf der systematischen und grundlegenden Schreibförderung
im afghanischen Bildungssystem, der im Zeitalter des Computers, wachsender
studentischen Mobilität und globaler schriftlichen Kommunikation per E-Mail in der
7
Gesellschaft zustande gekommen ist, erhellt und aufgedeckt werden. Das heißt, es soll
zunächst im Theorieteil untersucht werden, wie das Schreiben in der afghanischen
Realität gefordert bzw. gefördert wird, denn die Entwicklung der Kompetenz zum
Schreiben unterscheidet sich stark in Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren wie z.
B. dem gesellschaftlichen Bereich und den dort zu lösenden Schreibaufgaben. Des
Weiteren werden im praktischen Teil der Arbeit durch die empirisch fundierte Analyse
der Textprodukte von afghanischen DaF-Studierenden an der Universität Kabul und
ihrer Erklärungen zum Thema Schreibproduktion objektive Erkenntnisse und
Ergebnisse über ihre Sprach- und Schreibkompetenz formuliert. Hierfür werden in
Kapitel 5 in Bezug auf das Anliegen der vorliegenden Arbeit die subjektiven Theorien
der afghanischen DaF-Studierenden als handelnde Subjekte im Umgang mit dem
Thema Schreibproduktion anhand qualitativer Inhaltsanalyse ihrer Äußerungen in
Leitfadeninterviews dargestellt und im Anschluss daran ihre für diese Arbeit verfassten
Schreibaufträge analysiert und im Hinblick auf die gewonnenen Befunde einige
praktische Konsequenzen zur Verbesserung der Entwicklung von der Schreibkompetenz
im DaF-Bereich an der Universität Kabul formuliert. Zusammenfassend wird innerhalb
dieses empirisch qualitativen Teils außer den exemplarischen Analysen der
Schreibaufträge von den beteiligten Probanden auch nach ihren eigenen individuellen
Meinungen zu ihren Schreibprodukten gefragt, indem sie nach der Anfertigung ihrer
Schreibaufträge am Leitfadeninterview teilnehmen, wobei sie aufgefordert werden, ihr
Schreibprodukt bzw. Schreibvorgehen zu reflektieren und zu evaluieren, denn für
subjektive Theorien geht es vor allem darum, verschiedene Erfahrungen, Einstellungen
und Überzeugungen zusammenzuhängen und sich die „eigenen Gedanken, Gefühlen
und Routinen“ (Wahl: 2002, S. 16) bewusst zu machen bzw. sich mit diesen
auseinanderzusetzen. Überdies wird in diesem Kapitel auch auf die Erhebungs-
instrumente, deren Durchführung und Analysevorgang ausführlich eingegangen. Das
Kapitel 6 setzt sich in erster Linie mit den schriftlichen Leistungen von zehn
afghanischen TestDaF-Teilnehmenden auseinander, um in der Folge gezielte
Maßnahmen im Kontext der Prüfung Test-DaF im Bereich DaF an der Universität
Kabul zu ergreifen. Am Ende enthält das Fazit im Kapitel 7 abschließend wesentliche
Schlussfolgerungen der gesamten vorliegenden Arbeit und einige didaktische
Perspektiven, deren Erfüllung in Zukunft einen positiven Beitrag zur Verbesserung des
Unterrichts Deutsch als Fremdsprache (DaF) in Kabul und insbesondere im Bereich
Schreiben leisten kann.
8
2. Kulturelle und bildungspolitische Bedingungen des
Schreibens in Afghanistan
2.1. Zum Begriff „Schreiben“ im Allgemeinen
Der Begriff „Schreiben“ kann nicht einheitlich bzw. endgültig definiert werden. Denn
Schreiben wird je nach Betrachtungsperspektive und Erkenntnis leitendem Interesse
unterschiedlich festgelegt. Selbst dort, wo man sich nur mit dem Begriff des Schreibens
näher auseinandersetzen will, verwundert es also nicht, wenn es problematisch und
vielschichtig wird, denn in Abhängigkeit von Kontext und Zielsetzung wird Schreiben
differenziert wahrgenommen wie z. B. Schreiben als schriftlicher Ausdruck, als Schrift-
kenntnis, als Rechtschreibnug, als Möglichkeit etwas zu fixieren, als Möglichkeit sich
selbst Ausdruck zu verleihen und als Merkhilfe (vgl. Bohn: 2001, S. 921). Diese
Ansicht wird auch von Ludwig vertreten, indem er feststellt, dass „[...] es also keinen
Begriff von Schreiben gibt, der alle Vorstellungen, Auffassungen und Praxen von
Schreiben, die im Verlauf der Geschichte zutage getreten oder überhaupt möglich sind,
erfassen könnte. Was Schreiben ist, lässt sich vielmehr nur in einer Theorie des
Schreibens selbst bestimmen“ (Ludwig: 1995, S. 275). Eins ist aber bei allen eindeutig,
dass Schreiben als äußerst komplexe menschliche Handlung gilt. Im Folgenden wird auf
ein paar Definitionen eingegangen, um zu erkennen, dass sie unterschiedlich sind aber
ihnen eines wie vorhin schon erwähnt gemeinsam ist:
„Das Schreiben zählt zu den großen Leistungen des menschlichen Geistes, in
denen sich seine Freiheit ausdrückt. [...]. Es ist eine Quelle der Freude, ein Weg,
auf dem es Vieles zu entdecken gibt. [...]“ (Stafford: 1977).
„Schreiben im engeren Sinne bedeutet die materielle Erstellung verbindlicher
Zeichen durch physikalische Bewegung“ (Kinkel: 2010, S. 4).
Schreiben als ein System grafischer Zeichen benutzt man als Kommunikations-
und Dokumentationsmittel, das sprachliche Mitteilungen aus der Hörbarkeit in
die Schriftbarkeit umsetzt und dauernd verfügbar machen kann (vgl. Dtv-
Brockhaus-Lexion: 1988, S. 190).
Schreiben ist eine komplexe Tätigkeit, die vom Schreiber viel erfordert. Er soll
nicht nur die Ausdrucks- und Inhaltsseite der Sprache, die geschrieben wird,
beherrschen, sondern auch die Schreibregeln der Sprache kennen (vgl. Glück:
1988, S. 25ff).
9
Laut Ludwig ist Schreiben ein Prozess des Niederlegens von Sprache, der durch
das Produkt bestimmt wird und dessen Produkt -Text- Sinn und Zusammenhang
aufweist (vgl. Ludwig: 1983, S. 4).
Diese Zitate verdeutlichen das Spannungsverhältnis zwischen hohen Ansprüchen an das
Schreiben als Kommunikations- und Dokumentationsmittel der Menschen und
andererseits die Erkenntnisse, dass es sich beim Schreiben nicht nur um eine reine
Technik handelt. Damit ist nicht das Fixieren und Niederlegen des Gesprochenen oder
Gedachten gemeint, sondern eine komplexe Handlung, in der hohe und abstrakte
Anforderungen an Schreiber gestellt werden und an der verschiedene, aufeinander
abgestimmte Tätigkeiten und Fertigkeiten/Fähigkeiten beteiligt sind. Um die
Vorstellung dieser Arbeit hinsichtlich der soeben dargestellten alternativen Blickwinkel
möglichst deutlich zu machen, wird noch auf eine Definition hingewiesen, die im
Vergleich zu den obigen diversen Betrachtungsweisen vollständiger und zudem sie in
Bezug auf das Thema dieser Arbeit am zielführendsten ist. Sie umfasst alle Teilaspekte,
die Schreibkompetenzen ausmachen, deren Entwicklung beeinflussen und
beeinträchtigen können. Sie lautet wie folgt: „Schreiben ist -vorerst allgemein gefasst-
eine Tätigkeit, die Bewusstseinsinhalte grafisch fixiert, in aller Regel der Mitteilung an
einen Leser dient, einem schriftsprachlichen Generierungsprozess unterliegt und als eine
individuelle Fähigkeit/Fertigkeit einem Entwicklungsprozess unterworfen ist“ (Bohn:
2001, S. 921). Im Weiteren wird genauer auf die im Zitat genannten Facetten wie z. B.
Adressatenorientierung beim Schreiben, Schreibkompetenz und –prozess eingegangen.
Bevor es dazu kommt, müssen nun noch einige Punkte hinsichtlich der Definition,
Funktion und Bedeutung des Schreibens in Afghanistan beleuchtet werden, da die
Entwicklung und Evaluierung von Schreibkompetenz im DaF-Unterricht an der
Universität Kabul das Anliegen dieser Arbeit ist.
2.2. Stellenwert und Funktion des Schreibens in Afghanistan
„Jeder Mensch wird in eine bestimmte geschichtliche Situation hineingeboren, damit
auch in eine sprachliche. Die Sprache als geschichtlich-kulturelles Phänomen ist damit
einerseits individuell, andererseits ist Sprache im Sinne einer angeborenen
Sprachdisposition immer auch allgemein“ (Enders: 2007, S. 32). Dementsprechend vor
der Frage der Definition und Funktion des Schreibens in Afghanistan stellt sich die nach
10
der Lebenswirklichkeit in Afghanistan, denn die Wirklichkeit sei laut Bergson (1993)
die Entwicklung und somit werde die Geschichte des Menschen Marx (1978) zufolge
nicht frei von diesem Selbst gemacht, sondern unter dem Druck der Tradition (vgl.
Kinkel: 2010, S. 5).
Obwohl Afghanistan in diesem Zeitalter oft als Land und eine Nation mit einer neuen
Geschichte wahrgenommen wird, gilt aber das Land gemäß der alten Geschichten als
einer der ältesten Länder der Welt. Die Geschichte der Kultur und Literatur in
Afghanistan lässt sich bis in das Altertum zurückverfolgen. Einige dari- bzw.
persischsprachigen Dichter und Schriftsteller sind nicht nur innerhalb der Grenzen der
Dari- persichsprachigen Ländern (Afghanistan, Iran und Tadschikistan) bekannt,
sondern auch weltberühmt wie z. B. Hafis, Saadi, Maulawi und Ferdausi (vgl.
Mehdizadeh Kabuli, Ariana Enzyklopädie, übers. durch die Verfasserin). Durch
Invasion, Bürgerkrieg und die Bildungs- und Kulturfeindlichkeit der Taliban wurde
jedoch das Leben bzw. Kulturleben Afghanistans schwer in Mitleidenschaft gezogen.
Medien zu Folge ist immer noch die Sicherheitslage in vielen Teilen des Landes instabil
und regierungsfeindliche Kräfte immer noch handlungsfähig. Die Analphabetenrate
liegt in Afghanistan bei etwa 69%, wobei andere Quellen von bis zu 80% ausgehen. Vor
diesem Hintergrund lässt sich feststellen, dass Afghanistan als ein Sorgen- bzw.
Entwicklungsland gilt und somit nicht mit den globalen Gesellschaften des 21.
Jahrhunderts vergleichbar ist. Afghanische Gesellschaft bewegt sich in ihrem eigenen
Rhythmus, der langsam und unsicher ist. Aus den vorangegangenen Ausführungen
dürfte deutlich werden, dass Afghanistan hinsichtlich des Schreibens als nicht
schriftbasierte Gesellschaft gilt, in der eine direkte und mündliche Zusage oder Absage
einen viel höheren Stellenwert hat als eine Schriftliche, weil das gesprochene Wort in
vielen Alltagssituationen mehr als das Geschriebene zählt. Während Industrieländer, die
„Schriftsprachenländer“ sind und dort ohne lesen und schreiben zu können, eine
Teilhabe am öffentlischen Leben sehr schwierig ist (vgl. Balle/Damm: 2008, S. 66f.),
schreibt man in Afghanistan nicht, sondern eher um- bzw. abschreibt oder lässt man
sich von anderen schreiben.
Um sich in der vorliegenden Arbeit aus inhaltlichen Gründen näher mit der Definition,
Funktion bzw. Stellenwert des Schreibens in Afghanistan auseinanderzusetzen, wurde
lange aber wenig erfolgreich nach Literatur und Nachschlagewerken gesucht. Dieser
Literaturmangel macht mehr oder weniger schon darauf aufmerksam, dass Schreiben in
Afghanistan wenig an Bedeutung gewinnt. Es wurde daher anhand von Einzelinterviews
11
mit achtzehn Informanten die oben genannten Punkte thematisiert. Die befragten
Personen sind größtenteils Lehrende, die an Schulen bzw. Hochschulen der Hauptstadt
Kabul in den verschiedenen Fachrichtungen wie z. B. Philosophie, Soziologie, Politik-
wissenschaft, Islamisches Recht und Sprache und Literatur unterrichten. Es gibt aber
auch Interviewte, die als Forscher und Autoren an der Academy of Science of
Afghanistan (Afghanische Akademie der Wissenschaften) tätig sind. Die
aufgenommenen Interviews wurden zunächst in die schriftliche Form gebracht, um bei
Bedarf auf dieses Datenmaterial, d. h. transkribierte Interviews zurückzukommen.
Dabei wird dies durch die Verfasserin dem Inhalt entsprechend von Dari ins Deutsch
übersetzt. Im Interview wurden vor allem drei Fragen gestellt:
1. Was meinen Sie über das Schreiben?
1.1.Warum, was und wann schreiben Sie im Alltagsleben?
2. Wie schätzen Sie persönlich den Stellenwert des Schreibens in unserer heutigen
Gesellschaft ein?
3. Wie denken Sie, sollte man heute an den Schulen „Schreiben“ lernen? und
warum?
Welche Vorstellung zum Schreiben in Afghanistan entwickelt ist, ist zum Teil bei allen
achtzehn Befragten eindeutig, indem sie die folgende Aussage am meistens zum
Ausdruck gebracht haben: Schreiben zum Zweck der Weitergabe von Informationen, d.
h. laut Ludwig (1982) „transferierendes Schreiben“. Wenn nach Schreibtätigkeiten
gefragt wurde, dann bezogen sich diese außerdem meistens auf das Schreiben im
beruflichen Kontext und Schreiben für die Öffenlichkeit. Eine private Form des
Schreibens als überfachliche und allgemeine Tätigkeit existiert nur selten. Von achtzehn
Befragten haben nur drei Personen auf die Frage nach Schreiben im Alltagsleben
geantwortet, dass sie außer Schreiben im Beruf auch Tagebuch oder Merkzettel
schreiben. Dies könnte damit zusammenhängen, dass in Afghanistan Handlungen wie z.
B. Notizen machen, Emailschreiben, SMSschreiben nicht als „Schreibtätigkeit“
wahrgenommen werden. Zudem ist es auffällig, dass man in Afghanistan zwischen
handschriftlichem Schreiben und Schreiben auf dem Computer bzw. mit einem
elektronischen Schreibgerät ausdrücklich unterscheidet. Die meisten Befragten waren
der Meidnung, dass man erst vom Schreiben redet, wenn etwas mit dem Kugelschreiber
auf das Papier gebracht wird. Deshalb sahen einige Befragte die zunehmenden
wirtschaftlichen und technischen Expansionen wie Smartphone und Lap top in
12
Afghanistan als eine Bedrohung an und warnen schon jetzt vor Schriftverlust, allerdings
ist damit das Schreiben aus afghanischer Perspektive gemeint.
Abschließend lässt sich in Anlehnung an die bereits erwähnten Interviews mit achtzehn
afghanischen Informanten zusammenfassen, dass es außer obigen Vorstellungen im
Bezug auf das Schreiben die folgenden Gesichtpunkte bei fast allen Befragten
repräsentativ waren:
Die dreißig Jahre andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen in
Afghanistan werden als hauptsächlicher Störfaktor und als Grund für die
schleppende Entwicklung in allen Lebensbereichen angesehen.
Zum Schreiben bedarf es einer gewissen Konzentration und Motivation, die
durch die Lebensumstände in Afghanistan für die meisten Personen nicht
gegeben sind.
Schreibkonventionen und Normen verschiedener Textsorten, wenn es diese
überhaupt gibt, werden oft nicht beachtet.
In Afghanistan mangelt es an einer Lesekultur. Schreiben und Lesen bedingen
sich oft gegenseitig, wobei Lesen als die Basis für das Schreiben betrachtet wird.
Eine Hauptursache für die Schreibunfähigkeit bei Afghanen wird in dem
Bildungssystem gesehen, das die grundlegenden Kenntnisse in der Schule nicht
vermittelt.
Um diese Probleme näher zu beleuchten, sollten im Folgenden zuerst Bildungswesen,
die Schule und die Einstellung zum Schreiben an den afghanischen Schulen allgemein
dargestellt werden.
2.2.1. Bildung in Afghanistan gestern und heute
In diesem Abschnitt wird in Anlehnung an Omar Sayami (2007) und Dr. Mir
Hafizuddin Sadri (2003) einen Überblick über Bildungsgeschichte in Afghansitan
gegeben.
Bevor ein modernes Bildungswesen in Afghanistan eingeführt wurde, waren Erziehung
und Bildung der Kinder die Aufgabe der Familie. Die Familie hat den Kindern ihr
Wissen durch Geschichten, Lieder und Gedichte weitergegeben. Die Jungen wurden mit
13
ungefähr sechs Jahren zur Moschee geschickt, damit sie durch den Koran oder anhand
von literarischen Gedichten und Erzählungen Lesen und Schreiben lernen. Schon
damals ließ sich beobachten, dass viele Mädchen und Frauen das Recht auf Bildung
verwehrt wurde.
Die erste säkulare Schule nach westlichem Vorbild eröffnete während der Regierungs-
zeit von Amir Habibullah Khan im Jahre 1904, um ein modernes Bildungswesen zu
etablieren. Dieses Ziel wurde dann weiter von seinem Sohn Amir Amanullah Khan
(1919 bis 1929) vorangetrieben. Er leitete eine Serie von Bemühungen um soziale und
politische Modernisierung in die Wege. Im Bereich der Bildung sind besonders die
Gründung des Kultusministeriums, Übersetzung von westlichen Lehrmaterialien, enge
kulturelle Beziehungen mit Staaten wie Deutschland und Frankreich, Gründung der
weiterführenden Schulen wie Lycées und Highschools erwähnenswert. 1924 wurde
Amani-Oberrealschule in Kabul gegründet, an der Deutsch als Fremdsprache ab der
Oberstufe als Hauptfach im Stundenplan war. In dieser Zeit galt Aus- und Aufbau der
Schulen beim Staat als eine seiner wichtigsten Aufgaben, dementsprechend gründete
man zahlreiche neue Schularten neben Grund- und Oberschulen auch Fach- und
Berufschulen, z. B. für Technik und Landwirtschaft. Darüber hinaus hatten viele
Schüler die Möglichkeit im Ausland weiterzustudieren; Mädchen konnten in der Türkei
studieren und Jungen in Deutschland, Frankreich oder in der Sowjetunion. Diese gut
ausgebildeten Afghanen bildeten später die Basis für den Ausbau und die Entwicklung
der Bildung im Land und die Schlüsselpositionen waren oft durch sie besetzt. Menschen
aus einfachen Verhältnissen wie Bauern und religiöse Würdenträger waren jedoch mit
dieser Entwicklung nicht einverstanden. Sie sahen ihre Kinder bevorzugt auf dem Feld
oder im Haus, als sie zu sekulären Schulen zu schicken. Konsequenterweise polarisierte
und radikalisierte sich in der Folge das Land Afghanistan.
In den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts erlebte das schulische Bildungs-
system unter König Zahir Shah den Höhepunkt seiner Entwicklug. Die
Bildungssituation in den siebziger und achtziger Jahren in den Großstädten wie Kabul
und Herat gilt immer noch als einmalig für Afghanistan. Auch damals erlaubte die
konservative Familienstruktur ihren Kindern besonders den Mädchen nicht, eine
formale Ausbildung zu erhalten. 1973 machte Mohammed Daud Khan mit Hilfe der
Sowjetunion einen Putsch. Folglich verließen Intellektuelle und Fachkräfte das Land
und Sozialstrukturen lösten sich auf. Während der Sowjetbesatzungszeit 1979 bis 1989
14
versuchten sowjetische Lehrer in Afghanistan ihre kommunistische Ideologie zu
verbreiten, ihre Lehrpläne durchzusetzten und Russisch als Pflichtsprache einzuführten.
Da die traditionell konservative afghanische Familie dieser Entwicklung ablehnend
gegenüber standen, waren nach dem Abzug der Sowjetunion eine massive Abnahme der
Einschulungszahlen im Vergleich zu den Vorkriegsjahren zu erkennen. Zudem waren es
ca. 2000 Schulen zerstört. Viele Lehrer und andere Intellektuelle sind in großen Zahlen,
zuerst vor der sozialistischen Staatsidee und dessen Regime, später dann vor den
Grausamkeiten im Bürgerkrieg zwischen Mudschaheddin (Arab. f. Gotteskrieger, urspr.
muslimischer Freiheitskämpfer) und den Taliban (Dari f. Koranschüler) geflohen,
hingerichtet oder kamen ins Gefängnis.
Seit 1980 wurden zahlreiche Schulen für afghanische Flüchtlingskinder in Pakistan und
Baluchistan gegründet. Unterstützer des afghanischen Widerstandes schickten ihre
Kinder zu diesen Schulen, damit sie nach der islamischen Ideologie ausgebildet werden
und somit wurde Bildung nach wie vor für politische Interessen missbraucht. Des
Weiteren hat sich die Taliban-Bewegung in den frühen Neunzigern aus diesen
islamische Schulen oder madrassas (Koranschulen) entwickelt. Einen bedeutenden
Einfluss auf die Bildung haben seit der Herrschaft der Taliban (1994 bis 2001) die
Koranschulen gewonnen, die nur Jungen unterrichten, was für Mädchen praktisch den
Ausschluss von jeglicher Bildung bedeutete. Die Taliban waren absolut gegen säkulare
Bildung und selber nicht gut ausgebildet vor allem erzogen in nur männlich dominierten
madrassas Pakistans oder Afghanistans, in der das Lernen reduziert war auf das rein
mechanische Wiederholen des Korans. Unter Taliban-Leitung wurden viele Schulen zu
madrassas und das religiöse Studium und somit beeinflusste noch stärker den Lehrplan.
Außerdem war es den Frauen verboten, als Lehrerinnen zu arbeiten. Dies Verbot hatte
einen gewaltigen Einfluss auf die Ausbildung, weil ein großer Teil der Lehrkräfte
Frauen waren. Die Klassengrößen der Jungen stiegen bis auf 200 Teilnehmer und die
Schüler lernten faktisch nichts.
Nach dem Sturz des Talibanregimes stieg das Bedürfnis nach Bildung sprunghaft an.
Während der Kriegsjahre in Afghanistan wurden drei Viertel aller Schulen zerstört oder
schwer beschädigt. Etwa 7.500 Schulgebäude müssen in den nächsten Jahren wieder
aufgebaut werden. Viele Lehrer arbeiten im Schichtbetrieb, um möglichst vielen
Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen. Mindestens 40.000 Lehrer fehlen. Das
afghanische Curriculum ist nicht nur unterentwickelt und unübersichtlich, sondern auch
15
weitgehend uneinheitlich. Das Bildungsniveau ist im Vergleich zum internationalen
Maßstab zu niedrig. Trotz der vielen internationalen Hilfen fehlen es die für Erziehung
und Bildung notwendigen finanziellen und materiellen Mittel. Schwierigkeiten
bezüglich der Lehrpersonals, Schulgebäuden, Schulbüchern und Schulmobiliar sind
zahlreich und machen das Lernen schwer. Die Rückkehr der Flüchtlinge verstärkt diese
Situation zusätzlich, d. h. sie stellt eine immense Herausforderung für den noch fragilen
Staat Afghanistan dar.
Unter obiger Betrachtung ist der Bildungsstandard im heutigen Afghanistan sehr gering,
doch ist dies nicht wie oben geschildert kulturell bedingt. An dieser Stelle darf nicht
vergessen werden, dass seit über zehn Jahren große Anstrengungen zum Ausbau des
Bildungssektors unternommen werden und sichtbare Fortschritte besonders im Bereich
Schulbildung festzustellen sind. Laut Angaben des Auswärtigen Amts (Stand:
25.01.2013) hat sich die Schülerzahl seit dem Sturz der Taliban auf ca. 7,2 Mio. (2010)
verfünffacht. Heute gehen rund zwei Drittel der Jungen und die Hälfte der Mädchen in
Afghanistan zur Schule. Trotz allem wird gemäß dem Motto Qualität vs. Quantität
Bildung für eine lange Zeit eine große Herausforderung für das Land Afghanistan sein.
2.2.2. Was bedeutet Schule in Afghanistan?
In Afghanistan müssen zwar alle Kinder nach dem Gesetz die kostenfreie Grundschule
im Alter zwischen 7. bis 13 Jahren besuchen, aber diese Schulpflicht scheitert an der
harten Lebensrealität von Afghanistan. Die meisten Kinder gehen nur wenige Jahre oder
gar nicht in die Schule und stattdessen, versuchen das Einkommen der Familie durch
Arbeit aufzubessern. Das Schulsystem ist folgenderweise geregelt: Grundschule: 1. bis
6. Klasse, Mittelschule: 7. bis 9. Klasse und Oberschule: 10. bis 12. Klasse. Mit dem
erfolgreichen Abschlusszeugnis der 12. Klasse und dem Bestehen der
Aufnahmeprüfung (Konkur) erhält man einen Studienplatz an der Universität (vgl.
Sayami, 2007).
Schule in Afghanistan wird meistens verbunden mit: sich entschuldigen bei der
Verspätung, ständig um Noten sorgen und für die Prüfung lernen. Jede
Unterrichtsklasse umfasst mindestens 40 Teilnehmer und jede Unterrichtstunde dauert
normalerweise 45 Minuten. Jeden Tag werden in der Regel 6 Schulfächer unterrichtet.
16
Dabei bedeutet eine Unterrichtsstunde still sein, den Lehrer anzuschauen und so zu tun,
als würde man zuhören und alles verstehen. Die Lehrkraft hat immer noch eine
dominante Rolle. Auf die persönlichen Interesse und Bedürfnisse der Schüler werden
im Unterricht sehr wenig eingegangen, da der Unterricht eher lehrer- und
lehrbuchzentriert ist. In fast allen Klassenstufen ist dies oft der Gang der Dinge. In der
Grundstufe lernen Kinder Lesen, Schreiben und Rechnen, indem sie viel vor- bzw.
nachlesen, nach-/abschreiben, Diktate schreiben und viel Rechnenaufgaben lösen.
Spätestens in den Mittel- und Oberstufen beginnt es mit der Geschichte, Geographie
und islamische Kultur. Die naturwissenschaftlichen Fächer wie Physik, Chemie und
Biologie werden zum Teil theoretisch und formal unterrichtet, indem es dabei oft keine
Experimente, kein Labor oder Projekte gibt. Darüber hinaus werden die kritischen
Auseinandersetzungen und Diskutionen an politischen Positionen oder an
wissenschaftlichen Theorien wie z. B. im Geschichte- und Kulturunterricht ziemlich
selten ausgeübt, vielmehr werden rein subjektive Meinungen gebildet, für die die Person
sich die Argumente aussuchen soll, die gerade am besten passen.
Diese Darstellungen lassen sich von Omar Sayami (2007); der Art Director von
SPIEGEL ONLINE bestätigen, indem er schreibt: „Der Unterricht läuft meist so ab,
dass der Lehrer vorne etwas anschreibt und die Schüler es nachsprechen. Der Lerneffekt
ist gering. Außerdem hatten viele Lehrer 20 Jahre lang keine Fortbildung“. Hierbei stellt
sich die Frage, wie man von den Lehrenden, die monatlich gegen 10000 Afghani (ca.
150 Euro) als Gehalt verdienen und deswegen gezwungen sind, um das Überleben ihrer
Familie zu sichern, einer anderen Arbeit als Nebenjob nachzugehen, große Kreativität,
Entspannung und Geduld für die Planung eines guten Unterrichts erwarten kann.
Diesbezüglich erklärt Omar Sayami weiter: „[...], und die besten unter ihnen [Lehrende]
wurden von den Hilfsorganisationen abgeworben. Ich habe Professoren getroffen, die
lieber Fahrer für die UNO waren, als in ihrem Beruf zu arbeiten“. Im Vergleich zu
einem afghanischen Lehrer mit rund 150 Euro im Monat zahlen die Hilfsorganisationen
ihren Mitarbeitern mehr als das Zehnfache. Das Gehalt der Lehrkräfte ist nicht die
einzige problematische Seite am Schulsystem in Afghanistan, sondern gibt es zahlreiche
grundlegende Probleme, auf die schon oben eingegangen wurde, die direkt oder indirekt
bei der Qualifikation und Leistung aller Lehrende und Lernende eine negative und
seltsamerweise auch eine positiv Rolle spielen.
17
2.2.3. Überblick über den Erwerb von Schreibkompetenz an den afghanischen
Schulen
Laut Eshraqi (2012, S. 2 f. übers. durch die Verfasserin) „sieht man in Afghanistan in
den letzten zehn Jahren enorme Fortschritte im Bereich Politik, Wirtschaft und
Regierungsordnung. Im Gegensatz dazu gewinnt Bildung, Studium und dazugehörige
Ministerien an die geringste Aufmerksamkeit und Bedeutung, sodass alles beim Alten
geblieben ist“. Im Bezug auf das Schreiben erklärt er weiter: „Diejenigen, die im
Bildungsministerium verantwörtlich für die Erstellung des Lehrplanes und der
Lehrbücher sind, haben oft null Ahnung davon und bestehen darauf, dass man das
Schreiben an der Schule lernt, indem man einen kurzen Text nach der Vorlage schreibt
oder indem man eine mindestens zehnzeilige Gedichtinterpretation oder einen Aufsatz
verfasst. Ihnen ist sicherlich nicht klar, dass Schreiben nicht auf Basis von manchen
theoretischen Empfehlungen und Befehlen gelernt werden kann“ (vgl. ebd.).
In den schon oben im Abschnitt 2.2. beschriebenen Interviews, die hinsichtlich der
vorliegenden Arbeit mit achtzehn Informanten durchgeführt wurden, waren sich fast
alle Befragten darin einig, dass Schreiben an den Schulen deutlich vernachlässigt wird.
Auf die Frage; sollte man heute an den Schulen Schreiben lernen? und warum?
Antwortete Farmand, der Mitglied von Academy of Science of Afghanistan in der
Sprachabteilung Dari und Forscher ist: „Schreiben sollte wieder im Bildungssystem
einen Sinn gewinnen. Das sollte nicht nur symbolisch auf dem Curriculum stehen,
sondern brauchen wir dazu ein richtiges Konzept. Je nach Schuljahren und Niveaus
kann man bestimmten Inhalt und Lernstoffe planen. Das wird vieles Positives bringen.
Wenn man schreibfähig ist, kann sich aktiv und produktiv an der
Informationsgesellschaft beteiligen“ (Farmand, Interview 6 übers. durch die
Verfasserin). In diesem Zusammenhang erläutert Frau Laila, die im Bildungsminterium
tätig ist: „Es gibt bei uns keine klare Definition bzw. Vorstellung von der
Schreibfunktion. An den Schulen wird Schreiben als ein Mittel betrachtet, um andere
Schulaufgaben wie Grammatik und Mathematik zu erledigen. Man lernt an den Schulen
schreiben, indem man ein Wort, einen Satz oder einen Text mehrmals abschreibt. Dabei
denkt man nicht darüber nach, wie man schreibt, wie einen Satz gebildet wird, wie
kommt man von den Wörtern und Sätzen zum Text, sondern ist man nur bestrebt, die
Schreibaufgabe anzufertigen. So lernt man mehr Abschreiben und Rechtschreiben.
Warum und wie man schreibt, wird kaum im Unterricht behandelt“ (Laila, Interview 13
übers. durch die Verfasserin). Frau Fariba, Dozentin in der Dariabteilung an der
18
Universität Kabul äußert sich zum Thema Schreiben an den Schulen folgendermaßen:
„In den Schuljahren lernt man zwar Schreiben aber nicht planmäßig als ein
selbstständiges Schulfach sondern beiläufig neben anderen Fächern wie Lesen und
Diktat. Lesen wird schon als ein Schulfach bei uns unterrichtet aber haben wir keine
richtige Schreibstunde. In den Anfangsjahren der Schule wird nur darauf geachtet und
betont, dass man schön und richtig schreibt, indem man mehrmals eine Vorlage
nachschreibt“ (Fariba, Interview 5 übers. durch die Verfasserin).
Dr. Hashemi, der früher Mitglied der Academy of Science of Afghanistan war und nun
als Dozent und Leiter der politikwissenschaftlichen Fakultät der Privatuniversität
Mashal arbeitet, verweist im Bezug auf Schreiben und Schreibmängel in Afghanistan
auf zwei Punkten, die bei anderen Befragten nicht zum Ausdruck gebracht wurden, wie
folgt, Schreiben muss als ein Schulfach ordentlich und gründlich unterrichtet werden.
Ich kann Ihnen lebendige Beispiele von schriftlichen Aufgaben meiner Studenten
zeigen. Dann werden Sie sehen, was für primitive Fehler sie beim Schreiben begehen.
Dies alleine zeigt, dass die Schüler kein richtiges Schreiben in der Schulzeit lernen.
Wenn ich es mit einer solchen Lerngruppe in der Universität zu tun bekomme, dann
kann ich bestimmt nicht auf sie hohe Ansprüche setzen. Keiner übernimmt sich die
Verantwortung für die Verbesserung dieser Situation. Eigentlich ist es nicht gesetzlich
klar bestimmt, wer oder welche Behörde dafür zuständig sind. In diesem
Zusammenhang kommt noch ein wichtiger Punkt ins Spiel: diejenigen, die von anderen
Ländern wieder heimgekehrt sind, sind stark von der Bildung und Erziehung solcher
Ländern beeinflusst. Aus diesem Grund schreiben sie auch so, wie sie in den jeweiligen
Ländern gelernt haben. Das bringt auch eine Vielfältigkeit bzw. Verwirrung bei
Schreibweisen in Afghanistan. Übrigens bilden wir keine Entsprechung für neue
Gegenstände und Phänomene, die folglich der Entwicklung und Fortschritte der
Weltgesellschaft zustande gekommen sind. Diese werden direkt aus anderen Sprachen
geliehen. Und umgekehrt werden nach und nach die Dari-Wörter in Vergessenheit
geraten. Leider wird fast alles in Afghanistan durch politische Brille/Interesse gesehen,
beurteilt und entschieden. Da wir in Afghanistan zwei Landessprachen Dari und
Paschtu haben, könnten wir uns nicht für ein einheitliches Schreibmuster einigen. Das
kann auch als ein Grund für solche Spaltung im Bezug auf das Schreiben in Betracht
gezogen werden (vgl. Hashemi, Interview 9 übers. durch die Verfasserin).
Aus diesen Ausführungen lässt sich nebenbei vermeintlich aufklären, warum Schreiber,
die das Schreiben der Briefe als Hauptberuf und Verdienquelle haben, den
19
Schriftverkehr nicht nur für Analphabeten, sondern auch für Gebildeten in Afghanistan
erledigen. Bei Redaktion NEOPresse - am 03. Okt. 2014 – erfährt man über Schreiber
in Afghanistan, die dank derzeitigen Situation Geschäft machen. Laut diesem Bericht
machen die Schreiber nur am Freitag, der für Muslime heiligen Tag und kein Arbeittag
ist, eine Pause. Ansonsten sitzen sie gemeinsam mit anderen Kollegen vor dem
Gebäude der jeweiligen Behörden und Ministerien unter einem Sonnenschirm und
bedienen ihre Kunden. Sie alle sind Schreiberfahrene auf ihrem Fachgebiet. Man muss
einige Minuten warten, bis man an der Reihe ist. Einer der Schreiber sagt: “Die Leute
bitten mich, Briefe an Verwandte [oder verantwörtliche Person] zu schreiben [...] die
meisten brauchen allerdings Hilfe beim Ausfüllen offizieller Anträge”. Je nach Auftrag
verdient man zwischen umgerechnet 30 Cent und 1,7 Dollar.
Es ist aber merkwürdig, dass man solche Schreiber ebenso vor dem Bildungs- und
Hochschulministerium in Kabul sichtet, mit dem oft Schul- und Studiensabsolventen zu
tun bekommen. Zu Recht stellt Abubakr Hashemi, der Lehrbeauftragte an der Fakultät
Shariat „Islamisches Recht“ der Universität Kabul, diesbezüglich fest, dass Schreiben
als ein Schulfach ernsthaft und planmäßig unterichtet werden sollte, damit die
Lernenden künftig selber ihre Meinungen, Empfindungen und Angelegenheiten
problemlos äußern können. Wenn man näher die ausgebildete Personen im Blick auf
ihre Schreibkompetenz betrachtet, lässt sich merken, dass mehr als die Hälfte der
Schulabsolventen nicht in der Lage sind einfache Texte wie z. B. Einladungsbrief oder
Anzeigen zu schreiben. Das zeigt schon, dass sie an den Schulen kein Schreiben gelernt
bzw. geübt haben (vgl. Abubakr Hashemi, Interview 1 übers. durch die Verfasserin).
Allerdings erfordert die Entwicklung der Kompetenz zum Schreiben laut Feilke (2001,
S.37) eine lange Zeit, die bereits lange vor der Schulzeit; vor dem eigentlichen
Schriftspracherwerb angefangen werden soll, wenn die Voraussetzungen vorhanden
sind.
2.3. Zusammenfassung des Kapitels
In Afghanistan hinterließen jahrelange kriegerische Auseinandersetzungen eine enorme
Anzahl von Zerstörungen und den Zusammenbruch von gesellschaftlichen Strukturen
und wirtschaftlichen Grundlagen des Landes. Davon ist auch das Bildungswesen und
Kulturleben sehr stark betroffen. Eine staatliches Schulpflicht existiert zwar offiziell,
20
aber davon profitierten in den vielen Kriegszeiten, vor allem auf dem Land und unter
den Flüchtlingen, nur wenige Menschen. Die Qualität der Bildung leidet allerdings
unter der provisorischen Ausstattung, Einrichtung, Unterrichtsmitteln der Schulen, dem
unentwickelnden Curriculum und den wenigen qualifizierten Lehrenden.
Angesichts dieser Situation spielt das Schreiben bzw. Schreiblernen an den
afghanischen Bildungseinrichtungen, nicht nur im Studium, sondern auch in den
Schulen bzw. Vorschulen im Großen und Ganzen eine nebensächliche Rolle, indem
man im Laufe der Zeit inzidentiell lernt, wie man einen Text schreibt. Bevor auf die
nähere Ausführung von Organisation und Entwicklung des Schreibens im Bereich DaF
an der Universität Kabul eingegangen werden kann, soll zuerst im nächsten Kapitel
Zustand des Deutschen als Fremdsprache in Afghanistan behandelt werden.
21
3. Zur geschichtlichen Entwickung des Deutschunterrichts
in Afghanistan
Wie schon im Abschnitt 2.2.1. unter dem Punkt „Bildung in Afghanistan gestern und
heute“ ausführlich dargestellt wurde, war Schulwesen in Afghanistan bis zum Anfang
des 20. Jahrhunderts geprägt durch eine traditionelle Form der Bildung, die
hauptsächlich die Lehre des Koran und die Werke afghanischer Dichter wie Hafis,
Saadi, Maulawi, Ferdausi vermittelte (vgl. Habib 1980, S. 88 zitiert nach Behbud: 2008,
S.17). In diesem jahrelangen andauernden Bildungssystem war für den
Fremdsprachenunterricht keinen Platz. Kurz vor dem ersten Weltkrieg hat man mit der
Errichtung der ersten modernen Schulen in Afghanistan angefangen, wo auch
Fremdsprachenunterricht angeboten wurde. Zu Beginn wurden nur Urdu und Englisch
eingeführt. Später führte die direkte Zusammenarbeit mit europäischen Ländern wie
Deutschland und Frankreich zur Errichtung prestigereicher Oberschulen wie Amani-
und Estiqlaloberrealschule in Kabul, wo Schüler neben anderen Fächern auch Deutsch
und Französisch lernten und lernen (vgl. Behbud: 2008, S. 17). Nachfolgend sollen die
Sprachensituation und dann Stellenwert des Deutschen als Fremdsprache in Afghanistan
näher beleuchtet werden.
3.1. Die Sprachensituationen in Afghanistan
Wegen der 30 Jahre andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen, der Flucht und
Auswanderung gibt es keine verlässlichen Statistiken und Angaben über die Anzahl der
Sprachen und die Verteilung der ethnischen Bevölkerungsgruppen in Afghanistan. Laut
Linguisten und Ethnologen werden in Afghanistan ca. 49 Sprachen und über 200
verschiedene Dialekte gesprochen (vgl. Seibel/Schreiner: 2016, S. 269). Diese
Schätzung mag laut Mir Hafizuddin Sadri realistisch sein, da Afghanistan aus einer
Vielzahl von religiösen, sprachlichen, ethnischen und nationalen Gruppierungen und
Minderheiten besteht. Darüber hinaus hängt die Sprache in Afghanistan weder mit der
ethnischen Struktur noch mit der religiösen und konfessionellen Zugehörigkeit
zusammen, da viele ethnische Gruppierungen vor allem Minderheiten im Laufe der Zeit
ihre Sprache zum Teil oder vollständig aufgegeben und sich den beiden großen
sprachlichen Mehrheiten, d. h. Paschtu und Dari angepasst haben. In diesem Sinne kann
22
jedoch in Afghanistan nach Nassimi (2004, S. 50) von lauter Sprachvarietät die Rede
sein.
Dari und Paschtu wurden 1964 durch die hohe Ratsversammlung (Loya Dschirga) als
offizielle Landes-, Regierungs- bzw. Amtsprachen anerkannt und später von der neuen
Verfassung, die am 27.01.2004 unterzeichnet wurde, bestätigt. Gemäß der neuen
Verfassung Afghanistans Artikel 16: „[...]. Von den Sprachen Paschtu, Dari, Usbekisch,
Turkmenisch, Balutschi, Paschaie, Nuristani, Pamiri und anderen im Land gebräuch-
lichen Sprachen sind Paschtu und Dari die offiziellen Sprachen des Staates. In Gebieten,
wo die Mehrheit der Bevölkerung eine der Sprachen Usbekisch, Turkmenisch, Paschai,
Nuristani, Balutschi oder Pamiri spricht, ist diese neben Paschtu und Dari die dritte
offizielle Sprache [...]“ (Übersetzt von Gholam Djelani Davary: 2006). Im Übrigen steht
in der Grundordnung des afghanischen Staates, dass er wirksame Programme zur
Förderung und Entwicklung aller Sprachen Afghanistans entwickelt und implementiert.
Dari ist seit dem Mittelalter die dominierende Verwaltungs- und Kultursprache der
Region. Die literarische Schriftsprache des Persischen fungiert seit der Staatsgründung
Afghanistans im Jahre 1774 als Amts- und Verwaltungssprache. Historisch gesehen
sind Nassim Sadaghiani (2010) zufolge die Bezeichnungen Farsi und Dari gleichwertig,
wobei Farsi-e Dari die Hofsprache Persisch bedeutet und darauf aufmerksam macht,
dass diese Sprache nach der arabischen Eroberung am Hof der ersten iranischen Könige
in Buchara entwickelt wurde. Die Sprache Farsi-e Dari wird heute im Iran Fārsi und in
Afghanistan eher Dari genannt. Laut Toumaj Khakpour (2011) wurde 1964 nach dem
königlichen Befehl von Mohammad Zahir der offizielle Name der afghanischen
Landessprache von Farsi in Dari umbenannt, um sich vom Iran abzugrenzen und der
Nation die afghanische Identität zu geben. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung
Afghanistans bzw. Tadschiken, Hazara, Aimaken aber auch sehr viele Paschtunen
spricht einen Dialekt des Persischen als Muttersprache. Darüber hinaus wird Dari von
der Bevölkerung der Hauptstadt Kabul als Muttersprache angewendet, deswegen
fungiert es nicht nur als Regierungs- und Wirtschaftssprache, sondern auch als lingua
franca zwischen diejeniegen, die keine von beiden Landessprachen als Muttersprache
sprechen. Seit 1936 gilt Paschtu, die Sprache der Paschtunen 35-55% der Bevölkerung,
unter der königlichen Regentschaft als Amtssprache neben Dari. Obwohl traditionell die
Nationalhymne Afghanistans in Paschtu gesungen wird und militärische Titel ebenso
von der Sprache der Paschtunen entnommen werden, hat sich Paschtu bisher nicht als
23
Verwaltungssprache durchgesetzt und hat diesen Status nur in den paschtunischen
Landesteilen (vgl. Seibel/Schreiner: 2016, S. 269f).
3.2. Stellenwert des Deutschen als Fremdsprache in Afghanistan
Afghanistan pflegt mit Deutschland seit Anfang des 20. Jahrhunderts ein historisch
gewachsenes Vertrauensverhältnis. „Das Verhältnis zwischen Deutschland und
Afghanistan beruhrt auf einer nicht ohne weiteres erklärbaren emotionalen
Freundschaft. Die historischen Umwälzungen in beiden Ländern im Laufe der letzten
beiden Jahrhunderte waren erheblich. Politiker beider Länder haben nicht selten
irrationale Ziele verfolgt. Das gemeinsame Instrumentarium internationaler und
bilateraler Beziehungen, das Deutschland und Afghanistan anwandten, wie
Staatsbesuche und volkerrechtliche Verträge waren mehr symbolischer Natur“ (Breckle:
2008, S. 191f). Die deutsche Regierung gehörte zu den ersten und wichtigsten Staaten,
die die Regierung von Amanullah Khan und damit die Unabhängigkeit Afghanistans im
Jahre 1919 anerkannten. König Amanullah Khan setzte sich intensiv für die
Modernisierung Afghanistans und setzte dabei in erster Linie auf Deutschland als
Partner. Obwohl deutsche Firmen und afghanische Herrscher bereits seit 1898
geschäftliche Verhältnisse miteinander hatten, pflegten beide Länder aber diplomatische
Kontakte erst ab 1922. 1923 wurde der „Deutsch-Orientalischen Handelsgesellschaft
AG“, später in „Deutsch-Afghanische-Compagnie AG“ umbenannt in Kabul gegründet,
d. h. ein Indiz für gewachsene gegenseitige Wirtschaftsbeziehungen. Damals lagen nach
Angaben die Anzahl der in Afghanistan tätigen deutschen Experten etwa mehr als 200,
zudem inoffiziell Offiziere als Berater und Ausbilder der afghanischen Armee (vgl.
Möller: 2008). Seit 2001 spielt Deutschland wieder eine Vorreiterrolle beim
Wiederaufbau von Afghanistan. Anschließend an alte Traditionen wird die afghanische
Polizei nach der Talibanzeit mit Hilfe der Deutschen aus- bzw. weitergebildet. Übrigens
sind deutsche Experten für den Aufbau eines funktionierenden Justizwesens zuständig.
Deutschland ist das drittgrößte Truppenkontingent in Afghanistan und auch der
drittgrößte Geber für den zivilen Wiederaufbau und die weitere Entwicklung des
Landes. Den Medien zufolge werden zwar die internationalen Kampftruppen
Afghanistan bis Ende 2014 verlassen, aber Deutschland hat weiterhin seine Bereitschaft
zu der Beteiligung an einer Beratungs-, Ausbildungs- und Unterstützungsmission als
ISAF-Nachfolgemission erklärt. Daher konzentriert sich Deutschland unter anderem auf
24
die Existenzgründungen sowie berufliche Bildungs- und Fortbildungsmaßnahmen, um
der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Afghanistan nachhaltige Impulse zu geben.
Zum Beispiel engagiert sich die Konrad-Adenauer-Stiftung in Kabul vor allem durch
ihre Stipendiaten- und Praktikantenprogramme für den Medienbereich. Im Mai 2003 hat
sie die erste Denkfabrik in der afghanischen Hauptstadt, das „National Center for Policy
Research“ gegründet. Diese Einrichtung kooperiert z. B. mit der Ruhr-Universität
Bochum (vgl. ebd.).
Zudem treibt der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), der seit 2005 ein
Koordinierungsbüro im afghanischen Hochschulministerium unterhält, im Auftrag des
Auswärtigen Amts den akademischen Wiederaufbau in Afghanistan voran durch
zahlreichen Stipendien für afghanische Studierende und Dozenten, Kooperations-
abkommen zwischen einige Universitäten in Deutschland und afghanischen
Universitäten, mehrwöchige Sommer- und Winterakademien in Deutschland,
Fortbildungen für Dozenten in Afghanistan, Sachspenden und Entsendung der
deutschen Kurz- und Langzeitdozenten. Außerdem wurde an der Universität Kabul mit
deutscher Hilfe ein IT-Rechenzentrum wieder errichtet und 2011 hat man mit dem
Aufbau eines verwaltungswissenschaftlichen Bachelorstudiengangs an der Balkh
School of Public Administration und weiteren Universitäten begonnen. Übrigens
werden unzählige Fortbildungsmaßnahmen für Angehörige des öffentlichen Dienstes
durchgeführt (vgl. Bericht des Auswärtigen Amts zur Zusammenarbeit mit Afghanistan
im Bereich Bildung und Kultur, Stand: 25.01.2013).
Diese Tätigkeiten der zahlreichen Deutschen im Lande führten und führen
konsequenterweise zur Berührung mit der deutschen Sprache. Sehr rasch verbreitete
sich Deutsch als Fremdsprache auch in den weiteren allgemein bildenden und
technischen Schulen in Kabul und einigen Provinzstädten (vgl, Behbud: 2008, S. 17).
Diesbezüglich schreibt das Auswärtiges Amt in dem oben erwähnten Bericht:
„Deutschunterricht an afghanischen Schulen, Hochschulen und im berufsbegleitenden
Bereich hat langjährige Tradition und wird durch vielfältige Projekte des Goethe-
Instituts und des DAAD-Lektorenprogramms seit 2002 maßgeblich unterstützt“.
Zusammenfassend lässt sich seit langem beobachten, dass „Deutsch nach Englisch die
meistgefragteste Fremdsprache in Afghanistan ist“ (vgl. Behbud: 2008, S. 207). Hier
stellt sich die Frage: Was sind eigentlich die Gründe für das große Interesse an
Deutsch? Da spielen zum Teil die beruflichen Perspektive eine wesentliche Rolle. Viele
Studierende und DaF-Absolventen arbeiteten und arbeiten bei den zahlreichen
25
deutschen Mittler- und Hilfsorganisationen, bei deutschen Firmen oder als Dolmetscher
bei der Bundeswehr. Somit ist Deutsch nach wie vor ein Mittel zum Zweck der
Einkommenssicherung für die Familie und Verbesserung der Lebensperspektiven.
Studium bzw. Weiterstudium in Deutschland ist ein weiteres Motiv, Deutsch zu lernen.
Da rund 80.000 Afghanen in Deutschland leben, werden viele Afghanen durch die
familiären Kontakte nach Deutschland mit dem Deutsch und Deutschen engverbunden.
Diese Sympathie und das Vertrauen führen ebenso zum Lernen der deutschen Sprache.
Vielleicht der Grund zum Deutsch Lernen hängt auch mit dem Frei- und
Diskussionsraum zusammen, den der Deutschunterricht anbietet (vgl. Schneider: 2008,
S. 151). In diesem Zusammenhang stellt Alexander Kupfer (2008, S. 72) zu Recht fest:
„Natürlich muss nicht zwangsläufig die deutsche Sprache oder die Germanistik das
Mittel zum Zweck sein, doch im Fall der besonderen Affinität Afghanistans zu
Deutschland erscheint sie als besonders geeignet. [...]. [Die deutsche Sprache in
Afghanistan zu lernen ist] eher ein Wanderstab für einen Weg, der in schwieriges
Gelände führt. Und für diesen gilt, was man von allen Wanderstäben sagen kann: es
ginge auch ohne ihn, aber mit ihm geht es wahrscheinlich viel besser“.
3.2.1. Deutsch an den staatlichen Schulen
In Afghanistan wird Deutsch als Fremdsprache seit den 20er Jahren des vergangenen
Jahrhunderts in den Schulen, die von Deutschen finanziell unterstützt werden,
unterrichtet. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es in Kabul viele Schulen, in
denen Deutschunterricht auf dem Stundenplan stand z. B. die Amani-Oberschule, die
Mahmud-Hotaki-Oberschule, die Kart-e-Parwan Mittelschule, die Rahman-baba-
Oberschule, die technische Oberschule Kabul, die Kabuler Kunst- und Handwerkschule,
die Berufsschule Djamhuriat und die Kabuler Handelsschule (vgl. Behbud: 2008, S. 18).
Zur Zeit fördert das Auswärtige Amt in erster Linie drei weiterführende Schulen in
Kabul materiell und personell mit deutschen Auslandslehrern. Die heißen: Amani-
Jungenoberrealschule, Durani-Mädchengymnasium und das Jamhuriat Verwaltungs-
und Wirtschaftsgymnasium für Mädchen, in denen man ab 4. Klasse mit dem
Deutschunterricht anfängt. Diese Schulen gehören neben vier weiteren Schulen der
weltweiten Initiative „Schulen - Partner der Zukunft“ (PASCH) an (vgl. Bericht des
Auswärtigen Amts zur Zusammenarbeit mit Afghanistan im Bereich Bildung und
Kultur, Stand: 25.01.2013). All dies Unterstützungen sind laut Wejwoda (2008, S. 140)
26
zunächst der Beginn für die Etablierung des Fachbereiches Deutsch als Fremdsprache
im afghanischen Schulsystem und muss noch viel getan werden, um von einem
ausgebauten DaF-Unterricht sprechen zu können z. B. der Aufbau einer Deutschlehrer-
ausbildung am pädagogischen Institut Kabul, damit ein moderner Deutschunterricht von
Afghanen für Afghanen ermöglicht wird.
3.2.2. Deutsch im Hochschulbereich
„Auf universitärer Ebene gab es erst im Jahre 1961 mit der Gründung einer
Deutschabteilung im Rahmen der Fakultät für Sprachen und Literatur der Universität
Kabul den ersten Ansatz , Deutsch zu lehren und lernen“ (Behbud: 2008, S. 34). Laut
Behbud 2008 wurde nach der politischen Wende im Jahr 2001 mit dem Wiederaufbau
der Deutschabteilung an der Universität Kabul angefangen. Seit der Unterzeichnung der
Kooperationsvereinbarung zwischen der Universität Kabul und der Universität
Duisburg-Essen 2003 unterstützen die beiden Seiten die Bestrebungen, auch an anderen
afghanischen Universitäten Deutschabteilungen zu gründen. Neben Studierende, die
Deutsch als Fremdsprache studieren, liegen außerdem Deutsch als Fremdsprache auch
im Interesse einer Vielzahl von Studierenden anderer Fakultäten wie z. B. Natur-
wissenschaften, Wirtschaft, Medizin, Soziologie und Ingenieure, die neben ihrem
Hauptstudium an den Deutsch-Sprachkursen der Deutschabteilung teilnehmen. Es lässt
sich sogar feststellen, dass das Interesse der Studierenden anderer Fachbereichen an
Deutsch als freies Angebot größer ist als an Deutsch als die Hauptfachrichtung. Im Jahr
2005 war Universität Herat im Westen des Landes soweit, die Deutschabteilung
einzurichten. Seit 2014 gibt es auch an der Universität Jalalabad eine Deutschabteilung.
Darüber hinaus wird seit 2008 Deutsch als Fremdsprache für Hörer anderer Fakultäten
an anderen Universitäten angeboten und werden diesbezüglich Lehrkräfte ausgebildet.
Demgemäß wird zur Zeit neben Kabuler Universität auch an anderen Universitäten wie
an der Kabuler Medizinischen Universität, in der Polizei-Akademie, an den
Universitäten Balkh und Tachar im Norden des Landes und in Nangahar im Osten des
Landes Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Es lässt sich neulich beobachten, dass
nach und nach andere Universitäten und Institutionen ihren Willen für die Einführung
der Deutsch als Fremdsprache erklären.
27
3.2.3. Deutsch im außerschulischen Bereich
Das Goethe-Institut (das weltweit tätige Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland)
in Kabul war von 1965 bis 1990 tätig und in der sowjetischen Besatzungszeit von 1979
bis 1989 führte es zumindest noch deutsche Sprachkurse durch. Aber mit Beginn des
Bürgerkriegs und später der Talibanherrschaft hatte das Goethe-Institut in Kabul
12jährige Schließungszeit. Erst im September 2003 wurde es wiedereröffnet und derzeit
verfolgt das Goethe-Institut im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
(AKBP) und im Auftrag der Bundesregierung als größte der nicht staatlichen
Mittlerorganisationen die zwei Kernziele Sprachförderung und kulturelle Programm-
arbeit (vgl. Elsaeßer: 2008, S. 99f). Laut Angaben von Goethe-Institut in Kabul genießt
die deutsche Sprache in Afghanistan so große Beliebtheit, dass jährlich ca. 1500
Teilnehmer für die elfwöchigen Sprachkurse aller Niveaustufen am Goethe-Institut
einschreiben. Eine große Anzahl der Teilnehmer sind Personen, deren Motivation darin
besteht, Deutsch als Voraussetzung für ein Visum oder Studium in der Bundesrepublik
zu erlernen. Die Anderen sind beruflich akademische (Ärzte, Lehrer) und
Verwaltungstätigen (Ministeriums- und Firmenangestellte) sowie manche, die beruflich
mit deutschen Institutionen (Botschaft, Bundeswehr, Polizei, verschiedene Nicht-
Regierungsorganisationen) zu tun bekommen (vgl. Winkler: 2007, S. 52).
In diesem Zusammenhang lässt sich festhalten, dass neben Kabuler Polizei-Akademie,
in der seit langem Deutsch als Fremdsprache unterrichtet wird, hat neulich die
afghanische Militär-Akademie angefangen, neben dem Englischen auch Deutsch und
Französisch einzuführen. Es gab und gibt zahlreiche afghanische und deutsche
Stiftungen und Hilfsorganisationen, in denen auch für die Mitarbeitern Deutschkurse
angeboten werden wie die Deutsche Gesellschaft für International Zusammenarbeit
(GIZ). In der Zukunft wird die weitere Entwicklung aber bei einer absehbaren
verbesserten Sicherheitslage dazu führen, dass deutsche Sprache und Kultur bzw.
Forschung im Lande wieder umfangreicher wird und Rolle der deutschen Sprache als
Wissenschaftsprache aufgrund der engen Bindungen im Ausbildungsbereich weiterhin
in Afghanistan erhalten bleiben wird (vgl. Breckle: 2008, S. 198f). In diesem
Zusammenhang ist seit langem in den Großstädten wie Herat, Masar-e Scharif und
Kabul deutlich bemerkbar, dass in vielen staatlichen vor allem in den nichtstaatlichen
Sprachinstituten Deutsch als Fremdsprache neben Englisch angeboten wird und die
Nachfrage dazu eben sehr groß ist. Darauf hin wird seit kurzem (2014) in einer
28
afghanischen Fernsehsendung in Kabul (Sobhe Maywand) Deutsch als Fremdsprache
unterrichtet.
3.3. Zusammenfassung des Kapitels
Wie ausgeführt, hat sich Deutschland seit ersten Weltkrieg - in einigen Zeiten mit
Unterbrechungen - auf verschiedenen Bereichen und Formen für Afghanistan eingesetzt
wie z. B. Politik, Wirtschaft, Technik, Kultur, Wissenschaft und humanitäre Hilfe.
Hierbei können besonders laut Bereckle (2008, S. 191ff) die partnerschaftliche
Beziehungen im Bereich des Schul- und Universitätswesens hervorgehoben werden.
Vor diesem Hintergrund ist die deutsche Sprache bei zahlreichen Projekten der
technischen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit in Afghanistan nicht weg zu
denken. Außerdem hat Deutsch als Wissenschaftssprache und die Beziehungen zu
Deutschland für Afghanistan im Rahmen der Kriegswirren und der zunehmenden
globalen Internationalisierung noch immer eine große Rolle gespielt.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie man in Afghanistan Deutsch als
Fremdsprache methodisch und didaktisch durchführt. Da die Entwicklung der
Schreibkompetenz im DaF-Unterricht an der Universität Kabul Anliegen dieser Arbeit
ist, wird nur dies in den folgenden Ausführungen thematisiert.
29
4. Zur Entwicklung von Schreibkompetenz im DaF-
Unterricht an der Universität Kabul
4.1. Was ist „Schreibkompetenz“?
Um einen Überblick über den Schreibkompetenzbegriff zu bekommen, muss man sich
zunächst mit dem Begriff „Kompetenz“ befassen. In einer Diskussion über die
Veränderungen, Neuigkeiten und Hauptanliegen des pädagogischen Wirkens ist der
Begriff „Kompetenz“ inzwischen ein unverzichtbarer Bestandteil. Das bedeutet aber
nicht, dass dem Kompetenzbegriff eine genaue oder gar eindeutige Bedeutung
zugeordnet wird. Erst bei genauerer Beschäftigung mit diesem Begriff wird sofort
erkennbar, dass dieser äußerst unterschiedlich und vielschichtig verwendet wird und oft
nach diversen Betrachtungsweisen und Schwerpunktsetzungen jeweils andere
Gesichtspunkte und Gegenstände angesprochen und betont werden. Einige Definitions-
möglichkeiten werden im Folgenden vorgestellt.
Günther äußert sich über den Kompetenzbegriff wie folgt: ,,In der Standardsprache sagt
man, dass jemand Kompetenz in bestimmten Bereichen hat, weil er/sie bestimmte
Aufgaben in dem benannten Bereich zu bewältigen im Stande ist und gegebenenfalls
auftretende Probleme meistern kann [...].“ (Günther: 2004, S.6 zitiert nach Becker-
Mrotzek/Böttcher: 2006, S.52). In Anbetracht von Willenbergs Auffassung verweist das
Wort Kompetenz auf die Fähigkeit, durch die Übertragung eines vorhandenen oder
schon vorgegebenen Musters auf neue Aufgaben oder Probleme, die erledigen zu
können und entwirft, wodurch sich die Kompetenz charakterisiert. Laut ihm ist
Kompetenz eine eigenständige und bewusste Fähigkeit, die sowohl innerhalb als auch
außerhalb der unterrichtlichen Domäne Relevanz besitzt. Dabei kann aktives Wissen
situationsspezifisch auf die Schreibaufgaben übertragen werden. Zum kompetenten
Handeln bei der Aufgabenlösung sollte dennoch nicht nur kognitive Grundausstattung,
sondern auch die emotionale Beteiligung und die innere Bereitschaft vorhanden sein
(vgl. Willenberg: 2007, S. 8). Ebenso ist Weinert (2001, S. 27f) der Auffassung „ [man]
versteht unter Kompetenz die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren
kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die
damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und
Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und
verantwortungsvoll nutzen zu konnen“.
30
Eine weitere Definition des Kompetenzbegriffs, die auf dem Problemlöseprozess basiert
ist, stellt Expertise zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards des Bundes-
ministeriums für Bildung und Forschung dar. Dabei werden Kompetenzen als kognitive
Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Problemlösung beschrieben, die vom Individuum
erworben werden (vgl. Expertise. Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards, 2007.
S. 72f). Demgemäß ist die Kompetenz ein Vermögen, das Individuen in die Lage
versetzt, konkrete bzw. veränderte Anforderungssituationen und zukünftige Probleme
meistern zu können.
Bei genauerer Betrachtung der vier oben beschriebenen Leitideen der Kompetenz (vgl.
Weinert 2001; Expertise. Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards 2007; Günther
2004 u. Willenberg 2007) merkt man, dass diese die Bereiche in den Fokus nehmen, in
denen man durch vorhandene Kompetenz auf Nichtwissen und die Ungewissheit
gegenüber der neuen Lernstoffe, Probleme bzw. der Zukunft, welche sich durch den
schnellen situativen Wandel vollziehen, eigenständig und erfolgreich reagiert. Es bleibt
anhand von obigen Begriffsbestimmungen festzustellen, dass das Schreiben oft als
Problemlöseprozess aufgenommen wird, da man hierbei vom Modell des Problemlösens
ausgeht. Unter Problemlösen wird das Handeln als komplexe und zielgerichtete
Tätigkeit zur Lösung eines Problems verstanden, wobei man tatsächlich zwischen
divergenten Arbeitsschritten zur Aufgabenlösung einen klaren Unterschied macht und
meint, dass alle diesen Arbeitsschritte des Problemlösens rekursiv, iterativ und
interaktiv ablaufen. Konsequenterweise lassen sich fast alle diesen unterschiedliche
Arbeitsschritte und Eigenschaften des Problemlösens auch auf den Schreibprozess
übertragen wie z. B. Problemerfassung bzw. -formulierung, Erzeugung und Herstellung
von Ideen, Suche nach Handlungsmöglichkeiten, Lösungsverfahren und
Wirkungsabschätzung, Überwachung, Prüfung und Bewertung der Alternativen,
Entscheidung als Auswahl einer Handlung, Umsetzung bzw. Durchsetzung der
ausgewählten Alternative sowie Erleben und Beobachten der Konsequenzen (vgl. Merz-
Grötsch: 2005, S. 85). Überträgt man diese Ausführungen nun auf das Schreiben, dann
kann Schreibkompetenz als der komplexe, intensive bzw. zielgerichtete
Problemlöseprozess definiert werden. An dieser Stelle lässt sich Baurmann und
Weingartens Ansicht zitieren, die zu Recht meinten, dass „[w]er immer sich an einer
schriftlichen Äußerung versucht, braucht erhebliche kognitive und sprachliche
Fähigkeiten, die er zunehmend sicherer koordinieren muß [sic!]. Um dies zu
31
gewährleisten, bedarf es metakommunikativer Fähigkeiten einschließlich einiger
Kenntnisse über den Schreibprozeß [sic!]“ (1995, S. 13).
Unter Berücksichtigung der verschiedenen Facetten der Schreibkompetenz, die bereits
oben angedeutet wurden, schreibt das Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des
Landes Nordrhein-Westfalen (2004, S.33), dass die Schreibkompetenz offensichtlich
eine höchst komplexe Fähigkeit ist, die nur mit sorgfältiger, intensiver und langfristiger
Förderung weiterentwickelt werden kann und schlägt vor, was Schreibkompetenz
ausmacht wie folgt: Schreibkompetenz ist eine zielgerichtete Handlung, die das
Verfassen bzw. Herstellen eines Textes zum Ziel hat. Demnach wird das Schreiben als
kognitiver Problemlöseprozess fortlaufend und bewusst durch die folgenden Elemente
gesteuert; die thematischen und kommunikativen Ziele, die gesammelten und
geordneten Sachverhalte, das metakognitive Wissen um die Arbeitsschritte des
Schreibens, die Auswahl angemessener Schreibstrategien, die Kenntnis geeigneter
Textmuster, die Beherrschung spezieller Prozeduren zur Planung, Aufarbeitung,
Gliederung bis hin zum Redigieren sowie kooperativer Arbeitsweisen z. B.
Schreibkonferenz und -beratung.
Anhand vom Vergleich der unterschiedlichen Begriffsannährungen der Schreib-
kompetenz lässt sich nun auf Basis von Fix (2008, S. 33) folgende Definition
herausbilden: Schreibkompetenz ist die Fähigkeit bei einem Schreibauftrag zur Lösung
der Aufgabe bzw. des Problems sich auf pragmatisches Wissen, inhaltliches Welt- und
Fachwissen, Wissen über die Textstruktur und die Sprache in einem Schreibprozess so
einzubeziehen, dass im Endeffekt die angefertigte Schreibproduktion die
Anforderungen einer selbst- bzw. fremdbestimmten Schreibfunktion z. B. Anleiten,
Erklären oder Unterhalten erfüllt. Um diesem Schreibziel gerecht zu werden, spielen
eine Menge von Teilkompetenzen folgendermaßen zusammen: Zielsetzungskompetenz,
d. h. Formulieren eines konkreten Schreibziels, indem man Schreibfunktion und –
situation durch manche Fragestellungen wie z. B. wer liest das Geschriebene? Wem,
womit und wozu schreibt man? genau analysiert; inhaltliche Kompetenz durch Abrufen
und Aktivieren des Vorwissens oder Suchen und Zusammenstellen von neuem Wissen;
Strukturierungs-kompetenz, d. h. eine nachvollziehbare und kohärente Textgliederung
erstellen; Formulierungskompetenz z. B. sprachliche Realisierung von Syntax, Lexik,
Morphologie und Orthografie; Problemdiagnosefähigkeit und Überarbeitungsverfahren,
indem man selbst die defizitären Textstellen durch Überarbeitung seines Textes findet
32
und korrigiert. Außerdem beschreibt Fix (2006, S. 26) sechs folgenden Aspekte der
Schreibkompetenz:
• „Selbsteinschätzung (wer)
• Schreibanlass (warum)
• Zielbestimmung (wozu)
• Adressateneinschätzung (für wen)
• Textgegenstand (was)
• Konkrete sprachliche Mittel (auf welche Weise).“
Die folgende Abbildung von Becker-Mrotzek und Böttcher (2012, S. 51) zeigt grafisch
das Zusammenspiel der obigen vielfältigen Kompetenzbereichen, die sie Expertise
nennen. Demnach setzt sich Schreibkompetenz aus grammatischen, lexikalischen,
Textmuster- und Schriftkenntnissen sowie sozialer Kognition zusammen.
Abbildung 1: Schreibkompetenz (Becker-Mrotzek/Böttcher: 2012, S. 51)
Zum Schluss ist festzustellen, dass es keine Einigkeit bezüglich verschiedener
Teilaspekte des Begriffs Schreibkompetenz gibt. Gemeinsam ist diesen Definitionen
allerdings, dass sie Schreibkompetenz als höchst komplexe Fähigkeit bestehend aus
verschiedenen Teilkompetenzen verstehen und in der Praxis auf einzelne Kompetenz-
33
bereiche als eine wichtige Voraussetzung für die Ausbildung und Einsetzung von
Schreibkompetenz wertlegen. Vor dem Hintergrund der Begriffsbestimmung von
Schreibkompetenz als Zusammenspiel von verschiedenen Teilfähigkeiten und als
sorgfältiger, intensiver und lebenslanger Entwicklungsprozess erscheint es nun
notwendig und sinnvoll zu erläutern, wie sich ein Schreibprozess gestalten lässt.
4.1.1. Was bedeutet „Schreibprozess“?
Eine Forschung über den Schreibprozess ist erst zu Beginn der 1970er Jahre zustande
gekommen (vgl. Merz-Grötsch: 2005, S. 65) und dadurch wurde der traditionelle
produktorientierte Ansatz verdrängt (vgl. Feilke/Augst: 1989, S. 298). Vor der
Diskussion und Forschung um die Didaktik des Schreibens war der traditionelle
Aufsatzunterricht die übliche Art des Schreibunterrichts, in dem man
Darstellungsformen bzw. stilistische Normen der Texte vermittelte und übte lediglich
Aufsatzformen wie die Erzählung, den Bericht, die Beschreibung, die Schilderung
sowie die Erörterung ein und bewertete im Endeffekt den fertigen Text. Damit
reduzierte der Ansatz die Idee der eigenen Textentwickelung, auf das Ausgestalten
vorgegebener Textformen. Das heißt, es wurden Formen vermittelt, mit denen Inhalte in
einer festgelegten Abfolge dargestellt werden können (vgl. Becker-Mrotzek/Böttcher:
2003, S. 22). In diesem Zusammenhang lässt sich in der nachfolgenden Abbildung das
streng lineare Modell von Rohmann und Wlecke aus dem Jahr 1964 erwähnen.
Abbildung.2: Modell des Schreibprozesses nach Rohmann und Wlecke (Romberg:
1993, S. 90)
Der traditionelle Aufsatzunterricht bzw. die gebräuchliche Vorstellung von Schreiben
als die Stufen der Textproduktion, die in einer zeitlichen Abfolge hintereinander
ablaufen wie z. B. das obige Modell von Rohmann und Wlecke (1964) ist vor allem in
den 70er Jahren auf heftige Kritik gestoßen, indem man sagte, dass der Schreibprozess
nicht gerade ohne bewegliches Gelenk und starr verläuft, sondern die beteiligten
34
Schreibprozessebenen sich ständig während des gesamten Prozesses wechselseitig
bedienen, bedingen bzw. ergänzen.
Mit der Annahme des Schreibens als ein problemlösender Prozess wurde erst in der
Schreibforschung der produktorientierte Ansatz im Schreibunterricht, d. h. die rein
theoretische Vermittlung von Textformen und –normen abgelöst. Becker-Mrotzek und
Böttcher (2006, S. 24) sind der Ansicht: „Wenn heute vielfach von einer prozess-
orientierten Schreibdidaktik gesprochen wird, so ist damit zunächst einmal eine
Überwindung der Produktfixiertheit, der Orientierung am fertigen Text des
traditionellen Aufsatzunterrichts gemeint“, weil es nicht mehr ausschließlich um den
fertigen Text geht, sondern auch um den Prozess seiner Entstehung und die Vermittlung
einer umfassenden Schreibkompetenz (vgl. ebd.), denn „Schreiben ist ein neuronaler
Prozeß [sic!], an dem neben den primären Sprachzentren (Wernicke- und Broca- Areal)
nahezu alle Gehirnzentren je nach der Schreibaufgabe unterschiedlich intensiv beteiligt
sind. Dieser Prozeß [sic!] verläuft nicht mechanisch linear, sondern komplex und
rekursiv“ (Kästner: 1997, S. 64).
Das folgende Modell von Ludwig (1983) deutet ebenso darauf hin, dass die Handlungen
und Aktivitäten beim Schreibprozess nicht bloß geregelt und linear nacheinander
ablaufen, sondern vielmehr rekursiv, interaktiv und iterativ.
Abbildung 3: Modell des Schreibens nach Ludwig (Molitor-Lübbert: 1996, S. 1009)
35
Unter dieser Betrachtung beginnt das prozessorientierte Schreiben mit der Planung der
Vorgehensweise, was Aktivierung des Vorwissens, Ideensammlungen, sowie
Überlegungen zu Textanforderungen und der sprachlichen Gestaltung umfasst. Des
Weiteren werden die Vorgänge der Überarbeitung vor und während des Schreibens,
sowie die kritische und reflektierte Überarbeitung des fertigen Textes in der
Prozessorientierung besonders hervorgehoben.
Nachdem eben beleuchtet wurde, was mit dem Schreiben als Prozess gemeint ist, stellt
sich nun die Frage, wie die einzelnen Phasen des Schreibprozesses heißen und ob die
gleichen Schreibphasen beim Schreiben in der Muttersprache und Schreiben in der
Fremdsprache ablaufen oder sie sich voneinander unterscheiden. Im Folgenden wird auf
diese Fragen eingegangen.
4.1.1.1. Der muttersprachliche Schreibprozess
Unter den seit den 80er Jahren vorgestellten Modellen des Schreibprozesses erlangte
das Modell von Hayes und Flower an großer Bedeutung und Bekanntheit (Sieber: 2003,
S. 212). Sie haben 1980 zunächst auf der Basis von Protokollen des Lauten Denkens
(thinking aloud), in denen Probanden während des Schreibens zu lautem Denken
aufgefordert wurden, ein Modell des Schreibprozesses entworfen, in dem relevante
Teilprozesse des Schreibens in der Erstsprache (L1-Schreibprozess) identifiziert und
zueinander in Beziehung gesetzt wurden. Da wie vorhin beschrieben viele Teilprozesse
des Schreibens nicht nur während des Schreibens, sondern auch vor und nach der
eigentlichen Schreibhandlung ablaufen und deshalb der Beobachter sie nicht sehen und
befolgen kann, war eine Methode nötig, mit deren Hilfe auch die nur gedanklich
stattfindenden Prozesse sichtbar werden. Anhand der Methode Lautes Denken schafften
es Hayes und Flower den Einblick darin zu erhalten, welche Schritte im Schreiber
vorgehen, bevor er etwas zu Papier bringt (vgl. Hayes/Flower: 1980, S. 10).
Neben dem Modell von Hayes und Flower gibt es noch weitere Modelle bezüglich des
Schreibprozesses in der Erstsprache, die alle auf der Idee des ersten Modells von Hayes
basierten, sich aber punktuell z. B. im Überarbeitungsprozess unterscheiden. Darüber
hinaus dient das Schreibprozessmodell von Hayes in der Forschung bzw. in der
heutigen Schreibdidaktik immer wieder als Grundlage auch für Modelle des
fremdsprachlichen Schreibens (L2-Schreibprozess). In diesem Sinne wird im Weiteren
36
das Schreibmodell von Hayes und Flower vorgestellt, um Einblicke in den Prozess des
Schreibens zu liefern.
Nach Hayes und Flower (1980) wird das Schreiben im Wesentlichen als komplexer und
nicht linearer Problemlöseprozess aufgefasst. „Kennzeichnend für Problemloseprozesse
ist das Bemühen, einen Ausgangszustand durch den Einsatz geeigneter Operationen in
einen Zielzustand zu überführen“ (Eigler u.a.: 1995, S. 147). Dabei ermöglicht vor
allem die Erstellung eines Planes das Problem zu bewältigen (vgl. Becker-
Mrotzek/Böttcher: 2006, S. 26). Angesichts dieser Tatsache ziehen Hayes und Flower
das Ergebnis, dass der Schreibprozess abhängig von seinem Aufgabenumfeld
(Schreibumgebung) und dem Langzeitgedächtnis des Schreibers geschieht. Somit ist er
nicht losgelöst von seinen Rahmenbedingungen zu erledigen. Mit dem Aufgabenumfeld
sind alle externen Bedingungen wie z. B. Schreibaufgabe und der bereits verfasste Text
gemeint, die einen Einfluss auf den Schreibprozess haben. Diesbezüglich spielen für
den Schreibauftrag nicht nur das Thema, sondern auch der Adressat, für den der Text
geschrieben wird, eine entscheidende Rolle. Die Motivation des Schreibenden, die
wiederum durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden kann, ist ebenfalls von
großer Bedeutung. Da sich der Schreiber immer wieder auf den bereits verfassten Text
zurückbezieht, wird genauso dieser für den weiteren Schreibprozess relevant, aber erst
nachdem er mit dem Schreiben angefangen hat. (vgl. Hayes/Flower: 1980, S.12).
Ebenso wirkt das Langzeitgedächtnis laut Hayes und Flower auf den Schreibprozess
ein, weil ein Verfasser beim Schreiben immer wieder auf sein schon vorhandenes und
gespeichertes Wissen in Bezug auf Themenwissen, Wissen über den Adressaten und die
Schreibpläne zurückgereift (vgl. ebd.). Außerdem wird der Schreibprozess selbst von
Hayes und Flower in verschiedenen Subprozessen unter anderem drei Hauptphasen
unterteilt: das Planen, das Überführen von Gedanken in Sprache durch Formulieren
sowie das Überarbeiten (vgl. Fix: 2006, S. 36).
Bei der Phase des Planens werden zuerst das gestellte Handlungsproblem durch das
Abgleichen der Anforderungen aus der Schreibaufgabe mit dem vorhandenen Wissen
im Langzeitgedächtnis vorstrukturiert. Es werden zum Beispiel Ideen entwickelt, indem
man themenrelevanten Informationen z. B. das Wissen über das Thema oder den
Adressaten und die Eigenschaften der Textform abruft. In einem weiteren Schritt
werden die Ideen ausgewertet und zu einem Schreibplan geordnet bzw. angepasst,
sodass das nächste Vorgehen organisiert und ein Schreibziel bestimmt wird. Aufgrund
dessen verschafft der Schreiber sich eine Vorstellung davon, wie der gezielte Text zu
37
beschaffen ist. Dies alles steuert dann den folgenden Prozess des Konstruierens des
Textes. Auf die hier gesammelten Kriterien, Ideen und Erkenntnisse wird dann beim
späteren Überarbeiten wieder zurückgegriffen (vgl. Hayes/Flower: 1980, S. 12ff).
Hierzu hat der Monitor die Funktion, neue Bestandteile zu überprüfen, gegebenenfalls
zu verwerfen oder als brauchbar und nützlich einzustufen (vgl. Fix: 2006, S. 37).
Darauf bauend werden in der Phase des Formulierens das Gedachte und die
Vorüberlegungen in eine schriftsprachliche Form gebracht und in Sätzen
aufgeschrieben. Außerdem können widersprüchliche und überflüssige Formulierungen
beseitigt werden. Demnach bezieht sich der Verfasser stets reflektierend auf seinen Text
zurück und trifft angemessene Veränderungen, bis es ihm immer besser gelingt, die
Schreibaufgabe situationsgerecht zu lösen. Die Phase des Überarbeitens, welche eng mit
der Formulierungsphase verbunden ist, dient der Textverbesserung. Nachdem der Text
produziert wurde, wird dieser erneut gelesen und gemäß der schon formulierten
Zielvorstellungen nach Bedarf auf Wort-, Satz-, und Textebene überarbeitet (vgl. ebd. S.
38).
Es gilt zu berücksichtigen, dass Hayes und Flower (1980) die einzelnen Teil- und
Subprozesse in ihrem Schreibmodell anhand von einem Flussdiagramm darstellen
(Siehe unten Abb. 4). Damit betonen sie darauf, dass es beim gesamten Schreibprozess
um einen ständigen Austausch mit dem menschlichen Informationsspeicher (Gehirn)
geht und dabei drei Subprozesse; Planungs-, Formulierungs- und Überarbeitungsphase
nicht linear oder starr, sondern vielmehr rekursiv, interaktiv und iterativ durchlaufen.
Abbildung 4: Modell des Schreibens nach Hayes und Flower (1980) in deutscher
Übersetzung (Molitor-Lübbert: 1996, S. 1006)
38
Inwieweit beim fremdsprachlichen Schreiben die gleichen Prozesse ablaufen wie beim
Schreiben in der Erstsprache, wird in der Forschung noch diskutiert. Viele Forscher
vermuten eine weitgehende Ähnlichkeit des L2-Schreibprozesses mit dem L1-Schreiben
bzw. das, was die Grundstruktur des Schreibprozesses angeht (vgl. Leki 1992, S. 78 u.
Krings 1992, S. 62). Welche weiteren Faktoren hinzukommen, wenn in einer Fremd-
sprache geschrieben wird, wird im folgenden Kapitel thematisiert.
4.1.1.2. Der fremdsprachliche Schreibprozess
Im Bereich des fremdsprachlichen Schreibens gibt es bisher noch kein
allgemeingültiges Modell wie das Modell von Hayes zum muttersprachlichen
Schreibprozess. Erst in jüngster Zeit lenkte man die Aufmerksamkeit auf das Schreiben
in der Fremdsprache, indem es systematisch und empirisch als Forschungsgegenstand
untersucht wurde. Dabei steht der Schreibprozess oder der Weg, der zum
Schreibprodukt hinführt, im Zentrum der Untersuchungen (vgl. Ezhova-Heer: 2009, S.
123). Viele Forscher haben unterschiedliche Modelle für die Teilprozesse, die bei der
L2-Textproduktion ablaufen, vorgeschlagen. Diese Modelle sind alle auf dem
bekannten und viel zitierten Problemlöse-Modell von Hayes und Flower (1980) basiert
und wurden dem fremdsprachlichen Schreiben angepasst. Für den vorliegenden Kontext
bietet sich vor allem die Vorstellung der von zwei Schreibmodelle von Börner (1989)
und Krings (1992) aus der deutschsprachigen Forschung an, auf die in der Literatur zum
fremdsprachlichen Schreiben häufig zurückgegriffen wird.
Börner (1989) nimmt das Modell von Hayes und Flower (1980) als Grundlage und
adaptiert es im Schreiben in der L2 in didaktischen Kontexten, indem er in seinem
Modell erstens die Fremdsprache (L2) und L int (int= Interimssprache) aufnimmt und
zweitens der Schreibprozess von ihm in einem lehr- und lernkontextorientierten
Übungsvorgang eingebettet wird (vgl. Ezhova-Heer: 2009, S. 118). Beim ersten Punkt,
d. h. Integration der L2 und L int im Hayes Modell geht er von der Interlanguage-
Hypothese aus - Selinker hat zum ersten Mal den Begriff Interlanguage im Jahre 1972
eingeführt - auf Deutsch heißt es, Interimssprache bzw. Lernersprache.
Die mit diesem Begriff verbundenen Interlanguage-Hypothese lautet wie folgt: „Beim
Erwerb einer zweiten Sprache bildet der Lerner ein spezifisches Sprachsystem heraus,
das Züge von Grund- und Zweitsprache sowie eigenständige, von Grund- und
39
Zweitsprache unabhängige sprachliche Merkmale aufweist“ (Bausch/Kasper: 1979, S.
15). Nach diesem Zitat ist die Interimssprache bzw. Lernersprache dynamisch und
ständiger Änderung unterworfen und kann Merkmale der Erstsprache (L1) oder der
Zielsprache (L2) enthalten. Börner wendet sich bei seinen Überlegungen bezüglich des
Schreibens in der Fremdsprache an Selinkers (1972) Interlanguage-Hypothese, weil er
der Ansicht ist, dass lernende Schreibende sich zwar im Folge des
Fremdsprachenerwerbs weiterentwickeln können, aber zu dem Zeitpunkt des Erfüllens
einer gestellten Schreibaufgabe im Fremdsprachenunterricht über einen bestimmten
Sprachstand bzw. das Wissen über die fremdsprachlichen Schreibprozesse in Form der
Interimssprache (Lernersprache) verfügen (vgl. Börner: 1989, S. 354f). Dadurch macht
er darauf aufmerksam, dass man beim Schreiben in der Fremdsprache nicht den
muttersprachlichen Schreibenden begegnet, sondern Lernenden Schreibenden, die mit
dem bisher erworbenen Sprachwissen und -können, das Börner Interimssprache oder
Lernersprache nennt, eine Schreibaufgabe in einem Prozess als Problemlösen meistern
sollen. Somit findet das Lernniveau, der fremdsprachliche Sprach- bzw. Schreibstand
der L2-Schreibenden unter Berücksichtigung des individuellen Vor- und
Kontextwissens sowie des sozialen Umfelds und der emotionalaffektiven Einstellung
der jeweiligen Schreibenden einen besonderen Platz beim Schreibprozess in einer
Fremdsprache ein. Zugleich gehören zu Börners auf das Schreiben im
Fremdsprachenunterricht ausgerichteten Modell neben der zwei Anpassungen des
Modells von Hayes die drei Komponenten; Langzeitgedächtnis, Aufgabenumgebung
und kognitive Prozesse aus dem Modell von Hayes und Flower. Der kognitive Prozess
beinhaltet wie im Hayes Modell (1980) drei Subprozesse von Planen, Formulieren und
Überarbeiten mit einer Überwachungsinstanz (Monitor).
Unter der Aufgabenumgebung sind differenzierte Schreibaufgaben und die
Schreibumgebung zu verstehen. Hierbei dient im Fremdsprachenunterricht entweder der
in L2 verfasste Ausgangstext oft als Basis für die Erstellung oder Korrektur des
Zieltextes, der von den Lehrenden angefertigt wurde oder Korrekturvorschläge des
Lehrers. Zudem wird die Schreibaufgabe durch sogenannte Schreibhilfen wie z. B.
Übungen mit den sprachlichen Hilfen in Form der Listen von Ausdruckmitteln,
Grammatikregeln, Wortschatzlisten usw. ergänzt (vgl. Börner: 1989, S. 354f).
Hinsichtlich des Inhalts muss der Schreiber selbst auf sein schon vorhandenes und
gespeichertes Vor- und Themawissen im Langzeitgedächtnis zurückgreifen.
40
Auf Grundlage der oben beschriebenen Ausführungen lässt sich zusammenfassen, dass
Börners Modell beachtliche Angaben über den L2-Schreibprozess und damit
verbundenen Faktoren anbietet. Darin liegt vor allem die Besonderheit im Vergleich zu
anderen Modellen, dass der Ist-Stand der Schreibenden über die fremdsprachlichen
Schreibprozesse in Form der Interimssprache oder Lernersprache in das Hayes Modell
integriert wird. Hingegen bleiben aber dabei ablaufende Prozesse bei der eigentlichen
Schreibhandlung nur an der Oberfläche.
Abbildung 5: Modell des fremdsprachlichen Schreibens nach Börner (1992, S. 301)
Im Widerspruch zu Börners Modell stellt Krings (1992) jedoch nur den Hauptteil des
Modells; das eigentliche Schreiben in den Vordergrund seines Schreibmodells und
schildert es ausführlich. Er identifiziert anhand von der Analyse, der Daten, die bei
deutschen Muttersprachlern durch die Methode des lauten Denkens ähnlich wie Hayes
und Flower beim Schreiben in der Fremdsprache Französisch erhoben wurden,
insgesamt vierzehn Subprozesse beim L2-Schreiben (vgl. Ezhova-Heer: 2009. S. 118).
Die Lautdenk-Äußerungen der Schreibenden hat Krings nicht nach ihrer Funktion im
41
Schreibprozess, sondern nach der Planungsebene; Global- vs. Feinpläne und nach der
Anwendungssprache; Erst- vs. Fremdsprache klassifiziert. Dabei geht er davon aus, dass
Schreiben in der Fremdsprache (L2-Schreiben) auf eine Doppelstruktur hinweist (vgl.
ebd.). Zudem macht er zwischen der Planungsphase und der Formulierung in der
Fremdsprache einen Unterschied, indem er meint, dass sich die inhaltliche Struktur
eines Textes nicht auf einmal sondern schrittweise in den Planungsprozessen entwickelt.
Gemäß ihm werden erst Planungsprobleme identifiziert und dann Globalpläne
hervorgebracht. In einem weiteren Schritt bezieht der Schreiber basierend auf den
schon generierten Globalplänen, die Gesamtplanung auf einzelne Inhalte, die er im Text
ausdrücken will, damit sich Feinpläne daraus ergeben. Demnach werden Feinpläne erst
in der L1, dann in der L2 durchgeführt, organisiert, überwacht und schließlich werden
die Pläne revidiert, um letztendlich zu entscheiden, welcher Plan überhaupt realisiert
wird. Krings (1989, S. 387ff, zitiert nach Ezhova-Heer: 2009: S.120) schreibt weiter,
dass die genannten Prozesse bis auf das fremdsprachliche Realisieren der Pläne auch
beim L1-Schreiben zu sehen sind. Dagegen geht es laut ihm bei den letzten vier
Subprozessen um L2-spezifische Vorgänge, indem erst L2-Probleme erkannt,
dementsprechend L2-Problemlösungsstrategien aktiviert, Problemlösungen evaluiert
und im Endeffekt Entscheidungen über diese Problemlösungen getroffen werden.
Insgesamt gibt es den wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge keinen großen
Unterschied zwischen dem Schreiben in der Muttersprache und der Fremdsprache, vor
allem wenn es um die Grundstruktur des Schreibprozesses geht. Einer der großen
Unterschiede ist hierbei, dass beim Schreiben in der Fremdsprache nicht nur eine,
sondern zwei Sprachen für kognitive Operationen zum Einsatz kommen (vgl.
Wang/Wen: 2002, S. 225). Diesbezüglich haben Whalen und Me´nared (1995) in ihrer
experimentellen Vergleichsstudie festgestellt, dass ihre Versuchspersonen beim
Schreiben sowohl in der Muttersprache als auch in der Fremdsprache die gleichen
kognitiven Subprozesse z. B. Planen, Ideenfinden, sprachliches Realisieren und
Formulieren, Überprüfen, Korrektur, Monitor, Bewerten und Abrufen der Erkenntnisse
und Erfahrungen aus dem Gedächtnis ausgeführt haben.
Da in beiden oben vorgestellten fremdsprachlichen Schreibmodelle von Börner (1989)
und Krings (1992) diese Fragen offen bleiben, welche Rolle die Muttersprache beim
Schreiben in einer Fremdsprache spielt und inwiefern sich das Niveau der Sprach-
kompetenz in der Fremdsprache sowie die L1-Schreiberfahrung des Verfassers auf den
42
L2-Schreibprozess auswirken, werden im Folgenden auf diese Fragestellungen näher
eingegangen.
4.1.1.2.1. Zur Rolle der Muttersprache beim fremdsprachlichen Schreibprozess
Dass die Muttersprache eine wesentliche Rolle beim Schreiben in der Fremdsprache hat,
wurde schon von früh in der fremdsprachlichen Schreibforschung wahrgenommen.
Krings (1986) ist aus seinen Studien zu dem Ergebnis gekommen, dass die
Muttersprache eine massive Rolle und Beeinflussung in der Steuerung
fremdsprachlicher Planungsprozesse spielt. Büchle (1990) schlägt vor, dass in ihrer
Forschung die Planungs- und Formulierungsprobleme, mit denen ihre
Versuchspersonen konfrontiert waren, durch Anwendung der muttersprachlichen
Lösungsstrategien bewältigt werden. Somit wird auch die Auswirkung der
Muttersprache auf der fremdsprachlichen Schreibhandlung auf der verbalen und
nonverbalen Ebene belegt (vgl. Ezhova-Heer: 2009, S. 134f). In diesem Zusammenhang
beschreibt Zamel in einer Studie, in der sie fortgeschrittene Lerner des Englischen nach
ihren Schreiberfahrungen und ihrem Schreibverhalten in der Fremdsprache gefragt hat,
dass eine Befragte, die die besten Textproduktionen unter den Versuchspersonen
verfasst und somit sich als beste Schreiberin herausgestellt hat, oft ihre Text zuerst in
der Muttersprache verfasst hat, um sie dann ins Englische zu übersetzen (vgl. Zamel:
1982, S. 201). Dies widerspricht aber der öffentlichen Meinung, dass die L2-Texte, die
durch Übersetzung aus der Muttersprache zustande kommen, keine guten Ergebnisse
bzw. Schreibleistungen erbringen können. Daraufhin kam Friedlander (1990, S. 118) zu
dem Ergebnis, dass wenn L2-Schreiber in der Sprache planen, die mit dem Thema ihres
Textes zusammenhängt und in der das Wissen über das Thema schon erworben wurde,
sie effektiver planen und bessere Ergebnisse/Texte verfassen werden. Demnach macht
es Sinn den Text zunächst in der Muttersprache vorzubereiten, wenn das Thema des
Textes aus der Sprach- bzw. Kulturgemeinschaft der Schreibenden stammt.
Laut Krings (1989) wird die Muttersprache bei Problemen bzw. Lücken im Bereich des
Wortschatzes häufig verwendet. Im Vergleich dazu meint Wang, dass Muttersprache
hauptsächlich beim Generieren von Ideen, beim Suchen nach Wörtern und bei der
Reflexion und Evaluation des fremdsprachlichen Schreibens Anwendung findet (vgl.
ebd., S. 360ff). Zudem kann Muttersprachengebrauch beim L2-Schreiber mit der
geringeren fremdsprachlichen Kompetenz als ein Hilfsmittel vor allem als
43
Kompensationsstrategie zum Ausgleich sprachlicher und nichtsprachlicher Probleme
funktionieren, indem sie während der Findung bzw. Versprachlichung ihrer Ideen und
Textplanung und –organisation muttersprachliche Wörter notieren können, falls ihnen
dabei keine fremdsprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten einfallen, um den Faden nicht
zu verlieren. In dieser Hinsicht weist Krings darauf hin, dass es eine weitgehende
Ähnlichkeit zwischen dem fremdsprachlichen Schreiben und dem Übersetzen aus der
Erstsprache in die Fremdsprache im Hinblick auf Schreibprozesse gibt, nämlich immer
dann, wenn nach einem passenden Ausdruck in der Fremdsprache gesucht wird (vgl.
Krings: 1989, S. 420). Auch Wang und Wen gehen davon aus, dass während ein
fremdsprachlicher Schreiber mit weit fortgeschrittenem L2-Sprachniveau seinen Text
direkt in der Fremdsprache verfasst, ein Fremdsprachenlerner/-schreiber mit niedriger
Sprachkompetenz hingegen seinen Text erst mithilfe der Übersetzung entwirft (vgl.
Wang/Wen: 2002, S. 240). Es ist davon auszugehen, dass Fremdsprachen-Lernanfänger
vor allem im Blick auf die Sprachmittel in der Zielsprache über fehlendes oder
defizitäres Sprachwissen verfügen, sodass sie als Problemlösung auf die
Spracheinheiten ihrer Muttersprache zurück greifen, um den Schreibprozess überhaupt
in Gang zu halten.
Demzufolge sind die meisten Sprachforscher (vgl. z. B. Wang/Wen: 2002, S. 240 u.
Woodall: 2002, S. 15) der Meinung, dass der Einsatz der Muttersprache mit der
Steigerung der fremdsprachlichen Sprachkompetenz abnimmt. Hingegen ergibt sich aus
einer Studie von Wang (2003, S. 368), dass Sprachlernende mit sehr hohen
fremdsprachlichen Kenntnissen beim Schreiben in der Fremdsprache ihre Muttersprache
häufiger verwendet haben, als solche mit niedrigeren. Börner (1989) geht in seinem
Modell des fremdsprachlichen Schreibens davon aus, dass die meisten sprachlichen
Aktivitäten beim Schreiben in einer Fremdsprache in der sogenannten Interlanguage,
Interimsprache oder Lernersprache stattfinden (vgl. Börner: 1989, S. 354). Damit
bezieht er sich auf die Interlanguage-Hypothese (siehe dazu auch Abschnitt 4.1.1.2), die
davon ausgeht, dass Lerner einer Fremdsprache sich einer Sprache bedienen, die sowohl
Merkmale der L1 als auch der L2 aufweist und veränderbar ist. Vor diesem Hintergrund
lässt sich folgendes feststellen: Obwohl die Auswirkungen der Muttersprache auf die
Fremdsprachenschreiber und L2-Schreibprozesse in der Fachliteratur sehr kontrovers
diskutiert wird, ist aber gleichsam eine hohe Einstimmigkeit darin vorhanden, dass alle
Forscher der Ansicht sind, dass die Muttersprache als strategisches Verhalten bzw. als
Hilfsmittel in bestimmten kognitiven L2-Schreibhandlungen zum Einsatz gebracht wird.
44
Daher sollte man der Gebrauch der Muttersprache beim Verfassen fremdsprachlicher
Texte nicht als etwas Negatives ablehnend gegenüberstehen, denn „the L2 writing
process is a bilingual event“ (Wang/Wen: 2002, S. 239).
In einem weiteren Schritt beschäftigt sich die Arbeit mit der Frage; inwiefern sich die
kognitiven Aktivitäten des fremdsprachlichen Schreibens von dem Fremdsprachen-
niveau der Schreibenden und ihrer muttersprachlichen Schreiberfahrung beeinflussen
lassen, um näher zu beleuchten, was und wie es weiter in diesem zweisprachigen
Prozess geht.
4.1.1.2.2. Zum Einfluss von L2-Sprachkompetenz und L1-Schreibkompetenz auf den
fremdsprachlichen Schreibprozess
In den Untersuchungen, die sich mit dem fremdsprachlcihen Schreiben befassen,
kommt häufig die Frage hinsichtlich des Einflusses von fremdsprachlichem Niveaus
sowie der muttersprachlichen Schreibkompetenz auf die L2-Textproduktion vor. Einige
Studien (Whalen/Menard 1995 u. Cummings 1989) belegen wiederholt, dass
muttersprachliche Schreibkompetenz und Fremdsprachenkompetenz grundlegende, aber
voneinander unabhängige Faktoren beim fremdsprachlichen Schreiben sind. Hierbei
wird Schreiben als ein Konstrukt betrachtet, das in zwei Teile gegliedert wird: einerseits
die Schreibexpertise und andererseits die Sprachkompetenz. Mit der Schreibexpertise
(siehe dazu Abschnitt 4.1.) ist die angewandte Vorgehensweise des Schreibers bei dem
Ideengenerieren und –organisieren sowie die inhaltliche Überarbeitung gemeint.
Demgegenüber beschreibt Sprachkompetenz das vorhandene lexikalische, syntaktische,
grammatische und stilistische Wissen vor allem aber den Einsatz des Sprachsystems,
das für einen bestimmten Kontext zum Schreiben in einer Sprache verwendet wird (vgl.
Porsch: 2010, S. 41). Darauf wird weiterhin abgezielt, dass insbesondere
Schreibexpertise/-kompetenz, die schon in der Muttersprache erworben und vorhanden
ist, das Potenzial für die Übertragung in das fremdsprachliche Schreiben besitz und zu
einem interlingual geltenden Schreibkonzept beitragen kann. Ebenso weisen Raimes
(1987), Whalen/Menard, (1995) und Ezhova-Heer (2009) darauf hin, dass die
Schreibangewohnheiten und -erfahrungen bzw. verwendete Schreibstrategien in der
Erstsprache auf das fremdsprachliche Schreiben transferiert werden und nebenbei auch
die Qualität dieser Strategien übertragen wird. Darüber hinaus bemerkt Raimes in seiner
Studie weiter, dass die Schreiberfahrung; auch im Sinne von Erfahrungen im L1-
45
Schreiben, eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung von L2-Schreibkompetenz spielt
(vgl. Raimes: 1987, S. 459). Diese Ansicht vertritt ebenso Wolff, indem er verdeutlicht,
dass die Schreibkompetenz in der Fremdsprache von der Schreibkompetenz in der
Erstsprache geprägt ist: „[E]in L2-Lerner, dessen muttersprachliches Schreibverhalten
einen hohen Entwicklungsstand erreicht hat, vermag diesen auch auf sein
zweitsprachliches Schreibverhalten zu übertragen“ (Wolff :1992, S. 121f). Somit bleibt
die Tatsache, dass L1-Schreibkompetenz eine direkte bzw. positive Auswirkung auf L2-
Schreiben hat, weitgehend zweifellos. Dagegen gibt es bisher in den Untersuchungs-
ergebnisse zum Zusammenhang zwischen der Fremdsprachenkompetenz und dem
fremdsprachlichen Schreiben keine einstimmigen Befunde. Diesbezüglich kommt
Woodall (2002, S. 10) zum Schluss, dass während einige Studien eine positive
Einbeziehung des Fremdsprachenniveaus mit der Schreibleistung belegen, konnten
andere hingegen keine direkte und starke Verbindung nachweisen.
Eine Übersicht über den Einfluss der beiden Variablen L1-Schreibkompetenz und L2-
Sprachkompetenz auf die Qualität des L2-Textes und auf die beim L2-Schreiben
verwendeten Strategien gibt die empirische Untersuchung von Cumming (1989), auf die
in der Fachliteratur häufig verwiesen wird. In seiner Studie lässt er 23
französischsprachigen Studenten des Grundstudiums Englisch mit verschiedenen
Sprachenniveaus in Englisch als Fremdsprache und differenter Schreiberfahrung in
Französisch als Muttersprache, drei unterschiedliche Texte auf Englisch (Brief,
Zusammenfassung, argumentativer Text) schreiben. Zum Schluss zieht er von den
Analysen von Texten und Protokollen des lauten Denkens die folgenden Ergebnisse
(vgl. Cumming: 1989, S. 82ff): Die allgemeine Qualität der produzierten Texte
verweisen auf ihre Verbindung mit den beiden Variablen L1-Schreibkompetenz und L2-
Sprachkompetenz, indem die erfahrenen Schreiber mit einem höheren Fremdsprachen-
niveau qualitativ hochwertigere Texte verfasst haben. Insbesondere beeinflusst die
Schreibkompetenz in der Muttersprache Textorganisation und Inhalt des Produktes
positiv, weil sich geübte Schreiber viel mehr und intensiver mit den Fragen im Hinblick
auf die Textorganisation und die Art und Weise, wie man mit dem Text gut und
zielorientiert voran kommt, befassen. Hingegen konzentrieren sich unerfahrene
Verfasser beim Schreiben vor allem auf die inhaltliche Basis und den Sprachgebrauch.
Außerdem sind Schreiberfahrene in der Lage, Textorganisation, Inhaltsbasis und
Sprachgebrauch und Zusammenhang zwischen diesen Ebenen gleichzeitig zu beachten
und gelegentlich bei Bedarf den Fokus von einem zum anderen zu lenken. Im Vergleich
46
dazu denken Schreibende mit geringerer Schreibkompetenz oft nur über den nächsten
Satz nach, anstatt den Text als Ganzes und als eine komplexe Einheit zu betrachten.
Somit werden sie durch geringe Aufmerksamkeit auf die beteiligten bzw. ablaufenden
Kern- und Subprozesse des Schreibens und fehlende Berücksichtigung der Verbindung
zwischen diesen Ebenen bezeichnet (vgl. ebd). Cummings schreibt weiter, dass bei der
sprachlichen Qualität des fremdsprachlichen Textes beide Kompetenzen; sowohl L2-
Sprach-kompetenz als auch L1-Schreibkompetenz eine entscheidende Rolle spielen. Im
Blick auf die Sprachverwendung beim fremdsprachlichen Schreiben wurde außerdem
gezeigt, dass erfahrene Schreiber sich viel Zeit bezüglich der Wortwahl nehmen und
viel darüber nachdenken, während unerfahrene sich weniger um die Qualität ihrer
Wortwahl Gedanken machen (vgl. ebd. S. 95ff).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Schreibkompetenz in der Muttersprache
und Sprachkompetenz in der Fremdsprache auf unterschiedliche Weise den L2-Schreib-
prozess beeinflussen. Während die L2-Sprachkompetenz eben zur sprachlichen Qualität
des Textes bei trägt, aber keine relevante Auswirkung auf den Schreibprozess bzw. auf
die kognitiven Schreibhandlungen hat, gilt jedoch L1-Schreibkompetenz als eine
zentrale kognitive Fertigkeit, die über Sprachen hinweg übertragbar und brauchbar ist.
Im folgenden Kapitel wird auf die Entwicklung der Schreibkompetenz eingegangen, um
zu erläutern, wie sich die Schreibkompetenz in der Tat entwickeln bzw. entfalten lässt.
4.2. Zur Entwicklung der Schreibkompetenz
Wie in den vorhergegangenen Abschnitten erläutert wurde, verweist der Begriff
„Schreibkompetenz“ auf einen komplexen Entwicklungsprozess (vgl. Fix: 2008, S. 32).
Darüber hinaus geht der Begriff der prozessorientierten Schreibdidaktik nicht nur auf
den Prozess des Schreibens selbst ein, sondern auch auf den Prozess der Entwicklung.
Becker-Mrotzek und Böttcher (2006, S. 64) sind der Meinung, dass die
Schreibkompetenz sich in einem langen Entwicklungsprozess entfaltet, der bis weit ins
Erwachsenenalter hineinreicht. Beisbart vertritt auch diese Ansicht, indem er schreibt,
dass Entwicklung zur Befähigung von geschriebener Sprache ein enorm langer und
schwieriger Prozess ist und sich als ein komplexes Feld bezeichnet, bei dem
Komponente wie z. B. Sprachentwicklung, Schreibinteresse und Schreibhaltung,
Schreibroutinen sowie kognitiver und kommunikativer Textkompetenzerwerb eine
47
wesentliche Rolle spielen (vgl. Beisbart: 2003, S. 59ff). In diesem Zusammenhang
gehen Becker-Mrotzek und Böttcher davon aus, dass fachspezifische Fähigkeiten sogar
lebenslang erworben werden konnen; gemäß ihnen ist „Schreibentwicklung […] ein
lebenslanger Prozess“ (Becker-Mrotzek/Böttcher: 2006, S. 64), der sich auf die
Kognition, Emotion und auf die Aktionen des Menschen auswirkt (vgl. Beisbart: 2003,
S. 59). Unter dieser Betrachtung wird im Folgenden auf ein Schreibentwicklunsmodell
von Bereiter (1980) eingegangen, das häufig die Grundlage für weitere Modelle
darstellt, um einen Überblick über einzelne Entwicklungsstufen zu schaffen und
notwendige Fähigkeiten zum Eintritt in eine höhere Stufe herauszustellen, damit später
Rückschlüsse auf theoretische und didaktische Überlegungen bezüglich des
Schreibunterrichts gezogen werden können. In diesem Zusammenhang zeigt die
folgende Darstellung als Orientierungshilfe fünf solcher Entwicklungsstufen des
Schreibens, die sich aufeinander aufbauen und alle einen unterschiedlichen Punkt in
Fokus nehmen.
Abbildung 6: Modell der Schreibentwicklung nach Bereiter (1980, S. 84)
Carl Bereiter (1980) hat in seinem Modell fünf Niveaus der Entwicklung des Schreibens
benannt, indem er dabei die komplexe Schreibfähigkeit in Teilfähigkeiten trennt und
nach ihrem Schwierigkeitsgrad einstuft. Obwohl in Bereiters Modell eine klare
Trennung der fünf Stufen zu sehen ist, weist er aber selbst darauf hin, dass trotz einer
gewissen natürlichen Ordnung zwischen den Stufen, jede Stufe zum Teil selbstständig
entwickelt werden kann. Darunter versteht man, dass diese fünf Stufen nicht
voneinander getrennt werden können, sondern unter der Dominanz einer Stufe die
48
Übergänge zwischen den einzelnen Stufen fließend verlaufen (vgl. Sieber: 2003, S.217).
Noch dazu führt Bereiter aus, dass „selbstverständlich […] eine simultane Entwicklung
aller Stufen über den Verlauf der Schulzeit zu erwarten [ist]“ (Bereiter: 1980, S. 82).
Schreiben als Problemlösen lässt sich demnach nur vermitteln, wenn Schreibkompetenz
als persönliche Ausdrucks- und Entwicklungsmöglichkeit empfunden wird und
zunehmend im Unterricht Relevanz und Verwendung findet. Im Zusammenhang mit der
Entwicklung der Schreibkompetenz wird immer ganz klar darauf aufmerksam gemacht,
dass die Schreibkompetenz weitgehend in den Bildungsinstitutionen gelehrt und gelernt
werden kann. Hierzu erklärt das Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (2001, S.
19), dass zwar Schreibkönnen eng verbunden mit der allgemeinen kognitiven
Entwicklung ist, es aber nahezu völlig von planvollen Lernprozessen abhängt. In
Anlehnung an Bereiter (1980, S. 83ff) und Merz-Grötsch (2005, S.131ff) werden an
dieser Stelle die fünf Stufen der Entwicklung von der Schreibkompetenz näher erläutert:
1. Assoziatives Schreiben (associative wirting): Diese erste Stufe bezeichnet man
als Beginn der Schreibentwicklung. Der Schreiber schreibt ohne Planung das,
was ihm im Moment einfällt. Hierbei schreibt man seine Ideen und Erlebnisse
ohne Orientierung an einen Adressaten. Der Schreibprozess steht in dieser Stufe
im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
2. Performatives/Normorientiertes Schreiben (performative writing): Im Vergleich
zu erster Stufe schreibt der Schreiber auf zweiter Ebene unter Berücksichtigung
der Schreibnormen wie z. B. Grammatik, Rechtschreibung, Ausdruck, Stil und
Textsorte, die ihm an der Schule vermittelt wurden. Dabei richtet er sich auf die
Erwartungen eines Lesers aus, der häufig Lehrperson ist. Der Fokus liegt hier
auf dem Produkt.
3. Kommunikatives Schreiben (communicative writing): Der Schreiber beachtet
bei der Textproduktion an die potenziellen Leser, deren Wissen und
Einstellungen. Das heißt, er schreibt adressatenbezogen und daher liegt die
Aufmerksamkeit in dieser Stufe auf dem Leser/Adressaten.
4. Selbstreflexives/Authentisches Schreiben (unified writing): Auf vierter Ebene
liegt der Fokus vor allem auf dem Schreibprodukt, indem der Schreiber seine
Texte selbst als Leser auf Basis von seinem eigenen Stil sowie seiner Ab- und
Ansicht beurteilt.
5. Heuristisches/Wissen erzeugendes Schreiben (epistemic writing): Auf dieser
höchsten Stufe schreibt man vor allem, um neue Erkenntnisse und Ideen zu
49
gewinnen bzw. eigene Gedanken zu strukturieren. Somit dient dieses Schreiben
der Erschließung der Welt. Nur wenige Schreiber erreichen diese Stufe, weil
hier weitgehend reflexiv und metakognitiv gesteuerte Schreibstrategien und
Arbeitstechniken benötigt werden.
Da Schreibentwicklung nach Becker-Mrotzek und Böttcher (2006, S. 74) in einem
mehrdimensionalen und mehrstufigen Prozess geschieht, ist sie sehr zeitaufwendig bzw.
arbeitsintensiv. Mit der Zeit entwickelt man seine Schreibkompetenz von einer
„subjektiv-egozentrischen über eine eher objektive hin zu einer zunächst formal und
schließlich am Adressaten orientierten Perspektive“ (Frilling: 1999, S. 57). Bezüglich
der gestuften Modellen der Entwicklung der Schreibkompetenz wie z. B. Beretters
Modell ist immer zu beachten, dass die Schreibkompetenz weitgehend in pädagogischen
Institutionen vermittelt wird und daher ist sie eine Entwicklung, die von planvollen
Lernprozessen abhängig ist.
Im weiteren Schritt werden die institutionelle Rahmenbedingungen sowie curriculare
Vorgaben für die Entwicklung von Schreibkompetenz im DaF-Unterricht an der
Universität Kabul dargestellt, die das Schreiben beeinflussen können, da diese in den
umfassenden Schreibkompetenzmodellen ebenfalls berücksichtigt werden.
4.3. Zur Organisation und Entwicklung der Schreibkompetenz im
Rahmen des BA-Curriculums an der Universität Kabul
Das Hochschulwesen in Afghanistan unterscheidet sich zum Teil von jenem in
Deutschland und das betrifft auch das Fach Deutsch als Fremdsprache an der
Universität Kabul. So muss z. B. an den deutschen Universitäten im Laufe des Studiums
für den Nachweis der erbrachten Leistungen oft die kurzen selbständigen
wissenschaftlichen Arbeiten geschrieben werden, was an den afghanischen
Universitäten selten der Fall ist. Dabei spielen wie schon ausführlich dargestellt,
unzählige politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Umstände eine Rolle. Die
Mehrheit der Afghanen will studieren, um nach dem Studium durch eine gut bezahlte
Arbeit ein besseres Leben zu führen. Somit ist das Studieren in Afghanistan eher zu
einer Art der sozialen Gewohnheit geworden. Um studieren zu dürfen, muss man zuerst
zwölf Jahre die Schule besuchen und dann die Aufnahmeprüfung der Universität
(Konkor) bestehen. Fast alle Schulabsolventen sind bestrebt, um jeden Preis in eine
50
Universität einzutreten, am liebsten in die von Afghanen angesehenen und
hochgeschätzten Fakultäten wie Medizin, Jura, Ingenieurwesen und Wirtschaft. Das
Studium an diesen Fakultäten sind nur für diejenigen zugelassen, die in der
Aufnahmeprüfung die höchste Punktzahl erreicht haben. Im Gegensatz dazu ist das
Studieren einer Fremdsprache an der Universität oft damit verbunden, dass man sich oft
fragt, ob es im weiteren Leben von Relevanz und Nutzen sein wird, und wenn nicht,
warum man dies dann studiert. Mit dieser Frage wird man häufig konfrontiert,
insbesondere bei der Vermittlung der Schreibkompetenz im Deutschen als
Fremdsprache. Es wird behauptet, dass man das Schreiben im Allgemeinen und im
Deutschen insbesondere als Kompetenz nach dem Studium gar nicht mehr verwendet
bzw. benötigt. Übrigens wird das Studium an der Fakultät für Sprachen und Literatur
von der Gesellschaft nur selten wertgeschätzt und vermutlich deswegen ist für den
Eintritt in diese Fakultät eine niedrige Punktzahl bei der Aufnahmeprüfung ausreichend.
Schlussfolgernd lässt sich feststellen, dass sich bestimmte Rahmenbedingungen, Vor-
und Einstellungen förderlich bzw. nicht förderlich auf eine gelungene Vermittlung des
Schreibens auf unversitärer Ebene auswirken, denn Schreibentwicklung sei kein
natürlicher Reifungsprozess (vgl. Becker-Mrotzek/Böttcher: 2003, S. 46).
An den afghanischen Universiäten ist der Mangel an einer systematischen Lern- bzw.
Lehrtradition bezüglich der Schreibdidaktik deutlich zu merken, insbesondere jene
Voraussetzungen, die die Förderung einer fremdsprachigen Schreibkompetenz im
akademischen Bereich begünstigen. Generell steht im Studium der Fremdsprachen die
Vermittlung der mündlichen Sprachkompetenz als Hauptziel sowohl aus der Sicht der
Lernenden als auch der Lehrenden im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Daher wird das
Schreiben in der Fremdsprache wenig behandelt oder geübt. Sogar in den zwei
Nationalsprachen Dari und Paschtu wird keine systematisch didaktische Einführung
bezüglich des Schreibens unternommen. Hingegen muss man bei den Prüfungen die
vermittelten Lerninhalte schriftlich wiedergeben. Es geht dabei um Klausuren, in denen
man das Gelernte aufschreibt ohne, dass dabei Teilfähigkeiten wie Weltwissen,
Grammatik, Rechtschreibung, Kenntnisse um situative und kommunikative
Bedingungen beim Schreiben in den Einsatz kommen, da es sich bei diesen Prüfungen
mehr um Wissenswiedergabe und weniger um Wissensverarbeitung und -entdeckung
handelt. Unter diesen Umständen müssen die Studierenden am Ende des vierjährigen
Bachelorstudiums eine wissenschaftliche Abschlussarbeit verfassen. Erst an dieser
Stelle tauchen enorme Schwierigkeiten bezüglich der Schreibproduktion auf, bzw. wenn
51
man als DaF-Lerner diese Abschlussarbeit in der Fremdsprache Deutsch schreiben
muss. In diesem Zusammenhang soll in dem nächsten Schritt beleuchtet werden, unter
welchen Bedingungen DaF-Unterricht an der Universiät Kabul stattfindet.
4.3.1. Rahmenbedingungen des Unterrichts Deutsch als Fremdsprache
Angelehnt an Behbud (2008, S. 17ff) werden hier kurz auf die institutionellen
Rahmenbedingungen des Fremdsprachenstudiums Deutsch an der Universität Kabul
eingegangen:
Der Fachbereich Deutsch als Fremdsprache wurde im Rahmen der Fakultät für
Sprachen und Literatur im Jahre 1961 gegründet. Die Fakultät für Sprachen und
Literatur, die 10 Sprachabteilungen hat, nimmt jährlich fast 800 Studierende für das
erste Studienjahr auf. Nach der Englischabteilung ist die Deutschabteilung die
zweitgrößte Fremdsprachenabteilung. Die Zulassung ist jedoch aus Raum- und
Kapazitätsgründen auf 30 Studierende jährlich beschränkt. Trotz dieser begrenzten
Kapazität wurde die Deutschabteilung seit kurzem von Hochschulminissterium
gezwungen, jährlich maximal 60 Neustudierende aufzunehmen. Die Deutschabteilung
hat zur Zeit ca. 100 Studierende, die von 8 afghanischen DaF-Lehrkräften unterrichtet
werden. Hierbei fehlen neulich in der Deutschabteilung Lehrpersonen, die Deutsch als
Muttersprache haben und somit den DaF-Studierenden einen authentischen Kontakt mit
der Zielsprache ermöglichen können. Nach der Talibanzeit 2001 gab es zwar viele
Austauschprogramme für Lehrkräfte und Studierende der Deutschabteilung und sie hat
die umfassende Unterstützung der Deutschen bei ihrem Wiederaufbau erfahren. Im
Laufe der Zeit haben sich aber derartige akademische Austausche aus
Sicherheitsgründen und aufgrund einiger Missverständnisse verringert, worunter die
gesamte Deutschabteilung leidet.
Das Bachelor-Studium in der Deutschabteilung dauert 4 Jahre (8 Semester). In den
Semestern 1 bis 4 geht es vor allem um intensiven Deutschunterricht, weil fast alle
Studierende ohne Deutschkenntnisse mit dem Deutschstudium beginnen. Der Unterricht
wurde seit dem Wiederaufbau der Deutschabteilung 2002 im Grundstufenbereich mit
dem Lehrwerk Sprachkurs begonnen. Später wurde 2003 auf die Lehrwerke Passwort
Deutsch und em umgestellt. Seit 2011 unterrichtet man mit dem Lehrwerk Studio d von
A1 bis in die fortgeschrittenen Niveaustufen. Ab dem dritten Studienjahr kommen neue
52
Fächer wie z. B. Linguistik, Literatur, Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens und
Übersetzung hinzu. Dabei sollte in der Regel die Unterrichtssprache Deutsch sein, aber
dies ist oft nicht der Fall, da man sich in einer gleichsprachigen Lerngruppe müheloser
in seiner Muttersprache verständigen kann. Neben den erwähnten Hauptfächern stehen
auch allgemeine heimatgebundene Ergänzungsfächer wie Dari/Paschtu als
Nationalsprachen und Islamische Kultur auf dem Stundenplan. Abschließend muss man
eine maximal 30-seitige Abschlussarbeit in der Fremdsprache Deutsch schreiben.
Die Deutschabteilung verfügt über drei Klassenräume unterschiedlicher Größe, in denen
20 bis 35 Studierende Platz finden. Wie in den meisten Schulen und Fakultäten der
Universität Kabul verfügen die Klassenräume über die ungünstigen Einzelstühle, die
weniger optimal für einen guten DaF-Unterricht beispielsweise in Form intensiver
Gruppenarbeit, fungieren. Die Deutschabteilung besitzt noch über eine kleine
Bibliotheck mit Computerarbeitsplätzen, der standardmäßig mit dem üblichen
multimedialen Equipment ausgestattet ist. Darüber hinaus ist in der Zentralbibliothek
der Universität Kabul ein deutscher Lesesaal eingerichtet, in dem nicht nur Bücher in
deutscher, englischer und arabischer Sprache zu finden sind, sondern auch Schreibtische
und Stühle.
Zusammenfassend lässt sich bezüglich des DaF-Unterrichts an der Universität Kabul (in
Anlehnung an Glück 1991 u. Baur 2001 zitiert nach Ezhova-Heer: 2009, S.69)
feststellen, dass im Deutschstudium die Fremdsprache Deutsch gesteuert erworben
wird. Die DaF-Studierenden verwenden in ihrem Alltag sogar beim fachlichen Lernen
und ihrer Weiterbildung ihre Muttersprache als Verständigungs- bzw.
Kommunikationsmittel. Weiterhin geht es dabei um eine homogene Gruppe und man
hat fast keine Kontakte zu Muttersprachlern und keine Bindung an das Zielsprachenland
(Deutschland). Somit besitzt der Unterricht DaF eine sehr geringe lebenspraktische
Relevanz und Anwendung. Viele studieren Deutsch aufgrund sich ergebender
beruflicher Perspektiven wie z. B. bei den in Kabul ansässigen deutschen Mittler- und
Hilfsorganisationen, bei deutschen Firmen oder als Dolmetscher bei der Bundeswehr zu
arbeiten. Die Hoffnung in Deutschland weiter zu studieren, ist ein weiteres Motiv,
Deutsch zu lernen. Demgemäß nimmt man jeden Dialog in der Fremdsprache Deutsch
als eine sprachliche Übung oder als ein kommunikatives Spiel zugunsten eines
instrumentellen Zieles wahr, da auch die Zukunftspläne instrumentell sind. Somit wird
weitgehend Grammatik und Konversation im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gelegt
53
und die Forderung und Förderung des fremdsprachlichen Schreibens als ein
sprachliches Handeln vor allem als ein zukünftiger Erfolgsfaktor sehr geringe
Bedeutung findet.
4.3.2. Curriculare Vorgaben für die Entwicklung von Schreibkompetenz im DaF-
Unterricht
Auf Basis der Modulbeschreibung des Faches „Schreiben“ wird in diesem Abschnitt
dargestellt, was das BA-Curriculum des Deutschstudiums in Kabul bezüglich der
Entwicklung der Schreibkompetenz vorschreibt. Damit wird einen Überblick über die
Förderung der Schreibkompetenz im Fachbereich Deutsch als Fremdsprache an der
Universität Kabul verschafft.
In den ersten vier Semestern, d. h. in den ersten beiden Studienjahren, wird Schreib-
kompetenz kombiniert mit anderen Fertigkeiten (Sprechen, Hören und Lesen) anhand
von dem verwendeten Lehrwerk vermittelt. Dabei werden die Schreibanlässe und -
übungen auf die persönlichen und halbformellen Übungen wie das Schreiben von
Briefen, das Ausfüllen von Formularen und das Verfassen von Lebensläufen reduziert.
Ab dem dritten Semester gibt es ein weiteres Modul mit dem Titel
„Textfunktion/Textproduktion“, das bis Ende des fünften Semesters dauert. Dabei
werden die Studierenden erst im 3. Semester aufgefordert, einige Textsorten aus ihrer
Muttersprache zu sammeln, die später je nach Form und Inhalt näher behandelt und
analysiert werden. Nebenbei bilden auch Rechtschreibung und Zeichensetzung
gelegentlich Gegenstände des Lernens. Dies sollte zur Sensibilisierung für das
Schreiben bzw. kulturspezifische Unterschiede zwischen Textsortenausgestaltung in der
Mutter- und Fremdsprache Deutsch beitragen. In dem nachfolgenden Semester
beschäftigt man sich mit den Fragen „Warum und wie schreibt man?“, wobei nahezu
gänzlich die theoretischen Anleitungen und Regeln vermittelt werden. Das Ziel ist dabei
Grundlagenschaffung, insbesondere Etappen der Entstehung einer schriftlichen Arbeit,
d. h. den Schreibprozess zu erkennen, um später mit Hilfe dieser theoretischen
Erkenntnisse schreiben zu können. Im fünften Semester handelt es sich beim Modul
Schreiben um die Vermittlung von Formen und Funktionen der Texte wie z. B.
erzählende, informierende und beschreibende Texte. Ziel dieses Moduls ist, dass die
Studierenden in die Lage versetzt werden, verschiedene Textformen voneinander
unterscheiden zu können.
54
Im sechsten Semester wird der Name des Moduls von „Textproduktion- und Funktion“
in „Methodik des wissenschaftlichen Schreibens“ geändert. Dabei werden die Themen
im Bezug auf wissenschaftliches Schreiben sowie Bekanntmachung mit dem
Regelsystem und den normativen Vorgaben wissenschaftlicher Arbeiten behandelt; die
Vorgehensschritte bei der Verfassung wissenschaftlicher Arbeiten wie Themenauswahl,
Informationssuche, Informationsauswertung und -verarbeitung, Erstellung des
Rohmanuskripts, Endfassung und Schlusskorrektur. Daraus folgend setzen sich die
Studierenden im siebten Semester (dem vorletzten Semester) praktisch mit der
Themenfindung und Materialsammlung hinsichtlich ihrer bevorstehenden Abschluss-
arbeit auseinander, auf Basis dessen, was sie bezüglich des Schreibens in den
vergangenen Semestern gelernt haben. Diese Beschäftigung wird unter Leitung der
Modulbeauftragten für das Schreiben und den jeweiligen Betreuern der Studierenden
fortgesetzt, bis sie die Abschlussarbeit anfertigen.
Angesichts der obigen Modulbeschreibung lässt sich anmerken, dass bei der
Entwicklung der Schreibkompetenz in Deutsch als Fremdsprache an der Universität
Kabul das Schreiben zu einem großen Teil über das Wissen über das Schreiben und
nicht über das Schreiben selbst vermittelt wird. Damit wird das Schreiblernen auf
keinen Produktionsprozess des Schreibens, der oft zu einem Schreibprodukt führt,
ausgerichtet, sondern fest auf einen Rezeptionsprozess, indem die Studierenden meist
rezeptiv durch das Lesen verschiedener deutschsprachiger Lehrmaterialien in Bezug auf
dem Themenbereich Schreiben mit dem fremdsprachlichen Schreiben bekannt gemacht
werden. Diese Vorgehensweise lehnt sich zum Teil an den Schritten der sogenannten
Standard-Strategie (vgl. Portmann: 1993, S. 97ff u. Ludwig: 1996: S. 221ff), wobei
typische Muster des Schreibens im Unterricht häufig darin bestehen, dass zu einem
Thema nach einer Phase der Vermittlung von den bestimmten Begriffen und
Anweisungen zur Ausarbeitung des Textes, in einer Aktion zu Hause oder in den
folgenden Unterrichtseinheiten das Erarbeitete verschriftlicht wird. Zum Schluss
werden die Lernertexte optimalerweise überprüft und Verbesserungsvorschläge
gemacht. Laut Ludwig: „So wird und – so kann auch nicht schreiben gelernt werden“
(1996: S. 233). Ebenfalls äußert sich Abraham (1994, S. 76f) gegen die Standard-
Strategie bei der Entwicklung der Schreibkompetenz und bezeichnet ein solches
Verfahren als ein Textverhör, das kleinschrittig, extrem lehrer- bzw. lehrbuchgesteuert
ist.
55
4.4. Zusammenfassung des Kapitels
Von den obigen Beschreibungen bezüglich der Entwicklung der Schreibkompetenz im
DaF-Unterricht in Kabul wird ersichtlich, dass in den Richtlinien und Lehrplanungen
am universitären DaF-Unterricht nur wenig auf die Lernende, ihre Bedürfnisse, ihre
Probleme und ihre Sprachlernprozesse eingegangen werden. Hierzu sollen beispielweise
Entwickler von Curricula bei Auswahl der Schreibthemen und -aufgaben die Ansprüche
und lokale Lebensbedingungen der DaF-Studierenden in Kabul berücksichtigen, damit
sie von ihnen als nützlich und relevant empfunden werden. In der „Einzelgänger-
Hypothese“ von Riemer (1997, S. 77) erfährt man zu Recht, dass: „der
Fremdsprachenerwerb ein hochgradig individuell ablaufender Prozeß [sic!] [ist], der
unterschiedlichen außersprachlichen (affektiven, sozialen und kognitiven)
Voraussetzungen unterliegt. Jeder Lerner ist in unterschiedlichem Maße imstande, Input
wahrzunehmen, interaktiv auszuhandeln und zu verarbeiten“. Demnach sei das Lernen
bzw. Fremdsprachenlernen eine individuelle Angelegenheit, wobei die Lernenden als
einzelne denkende und fühlende Individuen anzusehen seien. Dennoch lässt sich das
Fremdsprachenlernen aber nicht nur als ein individuelles, sondern auch als ein
überindividuelles und gruppenspezifisches Anliegen betrachten, wenn das Lernen in
einem institutionellen Kontext stattfindet, weil die institutionellen und didaktischen
Faktoren sich fördernd oder hemmend auf den Lernprozess auswirken (vgl. Ossner:
1996, S. 83).
Vor diesem Hintergrund gilt es schließlich zu beachten, dass es zur Optimierung der
DaF-Unterrichtspraxis außerhalb des deutschsprachigen Raums wie z. B. Fachbereich
Deutsch als Fremdsprache in Afghanistan vor allem einer vorherigen
Situationsdefinition, einer Erklärung der Entstehungs- und Entwicklungsfaktoren sowie
deren Diagnose bedarf, die durch empirische Untersuchungen wie die vorliegende
Arbeit ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit verwirklicht werden können.
56
5. Die empirische Studie
5.1. Schreibproduktion: Subjektive Theorien der afghanischen DaF-
Studierenden zum Thema Schreiben in Dari als Muttersprache
und in Deutsch als Fremdsprache
Um die subjektiven Theorien der DaF-Studierenden an der Universität Kabul, d. h.
individuelle Vorstellungen und Besonderheiten von Schreibproduktion in der
Muttersprache Dari bzw. in der Fremdsprache Deutsch darzustellen, wurden zuerst im
Theorieteil der vorliegenden Arbeit allgemeine kulturgeprägte Schreib- und
Lerntraditionen afghanischer Studierende und begriffliche Festlegungen bezüglich des
Schreibens wie z. B. Definition und Funktion des Schreibens, dessen Anforderungen
und Schwierigkeiten, Modelle des Schreibprozesses und Schreibmodelle zur
Entwicklung der Schreibkompetenz angeführt, die sicherlich nicht nur
muttersprachliches Schreiben, sondern auch fremdsprachliches Schreiben im
universitären Bereich beeinflussen. Als nächster Schritt werden nun in den
nachfolgenden Ausführungen Untersuchungsergebnisse von subjektiven Theorien der
afghanischen DaF-Studierenden zum Thema Schreibproduktion in der Muttersprache
bzw. in der Fremdsprache Deutsch präsentiert.
5.1.1. Ausgangspunkt und Anliegen der Studie
Zur Erläuterung der subjektiven Theorien afghanischer DaF-Studierenden im Umgang
mit Schreibkompetenz und Analyse ihrer Textproduktionen wurde im vierten Kapitel
die systematische Entwicklung der Schreibkompetenz behandelt. Außerdem wurde
festgestellt, dass gewöhnlich sowohl im muttersprachlichen als auch im
fremdsprachlichen Unterricht, nicht nur an der Schule sondern auch an der Universität
und sogar in der Öffentlichkeit mündliche Tätigkeiten bzw. Fähigkeiten weitgehend
gefordert und gefördert werden. Ebenso wird im Rahmen des Schreibunterrichts
Deutsch als Fremdsprache an der Universität Kabul die Anforderung der
Schreibkompetenz und damit Förderung dieser Fähigkeit oft vernachlässigt. Hingegen
wird die Förderung der Schreibkompetenz nahezu nur auf die theoretische Vermittlung
von Textformen und –normen und dazugehörige Redemittel beschränkt (siehe dazu
ausführlich Abschnitt 4.3.2.). Demnach wird Schreibförderung wie im traditionellen
57
produktorientierten Ansatz auf die Stufen der Textproduktion, die in einer zeitlichen
Abfolge hintereinander ablaufen, reduziert, indem man Darstellungsformen bzw.
stilistische Normen der Texte vermittelt und übt; Textformen wie die Erzählung, der
Bericht, die Beschreibung und die Schilderung. Zum Schluss wird hierzu nur der fertige
Text bewertet. Das heißt, es werden Formen kennengelernt, mit denen Inhalte in einer
festgelegten Abfolge dargestellt werden können (vgl. Becker-Mrotzek/Böttcher: 2003,
S. 22). Da es keine Fokussierung auf die Vermittlung des Prozesses von Schreiben und
keine Auffassung gibt, dass der Schreibprozess nicht gerade ohne bewegliches Gelenk
und starr verläuft, sondern die beteiligten Schreib-Prozessebenen wie Planung,
Formulierung und Überarbeitung sich ständig während des gesamten Prozesses
wechselseitig bedingen, wird es selten behandelt, wie ein Schreiblerner eine schriftliche
Arbeit in klar gegliederte Phasen durch Auswahl der angemessenen Schreibstrategien in
den einzelnen Phasen bewältigen kann, indem man ihm durch lebensnahe praktische
Schreibanlässe und –übungen (z. B. das Schreiben von E-Mails) zeigt, wie man beim
Schreiben Schritt für Schritt von der Planung bis zur Überarbeitung vorgeht. Laut
Beisbart (2003, S. 60) wird ein Lerner dann ein erfahrener und fähiger Schreiber, wenn
er sich dafür eignet eine Schreibaufgabe in die folgenden Teilprozesse zu segmentieren:
Planungs-, Formulierungs- und Überarbeitungsprozesse. Dadurch kann er langsam aber
sicher in die Lage versetzt werden, eine Schreibhandlung systematisch zu steuern und
zu kontrollieren.
Ein weiterer Kritikpunkt an der Schreibpraxis im DaF-Unterricht an der Universität
Kabul ist diesbezüglich der fehlende Adressatenbezug des Schreibens; die Lernenden
haben ständig die Lehrperson als Leser und Empfänger ihrer Schreibprodukte im Blick.
Darüber hinaus werden im Unterricht sehr wenig die Probleme und Hindernisse der
Lerner, mit denen sie beim Schreiben konfrontiert werden, als Lern- und
Lehrgegenstand ernstgenommen und thematisiert, weil es hierbei Rücksichtnahme auf
Interesse, Meinungen und Schwierigkeiten der Studierenden bezüglich des Lernens so
wenig vorkommt, dass die Rolle der Studierenden oft auf passive Wissensempfänger
reduziert wird. Gerade deshalb ist der Schwerpunkt dieser Arbeit festzustellen, was die
afghanischen DaF-Studierenden mit dem Schreiben sowohl in der Muttersprache als
auch in der Fremdsprache verbinden und wie sie überhaupt das Schreiben gelernt haben.
Vor diesem Hintergrund will die nachfolgende Untersuchung die subjektiven
Erfahrungen und Einstellungen der DaF-Studierenden an der Universität Kabul zum
Thema Schreibproduktion sowohl in ihrer Muttersprache als auch in der Fremdsprache
58
Deutsch beleuchten, indem sie in einem Leitfaden-Einzelinterview auf die diesbezüglich
gestellten Fragen beantworten. Außerdem reflektieren die Probanden mit Blick auf die
Interviewfragen ihre eigenen Textprodukte, die sie für die vorliegende Untersuchung
geschrieben haben. Darauf aufbauend werden in einem weiteren Schritt Handlungs-
empfehlungen für die zukünftige Schreibpraxis im DaF-Unterricht an der Universität
Kabul zusammengestellt. Zwar beanspruchen die im Folgenden aufgeführten
Empfindungen und Empfehlungen wegen der geringen Stichprobe keine absolute
Geltung, aber kann man von solchen Reflexionsprozessen und subjektiven Theorien der
Lernenden bezüglich der Schreibproduktion, die voller unterschiedlichen individuellen
Meinungen und Erfahrungen sind, profitieren, indem man daraus die Aufschlüsse und
begründete Konsequenzen für die Erklärung und Verbesserung der Schreibkompetenz
im Kontext DaF-Unterricht in Afghanistan zieht. Bis dahin sollte zunächst im
Folgenden auf den Begriff „subjektive Theorien“ eingegangen werden.
5.1.2. Subjektive Theorien
Ausgehend davon, dass das Schreiben als Wahrnehmungs- und Denkhilfe der Menschen
eine stark persönliche und subjektive Angelegenheit ist und jeder Schreiblerner es
anders im Leben bzw. in seiner schulischen Sozialisation erlebt, verarbeitet und gelernt
hat, wird das Verhalten vor allem Schreibhandeln von jeweiligen Lernenden nahezu
völlig durch eine Summe von Annahmen, Vor- und Einstellungen, Motivation und
Wissen begleitet und gesteuert, die sich zu recht in dem Begriff „subjektive Theorien“
zusammenfassen lassen. Außerdem lässt „Schreibentwicklung […] eine große
interindividuelle Varianz erkennen, zwischen Mädchen und Jungen, zwischen Kindern
aus schriftnahen und schriftfernen Elternhäusern“ (Becker-Mrotzek/Böttcher: 2003, S.
46). Dementsprechend meint man unter dem Begriff „subjektive Theorien“ alle Aspekte
der Selbst- und Weltsicht von Individuen (vgl. Groeben: 1988, S. 17). Bezieht man die
obigen Aufstellungen der Schreibentwicklung auf die DaF-Studierenden in Kabul, wird
erkennbar, dass alle Studierenden aus ihrer primären Sozialisation in der Familie und an
der Schule nicht auf gleiche Art und Weise mit der Schreibproduktion bekannt bzw.
vertraut sind.
Da diese Arbeit die Struktur subjektiver Theorien der Studierenden zum Schreiben
untersuchen will, erscheint es sinnvoll im Vorhinein zu erklären, was genau subjektive
Theorien sind. Der Begriff „subjektive Theorie“ wurde angelehnt an objektive Theorie
59
gegründet und löste am Anfang viele Diskussionen aus (König: 1995, S. 12).
Ausgegangen von dem Menschenbild des reflexiven Subjekts wird angenommen, dass
Menschen im Alltag ebenso wie Forscher versuchen, die Welt um sich herum zu
verstehen und zu erklären. Diesbezüglich ist es als Theorierahmen zu klären, der all die
Ansätze der Kognitionen der Selbst- und Weltsicht miteinander integriert. Subjektive
Theorien sind demgemäß ein kognitionspsychologisches Konstrukt. Unter Kognition
definieren die Kognitivisten einfache Phänomene, wie Begriffe und Konzepte, die von
einem Bild vom Menschen als einem erkenntnisfähigen Subjekt ausgehen (vgl.
Groeben: 1988, S.17). Im Allgemeinen sind nach Scheele und Groeben (1988, S. 2ff)
folgende Merkmale der erkennbaren Eigenschaften von subjektiven Theorien: Sprach-
und Kommunikationsfähigkeit, Reflexivität, potentielle Rationalität und Entscheidungs-
und Handlungsfähigkeit.
Subjektive Theorien beziehen sich auf das Selbst in Relation zur Welt und bilden ein
komplexes Aggregat mit einer zumindest impliziten argumentativen Struktur z. B.
Wenn-Dann-Formulierungen. Mit dem Begriff Argumentationsstruktur (Wenn-Dann-
Beziehung) meint man analytische Schlüsse, die „neues Wissen generieren“ (Groeben:
1986, S. 37f). Nach Grotjahn (1991, S. 193) können subjektive Theorien nicht nur an
das eigene Ich, sondern auch an ein Du in der Welt angeknüpft werden. Sie beinhalten
Überzeugungen bezüglich dessen, was Sprache, Lehren und Lernen sind und
beeinflussen alle Denk- und Verstehensprozesse. In der Literatur werden die
subjektiven Theorien durch die Begriffe „naive“, „implizite“, „private“ oder
„Alltagswissen“, „Berufswissen“ und „Erziehungswissen“ gekennzeichnet (vgl.
Groeben/Schlee/Scheele: 1988 u. Wahl: 1991, S. 53). Subjektive Theorien erledigen
ähnlich wie objektive Theorien erklärende, voraussagende und technische Funktionen,
die in Anlehnung an Dann (1994, S. 166) folgendermaßen beschrieben werden:
die Situationsdefinition einer Realitätskonstituierung; Subjektive Theorien
befähigt die Person als ein erkenntnisfähiges Subjekt, sich ihre Lebenswelt zu
gliedern und zu ordnen. Dadurch nimmt man die Realität in einer klar
überschaubaren Einheiten wahr, um sich am Alltag zu orientieren.
die nachträgliche Erklärung sowie die Rechtfertigung aufgetretener Ereignisse;
Subjektive Theorien ermöglichen den Alltagsmenschen, eingetretene Ereignisse
nachträglich zu erklären und sie in Relation zu mehreren Entstehung- und
Entwicklungsfaktoren zu betrachten.
60
die Vorhersage oder die Erwartung zukünftiger Ereignisse; bei Subjektiven
Theorien werden chronologischer Ablauf der Ereignisse und Erlebnisse auch in
die Richtung Zukunft gezogen, um das weitere Geschehen prognostizieren und
planen zu können.
die Erzeugung von Handlungsempfehlungen zur Einleitung wünschenswerter
oder Verhinderung nicht wünschenswerter Geschehnisse; auf Basis von
subjektiven Theorien können Sollensanforderungen, Zielsetzungen, Normen und
Werturteile begründet und vor allem kritisiert werden, somit eignen sie sich zur
Generierung von Handlungsempfehlungen.
Vor dem oben beschriebenen Hintergrund werden in der nachfolgenden Studie
insbesondere die subjektiven Theorien; Vor- und Einstellungen aber auch Reflexionen
der afghanischen DaF-Studierenden über ihre Schreibproduktionen fokussiert und
untersucht, um zur Situationsdefinition, Rechtfertigung und Erzeugung der Handlungs-
empfehlungen bezüglich der Entwicklung von der Schreibkompetenz im Fremd-
sprachenunterricht an der Universität Kabul beizutragen.
5.1.3. Das Konstrukt: fremdsprachliche und muttersprachliche Schreib-
produktion
Wie bereits in dem letzten Abschnitt angeführt, setzt man sich bei subjektiven Theorien
mit “komplexe[n] Aggregate[n] von Konzepten“ auseinander (Groeben: 1988, S. 18),
d. h., mit zusammenhängenden Begriffen und generellen Sätzen, in denen eine Person
aus „vorliegende[n] Prämissen Schlussfolgerungen“ ableitet. Dabei wird der „Mensch
als handelndes Subjekt mit den Merkmalen der Intentionalität, Reflexivität, potentiellen
Rationalität und sprachlichen Kommunikationsfähigkeit“ (ebd.) gesehen. Mit dieser
Annahme, dass die Menschen im Alltag Hypothesen, Konzepte und kognitive Schemata
entwerfen und entwickeln, die folglich interne Prozesse, Strukturen und ihr Handeln
steuern, lassen sich subjektive Theorien als Alltagstheorien potentiell handelnder
Menschen definieren, die sich mit ihnen die Welt erklären und die eine
handlungsleitende Funktion einnehmen können. Somit dienen sie wie objektive
Theorien „der Erklärung, Prognose und Technologie“ (ebd. 19). Diesem
Forschungsprogramm folgend wird hier formuliert, dass es beim Thema
Schreibproduktion sowohl in der Muttersprache als auch in der Fremdsprache ebenso
61
um die Kognitionen; ein komplexes System von zusammenhängenden Begriffen und
Konzepten der Selbst- und Weltsicht geht.
5.1.4. Methodisches Vorgehen: Qualitatives Verfahren
Vor Beginn jeder empirischen Arbeit überlegt man sich über eine Forschungsmethodik,
die am passendsten zur Beantwortung der Forschungsfrage führt. Der Schwerpunkt
dieser empirischen Studie sind vor allem subjektive Theorien der afghanischen DaF-
Studierenden zum Thema Schreibproduktion zu erfassen; wie Schreibproduktionen in
ihrer Muttersprache sowie in Deutsch als Fremdsprache von ihnen wahrgenommen wird
und wie sie schreiben und zwar mit Blick auf den sozio-kulturbezogenen Rahmen. Um
diesbezüglich Informationen und Schlussfolgerungen zu erheben, müssen in erster Linie
die Erfahrungen, Erlebnisse und Sichtweisen der Studierenden über Schreibproduktion
geäußert werden, indem man sie nach diesen subjektiven Theorien fragt. Hierbei lässt
sich besonders das Instrument des Leitfadeninterviews als qualitative Befragung
angemessen verwenden, weil es laut Vogt und Werner (2014, S.11ff) trotz der
bestimmten Vorgaben zur Gestaltung des Interviews, viel Raum für das freie Erzählen
und neue Gesprächsrichtungen bietet. Sie beschreiben weiter, dass das Forschen mit
Leitfadeninterviews und deren Auswertung mit der qualitativen Inhaltsanalyse hat den
Vorteil, dass es einerseits offen genug ist, um neue Erkenntnisse über soziale Realität
im Sinne der qualitativen Sozialforschung zu generieren. Es ist aber andererseits
schematisch und sehr stark regelgeleitet. Dadurch richtet sich das Leitfadeninterview
auf das Prinzip der Offenheit und Alltagsnähe qualitativer Forschung aus. Angelehnt an
Lamnek (1995, S. 29) sind qualitative Verfahren durch folgende zentrale Prinzipien
charakterisiert: „Offenheit des Forschers gegenüber den Untersuchungspersonen, den
Untersuchungssituationen und den Untersuchungsmethoden“, demgemäß geht man
davon aus, dass es keine objektive Wahrheit gibt, sondern nur verschiedene Sichtweisen
auf die Welt; den Subjektivismus.
Überdies wurde in dieser Arbeit als qualitative Erhebungsmethodik vor allem das
Instrument der leitfadengestützten Einzelinterviews verwendet. Die Interviews als
qualitatives Verfahren gestatten es dem Forscher auf Basis von Antworten der
Befragten; die Vorstellungen, Begründungen und ihre Umsetzung in der Realität gemäß
Labudde (2000, S. 323) „in moglichst vielen Facetten“ aufzudecken und zu analysieren.
Im Leitfaden spiegeln sich zwar die theoretischen Vorannahmen wieder, aber ist er so
62
offen, dass ausreichend Raum für die Befragten bleibt, ihre eigenen subjektiven
Sichtweisen darzustellen. Bezüglich des Untersuchungsschwerpunkts dieser Arbeit hat
man wahrscheinlich ein Hintergrundwissen davon, was das Schreiben den afghanischen
DaF-Studierenden schwer machen könnte, beantworten können dies aber nur die
betroffenen Studierenden selbst. In diesem Sinne lassen die Erhebungsinstrumente in
der qualitativen Vorgehensweise genug Raum für die individuellen Äußerungen der
Interviewten, indem dabei die Lernenden zu einer intensiven selbständigen und
kritischen Auseinandersetzung mit ihren eigenen Texten bzw. mit dem Thema
Schreibproduktion geführt werden. In fast allen Lebensbereichen der Afghanen; Privat,
Bildung, Beruf und in der Öffentlichkeit gibt es keine Anlässe, sich mit dem Thema
Schreibkompetenz insbesondere mit der eigenen Schreibproduktion zu befassen.
Um Zugang zu subjektiven Theorien der Probanden gewinnen zu können, schreiben die
Probanden vor dem Interview einen Text, den sie erst beim Interview reflektieren.
Anhand dieser Explikationen und Reflexionen werden Aufschlüsse und Begründungen
darüber aufgedeckt, was die Lernenden mit dem Begriff „Schreiben“ verbinden, wie sie
mit der Herstellung eines Textes umgehen, was ihnen bei der Bewältigung einer
Schreibaufgabe relevant ist und welche Aspekte keinen Stellenwert bzw. Anwendung
bei ihrer Schreibproduktion und -reflexion besitzen. Damit kann abschließend ein
zuverlässiges Bild über die Entwicklung der Schreibkompetenz im Fachbereich Deutsch
als Fremdsprache an der Universität Kabul erzeugt werden.
5.1.5. Erhebungsinstrumente und Durchführung
5.1.5.1. Schreibaufträge
Im Rahmen des dieser Arbeit zu Grunde liegenden Schreibauftrags wurde den sechs
DaF-Studierenden des dritten BA-Studienjahres (6. Semester) der Universität Kabul ein
Schreibauftrag vorgelegt. Alle Probanden waren zur Zeit der Untersuchung in einem
Alter zwischen 20 und 27 Jahren und gemäß des Lehrplans sollten sie nach drei
Studienjahren im DaF-Bereich das Niveau B2 erreicht haben. Zu dieser Gruppe zählten
zwei DaF-Studierende, die leistungsstark sind, zwei DaF-Studierende, die mittelmäßige
Leistung erbringen und zwei DaF-Studierende, die leistungsschwach sind. Diese
Auswahl erfolgte um die Repräsentativität der Stichprobe zu gewährleisten und somit
gültige Aussagen über die Grundgesamtheit treffen zu können (vgl. Berekoven, Eckert
63
u. Ellenrieder: 2006, S. 51). Obwohl es in dieser Arbeit um eine qualitative
Forschungsmethodik geht und gendervergleichenden Fragestellungen keine Rolle
spielen, wurde aber bei der Rekrutierung auf einen Ausgleich zwischen männlichen und
weiblichen Befragten geachtet, um die Repräsentativität der Stichprobe zu stärken.
Im Schreibauftrag geht es um eine Textproduktion zum Thema Privatschulen in
Afghanistan als Reaktion auf einen Text mit der Überschrift Privatschulen auf dem
Vormarsch (vgl. Mit Erfolg zum Goethe-Zertifikat B2, 2008). Die Probanden schreiben
diesbezüglich zwei Texte einmal in Deutsch als Fremdsprache, ein weiteres Mal in Dari
als Muttersprache. Zur Kontrolle des „Reihenfolge Effekts“ schreiben die Probanden
die zwei Texte mit mindestens einer Woche zeitlichem Abstand. Die Schreibaufgabe
bleibt für beide Textproduktionen gleich. Für die Schreibaufgabe wurde jeweils
insgesamt 60 Minuten Bearbeitungszeit zur Verfügung gestellt. Außerdem war beim
Schreiben in der Fremdsprache Deutsch, die Nutzung von Hilfsmitteln z. B. Wörterbuch
nicht erlaubt. Das Thema Privatschule eignet sich besonders gut für den Schreibauftrag,
denn das Wesen der Privatschulen wird unter Afghanen seit langem wegen der
defizitären Funktion der staatlichen Schulen diskutiert und somit kann das Thema des
Schreibens den Probanden nicht fremd sondern authentisch und lebensnah vorkommen.
Obwohl für die Bewältigung der Schreibaufgabe keine fachspezifischen Kenntnisse
benötigt, verfügt die Schreibaufgabe über einen Hinführungstext, der das Thema des
Schreibens näher beschrieb und dadurch als Impulsgeber und Vorentlastung fungiert.
Nachdem die Probanden den Text geschrieben haben, werden Interviews mit den
einzelnen Probanden bezüglich ihrer Schreibproduktionen durchgeführt. Im Interview
handelt es sich um die persönliche Sicht bzw. subjektive Theorien der DaF-
Studierenden zum Thema Schreibproduktion in der Muttersprache und in der
Fremdsprache Deutsch, damit die Probanden die Möglichkeit erhalten, sich ihrer
„eigenen Gedanken, Gefühlen und Routinen“ (Wahl: 2002, S. 16) bewusst zu machen
und sich mit diesen auseinanderzusetzen. Dabei werden sie aufgefordert auf der
Grundlage ihrer für diese Arbeit geschriebenen Texte die Leitfragen der Interviews zu
beantworten und somit ihr Schreibvorgehen beim Schreibauftrag zu reflektieren.
In den Abschnitten 4.1.1.2.1. und 4.1.1.2.2. des vierten Kapitels der vorliegenden
Arbeit wurde ausführlich beleuchtet, dass eine hohe Schreibentwicklung in der
Muttersprache als günstige Voraussetzung für die Förderung der Schreibkompetenz in
einer Fremdsprache Relevanz und Anwendung findet, da ein fremdsprachlicher
64
Schreiber laut Krings (1986 u. 1989), Cummins (1979), Wolff (1999), Ezhova-Heer
(2009) u.a. bei der Textproduktion in der Fremdsprache auf die Schreibkompetenz in
seiner Muttersprache zurückgreift. Ausgegangen von diesen Ergebnissen wird in dieser
Arbeit durch Analyse der Texte, die zum einen in der Muttersprache und zum anderen
in der Fremdsprache Deutsch von sechs DaF-Studierenden an der Universität Kabul als
Probanden geschrieben wurden und damit verbundenen Leitfadeninterviews subjektiv
erlebten, empfundenen, verarbeiteten und gelernten Erfahrungen der Probanden im
Umgang mit Schreibkompetenz sowie Schreibproduktion in der Muttersprache und im
Deutsch als Fremdsprache zur Erklärung, Überlegung bzw. Verbesserung der
Schreibentwicklung im Fremdsprachenunterricht des Deutschstudiums an der
Universität Kabul aufgedeckt. Das methodische Vorgehen bezüglich der Analyse der
Lernertexte wird im Abschnitt 5.3. genauer erklärt.
5.1.5.2. Leitfadeninterview: Durchführung und Rahmenbedingungen
Das Interview ist an den im Abschnitt 5.1.5.1. dargestellten Schreibauftrag angelehnt
und stellt eine qualitative Forschungsmethodik dar. Das Interview wurde direkt nach der
Anfertigung des Schreibauftrags durchgeführt, weil in diesem Moment das Gedächtnis
frisch ist und man sich dann gut an Geschehenes erinnern kann. Dabei wurden
subjektiven Theorien der Probanden über ihre Erfahrungen im Umgang mit dem
Schreiben in der Fremdsprache Deutsch und in der Muttersprache Dari und ihre daraus
gewonnenen Sichtweisen und Standpunkte erfragt. Zum Zeitpunkt des Interviews
(November 2013) waren die Befragten sechs DaF-Studierenden an der Universität
Kabul (drei Studentinnen und drei Studenten) alle im dritten Studienjahr (dazu
ausführlicher im Abschnitt 5.1.5.1.). Nach Absprache mit ihnen wurden zwei Termine
mit einem einwöchigen Zeitabstand zur Minderung des Reihenfolge-Effekts vereinbart;
einmal in Bezug auf ihre erste und zum anderen für ihre zweite Schreibproduktion. Da
manche Teilnehmer Deutsch als Fremdsprache nicht so gut beherrschten, dass sie sich
fließend äußern können, wurden die Interviews auf ihrer Muttersprache Dari
durchgeführt. Außerdem fällt es schwerer, über eigene Erfahrungen und Ansichten in
einer Fremdsprache zu berichten und sich dabei genau und explizit zu offenbaren. Die
aufgenommenen Interviews wurden später in die schriftliche Form gebracht und bei
Bedarf durch die Verfasserin dem Inhalt entsprechend von Dari ins Deutsch übersetzt.
Nach Wünschen der Interviewten wurden die Interviews im Büro der Verfasserin an der
65
Universität Kabul in Freistunden geführt, da in Afghanistan nur schwer ein ruhiger und
sicherer Platz zu finden ist, wohin man sich zurückziehen kann, um sich in Ruhe auf
sein Anliegen zu konzentrieren. Um die interviewten Studierenden ihre von ihnen
erlebten und erworbenen Erfahrungen und Erklärungen im Umgang mit der
Schreibproduktion bzw. ihre Reflektionen bezüglich ihrer eigenen zwei
Schreibprodukte, die sie für diese Studie verfasst haben, möglich individuell und
subjektiv unter keinen Zeitdruck zu schildern, wurde den zeitliche Rahmen des Einzel-
Interviews nicht vorgegeben und somit abhängig davon, wie lange und wie interessiert
jeweilige Befragten sich über die Interviewsfragen zum Ausdruck bringen, variierte sich
die zeitliche Länge des Interviews von Person zu Person.
Bei dem ersten vereinbarten Termin wurde in erster Linie zur Vorentlastung und
Lockerung der Atmosphäre zuerst jeder Teilnehmer von der Interviewerin (Verfasserin)
begrüßt und dann eine kurze Unterhaltung durch allgemeine Fragen nach ihrer
Wohlbefindlichkeit im Privatleben und Studium unternommen. Da die Probanden ein
Semester im ersten Studienjahr Sprachkurs bei der Verfasserin absolviert haben,
erinnerten sie sich insbesondere an ihre gute Zusammenarbeit. Im Anschluss daran
wurde als Einleitung des Gesprächs Informationen, zu welchem Zweck das Interview
dient, dass alle Daten anonym behandelt werden, sowie den Hinweis auf die
Tonaufnahme während des Interviews, gegeben. An dieser Stelle wird darauf
hingewiesen, dass aus sozio-kulturellen Konventionen die Studierenden die Verfasserin
‚siezten‘, während sie sie ‚duzte‘. In Anlehnung an Nassim Sadaghiani (2010) lässt sich
dieses Verhalten wie folgt erklären: Auf höfliche Umgangsformen legt man in
Afghanistan großen Wert. So ist man nicht häufig mit jemandem per Du, weil man sich
lieber per Sie anreden lässt sogar z. B. Eltern und Verwandte. Anders als in Deutschland
wird damit keine Distanz markiert, sondern Höflichkeit und Respekt, deswegen stellt
solche Höflichkeitsform in Afghanistan kein Hindernis für Nähe und Sympathie dar.
Der Interviewleitfaden besteht angelehnt an Abdalla (2010) insgesamt aus fünf
inhaltlichen Hauptteilen. Im ersten Teil als Einleitungsphase des Interviews wurden
Fragen über die Sprachlernbiographie der Probanden gestellt. Dadurch wird zum einen
eine lockere und personalisierte Atmosphäre geschaffen, weil die Probanden noch nicht
mit der Interviewsituation bekannt waren. Zum anderen wird durch solche
Fragestellungen ermöglicht, sich eine Vorstellung von den Teilnehmenden zu machen
und später dieses Bild mit den Textproduktionen der Befragten in Beziehung zu setzen.
Zu diesen Aufwärmfragen gehören: Zu Anfang kannst du erzählen, welche
66
Fremdsprachen du schon gelernt hast? Inwieweit ist dir Fremdsprachenlernen wichtig?
Warum studierst du Deutsch? Mit Hilfe dieser Fragen können die Teilnehmer merken,
dass es nahezu völlig im Interview um ihre individuellen Aufsichten und Empfindungen
geht und damit werden sie dazu angeregt, sich in selbstgewählten Formulierungen zum
Thema zu äußern. Dies bezieht sich auf das Prinzip der Offenheit der qualitativen
Erhebungsmethodik.
Im zweiten Teil des Interviews steht das allgemeine Verständnis der Probanden zum
Thema Schreiben im Mittelpunkt. Die Leitfragen erfragen allgemeine Assoziationen
zum Thema Schreiben, zielen aber auch auf konkrete Erlebnisse und Erfahrungen der
Probanden mit der Schreibproduktion im Leben ab. In diesem Teil geht es vor allem um
subjektive Theorien zur Schreibproduktion; individuelle Aspekte und Schwerpunkte bei
der Schreibproduktion in der Fremdsprache Deutsch: Welche Bedeutung und Relevanz
kommt aus deiner Sicht dem Schreiben zu? Wie findest du es, einen Text in der
Fremdsprache zu schreiben? Worauf sollte man deiner Meinung nach beim Schreiben
in der Fremdsprache Deutsch besonders achten? Des Weiteren wird mittels weiterer
Fragen der Begriff Selbsteinschätzung in das Interview eingebracht: Bist du heute
zufrieden mit deinem Text, den du für die Schreibaufgabe geschrieben hast? Unter
welchen Bedingungen bist du im Allgemeinen zufrieden mit deinem Text? Wann macht
dir das Schreiben in Deutsch Spaß?
Im dritten Teil des Interviews handelt es sich um Reflexion der eigenen
Schreibproduktionen, indem die Probanden aufgefordert werden, ihr Schreibvorgehen
beim Schreibauftrag zu schildern: Könntest du bitte deine Schreibschritte nennen? Z. B.
was hast du zu Beginn gemacht? Was hast du am Ende gemacht? Hierbei wurde
bewusst auf das Wort Schreibprozess verzichtet und nicht konkret formuliert: könntest
du bitte deinen Schreibprozess nennen?, damit die Lernenden unabhängig von ihren
Theoriewissen bezüglich des Schreibprozesses die bekannten drei Schreibphasen, d. h.
Planung, Formulierung und Überarbeitung, die ihnen im Schreibunterricht des
Deutschstudiums schon vermittelt wurden, persönliche Gedanken zu machen und zu
spekulieren. Außerdem wurde in diesem Teil nachgefragt, welche Strategien sie
anwenden, wenn sie nicht weiterschreiben können: Was machst du, wenn du nicht
weiterschreiben kannst? Z. B. wenn dir ein Wort oder ein Ausdruck fehlt? Durch diese
Fragen kommt noch ein anderer Aspekt ins Gespräch und der lautet
Kompensationsstrategie. Diese Frage soll die Entscheidung bei der Lösung eines
Problems während des Schreibens, aber im Besonderen auch Begründung der
67
Entscheidung erfragen, um herauszufinden, über welche Lösungsmethode die
Probanden beim Ausgleich sprachlicher und thematischer Schreibprobleme verfügen.
Daraufhin wurden sie gefragt: Worüber machst du dir am meistens Gedanken beim
Schreiben? (Einleitung, Hauptteil, Schluss, Wortwahl, Satzbau, Inhalt, Gliederung oder
sonstiges). Wenn du mit dem Schreiben fertig bist, wie überarbeitest du deinen Text?
Anhand dieser Fragestellungen bekamen die Studierenden die Möglichkeit, ihre
Meinungen und Ansichten zu elaborieren und dies führte zu einer intensiveren
Auseinandersetzung der Befragten mit ihren Schreibproduktionen, weil sie dann ihre
Schreiberfahrungen und Schreibvorgänge persönlich, emotional und spontan explizieren
und begründen können. Dadurch lässt sich ihr Verhalten in Form von Zusammenhängen
und punktuellen Ausprägungen möglichst genau beschreiben. Solche direkte
Auseinandersetzung mit subjektiven Theorien kann zu einem Aufbrechen eigener
Wissensstrukturen und einem besseren handlungsbezogenen Umsetzen von
Trainingsinhalten führen (vgl. Haag/Mischo: 2003, S, 37).
Die weitere darauf folgenden Fragen beim vierten Teil des Interviews dienen dazu,
insbesondere die Besonderheiten der Schreibproduktion in der Fremdsprache Deutsch
zu entdecken mittels solcher Fragen: Meinst du, dass du in der Fremdsprache Deutsch
anders schreiben solltest als in deiner Muttersprache? Warum? Und wie zeigt sich das?
Was findest du an deinen Deutsch-Texten besonders gelungen? Was kannst du gut dabei
(die richtigen Worte finden, Verständnis Schreiben, Interesse wecken, den Text
strukturieren, etc.) Was kannst du dabei nicht gut? Diese Fragen wurden bewusst an
dieser Stelle fast am Ende des Interviews gestellt, damit die Befragten durch
vorangegangenen Fragen tiefer ins Thema einsteigen können. Es ist also anzumerken,
dass die Verlaufsform dieses Interviews eine inhaltliche Progression vom Allgemeinen
zum Konkreten fokussiert.
In der vorletzten Phase des Interviews; im fünften Teil werden die Probanden
aufgefordert, den afghanischen DaF-Studierenden aber auch der DaF-Abteilung an der
Universität Kabul persönliche Vorschläge zur Verbesserung der Schreibkompetenz und
Schreibförderung zu machen, indem sie wie folgt gefragt werden: Wie lernt man
Schreiben im Bereich Deutsch als Fremdsprache an der Universität Kabul? Was
schlägst du vor, um die Vermittlung der Schreibfertigkeit hier besser zu machen? Was
sollten die Studierenden selber tun, um ihre Schreibkompetenz zu entwickeln? Durch
diese Perspektivwechselfragen, bei der die Interviewten Förderung der
Schreibkompetenz im DaF-Unterricht an der Universität Kabul aus der Sicht der
68
anderen Betroffenen explizieren sollten, wird versucht ihnen eine andere Sichtweise auf
das Thema zu bieten, um sie dann dazu anzuregen, ihre eigenen Position besser
darstellen zu können und somit sich ihres Denkens, ihrer Ansichten und ihrer
Meinungen und Vorgehensweisen bewusst zu machen und sich damit zu befassen und
sich dadurch zu erweitern. Da gemäß Wahl (2005, S. 56) eine egozentrische Sichtweise
dazu führen kann, dass die Realität nicht adäquat eingeschätzt wird, Situationen falsch
interpretiert und folglich ungeeignete Handlungsmöglichkeiten ergriffen werden.
In der Abschlussphase des Interviews wurde den Probanden für ihre Teilnahme und Zeit
gedankt.
Während es im ersten Interview um subjektive Theorien zum Thema Schreibproduktion
im Deutschen als Fremdsprache gegangen ist, handelt es sich im zweiten Interview, das
nach einer Woche stattfand, hingegen um subjektive Theorien zum Thema
muttersprachliche Schreibproduktion, weil diesmal die Probanden nach ihren Schreib-
produktionen, die sie diesmal in ihrer Muttersprache Dari verfasst haben, gefragt
werden. Wie bereits beschrieben, gliederte sich das erste Leitfadeninterview in den fünf
inhaltlichen Teilen. Im Vergleich dazu wurde das zweite Interview nur auf die Fragen
aus den zweiten, dritten und vierten Teilen des oben dargestellten Interviews reduziert,
indem die Befragten anhand der folgenden Fragen ihre Schreibproduktion in der
Muttersprache reflektieren aber auch evaluieren. Von daher wird das Wort Deutsch als
Fremdsprache in den Fragen der zweiten, dritten und vierten Teile des obigen
Interviews durch Dari als Muttersprache ersetzt. Die folgenden Fragen dienen vor
allem der Klärung und der Darstellung von Phasen und Verlauf des Schreibprozesses
und individuelle Schwerpunkte beim Verfassen eines Textes in der Muttersprache aus
der Sicht der Befragten:
Wie hast du Schreiben an der Schule gelernt? Schreibst du gern im
Allgemeinen?
Wie findest du es, einen Text in der Muttersprache zu schreiben?
Bist du heute zufrieden mit deinem Text, den du für die Schreibaufgabe
geschrieben hast? Worauf sollte man deiner Meinung nach beim Schreiben in
der Muttersprache besonders achten? Wann macht dir das Schreiben in Dari als
deine Muttersprache Spaß?
Könntest du bitte deine Schreibschritte nennen? Z. B. was hast du zu Beginn
gemacht? Was hast du am Ende gemacht?
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Worüber machst du dir am meistens Gedanken beim Schreiben? (Einleitung,
Hauptteil, Schluss, Wortwahl, Satzbau, Inhalt, Gliederung oder sonstiges).
Wenn du mit dem Schreiben fertig bist, wie überarbeitest du deinen Text?
Was findest du an deinen Dari-Texten besonders gelungen? Was kannst du gut
dabei? Was kannst du dabei nicht gut?
Aus Datenschutzgründen wurden alle Namen von Gesprächspartnern auch in ihren
Texten verändert. Obwohl diese Untersuchung keinen Anspruch auf absolute
Repräsentativität und Gültigkeit erhebt, da man es in jeder Lerngruppe im Fachbereich
Deutsch als Fremdsprache mit unterschiedlichen Lernenden, mit anderen Erfahrungen,
Fähigkeiten und Schwierigkeiten, zu tun bekommt, besteht jedoch die Möglichkeit,
Tendenzen bezüglich der Art und Weise der Schreibproduktion in der Fremdsprache mit
Blick auf Auswirkung der Muttersprache zu erkennen. Darüber hinaus ist die zu
untersuchende Stichprobe sehr klein. Sechs DaF-Studierende von der Universität Kabul
können nicht aussagekräftig für alle sein. Der Vorteil an einer qualitativen
Untersuchung wie dieser ist, dass individuelle Fördermöglichkeiten entwickelt werden
können und dennoch eine grober Überblick geschaffen werden kann, wie Studierende
mit Schreibaufgaben im Bereich Deutsch als Fremdsprache in Kabul umgehen.
5.2. Die Auswertung von Leitfadeninterviews
Als erster Schritt der Auswertung wurden die als Tonaufnahmen vorliegenden
Interviews transkribiert. Unter dem Begriff „Transkription“ versteht man die
Übertragung von gesprochener Sprache in eine schriftliche Form. Der Begriff
Transkription stammt vom lateinischen Wort transscribere und bedeutet umschreiben
(vgl. Dresing/Pehl: 2013, S. 17 u. Mayring: 2002, S. 89). Demnach wurden die
Interviews für die weitere Verarbeitung bzw. Auswertung in Textform aufbereitet.
Hierbei fand ein Transformationsprozess der Tondaten in Textdaten statt, indem die
aufgenommenen bzw. zu analysierenden Rohmaterialien in den sogenannten Text
gebracht wurden und für das eigentliche Auswertungsverfahren durch Verfasserin
dieser Arbeit dem Inhalt entsprechend von Dari ins Deutsch übersetzt.
Zur Analyse qualitativer Daten gibt es viele Auswertungsmethoden, von denen man
eine Methode auswählt, die zur Forschungsfrage und zum Forschungsgegenstand passt
und zur Beantwortung der eingesetzten Fragestellungen führt. Dabei muss man jedoch
70
die Umsetzbarkeit der Methode unter den gegebenen Rahmenbedingungen beachten
(vgl. Vogt/Werner: 2014, S. 47ff). Vor diesem Hintergrund wird in der vorliegenden
Untersuchung für die Auswertung der Daten die qualitative Inhaltsanalyse verwendet,
die eine sehr strukturierte Auswertungsmethode ist. Die qualitative Inhaltsanalyse
wurde als Erweiterung der quantitativen Inhaltsanalyse im deutschen Sprachraum vor
allem von Mayring entwickelt, welche auf eine Reduktion des Ausgangsmaterials
angelegt ist und sich aber auch für große Materialmengen zur systematischen
Textbearbeitung eignet. Bei der Datenerhebung gewinnt man oft eine Menge von
Informationen und Material, die man in der Regel für die Beantwortung der
Forschungsfrage bzw. für die weitere Auswertung reduzieren und aufbereiten muss.
Mithilfe des inhaltanalytischen Ablaufplans von Mayring lässt sich die Fülle an Daten
in Abhängigkeit von dem Untersuchungsziel strukturieren. Dabei wird laut Gläser und
Laudel (2009, S. 199ff) zunächst das gesamte Textmaterial anhand des
Kategoriensystems durchgearbeitet, welches wie eine Art Brille funktioniert und dem
Forscher nur die relevanten Textstellen sehen lässt. Dann werden die herausgefilterten
Textstellen zusammengefasst und danach für die Auswertung relevanten Kriterien
eingeordnet. Sie werden aber auch am Ende auf Wichtigkeit, Widersprüche und
Auffälligkeiten überprüft. Die Grundlage für die Inhaltsanalyse bilden sehr häufig
transkribierte Interviews oder Gruppendiskussionen. Mayring zu Folge will die
qualitative Inhaltsanalyse „Texte systematisch analysieren, indem sie das Material
schrittweise mit theoriegeleitet am Material entwickelten Kategoriesystemen bearbeitet“
(2002, S. 114). Somit steht die Erstellung eines Kategoriensystems im Zentrum einer
qualitativen inhaltsanalytischen Auswertungsmethode, welches in einem
Wechselverhältnis zwischen Theorie also der Fragestellung und dem konkreten
vorhandenen Material entwickelt wird (dazu mehr im nächsten Abschnitt 5.2.1.).
Im eigentlichen Analyseprozess nach Mayring unterscheidet man drei verschiedene
inhaltsanalytische Auswertungsverfahren: die Zusammenfassung, die Explikation und
die Strukturierung. Die zusammenfassende Inhaltsanalyse zielt darauf ab, das Text-
material auf eine vorgegebene Abstraktionsebene zu reduzieren, sodass die relevanten
und nützlichen Inhalte erhalten bleiben. Andererseits will man bei der Explikation bei
einzelnen auffälligen Textstellen z. B. fragliche Begriffe oder Sätze, durch die
kontrollierte Einbeziehung von zusätzlichen Materials das Wissen erweitern, indem es
die jeweiligen Textteile näher erläutert. Die strukturierende Inhaltanalyse filtert
bestimmte Aspekte aus dem vorliegenden Material heraus und zieht anhand der vorher
71
festgelegten Ordnungskriterien einen Querschnitt durch das Material oder schätzt das
Material unter bestimmter Kriterien ein (vgl. Mayring: 2003, S. 58). Wie aus den obigen
Ausführungen ersichtlich wird, zeichnet sich die qualitative Inhaltsanalyse durch ein
stark theorie- und regelgeleitetes Vorgehen aus, indem die Analyse und Interpretation
der Interviews in einzelne Schritte zerlegt wird und einem zuvor festgelegten Ablauf
folgt. Auf diese Weise werden die einzelnen Arbeitsschritte für die Inhaltsanalyse in
einer Studie so übersichtlich, dass sie auch für andere nachvollziehbar und
intersubjektiv überprüfbar wird. Die qualitative Inhaltsanalyse ist nach Mayring ein
Verfahren, das eine direkte Kategorienbildung aus dem Material heraus erlaubt und
hilft, die Daten auf ein überschaubares Maß zu kürzen und die Inhalte dabei zu erhalten.
Transparenz und Intersubjektivität sind damit Bestandteile des Ansatzes von Mayring.
Er legt bewusst und gezielt Wert auf die Systematik der Interpretation und empfiehlt,
bei der Auswertung Gütekriterien anzuwenden. Mayring ist allerdings die Problematik
der Übertragung der klassischen Gütekriterien wie Validität und Reliabilität auf
interpretatorische Vorgehensweise bekannt und deswegen versucht er, sie in spezifisch
inhaltanalytische Gütekriterien umzubauen. Reliabilität bei einer inhaltsanalytischen
Untersuchung wird durch Bildung eines Kategoriensystems bzw. die Zuordnung von
Inhalten zu diesen Kategorien erreicht und damit auch nachweisbar (vgl. Vogt/Werner:
2014, S. 69f.).
Abbildung 7: Allgemeines Ablaufmodell der qualitativen Inhaltsanalyse Mayring 1989
nach Lamnek: 1993, S.217
72
Nach Atteslander (2000, S. 91) soll „empirische Forschung theoriebegleitend Daten
über die soziale Realität sammeln, wobei diese Daten den Kriterien der Reliabilität, der
Validität sowie der Repräsentativität und der intersubjektiven Überprüfbarkeit zu
genügen haben und in erster Linie der Prüfung der vorangestellten Theorien und
Hypothesen dienen“. In diesem Zusammenhang ist Früh (2007, S. 27) der Ansicht, dass
die qualitative Inhaltanalyse „eine empirische Methode zur systematischen,
intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von
Mitteilungen“ ist. Daraus ergibt sich, dass die Inhaltsanalyse als eine qualitative
empirische Methode zu verstehen ist, die der Weg zur Gewinnung wissenschaftlicher
Befunde erläutert. Da die Auswertungsverfahren der qualitativen Daten sehr zeitintensiv
sind, wird meist mit einer kleinen Stichprobe gearbeitet.
Das konkret praktische Vorgehen für die qualitative Inhaltsanalyse des Textmaterials in
der vorliegenden Studie, die durch qualitative Leitfadeninterviews erhoben und in die
verschriftlichte Form als Transkription und Übersetzung zur Verfügung gestellt sind,
werden nach dem oben dargestellten allgemeinen inhaltsanalytischen Ablaufmodell von
Mayring (2003: S. 53 ff), der alle Tätigkeiten der qualitativen Inhaltsanalyse
systematisch gliedert und eingängig erläutert, wie folgt festgesetzt:
1. Festlegung des Materials: Welches Material wird analysiert? In dem zu
untersuchendem Material geht es um insgesamt zwei Leitfadeninterviews, die
jeweils mit den sechs Interviewpartnern durchgeführt wurden. Bei jedem
Interview bleiben die Interviewpartner gleich.
2. Analyse der Entstehungssituation: Wie ist die Interviewsituation zu kenn-
zeichnen? Alle Angaben zu Interviewpartnern sowie Betrachtung des
soziokulturellen Rahmens wurden im Vorhinein erläutert (siehe dazu, Kapitel 4
und Kapitel 5). Für diese Studie war die Teilnahme am Interview freiwillig und
Interviews wurden von der Verfasserin als Interviewerin durchgeführt und von
ihr für weitere Bearbeitung inhaltsgemäß von Dari ins Deutsch übersetzt.
3. Formale Charakterisierung des Materials: In welcher Form liegt das Material
vor? Im Abschnitt 5.2. wurde beleuchtet, dass für die vorliegende Studie zuerst
die Interviews als Audiodaten aufgezeichnet wurden. Dann wurden die
Audioaufnahmen von der Verfasserin der Arbeit transkribiert und standen in
schriftlicher Form als Textdaten für die qualitative Inhaltsanalyse verfügbar.
4. Richtung der Analyse: Worauf soll sich der Interpretationsfokus richten? Da
diese Studie vor allem subjektive Theorien von afghanischen DaF-Studierenden
73
zum Thema Schreibproduktion in der Muttersprache bzw. in der Fremdsprache
fokussiert, betrachtet die Analyse eher individuelle Aspekte und Konzepte der
Studierenden zur Produktion von Texten im DaF-Unterricht. Hierbei meinte
man nach Groeben (1988, S. 17) unter dem Begriff subjektive Theorien alle
Aspekte der Selbst- und Weltsicht von Individuen.
5. Theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung: Nach welcher
Forschungsfrage wird das Material untersucht? Im Anschluss an die Zielsetzung
dieser Untersuchung und an die oben formulierte Richtung der Analyse werden
auf Basis von Äußerungen der Befragten; die Vorstellungen, Begründungen und
Umsetzung der subjektiven Theorien der afghanischen DaF-Studierenden im
Umgang mit der Schreibaufgabe in der Schreibpraxis mit Blick auf ihre eigenen
Textproduktionen gemäß Labudde (2000, S. 323) „in moglichst vielen Facetten“
aufgedeckt und analysiert.
6. Bestimmung der Analysetechnik: Welches Verfahren (Zusammenfassung,
Explikation oder Strukturierung) soll bei der Materialanalyse eingesetzt werden?
Um die subjektiven Theorien von Studierenden zum Thema Schreibproduktion
zu erfassen, wird hier das strukturierende inhaltsanalytische Verfahren
verwendet. Dies hat den Anspruch „bestimmte Themen, Inhalte, Aspekte aus
dem Material herauszufiltern und zusammenzusetzen“ (Mayring: 2008, S.89).
7. Definition der Analyseeinheit: Welche Kriterien werden bei der Auswahl und
Kategorisierung von Textabschnitten angelegt? Als Auswertungseinheit wird
hier die jeweilige Formulierung und Erklärung eines Interviewpartners zu einer
Frage erfasst. Im Laufe der qualitativen Inhaltsanalyse wird der Text bearbeitet
und in Kategorien zusammengefasst (Mayring 2000). Dabei legt die
Kodiereinheit die kleinste Texteinheit und die Kontexteinheit das gesamte
transkribierte Interview fest, welche noch in eine Kategorie fallen. Demnach ist
bei der Inhaltsanalyse die Entwicklung eines Kategoriensystems als Herzstück
der Auswertung im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, denn die Kategorien sind
gewissermaßen der letzte Bezugspunkt der Untersuchung zum Material (dazu
ausführlich im nachfolgenden Abschnitt 5.2.1.).
8. Analyse des Materials: Diese Stufe ist als eigentlicher Analysevorgang zu sehen.
Hierbei wird zunächst durch Bildung eines Kategoriensystems der Bezug zum
erhobenen Textmaterial hergestellt und damit inhaltlich erschlossen und
systematisch analysiert. Das Kategoriensystem der vorliegenden Studie ist das
Thema des nachfolgenden Abschnitts.
74
9. Interpretation: Abschließend wird Textinterpretation und damit die
Beantwortung der Fragestellung auf der Grundlage des Kategoriensystems
ausgeführt.
Zusammenfassend ist die Auswertung der im Rahmen dieser Arbeit zu Grunde
liegenden Interviews in einem Arbeitsmodell gegliedert, in dem angelehnt an die
qualitative Inhaltsanalyse mittels der inhaltlichen Strukturierung ein auf der Theorie zu
subjektiven Theorien basierendes Kategoriensystem erstellt und somit, subjektiven
Theorien der befragten DaF-Studierenden zum Thema Schreibproduktion zur Erklärung
bzw. Verbesserung der Schreibkompetenz im DaF-Unterricht in Kabul erfasst und
erklärt wird. Darüber hinaus soll diese Studie zur Sensibilisierung für die Rolle der
muttersprachlichen Schreibkompetenz sowie Rücksichtnahme auf die Interesse,
Bedürfnisse und Lebensbedingungen der Lerngruppe im DaF-Unterricht beitragen.
5.2.1. Die Erstellung des Kategoriensystems der vorliegenden Studie
Das Kategoriensystem dient als Ausgangspunkt für die Interpretation des zu
untersuchenden Textmaterials. Wie im letzten Abschnitt beschrieben, will die
qualitative Inhaltanalyse nach Mayring (2002, S. 114) „Texte systematisch analysieren,
indem sie das Material schrittweise mit theoriegeleitet am Material entwickelten
Kategoriensystemen bearbeitet“. Demzufolge werden als erster Schritt der
inhaltsanalytischen Auswertung in Auseinandersetzung mit den erhobenen Daten je
nach Fragestellung bzw. Zielsetzung der Untersuchung Kategorien gebildet, indem das
vorhandene Material durchgelesen und bearbeitet wird, um herauszufinden, welche
Themen und Aspekte vorkommen. Unter Auswertungskategorien versteht man dann
Themen und Aspekte, mit deren Hilfe das Material sortiert wird. Man muss bei der
Entwicklung des Kategoriensystems wiederholt die erstellten Kategorien überprüfen
und mit den Texten vergleichen, da das Kategoriensystem laut Mayring mit Kategorien,
Unterkategorien, Kategoriendefinitionen und Ankerbeispielen (typische Interviewzitate)
den in den ausgewerteten Texten enthaltenen latenten Sinn darstellt und somit das
erhobene Material widerspiegelt (vgl. Vogt/Werner: 2014, S. 49 ff). Durch solche
Verfahren wird allerdings gesichert, dass Bedeutungsstrukturen nicht übersehen werden
und möglichst alles zur Verfügung stehende Material ausgewertet wird. Im zweiten
Schritt wird das Material unter ausgewählten Auswertungskategorien verschlüsselt.
75
Das Kategoriensystem kann laut König (2005, S. 105) folgenderweise in Abhängigkeit
von dem Ziel der Inhaltsanalyse gebildet werden: Kategorien können entweder induktiv
direkt aus dem Material selbst entwickelt oder deduktiv aus den theoretischen
Vorüberlegungen oder Theoriekonzepten abgeleitet werden. Demnach sind Kategorien
induktiv, weil sie direkt aus dem Textmaterial gewonnen werden und somit der Name
der Kategorie häufig direkt aus dem zu analysierenden Text abgeleitet wird.
Andererseits da bei der deduktiven Kategorienbildung von der Theorie und Leitfaden
der vorhandenen Untersuchung ausgegangen wird, sind Kategorien deduktiv. Im dritten
Fall können das Forschungsinteresse bzw. Hypothesen, die sich z. B. in Leitfragen für
Interviews ergeben, als Ausgangspunkt für Kategorien fungieren. Weiter können
Kategorien aus empirisch abgesicherten Theorien oder Theorieteilen gewonnen werden.
Jedenfalls richtet sich die Kategorienentwicklung auf die Fragestellung und den
Schwerpunkt der Untersuchung aus. Übrigens beschränkt sich Auswertung der Daten
nicht nur auf eine Phase der Inhaltanalyse, sondern vielmehr wird sie als während der
Erhebung beginnender fortlaufender Prozess verstanden, wobei solches Verfahren zum
einen den Austausch zwischen erhobenem Material in Form von Interviewtranskripten
und dem theoretischen Vorwissen zum anderen reflektiert (vgl. Mayring: 2010, S. 92ff).
Abbildung 8: Ablauf der Auswertung mit deduktiven und induktiven Verfahren (in
Anlehnung an Mayring: 2008)
Anzahl und Umfang der Kategorien ist abhängig von der Fragestellung. Wenn man
viele Kategorien definiert und damit größere Kategorienanzahl schafft, kommt man
dann zu genaueren Ergebnissen. Dazu ist eine eindeutige Definition jeder einzelnen
Kategorie erforderlich, damit sie gegeneinander abgrenzbar sind. Außerdem sollen die
76
Kategorien den Erkenntnisinteressen der Untersuchung dienen, indem sie aus den
theorieorientierten Fragestellungen abgeleitet werden. Ein Kategoriensystem beinhaltet
neben den Namen für die Kategorien auch eine Definition jeder Kategorie und ggf.
sogar spezifische Regeln, wann eine Textstelle einer bestimmten Kategorie zugeordnet
werden darf. Jede Kategorie umfasst auch Kategoriendefinitionen, Ankerbeispiele und
Kodierregeln. Ankerbeispiele sind dabei typische Interviewzitate, die nochmals
verdeutlichen, welche Textstellen unter die jeweilige Kategorie fallen. Die Kodierregel
beschreibt hingegen, welche Aspekte eine Textstelle enthalten muss, um einer
bestimmten Kategorie zugeordnet werden zu dürfen, d .h. das Zuordnen von Textstellen
zu den entsprechenden Kategorien (vgl. Mayring: 1985, S. 198). Diesbezüglich entwirft
Mayring ein Konzept, das diese drei zusammenhängenden Elemente von
Kategoriensystem einschließt, um die Entscheidung zu treffen, welche Textstelle einer
Kategorie zugeordnet wird. Demnach muss zunächst explizit festgestellt werden,
welche Textstelle unter eine Kategorie fallen sowie die Definition der Kategorien. In
dem weiteren Schritt werden konkrete Textteile angeführt, die als Beispiele für die
Kodierung angesehen werden (Ankerbeispiele). Schließlich werden bei den Textstellen,
wo es Abgrenzungsprobleme zwischen Kategorien gibt, Regeln bzw. Kodierregeln zur
eindeutigen Zuordnungen festgesetzt. Somit fungieren die Kategorien laut Gläser und
Laudel (2010, S. 199f) als eine Art „Suchraster“, welches wie eine Art Brille
funktioniert und dem Forscher nur die relevanten Textstellen sehen lässt.
Abbildung 9: Qualitative Inhaltanalyse (Gläser/ Laudel, 2010, S. 200)
77
Angelehnt an den bereits erwähnten Anführungen wird bei der Inhaltsanalyse der
vorliegenden Studie zunächst subjektiven Theorien von Studierenden zum Thema
Schreibproduktion mit Hilfe eines teilweise deduktiven und teilweise induktiven
Kategoriesystems dargestellt. Auf der Basis des erstellten Kategoriensystems wird vor
allem eine strukturierende qualitative Inhaltsanalyse vorgenommen, bei der es darum
geht, die subjektiv individuellen Formulierungen sowie die Erklärungen der
Interviewten zum Thema Schreibproduktion aufzugreifen und herauszufinden, welchen
Sinngehalt sie damit verbinden. Gemäß der strukturierenden Analysemethode erarbeitet
man den Text Stück für Stück und formuliert die Kategorien als Begriffe oder
Kurzsätze, indem das Datenmaterial systematisch zerlegt wird, um die Kategorien
schrittweise zu entwickeln und somit zentrale Aussagen beizubehalten. In dieser Arbeit
werden wie folgt die einzelnen Kategorien mit Hilfe von Ankerbeispielen; die
ausgesuchten Zitate aus dem Textmaterial erläutert. Hierfür beschreiben Kategorien
immer einen Kernaspekt, der für die Auswertung und Interpretation der Interviews
relevant ist.
Basierend auf dem Schwerpunkt und der Fragestelung dieser Arbeit aber auch die
Leitfragen der durchgeführten Interviews ergibt sich folgendes deduktives und teilweise
induktives Kategoriensystem dieser Studie:
Kategorie 1: Subjektive Fremdsprachenprofil und Motive für Deutschlernen
Kategorie 2: Subjektive Deutung vom Stellenwert des Schreibens
Kategorie 3: Subjektive Aspekte zur Schreibproduktion in der Fremdsprache
Kategorie 4: Subjektive Aspekte zur Schreibproduktion in der Muttersprache
Kategorie 5: Selbsteinschätzung; Gründe für Zufriedenheit mit der eigenen
Schreibproduktion
Kategorie 6: Methodische Schreibschritte
Kategorie 7: Subjektive Einstellung vom Stellenwert der Textkomponenten
Kategorie 8: Individuelle Überarbeitungstechniken
Kategorie 9: Kompensationsstrategien zum Ausgleich der Defizite beim
Schreiben
Kategorie 10: Eigene Ideen zur weiteren Entwicklung der Schreibkompetenz
Diese zehn Kriterien stellen sozusagen das Suchraster bzw. Kategorien dar, durch
welche die Interviews betrachtet werden. Mit Hilfe dieses Suchrasters werden die
Informationen herausgefiltert, die für die Beantwortung der Forschungsfrage relevant
78
sind. Dadurch wird ebenso gewährleistet, dass Bedeutungsstrukturen nicht übersehen
werden und möglichst das gesamte zur Verfügung stehende Material ausgewertet wird.
Somit bilden die obigen definierten Kategorien insgesamt das Grundgerüst für die
vorliegenden inhaltsanalytischen Untersuchungen und ermöglichen, mit Blick auf das
muttersprachliche Schreibmodell von Hayes und Flower (1980) und das Modell des
fremdsprachlichen Schreibens von Börner (1992) zunächst einen Überblick über die
Erfahrungen, Vor- und Einstellung von Studierenden zum Thema Schreibproduktion zu
schaffen und danach angelehnt an den subjektiv individuellen Reflexionen von
Probanden über ihre eigenen Schreibprodukte ihren Schreibprozess als chronologische
Folge aufzudecken und zu erläutern, wie die Studierende an die Aufgabe, einen
schriftlichen Text in der Muttersprache bzw. im Deutsch als Fremdsprache zu
produzieren, herangehen. Ob eine Auseinandersetzung auch im Rahmen dieser kleinen
Stichprobe zu einer Erklärung bezüglich Verbesserung der Schreibpraxis im DaF-
Bereich an der Universität Kabul beiträgt, soll am Ende dieses Kapitels thematisiert
werden.
5.2.1.1. Kategorie 1: Subjektives Fremdsprachenprofil und Gründe für das
Deutschlernen
Bei der Darstellung des Fremdsprachenprofils der Probanden stehen Fragen zur
Sprachlernbiographie und vor allem individuellen Vor- und Einstellungen zum
Fremdsprachenlernen im Mittelpunkt, da die persönlichen Empfindungen der befragten
DaF-Studierenden hinsichtlich der Bedeutung vom Fremdsprachenlernen und ihre
Motivation, Deutsch zu studieren eine entscheidende Rolle bei der subjektiven Theorien
zum Thema Schreibproduktion im Fremdsprachenunterricht spielen. Überdies werden
die Studierende aufgefordert, Informationen über die folgenden Fragen zu geben:
Zu Anfang kannst du erzählen, welche Fremdsprachen du schon gelernt hast?
Inwieweit ist dir das Lernen der Fremdsprachen wichtig?
Warum studierst du Deutsch?
Durch diese Fragen lassen sich individuelle biographische Auskünfte sammeln, die sich
mehr oder weniger auf den Lernprozess von Fremdsprachen und auf die Entwicklung
der Schreibkompetenz im Unterricht Deutsch als Fremdsprache auswirken. Viele
Forschungen wie z. B. Edmonson und House (2000) haben bestätigt, dass gute
79
sprachliche Leistungen stark von dem Interesse an der Sprache und von der Einstellung,
die Sprachlernende gegenüber der Sprache und der Kultur des Zielssprachenlandes
haben, beeinflusst werden. Überdies werden im Folgenden anhand der erhobenen
Interviewauszüge von sechs afghanischen DaF-Studierenden subjektive Theorien der
einzelnen Probanden zum Thema Fremdsprachenlernen und ihre persönlichen Motive
zum Deutschstudium beleuchtet. Dabei wird mit dem Begriff „Motivation“ angelehnt an
Kirchners Definition (2004) „die Summe der Gründe (Motive), die jemanden zur einer
Entscheidung oder Handlung bewegen“ gemeint.
Sequenzanalyse von Farida
Wegen des Kriegs in Afghansitan lebte sie mehrere Jahre in Pakistan. Dort lernte sie
Urdu, indem sie sich im Alltagsleben in der Öffentlichkeit mit dieser Sprache
verständigte; also kein gesteuerter Spracherwerb. Bevor Farida mit dem
Deutschstudium begann, lernte sie schon im Goethe-Institut Kabul Deutsch. Daher
gehört sie in ihrer Klasse zu den guten Studierenden und besitzt ein gutes Sprachniveau.
Ihr ist Fremdsprachenlernen zum weiteren Studium in einem anderen Land sehr
wichtig. Nach ihrer Meinung müsse man unbedingt neben Englisch noch eine andere
internationale Sprache wie Französisch oder Deutsch lernen, um seine künftige Ziele zu
verwirklichen. Aus Liebe zu Deutschland und mit dem Ziel, in Deutschland weiter zu
studieren, entschied sie sich für das Studium Deutsch als Fremdsprache: „Als meine
Schwester in Deutschland geheiratet und da weiter gelebt hat, wurde in mir das
Interesse an Deutschland geweckt. Ich will nach meinem Studiumabschluss in
Deutschland weiterstudieren“ (Farida, Interview 4 übers. durch die Verfasserin). Sie
kann sich schon vorstellen, eines Tages die erworbenen Deutschkenntnisse zur
Kommunikation mit Muttersprachlern einzusetzen. Diese Vorstellung weist darauf hin,
dass sie durch bestehende familiäre Beziehung nach Deutschland, den Kontakt mit
Zielsprachenland und -leute, aber auch selbst nach Deutschland zu kommen mittels
dieser familiären Verbindung als gut möglich erachtet. Diese Kontaktvorstellung mit
Muttersprachlern ist ein wichtiger motivationaler Aspekt beim guten und gelungenen
Fremdsprachenerwerb (vgl. Riemer: 1997, S. 10).
Sequenzanalyse von Aria
Aria hat die Schule in einer Provinz in Zentralafghanistan besucht. Zum Englisch
Lernen besuchte er in Kabul viele Sprachkurse. Aria hält das Lernen von
80
Fremdsprachen für ganz wichtig, denn „eine Person, die nur eine Sprache kann, ist nur
eine Person“. Seiner Meinung nach vergrößern sich die Möglichkeiten, mit
unterschiedlichen Menschen von anderen Ländern in den Kontakt zu kommen, je mehr
man die anderen Sprachen beherrscht. Man könne sich so entfalten. Im gleichen Sinne
wie bei Farida bezweckt Aria mit dem Studieren der deutschen Sprache das
Weiterstudium in Deutschland: „Ich interessiere mich sehr für das Lernen anderer
Sprachen und mit dem Deutschstudium hoffe ich, ein Masterstudium in Deutschland zu
machen“ (Aria, Interview 1 übers. durch die Verfasserin).
Sequenzanalyse von Kawa
Kawa hat schon in der Schulzeit an der Amani-Oberrealschule in Kabul, die von den
Deutschen gefördet und in der Deutsch als ein Schulfach ab der vierten Klasse
unterrichtet wird, Deutsch gelernt. Er hat außerdem Englisch, Koreanisch und
Paschtukentnisse. Kawa ist der Ansicht, dass man eine Fremdsprache aus zwei
grundlegenden Gründen lernt. Zum einen lernt man eine Fremdsprache in einem
Sprachkurs, da man sie unbedingt benötigt. Zum anderen studiert man eine
Fremdsprache an der Universität, um dadurch später zur Verständigung mit anderen
Kulturen beitragen zu können. Auf die Frage, warum er ein Deutschstudium wählte,
antwortet er: „In Afghanistan kann man nicht von Auswahl sprechen, weil man durch
die Aufnahmeprüfung (Konkur) und nach erbrachter Leistung in dieser Prüfung von
einer Fakultät aufgenommen wird“ (Kawa, Interview 3 übers. durch die Verfasserin). Er
äußert weiter, dass er aber ganz bewusst und gewünscht Deutsch studieren wollte, da er
schon an der Schule das Grundwissen der deutschen Sprache gelernt habe und durch
Deutschstudium seine Deutschkenntnisse vertiefen wolle.
Sequenzanalyse von Tanin
Tanin besuchte die Schule bis zur fünften Klasse im Iran. Sie kann ein wenig Englisch
und Deutsch. Paschtu versteht sie, aber sie kann sich nicht in Paschtu äußern. Ihr ist
Fremdsprachenerwerb sehr wichtig, da Fremdsprachenkenntnisse viele Türen zum
Erfolg und zu den Möglichkeiten öffnen, z. B. wenn man im Ausland ist, dann könne
man seine Angelegenheiten durch seine Sprachkenntnisse erledigen. Des Weiteren
studiert sie deutsch, um später einen Beruf zu bekommen. In Afghanistan habe man mit
einem Studiumabschluss bessere Chance auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere bei den
staatlichen Einrichtungen. Dabei wird man oft bei Bedarf in einer Position eingestellt,
81
die kaum mit seiner Fachrichtung zusammenhängt. Das heißt, in vielen Ministerien und
Dienstleistungen arbeiten viele Angestellte ohne ausreichende fachliche und berufliche
Qualifikation. Dies geht zu Lasten der Entwicklung des Landes. Beispielweise ist es
möglich für jeden, nach dem Abschluss der Universität als Lehrer an den staatlichen
oder privaten Schulen zu arbeiten. Man kann jedoch nicht Lehrer werden und Lehrer
sein, ohne etwas von den Dingen zu verstehen, die man vermittelt. Tanin hofft
allerdings, nach dem Deutschstudium eine Arbeitsstelle zu finden und, wenn es ihr
gelingt, am liebsten im DaF-Bereich (Tanin, Interview 2 übers. durch die Verfasserin).
Sequenzanalyse von Saman
Vier Sprachen; Englisch, Urdu, Paschtu und Deutsch kann Saman sprechen. Während
der Talibanzeit lebte er in Pakistan und dort ging er auf die Schule. Er unterrichtet in
einem Sprachinstitut Englisch neben seinem Deutschstudium. Deswegen versäumt er
viele Unterrichtsstunden und ist mit seiner Lernleistung nicht zufrieden. Diesbezüglich
glaubt er, „wenn ich mich vollig auf mein Studium konzentriere, dann kann ich in
kurzer Zeit alles Lesen, Sprechen und Schreiben lernen“ (Saman, Interview 5 übers.
durch die Verfasserin). Zur Frage der Bedeutung des Fremdsprachenlernens antwortet
Saman, dass eine Person gleichzeitig mehr und größer als eine Person sein könne, wenn
sie mehrere Fremdsprachen beherrscht. Mit dem Erlernen der Fremdsprachen lerne man
andere Kulturen und Länder kennen und könne sich auch unproblematischer im
Ausland aufhalten. Sein Deutschstudium begründet er wie folgt: „Als ich Kind war,
wurde ich oft von den anderen mit dem Namen „Germani“ angeredet, weil ich helle
Haut und blonde Haare hatte. Übrigens hatten wir damals viele Nachbarn, die Deutsch
konnten und mit Deutschland in Kontakt standen. Diese haben mein Interesse zum
Deutsch erweckt“ (vgl. ebd.).
Sequenzanalyse von Roya
Roya lebte viele Jahre im Iran und dort besuchte sie auch die Schule. Im Vergleich zu
anderen Befragten ist Roya nur kurz auf die Fragen eingegangen. Sie kann etwas
Englisch und Deutsch. In Anlehnung an das slowakischen Sprichwort „Je mehr
Sprachen du sprichst, desto mehr bist du Mensch“ geht Roya ähnlich wie Arya und
Saman davon aus, dass man größer ist als Mensch, wenn man mehrere Sprachen kann.
Laut ihrer Äußerung im Interview 6 studiert sie Deutsch, weil ihre Punktzahl bei der
82
Aufnahmeprüfung an der Universität (Konkur) lediglich nur das Studium des Faches
Deutsch als Fremdsprache an der Universität Kabul zugelassen hat.
Wie aus den oben stehenden Äußerungen der Probanden zu entnehmen ist, sind
subjektive Theorien der befragten Studierenden bezüglich des Lernens von
Fremdsprachen, insbesondere deren Fremdsprachenprofil, unterschiedlich. Dies zeigt
vor allem, wie uneinheitlich das Lernen der Fremdsprachen in den afghanischen
Bildungseinrichtungen verläuft. Außerdem wird es deutlich, dass DaF-Studierende an
der Universität Kabul im ersten Studienjahr von der Deutschabteilung aufgenommen
und auf Klassen verteilt werden, ohne dass dabei genau berücksichtigt wird, welche
Vorkenntnisse einzelne Studierende eventuell haben. Dies verweist vor allem auf ein
Defizit in der Fakultät für Sprachen und Literatur an der Universität Kabul. Dort
müssen alle Neustudierende von Beginn an ein bestimmtes einheitliches Sprachniveau
erreichen, unabhängig von ihren Sprachhintergründen in den vorherigen
Bildungsaufbahnen. Dies ist jedoch höchst problematisch, da z. B. durch bestehende
Ungleichheiten viele Studierende schon zu Beginn ihres Deutschstudiums entweder
überfordert oder unterfordert werden, indem beispielweise während zwei von sechs
Befragten schon Deutschkenntnisse hatten, als sie mit dem DaF-Studium angefangen
haben, begannen die anderen bei Null. In der Lehrpraxis zeigt sich dass diese
Unterschiedlichkeit oft zu einer Verwirrung im DaF-Unterricht führen. Die Studierende
mit vorherigen Deutschkenntnissen erscheinen zum Teil im Lernprozess aufgrund ihrer
schon erworbenen Sprachkenntnissen voreilig und vorlaut bei Nachfragen oder
Disskussionen. Dies stört nicht nur die Lehrkraft, sondern auch die Nullanfänger. Als
Lehrperson sollte man z. B. solche Studierende stets darauf hinweisen, dass sie auch
den Anderen Zeit zum Reden und insbesondere auch Ausreden lassen sollten. Es wird
somit also schwieriger, eine positive, harmonische Lernatmosphäre zu schaffen.
Auffällig ist auch, dass nahezu keiner die Frage, warum sie deutsch studieren, mit dem
Hinweis auf eine mögliche berufliche Perspektive beantwortete. Zwar wurde genannt,
dass gute Deutschsprachkenntnisse in der Zukunft für ihre künftigen Pläne von
Bedeutung seien, aber fast keiner formulierte, dass er den Wunsch habe, einen Beruf
auszumachen, der in einer direkten Verbindung mit der deutschen Sprache steht. Als die
Probanden nach der Wichtigkeit des Fremdsprachenlernens gefragt wurden, nannten
fast alle integrative Motivationen, indem sie davon ausgingen, dass man mit dem
Lernen der Fremdsprachen andere Kulturen und Menschen kennen lernen könne. Aber
als sie aufgefordert wurden, ihre Motive und Gründe zum Deutschlernen zu nennen,
83
nannten die meisten instrumentelle Motive also den Nützlichkeitsaspekt wie z. B.
Weiterstudium in Deutschland oder bessere Berufschancen. Diese Gründe können
sicherlich mit den Lebens- und Arbeitsumständen in Afghanistan zusammenhängen,
von denen vor allem afghanische Jugendliche seit langem wegen politischer Instabilität
und der schwierigen Sicherheitslage betroffen sind.
Noch ein anderer Punkt, der auch aus didaktischer Sicht von großer Bedeutung ist, ist
die Feststellung, dass aufgrund des Messverfahrens bei bezugsgruppenorientierten
Aufnahmeprüfung (Konkur) in Afghanistan, deren Qualität (Validität, Fairness,
Reliabilität, Effekt und Transparenz) zwar erheblich fragwürdig ist, aber deren Bestehen
als „High-Stakes-Test“ mit entscheidenden Auswirkungen auf die Zukunft der
Prüfungsteilnehmenden verbunden ist, landen viele Neustudierende in die Fakultäten,
für die sie sich kaum entschieden, interessierten sogar sich nicht besonders begabt
fanden. Somit sind auch im DaF-Bereich an der Universität Kabul solche Personen wie
Roya, die auf diese Wiese unerwünscht Deutschstudium hingenommen haben, keine
Seltenheit. Es gibt aber dagegen auch DaF-Studierende wie Farida und Kawa, die
aufgrund ihrer Vorerfahrungen mit der deutschen Sprache insbesondere familiären
Beziehungen nach Deutschland, die die Wahrscheinlichkeit in Deutschland zu kommen
erhöhen, bewusst und erwünscht für das DaF-Studium entschieden haben. Solche
afghanischen DaF-Studiernde zeigen aus Erfahrung im Vergleich zu anderen
Mitstudierenden mehr Interesse und Teilnahme am Unterricht und folglich erzielen sie
auch mehr Lernerfolge.
Das ist aber auch anzumerken, dass drei Probanden Erfahrungen mit dem fremd-
sprachlichen Erwerb hatten, indem sie als Flüchtlinge in Pakistan Urdu ungesteuert
durch Kommunikation in der Öffentlichkeit lernten. Ebenso lernten sie Paschtu (ihre
zweite Landessprache). Darüber hinaus können viele Studierende indisch gut verstehen,
weil sie viele Filme bzw. Songs vom Bollywood verfolgen. Dies alles hat vermutlich
dazu geführt, dass sie mehr mündliche und audiovisuelle Interesse und Methoden
favorisieren und somit weniger bekannt und vertraut mit den schriftlichen Handlungen
sind. Hingegen verfügten zwei Probanden über vieljährige Schulerfahrungen im Iran,
wo im Prinzip auf die Entwicklung und Einführung der Schreibkompetenz an den
Schulen und Universitäten anders als in Afghanistan und in Pakistan mehr wertgelegt
wird. Schließlich lässt sich feststellen, dass man im DaF-Unterricht in Kabul zum Teil
mit einer heterogenen Lernergruppe konfrontiert wird, die unterschiedliche
Sprachlernbiographie, Lebens- und Bildungserfahrungen besitzen.
84
5.2.1.2. Kategorie 2: Subjektive Deutung vom Stellenwert des Schreibens
Diese Kategorie befasst sich mit den subjektiven Einschätzungen der Probanden über
die allgemeine Bedeutung von Schreiben. Hier wurde gefragt: Welche Bedeutung und
Relevanz kommt aus deiner Sicht dem Schreiben zu?
In Hayes Schreibmodell bezieht er außer dem Langzeitgedächtnis und der Planungs-
und Ausführungskomponente auch affektive und soziale Faktoren des Schreibens mit
ein. Hayes schlägt zwei große Komplexe vor, denen er einzelne Faktoren und
Teilprozesse des Schreibprozesses zuschreibt. Er unterscheidet zwischen
Aufgabenumgebung und Individuum und stellt damit die Bedeutsamkeit individueller
Unterschiede beim Schreibprozess heraus. Die Aufgabenumgebung unterteilt Hayes in
physische und soziale Umgebung. Durch den Hinweis auf die Bedeutung der sozialen
Umgebung macht er darauf aufmerksam, dass Schreiben eine soziale Tätigkeit ist,
indem es z. B. durch soziale Konventionen, die Kulturzugehörigkeit des Schreibers, die
sozialen Erfahrungen des Schreibers und durch die Texte anderer Autoren beeinflusst
wird (vgl. Hayes 1996, S. 4f). In diesem Sinne bezweckt diese Kategorie aufzudecken,
welche Vorstellungen im Allgemeinen zum Schreiben bei den Probanden entwickelt
sind.
Von den Aussagen der Probanden zum Thema Stellenwert und Deutung des Schreibens
lässt sich herausfinden, dass im Mittelpunkt der Äußerungen der Probanden vor allem
die Funktion des Schreibens als Dokumentationsmittel der Menschen steht. Das
Geschriebene hält die menschlichen Erkenntnisse und Entdeckungen fest, damit sie
später an die nächste Generation weitergegeben werden können. Das ist
folgendermaßen aus der Erklärung von Tanin zu entnehmen: „Das Schreiben hat eine
enorme Bedeutung, weil man damit alle menschlichen Erfindungen und Erkenntnisse
dokumentieren und versichern kann, ansonsten werden all diese in Vergessenheit
geraten und nicht an die nächsten Generationen weitergegeben“ (Tanin, Interview 2
übers. durch die Verfasserin).
Roya vertritt ebenfalls die Meinung, dass durch Schreiben die Informationen für die
zukünftigen Anwendungen gespeichert werden können. Außerdem beschreibt sie
weiter, dass man beim Lernen den Lernstoff durch Schreiben der wesentlichen
Inhaltspunkte besser verstehen kann: „Schreiben ist das beste Mittel für die langfristige
Speicherung der Informationen. Im Lernbereich kann man auch schreiben, um die
85
Lerngegenstände besser zu begreifen“ (Roya, Interview 6 übers. durch die Verfasserin).
Ebenso ist für Saman das Schreiben von großer Bedeutung und ein Bestandteil jeder
Sprache, denn „beim Erlernen jeder Sprache geht es gleichzeitig auch um Lernen deren
Schreiben. Wenn wir eine Sprache lernen, müssen wir auch lernen, wie in dieser
Sprache geschrieben wird z. B. Zeichensetzung, Satzbau und Absatz“ (Saman,
Interview 5 übers. durch die Verfasserin). In diesem Zusammenhang weist Farida
darauf hin, dass Schreiben selbst allein als eine Sprache zu verstehen sei. Sie meint
damit geschriebene Sprache, mit der man seine Gedanken zum Ausdruck bringt:
„Schreiben ist selbst eine Sprache. Wir sprechen immer von der gesprochenen und
geschriebenen Sprache. Durch Verfassen eines Textes kann man seine Meinungen
äußern, deswegen besitzt das Schreiben eine wichtige Rolle“ (Farida, Interview 4 übers.
durch die Verfasserin).
In Abgrenzung zu den bereits dargestellten Äußerungen der Probanden Tanin, Roya,
Saman und Farida spricht Kawa von der allmählichen Abschaffung des Schreibens. Er
meint, dass „das Schreiben in diesem Zeitalter nach und nach seine Bedeutung und
Funktion durch E-Mail oder Fax verliert, aber sollte man im Allgemeinen Normen und
Regeln des Schreibens wie Grammatik und Worter lernen“ (Kawa, Interview 3 übers.
durch die Verfasserin). Diesbezüglich ist Saman der Meinung, dass es zwei Arten vom
Schreiben gibt. Zum einen schreibe man mit der Hand, die fast nicht mehr existiert.
Zum anderen schreibe man heutzutage oft mit dem Computer. Aber trotzdem findet laut
ihm das Schreiben mit der Hand bei den Prüfungen oder Sitzungen eine Anwendung.
Aus der obigen Beschreibungen ergibt sich, dass alle Befragten ähnliche Einstellungen
gegenüber dem Schreiben haben. Sie nannten nur zwei Gründe für die Wichtigkeit von
Schreiben, erstens Schreiben zum Zweck der Speicherung und der Weitergabe von
Informationen „transferierendes Schreiben“ (vgl. Ludwig: 1982, S. 85) und zweitens
Bedeutung des Schreibens aus unterrichtspraktischen Bedürfnissen im Lernprozess z. B.
als Erinnerungs- und Formulierungshilfe bei Hausaufgaben, Übungen und Prüfungen.
Dass keiner von den befragten Studierenden über die kommunikativen Ziele z. B. Briefe
und Kurzmitteilungen gesprochen hat, kann sehr wahrscheinlich damit zu tun haben,
dass in Afghanistan Handlungen wie z. B. Notizen machen, E-Mail schreiben, SMS
schreiben nicht als Schreibtätigkeit empfunden werden. Von dem Schreiben ist erst die
Rede, wenn es um das Schreiben eines ernsthaften und entscheidenden Erzeugnisses
geht, wie z. B. Bericht oder Buch. Es wäre daher wichtig, im DaF-Unterricht zu
behandeln und die Studierenden dafür zu sensibilisieren, dass die menschliche
86
Kommunikation nicht immer mündlich, sondern in diesem Zeitalter vielmehr schriftlich
abläuft. Zudem ist es auffällig, dass man in Afghanistan weitgehend zwischen
Schreiben und Tippen unterscheidet. Gerade deswegen nannten manche Befragte die
zunehmenden wirtschaftlichen und technischen Expansionen wie Smartphone und
Laptop in Afghanistan als eine Art von Bedrohung für die Schriftlichkeit und haben
sogar von Handschriftverlust im Computerzeitalter gesprochen.
5.2.1.3. Kategorie 3: Subjektive Aspekte zur Schreibproduktion in der Fremdsprache
Deutsch
Im Abschnitt 4.1.1.2 wurde das Thema Schreiben in der Fremdsprache ausführlich
behandelt. Es wurde festgestellt, dass Schreibproduktion in einer Fremdsprache ein
höheres Maß an Tätigkeiten und Teilfähigkeiten fordert z. B. Planen, Abrufen des
sprachlichen und thematischen Vorwissens vom Gedächnis, klar und nachvollziehbar
Formulieren und dabei auf die Regeln der Grammatik, Rechtschreibung und
Interpunktion achten. Insgesamt ist Schreiben nicht als die Beherrschung einer einzigen
Fähigkeit zu sehen, sondern als die gekonnte Kombination unterschiedlicher
Teilkompetenzen. Dagegen sind in den subjektiven Einschätzungen der Befragten zum
Thema Schreiben in der Fremdsprache Deutsch lediglich nur die sprachlichen bzw.
lexikalischen Defizite als ein zentraler Aspekt beim Schreiben in Deutsch
vorgekommen. Betrachtet man also die Äußerungen der DaF-studierten Probanden
bezüglich des Schreiben in deutscher Sprache, kommt heraus, dass sie bei der
Textproduktion in Deutsch als Fremdsprache extrem auf die verbalen Gesichtspunkte
ausgerichtet sind. Im Folgenden wird auf die Antworten der Probanden eingegangen.
Für Kawa sind Verben und Schlüsselwörter beim Schreiben in Deutsch, mit deren Hilfe
dem Leser eine Tatsache übermittelt wird, sehr wichtig. Nach seiner Meinung ist es
beim Schreiben unwichtig, die Form eines Textes zu beachten oder verschachtelte Sätze
sowie komplizierte Wörter anzuwenden, weil Mitteilung/Übertragung eines Themas
Hauptziel ist. Er deutet weiter an: „Ich schreibe gern und bemühe mich viel in Deutsch
zu schreiben. Wenn man im Bereich Wortschatz und Grammatik gut ist, dann kann man
problemlos schreiben“ (Kawa, Interview 3 übers. durch die Verfasserin). Aus der
Äußerung von Aria ist das Gleiche zu erschließen: „Zu Beginn hatte ich viele Probleme
in deutscher Sprache zu schreiben, aber nachdem mein Wortschatz und
Grammatikwissen erweitert wurden, fällt mir nicht mehr schwer, Texte in Deutsch zu
87
schreiben“ (Aria, Interview1 übers. durch die Verfasserin). Außerdem ist er der Ansicht,
dass man beim Schreiben in Deutsch besonders auf die Rechtschreibung und
Zeichensetzung achten müsse. Ebenfalls steht für Saman die Wortstellung und
Grammatik bei der Schreibproduktion in Deutsch im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
Roya beschwert sich sehr über ihren geringen Wortschatz, der ihr beim Schreiben viel
Schwierigkeit bereitert. Hingegen erklärt Tanin, obwohl sie ein gutes Sprachwissen
bzw. genügende Grammatikkenntnisse zur Verfügung habe, könne sie aber diese Regeln
nicht während des Schreibens anwenden. Dabei fehlt ihr insbesondere die Fähigkeit, ihr
theoretisches Wissen in der Praxis anzuwenden: „obwohl ich deutsche Grammatik gut
beherrsche, komme ich aber bei ihrer Anwendung in einem Text durcheinander. Erst
dann, wenn jemand einen Text über dasselbe Thema verfasst und vorliest, mache ich
mir Vorwürfe und frage mich, warum ich es nicht geschafft habe, obwohl ich das
gleiche sprachliches Wissen hatte“ (Tanin, Interview 2 übers. durch die Verfasserin).
Insgesamt wird das sprachliche Formulieren als das wesentliche Problem von den
meisten DaF-Studierenden erlebt mit der Begründung, dass sie den notwendigen
Wortschatz in der Fremdsprache oft nur beschränkt besitzen oder sie die gelernten
Regeln auf die geschriebenen Texte nicht anwenden können.
Im Unterschied zu den anderen Befragten, die nur auf sprachliche Punkte beim
Schreiben in Deutsch verwiesen haben, geht es bei Farida beim Schreiben in deutscher
Sprache vor allem um das Verfassen eines allgemeinverständlichen Textes. Faridas
Äußerung macht deutlich, dass sie den Leser als einen wichtigen Faktor bei ihrer
Textproduktion betrachtet. Nach Bereiter (1980) lässt sich die Stufe des sogenannten
kommunikativen Schreibens erreichen (vgl. Ossner: 1996, S. 76), wenn der Schreibende
den Leser berücksichtigt und adressatenorientiert schreibt und sich nicht als eigener
Leser versteht. Außerdem verbalisiert Farida in ihrer Antwort den Aspekt der
Konzeption von der Schreibaufgabe und den Arbeitsanweisungen. Sie äußert, wenn die
Aufgabe zum Schreiben klar und einfach zu verstehen ist, dann kann man einen Text
gut und angemessen in Deutsch schreiben: „wenn ich die Frage und Aufgabe nicht
verstehe, dann bekomme ich Problem beim Schreiben“ (Farida, Interview 4 übers. durch
die Verfasserin). Hier hat Farida ein zusätzliches Problem erwähnt, dass sich aus der
ungenauen Schreibaufgabenstellung ergibt, wobei die meisten schriftlichen Aufgaben
gleich lauten: „Schreiben Sie!“. Laut Grötsch-Merz (2001) muss die Schreibaufgabe die
Textsorte, mögliche Intentionen und den Adressaten konkretisieren. Konkrete
88
Schreibaufgaben dienen dazu, dem Schreib-Lerner Anhaltspunkte und Orientierung bei
der Textproduktion zu geben.
Bei der Frage nach Besonderheiten des Schreibens in der Fremdsprache Deutsch im
Vergleich zum muttersprachlichen Schreiben sollte im Weiteren heraugefunden werden,
was das Schreiben in der Fremdsprache Deutsch aus der Sicht der Befragten ausmacht.
Fremdsprachliches Schreiben ist eine Tätigkeit, die einerseits komplizierter, andererseits
einfacher als muttersprachliches Schreiben sein kann. Da das Lernen einer
Fremdsprache oft lückenhaft und entwicklungsbedürftig ist, sollen die schon
erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten des Schreibens erweitert und adaptiert werden.
Dies erschwert das Schreiben in der Fremdsprache. Außerdem hat jede Sprache ihr
eigenes Schriftsystem mit anderen pragmatischen, sozialen und stilistischen Normen
des Schreibens, deswegen müssen beim Schreiben in einer Fremdsprache andere
motorische Routinen entwickelt und vorhanden sein, um einen Text verfassen zu
können. Wenn die Lerner einer Fremdsprache hingegen mit den grundlegenden
Prinzipien des Schreibens in einer Sprache z. B. die Fixierung sprachlicher Formen und
Normen jeder Textsorte, schon bekannt und vertraut sind, dann scheint das
fremdsprachliche Schreiben einfacher als das Schreiben in der Muttersprache (vgl.
Glück: 1988, S. 25ff).
Die Andersartigkeit des Schreibens in Deutsch als Fremdsprache beschränkt sich bei
befragten DaF-Studierenden beträchtlich auf die Unterschiede in sprachlicher Ebene.
Auf die Frage: Meinst du, dass du in der Fremdsprache Deutsch anders schreiben
solltest als in deiner Muttersprache? Warum? Und wie zeigt sich das? haben die
Befragten folgendermaßen geantwortet. Farida meint in diesem Zusammenhang, dass
sie wegen der fehlenden Schreiberfahrung in ihrer Muttersprache in Deutsch viel
einfacher und besser schreiben kann: „Ich schreibe in Deutsch viel leichter und lieber
als Dari, weil uns die Formen und Normen, wie man in Deutsch schreibt, viel gelehrt
wurde“ (Farida, Interview 4 übers. durch die Verfasserin). Sie sagt weiter, dass sie oft
beim Schreiben in Deutsch vom Thema abgelenkt wird, weil sie viel zu viel schreiben
will. Aria beschreibt dagegen, dass er sich beim Deutschschreiben sehr auf die
Grammatik und das Thema des Schreibens konzentriert: „wenn ich in Dari meine
Muttersprache schreibe, überlege ich über das gestellte Thema, aber brauche nicht an
die sprachlichen Dinge zu denken, weil sie automatisch in den Sinn kommen“ (Aria,
Interview 4 übers. durch die Verfasserin). In diesem Zusammenhang zeigen Ergebnisse
der fremdsprachlichen Schreibprozessforschungen (vgl. Börner 1989, Krings 1992 u.
89
Wolff 1992) einerseits Ähnlichkeiten mit dem erstsprachlichen Schreiben auf,
andererseits die zusätzlichen besonderen Schwierigkeiten, die in Orthographie,
Grammatik, Wortschatz und Textpragmatik der fremden Sprache liegen.
Auf die vorher gestellte Frage nach den Besonderheiten des Schreibens ins Deutsch
antwortet Saman, dass er wegen der vielen Abwesenheiten im Unterricht unzählige
Sprachprobleme hat und es vorzieht, angelehnt an Englisch einen deutschen Text zu
schreiben, weil er das Englische länger und besser gelernt hat. Tanin und Roya meinen,
dass sie sich beim Schreiben in Deutsch nicht mehr afghanisch fühlen, sondern eher
deutsch. Das heißt, sie distanzieren sich während des Schreibens in deutscher Sprache
von ihrer afghanischen Mentalität und versuchen, mehr auf Deutsch zu denken, um sich
in Deutsch äußern zu können. Die folgenden Ankerbeispiele machen dieses deutlich.
Roya hat keine Erfahrung und Kenntnisse darüber, wie man in Dari schreibt. Alles, was
sie bezüglich des Schreibens weiß, habe sie im DaF-Unterricht erworben: „wenn ich in
Deutsch schreibe, erinnere ich mich an die Punkte, die ich in dieser Sprache gelernt
habe z. B. Texte und Regeln. Dadurch schreibe ich eher aus der Sicht einer deutschen
Schreiberin. Das bedeutet, nach deutscher Art und Weise“ (Roya, Interview 6 übers.
durch die Verfasserin). Tanin ist der Ansicht, dass Deutsch und Dari zwei
unterschiedlichen Sprachen und Kulturen seien, deswegen könne man nicht alles, was
man in seiner Muttersprache denkt oder fühlt eins zu eins ins Deutsche transferieren. In
Dari gebe es Phänomen, von denen die Deutschen keine Ahnung haben und umgekehrt:
„Beim deutschen Schreiben muss sich unsere Denkweise verändern, denn wenn wir
zuerst in Dari denken und dann direkt ins Deutsch übersetzen, wird unser Text völlig
falsch“ (Tanin, Interview 2 übers. durch die Verfasserin). Anschließend an den eben
beschriebenen Äußerungen von Tanin und Roya soll nun hier darauf aufmerksam
gemacht werden, dass in den Sprachabteilungen in Kabul oft den Lernenden vermittelt
wird, dass man beim Schreiben und Sprechen in einer Fremdsprache keine
Muttersprache zum Einsatz bringen muss/darf. Da herrscht die Auffassung, dass die
Nutzung der Muttersprache bei der fremdsprachlichen Produktion mehr oder weniger
zum falschen Produkt führt. Man hört gelegentlich z. B. „nur auf Deutsch denken und
formulieren“. Hier stellt sich die Frage, wie man sich beim Schreiben oder Sprechen in
einer Fremdsprache völlig von seiner Muttersprache trennen kann, um sich in eine neue
Rolle/Identität zu versetzen.
Im Unterschied zu den bisherigen Äußerungen der Probanden zum Thema
Besonderheiten des Schreibens in Deutsch bringt Kawa einen neuen Gesichtpunkt in
90
Betracht, indem er sagt: „Natürlich ist man stolz auf sich, wenn man einen Text in einer
anderen Sprache schreibt und somit den anderen seine Gedanken übertragen kann“
(Kawa, Interview 3 übers. durch die Verfasserin). Weiterhin setzt er fort, dass er wie
manche anderen Mitstudierende lieber in Deutsch schreibt, weil er diese Sprache
bewusster und intensiver als seine Muttersprache gelernt hat: „Sogar schreiben meine
Freunde in der Klasse lieber und besser in Deutsch, weil uns Schreiben in der
Muttersprache nicht genügend beigebracht wurde“ (vgl. ebd.).
Zusammenfassend kam in der vorliegenden Kategorie zum Ausdruck, dass die
afghanischen DaF-Studierende oft über geringe muttersprachliche Schreiberfahrung
verfügen, dewegen orientieren sie sich beim Schreiben in Deutsch insbesondere daran,
was sie im DaF-Unterricht bezüglich des Schreibens vermittelt bekommen haben. Dabei
achten sie extrem auf die Rechtschreibung und Grammatik. Darüber hinaus wurde es
herausgefunden, dass im Fremdsprachenunterricht in Kabul die muttersprachlichen
Erkenntnisse der Lernenden weder gefördert noch gefordert und sogar als ein Störfaktor
beim Lernen einer Fremdsprache angesehen wird. Die wissenschaftlichen Studien haben
hingegen erwiesen, dass beispielweise die Textproduktion in einer Fremdsprache sich
nur wenig vom muttersprachlichen Schreiben unterscheidet. Einer der großen
Unterschiede besteht jedoch darin, dass das Schreiben in der Fremdsprache von zwei
Sprachen beim kognitiven Schreibprozess (drei Teilprozessen von Planen, Formulieren
und Überarbeiten) gesteuert, organisiert und aktiviert wird. Demnach können den
Lernenden ihre muttersprachlichen Erfahrungen, Methoden und Fähigkeiten beim
Fremdsprachenerwerb als eine Art von der Hilfe und Unterstützung behilflich sein.
5.2.1.4. Kategorie 4: Subjektive Aspekte zur Schreibproduktion in der Muttersprache
Dari
Diese Kategorie untersucht die schulische Schreiberfahrung der befragten DaF-
Studierenden und ihr persönliches Interesse, Texte in der Muttersprache zu schreiben.
Im afghanischen Bildungssystem findet Entwicklung der Schreibkompetenz traditionell
statt (siehe dazu Abschnitt 2.2.3.), indem der produktorientierte Aufsatzunterricht sich
nur nach bestimmten und vorgegebenen Grundformen von Texten und genauen Regeln
ausrichtet und am Ende den fertigen Text als Ergebnis des Schreibprozesses in den
Mittelpunkt stellt (vgl. Steiner: 2007, 36). Die Gefahr einer solchen Sicht besteht darin,
dass schulisches Schreiben auf kontrolliertes Schreiben reduziert wird, nur eine
91
vereinfachte Form von Schreiben vermittelt und andere Teilaspekte vernachlässigt
werden. Diesbezüglich sagt Farida, dass sie das Schreiben in der Muttersprache durch
das Schreiben der Aufsätze über kleine alltäglichen Themen wie z. B. Frühling gelernt
hat: „Im Schreibunterricht an der Schule mussten wir zuerst über ein bestimmtes Thema
einen Aufsatz schreiben. Dann lasen wir den Aufsatz vor der Klasse laut vor. Zum
Schluss gab der Lehrer uns mündlich Hinweise darauf, wie unser Text war“ (Farida,
Interview 4a übers. durch die Verfasserin).
Aria und Kawa beschreiben ihre muttersprachlichen Schreibentwicklung im gleichen
Sinne wie folgt: sie haben das Schreiben zuerst neben der Koranlesung gelernt. Dabei
wurden sie erst mit dem arabischen Alphabet bekannt gemacht, nebenbei haben sie nach
und nach Schreiben in Dari geübt und gelernt beispielweise, wie man seinen Namen
schreibt, wie man von den einzelnen Buchstaben die Wörter bildet (vgl. Aria, Interview
1a und Kawa, Interview 3a übers. durch die Verfasserin). Anzumerken ist, dass in der
Dari-persischen Schriftsprache die arabische Schrift verwendet wird, die laut
Sadaghiani (2010) um die vier Buchstaben p, g, ž und č erweitert wurde.
Tanin und Saman weisen eine Ähnlichkeit mit Aria und Kawa auf und erklären, dass
ihnen an der Schule zuerst das Alphabet vermittelt wurde. Danach wurde die Bildung
der Wörter und Sätze unterrichtet. Saman erwähnt in diesem Zusammenhang: „aber an
der Schule gibt es keinen bestimmten Unterricht im Bezug auf das Lehren des
Schreibens. Deshalb habe ich das Schreiben mehr zuhause von meinem Vater gelernt“
(Saman, Interview 5a übers. durch die Verfasserin). Ebenso beklagt sich Tanin darüber,
dass es ihnen an der Schule bis zum Schulabschluss nicht beigebracht wurde, wie man
einen Text z. B. einen formellen Text schreibt.
Bei der Vermittlung der Schreibkompetenz spielt neben der Schule auch die
Schriftkultur der Eltern eine bedeutungsvolle Entwicklungskomponente. Laut Feilke ist
„stärker als der so genannte natürliche Spracherwerb [...] der Schriftspracherwerb
sozialisatorisch angewiesen auf positive Identifikationen und empfindlich für
Storungen“ (2005, S.39). In diesem Zusammenhang wird es hier auf die Erklärungen
von Saman bezogen: „In Afghanistan hat man ganz andere Sorgen: Sicherheit, Arbeit
usw. Deswegen keine Zeit und Interesse für das Schreiben. Viele sind Analphabeten“
(Saman, Interview 5a übers. durch die Verfasserin). Eine anregende Schreibumgebung
sowohl innerhalb des Unterrichts als auch außerhalb des Unterricht bzw. der häusliche
Bereich, wo oft die Hausaufgaben bearbeitet werden, spielt offenbar für das Schreiben
92
eine größere Rolle, als man ihm bisher zugestanden hat. Diesen Aspekt bringt Kawa
zum Ausdruck, indem er äußert, wenn es ein genaues Ziel zum Schreiben gibt, dann
schreibe man gerne. Aber ohne Grund und Anlass habe man normalerweise keine
Motivation, um etwas zu schreiben.
Auf die Frage nach dem Interesse zum Schreiben in der Muttersprache haben sich die
anderen Befragten genauso uninteressiert gezeigt. Farida sagt, sie interressiere sich nicht
für das Schreiben und dies habe sie fast verlernt. Da sie nach dem Eintritt an der
Universität den Kontakt mit dem Schreiben in der Muttersprache verloren hat, schreibt
sie im Alltagsleben fast nie (vgl. Interview 4a übers. durch die Verfasserin). Ähnlich
wie Farida sagt Tanin, dass sie bis jetzt nicht dazu gekommen sei etwas zu schreiben.
Hierbei ist auffallend, dass wenn allgemein nach dem Interesse und der Beschäftigung
mit dem Schreiben in der Muttersprache gefragt wird, dann bezogen sich die Antworten
meistens auf das Schreiben für die Anderen. Eine private Form des Schreibens als
fachübergreifende, allgemeine bzw. alltägliche Tätigkeit existiert nur selten. Zum
Beispiel sagt Saman, dass er Interesse am Schreiben hat und ziemlich viel schreibt: „Ich
schreibe Reader, weil ich ein Lehrinstitut besitze“ (Saman, Interview 5a übers. durch
die Verfasserin). Aria deutet an, dass er sehr gerne Gedichte und Aufsätze schreibt, aber
auch Facebook-Beiträge und E-Mails. Mit dem Schreiben versteht man in den meisten
Fällen, dass es sich dabei nur um anspruchvolle Textprodukte wie Druckerzeugnisse
wie Gedicht, Roman und Buch geht. Diese Vorstellung mag damit zusammenhängen,
dass zum einen laut Ausgabe 20/2016 von Online-Spiegel in den Ländern wie Afgha-
nistan und Iran Gedichte und Geschichte als das kollektive Gedächtnis der Völker
gelten und zum anderen in Afghanistan als ein nichtschriftbasiertes Land wegen der
schwierigen Lebensumstände sowie der hohen Anzahl der Analphabeten unter der
Kommunikation weitgehend direkte und mündliche Form der Kommunikation
empfunden wird.
5.2.1.5. Kategorie 5: Selbsteinschätzung; Gründe für Zufriedenheit mit der eigenen
Schreibproduktion
Diese Kategorie befasst sich mit der Frage nach den Voraussetzungen, unter denen die
befragten DaF-Studierende mit ihrer verfassten Schreibproduktion in der Fremdsprache
Deutsch zufrieden werden. Desweiteren wird auf die Frage eingegangen, was die
Probanden beim Schreiben in der Muttersprache bzw. in der Fremdsprache besonders
93
gut können und welche Defizite sie dabei noch zu beheben haben. Somit erhalten die
Personen die Gelegenheit, ihre Schreibkompetenz reflektiv zu bewerten, um bewusster
mit ihrer Schreibproduktion umzugehen. Ein Blick auf die Entwicklung von Schreib-
kompetenz zeigt, dass die distanzierte und abstrakte Vorgehensweise bei der
Herstellung textueller Einheiten nur dann möglich ist, wenn institutionelle
Vermittlungsprozesse des Schreibens das Nachdenken über das Schreiben auf der
Metaebene (metakognitiv, matasprachlich und metaemotional) aufgreifen und fördern
(Merz-Grötsch: 2001, S.76), weil das Schreiben in der Fremdsprache eine komplizierte
Aufgabe ist, die „den Schreibenden große kognitive Anstrengungen abverlangt“
(Krings: 1992, S. 58).
Wenn man die Antworten der Probanden auf die Frage: Unter welchen Bedingungen
bist du im Allgemeinen zufrieden mit deinem geschriebenen Texten in der
Fremdsprache Deutsch? näher betrachtet, lässt sich herausfinden, dass fast alle
Probanden erst dann mit ihren Schreibproduktionen zufrieden sind, wenn es ihnen
gelingt, alle inhaltlich-thematischen Leitpunkte, die sie bezüglich der Schreibthematik
im Kopf haben, ohne Grammatikfehler und mangelnde Wortschatzkenntnisse aufs
Papier zu bringen. Dies kann man an den folgenden Äußerungen erkennen; Aria: „ich
würde mit meinem Text zufrieden sein, wenn ich alles, was ich im Sinn habe, zum
Ausdruck bringen kann“ (Aria, Interview 1 übers. durch die Verfasserin). Ebenfalls
wäre Roya mit ihrem Text zufrieden, wenn sie alles, was sie über das Schreib-Thema
sagen will, schreiben könne. Sie deutet weiter darauf hin, dass man dieses nur mit einem
ausreichenden Vokabular und passenden Redewendungen erreichen kann. Für Tanin
und Farida gilt die Richtigkeit der verwendeten Sprachmittel sowie grammatikalische
Regeln als Hauptgrund für die Zufriedenheit mit ihren eigenen Deutschtexten. Von
besonderer Bedeutung für Kawa ist hierbei das Wissen über das Thema. Er meint, wenn
man beim Schreiben eines Textes über die ausreichenden themenrelevanten
Informationen verfügt, dann schreibe man mit großer Begeisterung. Auffallend ist bei
Kawa, dass er mit dem Wissen über das Thema nicht nur die inhaltlichthematischen
Informationen, sondern auch sprachliche Vorkenntnisse in Betracht zieht.
Im Gegensatz zu den anderen Befragten hat Saman noch einen zusätzlichen Aspekt
thematisiert. Seiner Meinung nach ist es erforderlich, für eine erfolgreiche und
zufriedenstellende Schreibfähigkeit zuerst eine sichere und fördernde
Schreibatmosphäre zu schaffen. Er schildert, da man in Afghanistan mit vielen
familiären und beruflichen Schwierigkeiten aber auch Sicherheitsproblemen
94
konfrontiert ist, bleibt kein Lust und Ruhe zum Schreiben. Weiter sagt er, „wenn ich
dem Studium meine ganze Aufmerksamkeit und Konzentration widme, dann kann ich
sicherlich in kurzer Zeit Schreiben, Sprechen und Lesen lernen“ (Saman, Interview 5a
übers. durch die Verfasserin). In diesem Sinne kann man angelehnt an (Merz-Grötsch:
2001, S. 88) davon ausgehen, dass Rahmen- bzw. Lebensbedingungen, die
unberuhigend, schlecht gerüstet und unsicher sind, kein idealer Ort zum Lernen und
Schreiben sein können.
Im Weiteren haben einige Leitfragen des Interviews die Personen aufgefordert, aus der
Retrospektive ihren Lernerfolg bezüglich der Textproduktion in der Muttersprache und
in der Fremdsprache Deutsch einzuschätzen. In der prozessorientierten Schreibdidaktik
wird der Selbsteinschätzung der Lernende eine große Bedeutung zugeschrieben.
Lernende sollen lernen, selbstständig und eigenverantwortlich zu arbeiten. Damit sie
ihre eigenen Stärken und Schwächen einschätzen können, müssen sie eine Kritik- und
Urteilsfähigkeit ausbilden. Bei der Frage nach der Selbsteinschätzung war spürbar, dass
die Probanden mit solcher Selbstanalyse nicht vertraut waren, deswegen wurde die
Frage auf dem ersten Blick von den Probanden nicht verstanden und sie musste den
Befragten erklärt werden. Bei der Selbsteinschätzung geht es darum, den eigenen Text
kritisch betrachten zu können. Nachdem ihnen die Frage verständlicher erschien, waren
sie der Meinung, dass man diese Frage nicht selbst, sondern von Anderen beantworten
lassen solle. Kulturell bedingt lässt man sich öfter von den Anderen beurteilen; aus
Bescheidenheit und um nicht ichorientiert zu wirken. Aus diesem Grund müssen die
Lernenden im DaF-Unterricht in Kabul anhand eines Kriterienkatalogs oder einer
Checkliste mit dem Konzept Selbsteinschätzung vertraut werden, damit sie lernen, ihren
eigenen Lernstand zur Verbesserung und Behebung der Defizite in ihren
Sprachfähigkeiten zu erfassen.
Zur Frage nach den Schwächen und Stärken beim Schreiben in der Muttersprache haben
alle Probanden behauptet, dass sie dabei keine großen sprachlichen Schwierigkeiten
haben und deswegen gut mit der Grammatik und Rechtschreibung zurechtkommen.
Zum Beispiel erwähnt Tanin, dass sie beim Schreiben in ihrer Muttersprache Dari
schöne und verschachtelte Sätze schreiben kann. Gleichfalls ist Aria der Ansicht, dass er
in Dari keine Grammatik- und Rechtschreibungsfehler begeht und kreativ schreiben
kann. Ebenso nennt Farida die Rechtschreibung, die sie in ihren muttersprachlichen
Texten gut umsetzen kann, als Pluspunkt in ihren muttersprachlichen Texten. Während
Saman auf das umfangreiche Allgemeinwissen als seine Stärke beim Schreiben in der
95
Muttersprache verweist, formuliert Aria dagegen diesen Punkt als seine Schwäche. Er
sagt, da er nur selten Bücher liest, besitzt er geringes Weltwissen. Im Bezug auf die
muttersprachlichen Schreibdefizite sagt Farida, es mangelt ihren muttersprachlichen
Texten an ausdrucksvollen Stil und Wortschatz. Tanin und Kawa nennen hingegen die
mangelhaften Erkenntnisse bezüglich der verschiedenen muttersprachlichen Textformen
und Normen ihrer Standardsprache als ihre zentralen Schwachpunkte. Im Vergleich
dazu lassen sich bei der Selbsteinschätzung der Probanden über ihr Schreiben in der
Fremdsprache Deutsch Andeutungen zu finden, dass sie z. B. wie Farida von dem
Thema abgelenkt werden und sogar die gestelle Schreibaufgabe vergessen. Vielleicht
hat dieses Problem mit fehlender Konzentration zu tun. Kawa nennt in diesem
Zusammenhang, dass er angemessene Redewendungen und Formulierungsmuster
jeweiliger Textsorten nicht kennt. Roya und Tanin erwähnen unausreichenden
Wortschatz als ihre Schwäche beim Schreiben in deutscher Sprache. Saman hat am
meisten Schwierigkeiten bei der Groß- und Kleinschreibung. Aria deutet punktuell
darauf hin, dass er beim Deutschschreiben keine irrealen und Konjuktivsätze schreiben
kann. Dieses eindimensionale Schreibproblem, das sich nur auf das Wissen über die
Sprache und das Thema beschränkt, weist auf die Fehlannahme über das Schreiben hin,
das nur als sprachliches Medium erlebt wird, ohne bewusst wahrzunehmen, dass es
auch als Kommunikationsmittel zu sehen ist, das dem Adressat Informationen über ein
Sachverhalt gibt und daher der Text nicht nur sprachlich, sondern vielmehr inhaltlich
logisch und nachvollziehbar sein muss.
5.2.1.6. Kategorie 6: Methodische Schreibschritte
In dieser Kategorie geht es vor allem um die individuellen Herangehensweise der
Probanden beim Produzieren von Texten in ihrer Muttersprache, insbesonders im
Unterschied zum Schreibprozess im Deutsch als Fremdsprache Unterricht. Die
Probanden werden aufgefordert, die Phasen und den Verlauf ihres Schreibvorgangs zu
schildern, denen sie oft bei der Produktion des Textes folgen. Somit wird man auf die
Prozessorientierung des Schreibens aufmerksam. Schreiberfahrene und Schreibanfänger
unterscheiden sich voneinander dadurch, dass Schreibexperten häufig wissen, wie sie
handeln und darüber reflektieren können. Laut Becker-Mrotzek und Böttcher (2006, S.
38): „Wer bewusst schreibt, schreibt strategisch und damit in der Regel besser“. Der
reflektierte Umgang mit der eigenen Vorgehensweise und das Wissen um ein breites
96
Repertoire an Schreibstrategien unterstützen und entlasten den Schreibprozess vor allem
bei komplexen Aufgaben der Textproduktion (vgl. ebd.).
Dass Schreibschritte personengebunden sind, zeigt sich auch in den folgenden
Antworten der Probanden zur Frage: Könntest du bitte deine Schreibschritte nennen? Z
.B. was hast du zu Beginn gemacht? Was hast du am Ende gemacht? Roya beschreibt
ihre Schreibweise wie folgt: „Zunächst mache ich mir Gedanken über das Thema des
Textes und dann fange ich an, niederzuschreiben“ (Roya, Interview 6 übers. durch die
Verfasserin). Gleichfalls denkt Tanin zuallererst an das Thema des Textes und im
nächsten Schritt überlegt sie sich die Vor- und Nachteile des Schreibgegenstandes.
Diese zusätzliche Überlegung von Tanin über Vor- und Nachteile eines Themas kann
sich aus dem lehrbuchzentrierten DaF-Unterricht in Kabul ergeben, wobei oft in den
schriftlichen sowie in den mündlichen Kommunikationsanlässen und Übungen vor
allem das Abwägen einer Tatsache (Pro-Kontra-Diskussionen) vorgegeben ist. Tanin
geht beim Schreiben in ihrer Muttersprache zum Teil gleich wie beim Schreiben in
Deutsch vor: „Zuerst überlege ich mir Thema und Überschrift des Textes, dann rufe ich
die Informationen über das Thema wie z. B. Vor- und Nachteile ab“ (Tanin, Interview
2a übers. durch die Verfasserin).
Die Art und Weise, wie Farida und Saman mit der Herstellung eines Textes umgehen,
zeigt ebenso Ähnlichkeiten mit Tanin und Roya. Zum Beispiel deutet Farida an, dass sie
beim Schreiben in der Fremdsprache Deutsch folgendermaßen vorgeht: „Ich lese erst
die Schreibaufgabe und deren Anweisungen. Dann denke ich an den gesamten Inhalt
des Textes, um zu wissen, welche Informationen ich diesbezüglich habe. Danach
übertrage ich dies alles in einen inhaltlichen Rahmen und am Ende beginne ich zu
schreiben“ (Farida, Interview 4 übers. durch die Verfasserin). Laut Krings (1992, S.47)
beginnt der Schreibprozess ebenso mit der Wahrnehmung einer vorgegebenen oder dem
Bewusstwerden einer selbstgestellten Schreibaufgabe. Interessant ist jedoch, dass Farida
beim ihrem muttersprachlichen Schreiben ohne vorherigen Plan und Form an das
Schreiben herangeht: „Ich beginne [beim Schreiben in der Muttersprache] sofort mit
dem Niederschreiben ohne Denken und Planen“ (Farida, Interview 4a übers. durch die
Verfasserin). Auf diese Art und Weise schreibt man nach dem fünfstufigem Modell der
Schreibentwicklung von Bereiter (1980), wenn man sich in der ersten Stufe der
Schreibentwicklung befindet. Dabei werden die Ideen ohne konzeptionelle Planung und
Berücksichtigung der sprachlichen und inhaltlichen Textverknüpfungen so geschrieben,
wie sie gerade flüssig in den Sinn kommen (siehe dazu Abschnitt 4.2.). Saman geht aber
97
nicht im Gegensatz zu Farida beim Schreiben in der Muttersprache ohne Plan und Form
vor, sondern beschreibt er, dass er dabei zu allererst an die Überschrift des Textes denkt.
Anschließend überlegt er sich die Inhaltspunkte, die er in seinem Text behandeln will.
Bei Aria verläuft das Schreiben eines Textes in der Fremdsprache Deutsch ziemlich
ähnlich wie die anderen Probanden, indem er sich am Anfang ein Bild von dem zu
schreibenden Text im Kopf macht, darauf folgend überlegt er sich darüber, was zu dem
Text gehört. Genauso schreibt Aria, wenn er in seiner Muttersprache einen Text
verfasst. Zuerst macht er sich klar, was zu schreiben ist. Dann schafft er ein globales
Bild in seinem Kopf bezüglich des Textes und denkt daran, was er über das Thema des
Textes äußert. Danach wird das eigentliche Schreiben angefangen (vgl. Aria, Interviews
1 und 1a übers. durch die Verfasserin).
Im Gegensatz zur Ansicht der bisherigen Probanden hat Kawa detailiertere und
präzisere Überlegungen zum Ausdruck gebracht: die Bearbeitungszeit, strukturelle und
gedankliche Reihenfolge, Orientierung am Leser und dessen Wissen und Erwartungen.
Er hat in seiner Darstellung erkennbar auf die wichtige Rolle des Lesers verwiesen:
„zuerst achte ich auf die Bearbeitungszeit. Dann stelle ich mir vor, wie der Text im
Hinblick auf dessen Empfänger aussehen kann. Ob der Leser Vorwissen hat; welches
Ziel und welche Information ihm wichtig ist. So gestalte ich die Texte je nach Leser des
Textes in unterschiedlicher Form mit dem unterschiedlichen Inhalt“ (Kawa, Interview 3
übers. durch die Verfasserin). Obwohl Kawa beim Schreiben in deutscher Sprache sehr
bewusst und genau auf die entscheidende Rolle der potentiellen Leser achtet, bedenkt er
dagegen beim Schreiben in seiner Muttersprache kaum den Adressat, sondern vielmehr
fokussiert er sich routienmäßig auf die Entstehungsgeschichte des Thema: „Stets denke
ich beim Schreiben zunächst an den Beginn und die Entstehung des gestellten Themas.
Dann komme ich zur seiner gegenwärtigen Situation und Zustand. Anschließend denke
ich an die Folgen und Zukunft des Themas, um zu formulieren, was getan werden muss
und wie es weiter geht. Diese Reihenfolge befolge ich immer in allen meinen Texten.
Auf dieser Weise werden auch die Einleitung und Schluss meines Textes definiert“
(Kawa, Interview 3a übers. durch die Verfasserin).
Generell lässt sich von den Formulierungen der Probanden feststellen, dass als erster
und relevanter Schritt beim Schreiben in Deutsch als Fremdsprache die Ideenfindung
und die Überlegungen bezüglich der Inhaltspunkte des Textes gilt. Vergleicht man die
Antworten der Probanden zum Thema fremd- und muttersprachlichen
98
Schreibmethodologie, kommt man dann zum Resultat, dass die Schreibschritte der
Probanden bei Textproduktion in der Muttersprache und in deutscher Fremdsprache
zum Teil identisch sind. Vor allem wenn es um Grundstruktur des Textes geht, sieht
man keinen großen Unterschied.
5.2.1.7. Kategorie 7: Subjektive Einstellung vom Stellenwert der Textkomponenten
In dieser Kategorie handelt es sich um die Frage nach der Bedeutsamkeit von den
Bestandteilen des Schreibprozesses aus der Sicht der Probanden, d. h. die Befragten
gewichten die Textkomponente nach persönlicher Priorität. Krings (1992, S.47) versteht
unter den Schreibprozessen „alle mentalen Prozesse und alle zugeordneten materiellen
Handlungen [...], die ein Schreibprodukt [...] überhaupt erst entstehen lassen“. Wie von
den Aussagen der Probanden zu entnehmen ist, gehen die befragten DaF-Studierenden
deutlich davon aus, dass bei der Schreibproduktion nicht nur in der Muttersprache,
sondern auch in der Fremdsprache zuerst die Thematik und dann die Formulierungs-
vorgänge am wichtigsten sind. Die Antworten von Saman, Aria, Tanin und Farida
lassen auf gleiche Weise erschließen, dass sie beim Schreiben in deutscher Sprache
besonders viel Wert auf den Hauptinhalt des Textes legen. Saman beschreibt, dass er
sich beim Schreiben in Deutsch besonders auf den Inhalt und das Thema des Textes
fokussiert mit der Begründung, dass der Schreibgegenstand dem Schreiber die
Anweisungen über die Planung sowie die Orientierung gibt. Es ist aber merkwürdig,
dass er dagegen beim Schreiben in der Muttersprache die treffende Wortwahl als
besonders wichtig erachtet. Er argumentiert seine Ansicht wie folgt: „Ich schenke der
Wortwahl viel Aufmerksamkeit [...]. Da wir die Regeln und Normen unserer Sprache
kennen, lässt sich automatisch während des Schreibens empfinden, ob wir richtig und
verständlich schreiben oder nicht“ (Saman, Interview 5a übers. durch die Verfasserin).
Während Aria in Sachen Schreiben in der Fremdsprache den gleichen Standpunkt wie
Saman vertritt, gehen dagegen ihre Meinungen beim muttersprachlichen Schreiben weit
auseinander. Aria ist beim Schreiben in der Muttersprache neben dem Inhalt des Textes,
auch die Verständlichkeit und Leser des Textes von besonderer Bedeutung. Anhand
dieser Ansicht kann man feststellen, dass er sich beim Schreiben in der Muttersprache
einen potentiellen Adressat, an den er seinen Text orientiert, vorstellen kann. Dennoch
wird dieser Punkt bei der Textproduktion in der Fremdsprache Deutsch außer Acht
gelassen. Dies mag damit zusammenhängen, dass beim Schreiben in Deutsch als
99
Fremdsprache oft nur die Lehrperson als Empfänger bzw. Auftraggeber des Textes in
Betracht gezogen wird, deswegen richtet man seinen Text auf deren Erwartungen und
Anforderungen aus. Außerdem entsteht dieses Problem sehr wahrscheinlich aus einem
lehrbuch- und lehrerfixierten DaF-Unterricht in Kabul, wobei zunächst die im Lehrbuch
vorgegebenen Schreibanlässe im Unterricht behandelt und in den weiteren Schritt
diesbezüglich ein Text als Hausaufgabe oder Klassenarbeit für den Lehrer verfasst wird.
Dazu ist aber anzumerken, dass nur wenn der Schreibende den Leser berücksichtigt und
adressatenorientiert schreibt, lässt sich die Stufe des sogenannten kommunikativen
Schreibens nach Bereiter (1980) erreichen, bei der kommunikative Ziele der Texte mit
Vorstellungen über potentielle Leser verknüpft sind (vgl. Ossner: 1996, S.76).
An den Darstellungen von Tanin und Farida wird deutlich, dass sie sowohl beim
fremdsprachlichen als auch beim muttersprachlichen Schreiben das Thema und dessen
erforderlichen Informationen für sehr wichtig und entscheidend halten. Ähnlich wie bei
Tanin und Farida liegt für Kawa beim Schreiben eines Textes in der Muttersprache das
Wissen über das Thema im Zentrum. Hingegen thematisiert Kawa den Aspekt der
Gliederung und Planung des Textes als Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit beim
Schreiben in deutscher Sprache. Er weist darauf hin, dass Planung und Aufbau des
Textes, wie der Text beginnt und wie er zu Ende geht, eine wichtige Rolle spielt. Im
Unterschied zu den anderen Probanden konzentriert sich Roya beim Schreiben in
Deutsch so weit auf das Vokabular, dass sie völlig aus dem Konzept gebracht wird,
wenn ihr die ausreichenden Wörter bezüglich des Themas nicht einfallen. Dieses
Problem kann darauf zurückgehen, dass im Fremdsprachenunterricht in Afghanistan die
Beherrschung einer Fremdsprache mit dem intensiven Erwerb deren Lexeme
gleichgesetzt wird. Dass die Wörter das Werkzeug jeder Sprache sind und deswegen die
Quantität des erlernten Vokabulars über Erfolg oder Misserfolg der mündlichen und
schriftlichen Sprachkompetenzen entscheidet, hört man oft beim Lernen der
Fremdsprachen in Afghanistan.
5.2.1.8. Kategorie 8: Individuelle Überarbeitungsstrategien
Diese Kategorie befasst sich mit der Frage, wie die Probanden nach dem Schreiben ihrer
Texte mit der Textüberarbeitung umgehen. Auffälligerweise wurde bei den Kategorien
5 und 6, in denen die Probanden von ihren Schreibschritten und ihren persönlichen
Schwerpunktsetzungen beim Schreiben erzählten, von ihnen die Phase der
100
Überarbeitung sowohl bei den muttersprachlichen als auch bei den fremdsprachlichen
Schreibschritte gar nicht genannt. Bei der Kategorie 7, wo die befragten Studierende
keine präzise Vorstellung von ihrem eigenen Schreib-Lernstand hatten, lässt sich auch
herausstellen, dass ihnen durch die geringe Revisionsphase ihre Stärken und Schwächen
weniger bewusst sind. Dieses Defizit lässt sich auf den traditionellen
produktorientierten Schreibunterricht in Kabul zurückführen, der sich an so genannten
Grundformen von Texten ausrichtet und ausschließlich das Endprodukt als das Ergebnis
des Schreibprozesses im Blick hat.
Betrachtet man die Antworten der Probanden bezüglich ihrer individuellen
Überarbeitungsweise, wird sofort klar, dass sie dieser anschließenden Phase nicht
ausreichend Aufmerksamkeit schenken. Dieses Verhalten gilt nicht nur gegenüber dem
Schreiben in der Fremdsprache, sondern vielmehr auch beim muttersprachlichen
Schreiben. Sie meinten, während des Schreibens denkend und prüfend vorzugehen,
deswegen sei es unnötig am Ende, alles wieder durchzulesen und überarbeiten. Zwar ist
die Phase des Überarbeitens eng mit der Formulierungsphase verbunden, aber sie dient
vor allem der Textverbesserung. Nachdem der Text produziert wurde, soll dieser erneut
gelesen und gemäß der schon formulierten Zielvorstellungen nach Bedarf auf Wort-,
Satz-, und Textebene überarbeitet werden (vgl. Fix: 2006, S. 38). Bei der Überarbeitung
des eigenen Textes sollten die Schreibende diesen kritisch unter kommunikativen und
formalen Aspekten überarbeiten und in einem ständigen Prozess mit der Schreibaufgabe
und den ursprünglich formulierten Zielen im Schreibplan abgleichen und erforderliche
Veränderungen vornehmen (vgl. Merz-Grötsch: 2001, S. 76). Hingegen legen die
befragten DaF-Studierenden den Schwerpunkt bei der Überarbeitung eindeutig auf die
Berücksichtigung der sprachlichen Seiten wie z. B. grammatikalischen Regeln und
Rechtschreibung und damit wird ihre üblicksmäßige Überarbeitung beschränkt auf die
Korrektheit der verwendeten Sprachmittel. Dieser Auffassung sind Roya, Tanin, Farida
und Saman, die folgende Ankerbeispiele gaben. Roya sagt: „Ich überfliege meinen Text
und korregiere die Grammatikfehler und ergänze die Lücken“ (Roya, Interview 6 übers.
durch die Verfasserin). Im gleichen Sinne äußert sich diesbezüglich Tanin: „Ich achte
auf die Grammatikpunkte z. B. ich sehe nach, ob Subjekt und Verb in der richtigen
Stellung sind“ (Tanin, Interview 2 übers. durch die Verfasserin). Ebenso beschränkt
sich Saman Überarbeitung auf die sprachliche Richtigkeit, er beschreibt: „Ich berichtige
die Grammatik- und Rechtschreibungsfehler“ (Saman, Interview 5 übers. durch die
Verfasserin). Farida formuliert in diesem Zusammenhang: „Ich lese meinen Text nur
101
einmal und dabei denke ich nicht wieder an die Thematik und den Inhalt meines Textes,
weil ich mir schon einmal darüber Gedanken machte und deswegen ist eine
Veränderung und Umdenken nicht mehr moglich“ (Farida, Interview 4 übers. durch die
Verfasserin). Laut Wolff (1989) plant und revidiert man, wenn man in einer
Fremdsprache schreibt, weniger als der muttersprachliche Schreiber, denn dabei fehlt
dem fremdsprachlichen Schreiblerner das ausreichende und umfangreiche deklarative
und prozedurale Wissen über das Thema und Zielsprache. Gerade deshalb können, wie
bei Farida, keine anderen Formulierungsalternativen bereitgestellt werden. Im Vergleich
zu den vier oben genannten Probanden, die sich bei der Überarbeitung nur einseitig auf
die linguistische Ebene konzentrierten, beschäftigen sich Aria und Kawa darüber hinaus
mit dem Gesamteindruck des verfassten Textes, indem sie überprüfen, ob der Text als
Ganzes klar aufgebaut und dessen Gedankengang nachvollziehbar ist. Diese Ansicht
vertritt Kawa folgendermaßen: „Ich lese einmal meinen Text global durch, um zu
wissen, ob die Struktur der Sätze und Reihenfolge der Textkomponenten z. B.
Einleitung und Schluss in Ordung ist oder nicht“ (Kawa, Interview 3 übers. durch die
Verfasserin).
An den Äußerungen der Probanden kann man erkennen, dass die Überprüfung der
inhaltlich relevanten Bezüge, Berücksichtigung der Normen und Konventionen der
Schriftsprache sowie der Erwartungen der Leser in ihrer Überarbeitungsphase keine
Rolle spielt. In diesem Sinne soll der DaF-Unterricht in Kabul die Lernende zum
überarbeitenden Schreiben anhalten und anleiten.
5.2.1.9. Kategorie 9: Kompensationsstrategien zum Ausgleich der Defizite beim
Schreiben
Mit der Annahme, dass das Schreiben als Problemlöseprozess eine komplexe und
zielorientierte Tätigkeit zur Lösung eines Problems umfasst, befasst sich diese
Kategorie mit der Frage nach den Strategien, die die Probanden anwenden, um ihre
Probleme beim Schreiben in deutscher Sprache zu beheben. Aus den Antworten der
Befragten DaF-Studierenden wird zum Teil nur eine Strategie, Vermeidungsstrategie
ersichtlich. Das heißt, die befragten DaF-Studierende verzichten auf alle Situationen,
die für sie beim Schreiben Schwierigkeiten bereiten und Unterbrechungen hervorrufen
und somit ihre Ängste auslösen zu vermeiden. Des Weiteren haben alle Probanden
einstimmig und eindeutig beschrieben, dass sie am meisten die Umschreibungen bei
102
sprachlichen Defiziten z. B. Wortschatz- und Ausdruckslücken oder Probleme bei der
Formulierung und Herstellung von Ideen bevorzugen. Sie suchen sofort nach
Entsprechungen aus dem vorhandenen Wortschatz und Sprachmittel, wenn sie wegen
ungenügender Sprachkenntnisse und Mängeln bei dem deutschen Vokabular, nicht alle
muttersprachlichen Lexeme und Inhalte in dem deutschen Text wiedergeben können.
Um dies zu beleuchten wird hier auf die Äußerungen von Probanden eingegangen. Aria
äußert, wenn ihm ein Ausdruck oder ein Wort fehlt, sucht er nach Äquivalenten oder
versucht er das fehlende Element mit dem vorhandenen Wortschatz durch nähere
Beschreibungen zu erklären (Aria, Interview 1 übers. durch die Verfasserin). Kawa
greift ebenso bei Problemen auf Umschreibung zurück: „Ich versuche die
Entsprechungen anzuwenden. Ich finde ein anderes Wort oder einen anderen Satzbau,
um den Inhalt zu übermitteln“ (Kawa, Interview 3 übers. durch die Verfasserin). Auf
gleiche Weise gehen Saman und Farida mit ihren Problemen beim Schreiben um. Da
Saman ganz im Gegenteil zu seinem Deutsch über sehr gute Englischkenntnisse verfügt,
benutzt er aber auch oft englische Wörter, wenn es ihm die Wörter auf Deutsch
entfallen. Hier nennt Saman ein Beispiel aus seiner Textproduktion, die er für diese
Arbeit geschrieben hat. Als er an das Wort Bibliothek nicht erinnern konnte, habe er
diese Wortlücke wie folgt geschlossen: Bücherplatz (library). Im Text von Samim sind
außer dem Wort library viele englischen Wörter zu finden wie z. B. service, point,
skillfull, Faster statt schneller und improving. Diesbezüglich bringt Aria auch ein
Beispiel zum Ausdruck. Er äußert, dass er sich bei seiner Textproduktion nicht an das
Wort Dienst erinnern konnte, deswegen habe er stattdessen wirkliche Arbeit als eine
Alternative für das Wort Dienst geschrieben. Aus afghanischer Sicht kann erst von dem
Dienst die Rede sein, wenn eine Beschäftigung mit Leib und Seele bzw. nach bestem
Wissen und Gewissen gemacht wird. Sicherlich hat Aria unter Beachtung dieser
afghanischen Vorstellung wirkliche Arbeit als eine Entsprechung für das Wort Dienst
geeignet gefunden.
Im Vergleich zu anderen Probanden deuten zum einen Tanain und Roya darauf, dass
ihnen Umschreibung und Suche nach Äquivalenten aus den ihnen verfügbaren Lexemen
bei Defiziten behilflich sind. Zum anderen thematisieren sie zwei weitere
unterschiedliche Aspekte: Erstens verzichtet Roya vollkommen auf die Idee, die sie
wegen der mangelnden Wortschatzkenntnisse nicht ins Deutsch übertragen kann.
Zweitens erklärt Tanin, wenn sie auf Wortschatzprobleme beim Schreiben in deutscher
Sprache stößt, werde sie völlig verwirrt und vergesse somit sofort alle Informationen
103
bezüglich des Themas. Dieses zusätzliches Problem zeigt, dass die möglichen
Schwierigkeiten und Hemmungen, die es zu überwinden gilt, sehr wenig in einem
produktorientierten Schreibunterricht im Bereich DaF in Kabul miteinbezogen werden.
Dieser Aspekt ist von großer Bedeutung, da er im Bereich der Motivation einen
entscheidenden Faktor ausmachen kann. Um einen zu schreibenden Text als ein
ungeklärtes Problem lösen zu können, soll sich der DaF-Unterricht in Kabul in erster
Linie auf die Förderung und Vermittlung von Strategien und Techniken zur
Verbesserung des Schreiblernprozesses konzentrieren und darauf fokussieren, was in
den Köpfen der Schreiblerner passiert. Dies wirkt sich letztlich positiv auf das Produkt
als Ergebniss eines Prozesses aus. Jedoch sind die meisten Lehrplanungen eher
produktorientiert und stellen nur einseitig das Ergebnis der Wissenvermittlung in den
Mittelpunkt des Unterrichts und nicht den Prozess, der zum Produkt führt insbesondere
die Lerner, die als handelndes Wesen zu betrachten sind. Somit vernachlässigen sie
sowohl den emotionalen Aspekt als auch die durch die Institution gegebenen
Rahmenbedingungen.
5.2.1.10. Kategorie 10: Eigene Ideen zur weiteren Entwicklung der Schreibkompetenz
Schließlich wurden in dieser letzten Kategorie die Probanden gefragt, was sie persönlich
zur Verbesserung ihrer Schreibkompetenz tun sollen und welche subjektiv-individuellen
Vorschläge sie der Deutschabteilung an der Universität Kabul zur Optimierung der
Entwicklung des Schreibens im DaF-Unterricht geben würden.
Aus den Antworten der Probanden auf die obigen Fragen ergab sich, dass fast alle die
Rolle der Autonomie und Selbstbestimmung beim Schreiblernen angedeutet haben.
Zum Beispiel sagt Roya: „Einen Text zu Schreiben hängt mehr von den DaF-
Studierenden und deren Bemühungen ab. [..]. Überdies kann die Deutschabteilung nicht
etwas Besonderes zur Verbesserung der Schreibkompetenz von DaF-Studiernden
unternehmen“ (Roya, Interview 6 übers. durch die Verfasserin). Tanin meint
diesbezüglich, dass der Schreibunterricht im DaF-Unterricht in Kabul stark
theoriefixiert ist: „wir lesen nur die Bücher durch und am Ende bleibt jeder da, wo er
schon war; man sieht keinen Fortschritt“ (Tanin, Interview 2 übers. durch die
Verfasserin). Kawa ist zwar zufrieden mit dem, was im DaF-Unterricht bezüglich des
Schreibens gemacht wird, aber er fordert, dass die unterschiedlichen Textformen, die
vor allem in den deutschen Behörden gebraucht werden, in den Unterricht mitgebracht
104
und bearbeitet werden sollen, damit sie mit den Ausdrucksformen und Abkürzungen in
formalen Briefen bekannt werden (vgl. Kawa, Interview 3 übers. durch die Verfasserin).
Übrigens haben fast alle Befragten Bücherlesen für die Entwicklung und Verbesserung
der Kompetenz Schreiben eine sehr große Bedeutung beigemessen. Dieses vermisst
man aber oft in Afghanistan wegen der geringen Lesekultur.
Dass die Motivation, die Lerner dem Schreiben entgegenbringen, für die Entwicklung
der Schreibkompetenz entscheidend ist, kann auch von Faridas Äußerung entnommen
werden, indem sie sagt: „Am meisten hat man hier Probleme beim Schreiben, weil man
sich dafür nicht interresiert und keine Lust zu Schreiben hat“. Aus ihrer Antwort geht
hervor, dass Motivation für das Schreiben eine entscheidende Voraussetzung für die
Entwicklung von Schreibkompetenz sei. Sie schlägt vor, dass man mit einem
Schreibwettbewerb zwischen den Klassen die Studierende zum Schreiben erwecken
kann. Saman weist hierbei auf die wichtige Rolle der Lehrenden, die heutzutage mehr
als Berater und Wegweiser zur Verfügung stehen und vor allem Lernautonomie
unterstützen sollen, indem sie die Schreiblernenden während des gesamten
Schreibprozesses begleiten und beraten. Saman beklagt sich jedoch, dass dieses wegen
der großen Lernerzahl im Unterricht nicht verwirklicht wird. Er ist der Ansicht, dass die
Begrenzung der Teilnehmerzahl im Fremdsprachenunterricht zu vermehrten
Einzelgesprächen des Lehrers mit den Lernenden führt. Er nennt weiter ein eigenes
Beispiel: „Zum Beispiel hatten wir schriftliche Hausaufgaben, die uns nie wieder
zurückgegeben und darüber kaum gesprochen wurden, weil unser Lehrer so viele
Arbeiten nicht korrigieren konnte. […]. Deswegen haben wir unsere Hausaufgaben
nicht mehr ernstgenommen“ (Saman, Interview 5 übers. durch die Verfasserin). Bei
Kawa ist aber trotzdem die aktive Beteiligung und selbstständiges Lernen sehr wichtig,
um Schreiben zu lernen. Er erzählt, man lerne Schreiben am Besten durch Schreiben
und zwar vieles Schreiben. Er hat selber damit gute Erfahrungen gemacht und sagt:
„man muss viel auf Basis von deutschen Büchern schreiben und unbedingt seine
Hausaufgaben machen“ (Kawa, Interview 3 übers. durch die Verfasserin). In diesem
Zusammenhang sind Becker-Mrotzek und Böttcher (2006, S. 75) der Ansicht, dass
„[d]ie Entwicklung der Schreibkompetenz […] im Wesentlichen eine Funktion der
Schreiberfahrung, weniger des biologischen Alters“ ist. Deshalb ist es wichtig, dass der
Anteil des Schreibens und das Verfassen der kurzen schriftlichen Arbeiten wie z. B.
Hausarbeit und Essay als Leistungsnachweis im DaF-Unterricht gesteigert wird.
105
5.2.2. Zusammenfassende Bemerkungen aller zehn Kategorien dieser Studie
Die wichtigsten Erkenntnisse, die sich hier aus der qualitativen Inhaltsanalyse der
Interviews mit den Probanden in Bezug auf ihre subjektiven Theorien im Umgang mit
der Schreibproduktion in der Muttersprache bzw. in der Fremdsprache Deutsch lassen
sich wie folgt zusammenfassen: Fast alle Beteiligten haben ihrer Meinung nach größere
Schwierigkeiten mit dem Wortschatz, der Anwendung der Grammatik und der
Formulierung als mit der allgemeinen Organisation des Textes. Die möglichen Gründe
für diese Schwierigkeiten beim Schreiben in deutscher Sprache sind einerseits nach
Auffassung der Befragten die eingeschränkte Beherrschung der deutschen Sprache und
andererseits ihre defizitäre Schreibförderung sowohl im schulischen als auch im
universitären Unterricht. In keinem von beiden werden die Lernenden mit dem Weg
(Prozess), der sie vom Wort zum Text führt, bekannt gemacht. In diesem Sinne ist aber
auffällig, dass es sich unter den beteiligten DaF-Studierenden bei der Lösung einer
Schreibaufgabe und Erzeugung der Texte am meisten nur um die sprachlichen
Gesichtspunkte des Schreibverfahrens, d. h. die sprachliche Realisierung handelt, sodass
die semantisch-formal strukturellen Aspekte und Schreibschritte wie Überarbeiten sehr
selten zum Ausdruck kommen oder in Betracht gezogen werden. Bei der gelegentlichen
Überarbeitung werden ebenso gemäß Äußerungen der Probanden lediglich Fehler im
Hinblick auf Rechtschreibung und Grammatik verbessert. Generell beschränken sich die
Schreibschritte der afghanischen DaF-Studierenden auf Planen und Formulieren. Dabei
erfolgt meistens zunächst eine grob inhaltlich gedankliche Planung im Kopf und dann
eine spontane Formulierung ins Deutsche. Das heißt vor der Formulierung des Textes in
der Vorbereitungs- und Organisationsphase wird keine schriftliche Planung
durchgeführt, sondern der Text wird stattdessen sofort niedergeschrieben. Nach dem
Niederschreiben wird entweder überhaupt keine Überarbeitung gemacht, weil nach
Ansicht der Probanden Kontrolle und Korrektur während des Schreibens stattfanden,
oder nach Anfertigung der Niederschrift kontrolliert und korrigiert die Mehrheit der
beteiligten Studierenden ihren Text nur ein Mal, um sprachliche Defizite sowie
Grammatik- und Rechtschreibungsfehler zu beheben. Dass die Lernenden beim
Schreiben intensiv mit den sprachlichen Gesichtspunkten wie Wortwahl, Satzbau und
Rechtschreibung befasst sind, gibt jedoch einen Hinweis darauf, dass Schreiben im
afghanischen Bildungssystem stark auf den Text als endgültiges Produkt und dessen
sprachlich korrekter Realisierung reduziert wird. Durch diese eindiminsionale
Fokussierung fehlen dann den DaF-Lernenden das Bewusstsein dafür, dass
106
Schreibprozesse oft aus mehr Einzelschritten bestehen, die mit der Planung beginnen
und mit der Entscheidung enden, um den Text als endgültiges und fertiges Produkt
anzuerkennen.
Im Folgenden werden die Schreibaufträge von den beteiligten afghanischen DaF-
Studierenden, die sie im Rahmen dieser Arbeit verfassten, unter Berücksichtigung ihrer
obigen subjektiven Theorien zum Thema Schreibproduktion untersucht. Dies kann zur
weiteren Erklärung und Optimierung der Entwicklung von der Schreibkompetenz im
DaF-Unterricht an der Universität Kabul einen positiven Beitrag leisten.
5.2.3. Vorgehensweise bei der kriterialen Beschreibung der Lernertexte
Zur Analyse der Schreibproduktion der DaF-Studierenden an der Universität Kabul
werden jeweils zwei ausgewählte Texte von drei Probanden qualitativ analysiert,
welche im Rahmen des dieser Arbeit zu Grunde liegenden Schreibauftrags von den
sechs DaF-Studierenden des dritten BA-Studienjahres (6. Semester) geschrieben
wurden. Die Probanden waren zur Zeit der Untersuchung im Alter von 20 bis 27 Jahren
und sie sollten nach drei Studienjahren im DaF-Bereich laut Lehrplans das Niveau B2
erreicht haben. Beim Schreibauftrag handelt es sich um die Textproduktion zum Thema
Privatschulen in Afghanistan als Reaktion auf einen Text mit der Überschrift
Privatschulen auf dem Vormarsch (aus dem Buch „Mit Erfolg zum Goethe-Zertifikat
B2” (ISBN 978-3-12-675830-7). Die Probanden haben zu diesem Thema zwei Texte
einmal in Deutsch als Fremdsprache, ein weiteres Mal in Dari als Muttersprache mit
mindestens einer Woche zeitlichem Abstand zur Kontrolle des Reihenfolge Effekts
verfasst (siehe dazu Abschnitt 5.1.5.1.). Alle Texte wurden handschriftlich in einer
Bearbeitungszeit von 60 Minuten geschrieben. Die Aufgabenstellung war auf Deutsch
formuliert und so kurz wie möglich gehalten, da es sich nicht um eine Überprüfung des
Leseverstehens handelte.
In der empirischen Untersuchung dieser Arbeit wird von der Annahme ausgegangen,
dass DaF-Studierende an der Universität Kabul aus einer Sprach- und
Kulturgemeinschaft kommen, in der das Schreiben aufgrund spezifischer
Lebensumstände nur eine untergeordnete Rolle spielt (siehe dazu Abschnitte 2.1. und
2.2.). Darüber hinaus wird es ebenso im Bildungssystem, sowohl an den Schulen als
auch an den Universitäten, massiv vernachlässigt. Nicht nur im muttersprachlichen,
107
sondern auch im fremdsprachlichen Unterricht wie DaF an der Universität Kabul lässt
sich beobachten, dass die Entwicklung der Schreibkompetenz stark traditionell auf die
theoretische Vermittlung von Lernstoffen ausgerichtet ist (siehe dazu Abschnitte 2.2.3.,
4.3. und 4.3.2.). Aufgrund der defizitären Einführung in das muttersprachliche und
fremdsprachliche Schreiben im institutionellen Kontext, verfügen nahezu alle
Lernenden wie auch DaF-Studierende an der Universität Kabul über keine ausreichende
Kompetenz, sprachlich angemessene, bestimmten formalen Gesichtpunkten folgende,
an Kontext und Adressat orientierte Texte zu verfassen.
Um diese Hypothese zu belegen, werden in dieser Arbeit die Schreibproduktionen von
Probanden, welche im Rahmen des dieser Arbeit zu Grunde liegenden Schreibauftrags
von den sechs DaF-Studierenden des dritten BA-Studienjahres (6. Semester) verfasst
wurden, analysiert. Dadurch lässt sich einschätzen, wie sie in der Muttersprache und
wie sie in der Fremdsprache Deutsch schreiben. In diesem Zusammenhang wurden aber
auch die subjektiven Theorien der Probanden zum Thema Schreiben auf Basis der
einzelnen Leitfadeninterviews erhoben, die dann durch Erstellung eines
Kategoriensystems qualitativ ausgewertet wurden (siehe dazu zehn Kategorien in den
Abschnitten 5.2.1.1. bis 5.2.1.10.). Daraus konnte eine Vielzahl von Erkenntnissen
bezüglich des Schreibens gewonnen und zusammengestellt werden. Bei Bedarf wird
während der Textanalyse der Probanden auf die qualitative Inhaltsanalyse der
durchgeführten Interviews Bezug genommen. Wie im Abschnitt 5.1.5.2. beschrieben, ist
das Interview angelehnt an den bereits dargestellten Schreibauftrag, der direkt nach der
Anfertigung des Schreibauftrags durchgeführt wurde. Dabei wurden subjektive
Theorien der Probanden über ihre Erfahrungen und Erlebnisse im Umgang mit dem
Schreiben in der Fremdsprache Deutsch und in der Muttersprache Dari und ihre daraus
gewonnenen Einstellungen gegenüber der Schreibproduktion erfragt.
In einem nächsten Schritt wurde zur Beschreibung der von den DaF-Studierenden
produzierenden muttersprachlichen und fremdsprachlichen Texte anhand der
Bewertungskriterien des TestDaF (TestDaF-Institut 2005) vorgenommen. Diese lauten
wie folgt: der Gesamteindruck mit den Unterpunkten: Lesefluss, Gedankengang und
Textaufbau, die Behandlung der Aufgabe mit: Beachtung der Punkte der
Aufgabenstellung, Beschreibung und Argumentation, und die Sprachliche Realisierung
mit: sprachliche Mittel (Kohäsion und syntaktische Strukturen), Wortschatz und
Korrektheit. Diese Kriterien gelten demnach als ein Instrument in Form einer „Check-
Liste zur Überprüfung des Textes“ zur Untersuchung der in einem Text verwendeten
108
sprachlich-textuellen Mittel (Sieber: 1994, S.142), um dabei die von diesen verfassten
Texte als einen „Spiegel dahinterliegender Fähigkeiten“ zu erfassen (Nussbaumer:
1996, S.97). Dabei geht es vor allem um die Fragestellungen, ob der Text gut
strukturiert und verständlich ist bzw. ob alle Punkte der Aufgabestellung vollständig,
sachlich und inhaltlich folgerichtig bearbeitet wurden. Außerdem werden dabei auf die
Richtigkeit und Angemessenheit der verwendeten Sprachmittel geachtet.
Bei näherer Betrachtung zeigen die eben genannten TestDaF-Bewertungskriterien viele
Ähnlichkeiten mit dem Zürcher Textanalyseraster, das „eine systematische Zusammen-
stellung von einzelnen Fragen an einen Text ,von Fragen, in die sich die ganzegenerelle
Frage ,wie ist der Text?‘ auseinander nehmen lässt“ (Sieber:1994, S.149). Bei der
Textanalyse kommt man jedoch vielmehr zur Frage „wie gut oder wie schlecht ein Text
ist“ (Nussbaumer: 1996, S.99). Zürcher Textanalyseraster als „Schablone für die
Textwarnehmung“ gliedert sich auch in drei große Teilaspekten, mit deren Hilfe die
sprachlichen und textuellen Merkmale eines Textes erfasst wird. Diese sind Null-, A-
und B-Teil. Teil 0 fragt nach bestimmten Bezugsgrößen/Korrelaten wie z. B. Textlänge,
Art und Umfang des Wortschatzes und der syntaktischen Muster. Im Teil A geht es um
die sprachsystematische und orthografische Richtigkeit und im Teil B wird auf
funktionale Angemessenheit (Verständlichkeit und Kohärenz), auf die ästhetische
Angemessenheit (besondere formale Qualitäten) und auf die inhaltlische Relevanz
(besondere inhaltlische Qualitäten) eingegangen. Zusammenfassend lässt sich
feststellen, dass das Zürcher Textanalyseraster neben den TestDaF-Kriterien zum
Subtest Schriftlicher Ausdruck als eine Grundlage zur Beschreibung der Textprodukte
von Probanden dient, um alle Aspekte der folgenden Lernertexte „moglichst umfassend
und systematisch, explizit und reflektiert“ (Sieber:1994, S.149) einschätzen zu können.
5.2.4. Analyse und Vergleich von drei ausgewählten Lernertexten
Wie bereits geklärt, werden in diesem Abschnitt jeweils zwei ausgewählte Texte von
drei Probanden anhand der ausgewählten Kriterien (siehe oben) zur Klärung und
insbesondere zur Verbesserung der muttersprachlichen bzw. fremdsprachlichen
Schreibentwicklung der DaF-Studierenden an der Universität Kabul qualitativ
beschrieben. Dabei wird außerdem auf die folgende Fragestellung eingegangen:
Inwieweit unterscheiden sich die schriftlichen Textproduktionen eines individuellen
Lerners in der Muttersprache Dari und in der Fremdsprache Deutsch voneinander? Im
109
nächsten Abschnitt werden die Ergebnisse und Bemerkungen aller verfassten Texte von
Probanden zusammengefasst. Es handelt sich hierbei natürlich nur um eine
eingeschränkte Gültigkeit, da nur eine sehr kleine Stichprobe erfolgte.
Beschreibung der Textproduktionen von Farida
Text 1 in Deutsch als Fremdsprache:
Heutezutage existieren in Afghanistan mehrere Privatschulen, die mit
verschiedenen Namen gennant werden.
Am meisten achten die Leiter einer Privatschule auf das gute Aussehen seiner
Schule . d.h sie legen viel Wert auf die Möbel, moderne klaßzimmer, schikes
Gebäude. Sogar auch auf der Küche der Schule als die Qualität des Unterrichts.
Sie nehmen viel Geld von den Schülern als Gebühr und damit die
Experten/Lehrer/in finanziell unterstützt werden. d.h mit dem Gebühr der
Schüler verdienen die Experten/Lehrer ihre monatliches Einkommen.
Was ich bei den Privatschulen toll finde, ist dass außer Schulfächer auch die
Sprachen unterrichtet werden z.B. Englisch, Fransözisch, Deutsch u.s.w
Die meisten Familien in Kabul, die keine finanzielle Probleme haben, schreiben
ihre Sprösslinge an der Privatschule ein, weil die Eltern so eine Einsicht haben,
dass dorthin bessere Schulbildung geben kann, als staatlichen Schulen.
Ich möchte noch was wichtiges erwähnen, Privatschulen befinden sich meist in
der Hauptstädte.
In Afghanistan ist das auch genauso. In Kabul sind sowohl staatlichen Schulen
alsauch Privatschulen, aber in andere Provinzen von Afghanistan wie z.B.
Bamiyan, Panjscher, Daikondi U.s.w. existieren nur und nur staatlichen Schulen,
weil in Provinzen haben die Einwohner/Leute kein Interesse und auch kein
genuges Geld, um das Gebühr zu zahlen.
Im Vergleich zu den staatlichen Schulen haben die Privatschulen ein gutes Ruf,
weil dort kommen manchmal die Expert/Lehrer aus Ausland.
Im staatlichen Schulen verdienen die Lehrer genunges Gehalt, deswegen haben
sie kein Interesse um besser die Schüler/inen zu unterrichten.
Ich denke die Zukunft von Privatschulen wäre sehr gut sein, aber unter einer
Kundition, wenn in Afghanistan die Sicherheitslage gut ist.
Der Text ist zwar gut aufgebaut. Er wird mit einem Satz als Einleitung begonnen und
mit einer Schlussfolgerung zum Ende gebracht. Der Text besitzt keine Überschrift und
255 Wörter. Im Hauptteil des Textes versucht die Schreiberin die drei Punkte der
Aufgabenstellung: Funktion von Privatschulen in Afghanistan, Vergleich zu staatlichen
Schulen und Zukunft von Privatschulen zu behandeln, indem sie eher ihre subjektiven
Vor- und Einstellungen gegenüber den Privatschulen in Afghanistan schildert. Der Text
110
von Farida zeigt gut, wie ungeplant und subjektperspektivisch sie sich zwischen den
Zeilen hin- und her bewegt. Insgesamt scheitert Farida auf der textuellen Ebene, indem
im Text als eine Form von Gewebe kein Leitfaden zu finden ist. Zwischen den
Textstellen, z. B. Einleitung und Hauptteil, gibt es keine Überleitungen. Impulse und
Informationen im Hinführungstext wurden weniger erkannt und mit eigenen Worten
wiedergegeben. Ihr eigentlicher Text ist narrativ geschrieben, indem sie erzählt, auf
welche Punkte die Privatschulen besonders Wert legen und was sie von den staatlichen
Schulen unterscheidet. Nach einem ersten Durchlesen lässt sich feststellen, dass der
Text keiner der Gesamtidee entsprechenden Gliederung folgt, was besonder an
unpassenden und vor allem überflüssigen Absatzbildungen und fehlenden
Überleitungenen und Bezügen erkennbar wird. Man versteht generell den einzelnen
Textschritt nicht im Anschluss an die vorangegangenen Textschritte, weil sie nicht
folgerichtig formuliert sind. Zum Beispiel schreibt Farida ganz am Anfang als
Einleitung, dass es viele Privatschulen in Afghanistan mit verschiedenen Namen gibt.
Als nächsten Satz schreibt sie weiter: „Am meisten achten die Leiter einer Privatschule
auf das gute Aussehen seiner Schule“, ohne diese Behauptung zu belegen und sie mit
dem vorherigen Einleitungssatz in Verbindung zu bringen. Obwohl der Text sich nicht
als ein zusammenhängender und gegliederter Text, der einen sprachlich-inhaltlich
logischen Gedankenfluss verfolgt, erkennen lässt, ist es aber Farida gelungen, die
Privatschulen in Afghanistan so zu beschreiben, dass sich der Adressat ein allgemeines
Bild von den Privatschulen in Afghanistan machen kann. An manchen Textstellen
spricht sie selbst über den Text, d. h. metakommunikativ: „Was ich bei den
Privatschulen toll finde“ bzw. „Ich mochte noch was Wichtiges erwähnen“.
Bezüglich der Qualität der Sprachmittel lässt sich festhalten, dass im Text nur
Kohäsionsmittel und syntaktischen Konstruktionen einfacher Art zu sehen sind, d. h. die
sprachliche Realisierung von Farida reduziert sich qualitativ gesehen auf die Umsetzung
des elementaren Wortschatzes und der grundlegender Grammatikkenntnisse, bei der
einfache sprachliche Mittel und Satzformen sowie „d.h.“, „usw.“, „weil“, „sowohl als
auch“ und „um zu“ bevorzugt wurden. Neben elementarem Wortschatz und Satzbau,
wie z. B. „Heutzutage existieren“, „sie nehmen“, „am Meisten achten“, „ich mochte“
und „in Afghanistan ist“, sind im gesamten Text nur zwei Relativsätze zu finden. Im
Bezug auf die Korrektheit gibt es im Text orthografische und grammatikalische Fehler,
die jedoch das Verstehen der Sätze nicht beeinträchtigen. Dennoch verweisen diese
primitiven Fehler darauf, dass die Verfasserin beim Erzeugen des Textes nicht
111
konzentriert und prüfend vorgegangen ist: „Am meisten achten die Leiter einer
Privatschule auf das gute Aussehen seiner Schule“, „Klaßzimmer“, „staatlichen
Schulen“, „in der Hauptstädte“ sowie „in andere Provinzen“. Solche Fehler lassen sich
zum Teil durch Überarbeiten in Hinsicht auf die sprachliche Korrektheit einfach
korrigieren. Diese Schreibphase, d. h. die Überarbeitung nach dem Schreiben wird
allerdings von den Probanden als nicht besonders wichtig eingeschätzt und damit
deutlich unterschätzt.
Nach einer Woche zeitlichem Abstand zur Kontrolle des „Reihenfolge Effekts“
verfasste Farida zum selben Thema einen Text in Dari als Muttersprache, der im
Folgenden dem Inhalt entsprechend ins Deutsche übersetzt und dann angelehnt an den
bereits beschriebenen Kriterien näher analysiert wurde.
Beschreibung der Textproduktionen von Farida
Text 2 in Dari als Muttersprache:
Wie allen bekannt ist, sind neulich in Afghanistan neben den staatlichen Schulen
auch private Schulen ausreichend zustande gekommen. Der Unterschied
zwischen diesen Schulen und staatlichen besteht darin, dass während des
Semesters von den Schülern Geld genommen wird.
Diese Privatschulen haben mehr Wert bei den Familien, denn hier wird der
Unterricht gemäß internationaler Methoden gehalten und es werden auch
internationale Sprachen unterrichtet. Schüler werden an diesen Schulen mit den
verschiedenen Computerprogrammen bekannt gemacht. Zwar wird an den
staatlichen Schulen auch an Computern unterrichtet, allerdings nicht durch eine
ausgezeichnete Methode, sodass die Schüler davon etwas profitieren könnten.
Aus meiner Sicht haben diese Privatschulen eine bessere Zukunft als staatliche
Schulen, weil dort die Lehrenden mit größerem Interesse unterrichten als in
einer staatlichen Schule.
Der obige Text, der zuallererst zur Analyse von Dari ins Deutsche durch die Verfasserin
dieser Arbeit inhaltsgemäß übersetzt wurde, ist sehr kurz und knapp mit 218 Wörtern
von Farida verfasst. Der Text wird zwar gut mit einem Satz eingeleitet, aber ohne
erwarteten Schlusssatz beendet. Der Text besitzt keine Überschrift. Der Inhalt, d. h. der
Hauptteil des Textes orientiert sich sehr an den drei vorgegebenen Leitpunkten:
Funktion der Privatschulen, Vergleich mit staatlichen Schulen und schließlich Zukunft
der Privatschulen. Farida ist dementsprechend auf alle diese drei geforderten Punkte der
Aufgabenstellung in drei gebildeten Absätzen eingegangen, als ob sie auf drei
Fragestellungen geantwortet hätte. Die Informationen des Hinführungstextes wurden
kaum von der Schreiberin beachtet oder erkannt. Qualitativ gesehen beschränkt sich die
112
Verfasserin auf den Grundwortschatz und setzt wenige Kohäsionsmittel ein. Was die
Art und den Umfang der syntaktischen Mittel betrifft, zeigen sich in diesem Text neben
elemantarer Syntax auch einfache Satzformen vom Typ: „Ich habe“ oder „ich meine“.
Im Interview hat Farida schon angedeutet, dass sie beim muttersprachlichen Schreiben
über keine aussagekräftigen Wörter und Ausdruckmittel verfügt, deswegen ist die
Varianz der lexikalischen Mittel in ihrem muttersprachlichen Text niedrig und weniger
tiefgründlich. Ausschließlich sprachlich betrachtet sieht man keine Fehler in den
Bereichen Orthographie und Grammatik. Es ist interessant zu beaobachten, dass die
deutsche Schreibproduktion von Farida mit 255 Wörtern länger als ihre
Schreibproduktion in Dari als Muttersprache ist (218 Wörter). Dies mag insbesondere
damit zusammenhängen, wie sie ebenso im Interview äußerte, dass sie im Gegensatz
zum Schreiben auf Deutsch als Fremdsprache weniger mit dem Schreiben in ihrer
Muttersprache bekannt bzw. vertraut ist. Wie diese und weitere in untenstehenden
Textbeispielen zeigen, bestehen die verfassten Texte von den Probanden zum Teil aus
weniger präzise formulierten, voneinander getrennten Sätzen oder Satzgliedern, die
nebeneinander keinen in sich vereinten und zusammenhängenden Text präsentieren.
Beschreibung der Textproduktionen von Aria
Text 3 in Deutsch als Fremdsprache:
Die meisten Leute in Afghanistan, die Privatschulen bauen, haben einen Zweck
und das ist Geld verdienen. Auch winige Leute möchten wirklich für die Leute
arbeiten.
Die meisten Leut möchten gern an der Privatschulen gehen, denn sie denken da
gute Lehrer und Lehrerinen und auch bessere Unterricht als staatlichen Schulen
gibt. Da haben sie Recht, denn in mansche Privatschulen gibt es gute Unterricht,
deshalb haben sie mehr Lust als staatlichen Schulen. Aber nach meiner Meinung
gibt es auch gute staatlichen Schulen mit hochen Qualität. Überall kann man
sagen, dass die meisten staatlichen Schulen, die in Kabul sind, sind besser als
Privatschulen, aber in andere Provinsen die Privatschulen sind besser als
staatlichen Schulen.
Jetzt gibt es in Afghanistan viele Privatschulen, wenn die Qualität von
staatlichen Schulen hoher steigt, werden die Privatschulen winiger.
Der oben stehende Text von Aria hat keine Überschrift, keine hinführende Einleitung
und keinen expliziten Schluss. Während des Lesens des Textes gewinnt man den
Eindruck, dass der Verfasser nur die Lehrperson als potentieller Leser erachtet, indem er
sich lediglich streng auf die inhaltliche Bearbeitung der Aufgabenstellung beschränkte
und versuchte, auf die drei vorgegebenen Leitpunkte einzugehen. Dabei hat sich Aria an
113
den institutionellen Perspektiven und an einem unterrichtlichen Schreibmuster, das
eventuell von der Lehrperson als eigentlicher Leser des Textes erwartet wird, orientiert,
indem er die privaten und staatlichen Schulen miteinander vergleicht und dann daraus
eine sehr kurze persönliche Schlussfolgerung zieht. Eine solche Gegenüberstellung der
Dinge ist jedoch im DaF-Unterricht bzw. in den DaF-Lehrwerken die übliche Praxis.
Der Text von Aria ist durchaus in einer narrativ-subjektiven Form eingebettet, sodass
die Sachperspektive des Themas völlig vernachlässigt wird. Das heißt, die Situation und
Funktion der Privatschulen in Afghanistan wurde von Aria und den anderen Beteiligten
nicht Leser- oder insbesondere Sachorientiert beschrieben, sondern vielmehr wirkten die
Lernertexte wie eine persönliche Stellungsnahme. Diese wiederum ist kaum objektiv
und sachlich begründet und es mangelt an Beispielen, Überleitungen und Bezügen, die
im Text die sprachlichen und inhaltlichen Zusammenhänge und deren Versachlichung
sichern sollen. Der Hinführungstext, der als Zusatzinformation, Impuls und mögliche
Fremdmeinungen bezüglich des Themas gedacht war, wurde von Aria wie bei Farida
überhapt nicht erkannt und nicht in den Texten als Beleg oder Beispiel verwendet.
Im Hinblick auf die sprachliche Realisierung lässt sich feststellen, dass der Text, der aus
130 Wörtern besteht, mit einem ziemlich elementarem Sprachgebrauch sowie
grundlegenden Satzkonstruktionen produziert wurde. Die Sätze wurden mit der
Anwendung einer einfachen Art von Kohäsionsmitteln miteinander verbunden: „auch“,
„denn“, „deshalb“, „aber“ sowie „und“. Es fällt auf, dass viele Verben und Substantive
wiederholt ohne Nutzung ihrer Entsprechungen wiederaufgenommen wurden: „es gibt“,
„die meisten“, „denn“ und „Leute“. Sehr häufig treten im Arias Text Grammatik-,
Rechtschreibungs- und Zeichensetzungsfehler, wie z. B. „Leut“, „einen Zweck“,
„winig“, „an der Privatschulen gehen“, „bessere Unterricht“, „gute Unterricht“ oder
„hochen Qualität“, auf. Der Schluss des Textes enthält wie der Hauptteil eine
persönliche Meinung und Erwägung zum Aspekt der staatlichen Schulen vs.
Privatschulen: „Jetzt gibt es in Afghanistan viele Privatschulen, wenn die Qualität von
staatlichen Schulen hoher steigt, werden die Privatschulen winiger“.
Dass die Gliederung des Textes von Aria wie auch bei Farida folgerichtig den drei
gestellten Leitpunkten der Aufgabestellung entspricht und sogar der Verfasser durch die
Bildung von drei Absätzen diese kennzeichnet, indem jeder Absatz einen Punkt von drei
gestellten Aufgaben (Funktion der Privatschulen, Vergleich mit staatlichen Schulen und
deren Zukunft) behandelt und dadurch der Text keine eindeutige Gesamtidee und
Kohärenz erhält, weist vor allem auch auf die übliche Funktion und Einsetzung der
114
Schreibaktivitäten im DaF-Unterricht als Mittel zum Übungs- und Evaluationszweck.
Dabei wird zwischen dem Schreiben als Mittlerfertigkeit und dem Schreiben als
Zielfertigkeit kein Unterschied gemacht und weitestgehend nur zum Zweck der
Lernkontrolle bzw. Prüfung geschrieben.
Eine Woche nach dem Schreiben des deutschen Textes hat Aria wie anderen Beieiligte
einen Text zum selben Thema und zur gleichen Aufgabenstellung in Dari als
Muttersprache geschrieben.
Beschreibung der Textproduktionen von Aria
Text 4 in Dari als Muttersprache:
Privatschulen in Afghanistan
In Afghanistan, vor allem in Kabul, gibt es viele Privatschulen, obwohl es
ausreichende staatlichen Schulen gibt. Aufgrund der kommerziellen Zielen gibt
es so viele Privatschulen und diejenigen, die Privatschulen gründen, verfolgen
ein Hauptziel: Geld kassieren. Es existieren auch Menschen, deren Ziel es ist,
andere zu bedienen und einen besseren Bildungsrahmen zu schaffen. Aber
solche Menschen gibt es nur selten. Leute interessieren sich viel für die
Privatschulen, weil sie der Meinung sind, dass die Unterrichtsqualität der
Privatschulen besser als staatliche Schulen ist. Obwohl Privatschulen hohe
Gebühren erheben. Nun ist es so, dass die Qualität des Unterrichts an vielen
Privatschulen hoch ist, aber es muss auch erwähnt werden, dass staatliche
Schulen in Kabul eine ebenso hohe Unterrichtsqualität haben und sogar manche
von ihnen besser als Privatschulen sein können.
Privatschulen, die aber in den Provinzen von Afghanistan sind, verfügen über
bessere Unterrichtsqualität als staatliche Schulen, die in den Provinzen liegen,
trotz ihrer niedrigeren Anzahl als in Kabul.
Auf der sprachlichen Ebene ist es Aria im Großen und Ganzen gelungen, korrekt
gebildete Sätze in seiner Muttersprache zu verfassen, die aber im Endeffekt isoliert
voneinander und aufgrund der defizitären Nutzung von Verbindungswörtern weniger
kohärent und folgerichtig wirken. Auffällig ist außerdem in dem Text von Aria die
falsche Setzung von Komma und Punkt, die das Lesen und Verstehen des Textes etwas
verlangsamen. Als Einstieg ins Thema betont Aria zu Beginn die rasche Vermehrung
der Privatschulen, die mit kommerziellen Zielen gegründet werden. Dann beschreibt er,
was die Privatschulen von den staatlichen Schulen unterscheidet. Die Einschätzungen
bzw. die angegebenen Begründungen sind stark subjektiv und wurden nicht z. B. mit
den Beispielen, Zitaten oder Fremdmeinungen des Hinführungstextes objektiv belegt.
Er ist auf zwei von insgesamt drei vorgegebenen Punkten eingegangen und hat somit
kaum über den dritten Punkt der Aufgabestellung, d. h. die Zukunft der Privatschulen,
115
geschrieben. Außerdem ist im Text kein Schlusssatz, keine Schlussfolgerung oder
Zusammenfassung, die das Ende des Textes signalisieren könnte, zu sehen. Nachdem
Aria eigene Einschätzungen und persönliche Erwägungen bezüglich der Privatschulen
zum Ausdruck bringt, beendet er seinen Text mit Verzicht auf den Schluss. Dieses
unerwartete Ende seines Textes mag darauf hindeuten, dass ihm Schreiben entweder
sehr wenig Spass machte, oder es ihm laut Rudolph (1983, S. 195) daran mangelte,
einen Hauptteil zu formulieren und stützende Argumente zu entwickeln, um daraus
anschließend Schlussfolgerungen zu ziehen.
Mit dem Verfassen des Textes war nicht nur Aria, sondern auch die anderen Probanden
entweder in der Muttersprache, oder in der Fremdsprache oder in beiden Sprachen
überfordert. Aus Sicht der beteiligten Studierenden waren es nicht nur die Defizite in
der Grammatik, sondern vielmehr im Bereich der Lexik, die ihnen insbesondere am
Schreiben in der Fremdsprache Deutsch gehindert haben. Dies ist an dem folgenden
Beispieltext, den Roya aus derselben Lernergruppe (3. Studienjahr; 6.Semester im
Deutschstudium) für diese Studie in deutscher Sprache verfasste, deutlich erkennbar:
Beschreibung der Textproduktionen von Roya
Text 5 in Deutsch als Fremdsprache:
Ich meine, dass privatschule gut ist als Staatschule. Im privatschulen kann man
besser lernen und Entwecklen, weil Im privatschulen viele möglichkeiten sind.
Viele Lehrer/in besonders für Geld verdienen arbeiten und Jemandort höcher
Geld verdenen dort arbeiten. aber ist egal, weil Schuler/in nur Studieren machen.
In der privatschulen als staatlichschulen Sind viele viele moglichkeiten z.B.
computer raum haben, bibloteck Spielort Freiheit haben, Fremdsprache von 1.
Klasse lernen. aber ich denke, dass in Afghanistan privatschulen nur für Geld
verdenen bauen. Zwar bisschen besser als staatschulen sind.
Funktion von Privatschulen in Afghanistan sind, dass besser arbeiten, viele
moglichkeiten verbereiten, wenige Geld bezahlen, und gute Laune haben.
aber Lehrerin keine motivation haben und nur wie Geld bezahlen denken? nicht
nur keine Entwicklung haben sondern auch verlassen ihre schuler/in.
Zukunft von Privatschulen sind frohlichkeit.
Im Afghanistan brauchen wir für privatschulen, weil staatschulen keine
tätigkeiten für Alle Schuler/in verbereiten können.
man kann sagen, dass Jetzt Ereignis Privatschulen besser ist. und könnte es
besser werden. aber darf nicht Jemanden Person für Geld verdenen ein Privat
Schulen beginen, weil sie haben keine Zweck für besser Schulbildung für Leute
haben. und nur nur Geld bezahlen denken?
116
Schuler/in im Privatschulen können besser und schneller als Staatschulen im
Prüfung Abitur bestehen.
Der Text von Roya, den sie in deutscher Sprache verfasst hat, beinhaltet viele
Rechtschreibung-, Grammatik- und Interpunktionsdefizite, die das Verstehen des Textes
beeinträchtigen. Sie kommt in ihrem deutschen Text nicht über den Grundwortschatz
und grundlegender Grammatik hinaus. Außerdem formuliert Roya bei der
fremdsprachlichen Schreibproduktion viele einfache Satzarten, die zum Teil nur
aneinander gereiht sind „Funktion von Privatschulen in Afghanistan sind“, „dass besser
arbeiten“, „viele moglichkeiten verbereiten“, „wenige Geld bezahlen“, „und gute Laune
haben“ sowie „Zukunft von Privatschulen sind frohlichkeit“, und vielen
Wiederaufnahmen „besser“, „gut“, „Geld bezahlen“, „Geld verdienen“, „Entwicklung“,
„Moglichkeit“ und „Entwicklen“ geführt. Zum Erzielen stilistischer Effekte bemüht sich
Roya dagegen in manchen Textstellen komplexere Sätze zu schreiben, was ihr wegen
fehlender fremdsprachlicher lexikalischer und syntaktischer Varianz nicht gelingt.
Stattdessen leistet sie viele Fehler in der Satzbildung wie z. B. „aber darf nicht
Jemanden Person für Geld verdenen ein Privat Schulen beginen, weil sie haben keine
Zweck für besser Schulbildung für Leute haben und nur nur Geld bezahlen denken?“.
Dies mag damit zusammenhängen, dass es bei afghanischen Lernenden weit verbereitet
und beliebt ist, möglichst komplizierte und verschachtelte Sätze zu produzieren. Sogar
einfache Ideen werden oft nach Möglichkeit so zusammengesetzt formuliert, dass ihr
Lesen und Verstehen erschwert wird. Dadurch will man seine Sprach- bzw.
Schreibkompetenz beweisen, denn in Afghanistan, anders als in Deutschland, werden
Einfachheit und Allgemeinverständlichkeit der Texte nicht als Plus- sondern eher als
Minuspunkt empfunden. Außerdem sind im Text weitere elementare
Rechtschreibungsfehler bezüglich der Groß- und Kleinschreibung zu sehen:
„privatschule“, „Entwecklen“, „moglichkeiten“, „moglichkeiten“, „motivation“,
„tätigkeiten“, „hocher“ oder „beginen“. Aus diesen Fehlern wird ersichtlich, dass die
Verfasserin beim Schreiben überfordert bzw. unkonzentriert gewesen ist. Im Interview
deutete sie häufig darauf hin, dass sie sofort irritiert und gestresst wird, wenn sie keinen
ausreichenden Wortschatz oder Wissen bezüglich des Themas hat. Was die Breite des
Wortschatzes betrifft, sind in dem deutschen Text von Roya viele Wörter und
Redemittel zu finden, die in der anfänglichen Phase des Deutschlernens vermittelt
werden: „ich meine“, „ich denke“, „man kann sagen“, „Moglichkeiten“, „haben“,
„lernen“ und „brauchen“.
117
Auf alle drei vorgegebenen Leitpunkte und andere Aspekte, die im Text dargetellt
wurden, ist Roya sehr kurz und zu allgemein eingegangen. Die Gesamtidee des Textes
entspricht nicht der Aufgabenstellung und verfolgt insgesamt keinen nachvollziehbaren
Gedankengang. Im Text wurde mehrmals auf die angeblich kommerziellen Ziele der
Privatschulen in Afghanistan verwiesen, während sie aber zum Schluss davon ausgeht,
dass Afghanistan die Privatschulen benötigt und deren Zukunft sie für positiv erachtet.
Roya äußert sich hingegen in ihrem muttersprachlichen Text inhaltlich sowie sprachlich
logisch, angemessen und ausführlich. Daraus lässt sich ableiten, dass sie vermutlich
beim Schreiben in deutscher Sprache wegen ihres nicht ausreichenden Wortschatzes auf
jene aussagekräftigen Ideen und Informationen verzichtete.
Beschreibung der Textproduktionen von Roya
Text 6 in Dari als Muttersprache:
Privatschulen in Afghanistan
Privatschulen sind in Afghanistan eine neue Erscheinung, aber ihre Verbereitung
und Entwicklung ist sehr rasch. Privatschulen sind ziemlich gut und können
nützlich sein, wenn ihre Ziele hauptsächlich zu Diensten des zurückhaltenden
und kriegserfahrenen Afghanistan stehen. Privatschulen können ihre Pflicht
gegenüber dem elenden Volk mit der Annahme von einem bestimmten und
günstigen Beitrag machen und wirklich versuchen, einen verbesserten Weg zum
besseren und lernerzentrierten Lernen und zur Entwicklung zu realisieren. Wenn
Privatschulen solche großartigen Ziele, d. h. die Unterstützung und Entwicklung
der Kinder folgen, dann sollte man sie loben und ihnen dafür dankbar sein. Aber
leider haben viele Privatschulen keine solchen guten und hochwertigen
Interessen, sondern bezwecken nur kommerzielle Ziele und Motive und zwar mit
gutem Ruf. Sie nehmen hohe Gebühren mit der Behauptung, dass sie den
Schülern bessere Möglichkeiten und Erleichterungen bringen. So erfüllen sie ihr
wirtschaftliches Ziel. Ihre einzige scheinheilige Ausrede ist, dass sie bessere und
mehr Möglichkeiten als staatliche Schulen anbieten, z. B. Zugang zu einem
Computerraum ab 1. und 2. Klasse, Englischunterricht ab 1. Klasse, Spielplatz
für Kinder, Kindergarten und Verpflegung sowie Verkehrmittelsangebote für
Schüler. Trotz alledem sollte sich niemand erlauben, dadurch Geld zu kassieren.
Okay, wenn es auch nur ein kleines bisschen der ehrlichen Arbeit dient, ist auch
schon in Ordnung. Insgesamt können die Privatschulen nicht von sich
behaupten, dass sie bessere Bildung als die staatlichen Schulen bieten, weil die
staatlichen Schulen trotz hoher Lerneranzahl in den Klassen, nicht ausreichender
Lehrkräfte, fehlender Möglichkeiten wie Computer- oder Englischunterricht und
niedrigen Lohn ihrer Lehrkräfte, gute und zufriedenstellende Ergebnisse erreicht
haben. Da ich der Meinung bin, dass wollen können ist, und mit der Bestätigung,
dass die Möglichkeiten eine wichtige Rolle spielen, aber trotzdem eigene
individuelle Anstrengungen, Fertigkeiten und Begabung viel mehr als alles
andere zählen. Die Zukunft der Privatschulen ist nicht hundertprozentig klar:
Wenn die Leute Geld haben, möchten sie natürlich gerne ihre Kinder auf die
Privatschule schicken, um ihnen bessere Bildung zu ermöglichen. Allerdings
sind die meisten nicht in der Lage sowas ihren Kinder zu bieten. Und wenn die
118
Leute die Kosten für die Privatschulen nicht bezahlen können und andererseits
die Privatschulen ihre Gebühr jedes Mal erhöhen, dann führt dieses langsam zur
Abschaffung der Privatschulen. Aber trotz alledem ist es gut, wenn es sowohl
die staatlichen Schulen, als auch Privatschulen gibt. So können die
Wohlhabenden die Privatschulen und die Mittel- oder Unterschichten die
staatlichen Schulen besuchen. Dadurch kann man leichter lernen, besser arbeiten
und planen, weil einer der Nachteile der staatlichen Schulen darin besteht, dass
es viele Lerner in einer Klasse gibt, was zur Verwirrung und Vernachlässigung
der Lerner führt.
Im Gegensatz zum fremdsprachlichen Schreibprodukt von Roya, der auf der textuellen
Ebene gescheitert ist, ist der muttersprachliche Text sprachlich und inhaltlich reicher
und kohärenter. Sie hat das Thema des Schreibens unter Berücksichtigung der
vorgegebenen Aufgabenstellung und den drei Leitpunkten folgerichtig und
nachvollziehbar behandelt, weiterentwickelt und daraus einen durchaus angemessenen
Text erzeugt. Hierbei schreibt sie in der Muttersprache präzise und verwendet viele
nominalisierte Wortgruppen, Adjektive und Funktionsverbindungen. Obwohl die
Informationen des Hinführungstextes als Beispiel/Beleg der Fremdmeinungen kaum
von der Verfasserin erkannt und wiedergegeben wurden, begründet sie aber ihre eigenen
Vor- und Einstellungen sachlich, ggf. anhand von Beispielen oder persönliche
Wertungen. Was die Art und Weise der sprachlichen Mittel betrifft, befinden sich im
Text ein breites bzw. tiefes Spektrum an lexikalischen und syntaktischen Strukturen. An
manchen Stellen gibt es gelegentlich Fehler in Hinsicht auf die Korrektheit, die aber das
Textverständnis nicht stören. Wie dieser Beispieltext von Roya zeigt, gibt es neben den
DaF-Studierenden an der Universität Kabul, die nicht gut im muttersprachlichen
Schreiben sind, auch Studierende, die über ziemlich gute Schreibkompetenz in ihrer
Muttersprache verfügen. Die meisten von diesen Studierenden haben die Schule im Iran
besucht, wo das Schreiben an den Schulen gut gepflegt wird. Dennoch besitzen sie aber
nach fast drei Jahren Deutschstudium noch immer einen so eingeschränkten Wortschatz
und somit eine defizitäre Sprachbeherrschung im DaF-Bereich, dass bei der
Schreibproduktion in deutscher Sprache zur Bildung von unvollständigen und
unverständlichen Sätzen, unzähligen Wiederholungen, vielen morphosyntaktischen,
lexikalischen und orthografischen Fehler führt. Durch diese sprachlichen
Einschränkungen gelingt es den DaF-Schreiblernenden nicht, ihre Erkenntnisse und
Strategien der Textproduktion, die sie beim Verfassen in der Muttersprache verwenden,
genauso in die Fremdsprache umzusetzen.
Im Folgenden werden die sechs weiteren Textbeispiele von den übrigen Probanden ihrer
muttersprachlichen und fremdsprachlichen Schreibproduktionen ohne einzelne
119
Beschreibungen angeführt, um im Anschluss daran die allgemeinen zusammengefassten
Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung darzustellen:
Die Textproduktionen von Kawa
Text 7 in Deutsch als Fremdsprache:
(Privatschulen in Afghanistan)
Nach dem Jahr 2005 sind Privatschulen in Afghanistan auf den Vormarsch und
bekammen aus Sterben nach Gewinn, weil die Familie ein pädagogischen
Idealismus und gute Zukunft für ihre Kinder wollen.
Aber ich denke die Privatschulen sind nicht nur sehr modern sondern auch mit
professionelen Lehrern.
Es gibt in der in allen Ländern, dass einige Privatschulen haben Funktion für
Geld aber mehrere Privatschulen arbeiten für ein professionelle Ausbildung und
hat auch Kompetenz mit anderen Schulen.
Es gibt hier auch eine Meinung, dass die Familie sagen (wenn man Geld
bezahlen, kann man besser lernen) wegen des Geldes sein/ihre Familie.
Es ist klar, dass einige Vorteil die Privatschulen haben z.B: gute Rechte für die
Schüler (Pünklichkeit), Kompetenz zwischen den Kindern, gute Atmosphäre für
Lerners, Materialen, Zusatzmaterialen, Uniform auch gute managment.
Im Vergleich zu staatlichen Schulen, können wir sagen, dass Privatschulen
besser für die Kinder sind, weil wir eine feste Grundlage für unsere Kinder
wollen, aber muss man die ökonimische Situation der Familien sehen müssen.
Afghanistan ist ein altes Land mit tiefe / ökönomische System Alle Einwohnern
haben Problem, ein Job zu finden, damit ihre Kinder zu finanzieren, deswegen
sie haben nur eine Variant, ihre Kinder zur staatlichen Schulen zu senden oder
melden.
Überall können wir nicht darstellen, dass alle staatlichen Schulen sind schlecht
oder sind in der Katastrophe, weil es sehr gute staatlichen Schulen in
Afghansitan besonders in der Stadt Kabul gab. Z.B: können wir (Amani
Oberreale Schule, Esteqlal, und Habibia Oberreale Schulen) nennen, dass sehr
große Kampus für die Schüler noch gute Zimmer mit moderner Technik auch
mit Sportplatz, aber die haben einige Regulation teil zu nehmen oder sich in der
melden, die alle können nicht verpassen auch es gibt Probleme der Plätze für die
Schüler, auch Transportmittelsprobleme für kleine Kinder in die Zentrum zu
kommen.
Also ich denke die große Probleme ist das Gehalt der Lehrer/in um besser in die
staatlichen Schulen zu lehren, auch Budjet Problem mit der Regierung für
Bücher und Materialen.
Also ich danke es gibt noch eine Probleme in Privatschulen im Vergleich zu
staatlichen Schulen, dass die Lehren der staatlichen Schulen sehr alt und
120
klassisch sind, deswegen können sie nicht gute beziehung mit den Schülern
haben.
Am Ende kann man zusammenfassen, dass Privatschulen weiter gehen wollen,
und heutzutage die bekommen Traditionell und manche Familie haben ihre
Zweck erreichen.
Ich meine, dass die Rigierung muss Privatschulen helfen oder moderne
staatlichen Schulen bauen.
Auch die staatlichen Schulen müssen weniger Geld per Monat oder für ihre
Gebuhr nehmen,
dann können wir ein bessere Zukunft und entwicklte Afghanistan mit moderne
und wissenschaftliche Generation haben und hoffe (Auf hoffe eine bessere
Zukunft für Afghanistan)
Die Textproduktionen von Kawa
Text 8 in Dari als Muttersprache:
Warum sind die Privatschulen auf dem Vormarsch?
Nach dem Krieg hat Afghanistan mit dem Wiederaufbau angefangen, deswegen
war es vor allem gezwungen, die Grundlage seines Bildungs- und
Erziehungssystems zu verbessern, daher hat man sich intensiv um die Bildung
bemüht. Insbesondere war man bestrebt, Schulen in den Hauptstädten und in den
Provinzen zu gründen und neue schulische Curricula zu entwickeln. Dies wurde
mit internationalen Hilfen verwirklicht und Lehrkräfte haben mit dem
Unterrichten an den Schulen begonnen. Zu Beginn haben sie mit vorläufigen
Lehrmaterialien gearbeitet, aber nach und nach haben sich die Schulen in Kabul
weiterentwickelt, sodass der jetzige moderne und regelmäßige Unterricht
zustande gekommen ist.
Nach dem Einzug der internationalen Kräfte und der Entstehung von
Demokratie in Afghanistan sind in fast allen Bereichen private Sektoren
gegründet worden, damit die Aufgaben des Staates weniger werden und auch die
Gelegenheit für private Berufe und Erfahrungen entsteht. In diesem Sinne wird
auch die Gründung der Privatschulen erlaubt und zwar nach der Bewilligung des
Bildungsministeriums und anderen verantwortlichen Organen.
In dieser Phase haben sich die Privatschulen allmählich nach dem Jahr 2000
vermehrt, am Anfang waren sie nur auf die Grundschulen reduziert und für
Familien waren auch die Privatschulen ein neues Phänomen zum Ausprobieren.
Hierbei sind in den staatlichen Schulen einige Probleme zu sehen, z. B. Mangel
an Lehrmaterialien und erfahrenen Lehrenden, fehlende Transportmittel,
Klassenräume bzw. fehlende moderne und gute Lernatmosphäre, so, wie es diese
in den Nachbarländern gibt.
Ich danke, dass die Privatschulen von diesen Schwachpunkten der staatlichen
Schulen profitieren, indem sie diese Mängel beachtet und dann beseitigt haben,
um mehr Schüler zu sich zu ziehen. Jedoch spielt hier auch die Wirtschaftslage
der Familien eine Rolle, deswegen schickten am Anfang nur wenige Familien
121
ihre Kinder auf die Privatschulen. Es muss aber auch gesagt werden, dass am
Anfang die Privatschulen eine höhere Qualität hatten, die monatliche Gebühr
nicht so hoch war und als eine gute Einkommensquelle sowohl für die Anbieter,
als auch für die staatlichen Lehrkräfte, die mit ihren Gehältern nicht zufrieden
waren. In den letzten Jahren haben viele Leute in die Gründung der
Privatschulen investiert und somit wurden ihre Qualität und ihr Ruf von den
Menschen in Frage gestellt. Trotzdem gibt es afghanistanweit noch
Privatschulen, die erfolgreich arbeiten.
Aber aus meiner Sicht müssen wir in unserem Land die Gelder richtig und
nachhaltig ausgeben, damit alle davon profitieren können und nicht viel Geld
dafür bezahlen müssen, weil Afghanistan ein kriegserfahrenes Land mit einer
schlechten Wirtschaftslage ist und viele sich solche Kosten nicht leisten können.
Die Zukunft der Privatschulen kann besser werden, wenn ihr Hautpziel die
Entwicklung und Verbesserung der Bildung ist und nicht Gewinn und Geschäft.
Diesbezüglich können private und staatliche Schulen miteinander kooperieren
und weniger Gebühren erheben, um bessere Bildung und folglich ein stolzes
Afghanistan zu schaffen.
Daraus können wir schlussfolgern, dass die Qualität in jedem Lebensbereich
veranlasst wird und dies die Privatschulen als ihr Grundprinzip verstehen
müssen.
Die Textproduktionen von Tanin
Text 9 in Deutsch als Fremdsprache:
Privatschulen in Afghanistan
Im Afghanistan gibt es viele Privatschulen und Privatuniversitäts, dafür viele
Eltern die sich leisten konnen, schicken ihre Kindern auf eine Privatschulen.
Nach meiner Meinung, die Privatschulen sind sehr gut für unsere Heimat in der
Zukunft, weil die Privatschulen und staatlichen Schulen einen großen
Unterschied hat. Die staatlichen Schulen hat keine gute Situation Z.B: in der
staatliche Schule hat keine Lehrer für jede Fach oder in der staatlich Schulen
gibt es nicht am erste Klasse Computer raum und Endlisch Fach aber im
Privatschulen gibt es allerdings. Und auch wenn man Geld bezahlen, muss die
Führern auf die Privat... sehr gute Situation verbreiten. In der Afghanistan lernen
die jungen in der staatlichen Schulen nur für die Abitur Prüfung. Also im
Afghanistan gibt es nicht gute Wirtschaft darüber können nicht viele Menschen
ihre Kinder zum Privatschulen schicken, dann unser Ausbildung Wirtschaftler
gute Situation in der Schulen für die Kinder verbreiten muss.
Die Textproduktionen von Tanin
Text 10 in Dari als Muttersprache:
Privatschulen in Afghanistan
In Afghanistan ist die Anzahl der Privatschulen im Vergleich zu den letzten
Jahren sehr viel größer geworden und im Moment schicken auch viele Leute ihre
Kinder auf die Privatschulen, weil die Finanzlage der Familie auch in den letzten
Jahren erheblich verbessert wurde. Nach meiner Meinung spielen die
122
Privatschulen und -universitäten eine entscheidende Rolle in Afghanistan, da die
Kompetenz und das Niveau der Lehrenden in den staatlichen Schulen immer
noch schlecht ist und die Lehrpersonen ihre Fächer nicht unterrichten können,
solange sie selbst davon nichts wissen. Dieses Problem ist wegen der nicht
ausreichenden Lehrkräfte an den Schulen entstanden und sollte es dabei bleiben,
dann werden die Privatschulen gezwungen, qualifizierte Lehrende einzustellen
und mit besseren Methoden zu unterrichten, denn sie nehmen dazu von den
Schülern Geld. Darüber hinaus können wir sagen, dass nun viele Privatschulen
mit den staatlichen Schulen konkurrieren und sie bemühen sich intensiv um
einen qualitativ sehr guten Unterricht, um in Zukunft mehr Lernende zu
gewinnen. Deswegen ist ein Schüler der dritten Klasse von den Privatschulen
aus der Sicht seines Bildungsniveaus gleich wie ein Schüler aus der sechsten
Klasse der staatlichen Schule. Deshalb versuchen viele Familien im Moment
trotz ihrer finanziellen Probleme ihre Kinder auf die Privatschulen zu schicken.
Man muss aber auch anmerken, dass viele Privatschulen wegen kommerzieller
Ziele und eigener Interessen gegründet wurden, aber viele von ihnen eigentlich
zur Entwicklung unseres Landes eröffent worden sind, deshalb nehmen sie
weniger Geld und arbeiten viel.
Meiner Meinung nach, wenn in den nächsten Jahren die staatlichen Schulen mit
einer richtigen Methode und mit fleißigen Lehrenden arbeiten, schickt niemand
mehr seine Kinder auf die Privatschule.
Die Textproduktionen von Saman
Text 11 in Deutsch als Fremdsprache:
Privatschulen in Afghanistan
Funktionen von Privatschulen in Afghanistan: Besser lernen für die Sprösslinge
und das ist die wichtigiste Funkion von privatschulen in Afghanistan. Warum?
Weil viele Eltern eine bessere Schulbildung für ihre Kinder im Zukunft
möchten.
Und die Sprösslinges Eltern wunshten von dihnen Kinderen, dass Sie gut service
für ihrer Landern konnen.
Also alle Familien in Afghanistan möchten für ihre Kinder oder Sprösslinge,
dass sie im Zukunft egineer, Doctor wollen konnen.
Diese alle jobs nicht bringen ohne studieren in privatschulen „Alle Leute in
Afghanistan sagen“ (wirklich das ist die richtig Point).
Also wenn wir privatschulen mit staatlichenschulen zuvergleichen:
- Verstehe da wir, dass im privatschulen alle die Kinder mehr Geld geben, aber in
staatlichenschulen nicht.
Warschienlich, wenn man das Geld für die Studieren geben, dann kann man
besser lernen.
- Also privatschulen haben besser planung für die Kinder, alle Lehrare/in sind
sehr professional und skillfull aber in staatlichen Schulen nicht.
123
Also in staatlichenschulen ca. 80% lehrare/in sind un professional und
unskillfull. Z.b.: Für Dari’s Lehrar/in, sie geben physic oder chemistry subict.
Wirklich das ist eine großte probleme in Afghanistan staatlichen Schulen.
- privatschulen haben moderne methods, besser bücher platz (library), aber
staatlichenschulen kein haben.
Wir sehen jetzt all privatschulen in Afghanistan sind so faster allerdings
(improving) und dabei geb es viele privatschulen in Zukunft auch.
Ich glaube, Gemäß Afghanistan Grundgesetze kann jeder man eine besser shule
gründen.
Die Textproduktionen von Saman
Text 12 in Dari als Muttersprache:
- Aufgaben der Privatschulen in Afghanistan -
Aus meiner Sicht sind die Aufgaben der Privatschulen wie Folgendes:
1. Privatschulen sind in Afghanistan dazu verpflichtet dem Bildungsministerium
zu folgen, d.h. alle ihre Lehrplanungen müssen dem Bildungsministerium folgen
und wenn sie Änderungen in ihren Schulfächern machen, muss dem
Bildungsministerium Bescheid gegeben werden.
2. Privatschulen müssen ihre Tätigkeiten ebenso im Rahmen der Verfassung von
Afghanistan machen, damit sie in Zukunft dem Staat Afghanistan keine
Probleme bereiten.
3. Privatschulen müssen ihre Gebühren untereinander angleichen, aber
unglücklicherweise gibt es dieses Gesetz für Privatschulen in Afghanistan nicht.
4. Alle Privatschulen in Afghanistan müssen eine ähnliche schulische Methode
haben oder der Plan muss von dem Staat Afghanistan, d.h. dem
Bildungsministerium, erstellt sein, damit die Lernenden, die von einer Schule
auf eine andere Schule wechseln, keine Probleme bekommen.
5. Die Hauptaufgabe der Privatschulen ist es, den kriegserfahrenen Menschen
islamisch und standardmäßig das Wissen zu vermitteln. Dies muss von den
Zuständigen berücksichtigt werden.
Der Unterschied zwischen privaten und staatlichen Schulen ist sehr groß
1. In den Privatschulen bezahlen alle Schüler Geld aber in den staatlichen
Schulen bezahlen sie nicht.
2. In den vielen staatlichen Schulen ist der Unterricht nicht gut die staatlichen
Schulen sind.
3. In den Privatschulen werden die Schüler durch erfahrene Lehrende mit den
neuen Methoden bekannt gemacht, aber in den staatlichen Schulen gibt es schon
erfahrene Lehrer, die aber ihre eigenen Fächer nicht unterrichten: z. B. ist ein
124
Lehrer in dem Fach Dari ausgebildet, aber er unterrichtet Englisch oder Chemie.
In den Privatschulen ist das nicht so.
4. Die Privatschulen verfügen im Gegensatz zu den staatlichen Schulen über
Mittel wie Bibliothek, Lehrmaterialien und sehr guter Lehratmosphäre.
Nach meiner Meinung werden die Privatschulen den Afghanen (Schülern) eine
große Hilfe bieten, wenn sie nach ihrem heutigen System arbeiten und einige
ihrer Defizite mit Hilfe des Bildungsministeriums beheben.
Denn die Familien achten sehr genau darauf, dass ihre Kinder an den
Privatschulen mit neuen Methoden und Regeln ausgebildet werden und eine
glänzende Zukunft haben.
Aus den Beispieltexten wird ersichtlich, dass es die beteiligten DaF-Studierende wegen
defizitärer bzw. entwicklungsbedürftiger Sprach- und Schreibkompetenz sowohl in der
Muttersprache, als auch in der Fremdsprache nicht in der Lage sind, zu einem Thema
einen zusammenhängenden Text mit einem logischen Gedankengang zu verfassen, der
funktional, strukturell, sprachlich und thematisch zu der Schreibaufgabe passt.
5.2.5. Zusammenfassende Bemerkungen
Obwohl eine Stichprobe von zwölf Schreibproduktionen von sechs DaF-Studierenden
(jeweils zwei Texte; einmal in Dari als Muttersprache und ein weiteres Mal in Deutsch
als Fremdsprache), keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit haben kann, lässt sie aber
dennoch einige Schlussfolgerungen und Vermutungen zu: Die Mehrheit der DaF-
Studierenden an der Universität Kabul haben bei der Schreibproduktion in ihrer
Muttersprache mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen wie beim Schreiben auf
Deutsch als Fremdsprache. Allerdings werden sie beim Schreiben in deutscher Sprache
zusätzlich dazu noch mit einigen Problemen in Hinsicht auf Wortschatz,
Ausdrucksmittel und Grammatik konfrontiert. Dies mag damit zusammenhängen, dass
sie laut eigener Aussagen den notwendigen Wortschatz in der Fremdsprache oft nur
begrenzt besitzen und die gelernten Regeln auf die geschriebenen Texte nicht umsetzen
können. Somit bereiten die sprachlichen und gedanklichen Formulierungen den
Probanden die größten Schwierigkeiten. Während die meisten Probanden eine ziemlich
detailiertere Darstellung in ihrer Muttesprache geschrieben und durch die Komplexität
ihrer Sätze, Kollokationen und dem Einsatz verschiedener Kohäsionsmittel die
Attraktivität ihrer Texte zum Teil verbessert haben, ist der Schreibstil in ihren deutschen
Texten einfacher und dem kommunikativen Kontext weniger angemessen, da die
125
lexikalische Varianz geringer ist und weniger Synonyme, modifizierende Ausdrücke,
Adjektive und Kollokationen eingesetzt wurden. Aus den deutschen Texten einiger
Probanden ist trotzdem zu entnehmen, dass ihre Anstrengung syntaktisch so vielfältig
wie möglich zu schreiben haben zur Formulierung der unterschiedlichen
aneinandergereihten Nebensätzen und Haupsätzen geführt. Dies wird an den folgenden
Beispielen deutlich:
„Die meisten Familien in Kabul, die keine finanzielle Probleme haben,
schreiben ihre Sprösslinge an der Privatschule ein, weil die Eltern so eine
Ansicht haben, dass dorthin bessere Schulbildung geben kann, als
staatlichen Schulen“ (Farida, Text1)
„Im Vergleich zu staatlichen Schulen, konnen wir sagen, dass Privatschulen
besser für die Kinder sind, weil wir eine feste Grundlage für unsere Kinder
wollen, aber muss man die ökonomische Situation der Familien sehen
müssen“ „Z.B: konnen wir (Amani Oberreale Schule, Esteqlal, und Habibia
Oberreale Schulen) nennen, dass sehr große Kampus für die Schüler noch
gute Zimmer mit moderner Technik auch mit Sportplatz, aber die haben
einige Regulation teil zu nehmen oder sich in der melden, die alle können
nicht verpassen auch es gibt Probleme der Plätze für die Schüler, auch
Transportmittelsprobleme für kleine Kinder in die Zentrum zu kommen“
(Kawa, Text7)
In diesem Zusammenhang weisen die muttersprachlichen Texte der Probanden zwar
darauf hin, dass die Probanden verschiedene Wörter und Formulierungen ausprobiert
und oft aufgrund ihres Klangs über ihre Adäquatheit entschieden haben (vgl. Leki 1992,
S. 80), allerdings hatten sie bei der Textproduktion in Deutsch als Fremdsprache nicht
die Möglichkeit, dem Klang nach über die Angemessenheit von Ausdrücken zu urteilen.
Hierbei mag also der Einfluss kulturspezifischer stilistischer Merkmale des
afghanischen Schreibstils eine Rolle spielen, der komplexes und kompliziertes
Schreiben sowie reimliche, lange und verschachtelte Sätze als attraktivbildende
Elemente mehr zu schätzen weiß, als einfaches aber präzises Schreiben. Daher wäre es
sinvoll, wenn die Lehrkräfte diese häufig begangenen Lernerfehler oder kulturbedingten
Schreibtendenzen als eine Vorlage auflisten und sie im Unterricht behandeln und
insbesondere zusammen mit den Lernenden nach Verbesserungsvorschlägen und
Lösungen suchen würden. Beispielweise lässt sich anhand der Lernertexte und -fehler
bei ihrer Neigung zur Bildung der zusammengesetzten Sätze auf Deutsch unter Einfluss
des afghanischen Schreibstils im Unterricht behandeln, wie man durch Zerlegung der
Sätze, Anwendung der passenden Verbindungselemente und richtige Zeichensetzung
kurze aber prägnante Sätze schreibt.
126
In der Analyse der Textstruktur zeigen sich die meisten Ähnlichkeiten zwischen den
muttersprachlichen und fremdsprachlichen Schreibprodukten der Probanden. Dabei
beginnen sie in beiden Sprachen entweder mit gar keiner Einleitung oder nur einer sehr
kurzen Einleitung. Dies geschieht oft mittels eines Hinführungssatzes wie „Heutzutage
existieren in Afghanistan mehrere Privatschulen“; „Im Afghanistan gibt es viele
Privatschulen und Privatuniversitäten“ oder „Nach dem Jahr 2005 sind Privatschulen in
Afghanistan auf dem Vormarsch“. Im Ideallfall beenden sie ihre Texte mit einem
knappen Schluss, der oft aus einer erheblich persönlichen Einschätzung besteht wie z.B.
Meiner Meinung nach, wenn in den nächsten Jahren die staatlichen Schulen mit
einer richtigen Methode und mit fleißigen Lehrenden arbeiten, schickt niemand
mehr seine Kinder auf die Privatschule. (Tanin, Text 10)
„Ich meine, dass die Rigierung muss Privatschulen helfen oder moderne
staatlichen Schulen bauen. (...), dann können wir ein bessere Zukunft und
entwicklte Afghanistan mit moderne und wissenschaftliche Generation
haben und hoffe (Auf hoffe eine bessere Zukunft für Afghanistan (Kawa,
Text7).
„Ich glaube, Gemäß Afghanistan Grundgesetze kann jeder man eine besser
Schule gründen“ (Saman, Text 11).
Die meisten Beteiligten haben in beiden Versionen entweder auf die Überschrift und
Einleitung oder auf den Schluss verzichtet und sind weitestgehend von ihren eigenen
Ansichten in Form der Gegenüberstellung von privaten und staatlichen Schulen und
deren Vor- und Nachteilen ausgegangen. Dabei leiteten sie den Leser nicht wirklich an:
fehlende Gliederung, Visualisierung, Kohäsionsmittel und Zusammenhänge zwischen
den einzelnen Textteilen, fehlende direkte Instruktion anhand expliziter
Erkennungsworte sowie eindeutige Bezüge oder Absätze. Im Hauptteil der Texte, der
durch drei vorgegebenen Leitpunkte bei der Aufgabenstellung fest definiert war, haben
sich die Schreibenden ebenso mehrheitlich persönlich geäußert, indem sie ihre meist
persönlichen Argumente und Behauptungen assoziativ und emotional aus den
subjektiven Erlebnisperspektiven aufgelistet und nacheinander gereiht haben. Dabei
orientierten sie sich an einem unterrichtlichen Schreibmuster, das häufig im DaF-
Unterricht bzw. in DaF-Lehrwerken behandelt und betont wird, in dem man oft von der
Pro-Contra-Position der Tatsachen bei mündlichen und schriftlichen Besprechungen
ausgeht und zum Schluss daraus ein Ergebnis zieht, das ebenso eher eine persönliche
Stellungnahme untermauert. Während die afghanischen DaF-Studierenden in ihren
muttersprachlichen Texten weniger auf einem Mustertext fixiert sind, stützen sie sich
beim Schreiben in deutscher Sprache auf die einstudierten und eingeübten Mustertexte,
127
-sätze und Redewendungen wie „Nach meiner Meinung“, „Ich denke“ und „Ich mochte
noch was Wichtiges erwähnen“. Dies liegt darin begründet, weil sie einerseits durch
mangelnden Wortschatz verunsichert sind und dadurch eine geringere
Sprachbeherrschung in Deutsch als Fremdsprache haben und somit die Bildung von
erweiterten und komplexen Sätzen mit eigenen Worten behindert wird (vgl. Ezhova-
Heer: 2009, S. 188). Andererseits, weil im fremdsprachlichen Schreibunterricht in
Kabul sowie in den DaF-Lehrwerken der Ein- bzw. Umsatz von Mustertexten und
dazugehörigen Redemitteln bei der Vermittlung der Schreibkompetenz eine dominante
Rolle spielt.
Da die Probanden sich wie gewohnt auf einer gleichbleibenden Struktur bei der
Herstellung ihrer Texte beschränkten, d. h. die Sprachhandlung Abwägen und Pro-
Kontra-Positionen, in der oft Vor- und Nachteile einer Tatsache durch persönliche
Wertungen gegenübergestellt werden und nur die Lehrperson als potentieller Leser ihrer
Texte erachtet wird und häufig auf die auswendig gelernten Sätze vor allem Redemittel
der DaF-Lehrwerke zurückgreifen, kann man nur schwer bei den verfassten Texten der
Probanden von einer eigenständigen Schreibproduktion sprechen. Aus dieser Tendenz
werden außerdem die spezifische Prüfungs- und Evaluationsfunktion der
Schreibaufgaben (Schreiben als Mittel zum Zweck) im muttersprachlichen und
fremdsprachlichen Unterricht in Afghanistan deutlich. Diesbezüglich lässt sich auf die
Texte von Saman hinweisen, die schon auf dem ersten Blick wie ein Antwortbogen
aussehen, indem sie in beiden Texten die drei vorgegebenen Leitpunkte als drei
gestellten Fragen wahrgenommen und darauf aufzählend geantwortet hat (siehe oben,
Texte 11 und 12, im Abschnitt 5.2.3.).
Noch weitere Tendenzen bei afghanischen DaF-Lernenden lassen sich aus ihren Texten
ableiten z. B. die gehäufte Verwendung des Pronomens „wir“ und verallgemeinernde
Ausdrücke. Die folgenden Beispielen sollten diese deutlich machen: „Also alle Familien
in Afghanistan möchten für ihre Kinder oder Sprösslinge, dass sie im Zukunft egineer,
Doctor wollen konnen“, „überall kann man sagen“, „überall können wir nicht
darstellen“, „alle Leiter der Privatschulen“, „Alle Einwohnern haben Problem“, „Wie
allen bekannt ist, sind neben den staatlichen Schulen viele Privatschulen entstanden“,
„In Afghanistan brauchen wir“, „Die mesiten Leute in Afghanistan“, „Am meisten
achten die Leiter einer Privatschule“, „Also wenn wir Privatschulen mit staatlichen
vergleichen“, „wir sehen jetzt alle Privatschulen in Afghanistan sind“ und „Heutzutage
existieren in Afghanistan viele Privatschulen“. Solche Ausdrücke, die Kresta 1995 als
128
„Teamwork-Handlungen“ bezeichnet, treten in den afghanischen schriftlichen Arbeiten
oft auf. Dies kann daran liegen, dass sie den Lernenden nicht nur aus der Schulzeit,
sondern auch durch die mündliche und frontale Lehrtradition an den Universitäten
vertraut sind. Dabei wird das Pronomen „Wir“ verwendet, um eine Beziehung zu den
Lernenden als Zuschauer oder Hörer zu etablieren und somit auch deren
Aufmerksamkeit als Wissennehmer einzufordern (vgl. Sorrentino: 2012, S. 117).
Außerdem treten in den Texten der beteiligten DaF-Studierenden viele widersprüchliche
Gedankengänge und spontane Perspektivwechsel auf, deren Ursache sehr
wahrscheinlich in der defizitären Erfahrung in Bezug auf die sprachlichen, inhaltlichen
und gedanklichen Planungs- bzw. Formulierungsstrategien liegen (vgl. ebd. S. 110).
Diesbezüglich haben fast alle Probanden bei den für diese Arbeit durchgeführten
Interviews deutlich darauf hingewiesen, dass sie sich vor dem Niederschreiben nur
einmal ein grobes Bild von dem zu schreibenden Text im Kopf machen. Keiner hat
diesbezüglich geäußert, dass er sich z. B. Notizen oder eine Mind-Map macht. Dies
verweist vor allem auf die meist mangelhafte Einführung der Schreibdidaktik in
Afghanistan, in der weniger das prozessorientiertes bzw. adressatorientierte Schreiben
behandelt und gefördert wird. Darüber hinaus werden, wie oft in dieser Arbeit
angedeutet, direkte mündliche Sprachkompetenzen im muttersprachlichen wie auch im
fremdsprachlichen Unterricht nicht nur an den Schulen sondern auch an den
Universitäten stärker als schriftliche Kompetenz angefordert und behandelt. Diese
Einstellung mag dann ihren Einfluss auf Schreibprozess und -produkt der DaF-
Lernenden haben, indem sie ihre Texte eher dynamisch, ohne genaue vorherige
Planung, Gliederung und abschließende Überarbeitung zu Last der Qualität der
Schreibproduktion anfertigen (vgl. Anderson: 1990, S. 143 u. Sorrentino: 2012, S.110).
Folglich werden auch die verfassten Texte inhaltlich der Aufgabenstellung nicht
gerecht, weil meistens nur zwei von drei in der Schreibaufgabe genannten Punkte durch
angeführte persönliche Vor- und Einstellungen behandelt werden.
Im grammatischen und orthographischen Bereich sind unzählige elementare Fehler
bezüglich Verbkonjunktion, Artikelanwendung, Adjektivdeklination, Wortstellungen
und Satzzeichen zu finden, die jedoch unter dem Einsatz von Konzentration,
Aufmerksamkeit oder einem Überprüfen nach der Niederschrift vermeidbar wären: „in
der Privatschulen“, „im Zukunft“, „dass, privatschule gut ist als Staatschule“,
„Privatschulen befinden sich meist in der Hauptstädte“, „die Familie sagen (wenn man
Geld bezahlen, kann man besser lernen) wegen des Geldes sein/ihre Familie“, „ein
129
professionelle Ausbildung“, „ein pädagogischen Idealismus“, „gute managment“, „mit
tiefe/okonomische System“, „moglichket“, „Entwecklen“ und „winiger“. Fehler sind
nicht nur grundsätzlich Fehler an sich, sie zeigen vielmehr, auf welche Weise Lerner
denken und arbeiten. Obwohl laut Aussagen der Probanden sie beim Schreiben in der
Fremdsprache Deutsch viel Wert auf sprachliche Richtigkeit, z. B. Groß- und Klein-
schreibung legen und die deutsche Grammatik für die meisten von ihnen ein
überwindbares Hindernis darzustellen scheint, lässt sich dagegen auf der Basis der
Resultate bei den Textprodukten von den Probanden feststellen, dass Grammatik,
Rechtschreibung und Vokabular Aspekte beim Schreiben in der Fremdsprache Deutsch
sind, die doch den beteiligten DaF-Studierenden viele einfachere bis schwerere
Probleme und Hindernisse bereiten. Insbesondere ist der geringe Wortschatz der
Probanden ein Punkt, bei dem Klärungs- bzw. Forschungsbedarf besteht, da die
Mehrheit der befragten Studierenden beim Schreiben in der Fremdsprache Deutsch ihre
größten Schwierigkeiten im Bereich Wortschatz sieht. Übrigens sind in den Texten der
Probanden Rechtschreibungsdefizite zu finden, die vermutlich auf ihre falsche
Aussprache verweisen: „Winiger“, „beginen“, „Moglichkeit“, „Rigierung“, „konnen“,
„verbreiten“ (statt vorbereiten), „Geld verdenen“ und „Lehrar“. Da das Verstehen der
meisten Lernertexte auch durch fehlende Zeichensetzung und Rechschreibung teilweise
beeinträchtigt wird, wird hier ein Phonetik- und Rechtschreib-/Interpunktionsunterricht
im DaF-Unterricht an der Universität Kabul für wichtig und notwendig erachtet.
5.3. Überlegungen zur Verbesserung der Schreibentwicklung im
Fach Deutsch als Fremdsprache an der Universität Kabul
Die Untersuchungen zu subjektiven Theorien der afghanischen DaF-Studierenden im
Umgang mit der Schreibproduktion und der vergleichenden Analyse ihrer ausgewählten
muttersprachlichen (Dari) und fremdsprachlichen (Deutsch) Schreibprodukte zeigen vor
allem auf, dass die meisten DaF-Studierenden an der Universität Kabul an die
schriftliche Aufgabe eher dynamisch und mündlich orientiert ohne Durchführung einer
Planung vor der Formulierung des Textes und einer Überarbeitung nach dem
Niederschreiben herangehen. Demzufolge schreiben die afghanischen DaF-Studierende
mehrheitlich sofort alles nieder, was ihnen als erstes einfällt. Um die Förderung der
Schreibkompetenz im DaF-Unterricht an der Universität Kabul zu verbessern, ist in
erster Linie die Reformierung der bisherigen produktorientierten Schreibentwicklung
130
dringend notwendig, in der Lerner kaum als schreibendes, denkendes, handelndes und
kommunizierendes Subjekt erachtet und das Lernen von Schreiben oft auf die
Vermittlung der Kenntnisse von Normen der Schriftsprache, bzw. Formen der Texte
beschränkt wird.
Unter Beachtung der Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus den vorangegangenen
Ausführungen werden zum Schluss einige praktisch-didaktische Konsequenzen und
Forderungen ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, formuliert, die künftig
im DaF-Unterricht an der Universität Kabul berücksichtigt werden könnten und sollten.
5.3.1. Prozessorientierung statt Produktorientierung
In Anlehnung an Dahman (2007, S. 8f) und Kast (1989, S.10ff; 1999, S.116ff) wird hier
eine didaktisch-prozessorientierte Einführung der Schreibentwicklung dargestellt, die
besonders geeignet und zielführend für den speziellen Schreibunterricht in DaF an der
Universität Kabul sein kann. Damit wird insbesondere der Prozesscharakter des
Schreibens hervorgehoben und aufgezeigt, wie der Prozess des Schreibens und dazu
gehörende Einzelschritte sich methodisch und didaktisch in einer Fremdsprache
vernetzen und vermitteln lassen:
1. Situierung der Schreibaufgabe beim anfänglichen systematischen Planungs-
schritt: Zuallererst werden hierbei die pragmatischen Bedingungen der
Schreibproduktion, d. h. sprachliche und thematische Informationen, Verfasser,
Adressat, Schreibabsicht und Textsorte aufgeklärt und bestimmt. Zur Erklärung
sowie Festlegung der Schreibaufgabe lässt sich die Szenario-Methode
systematisch und konstruktiv in dieser Phase einsetzen. Laut Bundeszentrale für
politische Bildung (2008) und Albers/Broux (1999, S.12) entwerfen die
Lernenden bei Anwendung dieser Planungsmethode durchaus auf Basis von
ihrem vorhandenen gegenwärtigen Thema- und Sprachwissen und
Entwicklungsfaktoren detaillierte Beschreibungen einer bzw. mehrerer
möglichen Zukunftssituationen unter ganzheitlichen Aspekt. Dabei werden vor
allem die Informationen, Einschätzungen, die Zusammenhänge und
Wechselwirkungen analysiert und mögliche Lücken mit den verfügbaren
Hilfsmitteln oder Kreativität und Phantasie geschlossen. Mit Hilfe der
entstehenden Szenarien können letzendlich konkrete Maßnahmen und Strategien
131
geplant und festgelegt werden, damit man dadurch an sein gewünschtes Ziel
gelangt. Dadurch wird außerdem ganzheitliches Prozessdenken der Lernenden
im Unterricht mit einer strategischen Planungsmethode gefördert.
2. Erarbeitung eines Schreibplans als erste Vorbereitung: in dieser Phase wird das
vorhandene inhaltlich-thematische Wissen des geplanten Textes gesammelt und
neue inhaltliche Informationen erarbeitet. Gleichzeitig wird der Wortschatz und
die Redemittel der Schreiblerner zum Thema aktiviert. Die entstandene
sprachliche und inhaltlische Sammlung kann jederzeit aktualisiert und die
Lücken durch Nachschlagwerke wie Wörterbuch gefüllt werden. Zudem kann
man sich in dieser Phase Überlegungen bezüglich der inhaltlichen Gliederung
des Textes machen. Bei der Findung und Strukturierung der Ideen und Themen
helfen Strategien wie Clustering, Mindmapping, Brainstorming, Strukturskizze,
Fluss-diagram, ABC-Methode, Arbeit mit Schreibplänen. Denkplänen, 5-Satz-
Methode und Wortfelder.
3. Erste Formulierungen: In diesem Schritt setzt man seinen Schreibplan um,
indem er auf Basis von seinen Planungen zum Textaufbau mit Hilfe der
gesammelten Wörter und Ausdrucksmittel kurze Sätze oder Satzteile
ausformuliert. Dabei tauchen oft noch sprachliche Defizite auf, wie z. B. Lexik
und Grammatik, die aber mit Hilfe der Nachfrage, Beratung oder Wörterbuch zu
lösen sind. Schaubilder, Stichwortgerüste, Erläuterung des Textvorhabens
gegenüber anderen können hierbei von Nutzen sein.
4. Niederschrift des Textes: Aus den Einzelsätzen oder Satzteilen, die der Schreiber
im vorangegangenen Schritt 3 geschrieben hat, soll er nun in dieser linearen
Formulierungsphase einen zusammenhängenden Text produzieren. Man achtet
dabei insbesondere auf den Satzbau, Kohäsionsmittel, logische Zusammenhänge
zwischen den einzelnen Sätzen, formale Eigenschaften der Textsorte, äußere
Gliederung in Absätze und Zeichensetzung im Text, die dann letzendlich zur
Verbindung der Textelemente führen. Diese Phase ist der erste Versuch Text-
kohärenz zu erschaffen und gilt außerdem nicht als das endgültige Aufschreiben
der Gedanken. Man kann hier anhand von Unterbrechungen und Überprüfungen
nachdenken, ob er den geschriebenen Text neu formulieren oder verwerfen will.
Hierbei sind Änderungen wie Umformulierungen, Unterstreichungen,
Ergänzungen, d. h. neue Entwürfe im Text erforderlich, die jedoch zunächst z.
B. durch Schreiben einzelner Fassungen oder kleiner Textportionen und
Auseinandersetzung mit vorliegenden Textmustern erlernt werden sollen.
132
5. Überarbeitung/Revision: Kontrolle und Korrektur können hauptsächlich
während des gesamten Schreibprozesses stattfinden, denn die ständige
Überarbeitung ist ein normaler Vorgang. Trotzdem sind nach Abschluss der
Niederschrifft zwei eigene Korrektur- und Überarbeitungsphasen zu
unterscheiden. Einerseits kontrolliert und korrigiert der Lerner nach Anfertigung
des Niederschreibens seinen Text einmal, bei dem explizite Überarbeitungs-
anweisungen nützlich sein können. Andererseits kann er nach der Lektüre durch
den Lehrer ein zweites Mal all die Stellen überarbeiten, die der Lehrer markiert
hat. Mit der Überarbeitung sind sowohl sprachliche, als auch inhaltliche
Formulierungen gemeint. Prüfen mit vorher erstellter Checkliste, lautes
Vorlesen, Arbeit mit Textverarbeitungsprogrammen wie bei der Überprüfung
der Sprachrichtigkeit können bei Textüberarbeitungen als Hilfestellungen
eingesetzt werden. Zum Schluss lässt sich die Auswertung des Schreibprozesses
mittels Kennzeichnung und Reflexion der eingesetzten Methoden bzw.
Schreibinstrumente im Hinblick auf ihre Effektivität für das Schreibvorhaben
oder Arbeit mit entsprechenden Beobachtungsbögen durchführen.
Das oben beschriebene Konzept stellt insgesamt einen allgemeinen Rahmen dar, der
dem Lernniveau der Lerner, der Unterrichtsituation und der jeweiligen Schreibaufgabe
angepasst werden kann/soll. Für die Verwirklichung eines solchen Konzepts der
Schreibdidaktik, das ein neues Bewusstseins beim Schreiben lernen und lehren im
Unterricht zur Verbesserung seiner Qualität herausbildet, sollten vor allem die
Förderung der Prozessorientierung des Schreibens im Lehrplan verankert, Lernstoffe
angepasst und Schreiblehrende und -lernende entsprechend qualifiziert werden.
5.3.2. Das Verankern von kurzen schriftlichen Arbeiten in der Studien- und
Prüfungsordnung
Die DaF-Studierenden in Afghanistan sind in einem nicht schreibintensiven Lebens-
bzw. Bildungssystem aufgewachsen und erzogen worden. Während des
Deutschstudiums werden sie auch wenig aufgefordert, eine kurze wissenschaftliche
Arbeit zu schreiben. Sie müssen erst nach dem vierjährigen mündlichbasierten
Bachelorstudium eine Abschlussarbeit auf Deutsch als Fremdsprache verfassen, was
ihnen erfahrungsgemäß große bis sehr große Schwierigkeiten bereitet, weil die bis dahin
vorherrschenden Formen der Schreibaufgaben und -anlässe nur sehr kurze schriftliche
133
Hausaufgaben, Projektpräsentationen und Klausuren waren. Darüber hinaus steht im
afghanischen schulischen und universitären Unterricht die Vermittlung von
Faktenwissen so erheblich im Vordergrund, dass die kritische Auseinandersetzung mit
Lerngegenständen, das Verfassen der eigenständigen Arbeiten und somit die Förderung
des kritischen Denkens und Argumentierens nur selten praktische Anwendung und
Relevanz finden. Demzufolge wird im Unterricht richtige Kritik z. B. an politischen
Positionen oder wissenschaftlichen Theorien ziemlich wenig ausgeübt, vielmehr werden
nahezu subjektive Meinungen gebildet, für die sich die Person die Argumente
aussuchen soll, die gerade am überzeugendsten sind. Die Tatsache, dass die Probanden
ihr Schreibthema stark ichbezogen, erlebnisorientiert und weniger objektiv und präzise
dargestellt haben, könnte damit zusammenhängen, dass es ihnen wie eben formuliert bei
der Versachlichung eines Themas an schulischer und universitärer Förderung und
Schreiberfahrung fehlt, sich im Allgemeinen argumentativ und insbesondere schriftlich
zu äußern. Außerdem wird die Auseinandersetzung mit dem Text in den curricularen
Vorgaben und Lernzielen regelmäßig auf das Formulieren und Verwenden
entsprechender Sprachnormen reduziert.
Angesichts dieser Tatsache sollte die Entwicklung der Schreibkompetenz im Studium
Deutsch als Fremdsprache mehr Gewicht und Aufmerksamkeit gewinnen, indem z. B.
im BA-Curriculum des Deutschstudiums an der Universität Kabul je nach Sprachniveau
das Schreiben von kurzen Aufsätzen, Seminararbeiten, Essays oder Hausarbeiten wie in
Deutschland als Leistungsnachweis in der Studien- bzw. Prüfungsordnung verankert
wird. Dadurch wird zum einen das Studium schreibintensiver, zum anderen würde die
Anfertigung solcher kurzen schriftlichen Leistungen die DaF-Studierenden auf ihre
bevorstehende Abschlussarbeit oder schriftlichen Ausdruck der Prüfungen wie z. B.
TestDaF vorbereiten.
Zusammenfassend soll laut Sorrentino (2012, S. 148) der DaF-Unterricht einen
didaktischen Rahmen bilden, der langsam aber sicher zum Schreiben auf akademischem
Niveau führt, wobei zunächst die kritische Auseinandersetzung mit authentischen
fremdsprachigen Texten aus dem wissenschaftlichen Bereich vor allem mit
wissenschaftlichen Artikeln eine entscheidende Rolle spielen kann.
134
5.3.3. DaF-Lehrwerkanalyse und Erstellung lernrelevanter Schreibmaterialien
und -aufgaben
Sicherlich spielen DaF-Lehrwerke, die fast keine schriftlichen kommunikativen
Ernstfälle und komplexe Schreibaufgaben anbieten und stattdessen die Schreibaufgaben
oft in fiktiven Schreibanlässen wie z. B. Glückwunschkarten, Einladungen, kurze
persönliche oder halbinformelle Briefe, Bewerbungen, Lebensläufe und das Ausfüllen
von Formularen einbetten, bei der schleppenden Schreibentwicklung im DaF-Unterricht
eine wesentliche Rolle. Diese machen außerdem keinen eindeutigen Unterschied
zwischen dem Schreiben als Zielfertigkeit und dem Schreiben als Mittlerfertigkeit und
handeln zu wenig ab, wie ein Thema schriftlich zu bearbeiten, zu entfalten und durch
einzelne sprachliche Mittel präzise und kohärent zu äußern ist. Zu Recht ist Portmann-
Tselikas (2001, S.12) der Ansicht, dass auf der universitären Ebene bezüglich des
Schreibens ziemlich starre Leistungserwartungen an ihre Studierende gestellt, nur wenig
angepasste Fördermöglichkeiten angeboten und im Schreibunterricht häufig formale
Schreibtechniken wie Zitier- und Gliederungsübungen und nicht textstrukturierende
Strategien, vermittelt werden. Diese fehlenden authentischen Schreibaufgaben,
bedeutungsvolle Inhalte und Schreibthemen könnten sich dann erschwerend auf die
Schreibförderung auswirken, indem die Lernenden sich oft nicht angesprochen fühlen.
Erklärt man Schreibentwicklung als Sozialisation und Entwicklungsprozess der
Schreibkompetenz als Folge primärer sozialer Einflüsse, dann sollten DaF-Lehrwerke
und DaF-Unterricht, die in Ausland angeboten werden, sich stärker auf die lokalen
Bedingungen, Hintergründe der DaF-Lerner, ihre Umgebung und ihre Anforderungen,
Normen und Erwartungen einstellen, um dabei einen wirkungsvollen Beitrag liefern zu
können. Laut Ezhova-Heer (2009, S.272) kann die Nichtbeachtung der
Herkunftssprache und Kultur zur Selbstabwertung führen, die sich dann auf die
Schreibförderung hemmend auswirkt, da diese kulturell vermittelten mentalen Zustände
den Erwerb schriftlicher Kompetenzen in der Fremdsprache stark beeinflussen.
Übedies sollte vor Planung bzw. Konzipierung der Unterrichtsstunden, Lehr- und
Lernziele und Lehrwerke zunächst untersucht werden, in welchem soziokulturellen und
institutionellen Rahmen die Lernenden ihre Muttersprache bzw. das Schreiben erworben
haben, damit sie diese als Ressource für die Vermittlung eine Fremdsprache nutzen.
Hierzu sollte eine präzise Lehrwerkanalyse unternommen werden und die Studierenden
bei dieser Analyse und Themenauswahl zum Schreiben mitentscheiden dürfen, damit
135
der Unterricht lernerorientierter und bedeutsamer wird. Mittels Lehrerhandbücher
sollten auch die Lehrenden ermutigt und geschult werden, dass sie das Lehrwerk bzw.
die Lehrmaterialien als Angebot und Vorschlag ansehen sollten, damit sie dazu
motiviert werden, bei Bedarf nicht authentische und irrelevante Inhalte zu streichen, zu
kürzen, zu verändern oder zu ersetzen. Von diesen gewonnenen Freiräumen können die
Lehrpersonen gut profitieren, indem sie diese für freie, lebenspraktische und persönliche
Schreibaufgaben und für die Entwicklung der Strategien und Lerntechniken anwenden.
Somit schafft Schreiben eine Gegenwartsbedeutung für die Lernenden, um so einem
Motivationsverlust entgegenzuwirken und vor allem sie auf das Leben und die
Behebung der künftigen Defizite vorzubereiten.
In diesem Zusammenhang geht Eßer (1997) davon aus, dass Faktoren wie die kulturelle
Textsortengebundenheit, die Lerntradition des Heimatlandes und die fehlende Routine
in der Fremdsprache zu schreiben, bei Schreibvermittlung eine große Rolle spielen.
Daraus lässt sich aber eine weitere Kritik an deutschen DaF-Lehrwerken ableiten, da in
diesen nicht nur bestimmte Schreibanlässe vorgegeben werden müssen, sondern diese
auch durch landeskundliche Erklärungen ergänzt werden sollten. Viele deutsche
Lehrwerke und auch Lehrerhandbücher berücksichtigen jedoch nicht ausreichend, dass
eine große Zahl an DaF-Lehrer und Lerner nie oder nur kurze Zeit in Deutschland
verbracht haben und durch kulturelle Lehrtraditionen eher lehrbuchorientiert lehren und
lernen. In Zukunft sollen aber die DaF-Lehrwerke mehr Auswahlmöglichkeiten und
Zusatzmaterialien mit Blick auf die lokalen und kulturellen Gegebenheiten sowie
institutionellen Unterrichtssituationen anbieten.
5.3.4. Fortbildungen der Lehrkräfte im Fachbereich DaF
Im DaF-Unterricht in Kabul fällt es den meisten afghanischen Deutschlehrern schwer,
hinreichend über ihre Schreibaufträge didaktisch zu reflektieren. Sie können allerdings
auf diese Lage wegen nicht ausreichender fachlicher Kompetenz und Überforderungen
sowie zu große Klassen und fehlende Fördermöglichkeiten nicht adäquat eingehen. Sie
sollten deswegen anhand von Aus- und Weiterbildungsprogrammen und Forschungs-
aufenthalten im Zielsprachenland, aber auch durch Selbststudium und Erfahrungs-
austausch stets auf den neuesten methodisch-didaktischen Wissens- bzw. Könnensstand
gebracht werden. Insgesamt können DaF-Lehrkräfte in Afghanistan Schreiben in der
Fremdsprache Deutsch nur dann gut unterrichten, wenn sie selber den Sinn des
136
Schreibens für den Spracherwerbsprozess erkennen und es schaffen, die Studierenden
für das Schreiben zu motivieren, indem sie ihnen entweder kognitiv die Wichtigkeit des
Schreibens vermitteln, oder in der Unterrichtspraxis die Lernenden durch sinnvolle
lebensnahe Anlässe zum Schreiben anregen. Zum Beispiel wenn die DaF-Lehrenden in
Kabul die DaF-Lernenden darin unterrichten möchte, einen kohärenten argumentativen
Text sowie einen Beschwerdebrief zu schreiben, müssen sie nicht nur bloß behandeln,
wie dieser aussieht, sondern zuerst vermitteln, welche Bedeutung diese Textform
überhaupt besitzt und aus welchem kulturellen Kontext heraus sie verfasst wird, denn in
Afghanistan würde ein Beschwerdebrief nach deutscher Art sehr wenig Sinn machen.
Darüber hinaus soll laut Ezhova-Heer (2009) die Vermittlung der Schreibkompetenz im
DaF-Bereich wie z. B. an der Universität Kabul aufgrund der besonderen Heterogenität
der Lernergruppe in Hinsicht auf schulische Laufbahn, fremdsprachliches Lernprofil
und ihre ungleiche mutter- und fremdsprachliche Schreiberfahrung auf der Basis
individueller Lernvoraussetzungen mittels fremdsprachlichen Förderunterricht,
muttersprachlichen Ergänzungsunterricht und Schreibberatungen gefördert werden.
Dabei soll vor allem Schreiben durch Schreiben, d. h. lexiko-semantische Übungen,
Übungen bezüglich Interpunktion, Vermittlung von Schreibstrategien, Umgang mit
sprachlich-inhaltlichen Vorwissen, Überarbeitungs- und Kompensationsstrategien,
Arbeit mit Beurteilungskriterien des schriftlichen Ausdrucks, insbesondere dem
Transfer von der Muttersprache in die Fremdsprache bei Textproduktion als positiven
Transfer vermittelt werden (vgl. ebd.). Solche Aktivitäten, die z. B. auf die
Schreibproduktion vorbereiten oder Schreibprobleme behandeln, sind jedoch bisher sehr
wenig im DaF-Unterricht in Kabul und in den DaF-Lehrwerken zu finden.
5.3.5. Einsatz der Muttersprache im DaF-Unterricht
Es besteht bisher eine verbreitete und folgenreiche Auffassung im DaF-Unterricht in
Kabul über die Nachteile der Nutzung der Muttersprache in der Realität des Fremd-
sprachenunterrichts. Deshalb stehen die meisten afghanischen DaF-Lehrkräfte
ablehnend gegenüber der Anwendung der Muttersprache im DaF-Unterricht und
stattdessen betrachten sie die erzwungene Einsprachigkeit als entwicklungsfördernd und
bevorzugen sie in der Überzeugung, dass man durch einsprachiges Denken in der
Zielsprache besser und schneller seine sprachlichen und schriftlichen Kompetenzen auf
ein höheres Niveau steigern kann.
137
Zwar gehen die Meinungen zur Rolle der Muttersprache im fremdsprachlichen
Schreibprozess auseinander, aber eindeutig ist, dass beim Schreiben in einer
Fremdsprache eine starke Wechselbeziehung zwischen der Mutter- und Fremdsprache
als strategisches Verhalten stattfindet und die Lernenden im fremdsprachlichen
Unterricht durch die Beachtung ihrer Muttersprache bei der Schreibaufgabe diese als
Festigung und Weiterentwicklung ihrer sprachlichen bzw. schriftlichen Fähigkeiten und
als Nutzung ihrer muttersprachlichen Erfahrungen in den neuen Inhalten erleben
können. Nach Ezhova-Heer (2009, S. 270) hatten sogar die intensive Vorbereitung der
Lerner auf die Textproduktion in der Muttersprache unter Beachtung der
kulturspezifischen Schreib-tradition der Lernende mittels konkreter Hinweise und
Hilfestellungen, wie Mind-Map, Wortfelder und Aufgaben zur Aktivierung von
themenspezifischen Wissen in Partner- oder Gruppenarbeit, eine positive Auswirkung
auf das Schreiben in der Fremdsprache.
Mit der erzwungenen Einsprachigkeit fehlt es dem Schreibprozess an Rechtfertigung
und Weiterentwicklung des Schreibens unter dem Zeichen des Rückgriffs auf die
Muttersprache und dies bringt mehr Verwirrung als Aufklärung. Gerade deshalb ist es
aus didaktischer Sicht von großer Bedeutung, dass man beim Schreiben in einer
Fremdsprache, den Einsatz der Muttersprache und die Bereitstellung von Inhalten durch
die Einbeziehung der Muttersprache positiv betrachtet, denn viele wie z. B. Woodall
(2002, S. 18ff) konnten in ihrer Studie keinen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit
des Wechsels in die Muttersprache und der Qualität der produzierten Texte in der
Fremdsprache zeigen. Vielmehr sind sie der Ansicht, dass der Einsatz der
Muttersprache positive Effekte beim fremdsprachlichen Schreiben haben kann. In
diesem Sinne sollte im DaF-Unterricht in Kabul nicht mehr die Annahme bestehen, dass
man beim Deutschlernen wie z. B. Schreiben und Sprechen in der Fremdsprache
Deutsch seine muttersprachliche afghanische Mentalität zurückstellen muss, denn „the
L2 writing process is a bilingual event“ (Wang/Wen: 2002, S. 239).
5.3.6. Herstellung eines größtmöglichen Maßes der Kontaktvorstellungen und
-möglichkeiten mit dem Zielsprachenland
Um DaF-Studierende in Kabul zum Deutschstudium aus instrumenteller Perspektive zu
erwecken, sollten vor allem die Kontaktmöglichkeiten und -vorstellungen sowohl
innerhalb des Unterrichts, als auch außerhalb des Unterrichts, z. B. in Freizeitein-
138
richtungen mit Muttersprachlern der Zielsprache Deutsch in Form von Sprachenreisen,
Gastdozenten, Stipendien oder Online-Vernetzungen mit anderen DaF-Lernern als ein
wichtiger motivationaler und lernfördernder Aspekt bei einem guten und gelungenen
Fremdsprachenerwerb intensiviert werden (vgl. Riemer: 1997, S. 10). Erfahrungen
haben bei der afghanischen Lernergruppe aufgezeigt, dass sie eine Fremdsprache gerne
und motiviert lernen/studieren, wenn für sie mehr Kontaktvorstellungen und -
möglichkeiten mit dem Zielsprachenland, einen direkten Kontakt mit Muttersprachlern
oder mit anderen Lehrenden und Lernenden des DaF-Bereiches und damit verbundene
geeignete und authentische Schreibanlässe angeboten werden. Dies entsteht dadurch,
dass eine echte kommunikative Schreibabsicht, d. h. die Bedeutung des Schreibens im
Rahmen der Informationsvermittlung und des Gedankenaustauschs sowie Schreiben
auch als integratives und fachübergreifendes Prinzip zum Einsatz kommt. In Kabul
arbeiten einige deutschen Stiftungen und Institutionen wie z. B. Goethe-Institut, GIZ,
Konrad-Adenauer-Stiftung, aber auch Deutschlehrkräfte aus Deutschland, die an
einigen Schulen Deutsch als Schulfach unterrichten, mit denen die Deutschabteilung in
Kabul gute Kontakte pflegen kann. Dies ist jedoch bisher nur selten der Fall. Dazu
kommen noch, dass die kurz- und mittelfristigen Sprachreisen und Stipendien, die
früher ausschlaggebend für Deutschstudium an der Universität Kabul waren, heute
aufgrund vergangener Miss- und Umstände nahezu ausgeschlossen sind. Diese
mangelnden Kontakte und Beziehungen zu Deutschen und Deutschland und fehlende
reale Erfahrungen mit dem Gebrauch der Zielsprache erschweren aus motivationalen
Gründen zum einen das Erlernen der Fremdsprache Deutsch und führt zu einer
defizitären Sprachbeherrschung der Lernende. Zum anderen trägt diese distanzierte
Bindung zum Zielsprachenland und mangelhafte Fort- und Weiterbildungen der
afghanischen Deutschlehrenden zur Vervollkommnung der Kompetenz afghanischer
DaF-Kräfte, Deutsch zu unterrichten.
Da für fast alle afghanischen DaF-Studierende die instrumentellen und beruflichen
Aspekte eine wesentliche Rolle beim Deutschstudium spielen, wäre es ebenso
notwendig, durch Erstellung bestimmter Schreibanlässe und -aufgaben, die integrativen
Motivationen für das Lernen der deutschen Fremdsprache zu fördern. Das heißt, die
Notwendigkeit deutscher Sprache als Zielsprache zu lernen, um sich mit Land und
Leuten zu identifizieren und zu kommunizieren. Dadurch kommt nebenbei eine positive
Einstellung gegenüber der Zielsprachenkultur zum Einsatz, was schließlich den
Lernprozess positiv beeinflusst (vgl. Edmondson/House: 2006, S. 198).
139
Schließlich ist festzustellen, dass es die DaF-Lehrwerke sich zukünftig mehr zur
Aufgabe machen, die Lehrenden und Lernenden im DaF-Bereich insbesondere im
Ausland anzusprechen, um gemeinsam mit ihnen die Möglichkeiten und Grenzen der
Entwicklung von fremdsprachlichen Kompetenzen, neue zielgemäße und regional
angepasste Curricula, Lern- und Schreibwerkstätten und damit auch Lehrwerke für den
DaF-Unterricht im nichtdeutschsprachigen Raum zu reflektieren, zu evaluieren und zu
konzipieren. Parallel dazu können Untersuchungen wie diese Arbeit durch ihre
gewonnenen Diagnosen und Befunde zur Verbesserung des DaF-Unterrichts ohne
Anspruch auf absolute Richtigkeit und Vollständigkeit einen Beitrag leisten. Dies ist
aus mehreren Gründen notwendig: ohne die Lebenswelt, Lehr- und Lerntradition bzw.
die problematischen und motivationalen Aspekte des jeweiligen Einsatzortes des DaF-
Unterrichts, insbesondere die subjektiven Theorien der Lernergruppe zum Thema des
Fremdsprachenlernens, z. B. an der Universität Kabul in den Blick zu nehmen, können
Verhaltensweisen und Vor- und Einstellungen der DaF-Lernenden im Umgang mit dem
Unterricht im DaF-Bereich nicht nachvollzogen und damit kein guter bzw.
zukunftsfähiger DaF-Unterricht erzielt werden.
140
6. Schriftliche Leistungen der afghanischen TestDaF-
Teilnehmenden in Kabul
Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Entwicklung der schriftlichen Fertigkeiten
afghanischer Studierender im Fachbereich DaF an der Universität Kabul, um den
Entwicklungsstand ihres schriftlichen Ausdrucks festzustellen. In diesem Sinne kann
die empirisch kriteriengestützte Analyse schriftlicher Leistungen von zehn afghanischen
DaF-Absolventen, die im Prüfungsteil „Schriftlicher Ausdruck“ bei TestDaF in Kabul
verfasst wurden, es ermöglichen, ein objektives und zuverlässiges Bild über die
Schreibentwicklung afghanischer DaF-Studierender im Deutschen als Fremdsprache
bereitzustellen. Damit kann in der Folge didaktische Überlegungen für die Vorbereitung
auf den TestDaF im Rahmen des Fachbereiches DaF in Kabul formuliert wreden.
Hierbei ist die Auswahl der Prüfung TestDaF für diese Studie jedoch nicht zufällig, da
seit Mai 2013 mit der Eröffnung des TestDaF-Zentrums an der Deutschabteilung der
Universität Kabul afghanische Studienbewerber, die ihr Studium in Deutschland
aufnehmen bzw. ein bereits im Heimatland begonnenes Studium in Deutschland
weiterführen möchten, die Hochschulzugangsprüfung TestDaF in ihrem Heimatland
Afghanistan ablegen können. Daher wird die Sprachprüfung TestDaF für den Zugang
zu deutschsprachigen Hochschulen zur Zeit insbesondere von DaF-Studierenden in
Afghanistan sehr nachgefragt.
Die Untersuchung verfolgt das Ziel, anhand einer exemplarischen und qualitativ-
interpretativen Analyse von zehn schriftlichen Leistungen afghanischer TestDaF-
Teilnehmenden, ihre Schreibdefizite in der Fremdsprache Deutsch und deren möglichen
Ursachen zu forschen und auf dieser Basis ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu
ermittelen, welche Konsequenzen von diesem Erkenntnisgewinn für den DaF-Unterricht
an der Universität Kabul im Bezug auf die TestDaF-Vorbereitung zu ziehen sind. Bevor
es dazu kommt, sollen zunächst Überblick hinsichtlich der Ziele und Funktionen des
TestDaF bzw. des Prüfungsteils „Schriftlicher Ausdruck“ gegeben werden.
6.1. Was ist der TestDaF?
Der Test Deutsch als Fremdsprache (TestDaF) wurde im Jahre 2001 eingeführt. Er ist
eine Prüfung für ausländliche Studienbewerber, die ihr Studium in Deutschland
141
aufnehmen oder zum Weiterstudium nach Deutschland kommen wollen
(Grotjahn/Kleppin: 2004, S. 79f.). TestDaF kommt jedoch nicht nur für Studierende in
Betracht, sondern auch für alle, die einen differenzierten Nachweis über ihre
Sprachkenntnisse möchten und gegebenenfalls für den Arbeitgeber benötigen. Beim
TestDaF handelt es sich um einen standardisierten Test, der weltweit am jeweils
gleichen Tag durchgeführt (ausgenommen sind die Prüfungen, die für TestDaF in China
gesondert durchgeführt werden) und zentral (in Bochum) korrigiert wird. Außerdem
wird er auf hohem testtheoretischen Niveau erstellt und permanent empirisch validiert
(vgl. Koreik: 2004, S.4). Durch diesen Test wird insgesamt der sprachliche
Leistungsstand ausländlicher Studienbewerber in der Fremdsprache Deutsch in den vier
klassischen Fertigkeiten „Leseverstehen“, „Horverstehen“, „mündlicher Ausdruck“ und
„schriftlicher Ausdruck“ getrennt überprüft, um ein differenziertes Leistungsprofil
festzustellen. Das Ergebnis wird ebenso getrennt nicht in Form von Punktwerten,
sondern mittels verbaler Deskriptoren ausgewiesen, die den Kandidaten verständliche
Informationen über ihre spezifischen Schwächen und Stärken vermitteln. Dadurch
können die Testteilnehmer ihre festgestellte Defizite ausgleichen. Die Bewertung erfolgt
zudem nicht norm-, sondern kriterienorientiert. Das heißt nicht in Bezug auf die
Leistung der anderen Teilnehmer, sondern anhand vorher festgelegter
Leistungskriterien. Dabei soll die entsprechende sprachliche Kompetenzstufe der
Testkandidaten für den Hochschulzugang definiert werden. Beim TestDaF erfolgt die
Einstufung in den einzelnen Fertigkeiten auf den drei Stufen TDN5, TDN4, TDN3.
TDN5 ist die höchste Stufe. Unterhalb von TDN3 sowie oberhalb der Stufe TDN5 wird
nicht weiter differenziert. Die Zuordnung der drei TestDaF-Niveaustufen (TDN) zu den
Stufen B2 und C1 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen
wurde zwischen 2004 und 2008 im Rahmen des Europaratprojekts „Relating Language
Examinations to the Common European Framework“ empirisch überprüft und
bestätigt (vgl. Kecker: 2011). In diesem Sinne ist der TestDaF eine Sprachprüfung auf
fortgeschrittenem Niveau und eignet sich für alle, die schon über gute Kenntnisse der
deutschen Sprache verfügen und diese überprüfen möchten. Demnach kann die Prüfung
TestDaF ab dem Niveau Stufe B2 abgelegt werden. Der TestDaF ist an allen deutschen
Hochschulen anerkannt und sein Zertifikat gilt auf unbegrenzte Zeit. An allen deutschen
Hochschulen erhält man generell mit dem Niveau TDN4 eine Zulassung zum Studium
oder zu einem Studienkolleg. An manchen Hochschulen werden je nach Studienfach
auch Studienbewerber zugelassen, die TDN3 erbracht haben.
142
TestDaF zielt in erster Linie auf die Überprüfung der Sprachfähigkeiten im
akademischen Bereich ab. Da die meisten der TestDaF-Kandidaten Deutsch als
Fremdsprache im jeweiligen Heimatland ohne direkten Kontakte zu deutschen
Hochschulen und deren Umfeld gelernt haben, der TestDaF unabhängig von
bestimmten Sprachkursen oder Lehrbüchern ist und Testkandidaten aus allen
Fachrichtungen teilnehmen können, werden deshalb zur Vermeidung einer
Benachteiligung einzelner Kandidaten Inhalte und Themen der Prüfung
schwerpunktmäßig aus dem allgemeinen und fachübergreifenden akademischen Umfeld
wie z. B. Studium, Umwelt, Forschung und Wissenschaft, neuere Technologien,
gesellschaftliche und menschliche Beziehungen wie auch Sprache und Kommunikation
ausgewählt (vgl. Grotjahn/Kleppin: 2004, S. 80). Da die Entwicklung der schriftlichen
Leistungen das Anliegen dieser Arbeit ist, wird im Folgenden nur auf den Prüfungsteil
„Schriftlicher Ausdruck“ eingegangen (zu den Prüfungszielen und Testkonstrukten der
übrigen drei Prüfungsteile; Leseverstehen, Hörverstehen und mündlicher Ausdruck vgl.
Casper-Hehne/Koreik: 2004 u. Grotjahn/Kleppin: 2004).
6.1.1. Der schriftliche Ausdruck im TestDaF
Der Prüfungsteil „Schriftlicher Ausdruck“ im TestDaF besteht aus einer einzigen
zweiteiligen Aufgabe mit hohem Komplexitätsgrad, die besonders die zwei studien-
relevanten Schreibhandlungen „Beschreiben“ (die Beschreibung einer grafischen
Vorlage, die einige Informationen zum Thema enthält) und „Argumentieren“ (eine
Argumentation zum Thema, das mit dieser Grafik in Zusammenhang steht) umfasst und
somit die Produktion eines hochschultauglichen Textes anstrebt. Hierbei stehen die
Versprachlichung eines Sachverhalts und die Diskursivität eines Textes im
Vordergrund. Der verfasste Text wird schließlich anhand einer Skala mit Hilfe
definierter Einzelkriterien und Deskriptoren von den geschulten TestDaF-Bewertern
beurteilt (vgl. Arras: 2007, S. 57 u. Zimmermann: 2010, S. 59). Ziel des Prüfungsteils
„Schriftlicher Ausdruck“ ist es festzustellen, inwieweit die Prüfungsteilnehmenden in
der Lage sind, zu einem bestimmten Thema einen kohärenten und strukturierten Text
auf universitärem Niveau zu schreiben. Die Prüfungsordnung definiert das Ziel dieses
Prüfungsteiles folgendermaßen: „Der Kandidat soll zeigen, dass er Schreibhandlungen,
die im hochschulbezogenen Kontext relevant sind, angemessen ausführen kann“. Die
Aufgabenstellung ist auf Deutsch formuliert und besteht aus einem kurzen Text, der
143
zum Thema hinführt, sowie der Aufgabe selbst, die zum einen die Vorgaben (Grafik,
Statements, Zitate oder gegensätzliche Thesen), die sich jeweils auf die gleiche
übergeordnete Thematik beziehen, zum anderen die konkreten Arbeitsanweisungen
umfasst. Da es sich bei den TestDaF-Teilnehmenden mit Blick auf ihr schon
vorhandenes Wissen und ihren kulturellen Hintergrund um eine sehr ungleiche
Zielgruppe handelt, kann durch diese Vorgaben ein möglichst einheitlicher
Wissensstand über das Thema erreicht und möglichst gleiche bzw. faire Bedingungen
für die Bearbeitung der Schreibaufgabe für alle Beteiligten geschaffen werden, um
keine Prüfungsteilnehmenden zu benachteiligen. Durch diese Vorgaben wird zwar
teilweise die Textproduktion gesteuert, aber die inhaltliche und strukturelle
Ausgestaltung des Textes, wie z. B. den Aufbau des Textes, ist den
Prüfungsteilnehmern freigestellt. Tortzdem ergreifen viele Kandidaten die
Aufgabenstellung als Gerüst und orientieren sich beim Schreiben ihrer Texte an der
Reihenfolge von einzelnen Aufgabenpunkten. Bei der Lösung der Schreibaufgabe gilt
aber vor allem zu beachten, dass der Text so gegliedert, fortschreitend und
schlussfolgernd und inhaltlich zusammenhängend sein soll, dass die Versachlichung des
Schreibthemas für einen hochschulbezogenen Kontext erkennbar wird (vgl. Arras:
2007, S. 57 u. Zimmermann: 2010, S.4f).
Als Vorgabe für das „Beschreiben“ dienen Grafiken, Tabellen und Diagramme, auf
deren Basis die Kandidaten präzise und strukturierte Grafikbeschreibungen geben,
wichtige Daten oder wesentliche Aspekte erkennen, gegebensfalls Vergleiche anstellen
sollen und sie diese schließlich präzise und strukturiert zusammenfassen und schriftlich
wiedergeben. Die Schreibhandlung „Argumentieren“ erfordert die Abwägung von Vor-
und Nachteilen hinsichtlich bestimmter Aspekte des vorgegebenen Themas. Auch
müssen Folgerungen aus verschiedenen Positionen gezogen werden. Anschließend
daran sollen sie ihre eigene Stellungnahme zum Thema mit Argumenten belegen,
Gegenargumente begründet widerlegen, Fremdmeinungen paraphrasieren und eigen-
kulturelle Phänomene sachlich darstellen. Vorgaben bestehen dabei aus Zitaten, Fragen,
Statements oder zwei gegensätzliche Thesen. Zur Bearbeitung der Aufgabe stehen 65
Minuten zur Verfügung und die empfohlene Zeiteinteilung lautet wie folgt: 5 Minuten
für die Lektüre der Anleitung zum „Schriftlichen Ausdruck“ (erläutert, worauf bei der
Ausführung der Aufgabe zu achten ist), ca. 20 Minuten zur Beschreibung der Grafik,
Tabelle oder des Diagramms und ca. 40 Minuten zur Argumentation und
Stellungnahme. Eine Vorbereitungszeit oder Hilfsmittel sind dabei nicht vorgesehen
144
(vgl. Arras: 2007, S. 57; Casper-Hehne/Koreik: 2004, S. 15f; Grotjahn/Kleppin: 2004,
S. 84f u. Zimmermann: 2010, S. 5f). Der vom Kandidaten verfasste Text wird
schließlich mittels unterschiedlicher Leistungskriterien bewertet und auf dieser Basis
eine Zuordnung zu dem TestDaF-Niveaustufen durchgeführt, um abschließend die
kommunikative Handlungskompetenz der TestDaF-Teilnehmenden in schriftlichen
akademischen Situationen festzustellen. Wie die Beurteilung der schriftlichen
Leistungen im TestDaF abläuft, ist das Thema des folgenden Abschnitts.
6.1.2. Zur Beurteilung des Prüfungsteils „Schriftlicher Ausdruck“
Die folgende Darstellung hinsichtlich der Beurteilung der schriftlichen Leistung im
Prüfungsteil „Schriftlicher Ausdruck“ richtet sich nach der Bewertungsanleitung zum
Modellsatz 02 des TestDaF-Instituts (10/2005, S. 8f), Arras/Grotjahn (2004, S. 207),
Arras (2007, S.68ff), u. Zimmermann (2010, S. 5f).
Der TestDaF ist als eine kriteriumsorientierte Prüfung anzusehen, deren Ziel der
Vergleich einer individuellen Leistung mit der gewünschten Fähigkeit ist. Die
schriftlichen Leistungen aus dem Prüfungsteil „Schriftlicher Ausdruck“ werden im
TestDaF von eigens geschulten Beurteilenden bewertet. Ziel der Bewertung ist es, die
Leistung der Prüfungsteilnehmenden einer der drei TestDaF-Niveaustufen TDN3,
TDN4 und TDN5 zuzuordnen. TDN5 ist die höchste Bewertung und TDN3 die
niedrigste; darüber und darunter wird nicht näher differenziert. Es werden demnach die
schriftlichen Leistungen durch die Aufstellung verschiedener Bewertungskriterien bzw.
eines detaillierten Kriterienrasters bewertet, welches die drei übergeordneten Aspekte
Gesamteindruck, Behandlung der Aufgabe und sprachliche Realisierung beachtet.
Der Aspekt Gesamteindruck mit den Unterpunkten (Lesefluss, Gedankengang und
Textaufbau) erfasst den Text als Ganzes und fragt danach, wie der Text beim Lesen auf
eine Leserin oder einen Leser wirkt und inwieweit Muttersprachler den Text flüssig
lesen und dem Gedankengang wie auch dem formalen Aufbau des Textes folgen
können. Hierbei wird die Leistung holistisch erfasst, indem der Text hinsichtlich des
ersten Eindrucks nach einem ersten Lesedurchgang global bewertet wird, ohne einzelne
inhaltliche oder sprachliche Kriterien zu berücksichtigen. Mittels einer solchen
Beurteilung wird eine möglichst authentische Rezeptionshaltung ermöglicht, wie sie
auch im Hochschulkontext denkbar ist.
145
Der Aspekt Behandlung der Aufgabe mit den Unterkriterien (Punkte der
Aufgabenstellung, Beschreibung der Grafik und argumentativer Teil) beschäftigt sich
mit der Frage, wie die Aufgabe inhaltlich bearbeitet wurde. Er wird analytisch
hinsichtlich seiner inhaltlichen Umsetzung gemessen an Umfang und Anforderung der
Aufgabenstellung beurteilt. Das heißt, hier werden im Gegenteil zum ersten Aspekt
(Gesamteindruck) bei der Bewertung bestimmte sprachlich-inhaltliche Einzelkriterien
herangezogen. Der letzte Aspekt sprachliche Realisierung befasst sich vor allem mit der
Frage, welche sprachlichen Mittel der verfasste Text aufweist, wobei Unterpunkte wie
z. B. (sprachliche Mittel, Kohäsion, syntaktische Strukturen, Wortschatz und
Korrektheit) zu beachten sind, um einzuschätzen, ob der Text sprachlich in Bezug auf
Adressat und Textsorte angemessen ist, ob der Wortschatz zur Bewältigung der
Aufgabe ausreichend und präzise ist und ob sprachliche Fehler das Verstehen des
Textes beeinträchtigen. Demzufolge wird die sprachliche Realisierung auch analytisch
hinsichtlich der Bandbreite, Angemessenheit und Korrektheit der eingesetzten
sprachlichen Mittel bewertet.
Zusammenfassend beinhalten die drei beschriebenen Hauptkriterien jeweils drei
Einzelkriterien, d. h. mit Unterpunkten insgesamt neun Einzelkriterien, die bei der
Beurteilung alle gleich gewichtet werden. Somit werden die Kandidaten in ihrer
Entwicklung der jeweiligen Kriterien beobachtet. Im Kriterienkatalog für schriftlichen
Ausdruck ist jedes der Unterkriterien für die einzelnen TestDaF-Niveaustufen (unter
TDN 3, TDN 3, TDN 4 und TDN 5) knapp beschrieben. Sämtliche Texte werden von
zwei TestDaF-Beurteilenden nach denselben Kriterien bewertet, um eine gewisse
Zuverlässigkeit zu gewährleisten. Die Ergebnisse werden in einem weiteren Schritt
verglichen und bei ungleicher Beurteilung wird unter erneutem Heranziehen des Textes
eine gemeinsame Entscheidung getroffen. Beurteilt wird dabei nicht die persönliche
Meinung der Prüfungsteilnehmenden, sondern ob der Text den Anforderungen genügt
und ob die Prüfungsteilnehmenden dazu in der Lage sind, z. B. für ein Seminar an einer
Hochschule einen schriftlichen Text anzufertigen.
Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten die Prüfung TestDaF im Allgemeinen
und der Prüfungsteil „Schriftlicher Ausdruck“ im Besonderen dargestellt worden sind,
werden in den nun folgenden Ausführungen die schriftlichen Leistungen afghanischer
DaF-Studierender im TestDaF exemplarisch analysiert um aufzudecken, inwieweit sie
befähigt sind, sich im akademischen Kontext schriftlich angemessen zu äußern.
146
6.2. Analyse ausgewählter schriftlichen Leistungen der afghanischen
DaF-Studierenden im Prüfungsteil „Schriftlicher Ausdruck“
Die Beschreibung der Textproduktionen von den zehn afghanischen DaF-Studierenden
im Prüfungsteil „Schriftlicher Ausdruck“ der Prüfung TestDaF unter Berücksichtigung
ihrer muttersprachlichen Schreibpraxis und institutioneller Rahmenbedingungen des
Bereichs Deutsch als Fremdsprache an der Universität Kabul bilden in diesem Abschnitt
der Arbeit eine qualitative Grundlage, um nach Möglichkeiten der Entwicklung von der
Schreibkompetenz afghanischer DaF-Studierender im Kontext der Prüfung TestDaF zu
suchen. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen diese zentralen Fragen:
Welche Defizite sind in den deutschen fremdsprachlichen Schreibprodukten der
afghanischen TestDaF-Teilnehmenden zu beobachten und auf welche Faktoren
sind diese zurückzuführen?
Ihre Beantwortung trägt dazu bei, die möglichen Ursachen der Schwierigkeiten bei der
Textproduktion im TestDaF zu erschließen und zu ermitteln, welche Konsequenzen aus
diesem Befund für den Fachbereich DaF bzw. für die Vorbereitung auf die Prüfung
TestDaF im Rahmen des DaF-Unterrichts an der Universität Kabul gezogen werden
können. Die Aussage besitzt selbstverständlich nur eine eingeschränkte Gültigkeit, da
nur eine sehr kleine Stichprobe (10 Texte) erfolgte.
6.2.1. Vorgehensweise
Zehn DaF-Absolventen der Universität Kabul (Afghanistan) im Alter von 22 bis 28
Jahren haben im September 2014 am TestDaF, der zum ersten Mal in
Kabul/Afghanistan abgenommen wurde, freiwillig teilgenommen. Alle zehn
afghanischen TestDaF-Teilnehmer (5 Studenten und 5 Studentinnen) haben ihr
Bachelor-Studium im Fach Deutsch als Fremdsprache an der Universität Kabul
abgeschlossen und hatten bisher keine Gelegenheit nach Deutschland zu reisen. Im
Fremdsprachenunterricht an der Universität Kabul stehen vor allem Lehrbücher als
Lehrmaterialien und Medien zur Verfügung, die es den Lernenden nicht ermöglichen,
sich in der unterrichtlichen und nicht unterrichtlichen Realität der jeweiligen Zielländer
gut zu orientieren, weil sie lediglich eingeschränkt bzw. lebens-/realitätsfern ein Bild
vom Zielsprachenland repräsentieren können, wobei allerding die authentischen
147
Kommunikationen bzw. Interaktionen in die Zielsprache ebenso fehlen. Im Hinblick auf
das Schreiben, das das Hauptanliegen dieser Arbeit ist, wird in den Lehrbüchern die
Bedeutung des Erwerbs der Schreibfertigkeit auf einige wenige Muster beschränkt, wie
z. B. Ausfüllen von Anmeldeformularen, Grußpostkarten und kurze persönliche
Mitteilungen in Form von informellen und formellen Briefschreibungen. Zur
Anfertigung solcher Schreibaufgaben genügt, es zum Teil so zu schreiben, wie man
auch spricht. Demnach besteht im DaF-Unterricht in Kabul kein kommunikativer
Ernstfall, bei dem die Schreibhandlung als der intensive, eigenständige und kognitive
Prozess eines Problemlösens durch bestimmte Aufgabenstellung und Einstellung dem
Schreiben gegenüber abgehandelt wird (vgl. Baur: 2001, S. 617ff). Dagegen lässt sich
der Schreibunterricht, mit dem die afghanischen DaF-Studierenden gefördert sind,
angelehnt an Hornung (1997, S. 74), wie folgt darstellen: Als Ausgangpunkt wird die zu
erstellende Textform beschrieben und erläutert, wie man sie anhand bestimmter Regeln
und Redemittel produziert. Dabei steht das Erlernen von Textsorten im Mittelpunkt
(siehe dazu mehr Abschnitt 4.3.2.).
Vor diesem Hintergrund haben im Rahmen der Prüfung TestDaF im Subtest
„Schriftlicher Ausdruck“ die zehn eben beschriebenen DaF-Absolventen einen Text
zum Thema „Traumberuf Lehrer?“ geschrieben. Hierbei sollten sie in 60 Minuten zwei
Grafiken mit den Überschriften; Studienanfänger und Absolventen für das Lehramt an
deutschen Hochschulen und Was finden Lehrer an ihrem Beruf schwierig? beschreiben
und das Thema sachlich diskutieren. Anschließend wurden dieser wissenschaftlichen
Untersuchung alle Informationen von diesen zehn afghanischen Teilnehmenden der
Universität Kabul im Blick auf Daten und Verfahren der Gesellschaft für Akademische
Studienvorbereitung und Testentwicklung e.V. (g.a.s.t.) und den damit verbundenen
Dokumenten wie z. B. Testhefte, Teilnehmerantworten, Antwortblätter, Aufgaben,
Lösungsschlüssel und Testergebnisse für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt.
Wegen der geringen Zahl der Prüfungskandidaten (10 Teilnehmer) wird nur ein
begrenztes Bild vermittelt, woraus sich einzelne Vermutungen ableiten lassen, was
genau den DaF-Absolventen Schwierigkeiten beim Schreiben in der Fremdsprache
Deutsch im Kontext TestDaF bereitet hat und wo ihre Stärken liegen. Dies bildet dann
eine Grundlage, um vor allem die Bedeutung der schriftlichen Ausdrucksfähigkeit im
Fremdsprachenunterricht hervorzuheben. Hierzu beginnt die Beschreibung zunächst mit
einer quantitativen Darlegung, an die sich erst die erbrachten Niveaustufen der zehn
afghanischen Testkandidaten beim schriftlichen Ausdruck in den einzelnen
148
Beurteilungskriterien, die vom TestDaF zur Beurteilung schriftlicher Leistungen
verwendet werden, anschließt. Daraus wird ersichtlich, wie viele Prüfungsteilnehmende
von den geschulten TestDaF-Beurteilenden welchen Niveaustufen zugeordnet wurden
und in welchen Bereichen sie die niedrigsten Leistungen erreicht haben. In der
Beschreibung der Texte wird dann zusammenfassend und nach Möglichkeit und Bedarf
mit Rückgriff auf diese Ergebnisse aufgezeigt und interpretiert, auf welche allgemeinen
Besonderheiten die Textproduktionen der afghanischen DaF-Lernenden im TestDaF
verweisen und dabei mögliche Gründe für diese Auffälligkeiten aus den Texten
erschließen. Im weiteren Schritt werden die zehn ausgewählten Textprodukte der
afghanischen TestDaF-Teilnehmenden auf Basis von den TestDaF-Kriterien; insgesamt
neun Kriterien, die sich in die drei Hauptkriterien gliedern (siehe unten) qualitativ
deskriptiv analysiert und außerdem exemplarisch mit passenden Textstellen und
Ankerbeispielen von jeweiligen zehn bereits erwähnten schriftlichen Leistungen belegt.
Aus Datenschutzgründen wurden alle Namen in den Textbeispielen kodiert, indem für
jeden Teilnehmertext ein Code erstellt wurde; der erste Buchstabe des Vornamens des
Teilnehmers mit seiner Textnummer (z. B. Tanin Textnummer 1 → T1). Hinzu
kommen noch die Zeilenzahlen zur Quellenangabe der zitierten Textstellen (z. B. Tanin
Textnummer 1, Zeilen 1 bis 5 → T1, 1-5). Hierbei wird explizit auf eine streng lineare
Textanalyse verzichtet mit der Annahme, dass der Text doch als ein Gesamtkunstwerk
zu verstehen ist, das sich nur schwer zerlegen lässt.
6.2.2. Kriterien zur Beschreibung der schriftlichen Leistungen
Zur Analyse der ausgewählten Schreibproduktionen dienen wie bereits erwähnt,
TestDaF-Kriterien als Maßstab, weil die Texte schon nach diesen festgelegten
Beurteilungskriterien von den TestDaF-Beurteilenden im TestDaF-Institut bewertet und
eingestuft wurden. Somit kann parallel festgestellt werden, was aus der deutschen Sicht
der TestDaF-Beurteilenden als Defizite in den verfassten Texten der afghanischen DaF-
Studierenden bezeichnet wurde. Es sind hierbei insgesamt neun Kriterien, die sich nach
der Bewertungsanleitung zum Modellsatz 02 des TestDaF-Instituts (10/2005, S. 8ff) in
die folgenden drei Hauptkriterien gliedern:
1. Gesamteindruck: Wie wirkt der Text beim Lesen auf eine Leserin oder einen Leser?
1.1. Lesefluss
149
1.2. Gedankengang
1.3. Textaufbau
2. Behandlung der Aufgabe: Wie wurde die Aufgabe inhaltlich bearbeitet?
2.1. Punkte der Aufgabenstellung
2.2. Beschreibung der Grafik
2.3. Argumentativer Teil
3. sprachliche Realisierung: Welche sprachlichen Mittel weist der Text auf?
3.1. Sprachliche Mittel: Kohäsion und syntaktische Strukturen
3.2. Wortschatz
3.3. Korrektheit
Jedes obige Kriterium wird im TestDaF-Institut einzeln bewertet, um eine möglichst
genaue Einschätzung der realen schriftlichen Fähigkeiten der Kandidaten und auch viele
Informationen zu einzelnen Aspekten des Schreibens erfassen zu können. Die
Beurteilenden gleichen somit in jeder der insgesamt neun Kriterien die Leistung mit den
Deskriptoren, d. h. den Leistungsbeschreibungen auf einer Niveaustufe ab, und
entscheiden für die neun Einzeleinstufungen. Auf dieser Basis wird anschließend eine
endgültige Zuordnung zu den TestDaF-Niveaustufen (TDN3, TDN4 und TDN5)
durchgeführt (vgl. Zimmermann: 2010, S. 5ff). Demnach fasst die folgende Tabelle die
erbrachten Niveaustufen der zehn afghanischen TestDaF-Teilnehmenden in den
Einzelkriterien im Prüfungsteil „Schriftlicher Ausdruck“ zusammen:
Lösungsstufe
Kriterien
Unter TDN 3
TDN 3
TDN 4
TDN 5
Gesamteindruck 1. Lesefluss 2. Gedankengang 3. Textaufbau
9 9 7
1 1 3
Behandlung der Aufgabe
1. Punkte der Aufgabe
2. Grafik 3. Argumentieren
5
10 8
5
0 2
Sprachliche Realisierung
1. Sprachliche Mittel (Kohäsion u. Syntax)
2. Wortschatz 3. Korrektheit
8
5 9
2
5 1
150
Die nachfolgende Tabelle soll an dieser Stelle die Gesamtbewertung des schriftlichen
Ausdrucks (SA) von den einzelnen afghanischen TestDaF-Teilnehmenden aufzeigen:
Test-Name Geschlecht Testzentrum SA
T071 W Kabul, Universität 2
T071 W Kabul, Universität 3
T071 W Kabul, Universität 2
T071 W Kabul, Universität 3
T071 W Kabul, Universität 2
T071 M Kabul, Universität 2
T071 M Kabul, Universität 2
T071 M Kabul, Universität 2
T071 M Kabul, Universität 2
T071 M Kabul, Universität 2
Aus der Tabelle wird ersichtlich, dass im Endeffekt von den zehn Gesamtkandidaten
aus der Universität Kabul nur zwei Personen im Prüfungsteil „Schriftlicher Ausdruck“
auf dem Niveau TDN3 eingestuft wurden, welches laut Angaben vom TestDaF-Institut
(2001) folgendermaßen beschrieben wird:
TDN 3: „Kann sich in studienbezogenen Alltagssituationen (u. a. Bericht für
Stipendiengeber) weitgehend verständlich und zusammenhängend schriftlich
äußern; kann sich im fächerübergreifenden wissenschaftlichen Kontext (u. a.
Protokolle, Thesenpapiere) vereinfacht äußern, sprachliche und strukturelle
Mängel können das Textverständnis beeinträchtigen“.
Die übrigen acht Teilnehmenden von TestDaF mit dem Niveau 2, d. h. unter TDN3
bewertet. Diese Einstufung bedeutet lediglich, dass das Eingangsniveau des TestDaF
nicht erreicht wurde. Um zu ermitteln, woran die schriftlichen Leistungen der zehn
afghanischen TestDaF-Teilnehmenden gescheitert und auf welche möglichen Gründe
diese zurückzuführen sind, werden im Folgenden diese verfassten Textproduktionen auf
Basis der neun oben genannten TestDaF-Bewertungskriterien für den schriftlichen
Ausdruck näher untersucht.
6.2.3. Analyse ausgewählter Texte
Grundlage für die vorliegende empirische Untersuchung sind wie bereits erwähnt, die
zehn Schreibproduktionen von DaF-Absolventen der Universität Kabul, die sie in
Deutsch als Fremdsprache im Prüfungsteil „Schriftlicher Ausdruck“ beim Test-DaF
151
verfassten. Durch die ausgewählten TestDaF-Kriterien zu den vorliegenden
Textanalysen wird ermöglicht, mit Blick auf das Schreibmodell von Hayes und Flower
(1980) und das Modell des fremdsprachlichen Schreibens von Börner (1992) (siehe
dazu Abschnitte 4.1.1.1. u. 4.1.1.2.) den Teilprozessen der Schreibenden zu folgen und
aufzuzeigen, wie die afghanischen DaF-Studierenden einen argumentierenden bzw.
zusammenhängenden Text in der Deutsch als Fremdsprache erzeugen. Im Anschluss
daran werden die grundlegenden Erkenntnisse und praktischen Konsequenzen
angeführt, die sich aus der Analyse der gesamten Schreibproduktionen der afghanischen
TestDaF-Teilnehmenden im Subtest „Schriftlicher Ausdruck“ ziehen lassen.
6.2.3.1. Gesamteindruck: Wie wirkt der Text beim Lesen auf eine Leserin oder einen
Leser?
Im ersten Analyseschritt bei der Untersuchung der schriftlichen Leistung der
afghanischen TestDaF-Teilnehmer erfolgt die Beschreibung ihrer Textproduktionen
unter dem Gesichtspunkt der gesamten Wirkung der Texte auf den Leser. Der Begriff
„Gesamteindruck“ umfasst hier angelehnt an den TestDaF Lesefluss, Gedankengang
und Textaufbau, die den Leseprozess bzw. das Textverständnis beeinflussen und die auf
Seiten des Textes selbst liegen, und nicht auf Seiten des Lesers. Demnach zeigt dieses
Kriterium, inwieweit Muttersprachler den Text flüssig lesen und dem Gedankengang
folgen können. Im Folgenden werden die Lernertexte als Ganzes in ihren Wirkungen
auf den Rezipienten näher erfasst.
6.2.3.1.1. Lesefluss
Bei dem Unterkriterium Lesefluss wird insbesondere aufgezeigt, wie fließend und
problemlos sich ein Text lesen und ihm folgen lässt. Gerade deshalb ist er eines von
vielen Kriterien für die Verständlichkeit eines Textes und beruht mehr auf der
sprachlichen Gestaltung sowie Wort- und Satzkonstruktion, weil insbesondere
sprachliche Fehler den Lesefluss beeinträchtigen und ins Stocken bringen können. Dies
gilt jedoch auch für Rechtschreib- und Grammatikfehler oder inhaltliche Defizite.
Angesichts der Testergebnisse der afghanischen DaF-Lerner beim TestDaF haben neun
von zehn beteiligten Testteilnehmenden im Subtest „Schriftlicher Ausdruck“ beim
152
Lesefluss das Niveau unter TDN3 erbracht. Das heißt, dass sich die verfassten Texte
von den Beteiligten insgesamt nicht flüssig lesen lassen. Nur eine Person hat dabei
TDN3 erhalten. In den folgenden Zeilen wird genauer untersucht, woran der Lesefluss
in den Lernertexten gescheitert ist.
Alle zehn analysierten Texte enthalten so viele sprachlichen und inhaltlichen Defizite,
dass sie insgesamt von dem Leser wiederholtes bzw. mehrmaliges Lesen erfordern, um
grundsätzlich verstanden zu werden. Dadurch wird allerdings schnelles und fließendes
Lesen gestört. Um dieses zu veranschaulichen, werden hier einige Textpassagen aus den
Schreibproduktionen der afghanischen TestDaF-Teilnehmenden angeführt, in denen die
Lesbarkeit der Textstellen aufgrund falscher Anwendung der Grammatik wie Numerus,
Kasus, Nomen-Verb-Verbindung, Verben mit Präpositionen und Wortstellungs-,
Zeichensetzungs- und Rechtschreibungsfehler ins Stocken gerät.
„Seit einiger Zeit wird über „Traumberuf Lehrer“ diskutiert In deutschen
Schulen sind Lehrer, die älter als 50 Jahre alt sind. Hier stellt diese Frage dar,
wenn diese Lehrer in Rente gehen , ob Jungen Absolventen interssiert sich daran
als Lehrerkräfte zu arbeiten?“ (T1, 1-5)
„Weil die meisten der Junge leute haben leider keine mehr Interesse am Beruf
Lehrer zu werden.“ (M9, 6-8)
„Wie wir wissen, an den Deutschen Schulen sind die Lehreren älter als 50 Jahre.
Es ist gut, die Lehreren, die älter sind haben genuge Erfahrungen in seiner
Stelle.“ (R7, 2-5)
„Der erste Grunde besteht darin, dass die jeniegen Studieren um die anderen
etwas zu bringen. Der zweite Grunde besteht darin, dass jeder seine eigene Ziel
hat. Die Ziel dieser Personen ist das, der Gesellschaft zu alfabetisieren.“ (M6,
21-27)
„die Schwierigkeiten, mit denen der Lehrer begegnet. Die Mehrheit beschweren
sich von sehr großen Klassen.“ (F10, 19-21)
In anderen Texten, die weniger sprachliche Fehler enthalten, ergibt sich dennoch der
Bedarf mehrmaligen Lesens zum Verstehen des Textes aus dem inhaltliche bzw.
logische Defizite oder fehlenden Verbindungselemente, die auf die semantischen
Relationen zwischen den Sätzen, verweisen. Dies ist in den unten stehenden
Beispieltextteilen zu finden:
„Wie die Grafik zeigt, die Zahl der Studienanfänger im Vergleich der Zahl von
der Absolventen zugenommen hat, wird klar, dass die Lehrer Stelle ein Traum
Beruf für neue Generation ist.“ (H2, 4-7)
153
„Darüber hinaus soll berücksichtigt werden, dass welche Verlangungen bei den
Lehreren gibt und ob sie realisiert werden oder nicht. Wer als Lehrer Berufstätig
ist, kann gut verdienen? Kann man als eine Grund für Jenigen, die sich für
Lehramt nicht entscheiden, sagen. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass ob
Lehrer noch ein Traumberuf ist?“ (O8, 19-25)
„Anhand der Grafik kann man feststellen, dass bei dem Lehrerberuf viele
Schwierigkeiten gibt. Der Lehrerberuf hat Vorteile und Nachteile. Der Vorteil
des Lehrerberufs ist, dass man mit unterschiedlichen Schülern zu tun hat. Der
Lehrer kann lernen, wie man Kontakte zu anderen nimmt.“ (F10, 30-36)
Aus diesen Defiziten ist außerdem zu ersehen, dass die Leserorientierung ebenso in den
Texten nur selten beachtet wurde und deswegen enthalten sie z. B. weniger sprachliche
und nichtsprachliche Mittel und Bezüge, die dem Leser aufmerksamkeit bilden und ihn
zum nächsten Thema hinleiten. Laut Ossner (1996, S.76) wird das Schreiben nicht zu
einer Haltung, wenn der Verfasser nur sich als eigener Leser versteht und somit seinen
Text schreiberorientiert verfasst.
6.2.3.1.2. Gedankengang
Der Gedankengang sorgt neben dem Lesefluss für die Verständlichkeit eines Textes.
Um den Gedankengang eines Textes zu erfassen, untersucht man vor allem dessen
inhaltliche Struktur, damit aufgezeigt wird, wie die Textinformationen auf das Thema
oder die Teilthemen hin bezogen sind und wie sie entfaltet werden. Insgesamt ist der
Gedankengang eine Folge zusammenhängender Gedanken, die zu einem bestimmten
Ziel führen. Bei dem Gedankengang hat genau wie bei dem Lesefluss nur eine Person
TDN3 erreicht und die übrigen Prüflinge schnitten unter TDN3 ab. Dies weist
insbesondere darauf hin, dass in den Lernertexten keiner Gesamtidee, Verbindung und
Verknüpfung der Gedanken gefolgt und keine Logik in der thematischen Entfaltung
hinter den verfassten Texten rekonstruiert wurde. Das in den Texten der DaF-
Schreibenden kein Gedankengang zu erkennen ist und in ihren inhaltlichen Strukturen
keine Logik gezeigt wird, wird in den folgenden Textpassagen deutlich. Darin haben die
Schreibenden die isolierten Sätze bzw. Informationen aneinandergereiht, die keinen in
sich geschlossenen Text als Einheit darstellen:
„Die Informationen zeigt uns, dass in deutschen Schulen und Hochschulen die
Lehrerkräft älter als 50 Jahre sind. Deshalb hinweist es, in der deutschen
Schulen Arbeiten als Lehrer sehr schwierig ist, weil Sie Angst von Ihren Beruf
haben. Allerdings Sie gehen schnell in Rente. Aus diesem Gründ alle könnte
nicht Lehrer werden.“ (Z3, 3-8)
154
„Die Lehreren konnen nicht in allen Seiten der Klassen laufen um die Schülern
zusammen zu bringen. Es würde schwerig für den Lehrer. Sie haben mangelnde
Erziehung bei der Schülern.“ (R7, 18-22)
In der folgenden Textpassage führt der Schreiber eine Meinung zum Thema
„Traumberuf Lehrer“ an, die er zwar mit zwei Argumenten untermauert hat, aber keine
semantischen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Sätzen bestehen. Somit lässt
sich das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung nicht nachvollziehen:
„Zusammengefasst lässt sich sagen, dass ob Lehrer noch ein Traumberuft ist?
Ich möchte darüber hinweisen, dass in der heutiger Situation Lehrer nicht ein
Traumberuf ist, denn in heutiges Leben soll man nicht nur mit der allen
Herausforderungen des modernen Lebens klar kommen, sondern auch aller
menschlich Grundbedürfnisse erreichen.“ (O8, 27-31)
Die Gründe dafür, dass die afghanischen DaF-Studierenden sogar nach dem Abschluss
ihres Deutschstudiums noch nicht dazu in der Lage sind, einen inhaltlich
zusammenhängenden und folgerichtigen Text zu verfassen, liegt vermutlich in der
defizitären Einführung/Umsetzung der Schreibdidaktik und ihrer fehlenden Erfahrung in
Bezug auf die Prozessorientierung des Schreibens. Deshalb schreibt man dabei lediglich
seine Ideen und Erlebnisse zuerst nach einer gedanklich muttersprachlichen
Formulierung im Kopf und dann eine spontane schriftliche Übersetzung ins Deutsche,
ohne Planung oder Orientierung an einen Adressaten bzw. nachfolgender
Überarbeitung. Folglich kann eine thematische Abgrenzung zwischen einzelnen
Textelementen sowie Einleitung, Überleitung, Hauptteil und Schluss in den Texten mit
einer derartigen Herangehensweise nicht zu erwarten sein.
6.2.3.1.3. Textaufbau
Jeder schriftliche Text lässt sich laut Sorrentino (2012, S. 47) aufgrund seiner
besonderen äußeren formalen Textgestalt und inneren Textstruktur beschreiben.
Während äußere Merkmale eines Textes sich aus den Gesichtspunkten wie Schrifttyp,
Gliederungssignalen und bestimmten Darstellungsformen, die zum Textverstehen
beitragen, zusammensetzt, wird unter dem Begriff „Textaufbau“ in Anlehnung an
Oldenburg (1992, S. 63) zwei unterschiedliche Bedeutungen verstanden. Einerseits ist
damit die Textgliederung gemeint, d. h. das Gefüge von semantischen Beziehungen, die
zwischen den einzelnen Sätzen und Absätzen bestehen, und die sich vor allem auf den
inneren Zusammenhang des Textes auswirken. Andererseits wird mit Textaufbau die
155
globale Struktur des Gesamttextes als ein standardisiertes Grundgerüst für die
Textgestaltung verstanden. Demnach lässt sich Textaufbau im Allgemeinen in drei
grundlegende Teiltexte als relativ abgeschlossene und in den Textzusammenhang
eingebettete Einheiten gliedern, die unterschiedliche sprachliche Handlungen
ausdrücken. Grundlegende Teiltexte des Textaufbaus sind Einleitung, Hauptteil und
Schluss. Während die Einleitung zum Thema des Textes führt, enthält der zentrale
Hauptteil die Problem- bzw. Aufgabenbearbeitung. Eine Zusammenfassung der
Erkenntnisse und Ergebnisse wie auch die persönlichen Schlussfolgerungen treten in
der Regel im Schlussteil des Textes auf (vgl. Sorrention: 2012, S. 48f).
Dementsprechend wäre zu erwarten, dass der Aufbau der zehn Schreibproduktionen von
den afghanischen TestDaF-Teilnehmenden wie folgt aussieht: Ausgehend von der
Formulierung einer Einleitung, die zum vorgegebenen Thema „Traumberuf Lehrer“
hinführt, soll der Leser mit dem Thema des Textes bekannt gemacht werden. Nach der
Benennung des Themas kann anhand einer Überleitung der zentrale Teiltext, der
Hauptteil auftreten, in dem obligatorische inhaltliche Vorgaben bearbeitet werden, d. h.
die Beschreibung der zwei vorgelegten Grafiken, Studienanfänger und Absolventen für
das Lehramt an deutschen Hochschulen und Was finden Lehrer an ihrem Beruf
schwierig?. Dazu gibt es eine klare Arbeitsanweisung. Der Hauptteil umfasst außerdem
einen argumentativen Teil und enthält ebenso inhaltliche Vorgaben, die zu beachten
sind. Dabei müssen die Beteiligten gegenüber einer Frage Ist Lehrer noch ein
Traumberuf Stellung nehmen, ihre Meinungen begründen und die Vorteile und
Nachteile des Lehrerberufs diskutieren. Diesbezüglich sollte man auch auf die Situation
in seinem Heimatland eingehen. Mit einem Schluss oder einer Schlussfolgerung lässt
sich letztendlich der Text abrunden. Die eben beschriebene Textstruktur ist nicht als
starr obligatorische, sondern vielmehr als mögliche und erwünschte Einheit zu
betrachten. Diesbezüglich verweisen auch die allgemeinen Erläuterungen von TestDaF
darauf, dass ein Text im Testteil „Schriftlicher Ausdruck“ sich nicht zwingend an der
Reihenfolge der Aufgabenstellung (Grafikbeschreibung, Stellungnahme, Diskussion der
Vor- und Nachteile, Bezug auf das Heimatland) orientieren muss, sondern sollen beim
Aufbau des Textes die einzelnen Teiltexte zueinander und zum Hauptthema in einer
thematischen Kohärenzbeziehung stehen, damit ein roter Faden zum Verstehen des
Textes erkennbar ist. Unter dieser Betrachtungsweise ergeben sich folgende
Erkenntnisse hinsichtlich des Aspekts Textaufbau aus der Analyse der Textprodukte der
afghanischen TestDaF-Teilnehmer.
156
Was die äußeren formalen Textmerkmale angeht, enthalten mehr als die Hälfte der zehn
Texte einen Titel und eine Einleitung, die zum Teil auf ein direktes Abschreiben des
Hinführungstextes verweisen. Da die Texte per Hand verfasst sind, lässt sich außerdem
beobachten, dass die Schreibenden kein Konzeptpapier verwendet haben, weil die
Fehler in der Reinschrift gleich weggestrichten oder neue Wörter beigefügt sind. Es fällt
ebenso auf, dass die Bildung der Absätze eher dekorative Funktion hat als Trennung der
Sinnabschnitten, weil die Texte entweder viele unnötige und falsche Absätze oder gar
keine Absätze enthalten. Die Analyse der globalen Struktur des Gesamttextes, die aus
der Abfolge bestimmter inhaltlich-funktionaler Teiltexte bestehen soll, haben auch
aufgezeigt, dass in den meisten Texten die oben beschriebenen Teiltexte (Einleitung,
Haupt- und Schlussteil) nicht eindeutig nachvollziehbar bzw. vorhanden sind. Um eine
sinnvolle und leserliche Gestaltung von Text zu sichern, sollte ein Text in ausreichend
viele, sinnvoll gegliederte Absätze/Sinnabschnitte unterteilt sein. Aufgrund defizitärer
bzw. fehlender Gliederung, Visualisierung, Überleitung und Absatzsignale, direkten
Instruktion anhand expliziter Erkennungsworte und eindeutigen Bezügen wirken die
verfassten Texte so, als ob sie Pattex-Texte wären. Insgesamt sind die Elemente der
Texte auf Wort-, Satz- und Inhaltsebene nicht sprachlich und inhaltlich klar, folgerichtig
und flüssig aufgebaut. Hierzu fehlt laut Portmann-Tselikas (2001, S.7) den
Schreibenden vor allem eine Textkompetenz, die für einen internen Textzusammenhang
sowie für das situationsangemessene Formulieren verantwortlich ist. Dass die meisten
analysierten Texte über keine eigenständigen bzw. sachlichen Formulierungen der
grundlegenden Teiltexte des Textaufbaus (Einleitung, Hauptteil und Schluss) verfügen,
wird in den unten stehenden Beispielen deutlich.
„Wie wir wissen, an den Deutschen Schulen sind die Lehreren älter als 50 Jahre.
Es ist gut, die lehreren, die älter sind haben genuge Erfahrungen in seiner
Stelle.“ (R7, 1-4)
„Seit einer Zeit wird über „Traumberuf Lehrer?“ diskutiert.“ (T1, 1)
„Zum Schluss möchte ich sagen, dass in Afghanistan keiner lehrer werden
möchte.“ (O8, 54-55)
Also haben fast alle Texte keine der Gesamtidee entsprechende Gliederung, die die
Verfasser durch visuell graphische Mittel, z. B. Absätze oder sprachliche Mittels wie
Bezugswörter, signalisieren konnten. Zur Veranschaulichung dieser Probleme soll
ebenso das folgende Textbeispiel dienen, das eben keine Überschrift und keine
157
Einleitung enthält und dessen Hauptteil eine Kette von einzelnen Angaben der zwei
vorgegebenen Grafiken aufzählt, z. B. Titel, Zahlen, Quellenangaben und Datum:
Aus der Analyse der schriftlichen Leistungen der afghanischen DaF-Absolventen beim
TestDaF wird vor allem ersichtlich, wie die DaF-Studierende an der Universität Kabul,
die bisher weder in ihrer Muttersprache noch in der Fremdsprache Deutsch über
ausreichende Erfahrung mit dem Schreiben eines zusammenhängenden, gegliederten
und argumentativen Textes verfügen, schreiben, wobei es sich auch laut Arras (2006, S.
42) noch um die Überprüfung der schriftlichen Ausdrucksfähigkeit in einem high-
158
stakes-Test handelt, dessen Ergebniss zu hoch bedeutsamen Konsequenzen wie z. B.
Zugang zu deutschen Hochschulen und Studium in Deutschland führt.
6.2.3.2. Behandlung der Aufgabe: Wie wurde die Aufgabe inhaltlich bearbeitet?
Unter dem Kriterium Behandlung der Aufgabe wird vor allem die Ausführlichkeit und
Komplexität, mit der die Aufgabenstellung behandelt wird, erfasst. Die Beurteilung
erfolgt danach, inwieweit die geforderten Schreibhandlungen elaboriert sind und auf die
Punkte der Aufgabenstellung eingegangen wird. Dabei stellt man sich die Frage, wie die
obligatorischen inhaltlichen Vorgaben im zentralen Teiltext bearbeitet wurden und ob
der Text der Aufgabenstellung inhaltlich gerecht wird (vgl. TestDaF-Institut, 2010, S.9).
Demnach werden im Folgenden die wesentlichen Erkenntnisse der schriftlichen
Leistungen von zehn afghanischen TestDaF-Teilnehmenden bezüglich des Aspekts
„Behandlung der Aufgabe“ ermittelt und Mithilfe von Beispielen der Texte verdeutlicht.
6.2.3.2.1. Punkte der Aufgabenstellung
Die in der Aufgabenstellung genannten Leitpunkte sind wie folgt: Beschreibung und
Zusammenfassung zweier Grafiken mit den Überschriften; Studienanfänger und
Absolventen für das Lehramt an deutschen Hochschulen und Was finden Lehrer an
ihrem Beruf schwierig?, Stellungnahme gegenüber der Frage „Ist Lehrer noch ein
Traumberuf?“, Diskussion bezüglich der Vorteile und Nachteile vom Lehrerberuf,
dessen Situation in ihrem Heimatland und Entwicklung der Argumentationen. Unter
Berücksichtigung dieser Vorgaben müssen die Schreibenden ihre Wissenselemente zum
Thema Lehrerberuf ordnen und einen zusammenhängenden Text schreiben, der auf die
übergeordnete Frage „Traumberuf Lehrer?“ ausgerichtet sein sollte. Demnach stehen
die zwei Schreibhandlungen Beschreiben und Argumentieren als Kernelemente des
wissenschaftlichen Schreibens in dieser Aufgabenstellung im Mittelpunkt. Hingegen
handelt es sich in den zehn afghanischen ausgewählten Textprodukten beim TestDaF
weitestgehend um emotionale bzw. individuelle Darstellungen zum Thema
‚Lehrerberuf‘ ohne jegliche Orientierung an der Aufgabenstellung (zwei
Grafikbeschreibungen, Stellungnahme zur Diskussionsfrage, Vor- und Nachteile und
Entwicklung der Argumente). Gerade deshalb beinhalten sie sehr selten sachliche und
159
logische Äußerungen, die begründet werden. Darüber hinaus wurde die
Auseinandersetzung mit Fremdmeinungen und Anwendung der Zusatzinformationen,
die im Hinführungstext als Impuls zum Argumentieren in der Aufgabenstellung
beigefügt waren, aber auch die wichtigen Angaben der zwei Grafiken von den meisten
Testteilnehmenden nicht erkannt oder oft falsch verstanden und wiedergegeben:
„Sicherlich hier kann zu verschiedene Gründe dafür bleiben. Aber die Grundlage
Argument dafür ist, dass fast 70% der Lehrern mit sehr große Klassen und
Schüler haben.“ (M9, 25-28)
„Von kurzem wurde darüber berichtet, dass Traumberuf Lehrer bei der
Studienanfänger und Absolventen funktioniert oder nicht? Bevor ich zu der
Frage Stellung nehme, sollen einige Fakten zu der Entwicklung Aufgezogen
werden.“ (M6, 3-5)
„An diesem Sinne müssen wir beachten und eine Lösung dafür zufinden, dass
wieso die Studienanfänger und Absolven motivieren und unsere Absolventen
für seine Traume Beruf erreichen, für sie das beweisen, um problemlos in
diesem Job zu handeln.“ (H2, 26-31)
Trotz der klaren Anleitung und Arbeitsanweisungen zum Prüfungsteil „Schriftlicher
Ausdruck“ bekommt man mit Blick auf die Aufgabenstellung schon bei dem ersten
Lesen der Texte den Eindruck, dass die Arbeitsanweisungen von den Kandidaten nicht
gründlich gelesen bzw. ernst genommen wurden. Angelehnt an Brinker (1997, S.147)
und Becker-Mrotzek (1997, S.110) ist aus der Analyse der Lernertexte zu entnehmen,
dass das Thema Lehrerberuf und weitere Teilthemen in den Texten der afghanischen
TestDaF-Teilnehmer unter elementarem Rückgriff auf vorhandenes thematisches und
sprachliches Wissen hergestellt wurden. Insgesamt genügen die Lernertexte nicht den
Anforderungen der Aufgabenstellung, denn die vorgegebenen Leitpunkte der
Aufgabenstellung wurden nicht aufgrund der mangelhaften sprachlichen bzw.
kognitiven Fähigkeiten im Umgang mit der Schreibaufgabe, der Bereitstellung von
Inhalten, Probleme im logischen Denken und lückenhaftes Themawissen vollständig
und sachlich bearbeitet.
6.2.3.2.2. Beschreibung der Grafik
Bei der Beschreibung der zwei Grafiken sind alle zehn Teilnehmenden gescheitert,
indem sie in diesem Unterkriterium lediglich das Niveau unter TDN3 erreicht haben.
Während die Grafikbeschreibung beim TestDaF sowohl im schriftlichen als auch im
160
mündlichen Ausdruck zum bedeutendsten Prüfungsstoff gehört, bleibt sie aber in den
DaF-Lehrwerken sowie im DaF-Unterricht deutlich unterbewertet. Dabei wird sie
lediglich auf die mündliche theoretische Vermittlung der Redemittel zur Beschreibung
von Schaubildern, Diagrammen und Statistiken reduziert. In DaF-Lehrwerken treten in
Bezug auf Grafikbeschreibung nur Aufgaben und Situationen auf, bei denen man zur
Entwicklung seines mündlichen Ausdruckes eine Grafik beschreiben soll. Dabei genügt
dann, wenn man nur punktuell angelehnt an den gelernten Redemitteln zur
Grafikbeschreibung erzählt, was man in der Grafik sieht. Dass, was man über die in der
Grafik vorgelegten Angaben meint, wird hingegen selten gefragt oder diskutiert. Die
Gegenüberstellung und Vergleiche zweier Grafiken sind ebenso in DaF-Lehrwerken
wie auch im DaF-Unterricht eine Seltenheit.
Angesichts dieser Situation sind die Ergebnisse der afghanischen TestDaF-
Teilnehmenden bei der Grafikbeschreibung im TestDaF weniger verwunderlich, wo sie
wie gewohnt lehrbuchorientiert lediglich aufzählend verfassten, was sie in den zwei
Grafiken gesehen haben:
„in dieser Grafik kann man sehen, der Zahl der absolventen sind weniger als die
Studienanfänger. In der zweiten Grafik stellt sich die Schwerigkeiten der Lehrer
an ihrem Beruf.“ (R7, 10-13)
„Der erste Grafik ist von Statistischen Bundesamt, wisesbaden 2012. Hier
können wir die Zahlen der Studienanfänger (mit schwarzen Farben) und
Absolventen (graue Farbe) für das Lehramt an deutschen Hochschulen zwischen
Zeit 2000 bis 2010 sehen.“ (S4, 11-12)
„Die Zahl von Studienanfänger wurde von 4000 auf 6000 erhoht, aber und die
Absolventen, die als Lehrkräften arbeiten wollten hat sich von 3000 auf 4000
gesteigen.“ (T1, 8-10)
„In der Grafik wird Studienanfänger mit schwarzen Linie und Absolventen mit
grauen Linie dargestellt.“ (O8, 6-7)
Insgesamt wurden die Angaben und Daten der zwei vorgelegten Grafiken aufzählend
und zum Teil fehlerhaft wiedergegeben, da sie die wesentlichen Informationen der
Grafiken nicht erkannt und nicht präzise zusammengefasst haben. Dabei fällt vor allem
auf, dass kausale Zusammenhänge zwischen den Sachverhalten von den Schreibenden
nicht richtig erfasst und logisch geklärt wurden. Die unten angeführten Textstellen
zeigen die eben erwähnten Probleme auf:
„Absolventen sind weniger als die Studieanfänger. Worauf hängt das ab? Dabei
können folgenden Fakten eine Rolle spielen:
161
- Kein genug Zeit für den Unterricht
- Kein lust, dass etwas neues in der Schule lernen
- Es fählt gute Erziehung bei den Schlern.“ (O8, 11-17)
„An die Grafik, dass sie um das Thema Traumberuf lehrer geht, zeigt uns den
Unterschied zwischen Studienanfänger und Absolventen für das Lehramt an
deutschen Hochschulen zwischen Jahren 2000 bis 2010.“ (M9, 12-16)
„Die Informationen zeigt uns, dass in deutschen Schulen und Hochschulen die
Lehrerkräf älter als 50 Jahre sind. Deshalbt hinweist es, das in der deutschen
Schulen Arbeiten als Lehrer sehr schwierig ist, weil Sie Angst von Ihren Beruf
haben. Allerdings sie gehen schnell in Rente. Aus diesem Grund alle könnte
nicht Lehrer werden.“ (Z3, 3-8)
„Einerseit ist der Zahl der Studienanfänger entwikelt sich von 40000 auf 60000
aber anderseit sehen wir, dass der Zahl der Absolventen wenig erhoht wird. (von
30000 auf 40000) Diese Equalienz zeigt, dass die absolventen wissen, welche
Herausforderung, Schwerigkeiten beim Lehrerberuf gibt.“ (R7, 23-29)
„Hier steht eine Frage: Ob die Lehrern für die Herausforderungen von die
Schülerienen und Schulern verantwortlich sind? Oder sie haben so eine
Kriaktivität?.“ (M6, 14-17)
Obwohl bei der Aufgabenstellung eindeutig vorgegeben wurde, was hinsichtlich der
zwei Grafiken zu erledigen ist: „Beschreiben und vergleichen Sie, wie sich die Zahlen
der Studienanfänger und Absolventen für das Lehramt entwickelt haben und welche
Herausforderungen von Lehrern an Ihren Beruf genannt werden“, wurden die
Kerninformationen der beiden Grafiken nicht entnommen und es wurde nicht auf die
vorgegebenen Leitpunkte bezüglich der Grafikbeschreibung eingegangen. Stattdessen
sind alle zehn Texte in einer subjektiven Auf- bzw. Erzählung eingebettet und somit
entspricht diese Gesamtidee kaum der Aufgabenstellung, die durch den Titel
„Traumberuf Lehrer“ bezeichnet ist.
Die Erkenntnisse aus den Grafikbeschreibungen der afghanischen DaF-Absolventen der
Universität Kabul beim TestDaF zeigen vor allem auf, dass das Verfassen von
Grafikbeschreibungen nicht nur im muttersprachlichen, sondern auch im
fremdsprachlichen Unterricht eine Schreibübung ist, die nicht so sehr im Unterricht
bzw. in Lehrwerken praktiziert wird. Die gelegentlich auftretenden Grafik-
beschreibungen zielen in DaF-Lehrwerken bzw. im DaF-Unterricht nur oberflächlich
auf die Förderung der mündlichen Kompetenz ab und bieten wenig Anlass für
selbständige und kritische Auseinandersetzungen.
162
6.2.3.2.3. Argumentativer Teil
Im argumentativen Teil wurde in einer Diskussionsfrage gefragt: „Ist Lehrer noch ein
Traumberuf?“. Die TestDaF-Teilnehmenden mussten nach Arbeitsanweisungen zu
dieser Leitfrage Stellung nehmen und ihre Meinung begründen. Dabei sollten auch die
Vor- und Nachteile des Lehrerberufs diskutiert und auf die Situation in dem Heimatland
eingegangen werden. Unter Berücksichtigung dieser Aufgabenstellung wird
nachfolgend beschrieben, wie dieser Teil in den zehn Schreibproduktionen der
afghanischen TestDaF-Teilnehmenden bearbeitet wurde.
Laut TestDaF-Angaben geht es bei der Schreibhandlung „Argumentieren“ nicht darum,
dass man nur seine eigene Meinung formuliert, sondern dazu gehören ebenfalls auch
Auseinandersetzung, Stellungnahme und Diskussion über die Vor- und Nachteile einer
Leitfrage wie auch die Darstellung von Fremdmeinungen und der Situation im
Heimatland. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, dass man eigene Standpunkte von
den Meinungen anderer abgrenzt und letztendlich einen diskursiven und
„hochschultauglichen“ Text verfasst. Dem widersprechend sind fast alle Äußerungen
der afghanischen TestDaF-Teilnehmenden in ihren Texten sehr selten begründet und
häufig wurden persönliche Meinungen ohne jegliche Begründung vorgebracht. Dadurch
wurde die Leitfrage „Ist Lehrer noch ein Traumberuf?“ in ihren angeführten
Einstellungen nicht sachlich, sondern sehr subjektiv dargestellt:
„Der Beruf Lehrer finde ich sehr interressant und ich stimme zu, weil ein Lehrer
den Menschen helfen können. den Kindern/Schülern gute Wege für ihre Zukunft
zeigen.“ (M9, 35-39)
„Ich wurde aber gerne als Lehrer zu arbeiten, den für mich Erfahrungen
sammeln. Wissen Entwicklung und anderen helfen ist wichtig.“ (T1, 18-20)
„Aus meiner Meinung ist der Lehrerberuf noch nicht Traum. Sonder es wird in
der Zukunft problematisch.“ (R7, 30-32)
„Angesichts dieser Situation wird darüber diskutiert, ob Lehrer ein Traumberuf
ist? Ich meine Ja. Lehrer ist noch ein Traumberuf.“ (M6, 18-20)
Außerdem ist es deutlich zu erkennen, dass die Argumentationsstruktur der schriftlichen
Leistungen der zehn afghanischen TestDaF-Teilnehmer weitestgehend aus
„moralischem Argumentieren“ (Bayertz/Kompa: 2016, S. 9ff), d. h. aus einem Ruf nach
Gerechtigkeit, besteht. Dabei bezwecken sie, dass die Leser des Textes die
Benachteiligung des Lehrerberufs als ungerecht/unmoralisch empfinden:
163
„Auch sollen wir viel Moglichkeiten für solche Stelle, wie in Ausland
Stipendium vorbreiten, um die neue Lehrern mehr motiviert werden, daneben
müssen wir nicht eine hohrere Herausforderungen an dieser Stelle erwarten“
(H2, 31-36)
„Die Regierung muss auf Lehrer und diesen Beruf beachten. Und zu viele
Möglichkeiten vorzubereiten für die Entwicklung dieses Berufs. (...). Bei uns in
Af gibt es leider nicht zu viele oder gute Einkommen oder Möglichkeiten für den
Lehrern.“ (M9, 31-34 und 45-46)
„Sie haben Respekte in der Gesellschaft. Aber leider bekommen Sie nicht genug
Preise um ihres Leben.“ (R7, 44-46)
„Die Lehrern bilden die armen Teil der Gesellschaft in Afghanistan und sie
sollen viel arbeiten und sich Bemühe geben, damit sie etwas verdienen und
überleben, weil sie sind gezwungen, Lehrer zu werden.“ (O8, 49-52)
Die untenstehenden Textstellen aus den schriftlichen Leistungen der afghanischen
TestDaF-Teilnehmenden zeigen zum einen, wie Vor- und Nachteile des Lehrerberufs
einfach nur aufgezählt und aneinandergereiht sind. Zum anderen machen sie deutlich,
dass die Texte mehr oder weniger dynamisch und mündlich basiert produziert sind. Dies
scheint damit zusammenzuhängen, dass Förderung und Forderung der mündlichen
Kompetenz im afghanischen Bildungssystem nicht nur im schulischen sondern auch im
universitären Bereich, sowohl im muttersprachlichen als auch im fremdsprachlichen
Unterricht im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Außerdem sind die Lernenden
infolge von traditionellem Frontalunterricht und Präsentationen, die in den afghanischen
Schulen und Universitäten immer noch dominante Rolle spielen, mehr mit Ausdrücken
aus dem Verbalbereich vertraut. Folglich sind sie im Umgang mit dem Schreiben bzw.
mit der Produktion eines argumentativen Textes in ihrer Muttersprache sowie in der
Fremdsprache Deutsch sehr unerfahren. Darüber hinaus kommen in DaF-Lehrwerken
und somit im DaF-Unterricht in allen Niveaus oft Aufgaben, Übungen, Situationen, und
Anlässe vor, die extrem einseitig nur nach persönlichen Meinungen der Lerner ein
bestimmtes Thema abfragen und zwar eher mündlich als schriftlich. Sie führen dann
fast immer zu einer persönlichen Pro- oder Kontra-Position und damit zu einem
selbstdarstellenden Text. Demnach wird sehr selten die Versachlichung eines Themas in
den Aufgabenstellungen explizit gefördert und gefordert.
„Wir wissen jeder Sache hat zwei Seite, einmal Vorteil, andersmal Nachteil. Als
Vorteil kann ich sagen, dass in der Lehrerberuf man immer lernt und erlernt.
Aber als Nachteil kann ich sagen, dass in der Lehrerberuf, mann muss sich viel
bemühen die Schwerigkeiten einfach zu probieren, damit er Traumberuf zu
erhalten.“ (R7, 33-41)
164
„Ich mochte gern darauf betonen, dass Jeder Phänomen hat ihre Vorteile und
Nachteile. Follgende will ich aller Vorteile des Lehrerberufs zusammenfassen
* Gute Erziehung der Schülern und Schülerinen
* Ere Beruf
* Gute Prestige in der Gesellschaft.
*
Dagegen möchte ich auch Nachteile diese Beruf auflisten.
* Keine genug Zeit für Familie und Freizeit
* Schneller Alt werden
* Viel Arbeiten
* Sich viel bemühen usw“. (O8, 32-45)
„Also sollen wir die Vorteile von diesem Job, wie gute Gehalt, Stipedium usw
für die Lehrern informieren und über die Nachteil die im Zukunft unserem
Heimatland dazu begegnet. Z.B. in einem Land dass keine expert Lehrer sind,
bekommen viele Schwierigkeiten wie Krieg, Schlechte wertschaft.“ (H2, 36-42)
Ebenso wurde die Darstellung des heimatbezogenen Situationsvergleiches nicht als
Beispiel und Beleg für oder gegen eine Ansicht oder eine Aussage verstanden, indem
nur kurz am Ende der Texte darauf hingewiesen wird:
„Das Gehalt für Lehrerstelle ist auch sehr wenig in Afghanistan. Vielleicht die
Lehrerinen, die in ungesichrete Provinzen arbeiten bekommen ein gutes Gehalt,
aber überall in Kabul die Hauptstadt ist im großen Unterschied.“ (Z5. 63-68)
„In unserem Heimatland wenn Jemand als Lehrer Arbeiten wollen, Sie kann
nach Absolvent von Schule Lehrer werden.Zumschluss will ich sagen, dass
Lehrer in Deutschland und meinem Heimatland sind ganz anders.“ (Z3, 29-33)
„Sie haben immer noch finanzielle Probleme. Aus diesem Grund ist der
Lehrerberuf in unsere Gesellschaft nicht nur Traumberuf sonder bemühbar ist.“
(R7, 47-50)
„In unserem heimatland haben nur ist ganz anders, sie träumen nicht aber sie
arbeiten als Lehrer, weil hier keine Arbeit mehr gebt.“ (M6, 34-37)
„Als Zusammenfassung mochte ich gerne sagen ein Lehrer/ Lehrerin ist als
unser zweiter Vater oder Mutter. Und Schule ist unser zweiter Platz nach dem
Familie für Erziehung.“ (M9, 40-44)
Aus oben angeführten Textbeispielen ist in Anlehnung an Sorrentino (2012, S. 124f)
noch eine weitere Tendenz bei afghanischen Lernenden zu erkennen: die Nutzung von
Verben in der ersten Person Singular bzw. Plural, das Possessivum unsere,
Verallgemeinerungen, die Temporal- und Lokaladverben „hier“, „überall“ und
„heutzutage“ sowie der Hinweis auf die allgemeingültigen und massiv
heimatgebundenen Erfahrungen und Fakten, wovon fast alle Afghanen betroffen sind.
165
Daraus ergibt sich, dass sich die afghanischen TestDaF-Teilnehmenden beim Schreiben
lediglich nur mit ihrem momentanen Heimatland identifiziert haben und deswegen nur
den afghanischen Adressaten bzw. ihre afghanische Lehrperson und deren Ein- und
Vorstellungen, Erwartungen und Wissen in Blick nahmen. In diesem Sinne können die
von ihnen verfassten Texte erfahrungsgemäß insbesondere von Lesern, die aus dieser
Kultur- und Sprachengemeinschaft kommen, besser nachvollzogen bzw. verstanden
werden. Insgesamt ist keiner ganz und voll auf die vorgegebenen Leitpunkte
hinsichtlich des Aspekts „Argumentativer Teil“ eingegangen und hat das Thema „Ist
Lehrer noch ein Traumberuf?“ sachlich und diskursiv so geschrieben, dass sich der
Adressat ein Bild von der Versachlichung des Problems in Bezug auf den möglichen
Lehrermangel in der Zukunft und die damit verbundenen Begründungen hätte machen
können. Dieser Aspekt mag mit der meist mangelhaften und nicht adressatorientierten
Schreibdidaktik und Textstruktur im afghanischen Bildungssystem einhergehen, auf die
schon in den vorigen Kapiteln eingegangen wurde.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die meisten afghanischen DaF-
Studierenden an der Universität Kabul bis zum Ende ihres Deutschstudiums von der
anfänglichen narrativen Schreibkompetenz sich nicht weiterentwickeln können. Laut
Portmann-Tselikas (2001) wird die allmähliche Entstehung von Schreibkompetenz im
narrativen, deklarativen und argumentierenden Schreiben auch als Textkompetenz-
erwerb bezeichnet. Um diese Textkompetenz zu erwerben, ist hier eine radikale
Verbesserung bzw. Veränderung der Lerninhalte und -strategien in DaF-Lehrwerken
und vor allem das Verankern der Entwicklung von der Kompetenz „Schreiben“ als
eigenständiges Lernziel im DaF-Unterricht in Kabul dringend notwendig.
6.2.3.3. Sprachliche Realisierung: Welche sprachlichen Mittel weist der Text auf?
Dieser Analyseaspekt befasst sich mit den Sprachkenntnissen, die die Grundlage für die
Herstellung eines Textes bilden. Cooper (1988, S.163f) ist der Meinung, dass man das
Schreiben als Kunst betrachten kann, weil aus einzelnen Wörtern grammatisch korrekte
Sätze, aus einzelnen Sätzen logische und zusammenhängende Absätze und aus
einzelnen Absätzen noch längere Sinnabschnitte gemacht wird. In diesem Sinne gelten
die sprachlichen Einheiten als Werkzeuge für diese Kunst, die die Vor- und
Einstellungen der Schreibenden in Form eines Textes überhaupt realisieren lassen. Nach
TestDaF-Angaben ist es nicht zu erwarten, dass man beim „Schriftlichen Ausdruck“ im
166
TestDaF einen grammatisch und orthografisch perfekten Text schreibt. Vielmehr wird
zur Bewertung der Texte auf das Maß an Kohäsion und Ausdrucksfähigkeit sowie die
Breite und Angemessenheit der verwendeten Sprachmittel geachtet. Dabei geht es nicht
nur um „richtig/falsch“, sondern vielmehr um „angemessen/unangemessen“, weil es laut
Sandig (1973) „den richtigen Sprachgebrauch“ nicht gibt. Mit dem angemessenen
Gebrauch von Sprache wird vor allem die Verwendung sprachlicher Mittel verstanden,
die für Texte nicht nur auf lexikalischer, sondern auch auf grammatischer Ebene als
domänenspezifisch üblich gelten. Deshalb ist bei der Textauswertung nicht nur die
sprachsystematische Korrektheit der Sprachmittel, sondern vielmehr ihre funktionale
Angemessenheit, d. h. ob sie an der gewählten Stelle ihre Funktion erfüllen, relevant
(vgl. Nussbaumer: 1991, S. 13). In diesem Zusammenhang verfügen erfahrene
Schreiber in der Regel über ein pragmatisch entwickeltes intuitives Wissen, das es ihnen
ermöglicht, sich in der jeweiligen Textformen inhaltlich und sprachlich angemessen zu
äußern (vgl. Feilke: 1994, S. 361f). Unter dieser Betrachtung werden im Folgenden die
zehn schriftlichen Leistungen der afghanischen TestDaF-Teilnehmenden in Anbetracht
der drei TestDaF-Unterpunkte hinsichtlich des Aspekts „Sprachliche Realisierung“
(Sprachliche Mittel, Wortschatz und Korrekheit) beschrieben.
6.2.3.3.1. Sprachliche Mittel: Kohäsion und syntaktische Strukturen
Die Analyse der sprachliche Mittel der schriftlichen Leistungen von den afghanischen
TestDaF-Teilnehmenden befasst sich vor allem mit der Beschreibung der eingesetzten
sprachlichen und ggf. nichtsprachlichen Mittel, mit deren Hilfe das Schreibthema
formuliert und konstruiert wird. Damit der Text verständlich, nachvollziehbar und
eindeutig wird, lassen sich in der Fremdsprache Deutsch spezifische
Verknüpfungsmittel einsetzen, die dem Leser sprachliche und thematische
Zusammenhänge zwischen den Sätzen verdeutlichen (vgl. Dressler: 1983, S. 53).
Dagegen enthalten fast alle zehn Texte der afghanischen TestDaF-Teilnehmenden
entweder zum Großteil nur einen parataktischen Satzbau, elementares Vokabular und
Konnektoren:
„Arbeiten als Lehrer hat auch Vorteile z.B. man erreicht sein Ziel und bekommt
viel Respekt in der Gesellschaft. Auch Nachteile man hat viel zu tun, aber
bekommt winiger Geld als die anderen Arbeiten.“ (M6, 28-33)
167
„Als Lehrer Arbeiten ist sehr gut und man verdient viel Einkommen und auch
man kann von alle Rente Versicherung verwenden. Das war Vorteile von Lehrer
aber als Nachteile könnte ich sagen, dass als Lehrer in deutschen Schulen und
Hochschulen sehr schwierig ist.“ (Z3, 22-26)
„Ist der Beruf Lehrer echt ein Traumberufß Ist Lehrerberuf überhaupt noch
attraktiv? Seit einiger Zeit wird über solche Frage in Deutschland diskutiert.
Diese Fragen sind steßvolle Fragen für die Deutschen. Weil die meisten der
Junge leute haben leider keine mehr Interesse am Beruf Lehrer zu werden. Und
die meisten Lehrer an deutschen Schulen sind älter als 50 Jahre“. (M9, 2-9)
Mitunter sind die Sätze in den Texten gar nicht miteinander verbunden, indem in den
meisten Fällen Wörter bzw. Nebensätze verschiedener Art so aneinandergereiht wurden,
dass sie oft zur falschen Wortstellungen bzw. Verwirrungen führten.
„Aber als Nachteil kann ich sagen, dass in der Lehrerberuf, mann muss sich viel
bemühen, die Schwierigkeiten einfach zu probieren, damit er Traumberuf zu
erhalten.“ (R7, 37-41)
„Wer als Lehrer Berufstätig ist, kann gut verdienen? Kann man als eine Grund
für Jenigen, die sich für Lehramt nicht entscheiden, sagen. Zusammengefasst
lässt sich sagen, dass ob Lehrer noch ein Traumberuf ist?“ (O8, 22-26)
„Die einfachste Problem bei den Lehrern, kritische Eltern sind, dass die Lehrer
vielleicht einbisschen leichter umgehen können, aber dagegen die viel Zahl den
Studenten in einer Klasse nach Prozent, die 70% Prozent wird, sind am großten
Problemen. Damit die Lehrern könnten nicht ein große Zahl des Student
kontrolieren und diese Situationen hindern die Lehrern in seinem Traum Beruf
mehr bleiben.“ (H2, 18-26)
Die Tendenz zur Erzeugung komplexerer Sätzen ergibt sich vermütlich aus dem
Einfluss kulturspezifischer stilistischer Merkmale des afghanischen schriftlichen
Schreibstils, der zum Erzielen stilistischer bzw. attraktiver Texte Komplexität vs.
Einfachheit und Abstraktion vs. Präsizion favorisiert, sodass in einem Dari-Text ein
Satz aus mehreren Satzteilen und Wortgruppen bestehen kann. Es ist auch wichtig zu
beachten, dass in den meisten Texten der afghanischen TestDaF-Teilnehmenden
Aussagen formuliert und verwendet wurden, die jedoch auf keine sprachlichen vor
allem kausalen und semantischen Beziehungen verweisen:
„Die Informationen zeigt uns, dass in deutschen Schulen und Hochschulen die
Lehrerkräft älter als 50 Jahre sind. Deshalb hinweist es in der deutschen Schulen
Arbeiten als Lehrer sehr schwierig ist, weil Sie Angst von Ihren Beruf haben.
Allerdings sie gehen schnell in Rente. Aus diesem Gründ alle könnte nicht
Lehrer werden.“ (Z3, 3-8)
168
„Wie die Grafik zeigt, die Zahl der Studienanfänger im Vergleich der Zahl von
der Absolventen zugenommen hat, wird klar, dass die Lehrer Stelle ein Traum
Beruf für neue Generation ist.“ (H2, 4-7)
Die Sätze mit den Modalverben treten in den Texten am häufigsten auf. Typisch ist
zudem die Anwendung der im Unterricht eingeübten Redemittel und Floskeln zur
Meinungsäußerung und Grafikbeschreibung z. B.: „Darüber hinaus soll berücksichtigt
werden“, „zum Schluss mochte ich sagen“, „In dieser Grafik kann man sehen“ und
„Zusammenfassend konnte man sagen“. Außerdem wurden die restlichen eingesetzten
Verben meist in der ersten Person Singular und Plural angewendet, obwohl in Texten
aus dem wissenschaftlichen Bereich die Pronomen „Ich“ und „Wir“ bevorzugt weniger
verwendet werden sollen:
„Wenn wir über die Vorteile und Nachteile des Lehrerberufs diskutieren,
können wir sagen, dass jedes Beruf hat ihre Vorteile und Nachteile sowohl
Lehrerberuf. Aber meiner Meinung nach die Nachteile des Lehrerberufs sind
mehr.“ (S4, 44-50)
„Bevor ich zu der Frage Stellung nehme“ (M6, 6)
„In diesen zwei Grafiken sehen wir, ob Lehrerberuf noch ein Traumberuf ist.
(S4, 7-8). (...). Wenn wir sehen.“ (S4, 17)
„Wie wir wissen, an den deutschen Schule sind die Lehrern älter als 50 Jahre.“
(R7, 2-3)
Um eine objektive und sachliche Darstellungshaltung und eine unmittelbare
Fokussierung auf die Fakten zu ermöglichen, kann oft das Passiv als Genus verbi zum
Einsatz kommen (vgl. Kasiser: 2002, S. 197ff). Hingegen ist in den schriftlichen
Leistungen der afghanischen TestDaF-Teilnehmenden der explizite Einsatz von Passiv
nur eine Seltenheit. Außerdem der Einsatz verschiedener Spracheinheiten sowie
Konjunktionen bzw. Konnektoren, die dem Leser sprachliche und inhaltlische
Zusammenhänge zwischen den Textteilen verdeutlichen, sind in den vorliegenden
Texten so gering und elementar, dass der innere Zusammenhang des Textes bzw.
semantische und sprachliche Relationen zwischen den einzelnen Sätzen und Absäzen
durchaus beeinträchtigt werden. Neben elementarer Syntax und einfache Satzformen
zeigen sich auch völlig absurde bzw. nicht differenzierte Sinnabschnitten und
Satzzeichnungen, die die Texte sehr unanschaulich machten.
Aus eben Erläutertem lässt sich schließen, dass in den zehn schriftlichen Leistungen der
afghanischen TestDaF-Teilnehmenden bezüglich des Aspekts „Sprachliche Mittel“
Substantive, Verben, Verknüpfungsmittel und Ausdrücke eingesetzt wurden, die bei der
169
Realisierung bzw. Bewältigung von Anforderungen der Schreibhandlungen
(Beschreiben und Argumentieren) als unangemessen und unüblich gelten. Dass den
afghanischen DaF-Studierenden typisch schriftsprachliche Ausdrucksweisen und
strukturbildende Elemente fast fremd sind, könnte damit zusammenhängen, dass es in
Afghanistan die verbreitete Fehlauffassung über das Schreiben gibt, die sagt, „Schreiben
sei im Grundsatz nichts anderes als das Fixieren des Gesprochenen oder Gedachten“
(Feilke:1995, S. 72). Deswegen sollte im DaF-Unterricht in Kabul einerseits gezielt
durch praktische und authenitische Übungen behandelt werden, dass gesprochene und
geschriebene Sprache zwei unterschiedliche mediale Verfahren sind, wie Worte erzeugt
und rezipiert werden (vgl. Schneider: 2011). Andererseits sollten die Studierende als ein
wichtiges Ziel des DaF-Unterichts zum situationsangemessenen Kommunizieren
angeleitet werden. Hierzu müssen insbesondere die Unterschiede zwischen unzähligen
Schreibdomänen in den DaF-Lehrwerken und im DaF-Unterricht thematisiert werden, z.
B. zweckgebundenes Schreiben für Alltagskommunikation, Schreiben als berufliche
Tätigkeit (Zeitungsartikel, Fachaufsatz), Schreiben als Kunstform (Roman, Gedicht),
Schreiben für die Vermittlung von Information (Bericht, Aufsatz) und vor allem
Schreiben für das Studium.
6.2.3.3.2. Wortschatz
Dieser Untersuchungsaspekt befasst sich mit der Frage nach Art, Umfang und
Genauigkeit der lexikalischen Elemente, die die zehn afghanischen TestDaF-
Teilnehmenden in ihren Texten im Prüfungsteil „Schriftlicher Ausdruck“ eingesetzt
haben. Obwohl die Schriftsprache und insbesondere das Schreiben auf einem
akademischen Niveau einen anderen Wortschatz, andere Syntax und einen in der Regel
höheren Formalitätsgrad aufweist, geht aber aus der Analyse der schriftlichen
Leistungen der afghanischen TestDaF-Teilnehmenden hervor, dass sie sich oft auf
elementares Grundvokabular, die ihnen in der anfänglichen Lernphase des
Deutschlernens im DaF-Unterricht beigebracht wurden wie z. B. „denn“, „aber“, „und“,
„Leute“, „es gibt“, „denken“, „meinen“, „machen“, „sagen“, „möchten“, „können“,
„müssen“, „leider“ und „also“ beschränkt haben. Außerdem stützen sie sich beim
Schreiben in deutscher Sprache stark auf die einstudierten und eingeübten Mustersätze
bzw. Redemittel wie „Nach meiner Meinung“, „Am Ende kann man zusammenfassen“,
„Bevor ich zu der Frage Stellung nehme“, „Angesichts dieser Situation wird darüber
170
diskutiert“, „der erste Grund besteht darin“, „Ich würde gern darauf betonen“, „Wie die
Grafik uns zeigt“ und „Ich mochte sagen“. Das gehäufte Auftreten von Redemitteln in
ihren Äußerungen macht deutlich, dass sie an ihren Lehrbüchern bzw. ihren vertrauten
Äußerungen, die sich eher für die persönlich-mündliche Erzählweise eignen, fixiert sind
und angelehnt daran einen Text verfassen. Darüber hinaus gibt es in den Texten
auffallend unzählige Normfehler, die deutlich auf stilistische bzw. situativ
unangemessene Aussagen verweisen, z. B. bei der Lexik und der Grammatik treten
mehrheitlich sprachliche Elemente aus dem Verbalbereich auf:
„In diesen zwei Grafiken sehen wir, (...). Der erste Grafik ist von statistischen
Bundesamt, Wisesbaden 2012. Hier können wir die Zahlen der Studienanfänger
(mit schwarzen Farben) und Absolventen (graue Farbe) für das Lehramt an
deutschen Hochschulen zwischen Zeit 2000 bis 2010 sehen. Wenn wir sehen die
Zahl der Anfänger in 2000 ist 40000“ (S.4, 7-18).
In diesem Zusammenhang führt Eßer (2003, S.292) an, dass bei der Vermittlung der
Grammatik insbesondere des Wortschatzes der Unterschied zwischen mündlicher und
schriftlicher Kommunikation beachtet werden muss, der nicht allein im Fehlen von
Gestik und Mimik und dem gemeinsamen zeitlichen und örtlichen Bezugsrahmen liegt.
Zusammengefasst enthalten alle zehn Texte keine Merkmale einer hochschultauglichen
Beschreibung und Argumentaion, da der Einsatz von Verben, Adjektiven, Adverbien,
Vergleichs- und Argumentationssätze sehr niedrig und die Äußerungen nicht treffend
bzw. präzise formuliert sind. In diesem Zusammenhang stellt Börner (1995, S. 247) zu
Recht fest, dass Defizite im Bereich der Lexik am häufigsten den Schreiber beim
Schreiben in einer Fremdsprache behindern, denn Wortschatze als ein zentrales Element
jeder Sprache stellt erst Ausdrucksmöglichkeiten bereit. Der geringe Wortschatz von
afghanischen DaF-Studiernden ist allerdings ein Aspekt, bei dem ein dringender
Erklärungs- bzw. Forschungsbedarf besteht, weil bei der Frage nach den subjektiven
Einschätzungen der interviewten DaF-Studierende an der Universität Kabul mehrmals
von ihnen geäußert wurde, dass es ihnen beim Schreiben in der Fremdsprache Deutsch
der Aspekt Wortschatz; ihr eingeschränkter Vokabular am meisten Probleme bzw.
Sorgen bereitet.
6.2.3.3.3. Korrektheit
Beim Aspekt Korrektheit wird nach Angaben des TestDaF vor allem der Blick auf die
Anzahl der morphosyntaktischen, lexikalischen und orthografischen Fehler, die in den
171
Texten aufgetreten sind, gerichtet. In der Anleitung zum Testteil „Schriftlicher
Ausdruck“ beim TestDaF wird klar darauf hingewiesen, dass bei der Bewertung der
schriftlichen Leistung die Verständlichkeit des Textes wichtiger als die sprachliche
Korrektheit ist, da laut Kranert (2013, S.2) alle Sprachenbenutzer auch Muttersprachler
gelegentlich von den sprachlichen Normen abweichen und somit Fehler machen. Dabei
wird mit dem Begriff „Fehler“ eher Systemfehler gemeint, die immer falsch sind und
gegen die Normen des lexikogrammatischen Systems verstoßen.
In den Texten der zehn afghanischen TestDaF-Teilnehmenden treten so viele
grammatische und lexikalische Fehler auf, dass die Verständlichkeit der Texte
durchgehend erschwert wird. Obwohl wie oben beschrieben, ein Großteil der
Studierenden beim Schreiben auf Grundwortschatz und Grundgrammatik zurück-
gegriffen haben, die sie kannten, enthalten aber ihre Texte so viele sprachlichen Fehler,
dass alle zehn von ihnen auf der Ebene Korrektheit gescheitert sind. Demnach wurden
neun Personnen von zehn Beteiligten dem Niveau unter TDN3 eingestuft und nur eine
Person erreichte das Niveau TDN3.
In den folgenden Textbeispielen werden einige Verstöße der afghanischen TestDaF-
Teilnehmenden gegen sprachliche Regeln der deutschen Fremdsprache angelehnt an
Korrekturzeichen für Fehler von Kleppin (2003, S.144) aufgezeigt:
Falscher syntaktischer oder semantischer Bezug, z. B.: „Die Informationen zeigt
uns.“ (Z3, 3), „Deshalb hinweist es in der deutschen Schulen Arbeiten als Lehrer sehr
schwierig ist, weil Sie Angst von Ihren Beruf haben.“ (Z3, 5-6), „In unserem heimatland
haben nur ist ganz anders , ob Sie träumen nicht aber Sie arbeiten als Lehrer, weil hier
keine Arbeit mehr gebt.“ (M6, 34-37)
Verwendung des falschen Genus, z. B.: „Der zweite Grunde besteht darin, dass jeder
seine eigene Ziel hat. Die Ziel dieser Personen ist das, der Geselschaft zu
alfabetisieren.“ (M6, 24-27), „Aber die Interesse der Schüler am Unterricht kann mehr
als 50% Schwierigkeiten für Lehrern kriegen.“ (S4, 41-43)
Falscher Kasus z. B.: „40% der Lehrer haben Problem mit kritische Eltern“ (T4, 13),
„nach eine lange Zeite konnten Lehrer werden.“ (Z3, 27-28), „Sie haben mangelnde
Erziehung bei der Schülern.“ (R7, 21-22), „Die Lehrern bilden die armen Teil der
Gesellschaft in Afghanistan“ (O8, 49-50)
172
Verwendung der falschen Konjunktion, z. B.: „Obwohl die kritische Eltern zeigt uns
eine gleiche Prozent der der Schwierigkeit, die Lehrern haben. Aber die Interesse der
Schüler am Unterricht kann mehr als 50% Schwierigkeiten für Lehrern kriegen.“ (S4,
38-43), „Aus diesem Grund ist der Lehrer beruf in unsere Geselschaft nicht nur
Traumberuf sonder bemühbar ist.“ (R7, 48-50)
morphologischer Fehler, nicht existierende Formen von Verben, Adjektiven und
Substantiven, z. B.: „Die Lehreren können nicht in allen Seiten der Klassen laufen um
die Schüleren zusammen zu bringen.“ (R7, 18-20), „Welche Verlangungen bei den
Lehreren gibt“ (O8, 20), „oder sie haben so eine Kriaktivität?“ (M6, 16-17), „Es fählt
gute Erziehung bei den Schlern.“ (O8, 17)
Verwendung der falschen Präposition, z. B.: „Beim Lehrerkräft begegnet man mit
viele schwierige Problem im läuft der Arbeit“ (Z3, 20-21), „Ich mochte darüber
hinweisen“ (O8, 27), „An der andere Grafik gibt es die Antwort für diese Frage“ (M9,
23-24), „Die Minderheit beschweren sich von kritischen Eltern.“ (F10, 28-29), „ Aus
der Grafik wird klar dargestellt“ (Z5, 38)
Falsche Rechtschreibung, z. B.: „50% der sind nicht mit Unterricht Zeit
Einverstanden.“ (T4, 14), „Zusammenfassend konnte man sagen, ohne Lehrer ein
Geselschaft entwecklt sich nicht.“ (H2, 43-44), „Bevor ich zu der Frage Stellung nehme,
sollen einige Fakten zu der Entwicklung Aufgezogen werden.“ (M6, 6-8)
Satzbau: unverständlicher Satz wegen mehrerer gleichzeitig auftauchender Fehler,
z. B.: „Sicherlich hier kann zu verschiedene Gründe dafür bleiben.“ (M9, 25-26), „ Also
sollen wir die Vorteile von diesem Job, wie gute Gehalt, Stipendum Usw für die
Lehrern Informieren und über die Nachteil die im Zukunft unserm Heimatland dazu
begegnet brichten.“ (H2, 36-40)
Satzstellung: falsche Wort- oder Satzgliedstellung, z. B.: „Bei dieser Entscheidung
die Erfahrung aus meinem Heimatland spielt ein große Rolle.“ (T4, 22-23), „Als ein
ausgebildeter Mensch, jeder hat ein Traumberuf“ (Z5, 1), „Auch Nachteile man hat viel
zu tun, aber bekommt winiger Geld als die anderen Arbeiten.“ (M6, 30-33)
Falsche Wortwahl, z. B.: „Hier stellt diese Frage dar.“ (T4, 3), „Die Regierung muss
auf lehrer und diesen Beruf beachten.“ (M9, 31-32), „Aber leider bekommen Sie nicht
genuge Preise um ihres Leben.“ (R7, 45-46), „Wenn die Lehrer Tag für Tag oder Jahr
173
für Jahr mehr produziert wird, warum wir von zukünftige Lehrer Mangel befürchten?“
(H2, 8-10)
Falsche oder fehlende Zeichensetzung, z. B.: „Wenn diese Lehrer in Rente gehen. Ob
Jungen Absolventen interessiert sich daran als Lehrerkräfte zu arbeietn?“ (T4, 3-5),
„Nachteile sind wie z.B. man soll viel Geduld haben, viel kreativ denken, mit
verschiedenen Typen der Schülern umgehen soll ..... ☺“ (Z5, 55-58), „Heutezutage sind
wir mit dem Thema „Lehrer Kräfte“ in den Schulen sehr viel begegnet!“ (S4, 1-2),
„Dagegen mochte ich auch Nachteile dieses Beruf auflisten.
* Keine genug Zeit für Familie und Freizeit
* Schneller Alt werden
* Viel Arbeiten
* Sich viel bemühen usw“. (O8, 32-45)
Die obigen Fehler zeigen eine deutliche Abweichung von der geltenden linguistischen
Norm der deutschen Sprache. Diese hätten von DaF-Lernenden, die vier Jahre lang
Deutsch studiert haben, korrekt ausgeführt werden können, da diese grundlegenden
rechtschreiblichen und grammatikalischen Regeln schon zu Beginn des Grundstufen-
sprachkurses und später in höheren Niveaus in allen DaF-Lehrwerken und somit auch im
DaF-Unterricht an der Universität Kabul Lehrwerksinhalt und Lernstoffe waren. Diese
Fehlleistungen lassen sich vermutlich dadurch erklären, dass Studierende sprachlich zu
unsicher und beim Schreiben in der Fremdsprache Deutsch überfordert waren, um sich
auf korrekte und präsize Anwendung der sprachlichen Regeln zu konzentrieren.
6.2.4. Zusammenfassende Bemerkungen
Es wird hier nicht der Anspruch erhoben, ein allgemeingültiges Gesamtbild der
charakteristischen Merkmale der Textproduktionen afghanischen DaF-Studierenden zu
liefern; dennoch lässt sich insgesamt aus der Analyse der zehn schriftlichen Leistungen
der afghanischen TestDaF-Teilnehmenden in Bezug auf drei TestDaF-Bewertungs-
kriterien (Gesamteindruck, Behandlung der Aufgabe und sprachliche Realisierung) sehr
ähnliche Defizite in den unterschiedlichen Ebenen ihrer Schreibproduktionen sowie
textuelle, inhaltliche und sprachliche wie folgt erkennen:
Alle zehn Texte sind in Form einer persönlichen Darstellung und individuellen
Stellungnahme formuliert, indem sehr gering und vor allem implizit auf die Punkte der
174
Aufgabenstellung eingegangen wurde. Sie verfassten zum Thema Lehrerberuf ohne
Planung und Orientierung an Arbeitsanweisungen, nicht sach- bzw. leserorientiert ihre
subjektiven Empfindungen und Empfehlungen, als ob ihnen die kritische und objektive
Auseinandersetzung mit der Funktion und Intension des Textes fremd wäre. Dies
könnte aber mit den sprachübergreifenden bzw. kulturspezifischen Gegebenheiten
zusammenhängen, wobei in der afghanischen Kultur oft im Umgang mit dem
Argumentieren die Meinungen und Behauptungen mehr als Fakten und Belege zum
Ausdruck gebracht werden. Insgesamt wirken die Texte durch typisch mündliche
syntaktische Konstruktionen, unüblichen und inkorrekten Sprachgebrauch bei der
Grafikbeschreibung und dem Argumentieren beim Lesen sehr unangemessen. Neben
den Abweichungen von den gültigen domänenspezifischen Normen sieht man in den
Texten der afghanischen TestDaF-Teilnehmenden, dass sie ohne Anlehnung an ein
Textmuster und Ausdruckmöglichkeiten, die ihnen aus dem DaF-Lehrwerk bekannt
sind, nicht auskommen konnten. Außerdem springen Fehlleistungen im Bereich
Rechtschreibung und Grammatik sowie auch der Verzicht auf konventionelle
Satzzeichen und eine Absatzbildung auf dem ersten Blick so deutlich ins Auge, dass die
Texte nicht als eine zusammenhängende, selbstständige, sachliche und diskursive
Textproduktion im üblichen Sinne bezeichnet werden können. Generell haben alle zehn
afghanischen TestDaF-Teilnehmenden die Grundfunktion der erstellten Schreibaufgabe
im Prüfungsteil „Schriftlicher Ausdruck“, d. h. die Herstellung eines argumentativen
bzw. hochschultauglichen Textes nicht erfüllt, indem sie nur Sätze recht willkürlich
aneinandergereiht und ihre Äußerungen erlebnisorientiert und egozentrisch formuliert
haben, da die eigenen Perspektive leichter zugänglich sind. Dabei haben insbesondere
die Lese- und Sachorientierung, die sprachlichen und semantischen Zusammenhänge
bzw. die notwendige Erläuterung der Zusammenhänge gefehlt.
Daraus ergibt sich, dass die DaF-Studierenden an der Universität Kabul, deren
Schreibkompetenz sowohl in Deutsch als Fremdsprache, als auch in ihrer Muttersprache
immer noch entwicklungsbedürftig ist, nicht fortgeschritten genug sind, um komplexe
Schreibaufgaben beim TestDaF zu lösen. Auch beim Abschluss ihres Deutschstudiums
werden die meisten von ihnen wegen begrenzter Sprachbeherrschung in Deutsch als
Fremdsprache und infolge geringerer Schreibkompetenz in ihrer Muttersprache und in
der Fremdsprache Deutsch nicht in der Lage sein, sich angemessen zu äußern, vor allem
wenn es sich dabei um eine Schreibproduktion auf akademischem Niveau handelt.
Diese gewonnenen Erkenntnisse bestätigen die anfängliche Annahme dieser Arbeit, die
175
aus einer defizitären bzw. fehlenden schulischen und universitären Schreibpraxis im
muttersprachlichen und fremdsprachlichen Unterricht an einer nicht schriftbasierten
Gesellschaft in Afghanistan ausging.
6.2.5. Didaktische Überlegungen für die Vorbereitung auf den TestDaF in Kabul
Ausgehend von den Befunden der Analyse schriftlicher Leistungen der afghanischen
TestDaF-Teilnehmenden sollen zum Schluss praktische Konsequenzen für die
Vorbereitung auf die Prüfung TestDaF afghanischer DaF-Studierender an der
Universität Kabul gezogen werden. Dabei wird sich insbesondere auf den Prüfungsteil
„Schriftlicher Ausdruck“ bezogen, da zum einen das Schreiben das Hauptanliegen
dieser Arbeit ist und es als ein maßgeblicher Indikator für den Grad der
Sprachbeherrschung gilt. Zum anderen stoßen die afghanischen DaF-Studierenden laut
Erfahrungen und Ergebnissen der bisherigen TestDaF-Resultate insbesondere beim
Schreiben als die schwerste der vier fremdsprachlichen Fertigkeiten (Hören, Lesen,
Sprechen und Schreiben) auf Fehler und Probleme.
Die in dieser Arbeit aufgezeigten Sprach- bzw. Schreibschwächen der afghanischen
DaF-Studierenden bei der Prüfung TestDaF sollen jedoch in Anbetracht der schon
dargestellten Bildungsrealität sowie auch des DaF-Unterrichts in Afghanistan weniger
als ein persönliches intellektuelles Versagen angesehen werden, denn die wesentliche
Ursache ihrer Schreibprobleme mag vor allem darin liegen, dass sie wenig Verständnis
angesichts der Anforderungen erfolgreicher schriftlicher Kommunikation aufbringen. In
diesem Sinne können die folgenden Handlungsempfehlungen im Kontext der Prüfung
TestDaF einen großen Beitrag zur Behebung des Problems leisten, dass die DaF-
Studierenden während ihres Deutschstudiums an der Universität Kabul wenig auf die
Schreibanforderungen vorbereitet werden.
6.2.5.1. Entwicklung eines spezifischen Kursangebotes
Wie schon mehrmals angedeutet, kann man nicht viel vom bisherigen DaF-Unterricht
an der Universität Kabul erwarten, dass die DaF-Studierenden den schriftlichen
Reifegrad, d. h. Zusammenfassen von Informationen aus einer Vorlage, Paraphrasieren
und Diskussion unterschiedlicher Meinungen, Darstellung des eigenen Standpunktes
176
und begründetes Argumentieren erreichen. Durch die Vermittlung einiger immer aufs
Neue wiederholten Textformen, wie z. B. kurze persönliche oder halbformelle
Mitteilungen, können sie nur eine limitierte und statische Schreibkompetenz erwerben
und damit bis zum Schluss ihres Deutschstudiums nicht ausreichend lernen, ein Thema
zu behandeln und zu entfalten, um daraus einen Text entstehen zu lassen. Diese
Tatsache spricht – ausgehend von der Annahme, dass das Verfassen von Texten lehr-
und lernbar ist (vgl. Baurmann, 2003, S. 250) – für die Notwendigkeit eines sehr
umfangreichen Vorbereitungskurses auf den TestDaF, um die TestDaF-spezifischen
Fertigkeiten und die bestimmten universitären Schreibhandlungen wie Beschreiben und
Argumentieren zu fördern. Nebenbei kann auch ein muttersprachlicher Ergänzungs- und
Förderunterricht bezüglich des Schreibens sehr behilflich sein, weil nach Ezhova-Heer
(2009, S. 271) bewusste und kontrastive Rückgriffe auf die muttersprachlichen
Fähigkeiten und Strategien, z. B. in der Vorbereitungsphase oder Ideenfindung, die
Schreibproduktion in einer Fremdsprache erleichtert und unterstützt. Demnach können
die DaF-Studierenden in einem speziellen Lehrangebot bezüglich der Prüfung TestDaF,
der sich ab dem fünften Semester nach vier Semestern intensivem Deutschkurs
beginnen lässt, durch ein selbstentdeckendes Lernen aktiv und schreibintensiv mit dem
Prozess- und Produktaspekt des Schreibens insbesondere akademische Textherstellung
wie objektives Argumentieren und Grafikbeschreibung vertraut gemacht werden (vgl.
Sorrentino: 2012). Neben der Übung des Schreibens, die im Mittelpunkt des Kurses
stehen sollte, sollten auch anhand der schriftlichen Leistungen der Kurs-Teilnehmenden
gemeinsam in der Gruppe oder Partnerarbeit mögliche Schreibprobleme unter
Beachtung der drei TestDaF-Bewertungskriterien (Gesamteindruck, Behandlung der
Aufgabe und sprachliche Realisierung) behandelt und korrigiert werden. Hierbei sollten
die schriftlichen Textprodukte der Kursteilnehmer auf eine adäquate, die
Schreibkompetenz fördernde Art und Weise korrigiert, Fehler entsprechend markiert
und eingeordnet werden. Gleich anschließend sollte ihnen Hinweise und Aufschlüsse
dazu gegeben werden, wie diese Fehler und Schwierigkeiten zu lösen sind. Weiterhin
können die Lehrenden als Anmerkung in einem Kommentar darauf eingehen, inwieweit
die Gesamtwirkung des verfassten Textes und seine kommunikative Aufgabe von dem
begangenen Fehler beeinträchtigt wurde (vgl. Portmann: 1991, S.541). Bei all diesen
Korrekturen sollten auch Positivkorrekturen, in denen Lernfortschritte oder besonders
gute und gelungene Formulierungen hervorgehoben werden, aus motivationalen
Gründen zum Einsatz kommen. Schließlich kann eine Liste von den meisten
Abweichungen vom erwarteten deutschen Sprachgebrauch in den Lernertexten sowie
177
der von ihnen dazu geäußerten Bedürfnisse und Interessen zusammengestellt werden,
um diese allmählich durch systematische bzw. explizite Übungen und Strategien zu
optimieren. Um dieses zu erreichen, sollte jedem einzelnen Schreibschritt, d. h. das
Planen, Formulieren, Aufschreiben und Überarbeiten durch motivierende und vielfältige
Tätigkeiten vernetzt gefördert werden. Dabei sollte dennoch die Aufmerksamkeit
stärker auf die Vertextung und kulturbedingte Unterschiede gelenkt werden. Hierfür
sind laut Grotjahn und Kleppin (2004, S. 89f) vor allem Kursmaterialien zu entwicklen,
die sowohl auf die in TestDaF gestellten Aufgaben vorbereiten als auch eine
Sprachstandsdiagnostik erlauben. Um die Kandidaten auf weniger vertraute
Aufgabenformate gründlich vorbereiten zu können, sollten diese Materialien eine
umfassende Zahl von Mustertestsätzen enthalten. Nebenbei sind Selbstlernmaterialien z.
B. in Form von Fernstudienmaterialien zu erstellen, die besonders für ein Selbststudium
gedacht sind und durch professionelle Berater wie auch durch authentische
Kontaktphasen über das Internet mit deutschen Studierenden oder sogar mit
ausländlichen Studienbewerbern, die auch zum Studium in Deutschland die Prüfung
TestDaF ablegen möchten. Anders als im DaF-Unterricht, in dem laut Fix (2006, S.
238f) die Funktion des Schreibtests vor allem eine gute Note zu erzielen ist und somit
die Lehrperson als wichtiger und einziger Adressat angesehen wird, sollte dagegen bei
der Förderung des Schreibens im Vorbereitungskurs auf den TestDaF die Studierenden
insbesondere auf leser- und sachorientiertes Schreiben und damit auf das hochschul-
taugliche Schreiben vorbereitet werden, denn im Kontext der Prüfung TestDaF haben
die meisten Schreibaufgaben die Aufgabe, einen bestimmten Adressaten und
Kommunikationszweck zu erreichen. Dabei könnte man auch die Frage miteinbeziehen,
wie Texte auf (muttersprachliche) Leser wirken, um eine Sensibilisierung für
kulturspezifische Unterschiede zwischen Form und Inhalt der Textproduktionen bzw.
im akademischen Bereich in der Muttersprache und Fremdsprache Deutsch zur
Optimierung der Schreibförderung zu schaffen. Zuvor sollten aber die TestDaF-
Interessenten mit dem Testformat, der Aufgabenstellung und den Beurteilungskriterien
der Prüfung TestDaF bekannt und vertraut gemacht werden.
Der Faktor Zeit ist auch ein wichtiger Punkt, der im Vorbereitungskurs für den TestDaF
unbedingt behandelt werden sollte, weil man in Afghanistan fast andere Zeitvorstellung
als in Deutschland besitzt. Daher muss darauf hingewiesen werden, dass 60 Minuten
Bearbeitungszeit im Prüfungsteil „Schriftlicher Ausdruck“ wirklich 60 Minuten
bedeutet und nicht mehr oder weniger. In Afghanistan geht man allerdings mit der Zeit
178
milder und toleranter als in Deutschland um, d. h. die Zeit lässt sich oft in meisten
Situationen sogar in den Prüfungen nach Bedarf und Gefühl verkürzen bzw. verlängern.
Deswegen nehmen die Prüflinge oft die vorgegebenen Zeitangaben und Fristen weniger
ernst, was bei einem standardisierten Test wie TestDaF nicht möglich ist.
Schließlich ist festzustellen, dass die Entwicklung eines eben vorgeschlagenen
extensiven TestDaF-Vorbereitungskurses sich insbesondere an afghanische DaF-
Studierende richtet, die zum Weiterstudium nach Deutschland kommen oder in Zukunft
nach ihrem Deutschstudium im Bereich DaF arbeiten wollen, denn Fremdsprachen-
lernen wird erst dann erfolgreich sein, wenn man es für die Aufhebung eines Defizites
oder die Vermeidung künftiger Nachteile lernt. Ohne diese Motivation oder Druck
kommt man zu anderen Lernverfahren.
6.2.5.2. Integrative Förderung der vier fremdsprachlichen Kompetenzen
Laut Jude (2008) wird die Struktur der Sprachkompetenz beim Erwerb einer Sprache in
vier Grunddimensionen sprachlicher Prozesse eingeteilt: Bezüglich des Charakters der
Sprachprozesse werden rezeptive (Hörverstehen, Lesen) von produktiven
Prozessdimensionen (Sprechen, Schreiben) unterschieden. Hinsichtlich des Aspekts
Modalität der Sprachprozesse unterscheidet man zwischen auditiven (Hörverstehen,
Sprechen) und visuellen Dimensionen (Schreiben, Lesen). Zusammenfassend weisen
diese Aufteilungen auf eine differenzierte Binnenstruktur sprachlicher Kompetenzen
hin, der wechselseitige Transferleistungen zwischen den einzelnen Kompetenzen
zugrunde liegen. Während in den Sprachprüfungen sowie auch im TestDaF
Leseverstehen, Hörverstehen, mündlicher und schriftlicher Ausdruck getrennt
voneinander geprüft werden, treten diese vier Fertigkeiten im Alltags- und Studienleben
zum Teil nicht isoliert, sondern zusammenhängend auf. Dementsprechend können im
Vorbereitungskurs auf den TestDaF diese vier Fähigkeiten nicht isoliert voneinander,
sondern vielmehr im Zusammenspiel miteinander gefördert werden. Bei der Integration
der vier Fertigkeiten spielt das Schreiben laut Kast (1999, S. 19ff) eine Hilfsfunktion,
die die anderen Fertigkeiten unterstützt. Hierzu sollte jedoch erst deutlich werden, dass
das übergeordnete Lernziel im Fremdsprachenunterricht die Kommunikationsfähigkeit
ist, welche auch außerunterrichtliche Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung besitzt und
durch Schreiben besser geschult und trainiert werden kann.
179
Darüber hinaus spiegelt die schriftliche Kompetenz in der Fremdsprache oft wider, wie
weit und gut die Fremdsprachenlerner in anderen Sprachfertigkeiten sein können, weil
im engeren Sinne laut Fix (2007, S.93) zur Schreibkompetenz schließlich auch
Recherchekompetenz, Lesekompetenz und Selektionskompetenz von Wichtigem und
Unwichtigen gehören. Betrachtet man die Ergebnisse der afghanischen TestDaF-
Teilnehmenden bei den drei übrigen Fertigkeiten wie z. B. Hörverstehen, merkt man,
dass sie auch in diesem Teiltest mehr oder weniger wegen ihrer defizitären
Schreibkompetenz benachteiligt wurden, indem sie beispielweise in den Fragen des
Hörteils, in denen es um Entnahme von selektiven Informationen ging, mehr an der
schriftlichen Wiedergabe bzw. Zusammenfassung der gehörten Informationen
gescheitert sind, da sie die gezielten Antworten nicht präzise, treffend und
zusammenfassend schriftlich wiedergeben konnten. Dabei kann man bei genauerer
Betrachtung ihrer verfassten Antworten den Eindruck gewinnen, dass sie zwar
bezüglich der gestellten Fragen mehrheitlich die Schlüsselinformationen gehört haben,
aber sie diese nicht schriftlich auf den Punkt bringen konnten und somit sie die
Aufgaben knapp verfehlt haben. Außerdem ist von den erreichten Niveaustufen der
zehn afghanischen TestDaF-Teilnehmenden abzuleiten, dass sie beim Schreiben und
Hören besonders schlecht abschnitten und in den Teilfertigkeiten Sprechen und Lesen,
in denen Schreiben weniger Anwendung und Relevanz besaßen, mehr Erfolg erzielten.
Dies könnte aber auch mit dem positiven Einfluss des lehrbuchzentrierten DaF-
Unterrichts der Universität Kabul auf die Prüfung TestDaF (washback-Effekt)
zusammenhängen, weil die Zuordnungsaufgaben beim Leseverstehen und mündliche
Förderung in allen Niveaustufen der DaF-Lehrwerke ausdrücklich Vorrang haben und
damit auch im DaF-Unterricht viel zum Einsatz kommen und trainiert werden.
Zusammenfassend gilt es festzustellen, dass Schreibförderung nach Ansicht von Müller
(2005, S.1) als ein Kernpunkt der Spracharbeit gilt, deren Entwicklung der Leistung
anderer Sprachkompetenzen zugutekommt. Hierbei sollten aber DaF-Lehrwerke und -
Lehrkräfte im Unterricht immer bewusst zwischen dem Schreiben als Mittlertätigkeit
und dem Schreiben als Zieltätigkeit unterscheiden.
6.2.5.3. Weiterbildungsmöglichkeiten für DaF-Lehrkräfte
Die Entwicklung nachhaltiger Kompetenzen im DaF-Bereich in Afghanistan wie z. B.
Schreibkompetenz im Kontext der Prüfung TestDaF benötigt vor allem qualifiziertes
180
und souveränes Lehrpersonal, das zunächst ihren Beruf und ihre Lernenden mag und
insbesondere von dem, was sie unterrichten, etwas wissen, damit sie in der Lage sind, in
der Manege des Lernprozesses zu bestehen. Vor diesem Hintergrund wären für die
Zukunft kurz- oder mittelfristige Fortbildungsprogramme im In- oder Ausland in Form
von Präsenz- oder Onlinemöglichkeiten für afghanischen DaF-Lehrende wünschens-
wert, in denen praxisorientierte Kenntnisse, Informations- und Erfahrungsaustausch,
Impulse und Methoden mit grundlagentheoretischer Fundierung für den
Vorbereitungskurs auf den TestDaF angeboten werden. Laut Eßer (1997, S. 199) sei
„die Fähigkeit, textmusteradäquate Texte verfassen zu konnen, […] wie eine Extra-
Fremdsprache [...]. Das bedeutet für die Unterrichtspraxis und die Lehrperson die
Notwendigkeit einer gezielten, systematischen und stetigen Vermittlung von
Schreibfertigkeiten und für die Lernenden die Notwendigkeit gezielten, systematischen
und stetigen Übens“, da es laut Pospiech (2005) keine absolute Matrix trotz weiterer
Erkenntnisse und Ergebnisse in der Entwicklungspsychologie im Bereich Schreiben in
der Zukunft geben wird.
181
7. Schlussbetrachtungen und Perspektiven
Das Anliegen dieser Arbeit ist die Entwicklung von Schreibkompetenz in der
Fremdsprache Deutsch bei afghanischen Deutschstudierenden an der Universität Kabul
unter Berücksichtigung ihrer muttersprachlichen Schreibkompetenz und institutioneller
Rahmenbedingungen des Bereichs Deutsch als Fremdsprache an der Universität Kabul.
Im Mittelpunkt steht die Frage, wie die afghanischen Deutschstudierenden mit der
Herstellung eines Textes in der deutschen Fremdsprache umgehen. Anhand
unterschiedlicher Forschungsmethoden (Leitfadeninterviews, qualitative Analyse der
subjektiven Theorien und Analyse der ausgewählten Lernertexte sowie zehn
schriftlichen Leistungen im TestDaF) konnte festgestellt werden, dass die DaF-
Studierenden an der Universität Kabul nicht nur in der Fremdsprache Deutsch, sondern
auch in ihrer Muttersprache über niedriges Basiswissen, Kenntnisse und Erfahrungen
des Verfassen eines Textes, insbesondere einer argumentativen Schreibproduktion,
verfügen und in beiden Sprachen sehr entwicklungsbedürftig sind. Geht man von der
Auffassung von Frilling (1999, S. 57) aus, dass man mit der Zeit seine
Schreibkompetenz von einer „subjektiv-egozentrischen über eine eher objektive hin zu
einer zunächst formal und schließlich am Adressaten orientierten Perspektive“
entwickelt, dann lässt sich sogar feststellen, dass die Mehrheit der afghanischen DaF-
Studierenden sich noch am Anfangsstadium ihrer Schreibentwicklung befinden, weil
aus ihren in dieser Arbeit untersuchten Schreibproduktionen ausdrücklich abzuleiten ist,
dass sie bei der Herstellung ihrer Texte explizit Bezug auf ihre eigene Lebenswelt
nehmen und deutlich von ihren persönlichen Vor- und Einstellungen ausgehen, ohne
den mitzuteilenden Sachverhalt objektiv zu berücksichtigen und den Leser mit
einzubeziehen.
Überdies um die Förderung der Schreibkompetenz im DaF-Unterricht an der Universität
Kabul zu verbessern, sind einerseits die Reformierung der bisherigen produkt-
orientierten Schreibentwicklung, in der die Studierenden selten als schreibendes,
denkendes, handelndes und kommunizierendes Subjekt erachtet werden, und
andererseits die Verbesserung der afghanischen DaF-Lehrerqualifikationen, die
Entwicklung von neuen, zeitgemäßen und regional angepassten Curricula bzw.
Lerninhalten und damit auch DaF-Lehrwerke für den DaF-Unterricht im Ausland,
erforderlich. Dabei sollte allerdings der Entwicklungsstand des muttersprachlichen
Schreibverhaltens (vgl. Wolf: 1989) mitberücksichtigt werden. Nach Auffassung von
182
Becker-Mrotzek/Böttcher (2006, S.74) beschränkt eine lehrbuchzentrierte Vermittlung
der Schreibkompetenz auf wenige Schreibanlässe, Aufsatzarten und den Lehrer als
dominanten Adressaten, vor allem die Entwicklung des motivierenden kommunikativen
Schreibens.
Sicherlich wurde beim Lesen dieser Arbeit die bewusste Lenkung der Aufmerksamkeit
auf prozessorientierte Förderung des Schreibens erkennbar. Natürlich kann dies keine
Zauberformel sein, um alle Defizite und Probleme in diesem Bereich in den Griff zu
bekommen, aber es scheint hier in dieser Arbeit als zukunftsorientiertes pädagogisches
Konzept geeignet, denn laut Kast (2001, S. 23) handelt es sich beim Schreiben in der
Fremdsprache nicht nur um den Text als ein endgültiges Produkt, sondern vor allem um
den schreibenden Lerner und um den Text im Prozess des Entstehens, d. h.
prozessorientiertes Schreiben, bei dem der Schreiblernende sich in einer kreisförmigen
Bewegung darum bemüht, dem, was er ausdrücken möchte, immer näher zu kommen,
es zu ordnen und zu strukturieren. Deswegen können die Studierende mit der
Entstehung von Anlässen und Aufgaben für ein prozessorientiertes und
selbstorganisiertes Schreiben einerseits eine Bewusstmachung und Sensibilisierung
dafür gewinnen, dass Schreiben mehr als eine Mittlerfertigkeit ist und andererseits kann
dadurch Schreiben auf einen Schaffens- bzw. Erzeugungsprozess in den Einzelschritten
ausgerichtet werden, die am Ende zu einem nützlichen Produkt führen. Eine
Schreibaufgabe muss jedoch nicht immer zum endgültigen Produkt führen, denn der
Weg, die Schreibschritte beim Schreibprozess, soll das Hauptziel bei der Entwicklung
der Schreibkompetenz sein.
Schreibkompetenz lässt sich nicht allein durch Wissensvermittlung über das Schreiben
und Textformen entwickeln, sondern muss sie vielmehr von den Lernenden selber als
etwas Bedeutsames aufgebaut werden. Gerade deshalb sollten die DaF-Lehrwerke
sowie auch afghanischen DaF-Lehrkräfte in Zukunft eine Vielfalt von geeigneten
Möglichkeiten, Übungen und Strategien anbieten, die den Lernenden helfen, ihre
eigenen Schreibschwierigkeiten zu identifizieren und zu bewältigen, die in jeder
Schreibphase; bei der Planung, Formulierung oder Überarbeitung, auftreten können.
Hierzu müssen die besonderen sprachlichen und situativen Umstände in Afghanistan
nicht zwingend als absoluter Nachteil angesehen werden, indem man Schreiben als eine
Möglichkeit neu definieren kann, das in der gegenwärtig unsicheren und schweren Zeit
in Afghanistan als ein Beruhigungs- und Selbstoffenbarungsmittel fungieren kann,
indem man über seine Gefühle und Gedanken schreibt und sie z. B. in einer
183
Schreibkonferenz oder Schreibwerkstatt von anderen diskutieren und evaluieren lässt.
Die Ausgabe 20/2016 von Online-Spiegel stellt diesbezüglich zu Recht fest, dass in
Ländern wie Afghanistan Gedichte und Geschichte als das kollektive Gedächtnis der
Völker gelten, an dem alle Menschen mitschreiben und wenn es Freudiges oder
Tragisches zu berichten gibt, dann wird in Versen und poetischen Geschichten erzählt.
Das Verfassen von Gedichten und Geschichten setzt zwar eine ganz andere Art von
Schreibkompetenz voraus, als das Schreiben eines formellen Briefs, aber durch eben
beschriebenes Verfahren können die DaF-Studierenden in Kabul, die wegen der
schweren und insbesondere nicht schreibintensiven Lebenswirklichkeit sehr selten
etwas niederschreiben, zum Schreiben angeregt werden. Außerdem lässt sich Schreiben
als Problemlösung nur vermitteln, wenn Schreibkompetenz als persönliche Ausdrucks-
und Entwicklungsmöglichkeit empfunden wird und zunehmend im Unterricht Relevanz
und Verwendung findet. Diesbezüglich gilt es auch zu bedenken, wie sich die
Globalisierung des öffentlichen Schreibens, d. h. die neuen Medien und
Sozialnetzwerke, die auch in Afghanistan bzw. in der Hauptstadt Kabul weit verbreitet
und beliebt sind, bei der Schreibentwicklung im DaF-Unterricht behilflich sein können,
denn jeder der Studierenden in Kabul besitzt ein Smartphone oder einen Laptop, mit
denen sie aktiv Facebookbeiträge, kurze Nachrichten oder Chats machen. Zuerst muss
aber vermittelt werden, dass Schreiben und Tippen fast das Gleiche erzielen und sie sich
nur wenig voneinander unterscheiden.
Abschließend sprechen die Befunde dieser Untersuchung dafür, dass in der Zukunft die
folgenden Perspektiven in der Praxis des DaF-Unterrichts zu berücksichtigen sind,
deren Erfüllung im Allgemeinen die Schreibdidaktik und Bildungspolitik fruchtbar und
aufschlussreich machen und damit insbesondere zur Optimierung des DaF-Unterrichts
in Afghanistan einen positiven Beitrag leisten können:
7.1. Intensivierung der Schreibforschungen außerhalb des deutsch-
sprachigen Raums
Das Thema Schreiben im Fremdsprachenunterricht ist bis heute aktuell und findet in der
Fachdidaktik viel Beachtung. Obwohl man zahlreiche Publikationen mit dem Thema
Schreiben in einer Fremdsprache finden kann, gibt es aber immer noch wenige
Hinweise darauf, wie das Schreibenlernen systematisch aufgebaut werden könnte, vor
184
allem in den Ländern, wo schriftbasierte Kommunikation sehr gering in der
Öffentlichkeit gefördert bzw. gefordert wird. Dazu muss methodisch-didaktische
Forschung unter dem Aspekt des Einsatzortes vom DaF-Unterricht zur Optimierung der
regionalen Lernpraxis intensiviert werden, denn bestimmte nicht globale
Rahmenbedingungen und lokale Voraussetzungen können den Lernprozess fördern oder
behindern. Bisher ist es aber so, dass deutsche DaF-Forschungsliteratur bzw.
Lehrbücher oft von einem Normalzustand ausgehen, der aber eng an deutsche Systeme
des schulischen Sprachenlernens geknüpft ist.
Mittels weiterer Modelle und Forschungen zum Schreiben soll versucht werden, die
Komplexität der schriftlichen Textproduktion zu erfassen und zu erklären, um das
Schreiben effektiver lehren bzw. lernen zu können. In diesem Zusammenhang besteht z.
B. zum Korrekturverhalten von afghanischen Deutschlehrenden ein dringender
Forschungsbedarf, wobei eine Fehlermarkierung durch Korrekturzeichen nach Kleppin
(2003) weder im DaF-Unterricht noch in den Prüfungen verwendet wird. Daher bleibt
den Studierenden bis zum Schluss ihres Deutschstudiums die Art ihrer Fehler offen.
Darüber hinaus werden keine eindeutigen Qualitätsanforderungen sowie einheitliche
Bewertungskriterien bei der Vermittlung, Beschreibung und Bewertung der
Schreibproduktionen durchgesetzt, und deswegen werden oft von Lehrer- und
Lernerseite Schreibprobleme zum Teil auf der sprachlichen Oberfläche wie z. B. Groß-
und Kleinschreibung, Interpunktion und Grammatik reduziert.
Zusammenfassend besteht im Bereich Fremdsprachenunterricht in Afghanistan
insbesondere hinsichtlich der Entwicklung von der Schreibkompetenz nicht nur im
schulischen Kontext, sondern auch auf universitärer Ebene ein zwingend notwendiger
Forschungsbedarf, um mit Blick auf die Erkenntnisse aus der Schreibforschung sowie
die Erfahrungen aus der Schreibpraxis festzustellen, unter welchen Bedingungen und
Voraussetzungen sich im Allgemeinen die Fremdsprachen und im Besonderen die
Entwicklung fremdsprachlicher Schreibkompetenz in Zukunft am zielführendsten in
Afghanistan lehren bzw. lernen lassen.
7.2. Gründung von universitären Schreibangeboten
Durch immer intensiver werdende Beziehung bzw. Mobilität der Lernenden im Zeitalter
der Globalisierung und schriftlich schnellere Kommunikationswege per E-Mail (vgl.
185
Sorrentino 2012; Eßer 2003 und Krumm 1989) gewinnt heute das Schreiben an den
Schulen und Universitäten auch in der Fremdsprache an Bedeutung. Aus diesem Grund
wären in näherer Zukunft die Gründung von Schreibangeboten auf universitärer Ebene
wie z. B. ein Schreibzentrums an der Universität Kabul oder einer Schreibgruppe im
DaF-Bereich angelehnt an das deutsche Vorbild wie Schreibtrainer der Uni Essen
(http://www.uni-essen.de/schreibwerkstatt/trainer) oder das Schreibzentrum der Ruhr-
Universität Bochum (http://www.sz.ruhr-uni-bochum.de) durchaus begrüßenswert. Sie
können dann insbesondere nach Bedarf und Nachfrage auf den Mangel an Fähigkeiten
auf Seiten der Studierenden im Allgemeinen und im Besonderen im fremdsprachlichen
Schreiben reagieren, indem sie vielfältige Angebote bezüglich des Schreibens in Form
von Workshops, Blockseminaren, Schreibwochen oder andere schreibanregende
Anlässe und Wettbewerbe veranstalten, die entscheidend zur Vermittlung bzw.
Verbesserung der Schreibkompetenz beitragen. Diesbezüglich sollten künftig in den
Sprachinstituten wie z. B. im Goethe-Institut Kabul neben Konversationskursen auch
spezielle Schreibkurse angeboten werden.
7.3. DaF-Unterricht als Türöffner für Schlüsselkompetenzen
Die Herausbildung eines autonomen und selbstverantwortlichen Lerners ist allerdings
im afghanischen Bildungssystem sowie auch im Deutschstudium an der Universität
Kabul unterbewertet. Nach Ansicht aller befragten DaF-Studierenden spielt zur
Entwicklung der Sprachkompetenz vor allem Schreibkompetenz, die Autonomie und
Selbstbestimmung der Lernende eine Schlüsselrolle, da Lernen als ein persönlicher
Vorgang auf Eigenverantwortung gestützt ist. Diese Auffassung lässt sich von Sieber
(2003, S.216) bestätigen, indem er formuliert, dass eine gelingende Schreibentwicklung
auf eine Ausbildung der Selbsteinschätzungskompetenz angewiesen ist, mit deren Hilfe
die Lernenden in Distanz zum eigenen Text dessen Qualitäten und Mängel wahrnehmen
und daraus die notwendigen Strategien zur Bearbeitung und Überarbeitung ihrer
Schreibproduktionen ausbilden. In diesem Sinne ist es Aufgabe der DaF-Lehrkräfte und
DaF-Lehrwerke, den Lernenden zu helfen, den eigenen Lernweg zu finden und
Vermittlung der Schlüsselqualifikationen wie Selbstautonomie und Selbsteinschätzung
als Hauptziel des DaF-Unterrichts zu fördern. Hingegen ist es auffällig, dass sowohl die
subjektiven Theorien des Lerners zum Fremdsprachenerwerb, als auch seine
Bereitschaft zum eigenständigen Lernen, die im Zeitalter des lerner- und
186
handlungszentrierten bzw. prozessorientierten Unterrichts als unverzichtbare
Bestandteile gelten, weder im Curriculum des BA-Deutschstudiums an der Universität
Kabul, noch in den DaF-Lehrwerken ausreichend angesprochen werden.
DaF-Unterricht soll den Lernenden nach dem Prinzip Diversifikation als Türöffner zu
verschiedenen Möglichkeiten dienen, da die Wirklichkeit dafür spricht, dass viele DaF-
Studierende im Ausland wie z. B. in Kabul nach ihrem Deutschstudium keine Chance
haben, im Bereich DaF zu arbeiten. Gerade deshalb sollen im DaF-Unterricht in Kabul
insbesondere Lebens- bzw. Berufsziele der afghanischen DaF-Studierenden in den
Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestellt werden, indem man fachübergreifende
Schlüsselqualifikationen, die als allgemeine, von einer Anforderungssituation zur
anderen übertragbare Kompetenzen zur Bewältigung sich je neu stellender Aufgaben
verstanden werden können, als Hauptziel des DaF-Unterrichts fördert und auffordert.
Nach der Definition der Bildungskommission NRW (1995) sind Schlüssel-
qualifikationen „erwerbbare allgemeine Fähigkeiten, Einstellungen und Strategien, die
bei der Lösung von Problemen und beim Erwerb neuer Kompetenzen in möglichst
vielen Inhaltsbereichen von Nutzen sind“ wie z. B. Selbst- und Teamkompetenz,
Unterrichtsprotokoll, Exzerpt, Kurzfassung, Mitschreiben, Zuhören, Lesekompetenz,
Aufgabenverständnis, Arbeit mit Stichwörtern, Schlüsselwörter, Anwendung von
grafischen, visuellen Darstellungen wie Pfeile, Schaubilder, interkulturelle Kompetenz;
sich besser in eine Rolle/Situation hineinzusetzen (Empathiefähigkeit), Selbstreflexion
durch Kriterienvorgaben oder Checklisten, kritisch argumentierte Auseinander-
setzungen und Informationen sammeln, sortieren und strukturieren. Diese Fähigkeiten
werden laut Auffassung von Kaiser/Kaiser (2001, S. 52) als „Schlüssel“ angesehen, um
sowohl auf beruflichem Gebiet als auch im privaten Alltagskontext den sich
wandelnden Anforderungen, die z. B. aus dem technischen und sozialen Wandel
resultieren, entsprechen zu können.
Abschließend soll bei der Entwicklung der DaF-Lehrwerke und der curricularen An-
und Vorgaben das Hauptziel des Lernens die Herausbildung eines selbstständigen
Lerners sein, der seine individuellen Kompetenzen und Strategien entdeckt und
automatisiert hat und somit eigenständig, selbstbewusst und selbstverantwortlich
handelt.
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212
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Schreibkompetenz (Becker-Mrotzek/Böttcher: 2012, S.51).......................................32
Abbildung 2: Modell des Schreibprozesses nach Rohmann und Wlecke (Romberg: 1993, S. 90). 33
Abbildung 3: Modell des Schreibens nach Ludwig (Molitor-Lübbert:1996, S.1009)......................34
Abbildung 4: Modell des Schreibens nach Hayes und Flower (1980) in deutscher Übersetzung
(Molitor-Lübbert: 1996, S.1006)........................................................................................................37
Abbildun 5: Modell des fremdsprachlichen Schreiben nach Börner (1992, S.301).........................40
Abbildung 6: Modell der Schreibentwicklung nach Bereiter (1980, S. 84)......................................47
Abbildung 7: Allgemeines Ablaufmodell der qualitativen Inhaltsanalyse Mayring 1989 nach
Lamnek (1993, S.217). ......................................................................................................................71
Abbildung 8: Ablauf der Auswertung mit deduktiven und induktiven Verfahren (in Anlehnung an
Mayring: 2008)...................................................................................................................................75
Abbildung 9: Qualitative Inhaltanalyse (Gläser/Laudel: 2010, S.200).............................................76
213
Anhang
Interviewsfragen mit Informanten
1. I: Was meinen Sie über das Schreiben?
B:
I: Warum, Was und wann schreiben Sie im Alltagsleben?
B:
2. I: Wie schätzen Sie persönlich Stellenwert des Schreibens in unserer heutigen Gesellschaft?
B:
3. I: Wie denken Sie, sollte man heute an den Schulen „Schreiben“ lernen? und warum?
B:
214
Schreibauftrag
Schriftlicher Ausdruck
Dauer: 60 Minuten
Name:
Sehr geehrte Teilnehmerin, sehr geehrter Teilnehmer,
diese Schreibaufgabe wird im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung durchgeführt zu
„Schreibkompetenz entwickeln und evaluieren. Eine Studie im Bereich Deutsch als Fremdsprache
in Afghanistan“. Alle Daten werden vertraulich behandelt und nur für Forschungszwecke
verwendet.
Im Internet finden Sie folgenden Text über Privatschulen in Deutschland. Sie schreiben als
Reaktion einen Text über Privatschulen in Afghanistan.
Gehen Sie dabei auf folgende Punkte ein:
Funktion von Privatschulen in Afghanistan
Vergleich zu staatlichen Schulen
Zukunft von Privatschulen
Bitte schreiben Sie max. 250 Wörter!
Privatschulen auf dem Vormarsch
Die Nachfrage an Plätzen in Privatschulen steigt und das so schnell, dass das Angebot nicht mehr
mithalten kann. Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder auf eine Privatschule, da sich viele
Eltern dort eine bessere Schulbildung für ihre Sprösslinge [Kinder] erhoffen. Werden die
Privatschulen dieser Erwartung auch gerecht? Ist wirklich alles Gold, was glänzt? Gemäß dem
deutschen Grundgesetz kann jeder eine Schule gründen. Dies geschieht allerdings nicht nur aus
pädagogischem Idealismus, sondern auch aus finanziellem Kalkül [Gründe], aus Streben nach
Gewinn. Es stellt sich allerdings die Frage, ob man mit Schulen Geld verdienen darf.
Der Text stammt aus dem Buch „Mit Erfolg zum Goethe-Zertifikat B2“, 2008, ISBN 978-3-12-675830-7
215
Ablauf des Leitfadeninterviews 1: Subjektive Theorien zum Thema Schreibproduktion in der
Fremdsprache Deutsch
Einleitungsphase des
Interviews
1. Fragen zur
Sprachlernbiographie
1.1 Zu Anfang kannst du erzählen, welche
Fremdsprachen du schon gelernt hast?
1.2 Inwieweit ist dir Fremdsprachenlernen
wichtig? Warum studierst du Deutsch?
Haupteil des Inter-
views:
Subjektive Theorien
zur
Schreibproduktion
in der Fremdsprache
Deutsch
2. Individuelle Aspekte
und Schwerpunkte bei
der Schreibproduktion
2.1 Welche Bedeutung und Relevanz kommt aus
deiner Sicht dem Schreiben zu?
2.2 Wie findest du es, einen Text in der
Fremdsprache Deutsch zu schreiben?
2.3 Worauf sollte man deiner Meinung nach beim
Schreiben in der Fremdsprache Deutsch
besonders achten
2.4 Bist du heute zufrieden mit deinem Text, den
du für die Schreibaufgabe geschrieben hast?
2.4.1 Unter welchen Bedingungen bist du
im Allgemeinen zufrieden mit deinem
Text?
2.4.2 Wann macht dir das Schreiben in
Deutsch Spaß?
3. Schreibprozessanalyse 3.1 Könntest du bitte deine Schreibschritte
nennen? Z.B. was hast du Zu Beginn
gemacht? Was hast du am Ende gemacht?
3.2 Was machst du, wenn du nicht
weiterschreiben kannst? Z.B. wenn dir ein
Wort oder ein Ausdruck fehlt?
3.3 Worüber machst du dir am meistens
Gedanken beim Schreiben? (Einleitung,
Hauptteil, Schluss, Wortwahl, Satzbau, Inhalt,
Gliederung oder sonstiges)?
3.4 Wenn du mit dem Schreiben fertig bist, wie
überarbeitest du deinen Text?
4. Besonderheiten des
Schreibens im DaF
4.1 Meinst du, dass du in der Fremdsprache
Deutsch anders schreiben solltest als in deiner
Muttersprache? Warum? Und wie zeigt sich
das?
4.2 Was findest du an deinen Deutsch-Texten
besonders gelungen? Was kannst du gut dabei
(die richtigen Worte finden, Verständnis
Schreiben, Interesse wecken, den Text
strukturieren, etc.)
-Was kannst du dabei nicht gut?
Ende des Interviews
5. Vorschläge zur
Verbesserung der
Schreibfertigkeit und
Schreibförderung
5.1 Wie lernt man Schreiben im Bereich Deutsch
als Fremdsprache an der Universität Kabul?
5.2 Was schlägst du vor, um die Vermittlung der
Schreibfertigkeit hier besser zu machen?
5.3 Was sollten die Studierenden selber tun, um
ihre Schreibkompetenz zu entwickeln?
216
Ablauf des Interviews 2: Subjektive Theorien zum Thema Schreibproduktion in der
Muttersprache Dari
Einleitungsphase des
Interviews
1. Schuliche
Schreibförderung
1.1. Zu Anfang kannst du erzählen, wie du
Schreiben an der Schule gelernt hast.
1.2. Schreibst du gern im Allgemeinen?
Haupteil des Inter-
views:
Subjektive Theorien
zur
Schreibproduktion
in der Muttersprache
Dari
2. Individuelle Aspekte
und Schwerpunkte bei
der muttersprachlichen
Schreibproduktion
2.1.Wie findest du es, einen Text in der
Muttersprache Dari zu schreiben?
2.2.Worauf sollte man deiner Meinung nach beim
Schreiben in der Muttersprache Dari
besonders achten?
2.3.Bist du heute zufrieden mit deinem Text, den
du für die Schreibaufgabe geschrieben hast
und warum?
2.3.1. Wann macht dir das Schreiben in
Dari als deine Muttersprache Spaß?
3. Schreibprozessanalyse 3.1.Könntest du bitte deine Schreibschritte
nennen? Z.B. was hast du Zu Beginn
gemacht? Was hast du am Ende gemacht?
3.2.Worüber machst du dir am meistens
Gedanken beim Schreiben? (Einleitung,
Hauptteil, Schluss, Wortwahl, Satzbau, Inhalt,
Gliederung oder sonstiges)?
3.3.Wenn du mit dem Schreiben fertig bist, wie
überarbeitest du deinen Text?
4. Besonderheiten des
Schreibens in der
Muttresprache Dari
(Selbsteinschätzung)
4.1.Was findest du an deinen Dari-Texten
besonders gelungen? Was kannst du gut dabei
(die richtigen Worte finden, Verständnis
Schreiben, Interesse wecken, den Text
strukturieren, formatieren etc.)
4.2.-Was kannst du dabei nicht gut?
Ende des Interviews 5. sich bedanken
5.1. Hast du noch etwas auf dem Herzen?
219
Eigenständigkeitserklärung
Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und nur unter Verwendung der
angegebenen Quellen und Hilfsmittel angefertigt habe. Alle Stellen der Arbeit, die aus anderen
Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach entnommen sind, wurden unter Angabe der Quellen als
Entlehnung gekennzeichnet.
Bochum, 15.03.2017 Sarah Faseli
Ort und Datum Unterschrift
220
Lebenslauf
Persönliche Daten
Name: Sarah Faseli
Staatsangehörigkeit: Afghanisch
Geburtsdaten: 22. April 1982 in Mashhad/Iran
Schulische und akademische Ausbildung
2012-2017: Dissertation in der Fakultät für Philologie, Seminar für Sprachlehrforschung der Ruhr-Universität Bochum „Schreibkompetenz entwickeln und evaluieren Eine Studie im
Bereich Deutsch als Fremdsprache in Afghanistan“
Tag der mündlichen Prüfung: 21.07.2017
2008-2010: Masterstudium im Studiengang Internationaler Master Auslands-germanistik/Deutsch als Fremdsprache – Deutsch als Zweitsprache der Friedrich-Schiller-
Universität Jena
2004-2007: Bachelorstudium im Fachbereich Deutsch als Fremdsprache der Universität Kabul
1399 – 2000: Voruniversitäre Bildung in Moalem Zentrum im Iran
1996 – 1399: Oberrealschule in Fatem e Zahra Schule im Iran
1993 – 1996: Mittelschule in Alimohammadi Schule im Iran
1988 – 1993: Grundschule in Kashani Schule im Iran
Berufstätigkeit
Seit 2010: Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich DaF, Fakultät für Sprachen und Literatur, Universität Kabul