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Editorial Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie diese Ausgabe in Händen halten ist der Sommer (fast) vorbei. Ich hoffe, Sie konnten die Sonnentage genießen. In gesetzgeberischer Hinsicht hat sich nach Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes nichts Nennenswertes getan. Eine Gesetzesvorlage zum Whistleblowerschutz der Fraktion der Grü- nen ist kurz vor der Sommerpause (zum wiederholten Male) gescheitert. Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich für die äu- ßerst zahlreichen interessanten Entscheidungen bedanken und Ihnen zuru- fen: Bitte weiter so! Zwei interessante Entscheidungen möchte ich hier kurz erwähnen. Als sehr lesenswerte Entscheidung ist mir eine Entscheidung des LAG Berlin Brandenburg aufgefallen, die sich mit der Frage der Weitergeltung tarifdyna- mischer Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen nach einem Betriebsüber- gang auseinandersetzt (Nr. 99). Seit der Entscheidung des EuGH vom 18.7.2013 (C-426/11 Alemo-Herron) wird diese Frage sehr kontrovers disku- tiert. Das LAG Berlin Brandenburg setzt sich detailliert mit all diesen Argu- menten auseinander und kommt zu dem Schluss, dass die Rechtsprechung des EuGH der Weitergeltung tarifdynamischer Klauseln nach dem Betriebs- übergang nicht entgegensteht. Die Revision wurde zugelassen. Das BAG hat in zwei anderen Verfahren nun diese Frage am 17.6.2015 dem EuGH zur Vor- abentscheidung vorgelegt (4 AZR 61/14 (A), Pressemitteilung 33/15). Auch auf eine weitere Entscheidung möchte ich gerne Ihr Augenmerk lenken. Das LAG Rheinland-Pfalz hatte zu entscheiden, ob einem Arbeitnehmer in Al- tersteilzeit in der Freistellungsphase weiterhin der Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen werden muss und diese Frage mit dem Hinweis auf das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten bejaht (Nr. 102). Damit liegt eine divergierende Entscheidung zu einer Entscheidung der 11. Kammer des LAG Rheinland-Pfalz vor. Die 11. Kammer geht davon aus, dass der Dienst- wagen zur privaten Nutzung nur während der Aktivphase der Altersteilzeit zur Verfügung zu stellen ist. Die Revision wurde zugelassen und es bleibt spannend wie das BAG die Frage entscheiden wird. Dies waren nur zwei der vielen interessanten Entscheidungen in dieser Aus- gabe. Ich wünsche Ihnen spannende Lesestunden. Ihre Regina Steiner im September 2015 03/2015 111

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ae.2015.h0003.cic.xml (AE.fmt), Seite 1 von 78,

Editorial

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

wenn Sie diese Ausgabe in Händen halten ist der Sommer (fast) vorbei. Ichhoffe, Sie konnten die Sonnentage genießen. In gesetzgeberischer Hinsichthat sich nach Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes nichts Nennenswertesgetan. Eine Gesetzesvorlage zum Whistleblowerschutz der Fraktion der Grü-nen ist kurz vor der Sommerpause (zum wiederholten Male) gescheitert.

Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich für die äu-ßerst zahlreichen interessanten Entscheidungen bedanken und Ihnen zuru-fen: Bitte weiter so!

Zwei interessante Entscheidungen möchte ich hier kurz erwähnen.

Als sehr lesenswerte Entscheidung ist mir eine Entscheidung des LAG BerlinBrandenburg aufgefallen, die sich mit der Frage der Weitergeltung tarifdyna-mischer Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen nach einem Betriebsüber-gang auseinandersetzt (Nr. 99). Seit der Entscheidung des EuGH vom18.7.2013 (C-426/11 Alemo-Herron) wird diese Frage sehr kontrovers disku-tiert. Das LAG Berlin Brandenburg setzt sich detailliert mit all diesen Argu-menten auseinander und kommt zu dem Schluss, dass die Rechtsprechungdes EuGH der Weitergeltung tarifdynamischer Klauseln nach dem Betriebs-übergang nicht entgegensteht. Die Revision wurde zugelassen. Das BAG hatin zwei anderen Verfahren nun diese Frage am 17.6.2015 dem EuGH zur Vor-abentscheidung vorgelegt (4 AZR 61/14 (A), Pressemitteilung 33/15).

Auch auf eine weitere Entscheidung möchte ich gerne Ihr Augenmerk lenken.Das LAG Rheinland-Pfalz hatte zu entscheiden, ob einem Arbeitnehmer in Al-tersteilzeit in der Freistellungsphase weiterhin der Dienstwagen zur privatenNutzung überlassen werden muss und diese Frage mit dem Hinweis auf dasVerbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten bejaht (Nr. 102). Damitliegt eine divergierende Entscheidung zu einer Entscheidung der 11. Kammerdes LAG Rheinland-Pfalz vor. Die 11. Kammer geht davon aus, dass der Dienst-wagen zur privaten Nutzung nur während der Aktivphase der Altersteilzeitzur Verfügung zu stellen ist. Die Revision wurde zugelassen und es bleibtspannend wie das BAG die Frage entscheiden wird.

Dies waren nur zwei der vielen interessanten Entscheidungen in dieser Aus-gabe. Ich wünsche Ihnen spannende Lesestunden.

Ihre

Regina Steiner

im September 2015

03/2015 111

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Seite

Inhaltsverzeichnis der Entscheidungen 114

Entscheidungen 115

Rezensionen 181Meine/Wagner (Hrsg.): Handbuch Arbeitszeit, Manteltarifverträge im Betrieb 181Hümmerich/Reufels: Gestaltung von Arbeitsverträgen und Dienstverträgen für Geschäftsführer und Vorstände 181Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz – Handkommentar 182Preis: Der Arbeitsvertrag – Handbuch der Vertragsgestaltung 182Bubenzer/Noltin/Peetz/Mallach: Seearbeitsgesetz – Kommentar 182Tschöpe: Arbeitsrecht Handbuch 183Bauer/Diller: Wettbewerbsverbote 183Schneider, N.: Fälle und Lösungen zum RVG – Praktische Anwendung und Abrechnungsbeispiele 184Schaefer/Schaefer: Anwaltsgebühren im Arbeitsrecht 185

Stichwortverzeichnis 186

Impressum 188

03/2015112

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Liste der AE-Einsender

Liste der AE-EinsenderAE kann ihr Informationsziel nur erreichen, wenn möglichst viele Entscheidungen aus der Mitgliedschaft der Arbeitsgemein-schaft Arbeitsrecht im DAV kommen. Wir nennen daher hier regelmäßig mit Dank und Lob diejenigen, die sich um die AEbesonders verdient gemacht haben.

Einsender mit mehr als 40 Entscheidungen

Bauer Bertram AnsbachBerrisch Hansjörg GießenGraumann Ingo IserlohnHöser, Dr. Jürgen Frechen

Einsender mit mehr als 20 Entscheidungen

Brötzmann, Dr. Ulrich MainzFaecks Friedhelm MarburgFranzen Klaus-Dieter BremenGussen, Dr. Heinz Rheda-WiedenbrückHeinemann Bernd Sankt AugustinHilligus Kurt-Jörg Neustadt i. Holst.Kelber, Dr. Markus BerlinKoch, Dr. Friedemann BerlinLink Jochen VillingenLodzik Michael Darmstadt

Einsender mit mehr als 10 Entscheidungen

Banse, Dr. Thomas DürenBauer Dietmar WiehlBehrens Walter HamburgChaudry Ijaz Frankfurt/M.Clausen Dirk NürnbergClemenz Dr. Susanne GüterslohCornelius Astrid DarmstadtDribusch Bernhard DetmoldGeus Franz SchweinfurthGoergens Dorothea HamburgGosda Ralf AhlenGravenhorst, Dr. Wulf DüsseldorfGreinert Jaqueline KasselHertwig, Dr. Volker BremenHesse, Dr. Walter BerlinHjort Jens HamburgJung Nikolaus OberurselKeller Thomas München

Einsender mit 5 – 9 Entscheidungen

Beckmann Paul-Werner HerfordBöse Rainer EssenBrammertz, Dr. Dieter AachenCrämer Eckart DortmundDaniels Wolfgang BerlinEckert, Dr. Helmut OffenbachFischer Ulrich Frankfurt/MainFromlowitz Horst EssenGehrmann Dietrich AachenGrimm, Dr. Detlev KölnHeimann Marko ChamHerbert, Dr. Ulrich CoburgHowald, Dr. Bert StuttgartKarle Gerd BalingenKern Jan H. HamburgKistner Heinz HannoverKrafft Alexander ÖhringenKroll Matthias W. HamburgKühn Stefan KarlsruheKunzmann, Dr. Walter Euskirchen

03/2015 113

Mansholt Werner DarmstadtPuhr-Westerheide Christian DuisburgSchrader, Dr. Peter Hannover

Müller Steffen IserlohnNeef, Prof. Dr. Klaus HannoverPauly, Dr. Stefan KölnRütte Klemens HammSchmitt Jürgen StuttgartSeidemann, Dr. Gisbert BerlinTschöpe, Dr. Ulrich GüterslohWeberling, Prof. Dr. Johannes BerlinZeißig, Dr. Rolf Berlin

Krügermeyer-Kalthoff Rolf Köln

Krutzki Gottfried Frankfurt a.M.Lampe, Dr. Christian BerlinMatyssek Rüdiger RatingenMüller-Knapp Klaus HamburgMüller-Wiechards Wolfram LübeckPeter Michael Bad HonnefSchäder Dr. Gerhard MünchenSchaefer Rolf HannoverSchmalenberg, Dr. Werner BremenSchramm Joachim LübbeckeSchulz, Dr. Georg R. MünchenSparla Franz AachenStraub, Dr. Dieter MünchenThiele Volker DürenWeber Axel Frankfurt/M.Zahn Thomas Berlin

Matissek Reinhard KaiserslauternPouyadou, Dr. Richard M. AugsburgPreßer Wolfgang NeunkirchenPütter, Dr. Albrecht FlensburgRichter Klaus BremenRichter, Dr. Hanns-Uwe HeidelbergSchäfer Dieter EssenSchipp, Dr. Johannes GüterslohSchneider-Bodien Marcus DüsseldorfStriegel Bernhard KasselStruckhoff Michael H. MünchenSturm Joachim BottropTheissen-Graf

Schweinitz Ingo HagenThieme Hans Frankfurt/M.Thon Horst OffenbachVrana-Zentgraf Silke DarmstadtWolf Dr. Thomas BüdingenZirnbauer Ulrich Nürnberg

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Inhalt: Entscheidungen

Inhaltsverzeichnis der Entscheidungen

SeiteAllgemeines Vertragsrecht

91. Schadensersatz, arbeitsvertragliche Pflichtverlet-zung des Arbeitgebers, Mitverschulden des Ar-beitnehmers, Wahrung von Ausschlussfristen auseinem Versicherungsvertrag 115

92. Diskriminierung wegen des Geschlechts, Entschä-digung, Nachzahlung der Vergütung, Ausschluss-frist, Dauertatbestand 117

93. Diskriminierung, Schwerbehinderung, AbfindungSozialplan 118

94. Mobbing, Schadensersatz 119

95. Altersdiskriminierung, Urlaub 120

96. Mittelbare Diskriminierung durch einen Tarifver-trag – Mindestgrößen für Pilotinnen und Piloten 123

97. Abgeltungsklausel, Auslegung, Kosten des Verfah-rens, Kostenerstattungsanspruch, Vollstreckungs-gegenklage 123

98. Abfindung, Verzugszinsen. Fälligkeit der Abfin-dung 125

99. Dynamische Bezugnahmeklausel – Betriebsüber-gang, Rechtsprechung des EuGH 126

100. Aushändigung Arbeitsvertrag, Nachweisgesetz, Fi-xierung der Arbeitsbedingungen 133

101. Equal Pay, Ausschlussfrist, unwirksamer Tarifver-trag 134

102. Dienstwagen – Privatnutzung – Freistellungs-phase Altersteilzeit 135

103. Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers, An-spruch auf Versetzung an einen anderen Arbeits-ort 136

104. Annahmeverzug, Unmöglichkeit der Arbeitsleis-tung, Vergütungsanspruch 137

105. Arbeitnehmereigenschaft, Darlegungslast zurWeisungsgebundenheit 139

106. Arbeitnehmereigenschaft von Messehostessen 139

107. Betriebliche Altersversorgung bei Pensionskassen,Einstandspflicht des Arbeitgebers 140

108. Abfindung, Auslegung Sozialplan 140

Bestandsschutz

109. Betriebsbedingte Kündigung, Sozialauswahl, Un-terhaltspflichten 141

03/2015114

Seite110. Kündigung, Betriebsübergang, Fortbestehensan-

trag 142

111. Massenentlassungsanzeige, Konsultationsverfah-ren, Nachteilsausgleich, Betriebsratsanhörung 143

112. Kündigung, Massenentlassungsanzeige, Interes-senausgleich mit Namensliste 143

113. Kündigung, Interessenausgleich, Namensliste, So-zialauswahl 145

114. Kündigung, Interessenausgleich, Namensliste, In-solvenz 147

115. Betriebsbedingte Kündigung, Interessenausgleich,Teil-Namensliste, Vermutungswirkung 147

116. Außerordentliche Kündigung, Vorbereitung vonKonkurrenztätigkeit während des bestehendenArbeitsverhältnisses 149

117. Spesenbetrug, Rechtfertigungsgrund, Abfindung,Darlegungs- und Beweislast, Bestreiten ins Blaue,Ausforschungsbeweis 151

118. Außerordentliche Kündigung, Presseartikel, Un-treue, Schwerbehindertenvertretung, Personalrat 151

119. Außerordentliche Kündigung, Urkundenfälschung 151

120. Voraussetzung einer Verdachtskündigung 152

121. Personenbedingte Änderungskündigung, Minder-leistung, Darlegungs- und Beweislast 152

122. Kündigung, Schriftform, Unterzeichnung mit Vor-namen 154

123. Zustellung des Zustimmungsbescheids des Integ-rationsamts, Kündigung 154

124. Entgeltansprüche, Restitutionsklage, Ausschluss-fristen, Verjährung 154

125. Befristungskontrolle, Sachgrund, Rechtsmiss-brauch, Lehrer 157

126. Befristung, Klagefrist, Präklusion, Betriebsüber-gang, dreiseitiger Vertrag, Verwirkung 159

127. Befristung, Auslegung § 14 Abs. 3 S. 2 TzBfG 159

128. Sachgrundlose Befristung, Anschlussverbot,Rechtsmissbrauch 160

129. Arbeitspflicht nach Stellung eines Auflösungsan-trags 160

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Rechtsprechung

Allgemeines Vertragsrecht Allgemeines Vertragsrecht

SeiteBetriebsverfassungsrecht/Personalvertretungsrecht

130. Mitbestimmung, Betriebsrat, Betreiben einer face-book-Seite durch den Arbeitgeber 160

131. Betriebsrat, Anzahl der Freistellungen, Leiharbeit-nehmer 165

132. Anfechtung der Betriebsratswahl, Größe des Gre-miums 167

133. Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit im Be-schlussverfahren, Übergangsmandat, Restmandat 168

134. Versetzung, Zustimmungsverweigerung, Vertrau-ensleuteschutzabkommen 169

Tarifrecht

135. Freizügigkeit, Berufserfahrung, unterschiedlicheArbeitgeber, Eingruppierung 169

136. Branchenzuschläge für Leiharbeitnehmer 169

Prozessuales

137. Weiterbeschäftigungsanspruch, einstweilige Ver-fügung, Verfügungsgrund 169

138. Direktionsrecht, einstweilige Verfügung, Verfü-gungsgrund 170

139. Einstweiliger Rechtsschutz, aufschiebende Wir-kung, Integrationsamt, Zustimmung zur Kündi-gung 171

140. Feststellungsinteresse, Vergütung, Tarifvertrag 172

141. Zulässige Aussetzung des Verfahrens, Wirksamkeiteiner Allgemeinverbindlicherklärung, Zweifel amErreichen des Quorums 173

Allgemeines Vertragsrecht

91. Schadensersatz, arbeitsvertragliche Pflichtverletzungdes Arbeitgebers, Mitverschulden des Arbeitnehmers,Wahrung von Ausschlussfristen aus einemVersicherungsvertrag

Aus dem Tatbestand:

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers gegen-über dem beklagten Land auf Zahlung von Schadensersatzwegen entgangener Invaliditätsleistungen aus einer zuguns-

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Seite142. Fristversäumnis, keine Wiedereinsetzung, Faxver-

such um zehn vor zwölf, Voice over IP (VoIP), sip-gate 174

Sonstiges

143. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, Phy-siotherapeuten 174

144. Abführen von Abgaben durch Arbeitgeber 175

145. Insolvenzanfechtung – Darlegungs- und Beweis-last des anfechtenden Insolvenzverwalters – ge-ringfügiges Beschäftigungsverhältnis – arbeitsver-tragliche Ausschlussfrist 176

146. Zeitzuschläge als unpfändbare Erschwerniszu-schläge 176

147. Nichtzahlung angeordneter Raten, Aufhebung derPKH setzt Verschulden voraus 178

Streitwert und Gebühren

148. Wirksamkeit eines Streitwert, Aufhebungsvertrag,Abfindung 178

149. Streitwert Zwischenzeugnis 179

150. Eingruppierung, Verfahrenswert 179

151. Streitwert, Streitwertkatalog, Beschlussverfahren,Zustimmungsersetzung, „Mengenrabatt“ beiselbstständigen Einzelverfahren 179

152. Streitwert, Beschlussverfahren, Zustimmungser-setzung, Eingruppierung, mehrere Fälle in einemVerfahren 179

153. Streitwert eines Verfahrens über die Besetzungder Einigungsstelle 180

154. Streitwert, Änderungskündigung, anderer Arbeits-ort 180

155. Terminsgebühr durch Telefonat 181

ten des Klägers als Arbeitnehmer abgeschlossenen Gruppen-unfallversicherung. (…)Der Kläger erlitt am 6.1.2009 in Ausübung seiner Tätigkeit alsStraßenwärter für das beklagte Land auf der A 4 RichtungKöln bei einer Baustelle an der Ausfahrt Eschweiler-Ost einenfür ihn unvermeidbaren Verkehrsunfall, (…)Am 3.3.2009 nahm der Kläger seine Arbeit wieder auf und un-terzeichnete an demselben Tag mehrere von einer Sachbear-beiterin des beklagten Landes bereits für ihn ausgefüllte For-mularvordrucke, u.a. eine Unfallanzeige zur privaten Unfall-versicherung auf einem Vordruck der Provinzial Rheinland

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Rechtsprechung

Allgemeines VertragsrechtAllgemeines Vertragsrecht

Versicherung AG (…). Der Verbleib der von dem Kläger unter-zeichneten und der zuständigen Sachbearbeiterin des beklag-ten Landes wieder ausgehändigten Unfallanzeige zur privatenUnfallversicherung bei Provinzial Rheinland Versicherungvom 3.3.2009 ist ungeklärt; sie ging jedenfalls nicht bei derVersicherungsgesellschaft ein. (…)

[Das Land] wandte sich daraufhin an die Provinzial RheinlandVersicherung AG und meldete (erstmals) den Verkehrsunfalldes Klägers am 6.1.2009 sowie Leistungsansprüche an. DieProvinzial Rheinland Versicherung AG teilte Folgendes mit:

„(…) Durch die verspätete Meldung ist die Frist zur Anmel-dung eines Invaliditätsanspruchs seit dem 6.4.2010 abgelau-fen. (…)“

Aus den Entscheidungsgründen:

a) Verletzt der Arbeitgeber rechtswidrig und schuldhaft eineihm nach dem Arbeitsvertrag obliegende Pflicht, so kann derArbeitnehmer Ersatz des hierdurch entstehenden Schadensverlangen, §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 249 ff. BGB. (…)

aa) Das beklagte Land (Versicherungsnehmerin) hat zuguns-ten der bei ihm im Straßenunterhaltungsbau beschäftigtenArbeitnehmer, zu denen auch der Kläger (Versicherter) ge-hört, bei der Provinzial Rheinland Versicherung AG (Versiche-rungsgeber) eine Gruppenunfallversicherung abgeschlossen.Bei dieser ausweislich des Versicherungsscheins bereits imJahr 1969 abgeschlossenen Gruppenunfallversicherung han-delt es sich nicht um eine sogenannte Eigenversicherung,sondern um eine Fremdversicherung (Versicherung für eineandere Person) im Sinne der §§ 179, 43 VVG. Nach § 44 Abs. 1VVG stehen die Rechte aus dem Fremdversicherungsvertragdem Versicherten zu, die Übermittlung des Versicherungs-scheins kann hingegen nur der Versicherungsnehmer verlan-gen. Der Versicherungsnehmer kann zudem nach § 45 Abs. 1VVG über die Rechte, die dem Versicherten aus dem Versiche-rungsvertrag zustehen, im eigenen Namen verfügen. Der Ver-sicherte kann demgegenüber nur dann ohne Zustimmungdes Versicherungsnehmers über seine Rechte verfügen unddiese gerichtlich geltend machen, wenn er im Besitz des Versi-cherungsscheins ist, § 44 Abs. 2 VVG. In Anbetracht dieser ge-setzlichen Regelungen stehen dem Kläger als versicherter Per-son zwar grundsätzlich die Rechte aus dem Gruppenunfallver-sicherungsvertrag bei der Provinzial Rheinland VersicherungAG zu, das beklagte Land ist aber als Versicherungsnehmernicht nur der formelle Träger der Versicherungsrechte. Ihmsteht die Verfügungsbefugnis über die Rechte des Klägers ausder Gruppenunfallversicherung zu. Etwas anderes gilt nurdann, wenn der Versicherte im Besitz des Versicherungs-scheins ist. Den Normen des VVG entsprechend ist in § 12 IAUB 88 geregelt, dass bei einer Fremdversicherung – wiehier – die Ausübung der Rechte aus dem Vertrag nicht demVersicherten, sondern dem Versicherungsnehmer zusteht.Dieser ist ferner neben dem Versicherten für die Erfüllung derObliegenheiten verantwortlich.

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(1) Zu den Obliegenheiten aus dem Gruppenunfallversiche-rungsvertrag gehört nach § 30 Abs. 1 VVG sowie § 9 I AUB 88die unverzügliche Anzeige eines Unfallereignisses, das vo-raussichtlich zu einer Leistungspflicht aus dem Versicherungs-vertrag führt, gegenüber dem Versicherungsgeber. Zur An-zeige eines Versicherungsfalls sind im Falle einer Fremdversi-cherung der Versicherungsnehmer als auch der Versicherteverpflichtet. Gemäß § 9 II AUB 88 ist die von dem Versichererübersandte Unfallanzeige wahrheitsgemäß auszufüllen undumgehend an diesen zurückzusenden. Im Streitfall wurde dieUnfallanzeige an die Provinzial Rheinland Versicherung AGzwar mit Datum vom 3.3.2009 von dem beklagten Land aus-gefüllt, von dem Kläger unterzeichnet und an demselben Tagdem beklagten Land wieder zur Weiterleitung an die Versi-cherungsgeberin übergegeben, diese ging der Versicherungs-geberin jedoch aus ungeklärten Gründen nicht zu. Das be-klagte Land zeigte daher unstreitig erstmals im Mai 2012, mit-hin mehr als drei Jahre nach dem Arbeitsunfall des Klägers am6.1.2009, das Unfallereignis gegenüber der Versicherungsge-berin an und machte Ansprüche auf Invaliditätsleistungen ausdem Gruppenunfallversicherungsvertrag zugunsten des Klä-gers geltend. Zu diesem Zeitpunkt waren die versicherungs-vertraglich vereinbarten Anmeldefristen für entsprechendeAnsprüche des Klägers aus der Gruppenunfallversicherunggemäß § 7 I AUB 88 bereits abgelaufen und demzufolge einLeistungsanspruch wegen Invalidität zugunsten des Klägersausgeschlossen.(2) Selbst wenn man zugunsten des beklagten Landes unter-stellt, dass die ursprüngliche Unfallanzeige gegenüber derVersicherungsgeberin vom 3.3.2009 ordnungsgemäß zur Postgegeben wurde und aus ungeklärten Gründen – mithin ausGründen, die von dem beklagten Land nicht zu vertretensind – die Versicherungsgeberin nicht erreicht hat, so hat dasbeklagte Land vorliegend im Hinblick auf die verspätete Un-fallanzeige und die damit einhergehende verfristete Geltend-machung von Invaliditätsansprüchen des Klägers aus derGruppenunfallversicherung seine ihm obliegende arbeitsver-tragliche Nebenpflicht, den Kläger als Arbeitnehmer vor einerVerletzung seiner Vermögensinteressen zu bewahren, im zuentscheidenden Einzelfall verletzt. Da allein dem beklagtenLand und gerade nicht dem Kläger als Versichertem die Aus-übung der Rechte aus dem Gruppenunfallversicherungsver-trag nach Maßgabe der vertraglichen Bedingungen oblag(§ 12 I AUB 88), war nach Ansicht des erkennenden Gerichtsunter Berücksichtigung der Maßstäbe der §§ 242 und 241Abs. 2 BGB ausschließlich das beklagte Land und nicht derKläger selbst gehalten, die fristgerechte Geltendmachung vonLeistungsansprüchen aus der Gruppenunfallversicherung zu-gunsten des Klägers zu gewährleisten; hierzu gehört nach An-sicht des Gerichts in Anbetracht von versicherungsvertraglichvereinbarten Ausschlussfristen – deren Nichteinhaltung zumErlöschen der Leistungsansprüche führt – insbesondere dieÜberwachung des Vorgangs und Kontrolle des jeweiligen Fris-tenregimes. Dies ist aber unstreitig nicht erfolgt, (…). Der Klä-

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Rechtsprechung

Allgemeines Vertragsrecht Allgemeines Vertragsrecht

ger selbst hatte mit der Unterschriftsleistung auf der Unfallan-zeige vom 3.3.2009 die ihm nach den gesetzlichen und versi-cherungsvertraglichen Anforderungen obliegende Verpflich-tung zunächst erfüllt. Er war unstreitig nicht im Besitz des Ver-sicherungsscheins mit der Folge, dass ihm ohne Zustimmungdes beklagten Landes keinerlei Verfügungsbefugnis überseine Rechte aus der Gruppenunfallversicherung bei der Pro-vinzial Rheinland Versicherung AG zustand – mit anderenWorten: er war zur unmittelbaren Geltendmachung von An-sprüchen gegenüber der Versicherungsgeberin weder be-rechtigt noch verpflichtet. (…)bb) Die verspätete Anzeige und Geltendmachung von In-validitätsleistungen aus der Gruppenunfallversicherungdurch das beklagte Land gegenüber der Versicherungsgebe-rin erfolgte auch rechtswidrig und schuldhaft im Sinne des§ 276 Abs. 1 S. 1 BGB. (…) Nach Maßgabe dieser Vorausset-zungen handelte das beklagte Land fahrlässig, da der/dieSachbearbeiter/in die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außerAcht ließ. Er/sie hat die gebotene Überwachung des Vorgangsund Kontrolle des Fristenregimes zur fristgerechten Geltend-machung von Invaliditätsansprüchen aus der Gruppenunfall-versicherung zugunsten des Klägers unterlassen. Die Versäu-mung versicherungsvertraglicher Ausschlussfristen bei man-gelnder Fristenkontrolle ist voraussehbar und vermeidbar.(…)b) Dem Kläger ist durch das schuldhafte Fehlverhalten des be-klagten Landes ein Schaden in Form entgangener Invaliditäts-leistungen aus der bei der Provinzial Rheinland VersicherungAG bestehenden Gruppenunfallversicherung entstanden.(…)d) Der Schadensersatzanspruch des Klägers gegenüber dembeklagten Land ist entgegen der vom beklagten Land vertre-tenden Ansicht weder durch ein Mitverschulden des Klägersausgeschlossen noch gemindert nach § 254 Abs. 1 BGB. (…)aa) Soweit das beklage Land der Ansicht ist, dem Kläger habeeine Erkundungspflicht nach dem Stand der Dinge in Sa-chen Unfallversicherung oblegen, weil dies von einem durch-schnittlichen sorgfältigen Arbeitnehmer in der Situation desKlägers erwartet werden könne und diese Erkundungspflichthabe der Kläger schuldhaft verletzt, konnte das Gericht denauf der Grundlage der von dem beklagte Land hierzu vorge-tragenen Tatsachen nicht folgen. Allein der zuletzt unstreitiggewordene Umstand, dass der Kläger von der reinen Existenzeiner Gruppenunfallversicherung zugunsten der Arbeitneh-mer Kenntnis hatte und bei Unterschriftleistung auf der Un-fallanzeige vom 3.3.2009 ggfs. nochmals darauf hingewiesenwurde, dass diese zur Vorlage bei der Versicherungsgeberinder Gruppenunfallversicherung bestimmt sei, reicht zunächstzur Begründung einer Erkundungspflicht für den Kläger ge-genüber dem beklagten Land jedenfalls nicht aus. Das be-klagte Land trägt weder Tatsachen vor, dass es den Kläger zueinem wie auch immer gearteten Zeitpunkt über Art und Um-fang von zu erwartenden Leistungen aus der Gruppenunfall-versicherung, über deren Anspruchsvoraussetzungen noch

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über Ausschlussfristen detailliert informiert hat. (…) Abschlie-ßend weist das Gericht darauf hin, dass nicht erkennbar ist,warum der Kläger sich – wie das beklagte Land meint – be-reits nach wenigen Monaten nach dem Sachstand betreffenddie Gruppenunfallversicherung hätte erkundigen müssen.Nach den im Rechtsstreit vorgelegten Unterlagen sind in ver-sicherungsrechtlicher Hinsicht ärztliche Begutachtungen desVersicherten notwendig mit der Folge, dass die Auskehrungvon Leistungen aus der Gruppenunfallversicherung mit er-heblicher zeitlicher (u.U. erst nach ein bis zwei Jahren) Verzö-gerung an den Versicherten erfolgt. (…)bb) Schließlich war der Kläger auch nicht gehalten – wie dasbeklagte Land meint – unter dem Gesichtspunkt der Scha-densminderungspflicht das Angebot der Provinzial Rhein-land Versicherung AG vom 31.8.2012 zur Zahlung eines ein-maligen Abfindungsbetrags in Höhe von 1.000,00 EUR anzu-nehmen. Das Angebot der Versicherungsgeberin nebst Abfin-dungserklärung vom 31.8.2012 richtete sich auf der Grund-lage der gesetzlichen und vor allen Dingen versicherungsver-traglichen Bestimmungen (AUB 88) einzig und allein an dasbeklagte Land als Versicherungsnehmerin, nicht aber den Klä-ger als Versicherten. Dieser konnte daher das Abfindungsan-gebot – soweit es ihm überhaupt in schriftlicher Form inner-halb der Annahmefrist vorlag – überhaupt nicht rechtswirk-sam gegenüber der Versicherungsgeberin annehmen, son-dern dies konnte nur das beklagte Land. Es wäre mithin nachAnsicht des Gerichts vielmehr Sache des beklagten Landesgewesen, das Angebot der Provinzial Rheinland VersicherungAG anzunehmen, um einen Schadensersatzanspruch des Klä-gers gegen sich selbst zu minimieren. (…)■ Arbeitsgericht Aachenvom 29.7.2014, 5 Ca 4925/12 deingereicht von Rechtsanwalt Volker ThieleOberstraße 1, 52349 DürenTel.: 02421/13040, Fax: 02421/[email protected], www.fachanwalt-thiele.de

92. Diskriminierung wegen des Geschlechts,Entschädigung, Nachzahlung der Vergütung,Ausschlussfrist, Dauertatbestand

Entscheidungsgründe:Die zulässigen Berufungen der Klägerin und der Beklagtensind teilweise begründet. Die Klägerin hat gegen die BeklagteAnspruch auf Zahlung von Vergütungsdifferenzen für die Zeitvom 1.1.2009 bis 31.12.2012 i.H.v. 11.016,47 EUR brutto nebstZinsen. Darüber hinaus kann sie von der Beklagten eine Ent-schädigung i.H.v. 6.000,00 EUR wegen Geschlechtsdiskrimi-nierung beanspruchen. Der Auskunftsantrag ist unzulässig.(…)2. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Klägerinein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zusteht,weil sie von der Beklagten wegen ihres Geschlechts beim Ent-gelt benachteiligt worden ist. Auf die Berufung der Klägerin

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ist der vom Arbeitsgericht festgesetzte Entschädigungsbetragauf 6.000,00 EUR heraufzusetzen. (…)Bei Anwendung dieser Grundsätze hält die Berufungskammerunter Würdigung aller Umstände des vorliegenden Falles eineEntschädigung i.H.v. 6.000,00 EUR für angemessen. Die Be-klagte hat die Klägerin und eine Vielzahl weiterer Frauen bis31.12.2012 jahrelang bei gleicher Tätigkeit wegen ihres Ge-schlechts geringer vergütet als Männer. Art, Schwere undDauer der vorliegenden Benachteiligung gebieten es, einenfühlbaren Entschädigungsbetrag festzusetzen, denn es han-delte sich um eine unmittelbare Benachteiligung, die schwe-rer wiegt als eine bloß mittelbare (vgl. BAG v. 18.3.2010 – 8AZR 1044/08 – Rn 43, NZA 2010, 1126). Ferner ist von einemvorsätzlichen und nicht nur fahrlässigen Verhalten der Beklag-ten bei der Benachteiligung der Frauen aufgrund ihres Ge-schlechts auszugehen. Entgegen ihrer Ansicht vermag es dieBeklagte nicht zu entlasten, dass die unterschiedliche Entloh-nung von Frauen und Männern in ihrem Produktionsbetriebnicht verdeckt erfolgt, sondern jederzeit „offen kommuni-ziert“ worden sei. Die geschlechtsbezogene Ungleichbehand-lung beim Entgelt, die die Beklagte bis 31.12.2012 fortgesetzthat, war eklatant rechtswidrig. Dass die Ungleichbehandlungder Frauen nach dem Vorbringen der Beklagten in ihrem Be-trieb offen zu Tage getreten sein soll, schmälert den Unrechts-gehalt der Diskriminierung nicht.Die Höhe des Bruttomonatsentgelts der Klägerin ist für dieHöhe der Entschädigung im Streitfall unerheblich. Das Brutto-monatsentgelt kann ein geeigneter Maßstab bei der Festle-gung der Entschädigungshöhe im Zusammenhang mit Nicht-einstellungen (vgl. § 15 Abs. 2 S. 2 AGG) oder Entlassungen(vgl. § 10 KSchG) sein. Die vorliegende Diskriminierung er-folgte jedoch im bestehenden Arbeitsverhältnis, so dass dieVergütungshöhe nicht zwingend Einfluss auf die Höhe derEntschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG haben muss (vgl. BAG v.22.1.2009 – 8 AZR 906/07 – Rn 84, AP AGG § 15 Nr. 1).Nach der Wertung des Gesetzgebers stellen Benachteiligun-gen wegen des Geschlechts regelmäßig eine Verletzung desallgemeinen Persönlichkeitsrechts dar (BAG v. 19.12.2013 – 6AZR 190/12 – Rn 33 m.w.N. NZA 2014, 372; KR/Treber, 10. Aufl.§ 15 AGG Rn 27 m.w.N). Die Sanktion des § 15 Abs. 2 AGG sollim Kern gerade vor solchen Persönlichkeitsrechtsverletzun-gen schützen. Die im diskriminierenden Verhalten liegendePersönlichkeitsrechtsverletzung soll als solche unabhängigvon den materiellen Ansprüchen sanktioniert werden. Im vor-liegenden Fall ist es sachgerecht, die Höhe der Entschädigungvom durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt der Klägerin ab-zukoppeln. Die Beklagte hat in ihrem Betrieb alle weiblichenProduktionsbeschäftigten mit einfacher Tätigkeit jahrelangwegen ihres Geschlechts geringer vergütet als die männli-chen. Wenn auch die Vergütungsdifferenzen, u.a. wegen derArbeitszeiten, für jede Frau unterschiedlich hoch ausfallen, istdoch die mit der geschlechtsbezogenen Ungleichbehandlungverbundene Persönlichkeitsverletzung für jede im Produkti-onsbetrieb der Beklagten betroffene Frau gleich schlimm.

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Deshalb hält die Berufungskammer die Festsetzung eines ein-heitlichen Entschädigungsbetrags von 6.000,00 EUR für ange-messen. (…)c) Die Klägerin hat den Entschädigungsanspruch mit Schrei-ben vom 9.11.2012 rechtzeitig innerhalb der zweimonatigenAusschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG geltend gemacht. Die Fristbeginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Beschäftigte von derBenachteiligung Kenntnis erlangt. Vorliegend hat die Be-klagte der Klägerin aufgrund ihres Geschlechts bis zum31.12.2012 für gleiche Arbeit eine geringere Vergütung ge-zahlt als den männlichen Produktionsmitarbeitern. Damit lagein Dauertatbestand vor, so dass die Ausschlussfrist erst mitdessen Beseitigung ab Jahresanfang 2013 begann. Wenn einnoch nicht abgeschlossener, länger währender Zustand vor-liegt, beginnt die Ausschlussfrist nicht vor dessen Beendigungzu laufen (vgl. BAG v. 24.9.2009 – 8 AZR 705/08 – Rn 60 m.w.N,AP AGG § 3 AGG Nr. 2). (…)■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalzvom 14.8.2014, 5 Sa 511/13eingereicht von Rechtsanwalt Michael PeterRechtsanwälte Dr. Anders & PeterBismarckstraße 10, 53604 Bad HonnefTel.: 02224/2638, Fax: 02224/[email protected], www.anders-peter.de

93. Diskriminierung, Schwerbehinderung, AbfindungSozialplan

Aus dem Tatbestand:Die Parteien streiten über die Höhe (…) eines Anspruchs derKlägerin auf Zahlung von Abfindungen (…).Die Klägerin ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinde-rung von 90.Zum Ablauf des 31.3.2013 stellte die Beklagte ihre gesamtenAußendienstaktivitäten ein (…). In diesem Zusammenhangschloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrateinen „Sozialplan Vertriebsaußendienst“ (…). In diesem Sozi-alplan heißt es unter anderem:„III. Abfindung rentennahe BeschäftigteBeschäftigte, die spätestens 24 Monate nach Ablauf der Kün-digungsfrist ungekürztes Altersruhegeld aus der gesetzlichenRentenversicherung beziehen können, erhalten keine Abfin-dung nach Ziff. II, sondern eine Abfindung in Höhe von 40 %des Bruttomonatsentgelts für den Monat zwischen dem Aus-scheiden und dem möglichen ungekürztem Altersruhegeld-bezug…“ (...)Aus den Entscheidungsgründen:bb) Die Klägerin wird durch die Regelungen in Nr. III. SP mit-telbar benachteiligt. Schwerbehinderte Arbeitnehmer, dienach § 236a Abs. 1 S. 1 SGB VI eine vorgezogene ungekürzteAltersrente mit 63 Jahren – ggf. zuzüglich der entsprechendenAnhebung nach § 236a Abs. 2 SGB VI – in Anspruch nehmenkönnen, werden durch die Abfindungsregelung in Nr. III. SPweniger günstig behandelt als andere Arbeitnehmer, die zu

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diesem Zeitpunkt noch keine Altersrente bzw. nur eine solchemit Abschlägen (§ 77 SGB VI) in Anspruch nehmen könnenund daher unter Nr. II. SP fallen. Denn unter Nr. III. SP fallennur Beschäftigte, die spätestens 24 Monate nach Ablauf derKündigungsfrist ungekürztes Altersruhegeld aus der gesetzli-chen Rentenversicherung beziehen können. Ausgangspunktfür die Bestimmungen in Nr. III. SP ist das Erreichen der gesetz-lichen Regelaltersrente, die bei schwerbehinderten Menschenvon 65 Jahren (§ 235 SGB VI) auf 63 Jahre abgesenkt ist(§ 236a Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Hätten die Betriebsparteien jed-wede Möglichkeit des Bezugs von Altersrente – also auch einesolche mit Abschlägen – ausreichen lassen wollen, um denAnwendungsbereich der Nr. III. SP zu eröffnen, hätten sie nur„Altersruhegeld“ formulieren können (und müssen), nicht da-gegen das Begriffspaar „ungekürztes Altersruhegeld“ verwen-den dürfen (so auch LAG Baden-Württemberg v. 19.11.2014 –13 Sa 58/14). Die Klägerin kann dagegen eine ungekürzte ge-setzliche Altersrente aufgrund ihrer Schwerbehinderung be-ziehen. Die Kürzung der „Normalfallabfindung“ nach II. SP ge-mäß der Regelungen in III. SP trifft die Klägerin daher alleinaufgrund ihrer Schwerbehinderung. Nur aufgrund diesesMerkmals i.S.d. § 1 AGG ist ihr ein Bezug von ungekürztem ge-setzlichem Altersruhegeld i.S.d. Nr. III SP möglich.c) Die Betriebsparteien haben diesen durch die Schwerbehin-derung der Klägerin eintretenden Nachteil auch nicht durchandere Leistungen ausgeglichen, so dass von einer Benachtei-ligung i.S.d. § 7 Abs. 2 AGG nicht mehr gesprochen werdenkönnte. Die von der Beklagten insofern angeführte betriebli-che Altersrente ist bereits kein objektiver Faktor, der nichts mitder Diskriminierung zu tun hat (EuGH v. 6.12.2012 – C-152/11 – Rn 67 m.w.N., a.a.O). Vielmehr wird sie gerade aufgrunddes Umstandes gezahlt, dass die Klägerin als Schwerbehin-derte früher als nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer Alters-ruhegeld und damit auch die betriebliche Altersrente bezie-hen kann. Das Arbeitsgericht hat zudem zutreffend ausge-führt, es sei nicht Sinn und Zweck der vorgezogenen betriebli-chen Altersrente einen Nachteil bei der Bemessung der Abfin-dungshöhe auszugleichen. Der Hinweis der Beklagten, dieLeistungen der betrieblichen Altersversorgung seien finanzi-elle Aufwendungen, auf die kein allgemeiner Anspruch be-stehe und die deshalb eine geringere Abfindung rechtfertig-ten, führt zu keinem anderen Ergebnis. (…)Die Betriebsparteien können die vorgezogene betriebliche Al-tersrente für schwerbehinderte Menschen nicht nachträglich„umwidmen“. Diese soll entsprechend der gesetzlichen Alters-rente für schwerbehinderte Menschen den Schwierigkeitenund besonderen Risiken Rechnung tragen, mit denen schwer-behinderte Arbeitnehmer generell konfrontiert sind. Dazu ge-hören das – erhöhte Risiko – schwerbehinderter Menschen,sich wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern, und der Um-stand, dass dieses Risiko steigt, je mehr sie sich dem Rentenal-ter nähern. Hinzukommen finanzielle Auswirkungen im Zu-sammenhang mit der Behinderung und auch deren Erhöhungmit zunehmendem Alter (EuGH v. 6.12.2012 – C-152/11 –

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Rn 67, 69, a.a.O.). Werden die Rentenleistungen, die diesenSchwierigkeiten Rechnung tragen, auf anderweitige Zahlun-gen „angerechnet“, die wie die Abfindung nach dem SP derÜberbrückung nach dem Verlust des Arbeitsplatzes dienen,wird ihnen der besondere Charakter der Hilfestellung fürschwerbehinderte Menschen genommen. Denn der Vorteildes vorgezogenen Rentenbezugs kehrt sich in den Nachteileiner wesentlich geringeren Abfindung um, ohne dass denschwerbehinderten Menschen im Vergleich zu anderen Ar-beitnehmern mit einem Anspruch auf eine Altersrente ein an-derer Vorteil als bloß derjenige des früheren Rentenbezugszuteilwürde. (…)■ Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg,Kammern Mannheimvom 16.12.2014, 16 Sa 9/14eingereicht von Rechtsanwalt Thomas GnannGnann, Thauer & KollegenBertoldstraße 48, 79098 FreiburgTel.: 0761/704090, Fax: 0761/[email protected], www.arbeitsrecht24.com

94. Mobbing, Schadensersatz

Aus dem Tatbestand:Die Parteien streiten über die Frage, ob der Kläger im Betriebder Beklagten Mobbing-Handlungen ausgesetzt ist. (…).Aus den Entscheidungsgründen:Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Schmerzensgeldnoch ein Anspruch auf Entschädigung wegen einer Persön-lichkeitsverletzung zu. (…)Der Arbeitgeber hat gegenüber seinem Arbeitnehmer be-stimmte Fürsorge- und Schutzpflichten wahrzunehmen. JederVertragspartei erwachsen aus einem Schuldverhältnis nichtnur Leistungs-, sondern auch Verhaltenspflichten zur Rück-sichtnahme und zum Schutz der Rechte, Rechtsgüter und In-teressen des anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Dies verbietetauch die Herabwürdigung oder Missachtung eines Arbeitneh-mers durch den Arbeitgeber. Dieser hat daher Anspruch da-rauf, dass auf sein Wohl und seine berechtigten InteressenRücksicht genommen wird, dass er vor Gesundheitsgefahren,auch psychischer Art, geschützt wird, und dass er keinem Ver-halten ausgesetzt wird, das bezweckt oder bewirkt, dass seineWürde verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindun-gen, Erniedrigungen, Entwürdigungen und Beleidigungengekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Der Arbeitgeberist in diesem Zusammenhang insbesondere auch zum Schutzder Gesundheit und der Persönlichkeitsrechte des Arbeitneh-mers verpflichtet (BAG, Urt. v. 24.4.2008 – 8 AZR 347/07, NZA2009, 38, 40 f.).Macht ein Arbeitnehmer konkrete Ansprüche aufgrund „Mob-bings“ geltend, muss jeweils geprüft werden, ob der in An-spruch Genommene in den vom Kläger genannten Einzelfäl-len arbeitsrechtliche Pflichten, ein absolutes Recht des Arbeit-nehmers im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB oder ein Schutzgesetz

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im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verletzt oder eine sittenwidrigeSchädigung im Sinne des § 826 BGB begangen hat. In diesemZusammenhang ist zu beachten, dass es Fälle gibt, in welchendie einzelnen vom Arbeitnehmer dargelegten Handlungenoder Verhaltensweisen seiner Arbeitskollegen, Vorgesetztenoder seines Arbeitgebers für sich allein betrachtet noch keineRechtsverletzungen darstellen, jedoch die Gesamtschau dereinzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen zu einer Ver-trags- oder Rechtsgutsverletzung führt, weil deren Zusam-menfassung aufgrund der ihnen zugrunde liegenden Syste-matik und Zielrichtung zu einer Beeinträchtigung eines ge-schützten Rechtes des Arbeitnehmers führt. Letzteres ist ins-besondere dann der Fall, wenn unerwünschte Verhaltenswei-sen bezwecken oder bewirken, dass die Würde des Arbeitneh-mers verletzt und ein durch Einschüchterungen, Anfeindun-gen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungengekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Dies entsprichtder in § 3 Abs. 3 AGG erfolgten Definition des Begriffes „Beläs-tigung“, die eine Benachteiligung im Sinne des § 1 AGG dar-stellt. Da ein Umfeld grundsätzlich nicht durch ein einmaliges,sondern durch ein fortdauerndes Verhalten geschaffen wird,sind alle Handlungen beziehungsweise Verhaltensweisen, diedem systematischen Prozess der Schaffung eines bestimmtenUmfeldes zuzuordnen sind, in die Betrachtung mit einzube-ziehen. Demzufolge dürfen einzelne zurückliegende Hand-lungen/Verhaltensweisen bei der Beurteilung nicht unberück-sichtigt gelassen werden (BAG, Urt. v. 24.4.2008 – 8 AZR 347/07, NZA 2009, 38,40). (…)

Es kann auch offen bleiben, ob der Kläger am 14.6.2013 desBetriebsgeländes verwiesen wurde und ob der Geschäftsfüh-rer M. J. dem Kläger am 11.7.2013 sagte, dass er in dem Unter-nehmen nicht willkommen sei, dass er keine Chance mehr er-halten werde und so kaputt im Kopf sei, dass man von ihmnichts mehr zu erwarten habe. Die Beklagte hat diese Behaup-tungen bestritten und der für das Vorliegen von entwürdigen-den und erniedrigenden Handlungen beweispflichtige Kläger(BAG, Urt. v. 14.11.2013 – 8 AZR 813/12, BeckRS 2014, 66815)hat für seine Behauptungen keine Beweismittel angeboten.

Auch der Umstand, dass der Kläger – wie er auf den Seiten 4 ff.seines Schriftsatzes vom 29.4.2014 dargelegt hat – mehrmalsanwaltliche beziehungsweise gerichtliche Hilfe in Anspruchnehmen musste, um Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnisdurchzusetzen, bedeutet nicht, dass die Beklagte bewusst dieErfüllung dieser Ansprüche verweigert hätte, um den Klägerzu demütigen.

■ Arbeitsgericht Kölnvom 11.2.2015, 20 Ca 9847/13

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Jürgen HöserHD&P. RechtsanwälteKölner Straße 2, 50226 FrechenTel.: 02234/18200, Fax: 02234/[email protected], www.hdup.de

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95. Altersdiskriminierung, Urlaub

Aus dem Tatbestand:Die Parteien streiten über die Höhe des jährlichen Urlaubsan-spruchs. (…)Die Beklagte gewährt allen Arbeitnehmers, die das 58. Le-bensjahr vollendet haben, 36 Arbeitstage Jahresurlaub.Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Urlaubsrege-lung sei altersdiskriminierend. (…)Aus den Entscheidungsgründen:II. Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen vor Vollen-dung ihres 58. Lebensjahres nicht (…) zwei weitere Urlaubs-tage zu. Die Urlaubsregelung ist nicht gemäß § 7 Abs. 2 AGGunwirksam und führt somit bezüglich der Dauer des Urlaubsder Klägerin nicht zu einer „Anpassung nach oben“. (…)cc) Dem Arbeitgeber steht bei freiwilligen zusätzlichen Leis-tungen – wozu auch die Gewährung von übergesetzlichemMehrurlaub gehört – ein von den Gerichten zu respektieren-der Gestaltungs- und Ermessensspielraum zu (vgl. zu Leistun-gen der betrieblichen Altersversorgung: BAG v. 12.11.2013 – 3AZR 356/12 – Rn 28; 12.2.2013 – 3 AZR 100/11 – Rn 31 m.w.N,BAGE 144, 231). Auch in der Rechtsprechung des EuGH ist an-erkannt, dass die Mitgliedstaaten und gegebenenfalls die So-zialpartner auf nationaler Ebene beim gegenwärtigen Standdes Unionsrechts nicht nur bei der Entscheidung, welcheskonkrete Ziel von mehreren im Bereich der Arbeits- und Sozi-alpolitik sie verfolgen wollen, sondern auch bei der Festle-gung der Maßnahmen zu seiner Erreichung über einen weitenGestaltungsspielraum verfügen (EuGH v. 16.10.2007 – C-411/05 [Palacios de la Villa] Rn 68, Slg. 2007, I-8531). Diese Erwä-gungen gelten nach dem EuGH auch für Ziele, die der Arbeit-geber mit einer vertraglichen Regelung verfolgt (vgl. EuGH26.9.2013 – C-476/11 [HK Danmark] Rn 61).dd) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Benachteiligungder Arbeitnehmer der Beklagten, die das 58. Lebensjahr nochnicht vollendet haben, gerechtfertigt.(1) Die Beklagte gewährt den Arbeitnehmern in ihrem Pro-duktionsbetrieb nach der Vollendung des 58. Lebensjahresaufgrund ihres gesteigerten Erholungsbedürfnisses zwei wei-tere Urlaubstage im Kalenderjahr und bezweckt damit die Si-cherstellung des Schutzes älterer Beschäftigter i.S.v. § 10 S. 3Nr. 1 AGG. Da dieser Schutz die Festlegung besonderer Ar-beitsbedingungen einschließt (BAG v. 20.3.2012 – 9 AZR 529/10 – Rn 20, BAGE 141, 73), unterfallen ihm auch zusätzlicheUrlaubstage.(a) Das AGG definiert in § 10 S. 3 Nr. 1 – ebenso wie Art. 6Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG – nicht,wann ein Beschäftigter „älter“ im Sinne der Norm ist (vgl. zumherkömmlichen Verständnis: BAG v. 18.9.2014 – 6 AZR 636/13 – Rn 44). Nach dem Sinn und Zweck des Benachteiligungs-verbots reicht es ohne das Vorliegen anderer Differenzie-rungsgründe nicht aus, dass das Alter der begünstigten Ar-beitnehmer höher ist als das Alter der nicht begünstigten.Dementsprechend hat der Senat angenommen, ein Arbeit-

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nehmer sei nach der Vollendung seines 31. Lebensjahres of-fensichtlich noch kein älterer Beschäftigter i.S.v. § 10 S. 3 Nr. 1AGG (BAG v. 13.10.2009 – 9 AZR 722/08 – Rn 55, BAGE 132,210). Aus dem systematischen Zusammenhang mit § 10 S. 1AGG und aus dem Regelungszweck folgt, dass die begünstig-ten Arbeitnehmer aufgrund ihres Alters der Förderung bei derberuflichen Eingliederung oder des Schutzes bedürfen müs-sen.(aa) Der Senat ist in seiner Entscheidung vom 20.3.2012 nichtdavon ausgegangen, dass mit zunehmendem Alter das Erho-lungsbedürfnis von Arbeitnehmern steige. Er hat allerdings abeinem bestimmten Alter – konkret: bei über 50- oder über 60-jährigen Beschäftigten – ein altersbedingt gesteigertes Erho-lungsbedürfnis für „eher nachvollziehbar“ gehalten (BAG v.20.3.2012 – 9 AZR 529/10 – Rn 24 f., BAGE 141, 73).(bb) Das Landesarbeitsgericht hat in Übereinstimmung mitder überwiegenden Auffassung im Schrifttum als Erfahrungs-satz angenommen, dass mit zunehmendem Alter das Erho-lungsbedürfnis von Arbeitnehmern steigt (so auch Tempel-mann/Stenslik, DStR 2011, 1183, 1185 f.; Lingemann/Gotham,NZA 2007, 663, 666; Kamanabrou, NZA Beilage 3/2006, 138,143 f.; Waltermann, NZA 2005, 1265, 1269; Over, Das Verbotder Altersdiskriminierung im Arbeitsrecht nach dem Allgemei-nen Gleichbehandlungsgesetz S. 231; Küttner/Kania, Personal-buch 2014 Diskriminierung Rn 90; vgl. auch Hessisches LAG17.1.2014 – 14 Sa 646/13 – zu II 2 b cc (3) (a) der Gründem.w.N). Diese Ansicht ist allerdings nicht unumstritten. Sowird auf die Individualität der Alterungsprozesse und den feh-lenden Nachweis von Altersklassen mit spezifischem Erho-lungsbedarf hingewiesen (Löwisch/Rieble, TVG 3. Aufl. § 1Rn 822). Die Aufstellung eines generellen Erfahrungssatzessoll dem traditionellen Bild vom „alten Arbeitnehmer“ ent-sprechen (Däubler/Bertzbach/Brors, 3. Aufl. § 10 Rn 43). Auchwird hervorgehoben, dass der Gesetzgeber in § 3 BUrlG be-züglich der Dauer des Urlaubs nicht nach dem Lebensalter derArbeitnehmer unterscheide und demnach nicht von einemunterschiedlichen Erholungsbedürfnis ausgehe (Bertelsmann,in: Rust/Falke, AGG, § 10 Rn 93). Auch auf europäischer Ebenesehe Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG vier Wochen Urlaub ein-heitlich für alle Berufsgruppen altersunabhängig vor (v. Roet-teken, AGG, Stand September 2014 § 10 Rn 262). Verlangt wirdzumindest die Darlegung eines empirischen Befunds zumsteigenden Erholungsbedarf unter Beachtung der Tätigkeitbevorzugter Arbeitnehmer (Däubler/Bertzbach/Brors, a.a.O.;aA Kasprzyk, Altersdiskriminierung im deutschen ArbeitsrechtS. 185).(b) Erfahrungssätze sind Hilfsmittel. Die Feststellung von all-gemein anerkannten Erfahrungssätzen ist als Tatfrage denTatsachengerichten vorbehalten. Dabei ist es diesen nicht ver-wehrt, das Bestehen oder Nichtbestehen eines Erfahrungssat-zes zu beurteilen, wenn sie dazu über ausreichende Sach-kunde und Lebenserfahrung verfügen. Andernfalls haben siesich der Hilfe eines Sachverständigen zu bedienen. Die Zuzie-hung eines Sachverständigen zur Unterstützung des Gerichts

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ist gemäß § 144 Abs. 1 ZPO durch die Tatsachengerichte stetsnach pflichtgemäßen Ermessen zu prüfen (BAG v.13.10.2009 – 9 AZR 722/08 – Rn 65 m.w.N, BAGE 132, 210; vgl.allg. zu Erfahrungssätzen: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hart-mann, ZPO, 73. Aufl., Einf. § 284 Rn 22).(c) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das Lan-desarbeitsgericht von der Zuziehung eines Sachverständigenabgesehen hat. Dieses durfte aufgrund der von ihm festge-stellten körperlich anstrengenden Tätigkeiten im Produktions-betrieb der Beklagten auch ohne Sachverständigengutachtenannehmen, dass das Erholungsbedürfnis der dort beschäftig-ten Arbeitnehmer mit zunehmendem Alter steigt. Ob es einentätigkeitsunabhängigen generellen Zusammenhang zwi-schen dem Erholungsbedarf und dem Alter gibt (so etwa Ka-manabrou a.a.O.), kann dahinstehen.(aa) Die Annahme eines Erfahrungssatzes dahingehend, dassbei körperlich belastenden Berufen das Erholungsbedürfnisim höheren Alter steigt, begegnet keinen Bedenken. In derRechtsprechung ist anerkannt, dass die physische Belastbar-keit mit zunehmendem Alter abnimmt (etwa BAG v.13.10.2009 – 9 AZR 722/08 – Rn 67 m.w.N, BAGE 132, 210; Bay-erischer VGH v. 24.10.2011 – 3 ZB 08.721 – zu II 1 b derGründe). Dieser Erfahrungssatz betrifft auch den Wirkungszu-sammenhang von erreichtem Lebensalter und Krankheitsan-fälligkeit (Hessisches LAG v. 17.1.2014 – 14 Sa 646/13 – zu II 2b cc (3) (a) der Gründe m.w.N.). Alle bekannten privaten undöffentlichen Systeme der Kranken-, Renten- und Lebensversi-cherung beruhen auf dieser Erwartung (BAG v. 6.11.2008 – 2AZR 523/07 – Rn 54, BAGE 128, 238). Entgegen der Ansicht derKlägerin kommen auch nicht lediglich Studien älteren Da-tums – wie etwa die ILO-Empfehlung Nr. 162 vom 23.6.1980oder der WHO Technical Report Series 835 „Aging and Wor-king Capacity” (dt. Übersetzung: „Altern und Arbeit“ 1994) –zu diesem Ergebnis. Die Ergebnisse dieser Untersuchungenwerden bestätigt z.B. durch den „Fortschrittsreport Altersge-rechte Arbeitswelt“, Ausgabe 3 des Bundesministeriums fürArbeit und Soziales (Stand September 2013). Nach diesem hatsich zwar die körperliche Konstitution besonders für die Al-tersgruppe der 45- bis 64-Jährigen verbessert (Ziff. 3.1). Den-noch zeigt die Studie weiterhin ein Ansteigen der Anzahl derkrankheitsbedingten Fehltage sowie eine Verschlechterungdes Gesundheitszustands mit fortschreitendem Lebensalter(Ziff. 4.2, Tabelle 2). Insbesondere bei belastenden Berufennimmt die Anzahl krankheitsbedingter Fehltage im Alterüberproportional zu und der Gesundheitszustand verschlech-tert sich überproportional (vgl. Ziff. 4.2). Auch bei einfachenDienstleistungen und einfachen manuellen Berufen ver-schlechtert sich der „selbstberichtete Gesundheitszustand inder Altersgruppe 55 bis 64 Jahre im Vergleich zum Durch-schnitt“ immer noch deutlich (Ziff. 3.4). Zumindest hinsichtlichdieser Berufe erscheint die Annahme eines größeren Erho-lungsbedarfs im erhöhten Alter als nicht fehlerhaft (ebensoReinhard, ArbRB 2012, 342, 343). Auch Gegner eines allgemei-nen Erfahrungssatzes gestehen zu, dass bei gesundheitlich

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besonders belastenden Tätigkeiten ein gesteigerter Erho-lungsbedarf mit zunehmendem Alter angenommen werdenkann (v. Roetteken, a.a.O.; Däubler/Bertzbach/Brors, a.a.O.; Lö-wisch/Rieble, § 1 Rn 823).

Soweit das Landesarbeitsgericht auf die teilweise geforderteDarlegung spezifischer empirischer Untersuchungen bezogenauf die Tätigkeiten im Produktionsbetrieb der Beklagten ver-zichtet hat, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.Die Durchführung derartiger Untersuchungen wäre praktischaufwändig und schwierig (weitergehend Kasprzyk a.a.O.: „un-möglich“). Eine übersteigerte Darlegungslast würde dieEinführung freiwilliger Leistungen unzumutbar erschwe-ren. Die Feststellungen durch das Landesarbeitsgericht, dassdie Beschäftigten der Beklagten bei der Schuhfertigung kör-perlich ermüdende und teils schwere Arbeiten leisten, ver-stärkt durch einen besonderen, prämienbezogenen Zeit- undQualitätsdruck im Sinne eines Teamakkords, genügt danachals Tatsachenbasis für die Bejahung des dargestellten Erfah-rungssatzes.

(bb) Der Hinweis auf die fehlende Altersstaffelung in § 3 BUrlGund Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG hilft der Klägerin für dieFrage der Legitimität des Zwecks nicht weiter. Die Vorschriftenregeln nur die Dauer des Mindesturlaubs und damit das un-terste Maß dessen, was nach deutschem und europäischemUrlaubsrecht unabhängig von individuellen Besonderheitenzur Erholung erforderlich ist. Spezifische Charakteristika – wiedas Alter oder der physische oder psychische Gesundheitszu-stand – bleiben bei der Setzung eines einheitlichen Minimal-standards naturgemäß außer Betracht. Auf nationaler Ebenekommt hinzu, dass der Gesetzgeber durchaus gesehen hat,dass es altersabhängig einen unterschiedlichen Erholungsbe-darf geben kann, wie etwa § 57 Abs. 2 SeeArbG und § 19Abs. 2 JArbSchG zeigen (siehe dazu v. Roetteken, § 10 Rn 263).

(d) Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagtedie Sicherstellung des Schutzes ihrer Arbeitnehmer nach Voll-endung des 58. Lebensjahres als Zweck der zwei weiteren Ur-laubstage vorgeschoben hat.

(aa) Allerdings ist dieser Zweck nicht unmittelbar der – nichtschriftlich fixierten – Regelung zu entnehmen. Nennt eine Re-gelung oder Maßnahme kein Ziel, müssen zumindest aus demKontext abgeleitete Anhaltspunkte die Feststellung des hinterder Regelung oder der Maßnahme stehenden Ziels ermögli-chen, um die Legitimität des Ziels sowie die Angemessenheitund die Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetztenMittel gerichtlich überprüfen zu können (BAG v. 20.3.2012 – 9AZR 529/10 – Rn 19 m.w.N., BAGE 141, 73; vgl. zur Richtlinie2000/78/EG: EuGH v. 21.7.2011 – C-159/10, C-160/10 – [Fuchsund Köhler] Rn 39 m.w.N., Slg. 2011, I-6919).

(bb) Wenn eine Tarifregelung die Urlaubsdauer nach dem Le-bensalter staffelt, liegt die Annahme nahe, die Tarifvertrags-parteien hätten einem mit zunehmendem Alter gesteigertenErholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung tragenwollen (BAG v. 20.3.2012 – 9 AZR 529/10 – Rn 23, BAGE 141,

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73). Diese Annahme darf freilich nicht durch die konkreteWahl der Altersgrenze(n) widerlegt werden, wie dies bei § 26TVöD a.F., der zusätzliche Urlaubstage bereits ab dem 30. Le-bensjahr vorsah, der Fall war (BAG v. 20.3.2012 – 9 AZR 529/10 – Rn 24 ff., a.a.O.).(cc) Es ist kein Grund ersichtlich, bei einer individualrechtli-chen Regelung nicht ebenfalls grundsätzlich davon auszuge-hen, dass mit einer Altersgrenze für die Gewährung zusätzli-chen Urlaubs einem gesteigerten Erholungsbedürfnis ältererArbeitnehmer Rechnung getragen werden soll. Diese An-nahme erscheint umso mehr gerechtfertigt, wenn sie wie hiermit der Anerkennung eines Erfahrungssatzes bezüglich desgesteigerten Erholungsbedarfs bei körperlich belastenden Be-rufen korreliert. Hinzu kommt, dass die ständige Übung derBeklagten inhaltlich einer einschlägigen tarifvertraglichen Re-gelung entspricht. So sah der persönlich, fachlich und räum-lich einschlägige Manteltarifvertrag vom 23.4.1997, abge-schlossen zwischen dem Hauptverband der DeutschenSchuhindustrie e.V. und der Gewerkschaft Leder sowie der IGBCE, für gewerbliche Arbeitnehmer in § 17 Ziff. 4 Buchst. a abdem 58. Lebensjahr ebenfalls zwei zusätzliche Urlaubstagevor. Diese Regelung war im Zeitpunkt der letzten mündlichenVerhandlung vor dem Landesarbeitsgericht nicht durch eineneue Bestimmung abgeändert.(dd) Schließlich widerlegt die Altersgrenze von 58 Lebensjah-ren nicht den Zweck, mit zwei weiteren Urlaubstagen im Ka-lenderjahr dem gesteigerten Erholungsbedürfnis Rechnungzu tragen. Dabei kann dahinstehen, ab welchem Alter die An-nahme, der zusätzliche Urlaub diene dem höheren Erholungs-bedürfnis älterer Beschäftigter i.S.v. § 10 S. 3 Nr. 1 AGG, nichtmehr ohne Weiteres aufrechterhalten bzw. als widerlegt er-achtet werden kann. Der Senat hat in der Entscheidung vom20.3.2012 gemäß dem Rechtsgedanken aus § 417 Abs. 1SGB III eine Altersgrenze von 50 Lebensjahren für die Einord-nung als älterer Beschäftigter i.S.v. § 10 S. 3 Nr. 1 AGG in Be-tracht gezogen (BAG v. 20.3.2012 – 9 AZR 529/10 – Rn 20,BAGE 141, 73; vgl. zu einer solchen Altersgrenze für die Ge-währung zusätzlicher Urlaubstage: Hessisches LAG v.17.1.2014 – 14 Sa 646/13). Das Landesarbeitsgericht hat er-gänzend darauf verwiesen, dass Leitlinie 17 der Entscheidungdes Rates vom 12.7.2005 über Leitlinien für beschäftigungs-politische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (2005/600/EG) Ar-beitskräfte ab Vollendung des 55. Lebensjahres als ältere Ar-beitnehmer erachtet und die WHO-Studiengruppe „Alternund Arbeit“ aus arbeitsmedizinischer Sicht wegen auftreten-der Schwierigkeiten in Arbeit und Beruf eine Grenze ab dem45. Lebensjahr angenommen hat (zu A II 15 b bb (3) (b) derGründe). Das Berufungsgericht hat damit nachvollziehbar be-gründet, warum es davon ausgeht, dass die Urlaubsregelungeinem legitimen Zweck i.S.v. § 10 S. 3 Nr. 1 AGG dient und esdiesen Zweck nicht lediglich als von der Beklagten vorgescho-ben erachtet.(2) Die Regelung ist geeignet, den in § 10 S. 3 Nr. 1 AGG be-schriebenen Zweck zu fördern. Insbesondere kann die Kläge-

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rin nicht mit dem Argument gehört werden, dass die Gewäh-rung von lediglich zwei Urlaubstagen ungeeignet sei, einenaltersbedingt erhöhten Erholungsbedarf auszugleichen. DieGeeignetheit ist nicht deshalb zu verneinen, weil ein gestiege-ner Erholungsbedarf unter Umständen nicht vollständig, son-dern nur partiell ausgeglichen wird. Gerade angesichts desvom Arbeitgeber bei einer freiwilligen Leistung selbst gesetz-ten Dotierungsrahmens wäre die Beschränkung auf einenTeilausgleich nachvollziehbar und zulässig. Zudem habenauch die Tarifvertragsparteien angesichts der Tätigkeit einesProduktionsmitarbeiters in der Schuhbranche zwei Tage Ur-laub für geeignet und ausreichend erachtet. Dass die Beklagtesich die von den Sozialpartnern ausgehandelte Regelung zueigen macht und im Rahmen ihres Ermessensspielraums eineentsprechende Regelung trifft, ist unter dem Aspekt der Ge-eignetheit der Regelung nicht zu beanstanden.■ Bundesarbeitsgerichtvom 21.10.2014, 9 AZR 956/12eingereicht von Rechtsanwalt Michael PeterBismarckstraße 10, 53604 Bad HonnefTel.: 02224/2638 u. 967565, Fax: 02224/[email protected], www.anders-peter.de

96. Mittelbare Diskriminierung durch einenTarifvertrag – Mindestgrößen für Pilotinnen und Piloten

Leitsatz:1. Ein Tarifvertrag, der für den Zugang zur Pilotenausbildungeine Mindestgröße von 165 cm verlangt, benachteiligt Frauenmittelbar wegen ihres Geschlechts. Die Regelung ist nicht ge-rechtfertigt. Sie ist nicht erforderlich, um die Sicherheit desFlugverkehrs zu gewährleisten.2. Für die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchsnach § 15 Abs. 2 AGG ist der potentielle Arbeitgeber nach § 6Abs. 2 S. 1 AGG, der die Stelle ausgeschrieben und Bewerbun-gen dafür erbeten hat, der richtige Anspruchsgegner. Danachist eine Fluggesellschaft, die das Auswahlverfahren für die Pi-lotenausbildung durchführt, für Ansprüche aus dem AGGnicht passiv legitimiert, wenn der Schulungsvertrag bei einererfolgreichen Bewerbung mit ihrer Tochtergesellschaft abge-schlossen wird.3. Außerhalb des Anwendungsbereichs des AGG kommen beieiner mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung deliktische An-sprüche wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeits-rechts in Betracht.4. Ein Schadenersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegenVerletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts setzt nichtvoraus, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff han-delt. Allerdings sind nur solche materielle Schäden zu erset-zen, die in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlich-keitsrechts fallen. Dies setzt einen Eingriff in die vermögens-werten Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechtsvoraus.

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5. Die schuldhafte Verletzung des allgemeinen Persönlich-keitsrechts begründet einen Anspruch auf eine Geldentschä-digung, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriffhandelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise be-friedigend aufgefangen werden kann.■ Landesarbeitsgericht Kölnvom 25.6.2014, 5 Sa 75/14

97. Abgeltungsklausel, Auslegung, Kosten desVerfahrens, Kostenerstattungsanspruch,Vollstreckungsgegenklage

Aus den Gründen:Die Parteien stritten in der Hauptsache über die Wirksamkeitvon ordentlichen/hilfsweise außerordentlichen Kündigungenmit sozialer Auslauffrist.Das Verfahren erster Instanz endete durch klagestattgeben-des Urteil (…), gegen das die Beklagte (…) Berufung einge-legt hatte (…) und das durch letztendlich unanfechtbarenund rechtskräftigen Beschluss des Sächsischen Landesarbeits-gerichts (…), mit dem die Berufung der Beklagten auf ihreKosten als unzulässig verworfen wurde, sein Ende fand. (…)Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom (…) hat die Rechtspfle-gerin des Arbeitsgerichts Leipzig die von der Beklagten anden Kläger aufgrund des Kostenfestsetzungsgesuchs des An-tragstellers/Klägers (…) zu erstattenden Kosten auf 949,14EUR festgesetzt. (…)2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Ar-beitsgericht hat die von der Beklagten/Antragsgegnerin/Be-teiligten zu 1. an den Kläger/Beteiligten zu 3. zu erstattendenKosten zu Recht auf 949,14 EUR festgesetzt.Die von der Beklagten/Antragsgegnerin/Beteiligten zu 1. mitihrer Beschwerde vorgebrachten Einwendungen sind nichtgeeignet, den Kostenfestsetzungsbeschluss des Arbeitsge-richts Leipzig vom 7.7.2014 zu Fall zu bringen.Der Durchsetzung des festgesetzten Kostenerstattungsan-spruches steht die hier getroffene „vollumfängliche Abgel-tungsklausel“ nicht entgegen.Die Klausel unter Ziff. 4. im Vergleich vom 17.6.2014 hat fol-genden Wortlaut:„Mit Erfüllung dieses Vergleiches sind alle wechselseitigen fi-nanziellen Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnisund aus Anlass seiner Beendigung, gleich ob bekannt oderunbekannt, abgegolten und erledigt. Erledigt ist auch der vor-liegende Rechtsstreit.“a) Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Ein-wendung der Beklagten, dem Kostenerstattungsanspruch desKlägers stehe die „vollumfängliche Abgeltungsklausel“ imVergleich vom 17.6.2014 im Verfahren 5 Ca 1821/14 entge-gen, um eine materiell-rechtliche Einwendung handelt, dieaußerhalb des Kostenfestsetzungsverfahrens geltend zu ma-chen ist. Denn dieses Verfahren, das mit dem Erlass eines Kos-tenfestsetzungsbeschlusses endet, ist eine Umsetzung derzwischen den Parteien ergangenen Kostengrundentschei-

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dung im Verfahren 9 Sa 203/13; es hat allein die Frage zumGegenstand, welcher Betrag nach der Kostengrundentschei-dung zu erstatten ist. Deshalb ist das Kostenfestsetzungsver-fahren auf eine formale Prüfung der Kostentatbestände undauf die Klärung einfacher Fragen des Kostenrechts zuge-schnitten und aus diesem Grund auf den Rechtspfleger über-tragen. Die Klärung von zwischen den Parteien streitigen Tat-sachen und von komplizierteren Rechtsfragen ist in diesemVerfahren nicht vorgesehen und mangels der dafür notwendi-gen verfahrensrechtlichen Instrumente auch nicht sinnvollmöglich (BGH, Beschl. v. 9.12.2009 – XII ZB 79/06 – NJW-RR2010, 718 Rn 9; BGH Beschl. v. 23.3.2006 – V ZB 189/05 –FamRZ 2006, 854 f. und v. 22.11.2006 – IV ZB 18/06 – NJW-RR2007, 422 Rn 8). Materiell-rechtliche Einwendungen gegenden Kostenerstattungsanspruch sind daher grundsätzlichnicht zu berücksichtigen; vielmehr sind diese vorrangigmit der Vollstreckungsgegenklage geltend zu machen(BGH, Beschl. v. 22.11.2006 – IV ZB 18/06 – NJW-RR 2007, 422Rn 8).

aa) Im vorliegenden Fall ist es jedoch aus verfahrensökono-mischen Gründen angezeigt, den Kostenerstattungsschuld-ner nicht auf die – einen ungleich höheren Aufwand erfor-dernde – Vollstreckungsgegenklage zu verweisen, wenn esum materiell-rechtliche Einwendungen geht, die keine Tatsa-chenaufklärung erfordern und sich mit den im Kostenfestset-zungsverfahren zur Verfügung stehenden Mitteln ohne Wei-teres klären lassen. Das kann etwa der Fall sein, wenn die tat-sächlichen Voraussetzungen feststehen, weil sie unstreitigsind oder vom Rechtspfleger im Festsetzungsverfahren ohneSchwierigkeiten aus den Akten ermittelt werden können. Sol-che Einwendungen können deshalb ausnahmsweise auch imKostenfestsetzungsverfahren erhoben und beschieden wer-den (BGH, Beschl. v. 9.12.2009, a.a.O.; BGH, Beschl. v. 23.3.2006,a.a.O. und v. 22.11.2006, a.a.O.; BAG v. 14.5.2014 – XII ZB 548/11 – zitiert in juris).

bb) Ein solcher Ausnahmefall ist hier gegeben. Die Frage, obsich die Beklagte im Rahmen des streitgegenständlichen Kos-tenfestsetzungsverfahren auf die Ausgleichsklausel im Ver-gleich vom 17.6.2014 berufen kann, erfordert im Hinblick aufdie Ausgleichsklausel weder eine weitere Tatsachenaufklä-rung noch lässt sich die Frage des Umfangs der Ausgleichs-klausel mit den im Kostenfestsetzungsverfahren zur Verfü-gung stehenden Mitteln nicht klären.

b) Der Durchsetzung des festgesetzten Kostenerstattungsan-spruchs steht die hier getroffene „vollumfängliche Abgel-tungsklausel“ nicht entgegen.

Der Kostenerstattungsanspruch des Klägers ist vorliegendnicht untergegangen.

Entgegen der Ansicht der Beklagtenseite kann Ziffer 4. desVergleichs vom 17.6.2014 auch nicht im Wege der Auslegungals Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien darüber ver-standen werden, dass der Kläger hiermit auf den oben ge-nannten Kostenerstattungsanspruch nachträglich verzichten

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wollte. Der hierfür erforderliche Verzichtswille des Klägers,dass auch der hier verfahrensgegenständliche Kostenerstat-tungsanspruch von der arbeitsgerichtlichen Abgeltungsklau-sel erfasst sein sollte, ist nicht feststellbar.aa) Welche Rechtsqualität und welchen Umfang die in derkonkreten arbeitsgerichtlichen Vergleichsklausel abgegebe-nen Erklärungen haben, ist nach den Regeln der §§ 133, 157BGB durch Auslegung zu ermitteln. (…)(1) Nach ihrem Wortlaut erfasst die Ausgleichsklausel alle bei-derseitigen Ansprüche „aus dem Arbeitsverhältnis und seinerBeendigung“. Zu Ersteren gehören alle Ansprüche, welche dieArbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsver-trag begründeten Rechtsbeziehung gegeneinander haben(BAG v. 17.11.2009 – 9 AZR 745/08). Maßgeblich ist dabei derEntstehungsbereich des Anspruchs, nicht aber die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage. Entscheidend dafür, ob einAnspruch dem Geltungsbereich einer solchen Ausgleichsklau-sel unterfällt, ist die enge Verknüpfung eines Lebensvor-gangs mit dem Arbeitsverhältnis. Hat also ein Anspruch sei-nen Grund in der arbeitsvertraglichen Beziehung der Parteien,ist er ein „Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis“. Dazu könnenauch der Rückzahlungsanspruch aus einem Arbeitgeberdarle-hen und die Ansprüche auf Einhaltung des nachvertraglichenWettbewerbsverbots und auf Zahlung der Karenzentschädi-gung gehören (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 15. Aufl., § 72Rn 20). In der Regel sind mit Ansprüchen „aus der Beendigungdes Arbeitsverhältnisses“ diejenigen gemeint, die auf einenmöglichen Streit über den Beendigungstatbestand selbst ab-zielen, wie Kündigung oder Aufhebung des Vertrags, derenAnfechtung oder Ansprüche die erst durch die Beendigungentstehen, wie z.B. eine Urlaubsabgeltung (BAG v. 22.10.2008DB 2009, 182-184 = NJW 2009, 618-620 = NZA 2009, 139-142).Bei den hier geltend gemachten Kostenerstattungsansprü-chen handelt es sich nicht um Forderungen aus dem Arbeits-verhältnis, sondern um solche aus dem Prozessrechtsver-hältnis der Parteien. Derartige prozessuale Kostenerstat-tungsansprüche bestehen nicht aus dem Arbeitsverhältnis,sondern aus dem prozessualen Verhältnis zwischen den Pro-zessparteien.(2) In Ziff. 4. des Vergleiches vom 17.6.2014 ist auch weder einErlassvertrag (§ 397 Abs. 1 BGB) noch ein konstitutives bzw.deklaratorisches Schuldanerkenntnis hinsichtlich des streitge-genständlichen Anspruchs zu sehen. Nach der Rechtspre-chung des BAG v. 7.11.2007 – BAGE 14, 349 bis 355) sind zwareinerseits Ausgleichs- und Abgeltungsklauseln in Aufhe-bungsvereinbarungen grundsätzlich weit auszulegen. Diesbetrifft bspw. die Frage, ob hiermit auch ein nachvertraglichesWettbewerbsverbot aufgehoben wurde (BAG v. 19.11.208NJW 2009, 1019-1022 = DB 2009, 686-687 = NZA 2009, 318-322). Andererseits sind jedoch gerade an die Feststellung ei-nes Verzichtswillens hinsichtlich einer bereits bestehendenForderung hohe Anforderungen zu stellen (BGH v. 15.1.2002NJW 2002, 1044-1046 m.w.N.; BAG v. 7.11.2007 BAGE 124, 349-

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355). Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – fraglich ist, obeine Prozesspartei im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Ver-gleichs zugleich auch auf einen aus einem anderen (arbeits-gerichtlichen) Verfahren resultierenden Kostenerstattungsan-spruch wirksam verzichtet hat. Dass die Vergleichsklausel ei-nen entsprechenden Verzichtswillen des Klägers hinsichtlichdes streitgegenständlichen Kostenerstattungsanspruchesenthält, ist auch im Wege der Auslegung nicht festzustellen.Dies ergibt sich aufgrund folgender Überlegung: Es kann alsnicht entscheidungserheblich dahingestellt bleiben, ob derstreitgegenständliche Kostenerstattungsanspruch im weites-ten Sinne überhaupt als Anspruch „aus der Beendigung desArbeitsverhältnisses“ angesehen werden kann.Selbst wenn man dies zugunsten der Beklagten unterstellt,fehlt es hier gleichwohl an der erforderlichen Eindeutigkeit,dass auch dieser Anspruch von der Vergleichsklausel erfasstsein sollte. Es wäre vielmehr erforderlich gewesen aufzuneh-men, dass sich die arbeitsgerichtliche Vergleichsklausel auchauf den prozessrechtlichen Kostenerstattungsanspruch in ei-nem anderen Verfahren erstrecken soll.(3) Der streitgegenständliche Kostenerstattungsanspruch warbereits vor Abschluss des arbeitsgerichtlichen Vergleichs vom17.6.2014 dem Grunde nach entstanden (vgl. Beschluss desSächsischen LAG v. 26.3.2014) und insoweit den Beteiligtenseit der Zustellung des Verwerfungsbeschlusses vom25.3.2014 bekannt. Gemäß der zitierten Rechtsprechung ver-bietet dieser Umstand im Allgemeinen die Annahme, derGläubiger habe sein Recht einfach wieder aufgegeben. Ein Er-lass liegt im Zweifel gerade nicht vor (BAG v. 7.11.2007 BAGE124, 349-355; BGH v. 15.1.2002 NJW 2002, 1044-1046). Umausnahmsweise einen entsprechenden Verzichtswillen desKlägers annehmen zu können, wäre es deshalb erforderlichgewesen, dass dessen Verzicht auf den – vor Vergleichsab-schluss aus dem arbeitsgerichtlichen Verfahren 9 Sa 2036/13,2 Ca 3972/12 entstandenen – Kostenerstattungsanspruch indie Vergleichsklausel ausdrücklich aufgenommen wird, woranes hier fehlt.Dies gilt umso mehr, als auch die übrigen Begleitumständegegen die von der Beklagten geltend gemachte Auslegungsprechen: Die für die Beendigung des Arbeitsverhältnissesnoch relevanten Ansprüche wurden in dem Vergleich geson-dert geregelt. Ziffer 2. regelt die Gehaltszahlung, Ziffer 3. dieZeugniserteilung. Schließlich hat der Kläger unmittelbar nachErlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 7.7.2014 undder Beschwerde der Beklagten dagegen weiterhin an der Kos-tenerstattung festgehalten. Auch dieses Verhalten der Kläger-seite nach Abschluss des Vergleichs vom 27.6.2014 spricht da-für, dass mit dem arbeitsgerichtlichen Vergleich vom17.6.2014 im Verfahren 5 Ca 1821/14 seitens des Klägers einVerzicht auf den verfahrensgegenständlichen Kostenerstat-tungsanspruch tatsächlich nicht beabsichtigt war.Unabhängig davon kann für den von der Beklagten behaup-teten Verzicht auf den Kostenerstattungsanspruch aus demarbeitsgerichtlichen Verfahren 9 Sa 203/13, 2 Ca 3972/12

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nichts anderes gelten als für den Verzicht eines Arbeitneh-mers auf den besonderen Kündigungsschutz. Auch in solcheinem Fall ist es erforderlich, dass dieser Verzicht in der Erklä-rung deutlich zum Ausdruck kommt (Schaub, Arbeitsrechts-handbuch, 15. Aufl., § 72 Rn 20).■ Sächsisches Landesarbeitsgerichtvom 23.3.2015, 4 Ta 290/14 (2)eingereicht durch Rechtsanwalt Roland Grossgross rechtsanwaelteNeumarkt 16-18, 04109 LeipzigTel.: 0341/984620, Fax: 0341/[email protected], www.advo-gross.de

98. Abfindung, Verzugszinsen. Fälligkeit der Abfindung

Aus dem Tatbestand:Die Parteien streiten um die Zahlung von Verzugszinsen.Im Verfahren vor dem Arbeitsgericht Bonn (…) schlossen dieParteien einen Vergleich (…) mit folgendem Inhalt:„1. Die Parteien sind sich einig, dass das zwischen ihnen be-stehende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher, arbeitge-berseitiger Kündigung vom 5.6.2013 auf Veranlassung der Ar-beitgeberseite aus dringenden betrieblichen Gründen mit Ab-lauf des 31.1.2014 sein Ende finden wird. Die zwischen denParteien bestehende Nutzungsvereinbarung wird ebenfallszum Ablauf des 31.1.2014 beendet. (…)3. Die Beklagte zahlt für den Verlust des Arbeitsplatzes eineAbfindung (…). Die Abfindung wird fällig mit dem 31.1.2014.4. Der Klägerin wird das Recht eingeräumt, mit einer Ankündi-gungsfrist von einer Woche das Arbeitsverhältnis vorzeitig zubeendet. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist auch imInteresse der Arbeitgeberseite, die hiermit der Beendigungdes Arbeitsverhältnisses zustimmt. Im Falle der vorzeitigenBeendigung des Arbeitsverhältnisses erhöht sich die Abfin-dung um die eingesparten Bruttovergütungsansprüche derKlägerin (Arbeitnehmerbrutto) wie folgt: 15.000,00 EUR (inWorten: fünfzehntausend EUR wie nebenstehend) brutto fürjeden vollen Kalendermonat (Monatsvergütung) und bei an-teiligen Kalendermonaten 1/30 der Monatsvergütung proTag.Mit Schreiben vom 15.11.2013 übte die Beklagte ihr Recht zurvorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Wirkungzum 30.11.2016 aus. Zugleich machte die Beklagte die Ab-rechnung des Arbeitsverhältnisses einschließlich der verein-barten erhöhten Abfindung mit Ablauf des Monats November2013 geltend. Das Zahlungsbegehren hinsichtlich des erhöh-ten Abfindungsbetrages verfolgte die Beklagte (…) weiterund drohte die Zwangsvollstreckung an.Daraufhin hat die Klägerin Vollstreckungsgegenklage nebstAntrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckungvom 11.12.2013 eingelegt, (…).Mit ihrer Widerklage vom 16.12.2013 machte die Beklagte dieLeistung von Zinsen auf die Ausgangsforderung von340.000,00 EUR ab dem 1.12.2013 bis zum Tag der Auszah-

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lung des sich aus der Ausgangsforderung ergebenden Netto-betrags geltend.

Aus den Entscheidungsgründen:Il. Die Berufung ist jedoch unbegründet, da die Beklagte undWiderklägerin keinen Anspruch auf Leistung von Verzugszin-sen wegen der Leistung der Abfindung gemäß dem Vergleichvom 25.6.2013 ab dem 1.12.2014 gegenüber der Klägerin undWiderbeklagten besitzt.

Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Verzugszinsengemäß den §§ 288, 286 BGB sind nicht erfüllt, da die Fälligkeitder Abfindungsleistung nicht vor dem 31.1.2014 eingetretenist.

1. Es ist von einer ausdrücklichen Bestimmung der Fälligkeitgemäß § 271 BGB in Ziffer 3 S. 3 des Vergleichs vom25.6.2013 – 6 Ca 3027/12 – auszugehen. Die dort getroffeneFälligkeitsbestimmung mit dem 31.1.2014 gilt nicht nur fürdie in Ziffer 3 S. 1 des Vergleichs geregelte Abfindung in Höhevon 310.000,00 EUR für den Fall des Ausscheidens zum31.1.2014, sondern auch für die erhöhte Gesamtabfindunggemäß Ziffer 4 S. 3 des Vergleichs für den Fall der Inanspruch-nahme des Rechtes der Klägerin auf vorzeitige Beendigungdes Arbeitsverhältnisses.

2. Dies ergibt sich aus der gebotenen Auslegung des Ver-gleichs gemäß §§ 133, 157 BGB.

a) Ziffer 3 S. 3 des Vergleichs vom 25.6.2013 regelt mit eindeu-tigem Wortlaut die Fälligkeit der Abfindung zum 31.1.2014.Ziffer 4 S. 3 des Vergleichs regelt dem Wortlaut nach keine ei-gene – gesonderte – Abfindung, sondern knüpft an die in Zif-fer 3 geregelte Abfindung an. Ziffer 4 S. 3 des Vergleichsspricht nämlich von einer Erhöhung der Abfindung, womitnur gemeint sein kann die Abfindung gemäß Ziffer 3 S. 1, andie auch betragsmäßig angeknüpft wird.

b) Auch die Systematik des Vergleichs vom 25.6.2013 sprichtfür die Anwendung der Fälligkeitsregelung in Ziffer 3 S. 3 aufdie erhöhte Abfindung gemäß Ziffer 4 S. 3, 3 S. 1 des Ver-gleichs. Ziffer 3 trifft in Satz 2 und 3 grundlegende Regeln fürdie Abfindungsleistung. Während Ziffer 3 S. 2 des Vergleichsdie Vererbbarkeit und das Entstehen der Abfindung mitRechtskraft des Vergleichs regelt, ist in Ziffer 3 S. 3 die Fällig-keit mit dem 31.1.2014 geregelt. An diese grundlegenden –losgelöst von dem Beendigungszeitpunkt – wirkenden Maß-gaben knüpft Ziffer 4 S. 3 an und nimmt an diesen grundsätz-lichen Regeln teil, indem zum einen die Grundabfindung ausZiffer 3 S. 1 bei vorzeitiger Beendigung nicht gänzlich neu be-rechnet, sondern aufgestockt wird und zudem die Vererbbar-keit und das Entstehen des Abfindungsanspruchs mit Rechts-kraft des Vergleichs geregelt wird und weiterhin die Fälligkeitauf den 31.1.2014 festgelegt ist.

c) Sinn und Zweck der Abfindungsregelung in den Ziffern 3und 4 des Vergleichs führen zu keiner anderweitigen Ausle-gung.

Es liegt zwar in aller Regel nah, die in einem Abfindungsver-gleich vorgesehene Verbindung zwischen Abfindung und Be-

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endigung des Arbeitsverhältnisses auch in der Bestimmungdes Fälligkeitszeitpunktes zu berücksichtigen (vgl. hierzu BAG,Urt. v. 15.7.2004 – 2 AZR 630/03, zitiert nach juris Rn 22 f.). Diesschließt aber eine ausdrücklich anderweitige Bestimmungnicht aus, insbesondere wenn bei Ausübung des Rechts zurvorzeitigen Beendigung von einer wirtschaftlichen Absiche-rung über den Beendigungszeitpunkt hinaus gleichermaßenwie bei Ablauf der regulären Kündigungsfrist auszugehen ist,wie dies aus der Wahrnehmung eines selbstbestimmten Opti-onsrechts des Arbeitsnehmers – für die Klägerin in Ziffer 4 S. 1des Vergleichs – herzuleiten ist.Hinzu kommt insbesondere mit Rücksicht auf die kurze An-kündigungsfrist von einer Woche für die von der Klägerin her-beizuführende vorzeitige Beendigung der Regelungsbedarfauf Klägerseite wegen des Abrechnungs- und Verwaltungs-aufwandes hinsichtlich der nicht unerheblichen Abfindungs-summe und der sich hieraus ergebenden Notwendigkeit einerKostenplanung.■ Landesarbeitsgericht Kölnvom 14.11.2014, 10 Sa 487/14eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Stephan PaulyRechtsanwälte Pauly & PartnerKurt-Schumacher-Straße 16, 53113 BonnTel.: 0228/62090-00, Fax: 0228/[email protected], www.paulypartner.de

99. Dynamische Bezugnahmeklausel –Betriebsübergang, Rechtsprechung des EuGH

Leitsatz:Das Urteil des EuGH in Sachen A. H. steht der Rechtsprechungdes BAG zum Übergang einer unbedingten zeitdynamischenBezugnahmeklausel nicht entgegen.Aus dem Tatbestand:Die Parteien streiten darüber, ob – wie der Kläger meint – derTarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) inder jeweils gültigen Fassung oder – wie die Beklagte meint –der von ihr abgeschlossene Haustarifvertrag auf das Arbeits-verhältnis Anwendung findet. (…)Am 15.10.2006 übernahm die Beklagte drei Kliniken des Lan-des Br., u.a. auch die Landesklinik Br., in der der Kläger be-schäftigt ist. (…)Am 5.3.2013 schloss die Beklagte mit der Dienstleistungsge-werkschaft ver.di diverse Haustarifverträge. Die Beklagte be-rechnet die Vergütung des Klägers seitdem nach Maßgabedieser Haustarifverträge. (…)Der Kläger hat die Auffassung vertreten, auf sein Arbeitsver-hältnis fände aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahme-klausel der TV-L in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.Die Haustarifverträge hätten den TV-L nicht abgelöst. (…)Aus den Entscheidungsgründen:d) Eine kollektivrechtliche Ablösung der in Bezug genomme-nen Normen des TV-L durch die Haustarifverträge der Beklag-ten hat nicht nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB stattgefunden.

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aa) Nach dieser Vorschrift tritt die Rechtsfolge des § 613aAbs. 1 S. 2 BGB – Transformation der Rechtsnormen in das Ar-beitsverhältnis – nicht ein, wenn die Rechte und Pflichten beidem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarif-vertrags geregelt werden. Zur Ablösung nach § 613a Abs. 1S. 2 BGB schuldrechtlich weitergeltender tariflicher Normendurch einen anderen Tarifvertrag nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGBist nach der Rechtsprechung des BAG die (kongruente) Tarif-gebundenheit sowohl des neuen Inhabers als auch des Ar-beitnehmers erforderlich (BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99 –BAGE 95, 296 = NZA 2001, 510; v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00 –BAGE 97, 107 = NZA 2001, 1318).bb) Mangels Bindung des Klägers an das Tarifwerk des öffent-lichen Dienstes findet im Entscheidungsfall § 613a Abs. 1 S. 2BGB keine Anwendung, so dass sich die Frage einer kollektiv-rechtlichen Ablösung der transformierten Tarifnormen durchdie Haustarifverträge nicht stellt. Etwa transformierte Tarifnor-men könnten zudem mangels Bindung des Klägers an dieHaustarifverträge durch diese nicht abgelöst werden.3. Diese Beurteilung der Rechtslage in Anwendung der Recht-sprechung des Bundesarbeitsgerichts ist mit Unionsrecht ver-einbar. Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union(EuGH) vom 8.7.2013 (C – 426/11 – AP Nr. 10 zu Richtlinie2001/23/EG – A.-H. –) steht dem nicht entgegen.a) In dieser Sache stellte der Supreme Court des VereinigtenKönigreichs von Großbritannien und Nordirland dem EuGHu.a. die Frage, ob Artikel 3 der Richtlinie 2001/23 dahin auszu-legen sei, dass er es einem Mitgliedsstaat verwehre, vorzuse-hen, dass im Fall eines Unternehmensübergangs eine Arbeits-vertragsklausel, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt desÜbergangs verhandelte und geschlossene Kollektivverträgeverweise, gegenüber dem Erwerber durchsetzbar sei. DieseFrage hat der EuGH dahingehend beantwortet, dass es einemMitgliedsstaat verwehrt sei, zu bestimmen, dass eine dynami-sche Bezugnahmeklausel nach einem Betriebsübergang fürden Erwerber verbindlich sei, wenn dieser nicht die Möglich-keit habe, an den Verhandlungen über nach dem Überganggeschlossene Kollektivverträge teilzunehmen. Dies hat derGerichtshof unter Hinweis auf seine Entscheidung in derRechtssache W. (9.3.2006 – C-499/04, Slg. 2006, I-2397) damitbegründet, dass die Richtlinie zwar nicht die Möglichkeitender Mitgliedsstaaten einschränke, für Arbeitnehmer günsti-gere Rechtsvorschriften zu erlassen, die Richtlinie 2001/23 je-doch nicht nur dem Schutz der Arbeitnehmerinteressendiene, sondern klarstelle, dass ein Betriebserwerber in derLage sein müsse, die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit erfor-derlichen Anpassungen vorzunehmen. Eine Bindung einesBetriebserwerbers an eine zeit- und inhaltsdynamische Be-zugnahmeklausel könne jedoch den Handlungsspielraum ei-nes privaten Erwerbers bei erforderlichen Anpassungsmaß-nahmen erheblich einschränken. Eine derartige Auslegunggebiete auch das in Artikel 16 der Charta der Grundrechte derEuropäischen Union garantierte Grundrecht der unternehme-rischen Freiheit. Dieses umfasse insbesondere die Vertrags-

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freiheit. Daraus folge, dass es dem Erwerber möglich sein mü-sse, die Entwicklung der Arbeitsbedingungen seiner arbeit-nehmerbestimmenden Faktoren mit Blick auf seine künftigewirtschaftliche Tätigkeit auszuhandeln. Wenn es einem Erwer-ber verwehrt sei, in dem zuständigen Tarifverhandlungsorganmitzuwirken, sei die Vertragsfreiheit des Erwerbers so erheb-lich reduziert, dass dies den Wesensgehalt seines Rechts aufunternehmerische Freiheit beeinträchtigen könne. Der We-sensgehalt des Rechts des Erwerbers auf unternehmerischeFreiheit dürfe daher auch nicht durch Maßnahmen eines Mit-gliedsstaates, die für Arbeitnehmer günstiger seien, beein-trächtigt werden.

b) Die tragenden Erwägungen des Gerichtshofs – Schutz derErwerberinteressen durch die Richtlinie und Berücksichtigungder Vertragsfreiheit als Element der Unternehmerfreiheit imSinne des Artikels 16 der Grundrechte Charta – stehen derweiteren Anwendung der Rechtsprechung des Bundesar-beitsgerichts zur Auslegung unbedingter zeitdynamischer Be-zugnahmeklauseln auch im Falle eines Betriebsübergangesauf einen nichttarifgebundenen Arbeitgeber nicht entgegen(so auch BeckOK TV-L/Bepler, TV-L Anh. zu § 1 Exkurs: Tarifbin-dung und Tarifgeltung Rn 57a; Forst, DB 2013, 1847, 1849 f;zweifelnd ErfK/Preis, BGB, § 613a Rn 127a; HWK-Willemsen/M.-Bonanni, BGB § 613a Rn 280a; Meyer, Anm. zu EuGH AP Richtli-nie 2001/23/EG Nr. 10; a.A. Latzel, RdA 2014, 110, 117; Lobin-ger, NZA 2013, 945, 947 f.; Willemsen/Grau, NJW 2014, 12).

aa) Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urt. v. 23.9.2009 (4AZR 333/08 – BAGE 132, 169) ausführlich dargelegt, dass dieBindung des nichttarifgebundenen Erwerbers eines Betriebesan die vom Arbeitnehmer mit dem Veräußerer arbeitsvertrag-lich vereinbarte Dynamik einer Verweisungsklausel auf einenTarifvertrag weder dessen negative Koalitionsfreiheit verletzenoch sonst verfassungs- oder unionsrechtlichen Bedenkenbegegne. Das BAG führt in seinem Urteil zutreffend aus, dassdie W.-Entscheidung des EuGH nur von seiner Vorlagefrageausgehend verstanden werden könne und der EuGH keineabschließende gemeinschaftsrechtliche Bewertung vorge-nommen habe, dass das Verständnis einer Bezugnahmeklau-sel als unbedingt zeitdynamisch auch gegenüber einem Be-triebserwerber mit höherrangigem Recht kollidiere. Andersformuliert: In dem W.-Urteil findet sich nichts, das es verböte,den Betriebserwerber durch nationales Recht an eine dynami-sche Bezugnahmeklausel zu binden (so zutreffend Prassl,Freedom of Contract as a General Principle of EU Law? Trans-fers of Undertakings and the Protection of Employer Rights inEU Labour Law, Industrial Law Journal, Vol. 42, No. 4, Decem-ber 2013, 434, 440).

bb) Dieses Verständnis bestätigt der EuGH in der RechtssacheA.-H. zunächst, indem er in diesem Urteil (Rn 22 und 23) da-rauf verweist, dass die Betriebsübergangsrichtlinie von einemMitgliedsstaat zwar nicht verlange, dass sie den Erwerber anKollektivverträge binde, die dem zum Zeitpunkt des Unter-nehmensübergangs geltenden nachfolgen, jedoch Artikel 8

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dieser Richtlinie den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit eröffne,für Arbeitnehmer günstigere Rechtsvorschriften zu erlassen.

cc) Soweit der EuGH in diesem Urteil bei Rn 25 darauf ver-weist, dass die Richtlinie einen gerechten Ausgleich zwischenden Interessen der Arbeitnehmer einerseits und denen des Er-werbers andererseits gewährleisten wolle, steht dies – unab-hängig davon, ob und wieweit diese Äußerung mit früherenund späteren Erkenntnissen des EuGH vereinbar ist, wonachdie Betriebsübergangslinie die von einem Unternehmens-übergang betroffenen Arbeitnehmer schützen und insbeson-dere die Aufrechterhaltung ihrer Rechte sicherstellen wolle(vgl. EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10 – Slg 2011, I-7491 = NZA2011, 1077 – Scattolon, Rn 75; 11.9.2014 – C-328/13 – NZA2014, 1092 – Österreichischer Gewerkschaftsbund, Rn 27) –dem bisherigen Verständnis des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB nichtentgegen. Die die Betriebsübergangsrichtlinie umsetzendeVorschrift des § 613a BGB lässt in der BundesrepublikDeutschland einem Betriebserwerber in der im Entschei-dungsfall vorliegenden Konstellation die Möglichkeit, die fürdie Fortsetzung seiner Tätigkeit erforderlichen Anpassungenvorzunehmen.

(1) Das Schicksal der arbeitsvertraglich vereinbarten Bedin-gungen im Falle eines Betriebsüberganges ist in § 613a Abs. 1S. 1 BGB geregelt. Diese Vorschrift enthält keinerlei zeitlicheoder inhaltliche Beschränkungen hinsichtlich der Abänder-barkeit von Arbeitsbedingungen nach dem Betriebsübergangdurch den Betriebserwerber mit den dafür im System des Ar-beitsrechts bzw. des allgemeinen Vertragsrechts der Bundes-republik Deutschland zur Verfügung stehenden Mitteln. Diearbeitsvertragliche Vereinbarung über die dynamischeAnwendung eines bestimmten Tarifwerks kann daher vonden Parteien jederzeit auch zulasten des Arbeitnehmerseinvernehmlich abgeändert werden (vgl. BAG v. 23.9.2009 –4 AZR 331/08 – R .23 ff., BAGE 132, 169 = AP TVG § 1 Bezug-nahme auf Tarifvertrag Nr. 71). Deshalb trägt die Argumenta-tion des EuGH, die sich allein Auf Art. 3 Abs. 3 (Übergang ineinem Kollektivvertrag vereinbarter Arbeitsbedingungen) derRichtlinie bezieht, während sich das Schicksal der Rechte undPflichten aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehen-den Arbeitsvertrags nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie richtet,nicht einer nationalen Rechtslage Rechnung, nach der ein Kol-lektivvertrag sowohl normativ wie individualrechtlich geltenkann und je nach seinem Geltungsgrund der Parteidispositionunterliegt oder nicht. Da der EuGH in seinem Urt. v. 11.9.2014(C-328/13 – österreichischer Gewerkschaftsbund – Rn 22) un-ter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung betont, dass„die Richtlinie 2001/23 nur eine teilweise Harmonisierung aufdem geregelten Gebiet vornimmt, indem sie hauptsächlichden Schutz, der den Arbeitnehmern durch die Rechtsvor-schriften der einzelnen Mitgliedstaaten selbst bereits gewährtwird, auch auf den Fall des Unternehmensübergangs aus-dehnt. Sie will kein für die gesamte Union aufgrund gemein-samer Kriterien einheitliches Schutzniveau schaffen“, besteht

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Raum für die Berücksichtigung nationaler Besonderheiten, so-fern der „effet utile“ der Richtlinie nicht beeinträchtigt wird.Dem steht nicht entgegen, dass der EuGH in diesem Urteilausführt, kollektivvertraglich vereinbarte Arbeitsbedingun-gen fielen unabhängig davon, mit welcher Technik ihre Gel-tung für die Beteiligten erreicht werde, grundsätzlich unterArt. 3 Abs. 3 der Richtlinie. Diese Äußerung steht im Zusam-menhang mit der vom vorlegenden Gericht gestellten Frageder Aufrechterhaltung nachwirkender Kollektivverträge, dieder Gerichtshof bejaht, weil es auf den spezifischen Ursprungihrer Geltung nicht ankomme.(2) Zudem erlaubt die deutsche Rechtsordnung dem Betriebs-erwerber die einseitige Änderung von Arbeitsvertragsbedin-gungen, insbesondere die für die Fortsetzung der unterneh-merischen Tätigkeiten erforderlichen Anpassungen, durchAusübung des Gestaltungsrechts „Änderungskündigung“.Dass im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes dasin einer Änderungskündigung enthaltene Änderungsangebotsozial gerechtfertigt i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG sein muss, ist mitder vom EuGH in der Sache A.-H. vorgenommenen Auslegungder Betriebsübergangsrichtlinie vereinbar, da der EuGH nurfordert, dass der Erwerber in der Lage sein müsse, die für dieFortsetzung seiner Tätigkeit „erforderlichen“ Anpassungenvorzunehmen. § 2 i.V.m. § 1 Abs. 2 KSchG verlangt von einemBetriebserwerber substantiell nicht mehr, als dass er sich da-rauf beschränkt, allein die für die Fortsetzung seiner Tätigkeiterforderlichen Anpassungen vorzunehmen (vgl. BAG v.10.9.2009 – 2 AZR 822/07 – BAGE 132, 78 = NZA 2010, 333).Wenn das bloße Anpassungs- oder Vereinheitlichungsinte-resse des Erwerbers für die soziale Rechtfertigung der Ände-rungskündigung nicht ausreicht, stellt eine Entdynamisierungeiner Bezugnahmeklausel weder eine unionsrechtlich gebo-tene „erforderliche“ Anpassung noch einen „gerechten“ Aus-gleich der Interessen dar. Zum „effet utile“ des Unionsrechtsgehört es weder, mangelhaften Sachvortrag des Erwerbers imÄnderungsschutzprozess auszugleichen, noch ohne eine imEinzelfall bestehende wirkliche Notwendigkeit der Vertrags-anpassung einer frei vereinbarten Vertragsklausel die Wirk-samkeit zu versagen. Die hiergegen in der Literatur teilweisegeltend gemachten Bedenken wegen „praktischer Umset-zungsschwierigkeiten“ (vgl. Meyer, Anm. zu EuGH AP Richtlinie2001/23/EG Nr. 10) greifen nicht durch. Das BAG verlangt imWesentlichen nur die Einhaltung des Verhältnismäßigkeits-grundsatzes, wenn es fordert, dass der Arbeitgeber die be-triebliche Unabweisbarkeit seiner für den Arbeitnehmer nach-teiligen, einseitig in das vertragliche Gefüge von Leistung undGegenleistung eingreifenden Entscheidung nachprüfbar dar-legt und die Änderungen geeignet und erforderlich sind, umden Inhalt des Arbeitsvertrags den geänderten Beschäfti-gungsmöglichkeiten anzupassen. Die angebotenen Änderun-gen dürfen sich deshalb nicht weiter vom Inhalt des bisheri-gen Arbeitsverhältnisses als zur Erreichung des angestrebtenZiels erforderlich entfernen (vgl. BAG v. 10.9.2009 – 2 AZR 822/07 – BAGE 132, 78 = NZA 2010, 333). Ob aus unionsrechtlichen

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Gründen im Falle einer Änderungskündigung zur Anpassungder Arbeitsbedingungen der übernommenen Arbeitnehmeran die Verhältnisse beim Erwerber die Grundsätze des deut-schen Kündigungsschutzrechtes zu nuancieren sind, bedarfhier keiner Entscheidung.dd) Dafür, dass eine Vertragsanpassung mit den Gestaltungs-rechten des nationalen Vertragsrechts den unionsrechtlichenVorgaben genügen kann, spricht auch das Urteil des EuGHvom 11.9.2014 (C-328/13 – österreichischer Gewerkschafts-bund – Rn 30), wonach die Möglichkeit, mit den betroffenenArbeitnehmern neue Einzelvereinbarungen zur Beendigungder Nachwirkung von Kollektivverträgen nach einem Be-triebsübergang abzuschließen, das Interesse des Erwerbershinreichend schütze, die für die Fortsetzung seiner Tätigkeiterforderlichen Anpassungen vorzunehmen. Zwar ging es imFalle des österreichischen Gewerkschaftsbundes um die Been-digung der statischen Nachwirkung von Kollektivverträgen,nicht um deren Entdynamisierung. Das nach Auffassung desEuGH berechtigte Interesse des Betriebserwerbers, die Ar-beitsbedingungen den Verhältnissen nach dem Betriebsüber-gang anzupassen, ist jedoch nach deutschem Recht durch diezur Verfügung stehenden Gestaltungsmöglichkeiten gleicher-maßen ausreichend geschützt.ee) Sollten die Ausführungen des EuGH in der Sache A. H.,eine dynamische Bezugnahmeklausel „könnte den Hand-lungsspielraum, den ein privater Erwerber benötigt, um dieseAnpassungsmaßnahmen zu ergreifen, erheblich einschrän-ken“, so zu verstehen sein, dass es im konkreten Fall der Fest-stellung nicht mit anderen von der jeweiligen nationalenRechtsordnung zur Verfügung gestellten Mitteln durchführ-barer erforderlicher Anpassungen bedürfe (hierfür könntesprechen, dass der EuGH im Vorlagefall einen „beträchtlichen“Anpassungsbedarf unterstellt), so könnte die Beklagte im Ent-scheidungsfall sich auf das Urteil des EuGH nicht berufen, weilsie weder einen konkreten Anpassungsbedarf behauptetnoch dargetan hat, dass sie erforderliche Anpassungen nichtim Wege der Änderungskündigung erreichen könne.4. Die Kammer hat geprüft, ob die Entscheidung in der SacheA. H. entgegen den vorstehenden Erwägungen auch so ver-standen werden kann, dass trotz der für den Betriebserwerberbestehenden Anpassungsmöglichkeiten nach deutschemRecht die nach einem Betriebsübergang zunächst beste-hende vertragliche Bindung des Erwerbers an die zwischenArbeitnehmer und Betriebsveräußerer vereinbarte unbe-dingte Zeitdynamik der Bezugnahmeklausel mit der Richtli-nie 2001/23 nicht vereinbar sei. Sie hat diese Frage verneint,weil sie sich an einem solchen Verständnis der Rechtspre-chung des EuGH aus verfassungsrechtlichen Gründen gehin-dert sieht. Anderenfalls hätte sie dem Gerichtshof im Wegedes Verfahrens nach Art. 267 AEUV erneut und unter Darle-gung der bestehenden Bedenken die Frage vorlegen müssen,ob das Unionsrecht einer Auslegung des § 613a Abs. 1 S. 1BGB entgegenstehe, nach der dynamische Bezugnahmeklau-seln auf den Erwerber übergehen, weil es der Kammer wegen

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des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts (grundlegendEuGH, Urt. v. 15.7.1964, Rs. 6/64, Costa/ENEL, Slg. 1964, S. 1251Rn 12), der der verfassungsrechtlichen Ermächtigung desArt. 23 Abs. 1 GG entspricht, wonach Hoheitsrechte auf die Eu-ropäische Union übertragen werden können (vgl. BVerfGE 31,145 <174>; 123, 267 <402>), nicht freistand, unter offener Ab-weichung von der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu ent-scheiden,a) Die gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte des Grund-gesetzes der Bundesrepublik Deutschland gebundene Kam-mer darf dieser Entscheidung des EuGH keine Lesart unterle-gen, nach der diese offensichtlich als Ultra-Vires-Akt zu beur-teilen wäre oder Schutz und Durchsetzung der mitgliedstaatli-chen Grundrechte in einer Weise gefährdete (Art. 23 Abs. 1S. 1 GG), dass dies die Identität der durch das Grundgesetz er-richteten Verfassungsordnung infrage stellte (vgl. BVerfG v.24.4.2013 – 1 BVR 1215/07 – BVerfGE 133, 277, Rn 91 m.w.N.).Der Auftrag, bei der Auslegung und Anwendung der Verträgedas Recht zu wahren (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EUV), be-schränkt den Gerichtshof zwar nicht darauf, über die Einhal-tung der Vertragsbestimmungen zu wachen. Dem Gerichts-hof ist auch die Rechtsfortbildung im Wege methodisch ge-bundener Rechtsprechung nicht verwehrt. Rechtsfortbildungist allerdings keine Rechtsetzung mit politischen Gestaltungs-freiräumen, sondern folgt den gesetzlich oder völkervertrag-lich festgelegten Vorgaben. Sie findet hier Gründe und Gren-zen. Rechtsfortbildung überschreitet diese Grenzen, wenn siedeutlich erkennbare, möglicherweise sogar ausdrücklich imWortlaut dokumentierte (vertrags-)gesetzliche Entscheidun-gen abändert oder ohne ausreichende Rückbindung an ge-setzliche Aussagen neue Regelungen schafft. Dies ist vor al-lem dort unzulässig, wo Rechtsprechung über den Einzelfallhinaus politische Grundentscheidungen trifft oder durch dieRechtsfortbildung strukturelle Verschiebungen im Systemkonstitutioneller Macht- und Einflussverteilung stattfinden(BVerfG v. 6.7.2010 – 2 BvR 2661/06 – BVerfGE 126, 286 = NZA2010, 995 [Honeywell], Rn 62 ff.).b) Bei Anwendung dieser Grundsätze hätte die Kammer Zwei-fel, ob bei einem Verständnis des Urteils A. H., dass § 613aAbs. 1 S. 1 BGB in der Auslegung des Bundesarbeitsgerichtsmit der Betriebsübergangsrichtlinie unvereinbar sei, der EuGHdie Grenzen der unionsrechtlich zulässigen Rechtsfortbildungeingehalten hätte.aa) Der EuGH selbst hat in seinem Urt. v. 11.9.2014 (österrei-chischer Gewerkschaftsbund, a.a.O.) in Übereinstimmung mitseiner bisherigen Rechtsprechung vor dem Urteil A. H. (vgl.Rechtssache Scattolon, Urt. v. 6.9.2011 – C-108/10, Slg 2011, I-7491 = NZA 2011, 1077, Rn 75) ausgeführt, dass es das Ziel derRichtlinie 2001/23 sei, zu verhindern, dass sich die Lage derübergegangenen Arbeitnehmer allein aufgrund dieses Über-gangs verschlechtere. Eine solche Verschlechterung allein auf-grund des Betriebsüberganges träte jedoch ein, wenn ein Be-triebserwerber ohne einen gemäß §§ 1, 2 KSchG im Wege derÄnderungskündigung realisierbaren Änderungsbedarf, also

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ohne soziale Rechtfertigung, allein aufgrund des Betriebs-überganges von der von seinem Rechtsvorgänger arbeitsver-traglich eingegangenen Pflicht frei würde, auf das Arbeitsver-hältnis die zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges geltendenTarifverträge nicht nur statisch, sondern in der jeweils gülti-gen Fassung anzuwenden.bb) Allein diese vom EuGH beschriebene Zielsetzung ent-spricht den in der Richtlinie selbst enthaltenen Begründungs-erwägungen. In Ziffer 3 verweist der Richtliniengeber darauf,dass Bestimmungen notwendig seien, die die Arbeitnehmerbei einem Inhaberwechsel schützen und insbesondere dieWahrung ihrer Ansprüche gewährleisten. Von einem Schutzdes Betriebserwerbers in der Weise, dass die Mitgliedstaatenverpflichtet wären, allein aufgrund des Betriebsübergangesdie Arbeitsbedingungen der von einem Betriebsübergang be-troffenen Arbeitnehmer zu verschlechtern, ist in den Begrün-dungserwägungen nicht die Rede.cc) Soweit der EuGH in der Rechtssache A.-H. sich auf die Er-wägungen in der Sache W. (Rn 31 a.a.O.) bezieht, „die Interes-sen des Erwerbers (dürfen) nicht unberücksichtigt bleiben,der in der Lage sein muss, die für die Fortsetzung seiner Tätig-keit erforderlichen Anpassungen vorzunehmen“, hat er dieseÄußerung aus dem Zusammenhang gelöst. In der Sache W.hat der EuGH diese Formulierung nämlich im Zusammenhangmit seinen Ausführungen zur Vereinigungsfreiheit, insbeson-dere in Gestalt der negativen Koalitionsfreiheit, verwendetund darauf verwiesen, dass die statische Transformation vonTarifnormen gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB vermeide, dass derErwerber eines Betriebes, der dem Kollektivvertrag nicht an-gehöre, durch künftige Entwicklungen dieses Vertrages ge-bunden werde und damit sein Recht auf negative Vereini-gungsfreiheit umfassend gewährleistet sei. Die negative Koa-litionsfreiheit ist jedoch durch § 613a Abs. 1 S. 1 BGB in derAuslegung durch das Bundesarbeitsgericht nicht berührt.dd) Selbst wenn die Betriebsübergangsrichtlinie entgegenden bisherigen Erkenntnissen des Gerichtshofs und entgegenden Begründungserwägungen so verstanden werden müsste,dass ihr eine innere Balance zwischen den Interessen undRechtspositionen des Erwerbers und der übergehenden Ar-beitnehmer inhärent ist („soll auch einen gerechten Ausgleichzwischen den Interessen der Arbeitnehmer einerseits und de-nen des Erwerbers andererseits gewährleisten“, Rn 25 des Ur-teils A. H.), so hielte sich der Gerichtshof in seinen nachfolgen-den Ausführungen desselben Urteils nicht an diese Prämisse.(1) Soweit man darauf abstellt, dass der Erwerber in der Lagesein muss, die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit erforderli-chen Anpassungen vorzunehmen, ist darauf zu verweisen,dass es Sache des Käufers ist, sich vor einem Vertragsschlussdarüber zu informieren, welche möglichen Belastungen mitdem Erwerb des Kaufgegenstandes verbunden sind („caveatemptor“). Eine Due-Diligence-Prüfung, in der Stärken undSchwächen des Objekts sowie die entsprechenden Risikenanalysiert werden, gehört zum Verfahrensstandard beim Un-ternehmenskauf. Die mit einer zeitdynamischen Bezugnah-

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meklausel möglicherweise verbundenen wirtschaftlichen Be-lastungen bzw. Risiken finden regelmäßig in den Verhandlun-gen über die Höhe des Kaufpreises Berücksichtigung. EinemUnternehmenskäufer, der eine solche Due-Diligence-Prüfungunterlässt oder nach Prüfung das Unternehmen kauft unddann geltend macht, er könne aufgrund der Arbeitsvertrags-gestaltung die Arbeitsbedingungen der übernommenen Ar-beitnehmer nicht so schnell oder nicht so einfach oder nichtin dem Ausmaß ändern, wie er dies wünsche, wird regelmäßigentgegengehalten werden können, er habe grob fahrlässiggehandelt. Ist er vom Verkäufer getäuscht worden, so ist derAusgleich in diesem Verhältnis vorzunehmen. Hat er hinge-gen die finanziellen Belastungen einer zeitdynamischen Be-zugnahmeklausel „eingepreist“ oder wegen der sonstigenVorteile des Unternehmenserwerbs hingenommen, so bedarfes keines („gerechten“) Ausgleichs durch eine Verschlechte-rung der Beschäftigungsbedingungen der übernommenenArbeitnehmer.(2) Die Interessen der Arbeitnehmer sowie der Umstand, dassdie dynamische Bezugnahmeklausel nicht durch Hoheitsakt,sondern in Ausübung der Vertragsfreiheit des Arbeitnehmersund des Betriebsveräußerers in den Arbeitsvertrag gelangt ist,werden in den Ausführungen des Gerichtshofs in der Sache A.H. nicht einmal erwähnt. Für den Gerichtshof erheblich ist al-lein der von ihm ausgemachte Umstand, dass die große Dis-parität der Arbeitsbedingungen zwischen öffentlichem Dienstund Privatwirtschaft zu einem erheblichen Anpassungsbedarfbeim Betriebserwerber führe. Hier ist schon die für den Vorla-gefall unterstellte (konkrete Feststellungen sind der Vorlage-entscheidung nicht zu entnehmen) Diskrepanz bzw. der da-raus abgeleitete Anpassungsbedarf nicht verallgemeine-rungsfähig. Wiewohl plausibel ist, dass eine „Privatisierung“staatlicher oder kommunaler Dienstleistungen häufig davonmotiviert sein wird, Personalkosten zu sparen, ist es im Be-reich der gewerblichen Wirtschaft keineswegs zwingend, dasseine zeitdynamische Bezugnahmeklausel per se eine unzu-mutbare wirtschaftliche Belastung für den Betriebserwerberdarstellt. Im Übrigen wäre dieses Argument auch deshalb pa-radox, weil es bedeutete, dass sich der Schutz der betroffenenArbeitnehmer in dem Maße verringerte, in dem die Arbeitsbe-dingungen zwischen Veräußerer und Erwerber auseinander-fallen (vgl. Prassl, a.a.O., S. 440).c) Ein anderes Verständnis ist auch nicht durch Artikel 16 derCharta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) ge-boten. Insbesondere wird die Vertragsfreiheit, die der EuGH inder Sache A.-H. durch Artikel 16 GRCh als Bestandteil der ge-schützten Unternehmerfreiheit ansieht, durch die Bindung aneine von dem Betriebsveräußerer mit dem Arbeitnehmer ver-einbarte unbedingte zeitdynamische Bezugnahmeklauselnicht unverhältnismäßig beeinträchtigt.aa) Die unternehmerische Freiheit, wie sie in dem angeführ-ten Artikel niedergelegt ist, wirkt – wie der Generalanwalt inder Sache A. H. in seinem Schlussantrag vom 19.2.2013 unterHinweis auf die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs

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überzeugend ausgeführt hat – als Gewährleistung der wirt-schaftlichen Initiative und Tätigkeit, die natürlich Beschrän-kungen unterliegt, aber jedenfalls Mindestvoraussetzungenfür wirtschaftliche Tätigkeit im Binnenmarkt sicherstellt. Dieunternehmerische Freiheit stellt so eine Grenze für die Tätig-keit der Union im Rahmen ihrer legislativen und exekutivenFunktion sowie der Mitgliedstaaten bei der Anwendung desUnionsrechts dar. Sie schützt die wirtschaftliche Initiative unddie Handlungsfähigkeit auf einem Markt, nicht aber die kon-kreten Gewinne, die sich in einem auf diesem Markt erlangtenVermögen äußern. Sie stellt ein Grundrecht dar, das stark nacheiner Abwägung verlangt. Da es sich um kein absolutes Rechthandelt, erfolgt seine Anwendung sehr häufig in Gegenüber-stellung zu anderen Grundrechten (Schlussanträge des Gene-ralanwalts Pedro Cruz Villalón vom 19.2.2013 in der Rechtssa-che C-426/11, EUR-Lex – 62011CC0426 – DE, Rn 50 ff.). In frü-heren Entscheidungen verweist der EuGH darauf, dass die un-ternehmerische Freiheit und das Eigentumsrecht nicht abso-lut gewährleistet werden, sondern im Zusammenhang mit ih-rer gesellschaftlichen Funktion zu sehen sind (vgl. Urt. v.6.9.2012, Deutsches Weintor, C-544/10, Celex-Nr. 62010CJ0544 = NVwZ-RR 2012, 896, und v. 31.1.2013, Ry-anair, C-12/11, NJW 2013, 921). Ferner lässt Art. 52 Abs. 1 derGrundrechtscharta Einschränkungen der Ausübung der in derGrundrechtscharta verankerten Rechte zu, sofern diese Ein-schränkungen gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehaltdieser Rechte und Freiheiten achten und unter Wahrung desGrundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind undden von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienendenZielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes derRechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Beidieser Beurteilung ist schließlich, wenn sich mehrere durchdie Unionsrechtsordnung geschützte Rechte gegenüber ste-hen, darauf zu achten, dass die Erfordernisse des Schutzesdieser verschiedenen Rechte miteinander in Einklang ge-bracht werden müssen und dass ein angemessenes Gleichge-wicht zwischen ihnen besteht (vgl. Urteile v. 29.1.2008, Pro-musicae, C-275/06, Slg. 2008, I-271 = NJW 2008, 743, Rn 65 f.,und Deutsches Weintor, a.a.O., Rn 47).Nach Auffassung des Generalanwalts folgt hieraus, dass dasUnionsrecht und insbesondere Art. 16 GRCh einer nationalenRegelung nicht entgegenstehen, die den Erwerber eines Un-ternehmens dazu verpflichtet, die gegenwärtigen und künfti-gen im Rahmen eines Kollektivverhandlungsorgans verein-barten Bedingungen zu akzeptieren, sofern diese Verpflich-tung nicht unbedingt und unabänderlich ist. Der Umstand,dass der Unternehmer im Zusammenhang mit einem Unter-nehmensübergang auf unbestimmte Zeit an Arbeitsbedin-gungen gebunden sei, die er nicht vereinbart habe, könne inder Praxis vom Erwerb von Unternehmen stark abschrecken;dies könne eine Beschränkung der Vertragsfreiheit sein als ei-ner der Aspekte, die, wie sich aus den Erläuterungen zu Art. 16der Charta ergebe, von der unternehmerischen Freiheit um-fasst seien. Allerdings führe die bloße Bindung an die im Ar-

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beitsvertrag in Bezug genommenen tariflichen Bedingungennicht zu einer automatischen Verletzung der unternehmeri-schen Freiheit. Vielmehr seien für die Klärung der Frage, obdas nationale Recht gegen Art. 16 der Charta verstoße, dierechtlichen und tatsächlichen Umstände der Rechtssache zuprüfen. Könnten die dynamischen Verweisklauseln, obwohlsie Gegenstand des Übergangs sind, während des Bestehensdes Arbeitsverhältnisses von beiden Parteien jederzeit neuausgehandelt und geändert werden, seien die Einwände, diegegen eine zeitdynamische Bezugnahmeklausel aus der Sichtdes Art. 16 der Charta geltend gemacht würden, gegen-standslos.

bb) Dem folgt die Berufungskammer. Der Gerichtshof würdemit seinen früheren Erkenntnissen brechen, wenn er zum ei-nen die Vertragsfreiheit (nur des Erwerbers) zu einem Haupt-aspekt des Art. 16 GRCh erhöbe und zum anderen ihr mit Hilfeder Wesentlichkeitstheorie einen absoluten Wert beimäße,der den vom Gerichtshof entwickelten Prinzipien der Verfas-sungsinterpretation widerspräche.

(1) Bei näherer Betrachtung der einschlägigen Materialienund früherer Judikate ergibt sich, dass die vom EuGH heran-gezogenen Erläuterungen zur Grundrechtecharta für seineAuslegung unergiebig sind. In der Erläuterung zu Art. 16 heißtes: „Dieser Artikel stützt sich auf die Rechtsprechung des Ge-richtshofs, der die Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstä-tigkeit auszuüben, (...) und die Vertragsfreiheit (siehe u.a. dieUrteile „Sukkerfabriken Nykøbing“, Rechtssache 151/78, Slg.1979, 1, Rn 19; und v. 5.10.1999, Rechtssache C-240/97, Spa-nien gegen Kommission, Slg. 1999, I-6571, Rn 99) anerkannthat (...). Dieses Recht wird natürlich unter Einhaltung des Uni-onsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften ausge-übt. Es kann nach Artikel 52 Abs. 1 der Charta beschränkt wer-den.“ In der Sache „Sukkerfabriken“ ist allerdings nur die Redevon der Freiheit, einen Vertrag zu schließen, während andereErkenntnisse des Gerichtshofs vorwiegend die Grenzen diesesGrundrechtes hervorheben (vgl. Urt. v. 22.1.2013, Sky Öster-reich, C-283/11, Celex-Nr. 62011CJ0283 = EuZW 2013, 347: Dieunternehmerische Freiheit könne „einer Vielzahl von Eingrif-fen der öffentlichen Gewalt unterworfen werden, die im allge-meinen Interesse die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeitbeschränken können“. Sie sei „nicht schrankenlos, sondern (...)im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zusehen“).

Eine gem. Art. 52 GRCh grundsätzlich zulässige Beschränkungder unternehmerischen Freiheit ist die Betriebsübergangs-richtlinie. Soweit der EuGH durch den Übergang einer dyna-mischen Bezugnahmeklausel auf den Erwerber die Vertrags-freiheit dieses Erwerbers als so erheblich reduziert ansieht,dass dadurch der Wesensgehalt seines Rechts auf unterneh-merische Freiheit beeinträchtigt sei, steht dies in starkem Kon-trast zu den Ausführungen des Gerichtshofs in der Sache SkyÖsterreich, wonach der Wesensgehalt der unternehmerischenFreiheit so lange nicht angetastet werde, wie der Unterneh-

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mer an der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit alssolcher nicht gehindert sei (Urt. v. 22.1.2013, a.a.O. Rn 49).(2) Keinerlei Berücksichtigung in den Ausführungen des EuGHin der Sache A.-H. zu den für die Auslegung der Betriebsüber-gangsrichtlinie maßgeblichen Bestimmungen der Grund-rechte Charta finden die Grundrechtspositionen der betrof-fenen Arbeitnehmer.(aa) Nach Art. 52 Abs. 1 GRCH muss jede Einschränkung derAusübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freihei-ten gesetzlich vorgesehen sein, deren Wesensgehalt achtenund unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeiterforderlich sein und den von der Union anerkannten demGemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernis-sen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsäch-lich entsprechen. In früheren Entscheidungen hat der EuGHhierzu den Grundsatz der Verfassungsinterpretation entwi-ckelt, dass die Erfordernisse des Schutzes mehrerer sich ge-genüberstehender, durch die Unionsrechtsordnung geschütz-ter miteinander in Einklang zu bringen seien und dass ein an-gemessenes Gleichgewicht zwischen ihnen bestehen müsse(Urteile v. 29.1.2008, Promusicae, C-275/06, Slg. 2008, I-271 =NJW 2008, 743, Rn 65 f., und Deutsches Weintor, a.a.O., Rn 47).Dies beinhalt, dass die kollidierenden Grundrechtspositionenin ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so zu begrenzensind, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirk-sam werden. Diese von der deutschen Verfassungsdogmatik(vgl. BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BVL 15/87 – NZA 1998, 470 [Klein-betriebsklausel]; 30.7.2003 – 1 BVR 792/03 – NZA 2003, 959[Kopftuch am Arbeitsplatz]) entwickelten Methode der prakti-schen Konkordanz zur Auslegung von Grundrechten und ins-besondere zur Lösung von Kollisionen zwischen widerstrei-tenden Grundrechtspositionen findet nach der Rechtspre-chung des EuGH auch im Unionsrecht Anwendung (vgl. EuGHv. 10.4.2012 – C-83/12 PPU – NJW 2012, 1641).(bb) Hieraus ergibt sich, dass der EuGH den von ihm ange-nommenen Gehalt des Art. 16 GRCH und seine Bedeutung fürdie Auslegung der Betriebsübergangsrichtlinie nicht ohne je-den Bezug zu der kollidierenden Grundrechtsposition der be-troffenen Arbeitnehmer hätte bestimmen dürfen. Zudemhätte er sich in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrund-satzes mit der Frage befassen müssen, warum der Betriebser-werber die aus Sicht des Gerichtshofs erforderliche Anpas-sung der Arbeitsverhältnisse ohne eine einschränkende Aus-legung der Betriebsübergangsrichtlinie nach nationalemRecht nicht hätte vornehmen können.Danach hätte der EuGH die in Art. 15 GRCh geschützte Frei-heit eines Arbeitnehmers, den Inhalt seines Arbeitsvertragesauszuhandeln und die sich daraus ergebende Verpflichtungdes Staates bzw. der Organe der Union (und damit auch desEuGH), das Resultat frei geführter Verhandlungen grundsätz-lich zu akzeptieren, erkennen und der von ihm herangezoge-nen Unternehmerfreiheit gegenüberstellen müssen. In einemzweiten Schritt hätte sodann unter Beachtung des Verhältnis-mäßigkeitsgrundsatzes ein beide Grundrechtspositionen

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möglichst schonender Ausgleich vorgenommen werden müs-sen.(3) Eine Berücksichtigung der Grundrechtsposition der betrof-fenen Arbeitnehmer dürfte nicht deshalb unterbleiben, weil –wie der EuGH möglicherweise meint – jede andere Auslegungder Betriebsübergangsrichtlinie die Unternehmerfreiheit inihrem „Wesensgehalt“ verletzte.(aa) Die in Art. 52 Abs. 1 GRCh normierte Wesensgehaltsga-rantie, die bereits vor dem Inkrafttreten der Grundrechte-charta vom EuGH als „Schrankenschranke“ für die Normset-zung der EG ausdrücklich anerkannt war (vgl. EuGH v.13.3.2000 – C 292/97 – Sammlung 2000, I-2737 m.w.N., Rn 45),wird vom EuGH – ebenso wie die Wesensgehaltsgarantie inArt. 19 Abs. 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht (vgl.BVerfG v. 14.9.1989 – 2 BVR 1062/87 – BVerfGE 80, 367; v.18.7.1967 – 2 BVF 3/62 u.a. – BVerfGE 22, 180, Rn 128, wobeidas Bundesverfassungsgericht betont, dass der unantastbareWesensgehalt eines Grundrechts für jedes Grundrecht aus sei-ner besonderen Bedeutung im Gesamtsystem der Grund-rechte ermittelt werden müsse; siehe hierzu auch Dreier, GG,Rn 14 ff. zu Art. 19 Abs. 2 m.w.N.) – nicht absolut, sondern alsAbwägungs- und Verhältnismäßigkeitsgebot verstanden. Dieskommt in der vom EuGH verwendeten Formel, wonach dieAusübung eines Rechtes nur solchen Beschränken unterwor-fen werden dürfe, die tatsächlich dem Gemeinwohl dienen-den Zielen entsprächen und nicht einen im Hinblick auf denverfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Ein-griff darstellten (EuGH v. 13.4.2000, a.a.O., Rn 45), zum Aus-druck.(bb) Eine nach diesen Grundsätzen vorgenommene Definitiondes Wesensgehalts der Unternehmerfreiheit findet sich im Ur-teil A. H. ebenso wenig wie Ausführungen zum Verhältnismä-ßigkeitsgebot und zur Abwägung mit Rechtspositionen ande-rer Grundrechtsträger. Soweit der EuGH möglicherweise eineBeeinträchtigung des Wesensgehalts der Vertragsfreiheit desErwerbers im Vorlagefall darin sieht, dass es ihm verwehrt ist,in dem betreffenden Tarifverhandlungsorgan mitzuwirkenund er daher weder im Rahmen eines zum Vertragsabschlussführenden Verfahrens seine Interessen wirksam geltend ma-chen kann noch die Möglichkeit hat, die die Entwicklung derArbeitsbedingungen seiner Arbeitnehmer bestimmendenFaktoren mit Blick auf seine künftige wirtschaftliche Tätigkeitauszuhandeln, ist darauf zu verweisen, dass ein Erwerber –wie dargestellt – nach deutschem Recht andere Gestaltungs-möglichkeiten hat, erforderliche Anpassungen (ggf. nachMaßgabe des §§ 2, 1 Abs. 2 KSchG inhärenten Abwägungs-und Verhältnismäßigkeitsgebots) vorzunehmen.cc) Bei Anwendung des Verfassungsgrundsatzes der prakti-schen Konkordanz ist im vorliegenden Fall die Beklagte als Be-triebserwerberin auch unter Berücksichtigung ihrer Vertrags-freiheit als weniger schutzwürdig anzusehen als der Kläger.Der Betriebsübergang beruht auf der privatautonomen Ent-scheidung der Beklagten. Sie hat den Betrieb übernommen,obwohl sie wusste oder wissen konnte, welchen Inhalt die Ar-

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beitsverträge hatten. Die Beklagte hat nicht geltend gemacht,unter den konkreten Umständen des vorliegenden Falls seiihre Vertragsfreiheit „so erheblich reduziert, dass eine solcheEinschränkung den Wesensgehalt des Rechts auf unterneh-merische Freiheit beeinträchtigen“ könne. Soweit der EuGHdarauf abstellt, dass es dem Arbeitgeber möglich sein muss,die die Entwicklung der Arbeitsbedingungen seiner Arbeit-nehmer bestimmenden Faktoren mit Blick auf seine künftigewirtschaftliche Tätigkeit mitzubestimmen, ist zu berücksichti-gen, dass die Beklagte ggfs. Änderungskündigungen ausspre-chen kann und die Möglichkeit hat, den übernommenen Mit-arbeitern die vertragliche Bezugnahme auf die von ihr abge-schlossenen Haustarifverträge anzubieten. Damit ist demSchutzbedürfnis der Beklagten hinreichend Rechnung getra-gen, so dass eine erheblich Reduzierung der Vertragsfreiheitnicht zu erkennen ist. Die dem EuGH vorzulegende Fragewäre daher entscheidungserheblich.d) Ein Verständnis des Urteils A. H., dass die nach deutschemRecht nach einem Betriebsübergang zunächst bestehendevertragliche Bindung des Erwerbers an die zwischen Arbeit-nehmer und Betriebsveräußerer vereinbarte unbedingte Zeit-dynamik der Bezugnahmeklausel mit der Richtlinie 2001/23nicht vereinbar sei, würde schließlich dieser Entscheidungeine Lesart unterlegen, nach der diese möglicherweise alsUltra-Vires-Akt beurteilt werden könnte.aa) Die Auffassung, Art. 3 der Richtlinie 2001/23 in Verbin-dung mit Art. 8 dieser Richtlinie dürfe nicht dahin ausgelegtwerden, dass er die Mitgliedstaaten zum Erlass von Maßnah-men ermächtige, die zwar für die Arbeitnehmer günstigerseien, aber Erwerber belasteten, indem sie an arbeitsvertragli-che Bezugnahmeklauseln gebunden würden, hätte zur Folge,dass die Vorschriften der Richtlinie nicht mehr Mindestbedin-gungen des Arbeitnehmerschutzes im Interesse eines fairenBinnenmarktwettbewerbs darstellten, sondern Höchstbedin-gungen, die den Mitgliedsstaaten die ihnen nach Art. 8 derRichtlinie verbleibenden Kompetenzen entzögen. Zudemwürde entgegen der Erkenntnis des Gerichtshofs an andererStelle, dass die Betriebsübergangsrichtlinie nur eine teilweiseHarmonisierung auf dem geregelten Gebiet vornehme, indemsie hauptsächlich den Schutz, der den Arbeitnehmern durchdie Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten selbstbereits gewährt werde, auch auf den Fall des Unternehmens-übergangs ausdehne (Urteil Österreichischer Gewerkschafts-bund, 11.9.2014, C-328/13, a.a.O., Rn 22), und dass kein für diegesamte Union einheitliches Schutzniveau geschaffen wer-den solle, genau dieser Effekt erzielt, wenn man unabhängigvon den Anpassungsmöglichkeiten des nationalen Arbeits-rechts jeden Übergang einer dynamischen Bezugnahmeklau-sel als Verletzung des Wesensgehaltes der Unternehmerfrei-heit ansähe.bb) Eine solche Rechtsfortbildung könnte die vom Bundesver-fassungsgericht aufgezeigten Grenzen überschreiten, da siedeutlich erkennbare, sogar ausdrücklich im Wortlaut doku-mentierte (vertrags-)gesetzliche Entscheidungen abänderte

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bzw. ohne ausreichende Rückbindung an gesetzliche Aussa-gen neue Regelungen schaffte. Es fänden dann durch dieRechtsfortbildung strukturelle Verschiebungen im Systemkonstitutioneller Macht- und Einflussverteilung der Unionstatt. (…)IV. Die Revision war für die Beklagte gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer1 ArbGG zuzulassen.■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburgvom 3.12.2014, 24 Sa 1126/14

100. Aushändigung Arbeitsvertrag, Nachweisgesetz,Fixierung der Arbeitsbedingungen

Aus dem Tatbestand:Die Parteien streiten über die Bedingung ihres Arbeitsverhält-nisses. Darüber hinaus begehrt der Kläger von der Beklagteneine Niederschrift der Arbeitsbedingungen nach dem Nach-weisgesetz.Der am 1.8.1972 geborene Kläger, der aus Eisleben stammt,schloss mit der Beklagten am 5.8.1991 einen Arbeitsvertragals Zerspanungsmechaniker. Ein schriftlicher Arbeitsvertragwurde nicht geschlossen. (…)Der Kläger beantragt,(…) 2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine von ihr un-terzeichnete Niederschrift auszuhändigen, die die wesentli-chen Vertragsbedingungen zwischen den Parteien zum5.8.1991 niederlegt, ersatzweise dem Kläger einen schriftli-chen Arbeitsvertrag mit dem genannten Inhalt auszuhändi-gen. (…)Aus den Entscheidungsgründen:Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung eines Ar-beitsvertrages entsprechend seinen Vorgaben. Ein derartigerAnspruch ergibt sich nicht aus § 2 des Nachweisgesetzes(NachwG).Zum Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses gab es das Nach-weisgesetz noch nicht, allerdings ergibt sich aus § 3 NachwGein Anspruch auf schriftliche Fixierung der Änderungen desArbeitsvertrages. Aber das will der Kläger gerade nicht. DerKläger will einen schriftlichen Arbeitsvertrag, der die Verein-barungen bei Vertragsschluss widergibt, wobei er der Mei-nung ist, dass diese – mit Ausnahme der Bezahlung – nichtverändert werden können.Diese Auffassung ist doppelt falsch: Zum einen gibt das Nach-weisgesetz keinen Anspruch auf Erstellung eines historischenArbeitsvertrages, der die zwischenzeitlich vereinbarten undgelebten Veränderungen ignoriert. Zum anderen ist die Auf-fassung des Klägers falsch, dass Veränderungen des Vertragesnachträglich unzulässig wären. Warum er meint, dann ein an-deres Arbeitsentgelt beanspruchen zu können als das ur-sprünglich vereinbarte, konnte der Kläger nicht erklären.Letztlich läuft seine Rechtsauffassung auf eine völlige Ab-schaffung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts hinaus.Auch die unmittelbare und zwingende Wirkung von Betriebs-vereinbarungen gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG werden von ihm

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ignoriert. Im Ergebnis möchte der Kläger eine historische Do-kumentation der Verhältnisse, die zum Zeitpunkt des Arbeits-beginnes bestanden haben. Ein derartiger Anspruch bestehtjedoch nicht.Das Gericht brauchte sich deshalb nicht mit den Vertragsbe-dingungen zu befassen, die zwischenzeitlich von den Parteiengelebt worden sind, da das Ziel des Klägers ist, ausschließlichhistorische Vertragsbedingungen fixieren zu lassen. Für einenderartigen Anspruch fehlt es an einer Anspruchsgrundlage.Die Klage war daher abzuweisen. (…)■ Arbeitsgericht Bielefeldvom 5.5.2015, 1 Ca 2490/14eingereicht durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Heinz GussenRietberger Straße 2, 33378 Rheda-WiedenbrückTel.: 05242/920432, Fax: 05242/[email protected], www.gussen-arbeitsrecht.de

101. Equal Pay, Ausschlussfrist, unwirksamer Tarifvertrag

Aus dem Tatbestand:Die Parteien streiten – soweit für die Revision von Belang –über die Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt desequal pay. (…)Dem Arbeitsverhältnis lag zunächst ein Formulararbeitsver-trag (…) zugrunde, in dem es u.a. heißt:„Anwendbare TarifverträgeAuf das Arbeitsverhältnis finden die zwischen dem Arbeitge-berverband Mittelständischer Personaldienstleister e.V. (AMP)einerseits und der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerk-schaften Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP), derChristlichen Gewerkschaft Metall (CGM), der DHV – Die Berufs-gewerkschaft e.V. (DHV), dem Beschäftigtenverband Industrie,Gewerbe, Dienstleistung (BIGD), dem Arbeitnehmerverbandland- und ernährungswirtschaftlicher Berufe (ALEB), meds-onet. Die Gesundheitsgewerkschaft (medsonet) andererseitsabgeschlossenen Tarifverträge, derzeit bestehend aus Mantel-tarifvertrag, Manteltarifvertrag für die Auszubildenden, Ent-geltrahmentarifvertrag, Entgelttarifverträge West und Ost so-wie Beschäftigungssicherungstarifvertrag, in ihrer jeweils gül-tigen Fassung Anwendung.Soweit die Regelungen dieses Vertrages den in Bezug genom-menen Tarifverträgen derzeit oder zukünftig widersprechensollten, gelten vorrangig die jeweils tariflichen Bestimmun-gen. Dies gilt nicht, soweit die Tarifverträge eine Abweichungausdrücklich zulassen oder sich aus den Regelungen diesesArbeitsvertrages eine für den Arbeitnehmer günstigere Rege-lung ergibt. (…)19.2 Tarifliche AusschlussfristBeide Arbeitsvertragsparteien können sämtliche Ansprücheaus dem Arbeitsverhältnis nur schriftlich innerhalb einer Aus-schlussfrist von drei Monaten ab Fälligkeit geltend machen(Ziffer 19.2 MTV). (…)“Aus den Entscheidungsgründen:Die Revision des Klägers ist begründet. (…)

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I. Der Kläger hat für die streitgegenständliche Zeit der Über-lassung an die O GmbH Anspruch auf gleiches Arbeitsentgeltnach § 10 Abs. 4 AÜG. Eine nach § 9 Nr. 2 AÜG zur Abwei-chung vom Gebot der Gleichbehandlung berechtigende Ver-einbarung haben die Parteien nicht getroffen. Die Bezugnah-meklausel des Arbeitsvertrags 2010, mit der die Geltung dervom Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienst-leister e.V. (AMP), der CGZP und einer Reihe von christlichenArbeitnehmervereinigungen geschlossenen Tarifverträgevom 15.3.2010 (AMP-TV 2010) vereinbart werden sollte, istmangels Kollisionsregelung intransparent und nach § 307Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam (vgl. BAG v. 13.3.2013 – 5 AZR 954/11 – Rn 26 ff., BAGE 144, 306). Ob die Bezugnahme auf vonDGB-Gewerkschaften geschlossene Tarifverträge im Arbeits-vertrag 2011 die Beklagte von dem Gebot der Gleichbehand-lung entbinden konnte, braucht der Senat nicht zu entschei-den. Diese Vereinbarung galt – wie im Arbeitsvertrag 2011und im Schreiben vom 14.3.2011 auch ausdrücklich festgehal-ten – erst ab dem 1.4.2011 und damit nach dem streitgegen-ständlichen Zeitraum.

II. Der Anspruch des Klägers auf gleiches Arbeitsentgelt istnicht verfallen.

1. Der Kläger war nicht gehalten, Ausschlussfristen aus un-wirksamen Tarifverträgen der CGZP oder aus dem nicht wirk-sam in das Arbeitsverhältnis einbezogenen AMP-TV 2010 ein-zuhalten. Derartige „tarifliche“ Ausschlussfristenregelungensind auch nicht kraft Bezugnahme als Allgemeine Geschäfts-bedingung Bestandteil des Arbeitsvertrags geworden (vgl.BAG v. 13.3.2013 – 5 AZR 954/11 – Rn 34 f., BAGE 144, 306;19.2.2014 – 5 AZR 1046/12 – Rn 19). (…)

a) Zwar kann – trotz der Bezugnahme auf einen Tarifvertrag,der eine Ausschlussfristenregelung enthält – eine eigenstän-dige arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung vereinbartwerden. Das folgt aus dem grundsätzlichen Vorrang einer aus-drücklich in den Arbeitsvertrag aufgenommenen Klausel voreiner nur durch die pauschale Bezugnahme auf einen Tarifver-trag anwendbaren Regelung (BAG v. 13.3.2013 – 5 AZR 954/11 – Rn 40, BAGE 144, 306; 25.9.2013 – 5 AZR 778/12 – Rn 14).Belassen es nicht tarifgebundene Arbeitsvertragsparteiennicht dabei, ihr Arbeitsverhältnis pauschal einem bestimmtenTarifregime zu unterwerfen, sondern vereinbaren zu einzel-nen Gegenständen darüber hinaus im Arbeitsvertrag ausfor-mulierte Regelungen, bringen sie damit typischerweise zumAusdruck, dass unabhängig von dem in Bezug genommenenTarifwerk, jedenfalls die in den Arbeitsvertrag aufgenomme-nen Bestimmungen für das Arbeitsverhältnis gelten sollen(BAG v. 23.10.2013 – 5 AZR 556/12 – Rn 14).

Davon können die Arbeitsvertragsparteien abweichen, indemsie etwa einer ausdrücklich in den Arbeitsvertrag aufgenom-menen Klausel eine nur „deklaratorische“, den Wortlaut des inBezug genommenen Tarifwerks wiedergebende Bedeutungbeimessen und damit gleichsam die Bezugnahme „ausformu-lieren“ (BAG v. 25.9.2013 – 5 AZR 778/12 – Rn 15).

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b) Ausgehend von der vorzunehmenden objektiven Ausle-gung haben die Parteien im Streitfall keine eigenständigeAusschlussfrist geregelt.Ausgehend vom Wortlaut der Nr. 19.2 Arbeitsvertag 2010, deridentisch mit dem Text der Nr. 19.2 bis Nr. 19.4 AMP-TV 2010ist, darf der durchschnittliche Vertragspartner des Verwendersdie Klausel als bloße Ausformulierung der nach der Bezugnah-meklausel anwendbar sein sollenden tariflichen Ausschluss-fristenregelung verstehen. Die fehlende Eigenständigkeit derRegelung wird unterstrichen durch die Überschrift der Klau-sel – „Tarifliche Ausschlussfrist“ – und die dem Klauseltext inder Art eines Fundstellennachweises beigefügten Klammerzu-sätze mit den entsprechenden Nummern des AMP-TV 2010.Auch der Vergleich mit der Klausel der Nr. 19.1 Arbeitsvertrag2010 bestätigt dem durchschnittlichen Vertragspartner desVerwenders dieses Verständnis. Dort ist ohne Hinweis auf denTarifvertrag eine gegenüber diesem eigenständige Regelunggetroffen, die sich in Nr. 19.1 AMP-TV 2010 nicht findet.■ Bundesarbeitsgerichtvom 28.1.2015, 5 AZR 122/13eingereicht von Rechtsanwalt Karl PierethRechtsanwälte Piereth Bauer WawartaMartin-Luther-Platz 6-8, 91522 AnsbachTel.: 0981/9712700, Fax: 0981/[email protected], www.rae-pbw.de

102. Dienstwagen – Privatnutzung – FreistellungsphaseAltersteilzeit

Leitsatz:Vereinbaren die Vertragsparteien die Privatnutzung einesDienstwagens, ohne einen Widerrufsvorbehalt oder eine an-dere Rücknahmemöglichkeit zu regeln, um den Vertrag an dieTeilzeitsituation anzupassen, so gilt die Dienstwagenvereinba-rung auch in der Freistellungsphase der Altersteilzeit (entge-gen LAG Rheinland-Pfalz v. 14.4.2005, 11 Sa 745/14).Aus dem Tatbestand:Für die Zeit vom 16.12.2009 bis zum 31.5.2015 schloss der Klä-ger mit der Beklagten zu 1) einen schriftlichen Altersteilzeitar-beitsvertrag im Blockmodell. Die Arbeitsphase endete am7.9.2012.Dem Kläger wurde der Dienstwagen während der Arbeits-phase auch zur privaten Nutzung zur Verfügung gestellt. Inder Freistellungsphase durfte er den Pkw noch bis zum31.12.2012 privat nutzen, zum 1.1.2013 musste er ihn heraus-geben. (…)Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urt. v. 11.9.2014 abge-wiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe nachder Rechtsprechung des LAG Rheinland-Pfalz (14.4.2005 – 11Sa 745/04 – juris) in der Freistellungsphase der Altersteilzeitim Blockmodell keinen Anspruch auf Überlassung einesDienstwagens, denn die Beklagte habe ihm in der Arbeits-phase den Entgeltbestandteil „Privatnutzung“ – anders als die

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übrigen Vergütungsbestandteile – nicht nur anteilig, sondernin vollem Umfang gewährt.

Aus den Entscheidungsgründen:

a) Der Kläger hat dem Grunde nach gem. § 280 Abs. 1 S. 1i.V.m. § 283 S. 1 BGB einen Anspruch auf Nutzungsausfallent-schädigung für die Zeit vom 1.1.2013 bis 28.2.2015 und zu-künftig bis zum Ende des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses am31.5.2015. (…)

Im schriftlichen Arbeitsvertrag vom 1.1.1986 ist in § 3 Abs. 2ein Anspruch des Klägers auf Benutzung eines gesellschaftsei-genen Kraftwagens angemessenen Typs vereinbart worden.Zusätzlich wurde vereinbart, dass der Kläger den Dienstwa-gen auch für private Zwecke nutzen darf. Einen gesondertenDienstwagenvertrag haben die Parteien nicht geschlossen. Imschriftlichen Altersteilzeitarbeitsvertrag findet sich keine Re-gelung zum Dienstwagen, insbesondere ist dort nicht gere-gelt worden, dass der Kläger den Dienstwagen in der Freistel-lungsphase der Altersteilzeit herausgeben muss. Ein Wider-rufsrecht findet sich weder im ursprünglichen Arbeitsvertragnoch im Altersteilzeitarbeitsvertrag.

Die Überlassung eines Dienstwagens auch zur privaten Nut-zung stellt einen geldwerten Vorteil und Sachbezug dar. Sieist steuer- und abgabenpflichtiger Teil des geschuldeten Ar-beitsentgelts und damit Teil der Arbeitsvergütung. Die Ge-brauchsüberlassung ist regelmäßig zusätzliche Gegenleistungfür die geschuldete Arbeitsleistung. Sie ist so lange geschul-det, wie der Arbeitgeber Arbeitsentgelt leisten muss, und seies – wie im Fall von Krankheit und Beschäftigungsverbotennach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 MuSchG – ohne Erhalt einer Gegen-leistung (BAG v. 21.3.2012 – 5 AZR 651/10 – Rn 15 m.w.N., NZA2012, 616).

Daraus, dass der Arbeitnehmer in der Freistellungsphase derAltersteilzeit nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet ist, folgtnicht notwendig, dass der Arbeitgeber ihm keinen Dienstwa-gen mehr zum privaten Gebrauch überlassen muss. Auch ausdem Umstand, dass dem Arbeitnehmer in der Aktivphase derAltersteilzeit der Dienstwagen in vollem Umfang zur Verfü-gung stand, obwohl ihm der Arbeitgeber während der Ge-samtdauer der Altersteilzeit nur die Hälfte seiner Arbeitsver-gütung schuldet, folgt nicht notwendig, dass ihm die Privat-nutzung in der Freistellungsphase entzogen werden darf (ent-gegen LAG Rheinland-Pfalz v. 14.4.2005 – 11 Sa 745/04 –Rn 110-113, juris).

Im Blockmodell der Altersteilzeit tritt der Arbeitnehmer wäh-rend der Arbeitsphase mit seiner vollen Arbeitsleistung imHinblick auf die anschließende Freistellungsphase in Vorleis-tung und erarbeitet hierdurch Entgelte, die nicht im Monatder Arbeitsphase ausgezahlt, sondern für die spätere Freistel-lungsphase zeitversetzt angespart werden. Die Vorleistungführt zu einem Zeitguthaben.

Nach § 4 Abs. 1 TzBfG darf ein teilzeitbeschäftigter Arbeitneh-mer wegen der Teilzeitarbeit „nicht schlechter” behandeltwerden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitneh-

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mer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedlicheBehandlung rechtfertigen. Nach § 4 Abs. 1 S. 2 TzBfG ist einemteilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer Arbeitsentgelt oder eineandere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Um-fang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Ar-beitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeit-nehmers entspricht. Die Teilzeitarbeit ist proportional ent-sprechend der Teilzeitquote zu vergüten.Die Gestellung eines Dienstwagens zur privaten Nutzung isteine unteilbare geldwerte Leistung, so dass sie bei Teilzeitbe-schäftigten im Grundsatz voll zu erbringen ist. In der Literaturwird die Ansicht vertreten, dass es der Gleichbehandlungs-grundsatz erlaube, den „überhöhten“ Vergütungssatz ander-weitig zu kompensieren (MüKo-BGB/Müller-Glöge, 12. Aufl.,TzBfG § 4 Rn 8 m.w.N.). Eine derartige Regelung, bspw. einenWiderrufsvorbehalt, haben die Parteien im Streitfall jedochnicht getroffen. Vereinbaren die Parteien die Privatnutzungdes Dienstwagens, ohne – wie hier – einen Widerrufsvorbe-halt oder eine anderweitige Rücknahmemöglichkeit zu re-geln, um den Vertrag an die Teilzeitsituation anzupassen, sogilt die Dienstwagenvereinbarung grundsätzlich bis zur Been-digung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses. Ob die Reduzie-rung der Arbeitszeit bei einer Dienstwagenvereinbarung ei-nen Widerrufsgrund darstellt, kann vorliegend dahinstehen.(…)III. (…) Die Kammer hat gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG dieRevision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssachezugelassen.■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalzvom 12.3.2015, 5 Sa 565/14

103. Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers, Anspruchauf Versetzung an einen anderen Arbeitsort

Leitsatz:Aus der in § 241 Abs. 2 BGB normierten Rücksichtnahme-pflicht erwächst auch unter Berücksichtigung des grundrecht-lichen Schutzes von Ehe und Familie bzw. Pflege und Erzie-hung der Kinder (Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG) kein Anspruch aufeinen befristeten Halbtagsarbeitsplatz an einem anderen Ar-beitsort oder in einem Home-Office.Aus dem Tatbestand:Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dieKlägerin vorübergehend auf einem Teilzeitarbeitsplatz amStandort Saarbrücken, hilfsweise auf einem Heimarbeitsplatz,zu beschäftigen. (…)Aus den Entscheidungsgründen:1. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann dieKlägerin ihr Klagebegehren auf befristete Einrichtung einesHalbtagsarbeitsplatzes an einem anderen Arbeitsort nicht aufdie Vorschriften des TzBfG (Gesetz über Teilzeitarbeit und be-fristete Arbeitsverträge) oder den allgemeinen arbeitsrechtli-chen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen. Das wird von derBerufung auch nicht in Abrede gestellt.

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Aus § 8 TzBfG folgt kein Anspruch auf vorübergehende Ver-kürzung der Arbeitszeit, wie sich aus einem Vergleich mit § 9TzBfG ergibt, der anders als bei der Elternzeit (§ 15 Abs. 5BEEG) keinen bedingungslosen Anspruch auf Rückkehr zurVollzeitarbeit regelt. Darüber hinaus regelt § 8 TzBfG lediglicheinen Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit, nicht jedochauf Umgestaltung des Arbeitsverhältnisses nach Inhalt undOrt der Arbeitsleistung.2. Aus der in § 241 Abs. 2 BGB normierten Rücksichtnahme-pflicht erwächst auch unter Berücksichtigung des grundrecht-lichen Schutzes von Ehe und Familie bzw. Pflege und Erzie-hung der Kinder (Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG) der begehrte An-spruch der Klägerin auf einen Halbtagsarbeitsplatz am Stand-ort Saarbrücken oder in einem Home-Office ebenfalls nicht.Das Interesse der Beklagten, die Klägerin – wie vereinbart –am Standort Mainz mit der vertraglich geschuldeten Tätigkeiteinzusetzen, überwiegt gegenüber dem Interesse der Kläge-rin, nicht nach Mainz pendeln zu müssen.a) Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Aus-übung des Versetzungsrechts, der letztlich in eine Verset-zungspflicht vom Standort Mainz zum Standort Saarbrücken,hilfsweise in ein Home-Office, münden soll, ergibt sich nichtunmittelbar aus § 106 GewO. Nach dieser Vorschrift kann derArbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billi-gem Ermessen näher bestimmen. Aus der gewählten Formu-lierung „kann“ ergibt sich, dass es sich hierbei um ein Gestal-tungsrecht des Arbeitgebers handelt. Wenn der Arbeitgebersein Gestaltungsrecht ausübt, hat er bei der Ermessensent-scheidung die Grundsätze der Billigkeit zu beachten. Aus§ 106 GewO lässt sich unmittelbar keine Pflicht des Arbeitge-bers zur Ausübung des Direktionsrechts in gewünschterWeise herleiten. Die Konkretisierung der Arbeitspflicht istnach § 106 S. 1 GewO Sache des Arbeitgebers.b) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, derdie Berufungskammer folgt, kann es allerdings die Rücksicht-nahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB gebieten, dass der Arbeit-geber von seinem Direktionsrecht Gebrauch macht und dievom Arbeitnehmer zu erbringende Leistung innerhalb des ar-beitsvertraglich vereinbarten Rahmens anderweitig derartkonkretisiert, dass dem Arbeitnehmer die Leistungserbrin-gung wieder möglich wird, wenn er aus in seiner Person lie-genden Gründen nicht mehr in der Lage ist, die vom Arbeit-geber aufgrund seines Direktionsrechts nach § 106 S. 1 GewOnäher bestimmte Leistung zu erbringen (vgl. BAG v.19.5.2010 – 5 AZR 162/09 – Rn 26-27 m.w.N., NZA 2010, 1119;MüKo BGB/Müller-Glöge, 12. Aufl., BGB § 611 Rn 988-990m.w.N.).Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zurRücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessenihres Vertragspartners verpflichtet. Dies dient dem Schutzund der Förderung des Vertragszwecks. Im Arbeitsverhältniskönnen die Vertragspartner deshalb zur Verwirklichung desLeistungsinteresses zu leistungssichernden Maßnahmen ver-pflichtet sein. Dazu gehört auch die Pflicht, im Zusammenwir-

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ken mit dem Vertragspartner die Voraussetzungen für dieDurchführung des Vertrags zu schaffen, Erfüllungshindernissenicht entstehen zu lassen bzw. zu beseitigen und dem ande-ren Teil den angestrebten Leistungserfolg zukommen zu las-sen. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht kann es auch gebotensein, auf den Wunsch nach Vertragsanpassung als Reaktionauf unerwartete Änderungen der tatsächlichen Verhältnisseeinzugehen, insb. wenn anderenfalls in Dauerschuldverhält-nissen Unvermögen des Schuldners droht (vgl. BAG v.13.8.2009 – 6 AZR 330/08 – Rn 31 m.w.N., AP BGB § 241 Nr. 4).c) Nach diesen Grundsätzen war die Beklagte aufgrund ihrerRücksichtnahmepflicht gehalten, den Antrag der Klägerin aufeine Änderung der vertraglichen Beziehungen zu prüfen unddarüber nach Treu und Glauben zu befinden (vgl. auch BAG v.16.7.1997 – 5 AZR 309/96 – NZA 1998, 104, zur Einwilligung indie vorzeitige Beendigung eines Sonderurlaubs; BAG v.19.5.2010 – 5 AZR 162/09 – Rn 27-28, a.a.O., zur Umsetzungauf einen leidensgerechten Arbeitsplatz; BAG v. 24.3.2011 – 2AZR 790/09 – Rn 26 – NZA 2011, 1084 zur Mitwirkung bei derErlangung des Freigängerstatus).d) Entgegen der Berufung ist die Ermessensentscheidung derBeklagten nicht zu beanstanden. Die Parteien haben denDienstort der Klägerin, der aufgrund einer unternehmenswei-ten Umstrukturierung ab 1.10.2007 nach Mainz verlagert wor-den ist, arbeitsvertraglich einvernehmlich festgelegt. Das Inte-resse der Beklagten, die Klägerin – auch mit einer verringertenArbeitszeit von 20 Wochenstunden, womit sie einverstandenist – am Standort Mainz zu beschäftigen, überwiegt gegen-über dem Interesse der Klägerin, ihren Arbeitsplatz – befristetbis zum 30.9.2016 – nach Saarbrücken oder in ein Home-Of-fice zu verlagern. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffenderkannt.aa) Zwar sind die familiären und erzieherischen Belange derKlägerin, die eine durch Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG geschützteRechtsposition hat, beachtlich. Ihr im April 2010 geborenerSohn leidet (nach dem Inhalt des ärztlichen Attestes vom16.12.2013) an einer emotionalen Störung mit Überängstlich-keit im Kindesalter. In diesem Rahmen zeigt sich eine ausge-prägte Trennungsangst von der Mutter bzgl. des Kindergar-tenbesuchs. Der Sohn besucht den Kindergarten nur vormit-tags. Eine längere Betreuung in der Einrichtung ist aus Sichtder Kinderärztin derzeit nicht vertretbar. Die Klägerin kannnur halbtags arbeiten, weil sie den Kindergartenbesuch desSohnes nicht auf volle Tage ausdehnen kann. Es ist unmittel-bar nachvollziehbar, dass die Klägerin bei einer Teilzeitbe-schäftigung mit einer verkürzten täglichen Arbeitszeit vonvier Stunden an fünf Arbeitstagen nicht von Saarbrückennach Mainz pendeln kann, weil sonst die medizinisch erfor-derliche Betreuung des Sohnes durch die Mutter nach demKindergartenbesuch nicht sichergestellt ist.bb) Aber auch auf Seiten der Beklagten streiten Grundrechte.Die Gestaltung des Betriebs, die Antwort auf die Frage, obund in welcher Weise sich der Arbeitgeber wirtschaftlich betä-tigen will, sind Bestandteil der durch Art. 12, Art. 14 und Art. 2

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Abs. 1 GG geschützten unternehmerischen Freiheit. Zum we-sentlichen Inhalt der freien unternehmerischen Entscheidunggehört die Gestaltungsfreiheit bezüglich der betrieblichen Or-ganisation. Sie umfasst auch die Festlegung, an welchemStandort welche arbeitstechnischen Ziele verfolgt werden(vgl. BAG v. 29.3.2007 – 2 AZR 31/06 – Rn 23 m.w.N., NZA 2007,855; BAG v. 27.9.2001 – 2 AZR 246/00 – Rn 20, EzA KSchG § 2Nr. 41).Dem widerspräche eine Verpflichtung der Beklagten, der Klä-gerin einen Arbeitsplatz am Standort Saarbrücken oder einHome-Office einzurichten. Die Beklagte hat ihren Betrieb –unstreitig – so umstrukturiert, dass der Bereich HUS-Schaden(Haftpflicht-, Unfall-, Sachschaden), in dem die Klägerin vorder Elternzeit beschäftigt wurde, nur noch an den StandortenMainz, Köln und Hannover bearbeitet wird. Im Zuge dieser (in-teressenausgleichspflichtigen) Umstrukturierung haben sichdie Parteien mit Wirkung ab 1.10.2007 vertraglich darauf geei-nigt, dass die Klägerin am Standort Mainz arbeitet. Die Kläge-rin hat sich damals entschieden, zwar den Arbeitsort zu wech-seln, jedoch ihren Wohnort in der Nähe von Saarbrücken bei-zubehalten. Wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend heraus-gestellt hat, ist die von der Klägerin behauptete Unmöglich-keit, ihre Arbeitsleistung am Standort Mainz zu erbringen, aufihre bewusste Entscheidung zurückzuführen, ihren Wohnortab 2007 nicht nach Mainz zu verlegen. Das Vereinbarkeits-problem zwischen Mobilität und aktiver Elternschaft wäredurch einen Umzug zu lösen, den die Klägerin kategorisch ab-lehnt.cc) Die Klägerin kann von der Beklagten nicht verlangen, vonihr nicht gewollte Organisationsentscheidungen zu treffen.Die Klägerin muss akzeptieren, dass die Beklagte die unter-nehmerische Entscheidung getroffen hat, die Schadenssach-bearbeitung, zu der eine umfangreiche Telefontätigkeit ge-hört, auf wenige Standorte – u.a. Mainz – zu konzentrieren.Die Beklagte ist deshalb nicht verpflichtet, ihren Betrieb nachden Vorstellungen und Wünschen der Klägerin umzuorgani-sieren. (…)■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalzvom 18.12.2014, 5 Sa 378/14

104. Annahmeverzug, Unmöglichkeit derArbeitsleistung, Vergütungsanspruch

Aus dem Tatbestand:Die Parteien streiten um die Vergütungszahlungsansprüchedes Klägers aus den Monaten Februar bis April 2013 (…).Der Kläger ist (…) als gewerblicher Arbeitnehmer mit der Tä-tigkeit einer Servicekraft im Dienstleistungsbereich Gepäck-aufbewahrung/Gepäckwagenmanagement am FlughafenFrankfurt am Main bei der Beklagten beschäftigt. (…)Nach dem Inhalt des schriftlichen Arbeitsvertrages ist der Klä-ger verpflichtet, den Flughafenausweis ständig im Dienst mit-zuführen und auf Verlangen der Polizei bzw. den Beauftragtenvon Aufsichtsbehörden vorzuzeigen. Weiterhin ist dort be-

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stimmt, dass der Kläger keinen Anspruch auf einen bestimm-ten Dienstposten hat und der Arbeitgeber ihn jederzeit zu an-deren Dienstplätzen innerhalb und außerhalb des ihm zuge-wiesenen Beschäftigungsortes versetzen kann.

Mit Schreiben vom 10.1.2013 teilte die BundespolizeidirektionKriminalitätsbekämpfung Flughafen Frankfurt am Main derBeklagten mit, dass gegen den Kläger ein Ermittlungsverfah-ren wegen des Verdachts der Einschleusung von Ausländernauf dem Landwege geführt werde. (…) Wegen des eingeleite-ten Ermittlungsverfahrens stellte die Beklagte den Kläger am14.1.2013 unbezahlt von der Arbeitsleistung frei. Seither wardem Kläger der Zugang zum Sicherheitsbereich des Flugha-fens unter Verwendung des Ausweises nicht mehr möglich,weil dieser „gesperrt“ worden war. (…)

Mit Verfügung vom 18.10.2013 stellte die Staatsanwaltschaftdas Ermittlungsverfahren gegen den Kläger gemäß § 170Abs. 2 StPO ein. Seither beschäftigt die Beklagte den Klägerwieder vertragsgemäß.

Aus den Entscheidungsgründen:B) Die Berufung bleibt jedoch ohne Erfolg. Der Kläger hat ge-gen die Beklagte aus keinem rechtlichen Grund Anspruch aufZahlung der Vergütung für die Monate Februar bis einschließ-lich April 2013.

I. Ein Anspruch des Klägers folgt nicht aus den Regeln des An-nahmeverzuges. Zu Recht hat das Arbeitsgericht angenom-men, dass der Kläger im streitigen Zeitraum nicht leistungsfä-hig war. Ihm war die Erbringung der Arbeitsleistung eines Ser-vicemitarbeiters im Dienstleistungsbereich Gepäckaufbewah-rung/Gepäckwagenmanagement unmöglich. Unmöglichkeitund Annahmeverzug schließen sich aus. Die Kammer folgtden Entscheidungsgründen insoweit in vollem Umfang undstellt dies fest, § 69 Abs. 2 ArbGG.

II. Ergänzend gilt Folgendes:

Es kann dahinstehen, ob die Beklagte den Kläger berechtigtoder unberechtigt von der Leistung freigestellt hat. Sowohlmit einer berechtigten als auch mit einer unberechtigten Frei-stellung werden – wie bereits das Arbeitsgericht zutreffendausgeführt hat – die Voraussetzungen des Annahmeverzugeszunächst erfüllt. Auch darauf, ob der Kläger seinen Dienstaus-weis nach wie vor bei sich trug und die Beklagte den Ausweisals Zugangsausweis lediglich gesperrt hatte oder hatte sper-ren lassen, kommt es nicht an. Die Kammer sieht keinen quali-tativ für das vorliegende Verfahren entscheidenden Unter-schied darin, ob dem Kläger der Besitz an dem Flughafenaus-weis entzogen worden war oder er ihn nach wie vor im Besitzhatte, denn es ist zwischen den Parteien jedenfalls unstreitig,dass der Kläger wegen der Sperrung der Zugangsberechti-gung des ihm überlassenen Flughafenausweises keinen un-eingeschränkten Zugang mehr zu den bisher für ihn zugängli-chen Bereichen des Flughafens hatte, an denen er seine ver-tragsgemäße Arbeitsleistung zu erbringen hatte.

Unzutreffend ist die Behauptung des Klägers, die Beklagtehabe die Zugangssperrung jederzeit wieder aufheben kön-

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nen. Denn Flughafenausweise werden allein von der FraportAG erteilt. Dies ergibt sich aus den Regelungen in Abschnitt I„Grundsätzliches“ der Ausweisordnung.Der Kläger hat im Rahmen des Rechtsstreits auch keine tat-sächlichen Umstände dargelegt, aus denen sich ergebenkönnte, dass die von der Beklagten nach Abschnitt 12 derAusweisordnung offenbar veranlagte Sperrung der Nutzungs-möglichkeit des dem Kläger erteilten Flughafenausweises of-fensichtlich rechtswidrig war. Sein Hinweis auf die Einleitungdes Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Ein-schleusung von Ausländern auf dem Landweg verfängt inso-weit nicht. Denn auch ein wegen dieses Verdachts eingeleite-tes Ermittlungsverfahren schließt jedenfalls den für den Ent-zug des Flughafenausweises gemäß Ziffer 12 der Ausweisord-nung ausreichenden Verdacht des Missbrauchs des Flugha-fenausweises nicht aus. Der Missbrauchsverdacht hingegenberechtigt zur Sperrung des Ausweises nach der Flughafen-ausweisordnung. Es ist demnach davon auszugehen, dass dievon der Beklagten veranlasste Sperrung der Nutzungsmög-lichkeit des dem Kläger erteilten Flughafenausweises nichtrechtswidrig war. Eine Rechtswidrigkeit der Sperrung desFlughafenausweises ergibt sich auch nicht rückwirkend ausder Einstellung des gegen den Kläger geführten Ermittlungs-verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO, denn auch dann, wenn einstrafrechtliches Ermittlungsverfahren nach § 70 Abs. 2 StPOeingestellt wird, kann der Tatverdacht gegen den Beschuldig-ten fortbestehen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt v. 29.8.2014 – 3 O322/13 – Bayerischer Verwaltungsgerichtshof v. 29.7.2014 – 10C 14.478 –; zitiert nach juris). Dann aber konnte die Beklagteden Kläger in der Zeit von Februar bis April 2013 nicht als Ser-vicemitarbeiter im Dienstleistungsbereich Gepäckaufbewah-rung/Gepäckwagenmanagement beschäftigen.Gegen die Annahme des Arbeitsgerichts, der Beklagten sei esnicht möglich gewesen, ihm vorübergehend eine andere zu-mutbare Tätigkeit zuzuweisen, wendet sich der Kläger im Be-rufungsrechtszug nicht.Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich auch aus derEntscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburgvom 29.10.2014 – 17 Sa 285/14 – nichts anderes. Zum einenhat es – anders als im der herangezogenen Entscheidung zu-grunde liegenden Fall – vorliegend keine polizeibehördlicheBeschäftigungsuntersagung gegenüber der Beklagten bezo-gen auf den Kläger gegeben. Zum anderen hat das Landesar-beitsgericht dort seine Auffassung, wonach es die unterneh-merische Tätigkeit der Arbeitgeberin mit sich bringe, dass dievon ihr beschäftigten Sicherheitsmitarbeiter einer behördli-chen Aufsicht unterlägen und es daher zum arbeitgeberseiti-gen unternehmerischen Risiko gehöre, dass die Behörde ei-nen ihrer Mitarbeiter auf seine Zuverlässigkeit hin überprüfenwolle und dessen Einsatz bis zum Abschluss der Überprüfunguntersage, unter anderem auf diejenigen Fälle beschränkt, indenen der Arbeitnehmer nichts zu der entstandenen Situa-tion beigetragen habe. Vorliegend ist hingegen davon auszu-gehen, dass der Kläger zu der eingetretenen Situation beige-

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tragen hat. Die Beklagte hat insoweit unwidersprochen vorge-tragen (§ 138 Abs. 2 ZPO), das Ermittlungsverfahren gegenden Kläger sei aufgrund einer Telekommunikationsüberwa-chung und einer Äußerung des Klägers erfolgt. Diesem imKammertermin erörterten Umstand ist der Kläger nicht entge-gengetreten. (…)■ Hessisches Landesarbeitsgerichtvom 20.1.2015, 15 Sa 910/14eingereicht von Rechtsanwalt Ijaz ChaudhryMainzer Landstraße 107, 60329 Frankfurt am MainTel. 069/25627137, Fax: 069/[email protected], www.ra-chaudhry.de

105. Arbeitnehmereigenschaft, Darlegungslast zurWeisungsgebundenheit

Leitsätze:1. Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Ver-trages im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsge-bundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängig-keit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchfüh-rung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitneh-mer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen freiseine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmenkann. § 84 Abs. 1 S. 2 HGB enthält insoweit eine über seinenunmittelbaren Anwendungsbereich hinausgehende gesetzli-che Wertung.2. Schlüssiger Vortrag zum Vorliegen eines Arbeitsverhältnis-ses ist nur vorhanden, wenn konkret mit allen erforderlichenEinzelheiten u.a. dazu vorgetragen wird, wer zur Erteilung vonbindenden Weisungen befugt war, warum bindende Weisun-gen erteilt werden konnten, welche Weisungen tatsächlich er-folgten und befolgt worden sind. Ein Sachvortrag zum Arbeit-nehmerstatus, der in Wahrheit nur Wertungen enthält(„musste“, „abhängig“, „feste“ Arbeitszeiten, „Weisungen“ u.Ä.),ohne die dazu berechtigende Faktenbasis anzugeben, istnicht hinreichend bestimmt (so auch LAG Köln v. 1.8.2001 –11 Ta 130/01, NZA-RR 2002, 156 ff.).■ Landesarbeitsgericht Düsseldorfvom 18.12.2014, 5 Ta 582/14Leitsätze eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Ulrich BrötzmannBonifaziusplatz 1b, 55118 MainzTel.: 06131/618156; Fax: 06131/[email protected], www.kanzlei-broetzmann.de

106. Arbeitnehmereigenschaft von Messehostessen

Gründe:II. 1. Der Beklagte betreibt erlaubnispflichtige Arbeitnehmer-überlassung, (…)§ 1 Abs. 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) verlangt,dass Arbeitgeber, die als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeit-nehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichenTätigkeit zur Arbeitsleistung überlassen wollen, der behördli-

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chen Erlaubnis bedürfen. Eine Verletzung dieser Vorschrift istbußgeldbewehrt (§ 16 AÜG).

Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Ar-beitsverhältnisses weisungsgebunden und in persönlicherAbhängigkeit von einem anderen (Arbeitgeber) zur fremdbe-stimmten Arbeitsleistung gegen Vergütung verpflichtet ist(Palandt/Weidenkaff, BGB, 74. Aufl., Rn 7 vor § 611 BGB). Beider Beschäftigung in einem fremden Betrieb wird das ange-nommen, wenn der Beschäftigte dort eingegliedert ist unddabei einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebersunterliegt, das sich auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausfüh-rung bezieht (vgl. LSG Hessen v. 20.10.2005 – Anlage K 10, Tz.18).

Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass den Auf-tragnehmern/innen in § 1 seiner Allgemeinen Geschäftsbe-dingungen vorgeben wird, dass „… der Vertrag eine selbst-ständige Dienstleistung beinhaltet, die in keiner Weise ein Ar-beitsverhältnis begründet, nicht der Sozialversicherungs-pflicht unterliegt und ihn/sie verpflichtet, seine/ihre steuerli-chen Belange (Einkommens-, Gewerbe-, Umsatzsteuer selbstzu regeln.“ (Anlage K 6).

Für die rechtliche Bewertung des Vertragsverhältnisseskommt es nämlich nicht darauf an, wie die Mitarbeiter im Ver-trag bezeichnet werden, sondern wie die vertraglichen Bezie-hungen ausgestaltet sind und wie sie tatsächlich umgesetztwerden (Palandt/Weidenkaff, a.a.O., Rn 10 vor § 611 BGB).

Aus den in Anlage K 5 vorformulierten Vertragsbestimmun-gen zum sog. „Outfit“ der Hostessen und aus den Ziffern 2),4 – 5) sowie 8) der Allgemeinen Geschäftsbedingungen desBeklagten (Anlage K 6) ergibt sich, dass sich das von ihm ver-mittelte Messepersonal in Bezug auf Ort und Zeit des Arbeits-einsatzes, in Bezug auf dessen Abrechnung und auf die Rah-menbedingungen der Tätigkeit (äußeres Erscheinungsbild,Auftreten, Verhalten etc.) ausschließlich nach den generellenWeisungen des Beklagten richten muss. In Bezug auf die kon-krete Tätigkeit auf den Messeständen ist das Weisungsrechtan den Vertragspartner des Beklagten delegiert. Ähnlich wiein dem vom Landessozialgericht Hessen entschiedenen Fallmüssen die Hostessen auch hier keine selbstbestimmte, son-dern eine persönlich undifferenzierte, fremdbestimmte Tätig-keit verrichten, was sie als „entliehene“ Arbeitnehmerinnenqualifiziert (LSG Hessen v. 20.10.2005 – Anlage K 10, Tz. 21).

Es spielt keine Rolle, ob das vom Beklagten vermittelte Messe-personal aufgrund der Geringfügigkeit der Beschäftigung so-zialversicherungspflichtig ist oder nicht, denn dies kann dierechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses als Arbeits-verhältnis nicht beeinflussen. (…)

■ Oberlandesgericht Frankfurt am Mainvom 29.1.2015, 6 U 63/14

eingereicht von Rechtsanwalt Helmut NewrzellaHomburger Landstraße 223, 60435 Frankfurt am MainTel.: 069/6605693; Fax: 069/[email protected], www.newrzella-online.de

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107. Betriebliche Altersversorgung bei Pensionskassen,Einstandspflicht des Arbeitgebers

Leitsätze:1. Die Einstandspflicht des Arbeitgebers nach § 1 Abs. 1 S. 3BetrAVG führt nicht lediglich zu verschuldensabhängigemSchadensersatz, sondern zu verschuldensunabhängigen Er-füllungsansprüchen der versorgungsberechtigten Arbeitneh-mer.2. Das Gesetz verdeutlicht, dass der Arbeitgeber sich seinerVerpflichtungen aus der Versorgungszusage nicht dadurchentledigen kann, dass er die betriebliche Altersversorgungüber einen externen Versorgungsträger durchführt. Ihn trifftinsoweit vielmehr eine Einstandspflicht, nach der er dem Ar-beitnehmer im Versorgungsfall die zugesagten Leistungenggf. zu verschaffen hat.3. Der Verschaffungsanspruch richtet sich darauf, eine Lückezu schließen, die sich zwischen der Versorgungszusage einer-seits und der Ausgestaltung des Durchführungsweges ande-rerseits ergeben kann. Er betrifft also Fälle, in denen die für dieDurchführung der Versorgungszusage getroffenen Regelun-gen hinter den Verpflichtungen des Arbeitgebers zurückblei-ben oder der externe Versorgungsträger die Betriebsrenten-ansprüche aus anderen Gründen nicht erfüllt.4. Mit der dynamischen Verweisung auf die Satzung und dieLeistungsbedingungen einer Pensionskasse hat der Arbeitge-ber die für das arbeitsrechtliche Grundverhältnis maßgebli-chen Versorgungsbedingungen festgelegt. Für die Erfüllungder hieraus resultierenden Verpflichtungen hat der Arbeitge-ber nach § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG einzustehen: Die dynamischeVerweisung auf die Satzung und die Leistungsbedingung derPensionskasse kann auch nicht als Widerrufsvorbehalt ausge-legt werden, mit dem sich der Arbeitgeber für den Fall, dassdie Pensionskasse die Leistung herabsetzt, ein akzessorischesRecht zur Leistungskürzung vorbehalten hätte. Ein alleinigerVorbehalt wäre zudem mit zwingenden betriebsrentenrechtli-chen Wertungen unvereinbar.■ Bundesarbeitsgerichtvom 30.9.2014, 3 AZR 618/12 (vgl. auch AE 2013, 88)Leitsätze eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Ulrich BrötzmannBonifaziusplatz 1b, 55118 MainzTel.: 06131/618156; Fax: 06131/[email protected]; www.kanzlei-broetzmann.de

108. Abfindung, Auslegung Sozialplan

Tatbestand:Die Parteien streiten um die Höhe einer von der Beklagten zuzahlenden Sozialplanabfindung. (…)Dieser Sozialplan enthält u.a. folgende Vereinbarungen:„2. Begriffsbestimmung (…)2.4 Die Betriebszugehörigkeit wird monatsgenau zum Stich-tag 1.7.2013 berechnet und auf den nächsten vollendeten Ka-lendermonat aufgerundet. (…)

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14. Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund betriebs-bedingter Kündigung14.1 Soweit das Arbeitsverhältnis aufgrund betriebsbedingterKündigung endet, erhält der Mitarbeiter eine Abfindung, diesich nach folgender Formel berechnet:Abfindung = 1 x (Betriebszugehörigkeit) x (Bruttomonatsent-gelt) (…)“Der Kläger ist der Auffassung, (…) für die Berechnung der Ab-findung sei ausgehend von den Regelungen im Sozialplannicht die Maßeinheit Jahre, sondern Monate im Sozialplanvereinbart. Dies ergäbe sich aus dessen Ziffer 2.4, die eine„monatsgenaue“ Berechnung vorsieht. (…)Entscheidungsgründe:(…) 1. Der Kläger hat zwar unstreitig einen Anspruch auf Zah-lung einer Abfindung i.H.v. 26.811,88 EUR brutto aus dem Auf-hebungsvertrag. (…)2. Einen darüber hinausgehenden Anspruch auf Zahlung ei-ner Abfindung hat der Kläger hingegen nicht. Denn entgegenseiner Auffassung berechnet sich die Abfindung nach Ziffer4.2 der „Betriebsvereinbarung Freiwilliges Turboprogramm“i.V.m. Ziffer 14. des Sozialplans vom 30.7.2013 nicht nach derFormel:Abfindung = 1,25 x (Betriebszugehörigkeit in Monaten) x(Bruttomonatsgehalt) + Sockelbetrag,

sondern nach der Formel:

Abfindung = 1 x (Betriebszugehörigkeit in Jahren) x (Brutto-monatsgehalt) + Sockelbetrag. (…)

b) Ausgehend davon ist die Ziffer 14. des Sozialplans vom30.7.2013 dahingehend auszulegen, dass die Maßeinheit fürden Berechnungsfaktor „Betriebszugehörigkeit“ Jahre undnicht Monate ist. Dieser Sozialplan enthält insoweit – entge-gen der vom Kläger vertretenen Auffassung – keine ausdrück-liche Bestimmung. Insbesondere ergibt sich aus dessen Ziffer2.4, die eine „monatsgenaue“ Berechnung der Betriebszuge-hörigkeit zum Stichtag 1.7.2013 sowie eine Rundungsregel fürBruchteile von Monaten enthält, nicht, dass die Berechnungder Betriebszugehörigkeit „in Monaten“ erfolgt. Sie definiertlediglich, mit welcher Genauigkeit zu rechnen ist und nicht, inwelcher Maßeinheit. Ganz im Gegenteil: Hätten die Betriebs-parteien – entgegen der in der arbeitsrechtlichen Praxis übli-chen Berechnung in Jahren – eine Berechnung „in Monaten“vereinbaren wollen, so hätte es nahe gelegen, eben dies auchso zu vereinbaren. Die explizite Vereinbarung einer „monats-genauen“ Berechnung deutet vielmehr darauf hin, dass dieBetriebsparteien entsprechend den Gepflogenheiten im Ar-beitsrecht von einer Berechnung in der Maßeinheit „Jahre“ausgingen und zum Ausdruck bringen wollten, dass nicht nurvolle Jahre berücksichtigt werden sollen, sondern auch Bruch-teile von Jahren. Ein solches Verständnis führt auch zu einemsachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbarenErgebnis, das auch den Gepflogenheiten im Arbeitsleben ent-spricht. Die Abfindung von einem Bruttomonatsentgelt proBeschäftigungsjahr (hier zzgl. des Sockelbetrages) entspricht

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Bestandsschutz Bestandsschutz

einer sich im Rahmen des Üblichen bewegenden Sozialplan-abfindung. Gänzlich unüblich – sowohl bezogen auf die typi-scherweise bei betriebsbedingten Beendigungen von Arbeits-verhältnissen gezahlten Abfindungen (siehe dazu REGAM-Studie in BB 2004, 102; Hümmerich, in: NZA 1999, 342) alsauch bezogen auf den mit einem Sozialplan typischerweiseverfolgten Zweck – wären hingegen die vom Kläger bean-spruchten Verzwölffachungen der Abfindung (ohne den So-ckelbetrag). Die vom Kläger gewünschte Auslegung des Sozi-alplans würde vorliegend – unter Berücksichtigung der „Be-triebsvereinbarung Freiwilliges Turboprogramm“ – zu einemgänzlich praxisfernen und durchaus schon als abwegig zu be-zeichnenden Ergebnis führen. Ein solches Ergebnis entsprä-che auch nicht dem Zweck eines Sozialplanes, der grundsätz-lich darin liegt, eine geplante und nach den Interessen des Ar-beitgebers notwendige Betriebsänderung so zu gestalten,dass für die betroffenen Arbeitnehmer keine unverhältnismä-ßige Belastung eintritt, indem die durch eine Betriebsände-rung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile ausgeglichenoder gemildert werden (vgl. Annuß, in: Richardi, 14. Aufl. 2014,§ 112 Rn 51 BetrVG). Offenkundig würde aber die vom Klägerbeanspruchte Abfindung nicht lediglich wirtschaftliche Nach-teile ausgleichen oder gar nur mildern, sondern weit über-kompensieren. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Be-triebsparteien zusätzlich zu dem o.g. Zweck wohl auch – dieszeigt die Anknüpfung an die Betriebszugehörigkeit – die bis-herigen Leistungen für den Betrieb honorieren wollten, so istes doch fernliegend, dass dafür ein größerer Betrag als dasinsgesamt in der Vergangenheit an den ausscheidenden Mit-arbeiter gezahlte Entgelt dafür verwendet werden sollte.Denn ausweislich der Vorbemerkung zum Interessensaus-gleich vom 30.7.2013 sollte die Betriebsänderung durch Per-sonalabbaumaßnahmen gerade auch wegen eines Umsatz-rückganges von ca. 50 % erfolgen. Hätten die Betriebspar-teien tatsächlich entgegen der Gepflogenheiten im Arbeitsle-ben die Betriebszugehörigkeit in Monaten statt in Jahren alsBerechnungsfaktor bestimmen wollen und damit eine Abfin-dungsregelung schaffen wollen, welche die typischerweisebei betriebsbedingten Beendigungen von Arbeitsverhältnis-sen gezahlten Abfindungen um ein Vielfaches übersteigt, sohätten sie eben diesen Willen im Sozialplan zum Ausdruck ge-bracht und auch bringen müssen. Dafür ist nun aber nichts er-sichtlich. Vielmehr haben die Betriebsparteien mit der Proto-kollnotiz vom 12.2.2014 ausdrücklich „klargestellt“, dass sichdie Betriebszugehörigkeit in der Maßeinheit „Jahren“ berech-nen soll und diese Regelung in allen übrigen Fällen auch soangewandt. (…)■ Arbeitsgericht Kasselvom 25.4.2014, 5 Ca 24/14eingereicht von Rechtsanwältin Jacqueline GreinertKanzlei Jacqueline Greinert – Die ArbeitgeberkanzleiQuerallee 38, 34119 KasselTel.: 0561/6028580, Fax: 0561/60285818www.arbeitgeberkanzlei.net

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Bestandsschutz

109. Betriebsbedingte Kündigung, Sozialauswahl,Unterhaltspflichten

Leitsatz:1. Ist dem Arbeitgeber bekannt, dass der Arbeitnehmer Vatervon zwei Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter ist,lässt sich dessen Unterhaltspflicht im Rahmen der Sozialaus-wahl nicht mit der Erwägung verneinen, dass die Großelternihren Enkeln womöglich Zuwendungen gewähren.2. Der Arbeitgeber kann nicht abweichend von § 1 Abs. 3KSchG ohne ausreichende sachliche Kriterien die subsidiäreEnkelhaftung der Großeltern nach § 1606 BGB in seine Überle-gungen zum Sozialindikator „Unterhaltspflichten“ einfließenlassen.Aus dem Tatbestand:Der Kläger ist ledig und hat zwei minderjährige Kinder. Die Be-klagte berücksichtigte nur ein Kind, weil auf der Lohnsteuer-karte des Klägers ein Kinderfreibetrag von 0,5 eingetragenwar. Da der Kläger für beide Kinder, die in den Jahren 2005und 2008 geboren sind, jeweils Elternzeit beantragt hatte, dieihm bewilligt worden ist, war der Beklagten dessen zweifacheVaterschaft bekannt.Die Beklagte macht zur Begründung der Berufung – soweithier von Interesse – geltend, ihre Sozialauswahl sei nicht zubeanstanden. Sie habe sich bei ihrer Auswahlentscheidungauf die Eintragung eines Kinderfreibetrags von 0,5 auf derLohnsteuerkarte des Klägers gestützt. Sie bestreite nicht, dassder Kläger Vater zweier Kinder sei. Diese Tatsache sei für dieInformation über bestehende Unterhaltspflichten jedochnicht ausreichend, denn unterhaltsberechtigt sei gem. § 1602BGB nur, wer bedürftig sei. Dies gelte im Grundsatz auch fürminderjährige Kinder (§ 1602 Abs. 2 BGB). Aus der Vaterschaftdes Klägers und aus der Inanspruchnahme von zwei Elternzei-ten könne nicht auf die Unterhaltsbedürftigkeit seiner Kindergeschlossen werden. Es sei durchaus nicht außerhalb der all-gemeinen Lebenserfahrung, dass bspw. Großeltern den En-kelkindern entsprechende Zuwendungen zukommen lassen,die deren Bedürftigkeit ausschließen, sei es durch einmaligeSchenkungen mit laufenden Folgeerträgen oder durch einedauerhafte Unterhaltsgewährung mit dem Zweck, den Unter-haltsverpflichteten zu entlassen. Von solchen oder anderenunterhaltsrechtlich relevanten Umständen könne der Arbeit-geber ohne entsprechende Mitteilung durch den Arbeitneh-mer keine Kenntnis haben.Aus den Entscheidungsgründen:II. (…) Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die or-dentliche Kündigung der Beklagten vom 2.12.2013 zum30.6.2014 aufgelöst worden. Es liegt zwar ein dringender be-trieblicher Kündigungsgrund i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG vor. DieBeklagte hat jedoch bei der Auswahl des Klägers soziale Ge-sichtspunkte gem. § 1 Abs. 3 KSchG nicht ausreichend berück-sichtigt. (…)

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2. Die Beklagte hat für den Kläger bei der Auswahlentschei-dung nach ihrem Punkteschema zu Unrecht nur Unterhalts-pflichten für ein Kind berücksichtigt. Der Kläger ist zwei Kin-dern zum Unterhalt verpflichtet, so dass er 94 statt 84 Sozial-punkte erzielt hat (Alter 42, Betriebszugehörigkeit 32, Kinder20 Punkte). Zwar ist auf seiner Lohnsteuerkarte ein Kinderfrei-betrag von 0,5 aufgeführt, der Kläger ist jedoch – unstreitig –Vater von zwei Kindern. Die in den Jahren 2005 und 2008 ge-borenen Kinder waren bei Zugang der Kündigungserklärungim Dezember 2013 erst 8 und 5 Jahre alt. Eine gesetzliche Un-terhaltspflicht des Klägers i.S.d. §§ 1601, 1602 BGB für seineminderjährigen Kinder kann die Beklagte nicht ernsthaft be-streiten.Die für die Sozialauswahl maßgeblichen familienrechtlichenUnterhaltspflichten lassen sich der Lohnsteuerkarte nicht zu-verlässig entnehmen. Ob der Arbeitgeber auf die aus derLohnsteuerkarte ersichtlichen Angaben vertrauen und da-nach die .Sozialauswahl treffen darf, ist streitig (hierzu aus-führlich BAG v. 28.6.2012 – 6 AZR 682/10 – Rn 47 m.w.N., NZA2012, 1090). Das Gesetz spricht in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG aus-schließlich von „Unterhaltspflichten”, die ausreichend zu be-rücksichtigen sind. Darunter sind die familienrechtlichen Un-terhaltspflichten zu verstehen. Da die kinderbezogenen Ein-tragungen auf der Lohnsteuerkarte nur begrenzt etwas überdas Bestehen dieser familienrechtlichen Verhältnisse aussa-gen, dürfte sich der Schluss aufdrängen, dass § 1 Abs. 3 S. 1KSchG an sich nicht auf die in die Lohnsteuerkarte eingetrage-nen Kinderfreibeträge abhebt, so dass es auf die tatsächli-chen, nicht aber auf die in die Lohnsteuerkarte eingetragenenDaten ankommen dürfte. Den Bedürfnissen der Praxis ist aus-reichend dadurch Rechnung getragen, dass der Arbeitgeberauf die ihm bekannten Daten vertrauen kann, wenn er keinenAnlass zu der Annahme hat, sie könnten nicht zutreffen (soausdrücklich BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 405/06 – Rn 23, APKSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 96).Die Beklagte hatte vorliegend aufgrund der Beantragung vonzwei Elternzeiten Anlass zu der Annahme, dass der Kläger fa-milienrechtlich zwei minderjährigen Kindern zum Unterhaltverpflichtet ist. Der Kläger hatte mit Schreiben vom 29.8.2005der Beklagten mitgeteilt, dass sein Sohn am 28.7.2005 gebo-ren sei und mit ihm und seiner Lebenspartnerin in einem ge-meinsamen Haushalt lebe. Er beantragte ab Oktober 2005 fürzwei Jahre Elternzeit, die ihm die Beklagte am 29.9.2005schriftlich bewilligte. Mit Schreiben vom 3.11.2008 beantragteder Kläger für die Zeit nach der Geburt seines zweiten Sohnes(20.11.2008) erneut Elternzeit für zunächst zwei Jahre im An-schluss an die Mutterschutzfrist. Die Beklagte bewilligte dieseElternzeit mit Schreiben vom 6.11.2008 und eine Verlänge-rung auf insgesamt drei Jahre mit Schreiben vom 2.8.2010.Die Beklagte durfte sich bei dieser Faktenlage nicht auf dieEintragung in der Lohnsteuerkarte verlassen.Entgegen der Ansicht der Berufung musste der Kläger die Be-klagte neben seiner Vaterschaft nicht zusätzlich noch überseine familienrechtlichen Unterhaltspflichten informieren. An-

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gesichts des Lebensalters der in den Jahren 2005 und 2008geborenen Kinder liegt deren Unterhaltsbedürftigkeit i.S.d.§§ 1601, 1602 BGB auf der Hand. Die von der Berufung ange-stellte Überlegung, dass ein Unterhaltsbedarf der beiden Kin-der des Klägers ausgeschlossen sein könnte, wenn sie Zuwen-dungen ihrer Großeltern erhielten, verkennt, dass die Großel-tern keine Unterhaltspflichten ggü. ihren Enkeln treffen, so-lange die Eltern leistungsfähig sind (§ 1606 BGB).Die Verpflichtung des Arbeitgebers, bei der Sozialauswahl dieUnterhaltspflichten der Arbeitnehmer zu berücksichtigen, sollEltern das Arbeitsverhältnis als Existenzgrundlage sichern,weil mit der Anzahl ihrer Unterhaltsverpflichtungen ggü. ih-ren Kindern deren Abhängigkeit vom Arbeitsplatz steigt. Ent-gegen der Ansicht der Berufung vertritt in Rechtsprechungund Literatur niemand die Auffassung, dass ein Arbeitnehmer,der – wie der Kläger – mit zwei Kindern, die im Kindergarten-und Grundschulalter sind, in häuslicher Gemeinschaft lebt,seinem Arbeitgeber neben der Vaterschaft noch weitere Infor-mationen zu seinen familienrechtlichen Unterhaltspflichtenliefern müsste. Insb. lässt sich die Unterhaltspflicht des Kin-desvaters im Rahmen der Sozialauswahl nicht mit der Erwä-gung verneinen, dass die Großeltern ihren Enkeln womöglichZuwendungen gewähren. Ob die Beklagte die praktisch denk-bare Unterstützung der Kinder ihrer Arbeitnehmer durch de-ren Großeltern allgemein – oder nur beim Kläger – in ihren So-zialauswahlüberlegungen unterstellt hat, kann dahinstehen.Der Arbeitgeber kann die gesetzlichen Anforderungen an dieSozialauswahl nicht abweichend von § 1 Abs. 3 KSchG festle-gen und ohne ausreichende sachliche Kriterien die subsidiäreEnkelhaftung der Großeltern nach § 1606 BGB in seine Überle-gungen zum Sozialindikator „Unterhaltspflichten" einfließenlassen.■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalzvom 29.1.2015, 5 Sa 390/14

110. Kündigung, Betriebsübergang, Fortbestehensantrag

Leitsatz:1. Geht ein Betrieb oder Betriebsteil nach dem Ausspruch ei-ner Kündigung durch den Insolvenzverwalter auf einen ande-ren Inhaber über, kann die Kündigungsschutzklage auch danngegen den Insolvenzverwalter gerichtet werden, wenn derÜbergang schon vor Klageerhebung stattgefunden hat.2. In einem solchen Fall würde – unterstellt, es läge ein Be-triebsübergang vor – der neue Inhaber das Arbeitsverhältnisin gekündigtem Zustand übernehmen und müsste sich dasErgebnis der Kündigungsschutzklage zurechnen lassen.3. Es kann dahinstehen, ob der Arbeitnehmer die Kündi-gungsklage auch gegen den neuen Inhaber richten kann. Je-denfalls dann, wenn er sich mit dem bisherigen Inhaber aufeine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindungeinigt, bleibt es bei den Kündigungswirkungen selbst dann,wenn das Arbeitsverhältnis inzwischen zum Betriebserwerberbesteht.

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4. Wird innerhalb dieser Einigung mit dem bisherigen Be-triebsinhaber gleichzeitig klargestellt, dass kein Betriebsüber-gang stattgefunden hat, so wirkt dies auch im Verhältnis desKlägers zum Betriebserwerber. Eine solche Einigung kommtnämlich einem Widerspruch nach § 613a Abs. 6 BGB gleichmit der Folge, dass ein Fortsetzungsverlangen gegenüberdem Betriebserwerber nunmehr rechtsmissbräuchlich wäre.5. Ob dies auch gelten würde, wenn der Kläger gegen denneuen Inhaber Antrag auf Wiedereinstellung gestellt hätte,kann dahinstehen. Vorliegend fehlt es an einem solchen Be-gehren. (…)■ Landesarbeitsgericht Nürnbergvom 9.12.2014, 6 Sa 550/14

111. Massenentlassungsanzeige, Konsultationsverfahren,Nachteilsausgleich, Betriebsratsanhörung

Leitsatz:1. Bestreitet der Arbeitnehmer, dass die Massenentlassungs-anzeige ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigung er-folgt ist, und behauptet der Arbeitgeber, die Anzeige ord-nungsgemäß erstattet zu haben, ist zur Vorbereitung derstreitigen Verhandlung die Einholung einer amtlichen Aus-kunft bei der zuständigen Agentur für Arbeit über Inhalt undZeitpunkt der Massenentlassungsanzeige nach § 56 Abs. 1Nr. 2 ArbGG zulässig und naheliegend.2. Erklärt der Betriebsrat das Konsultationsverfahren nach § 17Abs. 2 KSchG vor Ablauf von zwei Wochen nach seiner Unter-richtung für abgeschlossen, steht der Massenentlassungsan-zeige das Erfordernis einer rechtzeitigen Unterrichtung nichtentgegen (wie BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 752/11). Ebenso wieim Verfahren nach § 102 BetrVG kommt es hierbei nicht da-rauf an, ob dem Betriebsrat bei seiner internen WillensbildungFehler unterlaufen sind.3. Unterzeichnen die Betriebsparteien einen Interessenaus-gleich, dem kein wirksamer Betriebsratsbeschluss zugrundeliegt, so hat der Arbeitgeber dennoch einen Interessenaus-gleich versucht im Sinne von § 113 Abs. 3 BetrVG.■ Landesarbeitsgericht Nürnbergvom 10.12.2014, 2 Sa 379/14

112. Kündigung, Massenentlassungsanzeige,Interessenausgleich mit Namensliste

Aus dem Tatbestand:Die Parteien streiten um Kündigungsschutz und Weiterbe-schäftigung. (…)In einem weiteren Treffen vom 20.11.2013 wurde in Anwesen-heit des gesamten Betriebsrats sowie des Geschäftsführersder Beklagten und Herrn …die Endfassung des Interessenaus-gleichs und des Sozialplans beraten. Die endgültigen Ent-würfe wurden dem Betriebsrat mit Mail vom 20.11.2013 mitDatum 21.11.2013 übersandt (Anlage B12 Bl. 178d.A.) und vondiesem am 21.11.2013 unterzeichnet. In dem Interessenaus-gleich ist der Kläger unter der Ziffer 1.2 namentlich benannt.

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Mit Mail vom 22.11.2013 unterrichtete die Beklagte den Be-triebsrat über die beabsichtigte „ordentliche betriebsbe-dingte Kündigung gem. § 102 BetrVG“ des Klägers. (…)

Die Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeitwurde am 28.11.2013 von der Personalabteilung in Frankfurterstellt und am 29.11.2013 vorab an die Agentur für Arbeit inHerford gefaxt und sodann per Post nachgesandt. Jeweils bei-gefügt waren der unterschriebene Interessenausgleich undder unterschriebene Sozialplan sowie die Ablichtung der Listeder zur Entlassung vorgesehenen Arbeitnehmer. (…)

Aus den Entscheidungsgründen:

I. (…) Die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung istwegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134BGB rechtsunwirksam, weil zuvor kein Konsultationsverfahrennach § 17 KSchG durchgeführt wurde. (…)

1.) (…) b) Jedenfalls dann, wenn wie im vorliegenden Fall dasKonsultationsverfahren überhaupt nicht durchgeführt wor-den ist, führt die Verletzung der dem Arbeitgeber nach § 17KSchG obliegenden Pflichten zu einer Unwirksamkeit derMassenentlassungsanzeige. (…) Dem Verdikt der Nichtigkeitsteht auch nicht entgegen, dass die Agentur für Arbeit dieMassenentlassungsanzeige – wie hier – als ausreichend ange-sehen hat. Die Fehler, die der Beklagten im Rahmen des Kon-sultationsverfahrens unterlaufen sind, sind nicht dadurch ge-heilt worden, dass die Arbeitsverwaltung diese Fehler nichtbemerkt, jedenfalls in den Schreiben vom 2.12.2013 nicht be-anstandet hat. (…)

aa) Das Konsultationsverfahren war hier nicht entbehrlich,weil die Abteilung im Betrieb der Beklagten, in der der Klägerarbeitet, stillgelegt worden ist und alle Arbeitnehmer der Ab-teilung entlassen werden sollen.

(1) Die Unterrichtung der Arbeitnehmervertretung soll es die-ser ermöglichen, konstruktive Vorschläge zur Vermeidungoder Einschränkung der Massenentlassungen zu unterbreiten(BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 155/11 – Rn 60 m.w.N., ZIP 2012,2412). Die Beratungen mit der Arbeitnehmervertretung müs-sen sich dabei nicht auf die Vermeidung oder Beschränkungder Massenentlassungen beziehen. Sie können auch die Mög-lichkeit betreffen, die Folgen solcher Entlassungen durch so-ziale Begleitmaßnahmen zu mildern. Dabei kann es sich ins-besondere um Hilfen für eine anderweitige Verwendung oderUmschulungen der entlassenen Arbeitnehmer handeln (EuGHv. 3.3.2011 – C-235/10 u.a. – [Claes] Rn 56, NZA 2011, 337).

(2) Solche Beratungen, die vor allem auf die Zahlung von Ab-findungen oder die Einrichtung einer Transfergesellschaft zie-len, sind zwar auch Gegenstand der Sozialplanverhandlun-gen. Unabhängig davon handelt es sich dabei um unter-schiedliche Verfahren, die nicht vollständig deckungsgleichsind. Auch bei einer geplanten Massenentlassung muss des-halb bei Vorliegen der jeweiligen gesetzlichen Voraussetzun-gen nicht nur das Verfahren nach den §§ 111 ff. BetrVG, son-dern auch das nach § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt werden.Die verschiedenen Beteiligungsverfahren können lediglich,

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soweit die Pflichten nach den unterschiedlichen Verfahrenübereinstimmen, miteinander verbunden und damit vom Ar-beitgeber gleichzeitig erfüllt werden. Eine solche Verbindungverletzt keine unionsrechtlichen Vorgaben (vgl. BAG v.20.9.2012 – 6 AZR 155/11 – Rn 47 ff., ZIP 2012, 2412), Das Kon-sultationsverfahren ist nur dann entbehrlich, wenn kein Ar-beitgeber mehr vorhanden ist, der als Ansprechpartner fürVerhandlungen dienen könnte.bb) Im vorliegenden Fall wurde die Unterrichtung nicht recht-zeitig durchgeführt. Der Europäische Gerichtshof hat in derRechtssache Akavan Erityisalojen Keskusliitto (EuGH v.10.9.2009 in NZA 2010 Rn 80) einen sehr frühen Zeitpunkt zurDurchführung des Konsultationsverfahrens definiert. DieRichtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.7.1998 zur Angleichungder Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenent-lassungen (MERL) stellt allerdings derartige Anforderungen anden Zeitpunkt der Unterrichtung nicht. Nach Art. 2 IV RL 98/59ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber die Entscheidungselbst trifft. Schon eine Entscheidung der Konzernmutterkann dafür genügen. Die Absicht muss nur so konkret sein,dass ein Konsultationsverfahren erfolgreich durchgeführtwerden kann. Die Pflicht zur Konsultation besteht dann dahernur solange nicht, wie die Massenentlassung nach den Pla-nungen eher unwahrscheinlich und die einschlägigen Fakto-ren nicht bekannt sind. Das Verfahren muss aber eröffnet wer-den, sobald der Arbeitgeber eine strategische betriebswirt-schaftliche Entscheidung getroffen hat, die ihn zwingt, Mas-senentlassungen ins Auge zu fassen. Im Konzern ist der Unter-richtungszeitpunkt erreicht, wenn feststeht, welches Tochter-unternehmen von den Beschlüssen der Konzernmutter be-troffen ist (EuGH a.a.O., Rn 63). Zwar entsteht die Verpflich-tung zur Konsultation, sobald der Arbeitgeber erwägt, Mas-senentlassungen vorzunehmen oder einen Plan für solcheEntlassungen aufstellt. Art. 2 Abs. 3 S. 1 MERL fordert aber le-diglich eine rechtzeitige Unterrichtung „im Verlauf der Kon-sultationen“. Die Auskünfte müssen also nicht unbedingtschon zu Beginn der Konsultationen erteilt werden. Vielmehrreicht es aus, dass die erforderlichen Auskünfte im Verlauf desKonsultationsverfahrens erteilt werden. Erforderlich soll ledig-lich sein, dass die einschlägigen Informationen bis zum Ab-schluss des Konsultationsverfahrens erteilt worden sind(EuGH v. 10.9.2009 – C-44/08 – [Akavan Erityisalojen Keskusli-itto] Rn 41, 52 f., Slg. 2009. I-8163). Dieser Prozess kann gegen-über dem Betriebsrat oder Gesamtbetriebsrat noch unmittel-bar vor Schluss der Konsultation nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchGschriftlich dokumentiert werden (BAG v. 20.9.012 – 6 AZR 155/11 – Rn 53, ZIP 2012, 2412). Dies hält die Kammer für zweifel-haft, weil ohne Information keine Konsultation stattfindenkann. § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG verlangt, dass der Arbeitgeberdem Betriebsrat „rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfteerteilt“.Im Unterschied zur MERL fordern § 17 Abs. 3 S. 2 und S. 3KSchG außerdem, dass der Betriebsrat eine Stellungnahmeabgibt und diese der Anzeige beigefügt wird bzw. – bei Feh-

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len einer solchen Stellungnahme – der Arbeitgeber glaubhaftmacht, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vorder Anzeige ordnungsgemäß unterrichtet hat, und den Standder Beratungen darlegt. Will der Arbeitgeber nicht das Risikoeingehen, dass die Massenentlassungsanzeige bei Erstattungzum geplanten Zeitpunkt mangels Stellungnahme des Be-triebsrats unwirksam ist und er die Massenentlassung deshalberst später als beabsichtigt wirksam anzeigen kann, muss ernach dem nationalen Recht das Konsultationsverfahren des-halb grundsätzlich mindestens zwei Wochen vor dem Zeit-punkt einleiten, zu dem er die Massenentlassungsanzeige zuerstatten beabsichtigt (ErfK/Kiel, 13. Aufl., § 17 KSchG Rn 32; v.Hoyningen-Huene/Linck, KSchG 14 Aufl. § 17 Rn 60; KR/Wei-gand, 10. Aufl,. § 17 KSchG Rn 57; APS/Moll, 4. Aufl., § 17KSchG Rn 71,117; Fitting, 26. Aufl., § 102 Rn 134a). Leitet näm-lich der Arbeitgeber das Konsultationsverfahren weniger alszwei Wochen vor der beabsichtigten Anzeige ein und gibt derBetriebsrat keine abschließende Stellungnahme ab oder ge-nügt diese den gesetzlichen Anforderungen nicht (vgl. dazuBAG v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10 – Rn 53, ZIP 2012, 1822), istdem Arbeitgeber die Erstattung einer wirksamen Massenent-lassungsanzeige unmöglich, weit die Voraussetzungen füreine Ersetzung der Stellungnahme nach § 17 Abs. 3 S. 3 KSchGjedenfalls noch nicht vorliegen. Nur dann, wenn der Betriebs-rat bei einer solchen kurzfristigen Konsultation eine ausrei-chende und abschließende Stellungnahme abgegeben hat,kann der Arbeitgeber zum geplanten Zeitpunkt eine wirk-same Massenentlassungsanzeige erstatten. In diesem Fallmuss die Stellungnahme des Betriebsrats erkennen lassen,dass er sich für ausreichend unterrichtet hält, keine (weiteren)Vorschläge unterbreiten kann oder will und die Zweiwochen-frist des § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG nicht ausschöpfen will (vgl.BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 155/11 – Rn 60, ZIP 2012, 2412). Einederartige Stellungnahme des Betriebsrats liegt hier nicht vor.Die Beklagte hat den Betriebsrat nicht schriftlich gem. § 17Abs. 2 KSchG unterrichtet. Eine schriftliche Unterrichtung vordem 20.11.2013 vermag die Kammer nicht zu erkennen. Erstzu diesem Tag sind dem Betriebsrat die Entwürfe über Interes-senausgleich bzw. Sozialplan in schriftlicher Form übersandtworden. Dabei kann die Frage, ob schriftlich i.S.d. § 17 Abs. 2KSchG mit Schriftform i.S.v. § 126 BGB identisch ist, dahinste-hen. Aus den dem Betriebsrat allenfalls zuvor übersandten E-Mails ergibt sich eine Unterrichtung des Betriebsrats mit denPflichtangaben des § 17 Abs. 2 Ziffern 1 – 5 KSchG nicht.Der Arbeitgeber, der beabsichtigt, nach § 17 Abs. 1 KSchG an-zeigepflichtige Entlassungen vorzunehmen, hat den Betriebs-rat gem. § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG schriftlich insbesondere zu un-terrichten über die Gründe für die geplanten Entlassungen,die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeit-nehmer, die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel be-schäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlas-sungen vorgenommen werden sollen, und die vorgesehenenKriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmersowie für die Berechnung etwaiger Abfindungen.

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Soweit die dem Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat gem.§ 17 Abs. 2 S. 1 KSchG obliegenden Pflichten mit denen aus§ 102 Abs. 1 BetrVG und § 111 BetrVG übereinstimmen, kanner sie gleichzeitig erfüllen (BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 155/11 –Rn 47; 21.3.2012 – 6 AZR 596/10 – Rn 23) Er muss in diesemFall hinreichend klarstellen, dass und welchen Pflichten ergleichzeitig nachkommen will (BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 155/11 – a.a.0.; 16.1.012 – 6 AZR 407/10 – Rn 34 m.w.N.; APS/Moll,4. Aufl., vor § 17 KSchG Rn 20). Es bedarf keiner Entscheidung,inwiefern eine gleichzeitige Erfüllung der Pflichten aus § 17Abs. 2 S. 1 KSchG und aus § 102 Abs. 1 BetrVG praktisch durch-führbar ist (kritisch APS/Moll, 4. Aufl., vor § 17 KSchG Rn 20;ErfK/Kiel, 13. Aufl., § 17 KSchG Rn 26).

cc) Im Streitfall muss nicht entschieden werden, ob der Be-triebsrat dem Schreiben der Beklagten vom 20.11.2013 dienach § 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 6 KSchG erforderlichen Angabenentnehmen konnte. Die Beklagte hat mit ihm entgegen § 17Abs. 2 S. 2 KSchG jedenfalls nicht die Möglichkeiten beraten,die Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihreFolgen zu mildern, oder ihm zumindest Gelegenheit hierzugegeben. Die Beklagte hat die Kündigungen auch nicht mitdem Betriebsrat beraten.

Im Streitfall ist dem Schreiben an den Betriebsrat vom20.11.2013 schon nicht zu entnehmen, dass die Beklagte mitseiner Übermittlung zugleich ihre Pflichten nach § 17 Abs. 2S. 1 KSchG erfüllen und dem Betriebsrat Gelegenheit zur Bera-tung gem. § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG geben wollte.

Ist der Betriebsrat in gebotener Weise unterrichtet, hat der Ar-beitgeber nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG mit ihm oder mit dementsprechenden Ausschuss (§§ 27, 28 BetrVG) die Möglichkeitzu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränkenoder ihre Folgen zu mindern. Die Pflicht zur Beratung gem.§ 17 Abs. 2 S. 2 KSchG geht dabei über eine bloße Anhörungdeutlich hinaus (APS/Moll, a.a.O. Rn 74). Der Arbeitgeber mussmit dem Betriebsrat über die Entlassungen bzw. die Möglich-keiten ihrer Vermeidung verhandeln oder ihm dies zumindestanbieten (vgl. BAG v. 28.5.2009 – 8 AZR 273/08 – Rn 58). DieBeratung mit dem Betriebsrat nach ordnungsgemäßer Unter-richtung ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massenentlas-sung. Eine Anzeige bei der Agentur für Arbeit nach nichtpflichtgemäßer Beratung führt zur Unwirksamkeit der Kündi-gung (ErfK/Kiel, 13. Aufl., § 17 KSchG Rn 24 m.w.N.). Der Zweckdes Beteiligungsrechts kann nur erreicht werden, wenn dieBetriebsparteien über die Sachverhalte der Massenentlas-sungsanzeige mit dem ernsthaften Einigungswillen verhan-deln. Die Beratung erfordert deshalb mehr als Auskunftsertei-lung und Unterrichtung und mehr als eine schlichte Anhö-rung. Dies setzt regelmäßig ein Zeitfenster von mindestenszwei Wochen voraus (Argumentum 17 Abs. 3 S. 3 KSchG). DieBeklagte hat auch nicht behauptet, mit dem Betriebsrat tat-sächlich über die geplante Massenentlassung und deren Fol-gen beraten zu haben. Da die Beklagte den Betriebsrat wederrichtig unterrichtet noch mit ernsthaftem Einigungswillen mit

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ihm verhandelt hat, scheitert die streitbefangene Kündigungvorliegend an § 17 Abs. 2 KSchG.2.) Die Beklagte ist außerdem ihrer Verpflichtung gem. § 17Abs. 3 S. 2 KSchG, der Massenentlassungsanzeige eine Stel-lungnahme des Betriebsrats beizufügen, nicht nachgekom-men. Die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG liegennicht vor. Die Stellungnahme ist auch nicht nach § 125 Abs. 2InsO ersetzt worden, weil kein Interessenausgleich mit Na-mensliste zustande gekommen ist. Die gesetzliche Fiktion des§ 125 Abs. 2 InsO gilt nur für den Interessenausgleich mit Na-mensliste in der Insolvenz. Der Arbeitgeber muss eine Ab-schrift der schriftlichen Unterrichtung des Betriebsrats zuAbs. 3 S. 1 „gleichzeitig“, also grundsätzlich am gleichen Tag,der Agentur für Arbeit zuleiten.Im vorliegenden Fall hat die Beklagte die Agentur für Arbeitnicht über eine schriftliche Unterrichtung des Betriebsratsnach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG unterrichtet. Damit ist die Massen-entlassungsanzeige unwirksam. Das Fehlen einer wirksamenMassenentlassungsanzeige hat ebenfalls die Unwirksamkeitder Kündigung zur Folge. In der Erklärung der Kündigungohne wirksame Massenentlassungsanzeige liegt ein Verstoßgegen ein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB (BAG v.22.11.2012 – 2 AZR 371/11 – Rn 31, 37).■ Arbeitsgericht Herfordvom 14.11.2014, 1 Ca 27/14

113. Kündigung, Interessenausgleich, Namensliste,Sozialauswahl

Aus dem Tatbestand:Die Beratungen mit dem Betriebsrat führten schließlich dazu,dass am 14.1.2014 eine, wie es heißt, Betriebsvereinbarung,die zugleich ein Interessenausgleich gemäß § 112 BetrVG inVerbindung mit § 1 Abs. 5 KSchG sowie ein Sozialplan ist, ab-geschlossen wurde. In dieser Vereinbarung wurde vorgese-hen, dass 110 Arbeitnehmer zu kündigen waren und ein Sozi-alplan vereinbart wurde. Als Bewertungskriterium wurde ver-einbart, dass für jedes Lebensjahr ein Punkt (jedoch maximal59 Punkte), für die Betriebszugehörigkeit zwei Punkte je voll-endetem Beschäftigungsjahr, für Unterhaltspflichten je Kind10 Punkte und für den Ehepartner fünf Punkte und für dieSchwerbehinderung ab 50 % 10 Punkte jeweils festgelegtwerden sollten. Des Weiteren wurde eine Namensliste beige-fügt, auf der auch der Name des Klägers verzeichnet war. DesWeiteren wurde der Betriebsvereinbarung eine Anlage 1.) bei-gefügt. Auf dieser Anlage waren verschiedene Ebenen aufge-führt worden, unter anderem eine Ebene 1638, die Mechani-ker im Bereich der Schermaschinen betraf und von der zweiArbeitnehmer entlassen werden sollten. Nach der Anlage 1.)sind auch noch in anderen Ebenen Mechaniker beschäftigt.(…)Schließlich kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis desKlägers mit einem Schreiben vom 16.1.2014 zum 31.5.2014.Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am

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28.1.2014 bei dem Arbeitsgericht Bielefeld eingegangenenKlage(…).

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denensich die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl ergibt, liegt grund-sätzlich beim Arbeitnehmer. Sie ist jedoch abgestuft. DerMaßstab der groben Fehlerhaftigkeit ändert daran nichts(BAG v. 17.11.2005 – 2 AZR 107/05). Es ist zunächst Sache desArbeitnehmers, die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahldarzulegen, sofern er über die erforderlichen Informationenverfügt. Soweit er hierzu nicht in der Lage ist und deswegenden Arbeitgeber zur Mitteilung der Gründe auffordert, die ihnzu der Auswahl veranlasst haben, hat dieser als Folge seinermateriellen Auskunftspflicht gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 Halbsatz 2KSchG auch im Prozess substantiiert vorzutragen.

Gibt der Arbeitgeber keine oder keine vollständige Auskunft,so kann der Arbeitnehmer beim Fehlen eigener Kenntnis sei-ner aus § 1 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 138 ZPO herzuleitenden Sub-stantiierungspflicht, die Namen sozial stärkerer Arbeitnehmerzu nennen, nicht genügen. In diesen Fällen ist ein Vortrag, esseien stärkere Arbeitnehmer als er vorhanden, schlüssig undausreichend (BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 796/05; BAG v.21.7.1988 – 2 AZR 75/88).

Solche Erwägungen gelten entsprechend, wenn der Vortragdes Arbeitgebers Anhaltspunkte dafür bietet, er habe die So-zialauswahl – bei Berücksichtigung des Vortrags des Arbeit-nehmers – grob fehlerhaft nicht auf vergleichbare Arbeitneh-mer erstreckt und der Arbeitgeber es unterlässt, sein Vorbrin-gen zu vervollständigen. Die aus § 1 Abs. 3 S. 1 letzter Halb-satz KSchG folgende, subjektiv determinierte materielle Mit-teilungspflicht des Arbeitgebers wird in dieser Konstellationergänzt durch die prozessuale Erklärungspflicht nach § 138ZPO. Ergibt sich aus der Mitteilung des Arbeitgebers, dass erTatsachen, die objektiv erheblich sein können, in seine subjek-tiven Erwägungen nicht einbezogen hat und trägt der gekün-digte Arbeitnehmer nachvollziehbar vor, gerade aus diesenTatsachen ergebe sich die grobe Fehlerhaftigkeit der sozialenAuswahl, so ist es eine Obliegenheit des Arbeitgebers, seinenVortrag weiter zu substantiieren. Anderenfalls ist der Vortragdes Arbeitnehmers, soziale Gesichtspunkte seien in grob feh-lerhafter Weise unberücksichtigt geblieben, als unstreitig an-zusehen (BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 796/05).

Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger sich darauf berufen,dass die anderen Mechaniker der anderen Ebenen mit ihm imRahmen der Sozialauswahl vergleichbar gewesen seien undder Kreis der zu vergleichenden Arbeitnehmer durch die Be-klagte unzulässig eingeschränkt worden sei. Insgesamt wür-den noch weitere sieben Arbeitnehmer weiterbeschäftigt.

Der Inhalt der Anlage 1.) zur Betriebsvereinbarung vom14.1.2014 spricht zunächst dafür, dass die Gruppe der ver-gleichbaren Arbeitnehmer von der Beklagten zu eng gezogenworden ist, da auch noch auf anderen Ebenen Mechaniker be-schäftigt werden, so dass sich daraus nicht ergibt, inwiefern

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andere Arbeitnehmer eventuell Spezialkenntnisse etc. haben,so dass sie entweder nicht mit dem Kläger verglichen werdenkonnten oder aus der Sozialauswahl herauszunehmen waren,da die Weiterbeschäftigung dieser Arbeitnehmer im berech-tigten betrieblichen Interesse der Beklagten lag gemäß § 1Abs. 3 S. 2 KSchG.Die Frage der Vergleichbarkeit kann jedoch im vorliegendenVerfahren dahingestellt bleiben. Selbst wenn der Kläger imRahmen der sozialen Auswahl mit weiteren Mechanikern ver-glichen worden wäre, würde sich keine grob fehlerhafte Sozi-alauswahl im Sinne des Gesetzes ergeben.Stellt sich heraus, dass der Arbeitgeber den Kreis der ver-gleichbaren Arbeitnehmer zu eng gezogen hat, hat er im Pro-zess darzulegen, weshalb er trotz der gegen § 1 Abs. 3 i.V.m.§ 5 KSchG verstoßenden Überlegungen ausnahmsweise imErgebnis soziale Gesichtspunkte ausreichend bzw. in nichtgrob fehlerhafter Weise berücksichtigt hat (BAG v. 17.1.2002 –2 AZR 15/01; BAG v. 3.4.2008 – 2 AZR 879/06 m.w.N.).Im vorliegenden Verfahren ergibt sich aus der von der Beklag-ten vorgelegten Liste der Sozialdaten der anderen Mechani-ker, dass der Kläger unter Berücksichtigung der zwischen derBeklagten und dem Betriebsrat gebildeten Punkteliste, an de-ren Richtigkeit keine Zweifel bestehen, die mit Abstand we-nigsten Punkte erhalten hat im Vergleich zu den Arbeitneh-mern, die nicht gekündigt worden sind. Der Kläger hat 49Punkte erreicht. Die nächsthöhere Punktzahl haben die Ar-beitnehmer X mit 92 Punkten und Y ebenfalls mit 92 Punkten.Danach ist davon auszugehen, dass auch dann, wenn die Be-klagte den Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer weiter ge-zogen hätte als lediglich auf die Ebene 1638, der Kläger zurKündigung angestanden hätte.Schließlich kann die von der Beklagten durchgeführte Sozial-auswahl nicht aus dem Grund als grob fehlerhaft angesehenwerden, weil die Sozialpunkte des Klägers nicht mit denen derMitarbeiter aus den Bereichen Montage, Instandhaltung,technische Dienstleistungen verglichen worden sind. Der Klä-ger wurde von der Beklagten als Monteur im Bereich Scher-maschinen beschäftigt. Wenn seine Sozialdaten demgemäßnicht verglichen worden sind mit den Arbeitnehmern aus denanderen Bereichen, kann dies zumindest nicht als grob fehler-haft angesehen werden, indem der Kreis der auswahlrelevan-ten Personen evident verkannt worden ist. (…).■ Arbeitsgericht Bielefeldvom 3.3.2015, 7 Ca 204/14eingereicht von Rechtsanwalt Prof. Dr. Heinz GussenRietberger Straße 2, 33378 Rheda-WiedenbrückTel.: 05242/920432, Fax: 05242/[email protected], www.gussen-arbeitsrecht.de

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114. Kündigung, Interessenausgleich, Namensliste,Insolvenz

Aus den Entscheidungsgründen:Nach § 125 Insolvenzordnung wird das Vorliegen dringenderbetrieblicher Erfordernisse vermutet. Die Klägerin hat den Be-weis des Gegenteils nicht erbracht. (…)Eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG liegt zurÜberzeugung der erkennenden Kammer vor. Es handelt sichum eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation imSinne von § 111 S. 3 Nr. 4 BetrVG und eine Einschränkungnach Nr. 1.Ein wirksamer Interessenausgleich ist schriftlich niedergelegtworden. Die Kammer hat sich in der mündlichen Verhandlungdavon überzeugt, dass die einzelnen Seiten des Interessen-ausgleichs fest mittels einer Heftmaschine verbunden sind.Außerdem sind die einzelnen Seiten von den Betriebsparteienabgezeichnet worden.Damit greift die gesetzliche Vermutung nach § 125 Abs. 1Nr. 1 Insolvenzordnung, dass die Kündigung der Arbeitsver-hältnisse der bezeichneten Arbeitnehmer durch dringendebetriebliche Erfordernisse bedingt ist. Nach § 292 ZPO ist derBeweis des Gegenteiles zulässig. Dieser Beweis des Gegentei-les ist seiner Natur nach Hauptbeweis, also erst dann geführt,wenn die Unwahrheit der vermuteten Tatsache voll bewiesenist. Der Arbeitnehmer hat deshalb darzulegen und zu bewei-sen, dass der vermutete Rechtszustand (Betriebsbedingtheitder Kündigung) nicht besteht. Ein Anscheinsbeweis reichtnicht aus. Es muss ein substantiierter Tatsachenvortrag unterBeweis gestellt werden, der den gesetzlich vermuteten Um-stand nicht nur in Zweifel zieht, sondern ausschließt. (…)

Die Sozialauswahl ist nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu über-prüfen. Die Beschränkung der Überprüfungsmöglichkeit er-fasst alle Aspekte der Sozialauswahl. Weiterhin ist aber auchdie Bildung der auswahlrelevanten Gruppe nur auf grobe Feh-lerhaftigkeit zu überprüfen (BAG v. 7.5.1998 – AP Nr. 94 zu § 1KSchG Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 5.11.2009 – APNr. 183 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; von Hoy-ningen-Huene/Linck/Krause, KSchG, 15. Aufl. 2013, § 1 KSchGRn 1054). Die Sozialauswahl ist grob fehlerhaft, wenn sie evi-dent unangemessen ist und jede Ausgewogenheit vermissenlässt.

Nach Auffassung der erkennenden Kammer kann eine grobfehlerhafte Sozialauswahl nicht festgestellt werden. Durch diegesetzliche Regelung in § 125 Abs. 1 Nr. 2 Insolvenzordnungwird den Betriebsparteien ein weiter Auswahlspielraum zuge-standen. Die Anknüpfung an eine Beschäftigung in der Tele-fonauskunft … ist an sich nicht grob fehlerhaft. Vielmehr han-delt es sich um ein sachliches Auswahlkriterium. Die Telefon-auskunft … fällt weg. Insofern ist es sachlich nachvollziehbar,wenn die Betriebsparteien diejenigen Beschäftigten auswäh-len, die im Kündigungszeitpunkt schwerpunktmäßig in derTelefonauskunft gearbeitet haben. Im Rahmen der Prüfungder groben Fehlerhaftigkeit kommt es zur Überzeugung der

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erkennenden Kammer nicht darauf an, ob sich die Klägerin in-nerhalb von etwa 3 Wochen auch in ein anderes Arbeitsgebieteinarbeiten könnte. Es ist ebenfalls nicht entscheidend, ob dieKlägerin zuvor bereits einmal in einem anderen Projektbe-reich eingesetzt war. Die Betriebsparteien haben einen weitenBewertungsspielraum. Diesen haben sie nicht überschritten.Insofern wäre es Sache der Klägerin gewesen aufzuzeigen,dass die Auswahl jede Ausgewogenheit vermissen lässt. Zwarhat die Klägerin Personen namentlich benannt, von denen siebehauptet, diese seien sozial weniger schutzwürdig. Die Klä-gerin hat aber nicht vorgetragen, über welche konkrete Be-schäftigungszeit bzw. welches Lebensalter die benannten Per-sonen verfügen. Nur wenn etwa ein Unterschied im Lebensal-ter oder der Betriebszugehörigkeit von 20 oder 25 Jahren be-stehen würde, könnte von evidenter Unangemessenheit aus-gegangen werden. (…)■ Arbeitsgericht Magdeburgvom 11.11.2014, 9 Ca 596/14eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Peter SchraderLaborius – Die Fachanwälte für ArbeitsrechtPodbielskistraße 33, 30163 HannoverTel.: 0511/2155563-32, Fax: 0511/[email protected], www.laborius.eu

115. Betriebsbedingte Kündigung, Interessenausgleich,Teil-Namensliste, Vermutungswirkung

Aus dem Tatbestand:Die Beklagte (…) schloss unter dem 18.7.2013 mit dem bei ihrgewählten Betriebsrat einen Interessenausgleich und als An-lage 2 zu diesem Interessenausgleich eine von den Betriebs-partnern (…) unterzeichnete Namensliste. (…)Alle Mitarbeiter aus der Vergleichsgruppe „Anlerntätigkeit“sind auf der Namensliste aufgeführt gewesen. Insgesamt um-fasste die Namensliste die Namen von 129 in der Produktionbeschäftigten Arbeitnehmern aus den Bereichen „Frames“und „Mechanism“. Der von den Betriebspartnern und vomVorsitzenden der tarifvertraglichen Schlichtungsstelle unter-zeichnete Interessenausgleich sah ebenfalls den Wegfall von12 Arbeitsplätzen aus dem Bereich der „NESD Zentralfunk-tion“ vor. Auf Bl. 10 des Interessenausgleiches heißt es im vor-letzten Absatz insoweit wörtlich:„In dieser Namensliste sind Entlassungen, die den BereichNESD Zentralfunktionen betreffen (siehe 13.III) nicht enthal-ten. Diese Entlassungen (12) sollen soweit als möglich überAuflösungsvereinbarungen erfolgen. Insoweit soll die Na-mensliste auch künftig nicht ergänzt werden.“ (…)Aus den Entscheidungsgründen:A. (…) B. (…) I. (…) 1. (…)2. Die Vermutungswirkung dieses Interessenausgleichs mitNamensliste entfällt auch nicht unter dem Gesichtspunkt derfehlenden Erfassung sämtlicher zu entlassender Arbeitneh-mer auf der Namensliste.

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a) Ist in einem Interessenausgleich die Entlassung einer Viel-zahl von Arbeitnehmern vorgesehen, enthält die Namenslistejedoch nicht die Namen sämtlicher der zur Entlassung anste-henden Arbeitnehmer, so wird unter dem rechtlichen Ge-sichtspunkt der sogenannten Teil-Namensliste die Frage, obeine solche Liste dem Tatbestand des § 1 Abs. 5 KSchG ent-spricht und zugunsten des kündigenden Arbeitgebers diedort vorgesehenen Kündigungserleichterungen auslöst,durchaus kontrovers erörtert.

aa) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes hat sichersichtlich noch nicht vollständig abschließend zum vorste-henden Problemkreis geäußert: Die Entscheidung vom26.3.2009 (2 AZR 296/07 – AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Na-mensliste) enthielt keine grundlegende Klärung der Frage, obeine „Teil-Namensliste“ eine ausreichende Grundlage für dieVermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG darstellt. In diesemZusammenhang hat das BAG ausgeführt, der Zweck des § 1Abs. 5 KSchG bestehe vor allem darin, bei betriebsbedingtenKündigungen einer größeren Zahl von Arbeitnehmern die So-zialauswahl für alle Beteiligten rechtsicher zu gestalten. DerWortlaut des § 1 Abs. 5 KSchG sei nicht eindeutig. Es kommeauf den Sinn und Zweck dieser Vorschrift an. Es spreche eini-ges dafür, dass Grundlage der Namensliste eine Betriebsände-rung i.S.d. § 111 BetrVG sei, der regelmäßig ein geschlossenesunternehmerisches Konzept zugrunde liege. Die Namenslistestelle die konkrete Umsetzung dieses unternehmerischenKonzeptes dar. Sie müsse deshalb, um in sich schlüssig zu sein,das unternehmerische Konzept vollständig erfassen und um-setzen. Im konkreten Streitfall hat das Bundesarbeitsgerichtdie generelle Klärung dieser Frage offen gelassen, weil die Be-triebspartner bei ihrer Einigung Erwägungen hätten durch-schlagen lassen, die außerhalb des Gesetzeszweckes lagen.Denn dort seien Arbeitnehmer nur deshalb in die Liste aufge-nommen worden, um bei dem von diesen Mitarbeitern ge-wünschten freiwilligen Ausscheiden drohende Sperrzeitengem. § 144 SGB III nach Möglichkeit auszuschließen. Auch inden Entscheidungen vom 19.7.2012 (2 AZR 352/11 – AP Nr. 22zu § 1 KSchG 1969 Namensliste) und vom 27.9.2012 (2 AZR516/11 – EZA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 25) hat dasBundesarbeitsgericht die grundsätzliche Eignung einer Teil-Namensliste als Grundlage für die Rechtswirkungen des § 1Abs. 5 S. 1 KSchG nicht geklärt.

bb) In der Literatur wird weit überwiegend eine Teil-Namens-liste als Grundlage der Rechtswirkung des § 1 Abs. 5 KSchGabgelehnt, weil es der Zweck dieser Norm gebiete, die Namender zu kündigenden Arbeitnehmer vollständig aufzuführen;dem entspreche eine Teil-Namensliste nicht. Auch bestehekeine Gewähr, dass nach schlüssigen sozialen Kriterien ent-schieden werde. Der Zweck der Privilegierung verlange dieabschließende Aufnahme der gekündigten Arbeitnehmer indie Namensliste (GK-Oetker, 10. Aufl., §§ 112, 112a, Rn 27; Ri-chardi, 13. Aufl., § 112, Rn 22 b; Fitting, 27. Aufl., §§ 112, 112aRn 55; H/B/K-Quecke, 5. Aufl., § 1 KSchG Rn 424; DKK-Däubler,

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13. Aufl., §§ 112, 112a Rn 32; ErfK-Oetker, 14. Aufl., § 1 KSchGRn 360a).cc) Demgegenüber hält eine abweichende Literaturmeinungeine Teil-Namensliste für grundsätzlich geeignet, die Rechts-folgen des § 1 Abs. 5 KSchG auszulösen (Richter/Riem: Ganzoder gar nicht? – Rechtsfolgen von Teil-Namenslisten in NZA2011, 1254 ff.).b) Die vorstehende Problematik der Teil-Namensliste alsGrundlage für die Rechtswirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG istauch entscheidungserheblich. Entgegen der Rechtsauffas-sung der Beklagten lassen sich die konkreten, in dem Interes-senausgleich vom 18.7.2013 vorgenommenen Regelungen alsTeil-Namensliste charakterisieren: Die Entlassungen der Ar-beitnehmer im Produktionsbereich und die Entlassungen derAngestellten im Bereich der NESD-Zentralfunktionen sind ge-genständlich in ein und demselben Interessenausgleich alsunternehmerische Maßnahme zusammengefasst worden. Siebilden die Betriebsänderung gem. § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG ab,die Grundlage der Privilegierung des § 1 Abs. 5 KSchG ist. Da-rüber hinaus lassen sich die in III des Interessenausgleichesunter NESD-Zentralfunktionen beschriebenen unternehmeri-schen Maßnahmen unproblematisch als die in der Vorbemer-kung zum Interessenausgleich genannten Restrukturierungs-maßnahmen verstehen. Schlussendlich entspricht es auch ei-nem ganz allgemeinen, grundlegenden Verständnis, dass derAbbau von mehr als 100 Arbeitsplätzen im Produktionsbe-reich regelmäßig auch zu einer Verschlankung des administra-tiven Bereiches führt.Der Einwand der Beklagten, betriebsbedingte Kündigungenseien im Bereich des Abbaus vorgenannter Arbeitsplätze nichtvorgesehen, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.Denn der Interessenausgleich enthält keine verbindliche Fest-legung, in welcher Weise die Entlassungen durchgeführt wer-den sollen. Soweit es dort vorrangig um Auflösungsvereinba-rungen geht, sind betriebsbedingte Kündigungen nicht aus-geschlossen. Ohne Auflösungsvereinbarungen wären be-triebsbedingte Entlassungen erforderlich gewesen. Die Prog-nose der Beklagten, zum Zeitpunkt des Abschlusses des Inte-ressenausgleiches sei absehbar gewesen, dass sämtliche Ent-lassungen im Wege von Auflösungsvereinbarungen hätten er-folgen können, war zum seinerzeitigen Zeitpunkt keineswegszwingend. Allein positiv verlaufende Verhandlungen, dienoch nicht zum Abschluss geführt haben, rechtfertigen einesolche Annahme nicht.c) Obwohl durch die Herausnahme der Entlassungen imNESD-Zentralfunktionenbereich aus der Namensliste die mitdem Interessenausgleich verbundene Namensliste als soge-nannte Teil-Namensliste zu qualifizieren ist, begründet sie dieVermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG und ist die Grund-lage für die Anwendung dieser Norm. Hierbei hält die Beru-fungskammer eine Teil-Namensliste nicht generell für einetaugliche Grundlage des § 1 Abs. 5 KSchG, sondern nur in ei-ner eng umgrenzten Fallkonstellation, die vorliegend jedochanzuerkennen ist: Diese Fallkonstellation ist zum einen da-

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durch gekennzeichnet, dass der Bereich, in dem die Betriebs-partner eine Namensliste erstellen, von dem Bereich, für denkeine Namensliste existiert, so deutlich abgrenzbar ist, dassnicht die entfernte Möglichkeit besteht, die Sozialauswahl deseinen Bereiches könnte die Sozialauswahl in dem anderen Be-reich in irgendeiner Form beeinflussen. Mit anderen Worten:Es ist ausgeschlossen, dass die Arbeitnehmer der Namenslistemit den übrigen Arbeitnehmern aus dem Bereich der NESD-Zentralfunktion vergleichbar sein könnten.Darüber hinaus muss auch ein wertendes Element vorhandensein, um die unterschiedliche Handhabung der Entlassungenin dem einen wie in dem anderen Bereich zu rechtfertigen. Zufordern ist ein quantitatives Element; der Bereich, der durchdie Namensliste geregelt ist, muss von der Anzahl der betrof-fenen Arbeitnehmer den übrigen Bereich deutlich überwie-gen, so dass das erkennbare Interesse der Betriebspartner,Rechtsklarheit durch eine Namensliste zu schaffen, gegen-über dem nicht durch Namenslisten geregelten Bereich her-vorgehoben wird. All die Vorgaben hat die Beklagte zur Über-zeugung der Berufungskammer erfüllt: Die Entlassungen indem Bereich NESD-Zentralfunktionen sind absolut von denübrigen Produktionsbereichen zu unterscheiden, die Sozial-auswahl in dem einen Bereich kann die Sozialauswahl des an-deren Bereiches nicht berühren. Auch ist der Bereich der Ent-lassungen in den NESD-Zentralfunktionen so klein, dass prob-lemlos individuelle Lösungen (sei es durch Auflösungsver-träge oder auch durch betriebsbedingte Kündigungen)durchgeführt werden können und ein echtes Bedürfnis nachRechtsklarheit durch eine Namensliste – anders als im Produk-tionsbereich, wo mehr als 100 Arbeitsplätze abgebaut wer-den – nicht besteht. (…)C. (…) Gem. § 72 Abs. 2 ArbGG war die Revision zum Bundes-arbeitsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsa-che zuzulassen. (…)■ Landesarbeitsgericht Niedersachsenvom 22.1.2015, 5 Sa 1013/14

116. Außerordentliche Kündigung, Vorbereitung vonKonkurrenztätigkeit während des bestehendenArbeitsverhältnisses

Aus dem Tatbestand:Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordent-lichen, verhaltensbedingten Kündigung der Beklagten (…)Nach Angaben des Klägers fasste er gegen Jahresende 2012im Beisein der Mitarbeiterin … und von dieser unterstützt denspontanen Entschluss, die Beklagte im Laufe des Jahres 2013zu verlassen und ein eigenes Unternehmen (…) zu gründenund über dieses konkurrierende Softwarelösungen anzubie-ten. Der nach Darstellung des Klägers aus eigenem Entschlussebenfalls abwanderungswillige Programmierer … nahm be-reits um die Jahreswende 2012/2013 mit Arbeitsmitteln (…),die der Kläger erworben und ihm zur Verfügung gestellthatte, in Absprache und wiederholter Rückkoppelung mit die-

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sem ohne Kenntnis der Beklagten zumindest vorbereitendeArbeiten an dem Programm „ … “ auf, welches die … als Alter-nativprodukt zur Software „…“ auf den Markt bringen wollte.(…)

Noch unter dem 17.6.2013 kündigte die Beklagte das Arbeits-verhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum15.7.2013.

Aus den Entscheidungsgründen:

II. (…) 1. (…) b. Als wichtiger Grund für eine außerordentlicheverhaltensbedingte Kündigung „an sich“ geeignet sind regel-mäßig erhebliche Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers imZusammenhang mit der Verletzung des Rücksichtnahmege-bots aus § 241 Abs. 2 BGB durch Ausübung von Konkurrenztä-tigkeit während des bestehenden Arbeitsverhältnisses.

Im bestehenden Arbeitsverhältnis ist dem Arbeitnehmer nachständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grund-sätzlich jede Konkurrenztätigkeit zum Nachteil seines Arbeit-gebers untersagt (BAG, Urt. v. 28.1.2010 – 2 AZR 1008/08 – APNr. 227 zu § 626 BGB m.w.N.; BAG, Urt. v. 26.6.2008 – 2 AZR190/07 – AP Nr. 213 zu § 626 BGB). Auch wenn dazu keine ein-schlägigen individual- oder kollektivrechtlichen Regelungenbestehen und der Arbeitnehmer nicht Handlungsgehilfe i.S.d.§ 60 Abs. 1 HGB ist, der eine entsprechende Verhaltenspflichtfür diesen Beschäftigtenkreis ausdrücklich begründet, folgtdies aus der nunmehr in § 241 Abs. 2 BGB normierten Pflichtzur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interes-sen des Vertragspartners (BAG, Urt. v. 24.3.2010 – 10 AZR 66/09 – AP Nr. 141 zu Art. 12 GG). Der Arbeitgeber ist danach vorWettbewerbshandlungen seiner Arbeitnehmer geschützt. DieArbeitnehmer dürfen Dritten im Marktbereich ihrer Arbeitge-ber keine Dienste oder Leistungen anbieten, weil den Arbeit-gebern dieser uneingeschränkt und ohne nachteilige Beein-flussung durch die eigenen Beschäftigten offenstehen soll(BAG, Urt. v. 28.1.2010, a.a.O.).

Dem Arbeitnehmer ist danach nicht nur die Konkurrenztätig-keit im eigenen Namen untersagt, sondern ihm ist ebenso we-nig gestattet, einen Wettbewerber des Arbeitgebers zu unter-stützen. Zulässig sind hingegen – etwa im Zusammenhangmit der Vorbereitung einer späteren, nach Beendigung des.Arbeitsverhältnisses beabsichtigten, selbstständigen Tätig-keit – solche Vorbereitungshandlungen, die nicht schon selbstals Teil der werbenden Tätigkeit aufzufassen sind und die indie Interessen des Arbeitgebers nicht unmittelbar eingreifen(BAG, Urt. v. 26.6.2008, a.a.O.). Diese Grundsätze gelten auchfür die Ausübung von Nebentätigkeiten, etwa im Rahmen ei-nes weiteren Arbeitsverhältnisses (BAG, Urt. v. 24.3.2010,a.a.O.). Etwas anderes kann dann gelten, wenn sich um eineeinfache Tätigkeit handelt, die sich in einer untergeordnetenwirtschaftlichen Unterstützung des Konkurrenten – etwadurch die Ausübung nicht fachspezifisch qualifizierter Hilfstä-tigkeiten ohne Wettbewerbsbezug – erschöpft (BAG, a.a.O.).Daher ist unter Berücksichtigung der durch Art. 12 Abs. 1 GGgewährleisteten Berufsfreiheit im Rahmen einer Gesamtwür-

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dig der Umstände festzustellen, ob eine konkrete Gefährdungoder Beeinträchtigung der Interessen des Arbeitgebers vor-liegt (BAG, a.a.O.).c. Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger vorliegendseine Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB durchdie Ausübung einer qualifizierten Tätigkeit für eine in Grün-dung befindliche Wettbewerberin nachhaltig unter Einbin-dung des Mitarbeiters … verletzt, womit ein die außerordent-liche Kündigung vom 17.6.2013 an sich tragender, wichtigerGrund in seinem Verhalten begründet ist. Der Kläger hat dembei der Beklagten für die Software „ … “ zuständigen Pro-grammierer … um die Jahreswende 2012/2013 unstreitig Ar-beitsmittel für die in Gründung befindliche … zur Verfügunggestellt (Programmierlizenz, Laptop), damit dieser in engerAbstimmung mit ihm die Arbeiten an dem Programm „ … “noch im bestehenden Arbeitsverhältnis aufnehmen konnte,was zumindest im unstreitig gestellten Umfang von 60 bis 80Stunden auch erfolgt ist. Die Tätigkeit bezog sich dabei aufdie Entwicklung einer Software, die nach dem Willen des Klä-gers künftig mit den Produkten der Beklagten konkurrierensollte. Er hat damit einer in Gründung befindlichen Wettbe-werberin im Marktsegment der Beklagten erkennbar einenZeitvorteil verschaffen wollen, um ebenso erkennbar gegenderen Interessen das Konkurrenzprodukt zum eigenen Vorteilvorzeitig marktfähig werden zu lassen. Denn der Beginn vonProgrammierarbeiten für Produkte der … war – vom Willendes Klägers getragen – damit verbunden, dass sich die Be-klagte dem Wettbewerb mit dem neuen Produkt würde frü-her stellen müssen, als dies bei pflichtgemäßer Aufnahme derProgrammierarbeiten erst nach Beendigung des dortigen Ar-beitsverhältnisses möglich gewesen wäre. Zu diesem Zweckhat der Kläger bewusst auf den Mitarbeiter … zurückgegrif-fen, der als Kompetenzträger der Beklagten bei paralleler Ar-beit an zwei konkurrierenden Produkten ungehinderten undunkontrollierbaren Transfer aktuellen Wissens vornehmenkonnte.Er hat damit einen Mitarbeiter der Beklagten zum Vertrags-bruch bestimmt und mit diesem im bestehenden Arbeitsver-hältnis an einem Konkurrenzprodukt gearbeitet. Die Versuche,dies unter Hinweis auf ein Testen und Probieren und eine Vor-nahme der wesentlichen Arbeiten erst zu einem späterenZeitpunkt zu relativieren, sind untauglich. Der Kammer wieden Parteien ist bekannt, dass der Mitarbeiter selbst einräu-men musste, in dieser Zeit schon „kleinere Funktionen“ fertig-gestellt zu haben. Der Mitarbeiter … hat auf diese Weise, nachdem Willen des Klägers und von diesem entsprechend ausge-stattet, für die … genau die qualifizierte Tätigkeit ausgeübt,deren Ableistung er aus dem bestehenden Arbeitsverhältnisder Beklagten schuldete.Der Kläger hat damit selbst und mittelbar durch den Mitarbei-ter … genau den Tatbestand verwirklicht, den das außerhalbdes § 60 Abs. 1 HGB ungeschriebene, über § 241 Abs. 2 BGBin jedes Arbeitsverhältnis einstrahlende Verbot der Konkur-renztätigkeit im Blick hat. Denn es entstand über die parallele

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Arbeit an zwei (künftig) konkurrierenden Produkten zweierverschiedener Anbieter eben genau jene Situation des Inte-ressenkonflikts in der Person des Arbeitnehmers und die Ge-fahr des Transfers aktuellen Wissens und aktuell erworbenerKenntnisse, den das Verbot im Interesse der wirtschaftlichenBelange des Vertragspartners ausschließen will. Die schutz-würdigen Interessen der Beklagten an der – durch ihre Arbeit-nehmer – ungestörten Entfaltung in ihrem Marktsegment hatder Kläger auf diese Weise nachhaltig verletzt.

Dabei ist es nach der zitierten Rechtsprechung (BAG v.24.3.2010, a.a.O.), welcher sich die Berufungskammer an-schließt, unerheblich, in welchem Rechtsverhältnis genau derKläger sowie der Mitarbeiter … diese Nebentätigkeit ausüb-ten, denn entscheidend für die Verletzung der geschützten In-teressen des anderen Vertragsteils ist der Umstand der paral-lel ausgeübten Tätigkeit als solcher.

aa. Entgegen der Auffassung des Klägers kann insoweit nichtmehr von einer zulässigen Vorbereitungshandlung ausgegan-gen werden. Betrachtet man die zutreffenden rechtlichen Er-wägungen des Bundesarbeitsgerichts, 2. Senat, in der Ent-scheidung vom 26.6.2008 (a.a.O.), denen sich die Berufungs-kammer ausdrücklich anschließt, so ist unter dem Gesichts-punkt der Vorbereitungstätigkeit primär der Arbeitnehmerangesprochen, der auf den beabsichtigten Schritt in dieSelbstständigkeit hinarbeitet. Dieser darf zulässigerweise dienotwendigen Maßnahmen für die Gründung des eigenen Un-ternehmens vornehmen, nicht aber bereits werbend tätigwerden, wozu ausdrücklich auch die Vorbereitung von Kon-kurrenzgeschäften gehört. Der Arbeitnehmer, der sich selbst-ständig zu machen beabsichtigt, kann danach etwa bereitswährend der abhängigen Beschäftigung die formalen Voraus-setzungen der Selbstständigkeit in gesellschafts-, gewerbe-oder steuerrechtlicher Hinsicht schaffen. Hat er den Wechselzu einem anderen Arbeitgeber im Blick, sind als entspre-chende Vorbereitungshandlungen etwa der Erwerb zusätzlichbenötigter Kenntnisse oder Qualifikationen oder das Kennen-lernen von Arbeitsstätte und Mitarbeiterschaft denkbar.

bb. Die Aufnahme von Entwicklungsarbeiten an einem Kon-kurrenzprodukt stellt sich hingegen denknotwendig nicht alsbloße Vorbereitungshandlung dar. Denn hierbei handelt essich – unabhängig davon, ob der Wettbewerber bzw. derneue Arbeitgeber selbst bereits am Markt in Erscheinung ge-treten ist oder dies für die nahe Zukunft plant – um ein Verhal-ten, das in die wirtschaftlichen Interessen des bisherigen Ver-tragspartners unmittelbar eingreift, weil es auf die Vorberei-tung des Konkurrenzgeschäfts selbst – hier Entwicklung undVertrieb konkurrierender Software – gerichtet ist. Dass es demKläger in Kooperation mit dem Mitarbeiter … genau um ei-nen solchen Eingriff in die Wettbewerbsinteressen der Beklag-

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ten ging, ist durch die Heimlichkeit des Vorgehens belegt.(…)■ Landesarbeitsgericht Hammvom 6.11.2014, 8 Sa 729/14eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Stephan PaulyPauly & PartnerKurt-Schumacher-Straße 16, 53113 BonnTel.: 0228/62090-0, Fax: 0228/[email protected], www.paulypartner.de

117. Spesenbetrug, Rechtfertigungsgrund, Abfindung,Darlegungs- und Beweislast, Bestreiten ins Blaue,Ausforschungsbeweis

Leitsatz:1. Grundsätzlich ist derjenige, der eine außerordentliche Kün-digung ausgesprochen hat, darlegungs- und beweisbelastetfür alle Umstände, die als wichtiger Grund geeignet sein kön-nen. Das gilt auch für die Entkräftung von Rechtfertigungs-gründen, die der Arbeitnehmer seinerseits gegen die Kündi-gungsgründe einwendet.2. Der Vortrag des gekündigten Arbeitnehmers, er habe mitder Firmenkreditkarte einen Einkaufsgutschein für einen Ge-schäftskunden erworben, stellt dabei einen ebenso hinrei-chend substantiierten Rechtfertigungseinwand dar, wie derVortrag, bestimmten zulasten des Arbeitgebers beglichenenKundenrechnungen hätten konkrete Leistungen des Kundengegenübergestanden, wenn diese Leistungen nebst weiterenUmständen der Vertragsabwicklung im Einzelnen geschildertwerden.3. Die Vernehmung eines „ins Blaue“ benannten Zeugen ohnekonkreten Sachvortrag dahingehend, warum der ZeugeKenntnis von den beweiserheblichen Tatsachen hat, stellt ei-nen unzulässigen Ausforschungsbeweis dar.■ Landesarbeitsgericht Kölnvom 26.11.2014, 3 Sa 239/10

118. Außerordentliche Kündigung, Presseartikel,Untreue, Schwerbehindertenvertretung, Personalrat

Leitsatz:1. Eine Rechtfertigung dafür, dass ein Arbeitnehmer Vorwürfeschwerwiegenden Fehlverhaltens gegen Vorgesetzte, Reprä-sentanten des Arbeitgebers oder den Arbeitgeber selber andie Presse bringt oder gegenüber der Presse veröffentli-chungswirksam als richtig bestätigt, setzt unter anderem vo-raus, dass der Arbeitnehmer die Wahrheit der Vorwürfe ent-weder aus eigener Anschauung sicher kennt oder zumindestüber so gewichtige, objektiv nachprüfbare Anhaltspunkte fürdie Wahrheit der Vorwürfe verfügt, dass ein Anlass zu irgend-einem Zweifel an deren Richtigkeit für ihn nicht bestehenkann.

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2. Ein Rechtsgrundsatz, wonach zur Kündigung eines schwer-behinderten Arbeitnehmers die Schwerbehindertenvertre-tung zwingend zeitlich vor dem zuständigen Personalrat an-gehört werden müsste, existiert nicht.■ Landesarbeitsgericht Kölnvom 20.2.2014, 7 Sa 1155/09

119. Außerordentliche Kündigung, Urkundenfälschung

Aus den Entscheidungsgründen:II. (…) Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor dem15.11.2013 bat die Klägerin eine dritte Person, unter Verwen-dung einer ärztlichen Bescheinigung für den Bezug von Kran-kengeld bei Erkrankung eines Kindes die Daten betreffend derKrankheitstage an die Abwesenheitszeiten der Klägerin vom6./7.3.2013, 3.4.2013 sowie 17./18.9.2013 „anzupassen“. Diesereichte sie sodann bei der Personalabteilung der Beklagtenein.Darauf, ob das Verhalten der Klägerin strafrechtlich als Urkun-denfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) anzusehen ist, kommt esnicht an. Für die kündigungsrechtliche Bewertung ist nicht diestrafrechtliche Beurteilung maßgeblich, sondern die Schwereder Vertragspflichtverletzung (BAG v. 11.5.2010 – 2 AZR 845/08).Im Hinblick auf die Schwere der Vertragspflichtverletzungkann der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnissesauch nur bis zum nächsten ordentlichen Kündigungsterminnicht zugemutet werden. Die Klägerin hat der Beklagten voneinem Dritten hergestellte – nicht von dem als Aussteller an-gegebenen Arzt verfasste – Bescheinigungen über die Erkran-kungen ihres Kindes vorgelegt. Sie handelte vorsätzlich, dennihr war bekannt, dass diese Bescheinigungen nicht von ihremKinderarzt stammten. Ihr Verhalten erscheint nicht deshalb ineinem milderen Licht, weil die Beklagte sie zuvor zur Vorlageder Bescheinigungen wiederholt eindringlich aufgeforderthat. Selbst wenn sich die Klägerin hierdurch unter Druck ge-setzt fühlte, rechtfertigt oder entschuldigt dies ihr Verhaltennicht, noch lässt es dieses auch nur verständlich oder nach-vollziehbar erscheinen. Wenn die Klägerin über die Original-bescheinigungen nicht oder nicht mehr verfügte, hätte siesich diese entweder von dem Arzt nochmals ausstellen lassenoder gegenüber der Beklagten einräumen müssen, diesenicht vorlegen zu können. Die Vorlage manipulierter Beschei-nigungen ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt hin-nehmbar. Das Verhalten der Klägerin erscheint auch nichtdeshalb in einem milderen Licht, weil sie nicht die Erlangungeines Vermögensvorteils erstrebte. Dies wäre vielmehr gege-benenfalls zusätzlich als belastender Umstand zu berücksich-tigen. Bereits die Vorlage der manipulierten Bescheinigungenwiegt so schwer, dass der Beklagten eine Fortsetzung des Ar-beitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Zulasten

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der Klägerin ist ferner zu berücksichtigen, dass ihr Verhaltenauf Heimlichkeit angelegt war. (…)■ Hessisches Landesarbeitsgerichtvom 23.3.2015, 16 Sa 646/14eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Peter SchraderLaborius – Die Fachanwälte für ArbeitsrechtPodbielskistraße 33, 30163 HannoverTel.: 0511/2155563-32, Fax: 0511/[email protected], www.laborius.eu

120. Voraussetzung einer Verdachtskündigung

Aus dem Tatbestand:Die Parteien streiten über die Kündigung des Arbeitsverhält-nisses, (…) Das Arbeitsgericht hat mit Urt. v. 14.1.2014 derKündigungsschutzklage stattgegeben.Aus Sicht der Beklagten bleibe der Kläger verdächtig, die Vor-teile aus den Parkettlegearbeiten und des Einbaus der Dusch-kabinen gefordert und/oder angenommen zu haben, um dieFirma S. bei dem Bezug von Waren und gewerblichen Dienst-leistungen durch die Beklagte unlauter zu bevorzugen.Aus den Entscheidungsgründen:II. (…) 1. (…) a) Mit der Beklagten ist zunächst davon auszuge-hen, dass die vorsätzliche Annahme eigener Vorteile zu Lastendes Arbeitgebers unter Verstoß gegen die Rücksichtnahme-pflicht des § 241 Abs. 2 BGB an sich geeignet ist, einen wichti-gen Grund für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses darzu-stellen, wenn das gezeigte Verhalten das Vertrauen in die Red-lichkeit, Zuverlässigkeit und Loyalität zerstört.Auch der Verdacht einer schwerwiegenden arbeitsvertragli-chen Verfehlung kann zum Ausspruch einer Kündigung genü-gen, wobei der Verdacht sich auf konkrete Tatsachen gründenund dringend sein muss. Dabei sind an die Darlegung undQualität der schwerwiegenden Verdachtsmomente beson-ders strenge Anforderungen zu stellen, weil bei einer Ver-dachtskündigung immer die Gefahr besteht, dass ein „Un-schuldiger“ betroffen ist (BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 724/06 –m.w.N.). Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür beste-hen, dass der Verdacht zutrifft. Die Umstände, die ihn begrün-den, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebensogut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außeror-dentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloßeauf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Ver-dächtigungen reichen zur Rechtfertigung eines dringendenTatverdachts nicht aus (BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 206/11 –m.w.N.). Auch als ordentliche Kündigung ist eine Verdachts-kündigung sozial nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorlie-gen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigunggerechtfertigt hätten. Dies gilt auch für die Anforderungen andie Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsichtbestehen keine Unterschiede zwischen außerordentlicherund ordentlicher Kündigung. Für beide Kündigungsarten

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muss der Verdacht gleichermaßen erdrückend sein (BAG v.21.11.2013 – 2 AZR 797/11 – m.w.N.).■ Landesarbeitsgericht Kölnvom 19.11.2014, 11 Sa 214/14eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Jürgen HöserHD&P. RechtsanwälteKölner Straße 2, 50226 FrechenTel.: 02234/1820-0, Fax: 02234/[email protected], www.hdup.de

121. Personenbedingte Änderungskündigung,Minderleistung, Darlegungs- und Beweislast

Aus dem Tatbestand:Die Parteien streiten um die Wirksamkeit von personenbe-dingten Änderungskündigungen der Beklagten (…)Aus den Entscheidungsgründen:II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. (…)3. (…) b) Die Beklagte hat zur Begründung der Änderungender Arbeitsbedingungen aus personenbedingten Gründenvorgetragen, der Klägerin fehlten die strategischen Fähigkei-ten sowie die Führungseigenschaften, um die vertraglich ver-einbarte Tätigkeit in der von der Beklagten erwarteten Quali-tät zu erbringen. Das hat die Beklagte jedoch nicht ausrei-chend substantiiert.aa) Als personenbedingte Gründe, die eine ordentliche Kündi-gung nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial rechtfertigen können, sindnur solche Umstände anzuerkennen, die auf einer in den per-sönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften des Arbeitneh-mers liegenden „Störquelle“ beruhen. Eine personenbedingteKündigung kann sozial gerechtfertigt sein, wenn der Arbeit-nehmer aus Gründen, die in seiner Sphäre liegen, jedoch nichtvon ihm verschuldet sein müssen, zu der nach dem Vertragvorausge-setzten Arbeitsleistung ganz oder teilweise nichtmehr in der Lage ist. In diesen Fällen liegt in der Regel eineschwere und dauerhafte Störung des Austauschverhältnissesvor, ohne dass dem Arbeitnehmer eine Vertragsverletzungvorzuhalten wäre: Die konkrete Vertragspflicht zur Arbeit istindividuell zu bestimmen. Der Arbeitnehmer, der trotz ange-messener Bemühung die Normalleistung unterschreitet odernicht erbringt, verstößt nicht gegen den Vertrag, sondern un-terschreitet die nicht zur Vertragsbedingung erhobene be-rechtigte Erwartung des Arbeitgebers von einem ausgewoge-nen Verhältnis von Leistung und Gegenleistung (BAG v.11.12.2003 – 2 AZR 667/02 – Rn 105 ff. m.w.N., AP KSchG 1969§ 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 48). Auf derartige Stö-rungen stehen einem Arbeitgeber im Wesentlichen die Vor-schriften über die personenbedingte Änderungs- und Beendi-gungskündigung zu Gebote. Eine personenbedingte Kündi-gung wegen Minderleistungen setzt deshalb nicht voraus,dass der Arbeitnehmer gegen die subjektiv zu bestimmendeLeistungspflicht verstößt. Es kommt darauf an, ob die Arbeits-leistung die berechtigte Gleichwertigkeitserwartung des Ar-beitgebers in einem Maße unterschreitet, dass ihm ein Fest-

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halten an dem (unveränderten) Arbeitsvertrag unzumutbarwird. Darüber hinaus setzt die Kündigung aus personenbe-dingten Gründen stets voraus, dass auch für die Zukunft nichtmit einer Wiederherstellung des Gleichgewichts von Leistungund Gegenleistung zu rechnen ist und kein milderes Mittel zurWiederherstellung eines Vertragsgleichgewichts zur Verfü-gung steht (BAG v. 11.12.2003 – 2 AZR 667/02 – Rn 108, a.a.O.;LAG Rheinland-Pfalz v. 25.3.2014 – 6 Sa 357/13 – zu A. I. 2.4.2a) aa) der Entscheidungsgründe, LAGE § 1 KSchG Personenbe-dingte Kündigung Nr. 27).Im Prozess hat der Arbeitgeber im Rahmen der abgestuftenDarlegungslast zunächst nur die Minderleistung vorzutragen.Ist dies geschehen, so muss der Arbeitnehmer erläutern, wa-rum er trotz unterschiedlicher Leistungen seine Leistungsfä-higkeit ausschöpft bzw. woran die Störung des Leistungs-gleichgewichts liegen könnte und ob in Zukunft eine Besse-rung zu erwarten ist (BAG v. 3.6.2004 – 2 AZR 386/03 – Rn 41,AP KSchG 1969 § 23 Nr. 33; LAG Rheinland-Pfalz v. 25.3.2014 –6 Sa 357/13 – zu A. I. 2.4.2 a) aa) der Entscheidungsgründe,a.a.O.).bb) Diesen Grundsätzen, die auch das Arbeitsgericht zutref-fend angewandt hat, folgt das Berufungsgericht. Die hierge-gen von der Beklagten in der Berufung vorgebrachten Beden-ken überzeugen nicht.Richtig ist zwar, dass es sich beim Aufgabenfeld der Klägerinnicht um einfach messbare Vorgänge handelt, indem z.B. einebestimmte pro Stunde herstellbare Stückzahl eines Produktsverglichen wird. Ebenso kann der Beklagten in ihrer Einschät-zung gefolgt werden, dass die Darstellung von Tatsachen, dieunzureichende Arbeitsergebnisse belegen sollen, umsoschwieriger ist, je höher die Stellung eines Mitarbeiters ist. Dasliegt bereits darin begründet, dass es oft um Arbeitsplätzegeht, die mit dem konkreten Aufgabenzuschnitt nur einmalim Unternehmen vorgehalten werden. Allerdings erwartet einArbeitgeber auch vom Inhaber dieses Arbeitsplatzes ein be-stimmtes Ergebnis, selbst wenn es keine detaillierte Tätig-keitsbeschreibung gibt, sondern der Arbeitsplatzinhaber eingroßes Maß an Entscheidungsfreiheit genießt, wie er den Ar-beitsplatz mit „Leben füllt“. Entsprechend hat die Beklagte inBezug auf die Klägerin auch behauptet, sie genüge nicht denVorstellungen der Beklagten an das Vorhandensein von stra-tegischen und führungsbezogenen persönlichen Eigenschaf-ten. Insofern fällt es im gerichtlichen Verfahren in die Darle-gungslast der Beklagten, diese Vorstellungen zu artikulieren,damit überprüft werden kann, welchen Anforderungen dieKlägerin genügen sollte. Sodann ist weiter vorzutragen, wieweit die Klägerin von diesen Vorstellungen abgewichen ist,um überprüfen zu können, ob diese Abweichung von solcherErheblichkeit ist, dass sie die berechtigte Gleichwertigkeitser-wartung des Arbeitgebers bzgl. des Verhältnisses von Vergü-tung und Arbeitsleistung in einem Maße unterschreitet, dassein Festhalten am unveränderten Arbeitsvertrag nicht mehrzumutbar ist. Ohne einen Vortrag zum Anforderungsprofil ei-nerseits und zur Erfüllung dieses Anforderungsprofils ande-

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rerseits ist es einem Gericht nicht möglich zu entscheiden, obdas Verhältnis von Leistung und Gegenleistung für den Ar-beitgeber unzumutbar beeinträchtigt ist. Dass die Beklagtedabei nicht mit Tabellen – möglichst aus der elektronischenDatenverarbeitung – aufwarten kann, die noch dazu die Leis-tungsdaten anderer Mitarbeiter als Vergleich beinhalten, darfdabei nicht zu ihrem Nachteil gereichen. Allerdings darf esauch nicht genügen, allgemeine, abstrakte Forderungen andie Fähigkeiten der Klägerin zu formulieren, auf die die Kläge-rin sich nicht mit Tatsachenvortrag einlassen kann. Auch eineArbeitnehmerin, deren Weisungsgebundenheit (§ 106 GewO)angesichts ihrer beruflichen Qualifikation, der Vielseitigkeit ih-res Aufgabengebiets sowie der Varianz in den Möglichkeiten,wie sie ihre Aufgaben bewältigt, gelockert ist, muss wissen,was von ihr erwartet wird. Dafür spricht auch das Vereinbarenvon Zielen. Handelt es sich um Ziele, die nicht mit „harten“Zahlen gemessen werden können, muss durch Umschreibungund Beispiele verdeutlicht werden, was die Beklagte als Ar-beitgeberin sich vorgestellt hat. Dies ergibt ein einfacher Um-kehrschluss: Wenn die Beklagte festgestellt hat, dass die Klä-gerin den erwarteten strategischen und führungsbezogenenpersönlichen Eigenschaften nicht genügt hat, muss sie umge-kehrt wissen, womit bzw. wie die Klägerin sie hätte erfüllenkönnen.cc) Gemessen hieran liegen die Voraussetzungen für eine so-ziale Rechtfertigung der Änderung der Arbeitsbedingungender Klägerin aus personenbedingten Gründen nicht vor.(1) Die Beklagte hat ausgeführt, es sei Aufgabe der Klägeringewesen, die relativ grobe Aufgabenbeschreibung mit Lebenzu füllen. In der Folge schildert die Beklagte sodann sowohldie vorgegebenen Aufgaben als auch die persönlichen Eigen-schaften, über die die Klägerin verfügen müsste, um die vor-gegebenen Ziele zu erreichen. Wenn zum Aufgabengebietder Klägerin generell gehörte, „ehrgeizige und realistischeZiele für die anvertrauten Mitarbeiter zu definieren“, muss esmöglich sein darzustellen, ob die Klägerin gar keine Ziele defi-nierte oder ob die von ihr definierten Ziele nicht ehrgeizig ge-nug und/oder nicht realistisch gewesen sind. Wenn die Be-klagte sich bei der Aufgabenbeschreibung generalisierenderBegriffe wie „ehrgeizig“ und „realistisch“ bedient, muss siediese Begriffe spätestens im gerichtlichen Verfahren konkreti-sieren. Auch wenn die Klägerin bestimmte Aufgaben mit Le-ben füllen muss, obliegt es ihr nicht darzulegen, welche Zielesie als ehrgeizig und realistisch angesehen hat, um damit derBeklagten eine Grundlage für den Vortrag zu liefern, warumsie diese Ziele nicht als ehrgeizig und/oder realistisch ansieht.Für ein Unternehmen kann ein Ziel ehrgeizig sein, das für einanderes Unternehmen bereits in den Bereich der Waghalsig-keit fällt und den wirtschaftlichen Untergang bedeutet oder –umgekehrt – zu wenig ambitioniert ist, so dass Investitionenin die Zukunft verpasst werden und damit der Anschluss andie – zumeist weltweite – Entwicklung der Konkurrenz.Wenn die Beklagte die Bedeutung der Prozessautomatisie-rung für 1.200 Mitarbeiter sowie einen jährlichen Umsatz von

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700 Mio. EUR betont, muss sie eine Ahnung haben, was dieKlägerin hätte erreichen sollen. Auch wenn die Zahlen bele-gen, dass die Klägerin eine Aufgabe mit hoher wirtschaftlicherBedeutung innehat, die zudem Auswirkungen auf das Beste-hen sehr vieler Arbeitsplätze hat, arbeitete auch sie nicht im„luftleeren“ Raum. Im Gegenteil: Der Klägerin waren jedenfallsteilweise konkrete Ziele vorgegeben, wie die PMP/EFA-Bögender Jahre 2011 bis 2013 belegen. Bereits der Bogen für dasJahr 2011 (Anlage B 6) weist sowohl unter „Financial“ als auchz.B. unter „Mitarbeiter“ (unter 1. „Implement at least two spe-cific measurement/activities …“) konkrete Vorgaben aus. So-weit das nicht der Fall war – z.B. „show excellent leadershipand form a great team“, „increase productivity“ – hat die Be-klagte offensichtlich dennoch konkrete Vorstellungen an dieLeistung der Klägerin gehabt. Ansonsten hätte sie die Bewer-tung auf der Skala 1 bis 5 von „not achieved“ bis „permanentexceeded“ nicht vornehmen können. Das Aufgabenprofil derKlägerin ist daher fassbar. Es kann konkret beschrieben wer-den, auch wenn hierzu wesentlich mehr Aufwand betriebenwerden muss als für die Darstellung eines einfachen Arbeits-platzes in der Produktion oder in der Verwaltung. (…)■ Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg – KammernMannheim –vom 17.3.2015, 16 Sa 35/14eingereicht von Rechtsanwalt Thomas GnannGnann, Thauer & KollegenBertoldstraße 48, 79098 FreiburgTel.: 0761/704090, Fax: 0761/[email protected], www.arbeitsrecht24.com

122. Kündigung, Schriftform, Unterzeichnung mitVornamen

Aus dem Tatbestand:Mit der am 12.9.2014 bei Gericht eingegangenen Klage machtder Kläger die Rechtsunwirksamkeit der erklärten Kündigunggeltend. Er ist der Ansicht, die Kündigung entspreche nichtdem Schriftformerfordernis, da sie von dem Beklagten ledig-lich mit dessen Vornamen unterzeichnet sei. (…)Entscheidungsgründe:Die Klage ist unbegründet. Die Kündigung vom 25.8.2014 hatdas Arbeitsverhältnis beendet, da sie dem Schriftformerfor-dernis des § 623 BGB entspricht.1. Ist durch Gesetz die schriftliche Form vorgeschrieben, somuss die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Na-mensunterschrift oder mittels notariell beglaubigtem Hand-zeichen unterzeichnet werden (§ 126 BGB). Die vom Beklag-ten unter dem Kündigungstext angebrachte handschriftlicheUnterzeichnung mit seinem Vornamen „Nicolas“ erfüllt dasMerkmal der Namensunterschrift im Sinne des § 623 i.V.m.§ 126 BGB.Die Namensunterschrift soll die Person des Ausstellers er-kennbar machen und damit die Echtheit des Inhaltes zusi-chern. Daher ist eine Unterschrift erforderlich, die den Betref-

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fenden ausreichend individualisiert. Zwar erfordert diesgrundsätzlich die Unterschrift mit dem Familiennamen, wäh-rend die Beifügung des Vornamens nicht notwendig ist. Hin-gegen ist die Unterzeichnung mit dem Vornamen alleine –mangels Individualisierung des Ausstellers – grundsätzlichnicht ausreichend. Anders ist dies allerdings, wenn die Betref-fenden unter ihrem Vornamen bekannt sind (Einsele, Münch-ner Kommentar zum BGB, § 126 BGB, 6. Aufl. 2012, Rn 16). Un-streitig verwenden die Parteien auch im geschäftlichen Kon-takt im Allgemeinen das „Du“ und sind daher unter ihrem Vor-namen bekannt. Der Kläger hat auch nur einen Arbeitgebermit dem Vornamen „Nicolas“, nämlich den Beklagten, weitereMitarbeiter mit dem Vornamen „Nicolas“ sind im Betrieb desBeklagten nicht existent, so dass Verwechslungen ausge-schlossen sind. Die Person des Ausstellers ist daher eindeutigerkennbar, so dass auch die Echtheit des Inhalts der Kündi-gungserklärung als vom Beklagten abgegeben gewährleistetist. (…)■ Arbeitsgericht Gießenvom 10.12.2014, 2 Ca 347/14eingereicht von Rechtsanwalt Fridhelm FaecksRechtsanwälte Dr. Geilhof & Partner mbBWilhelmstraße 27, 35037 MarburgTel.: 06421/17110, Fax: 06421/[email protected], www.kanzlei-geilhof.de

123. Zustellung des Zustimmungsbescheids desIntegrationsamts, Kündigung

Leitsatz:Nach § 4 Abs. 2 S. 1 VwZG genügt zum Nachweis der Zustel-lung der Rückschein.Eine Kündigung, die nach Zustellung des Zustimmungsbe-scheides des Integrationsamtes gem. § 88 SGB IX per Ein-schreiben/Empfangsbekenntnis mit Rückschein aber vor demdritten Tag nach Aufgabe zur Post ausgesprochen wird, istnach der vorherigen Zustimmung gem. § 85 Abs. 1 SGB IX unddamit wirksam ausgesprochen.■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburgvom 19.12.2014, 2 Sa 1846/14

124. Entgeltansprüche, Restitutionsklage,Ausschlussfristen, Verjährung

Aus dem Tatbestand:Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmever-zugs. (…) Mit Schreiben vom 30.4.2004 kündigte die Beklagtenach vorangegangener Zustimmung des Landeswohlfahrts-verbands Hessen – Integrationsamt – das Arbeitsverhältniswegen häufiger krankheitsbedingter Fehlzeiten des Klägerspersonenbedingt ordentlich zum 31.8.2004. Mit der dagegengerichteten, am 19.5.2004 beim Arbeitsgericht Kassel einge-reichten Kündigungsschutzklage machte der Kläger zugleichEntgeltansprüche für den Fall des Annahmeverzugs geltend.Das Arbeitsgericht wies die Kündigungsschutzklage mit Urt. v.

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1.4.2005 (6 Ca 233/04) ab. Die Berufung des Klägers wurdevom Hessischen Landesarbeitsgericht mit Urt. v. 16.2.2006 (9Sa 896/05) zurückgewiesen.

Mit Urt. v. 5.12.2007 hob das Verwaltungsgericht Kassel (5 E1382/06) den Zustimmungsbescheid und den Widerspruchs-bescheid des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen auf. DerHessische Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag der Be-klagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Ver-waltungsgerichts durch Beschl. v. 23.10.2008 (10 A 120/08.Z)ab.

Auf die vom Kläger erhobene Restitutionsklage hob das Hessi-sche Landesarbeitsgericht mit Urt. v. 30.4.2009 (9 Sa 1949/08)das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom16.2.2006 (9 Sa 896/05) auf und änderte die Entscheidung desArbeitsgerichts Kassel vom 1.4.2005 (6 Ca 233/04) auf die Be-rufung des Klägers ab. Es stellte fest, dass das Arbeitsverhält-nis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklag-ten vom 30.4.2004 nicht aufgelöst wurde. (…)

Aus den Entscheidungsgründen:

I. (…) 1. (…) 2. (…) a) Der Kläger macht im Wege einer objekti-ven Klagehäufung (§ 260 ZPO) mehrere in einer Gesamtklageverbundene Ansprüche geltend, indem er in Jahresbeträgenzusammengefasst neben der monatlich zu leistenden Vergü-tung jährlich von der Beklagten zu zahlende Boni begehrt.Welche Teilbeträge dabei auf die einzelnen Monate und Ver-gütungsbestandteile entfallen, kann seinem Vortrag nichtentnommen werden. Die Klageforderungen sind nicht hinrei-chend individualisiert.

aa) Der Kläger hat nicht etwa – was zulässig wäre – festste-hende, von der Beklagten im Monatsturnus zu leistende Ver-gütungszahlungen hochgerechnet und in Jahresbeträgen zu-sammengefasst. Vielmehr hat er die auf die einzelnen Kalen-dermonate entfallenden Beträge nicht genannt. Die ur-sprünglich vom Kläger in der Klageschrift für einzelne Monateangegebenen Forderungen stimmen – rechnete man sie aufdie Kalenderjahre des Streitzeitraums hoch – mit den von ihmzuletzt begehrten Jahresbeträgen nicht überein. Auch istnicht ersichtlich, in welcher Höhe Bonusforderungen in dengeltend gemachten Gesamtbetrag eingeflossen sind. Dieslässt sich auch nicht im Wege der Auslegung des Klagebegeh-rens durch einen Rückgriff auf die ursprünglich in der Klage-schrift angegebenen Beträge ermitteln. Der Kläger hat dortals Teilklage lediglich nach seinem Behaupten von der Beklag-ten zu leistende „Mindestbeträge“ angegeben. Für die Mo-nate Oktober 2008 bis Februar 2009, auf die sich das Teilurteilvom 15.12.2011 (9 Sa 1910/10) bezieht, hat der Kläger – ob-wohl er am bisherigen, auf der Entgeltgruppe 11 basierendenKlageantrag festhält und diesen noch im Revisionsverfahrenunter Berücksichtigung der bereits zugesprochenen Beträgestellte – nicht angegeben, welche Einzelforderungen sich inwelcher Höhe über die durch Teilurteil zugesprochenen Be-träge hinaus ergeben sollen. Wie und auf welche Einzelforde-rungen die zugesprochenen Beträge angerechnet werden

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sollen, ist seinem Vortrag nicht zu entnehmen (vgl. zur An-rechnung von Teilzahlungen: BAG v. 24.3.2011 – 6 AZR 691/09 – Rn 21).

bb) Die jeweilige Höhe der streitgegenständlichen Einzelposi-tionen kann nicht anhand der in den „fiktiven Verdienstab-rechnungen“ angegebenen Beträge ermittelt werden. Es istnicht ersichtlich, welche Einzelpositionen in die angegebenenJahresbeträge eingeflossen sind, insbesondere, in welcherHöhe Boni für die einzelnen Jahre in Ansatz gebracht und obund ggf. in welcher Weise wegen Schichtarbeit zu leistendeZahlungen berücksichtigt werden. Eine Umrechnung in Mo-natsbeträge scheidet zudem deshalb aus, weil die Beklagtedarin lediglich ein „mögliches“ Arbeitsentgelt angegeben hat.

b) Eine Aufschlüsselung in Einzelpositionen war auch nicht imHinblick auf die bei der Anrechnung anderweitigen Verdiens-tes gemäß § 615 S. 2 BGB, § 11 Nr. 1 KSchG vorzunehmendeGesamtberechnung (st. Rspr., vgl. BAG v. 12.12.2006 – 1 AZR96/06 – Rn 33, BAGE 120, 308; 16.5.2012 – 5 AZR 251/11 –Rn 29, BAGE 141, 340) entbehrlich. § 615 S. 1 BGB gewährt kei-nen eigenständigen Anspruch, sondern hält den ursprüngli-chen Erfüllungsanspruch aufrecht. Streitgegenstand der An-nahmeverzugsforderung ist weiterhin der jeweils vereinbarteVergütungsbestandteil (BAG v. 15.9.2011 – 8 AZR 846/09 –Rn 37). Macht der Arbeitnehmer mehrere Vergütungsansprü-che mit einer Gesamtforderung geltend, sind diese, um denAnforderungen von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu genügen, indivi-dualisiert nach Einzelpositionen aufgeschlüsselt in bezifferterHöhe zu benennen.

II. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist nach § 562 Abs. 1ZPO aufzuheben und die Sache nach § 563 Abs. 1 S. 1 ZPO zurneuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsge-richt zurückzuverweisen. (…)

III. Sollte der Kläger das Klagebegehren entsprechend § 253Abs. 2 Nr. 2 ZPO präzisieren, wäre im weiteren Verfahren Fol-gendes zu beachten:

1. Mögliche, vom Ausgang des Kündigungsschutzverfahrensabhängige Annahmeverzugsansprüche des Klägers sind nichtverfallen. Die – für den Streitzeitraum Anwendung finden-den – tariflichen Ausschlussfristen, die in ihrer zweiten Stufeeine gerichtliche Geltendmachung verlangen, sind verfas-sungskonform dahingehend auszulegen, dass mit Erhebungeiner Bestandsschutzklage (Kündigungsschutz- oder Befris-tungskontrollklage) die erste und die zweite Stufe der tarifli-chen Ausschlussfrist gewahrt werden.

a) Der Arbeitnehmer wahrt mit einer Bestandsschutzklage,ohne dass es einer bezifferten Geltendmachung bedarf, dieerste Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist für alle vom Aus-gang dieses Rechtsstreits abhängigen Ansprüche. Mit einersolchen Klage erstrebt der Arbeitnehmer nicht nur die Erhal-tung seines Arbeitsplatzes, sondern bezweckt darüber hinaus,sich die Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs zu er-halten. Die Ansprüche müssen weder ausdrücklich bezeichnet

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noch beziffert werden (st. Rspr., vgl. BAG v. 19.9.2012 – 5 AZR627/11 – Rn 14 m.w.N., BAGE 143, 119).Zugleich macht der Arbeitnehmer mit einer Bestandsschutz-klage die vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen An-sprüche im Sinne der zweiten Stufe einer tarifvertraglich gere-gelten Ausschlussfrist „gerichtlich geltend“. Art. 2 Abs. 1 GG inVerbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gewährleistet denParteien im Zivilprozess effektiven Rechtsschutz. Danach darfden Prozessparteien der Zugang zu den Gerichten nicht in un-zumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigen-der Weise erschwert werden (vgl. BVerfG v. 1.12.2010 – 1 BvR1682/07 – Rn 21 ff.). Tarifvertragliche Ausschlussfristen, dieeine rechtzeitige gerichtliche Geltendmachung vorsehen,sind verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass dievom Erfolg einer Bestandsschutzstreitigkeit abhängigen An-sprüche bereits mit der Klage in der Bestandsstreitigkeit ge-richtlich geltend gemacht sind. Dass die Ansprüche nicht ineiner den Anforderungen des § 253 Abs. 2 ZPO entsprechen-den Bestimmtheit geltend gemacht werden, ist – wie bei derWahrung der ersten Stufe der Ausschlussfrist für Ansprüche,die vom Ausgang der Bestandsschutzstreitigkeit abhängen –aus verfassungsrechtlichen Gründen hinzunehmen (vgl. BAGv. 19.9.2012 – 5 AZR 627/11 – Rn 15, 18 ff., BAGE 143,119).b) Die fristwahrende Wirkung der Bestandsschutzklage istnicht mit der formellen Rechtskraft des Urteils des HessischenLandesarbeitsgerichts vom 16.2.2006 (9 Sa 896/05) entfallen.aa) Die Rechtshängigkeit endet mit der in § 705 ZPO geregel-ten formellen Rechtskraft der Entscheidung (Zöller/Greger,ZPO 30. Aufl. § 261 Rn 7). Mit der Wiederaufnahme des Verfah-rens hat der Gesetzgeber ein Mittel geschaffen, um die Durch-brechung der Rechtskraft zu ermöglichen (Musielak/Musielak,ZPO 11. Aufl. § 578 Rn 1). Ziel der Wiederaufnahmeklagennach § 578 ZPO ist die rückwirkende Beseitigung des früherenUrteils (Musielak/Musielak, ZPO, 11. Aufl., § 578 Rn 4). Wird dasalte Urteil aufgrund einer zulässigen und begründeten Wie-deraufnahmeklage aufgehoben, muss der Rechtsstreit wiederaufgenommen und fortgesetzt werden, um ihn durch eineEntscheidung abzuschließen. Durch die Aufhebung des Ur-teils tritt eine Rechtslage ein, wie sie auch bestünde, wenn dasangefochtene Urteil nie erlassen worden wäre (Musielak/Mu-sielak, ZPO, 11. Aufl., § 590 Rn 4, 9). Das frühere Verfahren wirdin die Lage vor Schluss der mündlichen Verhandlung zurück-versetzt. Die Rechtslage des früheren Prozesses bleibt unver-ändert bestehen, sofern sie nicht von dem Anfechtungsgrundbetroffen ist. Aufgrund dieser rückwirkenden Aufhebung des(alten) Urteils bleibt der (alte) Rechtsstreit unerledigt, so dasser erneut verhandelt und durch Urteil abgeschlossen werdenmuss. Der Streitgegenstand des (alten) Prozesses wird rück-wirkend wieder rechtshängig (Musielak/Musielak, ZPO, 11.Aufl., § 578 Rn 1, 4 bis 6).bb) Danach ist die die Ausschlussfristen wahrende Wirkungder Klageerhebung nicht durch das Urteil des Hessischen Lan-desarbeitsgerichts vom 16.2.2006 (9 Sa 896/05), mit dem dieBerufung des Klägers gegen die die Kündigungsschutzklage

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abweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts Kassel vom1.4.2005 (6 Ca 233/04) zurückgewiesen wurde, entfallen. DieEntscheidung hat das Hessische Landesarbeitsgericht mit Urt.v. 30.4.2009 (9 Sa 1949/08) auf die vom Kläger erhobene Resti-tutionsklage aufgehoben und festgestellt, dass das Arbeits-verhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung derBeklagten vom 30.4.2004 nicht aufgelöst worden ist. Dies hatzur Folge, dass die Rechtshängigkeit der Kündigungsschutz-klage erst mit Rechtskraft der letztgenannten Entscheidungendete.

2. Etwaige in den Jahren 2004 und 2005 fällig gewordene An-sprüche des Klägers auf Vergütung wegen Annahmeverzugssind verjährt, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB.

a) Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Annahmeverzug ent-steht während des Annahmeverzugs sukzessive entspre-chend den dem Vergütungsanspruch zugrundeliegenden Re-gelungen. Die Fälligkeit der Annahmeverzugsvergütung be-stimmt sich nach dem Zeitpunkt, in dem die Vergütung beitatsächlicher Beschäftigung in den einzelnen Abrechnungs-perioden fällig geworden wäre (BAG v. 12.12.2006 – 1 AZR 96/06 – Rn 33, BAGE 120, 308; 7.11.2007 – 5 AZR 910/06,16.5.2012 – 5 AZR 251/11 – Rn 31, BAGE 141, 340).

b) Für den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist kommtes – neben dem Entstehen des Anspruchs – nach § 199 Abs. 1Nr. 2 BGB darauf an, dass der Gläubiger von den anspruchsbe-gründenden Umständen und der Person des SchuldnersKenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangenmüsste.

aa) Die von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB geforderte Kenntnis desGläubigers ist vorhanden, wenn er aufgrund der ihm bekann-ten Tatsachen gegen eine bestimmte Person eine Klage, sei esauch nur eine Feststellungsklage, erheben kann, die bei ver-ständiger Würdigung so viel Erfolgsaussicht hat, dass sie demGläubiger zumutbar ist. Die erforderliche Kenntnis setzt keinezutreffende rechtliche Würdigung voraus. Aus Gründen derRechtssicherheit und der Billigkeit genügt Kenntnis der denAnspruch begründenden tatsächlichen Umstände (BGH v.26.9.2012 – VIII ZR 240/11 – zu B II 3 b bb (2) (b) der Gründe;BAG v. 13.3.2013 – 5 AZR 424/12 – Rn 24 m.w.N., BAGE 144,322).

bb) Der Arbeitnehmer hat vom Anspruch auf Vergütung we-gen Annahmeverzugs ausreichende Kenntnis i.S.v. § 199Abs. 1 Nr. 2 BGB, wenn er Kenntnis von den Tatsachen hat, dieden Anspruch begründen. Dagegen kommt es nicht auf einezutreffende rechtliche Würdigung an. Etwas anderes gilt nurdann, wenn und solange dem Arbeitnehmer die Erhebung ei-ner die Verjährung hemmenden Klage (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB)unzumutbar ist (BAG v. 13.3.2013 – 5 AZR 424/12 – Rn 25m.w.N., BAGE 144, 322).

Dem Kläger waren die anspruchsbegründenden Tatsachenbekannt. Eine Klageerhebung war auch nicht unzumutbar.Nur ausnahmsweise kann die Rechtsunkenntnis den Verjäh-rungsbeginn hinausschieben, wenn eine unsichere und zwei-

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felhafte Rechtslage besteht, die selbst ein rechtskundiger Drit-ter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag; denn in diesemFall fehlt es an der Zumutbarkeit einer Klageerhebung (BGH v.26.9.2012 – VIII ZR 240/11 – Rn 45). Der Ausnahmefall einerunzumutbaren Klageerhebung ist vorliegend nicht gegeben.Der Kläger selbst ging von der Unwirksamkeit der Zustim-mung des Integrationsamts und der von der Beklagten ausge-sprochenen Kündigung aus. Der ungewisse Ausgang des dieZustimmung des Integrationsamts betreffenden verwaltungs-gerichtlichen Verfahrens und, hiervon abhängig, die Unge-wissheit des Entstehens eines Restitutionsgrundes führt nichtzur Unzumutbarkeit der Klageerhebung.c) Die Verjährung wurde nicht nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGBdurch Erhebung der Kündigungsschutzklage gehemmt.aa) Nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB wird die Verjährung eines An-spruchs zwar auch durch die Erhebung einer Klage auf Fest-stellung des Anspruchs gehemmt. Erforderlich hierfür ist einepositive Feststellungsklage, deren Gegenstand das Bestehendes Anspruchs ist. Die Feststellung eines diesem zugrundelie-genden Rechtsverhältnisses reicht nicht aus (BGH v.26.9.2012 – VIII ZR 240/11 – Rn 54). Die Kündigungsschutz-klage umfasst nach ihrem Streitgegenstand nicht die Zah-lungsansprüche des Arbeitnehmers. Damit wurde nicht – wiein § 204 Abs. 1 BGB vorausgesetzt – über den „Anspruch“ imSinne des § 194 Abs. 1 BGB, sondern nur über den Fortbe-stand des Arbeitsverhältnisses als eine für das Bestehen vonAnnahmeverzugsansprüchen bedeutsame Vorfrage gestrit-ten. Für die analoge Anwendung der §§ 203 ff. BGB ist man-gels einer Regelungslücke kein Raum (vgl. BAG v. 7.11.2007 –5 AZR 910/06 – Rn 14; v. 7.11.1991 – 2 AZR 159/91 – zu B derGründe).bb) Die Verjährung wurde auch nicht durch die vom Kläger er-hobene Restitutionsklage gehemmt. Diese ist – wie bereitsausgeführt – darauf gerichtet, das frühere Verfahren in dieLage vor Schluss der mündlichen Verhandlung zurückzuver-setzen. Durch die Aufhebung des Urteils tritt die Rechtslageein, wie sie auch bestünde, wenn das angefochtene Urteil nieerlassen worden wäre (Musielak/Musielak, ZPO, 11. Aufl., § 590Rn 4, 9). Die Wirkungen der Restitutionsklage gehen damit imHinblick auf eine Hemmung der Verjährung nicht über die desAusgangsverfahrens hinaus.d) Die Voraussetzungen einer Hemmung nach § 206 BGB lie-gen ebenfalls nicht vor. Der Kläger war nicht durch höhere Ge-walt innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfristan der Rechtsverfolgung gehindert (§ 206 BGB). Fehler amtli-cher Stellen können sich als höhere Gewalt gegenüber einerrechtzeitigen Rechtsverfolgung darstellen (BAG v. 7.11.2002 –2 AZR 297/01 – zu B I 4 b dd der Gründe, BAGE 103, 290). Vo-raussetzung ist jedoch, dass der Berechtigte ohne jedes Ei-genverschulden an der Klage gehindert war, etwa weil er aufdie Richtigkeit der gerichtlichen Sachbehandlung vertraute(BAG v. 7.11.2002 – 2 AZR 297/01 – zu B I 4 b ee der Gründe,a.a.O.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Klägerhat die Abweisung der Kündigungsschutzklage durch das Ar-

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beitsgericht und die Zurückweisung der Berufung nicht alsunabwendbares Ereignis hingenommen und auf dessen Rich-tigkeit vertraut, sondern das verwaltungsgerichtliche Verfah-ren fortgeführt, ihm war damit auch die Erhebung einer Zah-lungsklage möglich. Der Kläger hat auch ansonsten keine Um-stände dargelegt, aus denen sich eine unverschuldete Versäu-mung der Verjährungsfrist ergäbe. Er hat keine Anstrengun-gen zur Wahrung der Verjährungsfrist unternommen (vgl.hierzu BAG v. 7.11.2002 – 2 AZR 297/01 – zu B l 4 b gg derGründe, a.a.O.), obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre.e) Die Verjährungsfrist für Ansprüche auf Vergütung wegenAnnahmeverzugs begann, soweit diese im Jahr 2004 fälligwurden, am 31.12.2004 und, soweit sie im Jahr 2005 fälligwurden, am 31.12.2005 zu laufen, § 199 Abs. 1 BGB. Bei Erhe-bung der Klage im Jahr 2009 war die Verjährungsfrist abge-laufen. Mit den Hauptansprüchen sind gemäß § 217 BGB auchdie Ansprüche auf die von ihnen abhängenden Nebenforde-rungen verjährt. (…)■ Bundesarbeitsgerichtvom 24.9.2014, 5 AZR 593/12eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Peter SchraderLaborius – Die Fachanwälte für ArbeitsrechtPodbielskistraße 33, 30163 HannoverTel.: 0511/2155563-32, Fax: 0511/[email protected], www.laborius.eu

125. Befristungskontrolle, Sachgrund, Rechtsmissbrauch,Lehrer

Aus den Entscheidungsgründen:II. (…) Die Befristungskontrollklage ist unbegründet. (…)3. Die im 1. Änderungsvertrag der Parteien vom 24./31.1.2013vereinbarte Befristung über den 1.2.2013 hinaus bis zum Ab-lauf des 16.8.2013 ist rechtswirksam. Sie ist durch den Sach-grund der Vertretung nach § 14 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 3 TzBfGsachlich gerechtfertigt. Dies hat das Arbeitsgericht Kassel imErgebnis zutreffend erkannt.Ein zur Befristung eines Arbeitsvertrages erforderlicher sachli-cher Grund liegt nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG vor, wennder Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitneh-mers beschäftigt wird. Der Grund für die Befristung liegt inVertretungsfällen darin, dass der Arbeitgeber bereits zu einemvorübergehend ausfallenden Mitarbeiter in einem Rechtsver-hältnis steht und mit der Rückkehr dieses Mitarbeiters rech-net. Damit besteht für die Wahrnehmung der an sich demausfallenden Mitarbeiter obliegenden Arbeitsaufgaben durcheine Vertretungskraft von vornherein nur ein zeitlich begrenz-tes Bedürfnis. Teil des Sachgrundes ist daher eine Prognosedes Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Ver-tretungsbedarfs nach Rückkehr des zu vertretenden Mitarbei-ters. Der Sachgrund der Vertretung setzt des Weiteren einenKausalzusammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall desVertretenen und der Einstellung des Vertreters voraus (BAG v.6.10.2010 – 7 AZR 397/09 – Rn 19, zitiert nach juris). Erforder-

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lich ist eine Kausalitätskette (BAG v. 10.10.2012 – 7 AZR 462/11 – Rn 24, zitiert nach juris). Notwendig aber auch ausrei-chend ist, dass zwischen dem zeitweiligen Ausfall von Stamm-arbeitskräften und der befristeten Einstellung von Aushilfsar-beitnehmern ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Esmuss sichergestellt sein, dass die Vertretungskraft gerade we-gen des durch den zeitweiligen Ausfall des zu vertretendenMitarbeiters entstandenen vorübergehenden Beschäfti-gungsbedarfs eingestellt worden ist (BAG v. 10.3.2004 – 7 AZR402/03 – zu III 2 der Gründe, zitiert nach juris). Dabei hat derArbeitgeber bei der im Streitfall allein in Betracht kommen-den mittelbaren Vertretung zur Darstellung des Kausalzusam-menhangs grundsätzlich die Vertretungskette zwischen demVertretenen und dem Vertreter darzulegen. Auch ohne dasseine Vertretungskette vorliegt, kann die Kausalität bei der mit-telbaren Vertretung auch dann bestehen, wenn der Arbeitge-ber – was ihm auch im Vertretungsfalle unbenommen ist – dieAufgaben in seinem Betrieb oder seiner Dienststelle neu ver-teilt. Er hat dann zunächst die bisher dem vertretenen Mitar-beiter übertragenen Aufgaben darzustellen. Anschließend istdie Neuverteilung dieser Aufgaben auf einen oder mehrereMitarbeiter zu schildern. Schlüssig ist darzulegen, dass sichdie dem Vertreter zugewiesenen Tätigkeiten aus der geänder-ten Aufgabenzuweisung ergeben (BAG v. 10.10.2012 – 7 AZR462/11 – Rn 18 und 6.10.2010 – 7 AZR 397/09 – Rn 22, jeweilszitiert nach juris). Hingegen reicht es – entgegen der Ansichtdes Arbeitsgerichts – bei einer Vertretungsbefristung aus An-lass einer Abordnung regelmäßig nicht aus, wenn die Einstel-lung des befristet beschäftigten Arbeitnehmers lediglich we-gen der „gedanklichen Zuordnung“ dem vorübergehend imUnternehmen anderweitig eingesetzten Beschäftigten zuge-ordnet werden kann (vgl. BAG v. 10.7.2013 – 7 AZR 761/11 –Rn 16, zitiert nach juris).Gemessen an diesen vom Bundesarbeitsgericht aufgestelltenRechtsgrundsätzen zur Befristungskontrolle ergibt sich, dassdie zuletzt im Arbeitsvertrag der Parteien vom 24./31.1.2013vereinbarte und vom Kläger angegriffene Befristung zum16.8.2013 durch den Sachgrund der Vertretung gerechtfertigtwar. Hierzu hat das beklagte Land in der Berufungsinstanz un-widersprochen (§ 138 Abs. 3 ZPO) vorgetragen, der Klägerhabe auch in der Zeit über den 1.2.2013 hinaus bis zum16.8.2013 die sich seinerzeit im Umfang von 2 Stunden betref-fend die Lehrkraft des … (Abordnung an die Bildungsverwal-tung), von weiteren 2 Stunden betreffend die Lehrkraft der …(Mitarbeit in der Fachkommission Landesabitur für beruflicheGymnasien-Technik) und von 4 Stunden betreffend die Lehr-kraft der … (Mitarbeit im Projekt QUABB) durch Erteilung vonUnterricht an der … in Kassel im Umfang von insgesamt 8Pflichtstunden mittelbar vertreten. Zwar hat der Kläger zutref-fend darauf hingewiesen, dass keine der danach von ihm ver-tretenen Lehrkräfte seine Fächer „Kunst“ und „Französisch“unterrichten würden und zudem die Lehrkräfte … und …auch noch an anderen Schulen eingesetzt seien. Dies ist imFall der hier vorliegenden mittelbaren Vertretung allerdings

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auch nicht erforderlich, denn das beklagte Land hat die zurAnnahme der erforderlichen Kausalität – und insoweit ausrei-chende – Vertretungskette im Berufungsrechtszug im Einzel-nen unwidersprochen (§ 138 Abs. 3 ZPO) nachvollziehbar dar-gelegt. Ob der Kläger schließlich, wie von ihm behauptet, fürdas Schuljahr 2013/2014 wieder fest eingeplant gewesen sei,kann in diesem Zusammenhang dahinstehen. Auch insoweithat das beklagte Land unwidersprochen (§ 138 Abs. 3 ZPO)vorgetragen, alle vom Kläger mittelbar vertretenen Lehrkräfteseien zwischenzeitlich wieder im früheren Umfang an den bis-herigen Schulen tätig und der Vertretungsbedarf an derVHMM sei bereits zum Schuljahr 2013/2014 aufgrund einerAbordnung der Lehrkraft … im Umfang von 14 Wochenstun-den von der … aufgrund dortigen Personalüberhangs entfal-len.4. Die Befristung zum 16.8.2013 im 1. Änderungsvertrag derParteien vom 24./31.1.2013 ist auch unter Berücksichtigungder vom Bundesarbeitsgericht in Konkretisierung der nachdem Urteil des EuGH vom 26.1.2012 (C 586/10 – Kücük, NJW2012, S. 989 ff.) unionsrechtlich gebotenen Missbrauchskon-trolle in ersten Entscheidungen (vgl. BAG v. 18.7.2012 – 7 AZR443/09 und v. 10.7.2013 – 7 AZR 761/11, allesamt zitiert nachjuris) entwickelten Rechtsgrundsätzen nicht rechtsunwirksam.a) Die Frage, wann genau eine mehrfache Befristung rechts-missbräuchlich ist, und welche Umstände hierfür eine Rollespielen, ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtsdanach abschließend noch nicht geklärt. Das Bundesarbeits-gericht hat zuletzt in seiner Entscheidung vom 10.7.2013 (vgl.BAG v. 10.7.2013 – 1 AZR 761/11, zitiert nach juris) noch ein-mal betont, dass eine Gesamtabwägung der Umstände desEinzelfalles notwendig ist, und keine zeitlichen oder zahlen-mäßigen Grenzen statuiert, sondern lediglich grobe Orientie-rungshilfen gegeben. Danach kann das Überschreiten der ge-setzlichen Grenzwerte in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG den Schlussauf eine missbräuchliche Gestaltung zulassen, wenn dieseGrenzen alternativ oder insbesondere kumulativ mehrfachüberschritten werden. In diesem Fall ist eine umfassendeMissbrauchskontrolle geboten, in deren Rahmen es zunächstSache des Arbeitnehmers ist, noch weitere für einen Miss-brauch sprechende Umstände vorzutragen. Werden die in§ 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG genannten Grenzen alternativ oder ins-besondere kumulativ in besonders gravierendem Ausmaßüberschritten, kann eine missbräuchliche Ausnutzung der ansich eröffneten Möglichkeit zur Sachgrundbefristung indiziertsein. In einem solchen Fall hat allerdings der Arbeitgeber re-gelmäßig die Möglichkeit, die Annahme des indizierten Ge-staltungsmissbrauchs durch den Vortrag besonderer Um-stände zu entkräften. Ausgehend von diesen Grundsätzen hatdas Bundesarbeitsgericht bei einer Dauer von insgesamt sie-ben Jahren und neun Monaten bei vier befristeten Arbeitsver-hältnissen sowie keinen weiteren – vom Arbeitnehmer vorzu-tragenden – Umständen keine Anhaltspunkte für einen Miss-brauch gesehen (vgl. BAG v. 18.7.2012 – 7 AZR 783/10, zitiertnach juris). Bei einer Gesamtdauer von mehr als elf Jahren und

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einer Anzahl von 13 Befristungen sowie einer gleichbleiben-den Beschäftigung zur Deckung eines ständigen Vertretungs-bedarfs ist das Bundesarbeitsgericht demgegenüber davonausgegangen, die rechtsmissbräuchliche Ausnutzung der ansich eröffneten Möglichkeit der Vertretungsbefristung sei in-diziert, könne aber vom Arbeitgeber noch widerlegt werden(vgl. BAG v. 18.7.2012 – 7 AZR 443/09, zitiert nach juris).b) Ob im Streitfalle die in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG genanntenGrenzen alternativ und kumulativ bereits in besonders gravie-rendem Ausmaß überschritten worden sind und eine miss-bräuchliche Ausnutzung der Sachgrundbefristung damit indi-ziert ist, muss aus Sicht der Berufungskammer abschließendnicht entschieden werden. Allerdings sind die in der Zeit vom1.11.2002 bis 20.6.2008 abgeschlossenen befristeten Arbeits-verhältnisse in die Gesamtwürdigung einzubeziehen (BAG v.10.7.2013 – 7 AZR 761/11 – Rn 30, zitiert nach juris). Dennochergibt sich selbst bei Annahme eines indizierten Rechtsmiss-brauchs bei der gebotenen Gesamtabwägung aller Umständedes vorliegenden Einzelfalls entgegen der Ansicht des Klägerskeine missbräuchliche Ausnutzung der Vertretungsbefristungdurch das beklagte Land. Hiergegen spricht zunächst die er-hebliche Unterbrechungszeit zwischen den ersten, mindes-tens sieben in der Zeit vom 1.11.2002 bis zum 20.6.2008 zwi-schen den Parteien geschlossenen befristeten Arbeitsverträ-gen, zumal diese über zweijährige Unterbrechung zudemnoch auf einer eigenen Entscheidung des Klägers beruhte.Weiter wurde der Kläger im Rahmen seiner befristeten Be-schäftigungen beim beklagten Land an verschiedenen Schu-len (allein ab August 2010: … in …, … in … und … in … ) imSchulamtsbezirk für den Landkreis und die Stadt Kassel unddazu mit unterschiedlichen Stundenkontingenten (allein abAugust 2010: 16, 19, 5 und schließlich 8 Wochenstunden) be-schäftigt; gleiches gilt für die Zeit seiner Beschäftigung beimbeklagten Land im Rahmen der befristeten Arbeitsverhält-nisse vom 1.11.2002 bis 20.6.2008. Schließlich hat das Arbeits-gericht in der angegriffenen Entscheidung in diesem Zusam-menhang weiter zutreffend auf die Besonderheiten des Schul-betriebs abgestellt. Diese sind auch für die Berufungskammerinsbesondere anzunehmen im Hinblick auf den in jedemSchuljahr in nicht vorhersehbarem Umfang entstehendenVertretungsbedarf bspw. aufgrund von Sonderurlaub, Eltern-zeit, Mutterschutz, längerfristigen Erkrankungen und Arbeits-zeitreduzierungen für Lehrkräfte mit unterschiedlichen Fä-cherkombinationen in unterschiedlicher Stundenhöhe. Dasbeklagte Land ist in dieser Hinsicht nicht verpflichtet, einePersonalreserve vorzuhalten, sondern darf auch einen dauer-haft bestehenden Vertretungsbedarf durch befristet einge-stellte Arbeitnehmer – wie in den zurückliegenden Jahren derKläger – abdecken (vgl. auch LAG Düsseldorf v. 17.7.2013 – 7Sa 450/13, zitiert nach juris). Demgegenüber hat der Klägerkeine (weiteren) für einen Missbrauch sprechenden Um-stände aufgezeigt. Sein Hinweis, es habe sich immer umgleichartige Aufgaben gehandelt, verfängt nicht. Dieser Um-stand ist elementar für eine Tätigkeit als Lehrer in den von ihm

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studierten Fächern und kann keinen Hinweis auf einen mögli-chen institutionellen Rechtsmissbrauch geben. Nach alledemergibt sich bei der gebotenen Gesamtabwägung aller Um-stände des vorliegenden Einzelfalls, insbesondere unter Be-rücksichtigung des nach der längeren Unterbrechung vonüber zwei Jahren – die auf Veranlassung des Klägers ge-schah –, noch verbleibenden Befristungszeitraums von runddrei Jahren bei 10 Befristungen und einer Stundenerhöhung,entgegen der Ansicht des Klägers keine missbräuchliche Aus-nutzung der Vertretungsbefristung durch das beklagte Land.(…)■ Hessisches Landesarbeitsgerichtvom 30.7.2014, 2 Sa 200/14eingereicht von Rechtsanwältin Jacqueline GreinertKanzlei Jacqueline Greinert – Die ArbeitgeberkanzleiQuerallee 38, 34119 KasselTel.: 0561/6028580, Fax: 0561/60285818www.arbeitgeberkanzlei.net

126. Befristung, Klagefrist, Präklusion,Betriebsübergang, dreiseitiger Vertrag, Verwirkung

Leitsatz:Für die Anwendbarkeit der Klagefrist des § 17 TzBfG ist es un-erheblich, aus welchen Gründen die Vereinbarung der Befris-tung eines Arbeitsverhältnisses rechtsunwirksam sein soll.Eine Differenzierung danach, ob die Befristungsvereinbarung„nichtig“ oder nur „einfach“ rechtsunwirksam ist, kommt nichtin Betracht.■ Landesarbeitsgericht Kölnvom 5.6.2014, 7 Sa 827/13

127. Befristung, Auslegung § 14 Abs. 3 S. 2 TzBfG

Aus den Entscheidungsgründen:B. (…) II. (…) 1. Die Auslegung des § 14 Abs. 3 S. 2 TzBfG durchdas Arbeitsgericht Osnabrück ist vor dem Hintergrund derEntscheidung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG v. 15.8.2012 –7 AZR 184/11 – juris) überzeugend. Das Berufungsgericht teiltdie Auslegung, der zufolge die Tarifvertragsparteien aufgrundder Ermächtigung des § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG sowohl die Ge-samtdauer der Befristung als auch die Anzahl der Verlänge-rungen erhöhen können. Wenn auch der Wortlaut „oder“ re-gelmäßig Alternativen beschreibt, von denen nur eine zutref-fen kann, ist dies nicht zwingend. ln bestimmten sprachlogi-schen Zusammenhängen kann dieses Wort „oder“ auch eineAufzählung beinhalten. Die vom Bundesarbeitsgericht gege-bene Begründung unter besonderer Berücksichtigung derEntstehungsgeschichte (BT Drucksache 14/4374 Seite 20) istüberzeugend. Die Konjunktion „sowie“ meint ein „und“.Darüber hinaus teilt das Berufungsgericht auch nicht die Kritikder Berufungsbegründung an der bereits zitierten BAG-Ent-scheidung; diese sei bereits deswegen verfehlt, weil sie keineObergrenzen bezüglich Dauer und Anzahl der Wiederholun-gen festgelegt habe.

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BetriebsverfassungsrechtBetriebsverfassungsrecht

Dies ist auch nicht Aufgabe des Bundesarbeitsgerichts gewe-sen. Das Bundesarbeitsgericht hatte in seiner Entscheidungeine konkrete Fallkonstellation zu entscheiden. Erforderlichaber auch genügend ist es gewesen, für diese eine Fallkons-tellation zu entscheiden, ob die in einem Tarifvertrag konkretenthaltenen Vorgaben noch mit dem Gesetzeszweck unterbesonderer Berücksichtigung einer europarechtskonformenAuslegung zulässig gewesen sind. Mit der Feststellung, dassdies so sei, konnte der Streitfall entschieden werden. Eine abs-trakte Festlegung ohne Fallbezug, welches denn das Höchst-maß der Verlängerungsdauer oder (und?) der Anzahl der Wie-derholungen gewesen ist, war nicht erforderlich. (…)■ Landesarbeitsgericht Niedersachsenvom 5.2.2015, 5 Sa 1076/14eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Peter SchraderLaborius – Die Fachanwälte für ArbeitsrechtPodbielskistraße 33, 30163 HannoverTel.: 0511/2155563-32, Fax: 0511/[email protected], www.laborius.eu

128. Sachgrundlose Befristung, Anschlussverbot,Rechtsmissbrauch

Leitsätze:1. Erfährt eine schwerbehinderte Mitarbeiterin im Schreib-büro eines Krankenhausbetriebes ihre Beschäftigung überacht Jahre hinweg am selben – für sie eigens behinderungs-gerecht ausgestatteten – Arbeitsplatz, während die jeweiligenVertragsarbeitgeber (Personaldienstleister) bei jeweils sach-grundlos befristeten Zeitverträgen wechseln, so ist zwar demsogenannten Anschlussverbot in § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG äußer-lich Genüge getan. Der wesentliche Sinn sachgrundloser Be-fristbarkeit von Arbeitsverhältnissen, den Betroffenen eine„Brücke“ in die Festanstellung zu bauen (s. BT-Drucks 13/4612S. 11; 14/4374 S. 14; s. zuvor auch schon BT-Drucks 10/2102S. 15-16), wird damit jedoch verfehlt. Der so geschaffene Dau-erzustand indiziert vielmehr die missbräuchliche Verwendungbefristungsrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten im Sinneder Rechtsprechung des Siebten Senats des Bundesarbeitsge-richts (s. BAG v. 15.5.2013 – 7 AZR 525/11 – NZA 2013, 1214 =MDR 2013, 1411; v. 4.12.2013 – 7 AZR 290/12 – NZA 2014,426 = MDR 2014, 598; 19.3.2014 – 7 AZR 527/12 – NZA 2014,840 = ZTR 2014, 491).2. Kann sich in solcher Lage der letzte Arbeitgeber (hier: Trä-ger des Krankenhausbetriebes) auf die jüngste Befristungnicht berufen (BAG v. 23.9.2014 – 9 AZR 1025/12 – juris), sosteht die betreffende Schreibkraft danach zu ihm bis auf Wei-teres im Dauerarbeitsverhältnis.■ Arbeitsgericht Berlin-Brandenburgvom 13.3.2015, 28 Ca 741/15

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129. Arbeitspflicht nach Stellung einesAuflösungsantrags

Aus den Leitsätzen:1. Das Arbeitsverhältnis besteht auch dann fort, wenn der Ar-beitnehmer einen Auflösungsantrag angekündigt hat, überden das Arbeitsgericht noch nicht entschieden hat. Auchwenn die Auflösung rückwirkend erfolgen kann, ändert diesnichts an dem Umstand, dass das Gericht die Auflösung nichtlediglich feststellt, sondern das Arbeitsverhältnis durch Urteilerst auflöst. Dies bedeutet, dass das Arbeitsverhältnis und da-mit die sich aus ihm ergebenden wechselseitigen Pflichtenbestehen, solange das Arbeitsverhältnis nicht durch (rechts-kräftiges) gestaltendes Urteil des Arbeitsgerichts aufgelöst ist.2. Daher ist ein Arbeitnehmer auch dann, wenn er einen Auf-lösungsantrag mit Tatsachenvortrag verknüpft hat, zur Ar-beitsleistung verpflichtet, solange über den Antrag auf Auflö-sung des Arbeitsverhältnisses ein rechtskräftiges Urteil nochnicht vorliegt (entgegen LAG Rheinland-Pfalz v. 7.4.2005 – 4Sa 955/04). (…)■ Landesarbeitsgericht Kölnvom 12.11.2014, 5 Sa 419/14

Betriebsverfassungsrecht/Personalvertretungsrecht

130. Mitbestimmung, Betriebsrat, Betreiben einerfacebook-Seite durch den Arbeitgeber

Aus den Gründen:Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Arbeitge-berin (Beteiligte zu 2.), eine von ihr betriebene facebook-Seitenicht weiter zu betreiben. (…)Der Antragsteller ist der bei der Arbeitgeberin auf Konzern-ebene gebildete Konzernbetriebsrat. (…)2. Der Hauptantrag ist aber unbegründet. Denn der Betriebder facebook-Seite durch die Arbeitgeberin betrifft die Mitbe-stimmungsrechte des Antragstellers nicht. (…)cc) Ein Mitbestimmungstatbestand nach § 87 Abs. 1 Nr. 6BetrVG liegt nicht vor.(1) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat u.a. mitzu-bestimmen bei der Anwendung von technischen Einrichtun-gen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistungder Arbeitnehmer zu überwachen. „Überwachung“ im Sinneder genannten Vorschrift ist ein Vorgang, durch den Informa-tionen über das Verhalten oder die Leistung des Arbeitneh-mers erhoben und – jedenfalls in der Regel – aufgezeichnetwerden, um sie auch späterer Wahrnehmung zugänglich zumachen. Die Informationen müssen auf technische Weise er-mittelt und dokumentiert werden, so dass sie zumindest füreine gewisse Dauer verfügbar bleiben und vom Arbeitgeberherangezogen werden können (BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, juris; BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, juris). Die Überwa-chung muss aber durch die technische Einrichtung selbst be-

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Personalvertretungsrecht Personalvertretungsrecht

wirkt werden. Dazu muss diese aufgrund ihrer technischenNatur unmittelbar, d.h. wenigstens in ihrem Kern die Überwa-chung vornehmen, indem sie das Verhalten oder die Leistungder Arbeitnehmer kontrolliert. Das Mitbestimmungsrechtnach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG setzt daher voraus, dass die tech-nische Einrichtung selbst und automatisch die Daten über be-stimmte Vorgänge verarbeitet (BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, juris; BAG v. 8.11.1994 – 1 ABR 20/94, juris). Ausreichendist, wenn lediglich ein Teil des Überwachungsvorgangs mittelseiner technischen Einrichtung erfolgt (BAG v. 10.12.2013 – 1ABR 43/12, juris; BAG v. 15.12.1992 – 1 ABR 24/92, juris). ZurÜberwachung „bestimmt“ sind technische Einrichtungendann, wenn sie objektiv geeignet sind, Verhaltens- oder Leis-tungsinformationen der Arbeitnehmer zu erheben und aufzu-zeichnen; auf die subjektive Überwachungsabsicht des Ar-beitgebers kommt es nicht an (BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, juris).Sinn der Vorschrift ist es, Eingriffe in den Persönlichkeitsbe-reich der Arbeitnehmer durch Verwendung anonymer techni-scher Kontrolleinrichtungen nur bei gleichberechtigter Mitbe-stimmung des Betriebsrats zuzulassen (BAG v. 10.12.2013 – 1ABR 43/12, juris; BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, juris). Die auftechnischem Weg erfolgte Ermittlung und Aufzeichnung vonInformationen über den Arbeitnehmer bergen die Gefahr insich, dass in dessen Persönlichkeitsbereiche eingedrungenwird, die einer nicht technischen Überwachung nicht zugäng-lich sind, und dass der Arbeitnehmer zum Objekt einer Über-wachungstechnik gemacht wird, der er sich nicht entziehenkann (BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, juris; BAG v.18.2.1986 – 1 ABR 21/84, juris). Das Persönlichkeitsrecht desArbeitnehmers wird bei einer technisierten Ermittlung vonVerhaltens- und Leistungsdaten wegen der – gegenüber einerÜberwachung durch Menschen – ungleich größeren Möglich-keit zur durchgehenden Datenverarbeitung besonders ge-fährdet. Darüber hinaus sind die Abläufe der technikgestütz-ten Datenermittlung für den Arbeitnehmer vielfach nichtwahrnehmbar, und es fehlt regelmäßig an einer Möglichkeit,sich ihr zu entziehen. Die Einbindung in eine von ihm nichtbeeinflussbare Überwachungstechnik kann zu erhöhter Ab-hängigkeit führen und damit die freie Entfaltung seiner Per-sönlichkeit hindern (BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, juris;BAG v. 8.11.1994 – 1 ABR 20/94, juris).(2) Auf dieser Grundlage unterliegt der Betrieb der facebook-Seite des Arbeitgebers nicht der Mitbestimmung des Antrag-stellers aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.(i) Aus Sicht der Kammer besteht ein Mitbestimmungsrechtzunächst nicht, weil Mitarbeiter von einer negativen Bewer-tung auf der facebook-Seite durch Blutspender betroffen seinkönnten. Allein dass Mitarbeiter auf der facebook-Seite nega-tiv bewertet werden und dass der Arbeitgeber mit den face-book-eigenen Möglichkeiten gezielt nach negativen Einträ-gen suchen könnte, führt nicht dazu, dass er eine technischeEinrichtung betreibt. Denn entscheidend ist aus Sicht derKammer, dass es an der notwendigen Leistungs- oder Verhal-

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tenskontrolle durch die technische Einrichtung selbst fehlt. Er-forderlich ist nach Überzeugung der Kammer, dass ein Vor-gang erfolgt, bei dem Informationen über Verhalten und dieLeistung erhoben und aufgezeichnet werden, um sie spätererWahrnehmung zugänglich zu machen. Auch die Vergabe derÜberwachungstätigkeit an einen Dritten schlösse das Mitbe-stimmungsrecht nicht aus (BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, ju-ris). Stets ist aber erforderlich, dass die Überwachung durchdie technische Einrichtung selbst erfolgt, indem der Kern derÜberwachung durch die Einrichtung selbst vorgenommenwird, d.h. aus ihrer technischen Natur heraus selbst und auto-matisch Daten über bestimmte Vorgänge erhoben und verar-beitet werden.Insoweit ist aus Sicht der Kammer zunächst von Bedeutung,dass durch facebook seitens der Mitarbeiter, die etwaigen ne-gativen Postings ausgesetzt sind, selbst nichts aufgezeichnetwird. Facebook bietet insoweit selbst keinerlei Überwa-chungstätigkeit. Die Mitarbeiter werden also selbst nichtdurch eine technische Einrichtung von facebook in der Blut-spendeeinrichtung überwacht. Es ist lediglich so, dass Blut-spender auf der facebook-Seite Nachrichten mit diversen In-halten hinterlassen können, etwa zustimmende Kommentare,allgemeine Kommentare oder eben auch negative Kommen-tare. Allein dass ein negativer personenbezogener Kommen-tar durch den Blutspender verfasst und auf der facebook-Seitegepostet wird, führt aber nicht dazu, dass eine technische Ein-richtung einen Überwachungsvorgang auslöst. Denn insoweitgibt ein Blutspender nur seine Beobachtungen wieder undschreibt sie auf, ebenso, wie er auch eine E-Mail oder einenBrief über die Beklagte schreiben könnte. Das hat mit Überwa-chung durch eine technische Einrichtung aus Sicht der Kam-mer nichts zu tun. Denn facebook selbst erfasst die Tätigkeitder Mitarbeiter nicht. Es geht nicht um eine technisch ausge-löste Überwachung durch das Medium facebook. Facebookkennt den Mitarbeiter gar nicht.Dieser Vorgang wird auch nicht dadurch zu einer technischenÜberwachung, weil mit den facebook-eigenen „Bordmitteln“eine Suche auf der facebook-Seite durch den Arbeitgebermöglich ist. Insoweit ist dem Antragsteller zwar zuzugeben,dass ein Auffinden oder eine Perpetuierung eines etwaigennegativen Postings durch Suchmöglichkeiten denkbar ist. Da-bei spielt es aber keine Rolle, ob die Funktion „graph-Search“bei facebook verfügbar ist oder nicht. Denn es besteht ohne-hin die Möglichkeit, mit der allgemeinen Suchfunktion bei fa-cebook sämtliche facebook-Seiten zu durchsuchen. Dies isteine Besonderheit der Suchmaschine, weil sie eben – andersals etwa Google – nicht das gesamte Internet, sondern gezieltnur facebook durchsucht. Insoweit kann man bei facebooknach Beiträgen, Fotos, Orten, Seiten, Gruppen, Apps und Ver-anstaltungen suchen. Die Ergebnisse werden in eine Liste ein-getragen. Deshalb kann jeder, der bei facebook angemeldetist, auch Postings auf der Seite der Beteiligten zu 2. finden. Ingleicher Weise könnte mit der allgemeinen Suchfunktion einMitarbeitername eingegeben werden, um zu prüfen, in wel-

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BetriebsverfassungsrechtBetriebsverfassungsrecht

chem anderen Zusammenhang (insbesondere auf welchenanderen facebook-Seiten) er auf facebook-Seiten Spuren hin-terlassen hat. Allein das Vorhalten einer Suchfunktion, mit derman bei facebook nach Informationen (auch) über Mitarbeitersuchen kann, stellt aber weder eine Einführung noch eine An-wendung einer technischen Einrichtung zur Überwachungdar. Selbst wenn der Arbeitgeber hier tatsächlich nach Mitar-beitern suchen würde, fehlt es an der notwendigen Leistungs-und Verhaltenskontrolle durch eine technische Einrichtung.Die Überprüfung der Mitarbeiter wird dann nämlich nicht au-tomatisiert durch facebook in Gang gesetzt, sondern aus-schließlich durch menschliches Handeln. Ein mit der Überprü-fung befasster Mitarbeiter müsste eigenständig über den Ein-satz der Suchmaschine entscheiden und dann gezielt gepos-tete Informationen von Dritten in einen Zusammenhang brin-gen. Sodann müsste er gegebenenfalls weitere Schritte zurAufklärung des Sachverhaltes einleiten, etwa Befragungender übrigen am Blutspendetermin anwesenden Mitarbeiterdurchführen. Es ist also so, dass keine automatisierte Leis-tungs- und Verhaltenskontrolle erfolgt, sondern der Einsatzvon Suchmaschinen bei facebook durch menschliches Han-deln ausgelöst wird und die Erkenntnisse und weiterenSchritte von der Reaktion der Person abhängen, die die Suchedurchführt.Nichts anderes ergibt sich aus den von facebook angebote-nen statistischen Auswertungen. Denn diese betreffen garnicht die Mitarbeiter. Es geht bei der Funktionalität „Messun-gen und Statistiken“ um die Auswertung der Kundenbelange.Dies gilt insbesondere für die „Seitenstatistiken“, die Tools füreine Analyse der eigenen facebook-Seite bereitstellen, indemsie Informationen aufzeigen, wer die Seite besucht und wiediese Personen auf die bereitgestellten Inhalte reagieren (z.B.Anzahl der „likes“). Ebenso wird die Reichweite der Beiträgeermittelt. All dies bezieht sich aber von vornherein nicht aufdie Beschäftigten, sondern auf die Personen, die facebooknutzen, so dass schon keine Funktionalität für eine Kontrollebesteht, weil die Auswertungen in diesem Verhältnis garkeine Rolle spielen. Dies gilt in gleicher Weise für die bei face-book möglichen „Zielgruppenstatistiken“, die demografischeInformationen über die Zielgruppe, etwa Alter oder Ge-schlecht bereitstellen. „Conversion Tracking“ beinhaltet eben-falls nur die Möglichkeit, eigene Werbeanzeigen auf ihren Wir-kungsgrad zu untersuchen. Zwar mögen hierbei auch Mitar-beiter erfasst werden. Dies geschieht aber nicht in ihrer Eigen-schaft als Mitarbeiter, sondern weil diese Mitarbeiter einen ei-genen facebook-Account unterhalten und Beiträge auf derSeite des Arbeitgebers z.B. „geliked“ haben können. Insofernhandelt es sich aber ohnehin nur um anonyme statistischeAuswertungen.Auch eine etwaige Betroffenheit des Persönlichkeitsrechtesder Mitarbeiter begründet das Eingreifen des Mitbestim-mungstatbestandes nicht. Sinn und Zweck ist – wie bereitsaufgezeigt – der Schutz des Persönlichkeitsrechtes vor anony-mer Kontrolle durch die technische Aufzeichnung selbst. Hier

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aber geht es nicht um die Gefahren durch die technische Kon-trolle selbst, sondern um menschlich kontrolliertes Handeln.Dies beginnt schon mit dem Aufzeichnungsvorgang. Ein Blut-spender, der vom Arbeitgeber weder beauftragt noch in sons-tiger Weise instruiert ist, äußert sich frei und unabhängig imRahmen seiner Meinungsfreiheit im vom Arbeitgeber zur Ver-fügung gestellten Medium. Die Suche nach diesem Postingwird von menschlichem Handeln ausgelöst. Das „Ob und Wie“der Suche und die Einleitung von Aufklärungsmaßnahmenstehen dann im Ermessen des „Suchenden“. Eine wie auch im-mer geartete Automatik der Suche und der Verknüpfung vonErgebnissen und Reaktionen besteht nicht.(ii) Das Mitbestimmungsrecht des § 78 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG be-steht auch nicht hinsichtlich der Administratoren. Zuzugebenist dem Antragsteller, dass Mitarbeiter mit der Pflege der Seitebefasst sind. Dabei geht es zum einen um die Bearbeitungvon Postings der Blutspender. Insoweit ist es möglich und ge-schieht es auch, dass die Beklagte die von Blutspendern ein-gestellten Postings mit Kommentaren versieht. Zum anderenmuss die Seite gepflegt werden, so dass es Mitarbeiter gibt,die Blutspendetermine oder sonstige Informationen auf derfacebook-Seite veröffentlichen. Ebenso ist dem Antragstellerzuzugeben, dass bei der Einstellung von Informationen undKommentaren nachvollzogen werden kann, wann diese Infor-mation veröffentlicht worden ist.Auf Grundlage der aufgezeigten Rechtsprechung bestündenach Auffassung der Kammer in Übereinstimmung mit derEntscheidung des Arbeitsgerichtes ein Mitbestimmungsrecht,wenn nachvollzogen werden könnte, welcher Mitarbeiterwann welche Nachricht oder welchen Kommentar auf der fa-cebook-Seite veröffentlicht hat. Denn dann erfolgte durch fa-cebook selbst eine Datenerfassung über den Zugriff auf diefacebook-Seite, die dem Arbeitgeber über die vergebenen Zu-griffsrechte die Nachvollziehung des erfolgten Zugriffs er-möglichte. Es wäre also erkennbar, mit welchem Zugriffsrechtwelcher Beitrag wann veröffentlicht worden ist. Hieraus könn-ten unmittelbar Erkenntnisse über das Arbeitsverhalten desbetroffenen Mitarbeiters gewonnen werden (vgl. nur BAG v.6.12.1983 – 1 ABR 43/81, Rn 179, juris; BAG v. 26.7.1994 – 1ABR 6/94, juris).Das Eingreifen des Mitbestimmungsrechtes hängt aber in je-dem Fall davon ab, dass eine bestimmte Kennung mit einemkonkreten Mitarbeiter in Verbindung gebracht werden kann.Dies ist nicht der Fall. Dazu muss man die Funktionsweise dervergebenen Kennungen berücksichtigen. Die Pflege der face-book-Seite erfolgt über Zugangskennungen, insofern kannman bei facebook „Administratoren-Kennungen“ vergeben.Diese Kennungen berechtigen zum Aufschalten auf den Ac-count und damit zum Zugriff auf die Seite, um dort Nachrich-ten etc. einstellen zu können. Insoweit unterhält die Beteiligtezu 2. unstreitig einen Pool von etwa zehn Mitarbeitern, die mitder Pflege der Seite befasst sind, also über Administratoren-Rechte verfügen. Dazu hatte die Beteiligte zu 2. bisher jedemder etwa zehn Administratoren ein eigenes Administratoren-

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Personalvertretungsrecht Personalvertretungsrecht

Zugriffsrecht eingerichtet, also eine individuelle Kennung. Da-neben besteht aber ebenso auch eine allgemeine Administra-toren-Zugriffskennung. Die Beteiligte zu 2. hat nun die mit derPflege der Seite befassten Mitarbeiter im Laufe des Verfahrensangewiesen, nur noch das allgemeine Kennwort zu benutzen,so dass eine Individualisierung der Zugriffe aus Sicht der Kam-mer nicht mehr möglich ist.Denn für ein Eingreifen des Mitbestimmungsrechtes reicht esnicht aus, dass Kontrolldaten nur einer Gruppe von Arbeitneh-mern zugeordnet werden können, ohne dass eine weitereIdentifizierung möglich ist und ohne dass ein Gruppendruckerzeugt wird.Zunächst ist eine Identifizierung der Mitarbeiter aus Sicht derKammer bei dem vom Arbeitgeber angewendeten Verfahrenausgeschlossen. Dies auch nicht durch die Zuhilfenahme wei-terer Erkenntnisquellen. Zwar ist dem Antragsteller zuzuge-ben, dass die Berechtigung zur Nutzung des Passwortes in Lis-ten festgehalten ist. Eine weitere Identifizierung könnte abernur dann das Mitbestimmungsrecht auslösen, wenn – wieetwa bei der Nutzung eines Fahrtenschreibers – feststellbarwäre, welcher Mitarbeiter unmittelbar betroffen ist. So liegtder Sachverhalt hier aber nicht.Das BAG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dasseine Überwachung durch technische Einrichtungen im Sinnevon § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auch voraussetzt, dass die ermit-telten und aufgezeichneten Verhaltens- und Leistungsdatenauch einzelnen Arbeitnehmern zugeordnet werden können,der einzelne Arbeitnehmer also identifizierbar sein muss. Mit-bestimmungspflichtig ist nicht die Erhebung von Verhaltens-und Leistungsdaten schlechthin, sondern die Erhebung sol-cher auf den Arbeitnehmer bezogener Daten, weil deren Per-sönlichkeitsbereich vor einer technisierten anonymen Über-wachung geschützt werden soll. Das Erfassen der Leistungoder des Verhaltens einer ganzen Abteilung oder Gruppereicht nicht aus (BAG v. 6.12.1983 – 1 ABR 43/81, Rn 179, juris).Eine Ausnahme sei nur dann denkbar, wenn erfasste Verhal-tens- und Leistungsdaten nur einer Gruppe von Arbeitneh-mern zugeordnet werden können, die als Gruppe auch füreine bestimmte Leistung oder ein bestimmtes Verhalten ge-meinschaftlich verantwortlich ist (BAG v. 26.7.1994 – 1 ABR 6/94, juris; BAG v. 18.2.1986 – 1 ABR 21/84, juris; BAG v.6.12.1983 – 1 ABR 43/81, Rn 179, juris). In diesem Fall sinddann Größe und Organisation sowie die Art der Tätigkeit unddie sich für das Gruppenmitglied ergebenden Anpassungs-zwänge zu berücksichtigen (BAG v. 26.7.1994 – 1 ABR 6/94, ju-ris). Auf welche Weise erfasste Leistungs- und Verhaltensda-ten bestimmten Arbeitnehmern zugeordnet werden können,diese Arbeitnehmer also identifizierbar sind, ist gleichgültig.Die Identifizierung muss nicht durch die technische Einrich-tung selbst erfolgen. Es genügt, dass die erfassten Leistungs-und Verhaltensdaten auch in Verbindung mit anderen be-kannten oder außerhalb der technischen Einrichtung gewon-nenen Daten die Zuordnung zu einem bestimmten Arbeit-nehmer erlauben. So werden etwa die durch einen Fahrten-

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schreiber aufgezeichneten Daten einem Arbeitnehmer erstdadurch zugeordnet, dass festgestellt wird, welcher Arbeit-nehmer das Fahrzeug während des Aufzeichnungszeitraumesgefahren hat (BAG v. 6.12.1983 – 1 ABR 43/81, Rn 179, juris).Zunächst erfolgt die Identifikation nicht durch die technischeEinrichtung selbst. Auch in Verbindung mit weiteren Erkennt-nisquellen ist der konkrete Mitarbeiter nicht identifizierbar.Denn durch die Verwendung der identischen Kennung kom-men alle Mitglieder der Gruppe für das Einstellen des Kom-mentars oder der Information in Betracht. Auch wenn mannachvollziehen könnte, dass bestimmte Mitarbeiter ausschei-den, weil sie sich in Urlaub befinden, verbleibt stets eineGruppe von mehreren Arbeitnehmern, die aufgrund ihrer Auf-gabenstellung für die Einstellung des Kommentars oder derInformation in Betracht kommen. Es ist nicht ansatzweise er-sichtlich, in welcher Weise aus der Gruppe der Administrato-ren eine konkrete Interaktion auf der facebook-Seite zugeord-net werden könnte. Denn auch wenn facebook den Zugriff zu-sätzlich noch mit einer IP-Nummer erfassen sollte – was nichteinmal behauptet worden ist – würden alle Zugriffe aus derGruppe dieselbe IP-Nummer aufweisen. Auch aus der Tätig-keit der Administratoren ergibt sich keine Zuordnung als sol-che. Denn die Mitarbeiter sind allesamt zuständig für diePflege der Seiten. Insoweit darf auch nicht übersehen werden,dass die Pflege der facebook-Seite nicht das „Hauptgeschäft“dieser Mitarbeiter ist. Insbesondere sind sie nicht ständig „on-line“, um die Seite zu pflegen. Vielmehr erfolgt der Zugriff le-diglich von „Zeit zu Zeit“. Dass aufgrund der Akten der Arbeit-geberin irgendwie nachvollziehbar wäre, welcher Mitarbeitersich mit welcher Thematik befasst hat, ist nicht ersichtlich. Ins-besondere können auch keine Rückschlüsse aus behandelten„Themen“ gezogen werden, weil es stets eine Gruppe ist, diesich mit der Pflege der Seite befasst. Dies vor allem auch des-halb, weil die Veröffentlichung des Beitrags auch gar nichtdurch den Verfasser des Beitrags, sondern durch jeden derMitarbeiter mit Administratorenrechten erfolgen kann. Darü-ber hinaus zeigt gerade das Aktivitätenprotokoll, dass die Zu-gangskennung gerade nicht ersichtlich ist, Anlage AG 2. Im Er-gebnis ist also allein aus der Verwendung der allgemeinenAdministratorenkennung kein Rückschluss auf einen be-stimmten Mitarbeiter möglich. Eine Identifizierung ist auchnicht auf sonstige Weise möglich. Denn es handelt sich umeine Gruppe von etwa zehn Mitarbeitern, die für die jeweiligeVeröffentlichung in Betracht kommen.Nichts anderes ergibt sich aus der Größe der Gruppe. Es wirdinsbesondere kein Überwachungsdruck erzeugt, der die freieEntfaltung der Persönlichkeit verhindert. Denn dazu ist dieGruppe zu groß, und die vorhandenen Informationen, die le-diglich den Zeitpunkt der Einstellung eines Beitrags erkennenlassen, erzeugen ihn nicht. Es ist deshalb insbesondere nichtersichtlich, dass allein durch die vorhandenen Daten bewirktwerden könnte, dass ein Mitarbeiter dazu bestimmt wird, seineigenes Verhalten an dem der Gruppe auszurichten. Dies magfür kleine Akkordgruppen bis zu sechs Mitarbeiter zutreffen.

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BetriebsverfassungsrechtBetriebsverfassungsrecht

Hier wird aber weder im Akkord gearbeitet, noch ist dieGruppe nach der Anzahl der Mitarbeiter klein. Insoweit er-zeugt allein die Aufzeichnung des Rahmendatums „Einstel-lung“ keinen Überwachungsdruck in der Weise, dass dies dieGruppe derart beeinflussen kann, das Verhalten hieran auszu-richten. Die Kammer hält es für ausgeschlossen, dass sich in-folge der Größe und der Organisation der Gruppe sowie derArt der Tätigkeit Anpassungszwänge ergeben. Auch hier istwiederum zu beachten, dass die Pflege der facebook-Seitenur einen kleinen Teil der Tätigkeit der Arbeitnehmer aus-macht, was wiederum einen „Gruppendruck“ ausschließt.dd) Der Anspruch ergibt sich auch nicht aus einer Verletzungdes § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Denn auch insoweit besteht keinMitbestimmungsrecht.(1) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat mitzube-stimmen in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhal-tens der Arbeitnehmer im Betrieb. Gegenstand dieses Mitbe-stimmungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben undZusammenwirken der Arbeitnehmer (BAG v. 22.7.2008 – 1ABR 40/07, juris; BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, juris; BAG v.8.6.1999 – 1 ABR 67/98, juris; BAG v. 28.5.2002 – 1 ABR 32/01,juris; BAG v. 11.6.2002 – 1 ABR 46/01, juris). Dieses kann derArbeitgeber kraft seiner Leitungsmacht durch Verhaltensre-geln oder sonstige Maßnahmen beeinflussen und koordinie-ren (BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, juris; BAG v. 11.6.2002 – 1ABR 46/01, juris). Zweck des Mitbestimmungsrechts ist es, dieArbeitnehmer hieran zu beteiligen. Sie sollen an der Gestal-tung des betrieblichen Zusammenlebens gleichberechtigtteilnehmen (BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, juris; BAG v.28.5.2002 – 1 ABR 32/01). Nach der ständigen Rechtspre-chung des BAG hat der Betriebsrat dabei nur mitzubestim-men bei Maßnahmen, die das sog. Ordnungsverhalten der Ar-beitnehmer im Betrieb betreffen (BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, juris; BAG v. 28.5.2002 – 1 ABR 32/01, juris). Nicht nach § 87Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig sind dagegenMaßnahmen, die das sog. Arbeitsverhalten regeln sollen. Diessind solche Maßnahmen, mit denen die Arbeitspflicht unmit-telbar konkretisiert und abgefordert wird (BAG v. 22.7.2008 –1 ABR 40/07, juris; BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, juris; BAGv. 11.6.2002 – 1 ABR 46/01). Danach ist das außerbetrieblicheVerhalten der Arbeitnehmer der Regelungskompetenz der Be-triebsparteien entzogen. Dementsprechend berechtigt § 87Abs. 1 Nr. 1 BetrVG die Betriebsparteien nicht, in die privateLebensführung der Arbeitnehmer einzugreifen (BAG v.27.1.2004 – 1 ABR 7/03, juris). Der „Betrieb“ i.S.d. § 87 Abs. 1Nr. 1 BetrVG ist allerdings nicht auf die Betriebsstätte be-schränkt. Der Begriff des Betriebs ist nicht räumlich, sondernfunktional zu verstehen. Das folgt aus dem Sinn und Zweckdes Mitbestimmungsrechts. Dieses betrifft nicht die Organisa-tion der dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Sachmit-tel, sondern das Zusammenwirken der Arbeitnehmer. Das Mit-bestimmungsrecht soll immer dann ausgeübt werden kön-nen, wenn der Arbeitgeber das mit ihrer Tätigkeit verbundeneVerhalten der Arbeitnehmer regelt. Daher besteht es auch

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dann, wenn es um das Verhalten der Arbeitnehmer außerhalbder Betriebsstätte geht. Auch dann ist das „betriebliche“ Ver-halten betroffen (vgl. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07, juris; BAG v.27.1.2004 – 1 ABR 7/03, juris; BAG v. 11.6.2002 – 1 ABR 46/01,juris; BAG v. 28.5.2002 – 1 ABR 32/01, juris).

(2) Auch insoweit besteht kein Mitbestimmungsrecht. Die Er-öffnung der facebook-Seite selbst betrifft offensichtlich nichtdas „Ordnungsverhalten“ der Mitarbeiter in diesem Sinne.Auch die Anweisung der Administratoren zur Pflege der Seitestellt nur eine Anweisung betreffend das Arbeitsverhalten dar.

Denkbar wäre es aber, dass der vom Arbeitgeber erstellte undan die Mitarbeiter verteilte Leitfaden zum Umgang mit SocialMedia Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVGauslöst. Dieser Leitfaden erklärt zum einen das Medium face-book. Er gibt zum anderen aber auch Hinweise zur Nutzungdes Mediums im privaten Bereich, soweit sich die Mitarbeiterauf facebook als Mitarbeiter (…) zu erkennen geben. So istetwa der Hinweis enthalten, dass derjenige, der sich als Mitar-beiter der Beteiligten zu 2. zu erkennen gibt, auf politischeÄußerungen verzichten muss.

Es kann allerdings aus Sicht der Kammer offen bleiben, ob derLeitfaden dem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1BetrVG unterfällt. Denn der Leitfaden betrifft nicht den Be-trieb der facebook-Seite des Arbeitgebers. Der Antragstellerbegehrt nicht etwa die Unterlassung der weiteren Verwen-dung des Leitfadens, sondern möchte den Betrieb der face-book-Seite unterbinden. Die Nutzung der facebook-Seite aberist unabhängig vom Leitfaden. Denn der Leitfaden betrifftnicht den Betrieb der eigenen Seite, sondern befasst sich all-gemein mit der Nutzung des Mediums facebook. Er gibt zwarauch Hinweise für das konkrete Verhalten der Mitarbeiter (ne-tiquette), auch ist Anlass der eigene facebook-Auftritt der Ar-beitgeberin. Bezüglich der eigenen facebook-Seite werdendie Mitarbeiter lediglich eingeladen zu folgen.

Ein etwaiger Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht hataber nicht die Abschaltung der facebook-Seite, sondern nureine Unterlassung der weiteren Verwendung des Leitfadenszur Folge. Denn Mitbestimmungsrecht und geltend gemach-tes Begehren müssen korrespondieren, gerade ausgerichtetan der konkreten Verletzungshandlung. Dies ist hier aus Sichtder Kammer nicht der Fall. Denn der Betrieb der facebook-Seite als solche betrifft nicht das Ordnungsverhalten der Ar-beitnehmer. Vielmehr handelte es sich um ein betrieblichesMedium zur Kundenbindung. Der Leitfaden ist davon zu abs-trahieren und mag seinerseits dem Mitbestimmungsrecht desAntragstellers unterliegen. Eine Auswirkung auf den Betriebder unternehmenseigenen Seite hat dies aber aus Sicht derKammer nicht. (…)

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Personalvertretungsrecht Personalvertretungsrecht

III. (…) Gegen diesen Beschluss kann vom AntragstellerRechtsbeschwerde eingelegt werden. (…)■ Landesarbeitsgericht Düsseldorfvom 12.1.2015, 9 TaBV 51/14eingereicht von Rechtsanwalt Rüdiger MatyssekRechtsanwälte Matyssek Kirchmann FreundDüsseldorfer Straße 21, 40878 RatingenTel.: 02102/7114012, Fax: 02102/[email protected],www.matyssek-kirchmann.de

131. Betriebsrat, Anzahl der Freistellungen,Leiharbeitnehmer

A. Sachverhalt:Die Beteiligten streiten darüber, ob ein weiteres Betriebsrats-mitglied nach § 38 BetrVG von seiner beruflichen Tätigkeitfreizustellen ist. Maßgeblich für die Entscheidung ist, ob beider Berechnung der Belegschaftsstärke die im Betrieb be-schäftigten Leiharbeitnehmer einzubeziehen sind. (…)B. Entscheidungsgründe:II. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist jedoch unbegründetund war daher zurückzuweisen. Das Arbeitsgericht hat mit zu-treffender und ausführlicher Begründung richtig entschieden,dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, Frau B. als weiteres Be-triebsratsmitglied nach § 38 Abs. 1 BetrVG freizustellen.1. Der zutreffenden Argumentation des Arbeitsgerichtsschließt sich das Beschwerdegericht vollumfänglich an. Insbe-sondere hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt, dass dasBundesarbeitsgericht die sogenannte Zwei-Komponenten-Lehre bei drittbezogenem Personaleinsatz eingeschränkt hat,und das Arbeitsgericht hat ebenso zutreffend erkannt, dass esmaßgeblich darauf ankommt, welche Funktion dem Arbeit-nehmerbegriff in § 38 Abs. 1 BetrVG zukommt, insbesonderewelchen Sinn und Zweck die Vorschrift des § 38 Abs. 1 BetrVGverfolgt. Zutreffend ist das Arbeitsgericht dabei zu dem Er-gebnis gelangt, dass § 38 Abs. 1 BetrVG in pauschalierenderForm die Mindestzahl von Freistellungen regelt, um einemöglichst wirksame Betriebsratsarbeit zu sichern. Ebenso zu-treffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass dieEntscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.3.2003 zuder Auslegung des Arbeitnehmerbegriffes in § 9 BetrVG ihremSinn nach für die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffes in§ 38 Abs. 1 BetrVG heranzuziehen ist. Das Beschwerdegerichtschließt sich der arbeitsgerichtlichen Argumentation daherzunächst in vollem Umfang an und nimmt auf sie Bezug.2. Auch die von der beschwerdeführenden Arbeitgeberin inder Beschwerde vorgetragenen Argumente führen zu keinemanderen Ergebnis.a) Zunächst weist die Arbeitgeberin zu Recht darauf hin, dassdas Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom22.10.2003 (7 ABR 3/03) es noch abgelehnt hat, bei der Be-rücksichtigung der für die Zahl der freizustellenden Betriebs-ratsmitglieder maßgeblichen Belegschaftsstärke im Zusam-

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menhang mit § 38 Abs. 1 BetrVG die im Betrieb beschäftigtenLeiharbeitnehmer überhaupt mitzuzählen. Diese Entschei-dung lässt sich jedoch im Hinblick auf die Entscheidung desBundesarbeitsgerichts vom 13.3.2013 (7 ABR 69/11) in dieserWeise nicht aufrechterhalten, und das Beschwerdegerichtweicht von ihr daher auch ab.b) Die Argumentation der Arbeitgeberin, die Entscheidungdes Bundesarbeitsgerichts zur Größe des Betriebsrates nach§ 9 S. 1 BetrVG lasse sich für die Ermittlung der Beschäftigten-zahl nach § 38 Abs. 1 BetrVG nicht heranziehen, teilt das Be-schwerdegericht nicht. Zunächst hat das Arbeitsgericht zu-treffend unter entsprechender Zitierung der genannten Ent-scheidung vom 13.3.2013 herausgearbeitet, dass die dort an-geführten Argumente bezüglich der zusätzlichen Belastungdes Betriebsrates in seiner täglichen Arbeit durch die Beschäf-tigung von Leiharbeitnehmern im Betrieb in Bezug auf § 9und § 38 BetrVG identisch sind.c) Soweit die Arbeitgeberin eine fehlende Übertragbarkeit da-rauf stützt, dass § 38 BetrVG den unbestimmten Rechtsbegriff„in der Regel“ verwende, was mit der Definition der Leiharbeitals einer „vorübergehenden“ Überlassung an den Entleiher imSinne von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG nicht vereinbar sei, so berück-sichtigt dieses Argument bereits nicht, dass auch bei einer je-weils individuell betrachtet nur vorübergehenden Überlas-sung eines Leiharbeitnehmers an den Entleiher gleichwohldie Stärke der Belegschaft dadurch gekennzeichnet sein kann,dass dort ständig Leiharbeitnehmer beschäftigt sind, selbstdann, wenn unter den Leiharbeitnehmern eine erheblicheFluktuation herrscht. Die Situation ist keine andere als in ei-nem Betrieb, der „eigene“ Arbeitnehmer beschäftigt, unterdenen eine erhebliche Fluktuation herrscht. Der Begriff „in derRegel“, der in § 38 Abs. 1 BetrVG verwendet wird, dient der Er-mittlung einer für den Betrieb typischen Beschäftigtenzahlund sagt nichts darüber aus, ob diese Beschäftigten in diesemBetrieb bei individueller Betrachtung über eine längere Zeittätig sein müssen. Im Übrigen verkennt die Beschwerde hier,dass auch § 9 S. 1 BetrVG auf die „in der Regel“ beschäftigtenArbeitnehmer abstellt. Es besteht hier gerade kein Unter-schied zwischen § 9 und § 38 Abs. 1 BetrVG.d) Zutreffend weist die Beschwerde weiter darauf hin, dass in§ 38 Abs. 1 BetrVG die Wahlberechtigung der einzelnen Ar-beitnehmer keine Rolle spielt. Das ist aber auch im Zusam-menhang mit der Betriebsratsgröße nach § 9 S. 1 BetrVG beieiner Belegschaftsstärke von mehr als 100 Arbeitnehmernebenfalls nicht relevant. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht inseiner Entscheidung vom 13.3.2013 angesichts des Umstands, dass die im Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer bei derErmittlung der Beschäftigtenzahl für die Bestimmung derGröße des Betriebsrates mit heranzuziehen sind, darauf abge-stellt, dass § 9 S. 1 BetrVG in Betrieben bis 100 Arbeitnehmerauf die Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer abstellt undes systemwidrig sei, einerseits den Leiharbeitnehmern dasWahlrecht zuzubilligen, sie andererseits dann aber nicht beider Betriebsratsgröße zu berücksichtigen. Dieses Argument

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BetriebsverfassungsrechtBetriebsverfassungsrecht

entfällt in der Tat im Zusammenhang mit § 38 Abs. 1 BetrVG,weil es hier auf die Wahlberechtigung nicht ankommt.e) Zutreffend ist auch der Ansatz der Arbeitgeberin, dass § 38Abs. 1 BetrVG nicht im Zusammenhang mit § 9 S. 1 BetrVG zusehen sei, sondern maßgeblich bezogen ist auf die vom Be-triebsrat zu erledigenden Aufgaben. Er stellt eine unwiderleg-bare Vermutung dafür auf, dass bei der bestimmten Betriebs-größe eine bestimmte Anzahl von vollständigen Freistellun-gen von Betriebsratsmitgliedern von der beruflichen Tätigkeitzur sachgerechten Erledigung der Betriebsratsaufgaben erfor-derlich ist. Er konkretisiert insoweit § 37 Abs. 2 BetrVG. DieSchlussfolgerung der Arbeitgeberin, die sie hieraus zieht, dassBezugspunkt der Staffelung in § 38 Abs. 1 BetrVG nicht einestarre Anzahl wahlberechtigter Arbeitnehmer sein kann, istnur insoweit richtig, als es nicht auf die Wahlberechtigung derArbeitnehmer ankommt. Ansonsten ergibt sich aus der Lek-türe des § 38 Abs. 1 BetrVG zwanglos, dass es auch hier aufeine „starre“ Anzahl von Arbeitnehmern ankommt. Der Unter-schied zu § 9 besteht lediglich darin, dass diese nicht wahlbe-rechtigt sein müssen. § 38 Abs. 1 BetrVG enthält eben ge-nauso wie § 9 S. 1 BetrVG eine an die Zahl der Arbeitnehmergeknüpfte Pauschalierung. Ebenso wie es für die Größe desBetriebsrates nicht darauf ankommt, wie viel Arbeit die dortvorhandenen Arbeitnehmer im Betriebsrat tatsächlich ma-chen, so kommt es genauso wenig im Rahmen der Freistel-lung nach § 38 Abs. 1 darauf an, wie viel Arbeit im Einzelfalldem Betriebsrat durch die vorhandene Anzahl an Arbeitneh-mern entsteht. Es handelt sich eben gerade um eine unwider-legliche Vermutung und damit auch um eine Pauschalierungder freizustellenden Betriebsratsmitglieder. Daraus ergibt sichaber nicht, dass die Leiharbeitnehmer nicht mit zu berücksich-tigen seien. Auch dieses Argument ist für die Auslegung des§ 38 Abs. 1 BetrVG nicht weiterführend. Lediglich die Fragevon Schwankungen der Belegschaftsstärke ist in § 9 BetrVGi.V.m. § 13 und § 38 Abs. 1 BetrVG unterschiedlich geregelt.Das dauerhafte Unterschreiten des Schwellenwertes kann je-derzeit zum Wegfall der Freistellung führen, was zwar belegt,dass die Freistellungen nach § 38 Abs. 1 BetrVG am konkretenBedarf anknüpfen, der aber wiederum durch die Staffelungpauschal ermittelt wird.f ) Ebenso wenig hilft der Hinweis darauf, dass nach § 38 Abs. 1S. 5 BetrVG die Möglichkeit der Vereinbarung von anderenFreistellungsregelungen besteht. Auch dann, wenn durch Be-triebsvereinbarung oder Tarifvertrag anderweitige Freistel-lungsregelungen getroffen werden, handelt es sich dabei wei-terhin um eine pauschale Regelung, die losgelöst von demtatsächlichen Arbeitsbedarf im einzelnen Betrieb die Zahl derfreizustellenden Betriebsratsmitglieder bestimmt (GK BetrVG/Weber, § 38 Rn 36). Es ist zutreffend, dass diese Möglichkeit imRahmen des § 9 S. 1 BetrVG nicht besteht, jedenfalls nicht di-rekt. Die indirekten Beeinflussungsmöglichkeiten der Be-triebsratsgröße bestehen jedoch nach den §§ 3 und 4 BetrVG.Das spielt jedoch keine Rolle, weil der bloße Umstand, dassdie Zahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder durch Be-

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triebsvereinbarung oder Tarifvertrag abweichend geregeltwerden kann, wiederum keine Aussage darüber zulässt, obLeiharbeitnehmer im Rahmen der Zahlstaffelung nun mitzäh-len oder nicht.

g) Es ist unbestritten, dass es zwischen § 9 S. 1 BetrVG und§ 38 Abs. 1 BetrVG durchaus Unterschiede gibt. Die Unter-schiede begründen jedoch nicht, dass im Rahmen des § 38Abs. 1 Leiharbeitnehmer mitzuzählen sind oder nicht mitzu-zählen sind. Das erschließt sich in erster Linie über den Zweckdes Gesetzes, den das Arbeitsgericht in seiner Entscheidungzutreffend herausgearbeitet hat. Die Angriffe der Beschwerdegegen diesen Teil der arbeitsgerichtlichen Entscheidung ge-hen ebenfalls fehl. Die Arbeitgeberin kann sich zwar auf dieAusführungen im Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom22.10.2003 berufen. Nach den nunmehr vorliegenden Ausfüh-rungen im Beschl. v. 13.3.2013 geht das Gericht jedoch davonaus, dass diese Ausführungen überholt sind. Es mag sein, dassdie letzten Änderungen im AÜG nicht zu einem erhöhten Ar-beitsaufwand des Betriebsrats führen, denn das Gesetz ist inBezug auf die betriebsverfassungsrechtliche Rechtsstellungdes Leiharbeitnehmers unverändert geblieben. Was jedoch zueinem erhöhten Arbeitsaufwand des Betriebsrats führt, ist derUmstand, dass in vielen Unternehmen in erheblich zuneh-mender Zahl Leiharbeitnehmer eingesetzt werden. Auch derBetrieb der Arbeitgeberin zeigt, dass die Zahl der Leiharbeit-nehmer am Anteil der Gesamtbelegschaft einen erheblichenUmfang ausmacht.

So ist die Zahl der Zeitarbeitnehmer in den letzten zehn Jah-ren bundesweit um das Zweieinhalbfache gestiegen (Arbeits-marktberichterstattung durch die Bundesagentur für Arbeit,Februar 2014). Insbesondere sind die Zeitarbeitsverhältnisseauch durch eine hohe Fluktuation geprägt; die Hälfte der Zeit-arbeitsverhältnisse dauerte nicht länger als drei Monate (ebd,S. 19). Die Tätigkeiten des Betriebsrats im Entleiherbetrieb inBezug auf die Leiharbeitnehmer werden von der Beschwerde-führerin allerdings verkürzt dargestellt. Sie blendet den Be-reich der Mitbestimmung nach § 87 BetrVG, der auch in ei-nem erheblichen Teil vom Betriebsrat des Entleiherbetriebeswahrgenommen werden muss, vollständig aus. Zudem ver-kennt sie auch, dass alleine durch die Fluktuation von Leihar-beitnehmern für den Betriebsrat ein erhöhter Arbeitsaufwandentsteht. Wegen des tatsächlichen Arbeitsaufwandes, derdem Betriebsrat des Entleiherbetriebes durch den Einsatz vonLeiharbeitnehmern entstehen kann, hat das Arbeitsgericht inseiner Entscheidung schon zutreffend auf die Darstellung inder Entscheidung vom Bundesarbeitsgericht vom 13.3.2013hingewiesen.

Soweit die Arbeitgeberin differenzierende Lösungen verlangt,ist dem beizupflichten. Jedoch ergibt die Betrachtung desSchwellenwertes § 38 Abs. 1 BetrVG, dass im Rahmen dieserdifferenzierenden Lösungen unter Berücksichtigung des je-weiligen Normzwecks auch hier die im Betrieb regelmäßig be-schäftigten Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung der Zahl der

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Personalvertretungsrecht Personalvertretungsrecht

freizustellenden Betriebsratsmitglieder zu berücksichtigensind.

h) Der Vorwurf der Beschwerde, das Arbeitsgericht habe dasEuroparecht verletzt, indem es gegen die Richtlinie 2008/04/EWG verstoßen habe, ist nicht nachvollziehbar. Zutreffendweist die Beschwerde noch darauf hin, dass Art. 7 Abs. 2 und3 den Mitgliedstaaten ein Wahlrecht hinsichtlich der Berück-sichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Errichtung von Ar-beitnehmervertretungen einräumt. Wieso ein Verstoß gegendiese Richtlinie vorliegen soll, wenn das Arbeitsgericht nun-mehr entschieden hat, dass für die Frage der freizustellendenBetriebsratsmitglieder die Leiharbeitnehmer im Entleiherbe-trieb zu berücksichtigen sind, wo doch die Richtlinie diese Op-tion ausdrücklich einräumt, bleibt im Dunkeln. Die Be-schwerde meint möglicherweise, dass es Sache des Gesetzge-bers sei, die Zuordnung der Leiharbeitnehmer eindeutig zuregeln. Das betrifft aber nicht die Vereinbarkeit mit Europa-recht, sondern die Frage, ob § 38 Abs. 1 BetrVG (ebenso wie§ 9 S. 1 BetrVG) auslegungsfähig ist oder nicht. Das Arbeitsge-richt ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Vorschriftenauslegungsfähig sind, weil bereits der Wortlaut nicht eindeu-tig ist. Auch das Bundesarbeitsgericht ist in seiner Entschei-dung zu § 9 S. 1 BetrVG von einer Auslegungsfähigkeit ausge-gangen und hat diese ausführlich vorgenommen. Dieses Ar-gument der Beschwerdeführerin hat nichts mit der Frage derEuroparechtswidrigkeit zu tun, sondern allenfalls mit derFrage, ob es den deutschen Gerichten verboten ist, die Frageder Leiharbeitnehmer und ihrer betriebsverfassungsrechtli-chen Berücksichtigung durch Auslegung des Betriebsverfas-sungsgesetzes zu ermitteln. Dass dem nicht so ist, wurdeoben dargelegt.

i) Entscheidend bleibt daher, dass durch die Beschäftigungvon Leiharbeitnehmern für den Betriebsrat im Entleiherbe-trieb mehr Arbeitsaufwand entsteht. Da § 38 Abs. 1 BetrVGdem Betriebsrat zur Bewältigung des durch die Zahl der Be-schäftigten entstehenden Arbeitsaufwandes pauschale Frei-stellungen zubilligt, entspricht es Sinn und Zweck dieser Vor-schrift, bei der Ermittlung der Zahl der beschäftigten Arbeit-nehmer auch die Zahl der regelmäßig beschäftigten Leihar-beitnehmer zu berücksichtigen. Das hat das Arbeitsgerichtrichtig entschieden. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist da-her unbegründet und war zurückzuweisen.

III. Auch wenn die hier getroffene Entscheidung im Einklangmit der überwiegenden Auffassung in der Fachliteratur zurAuslegung des § 38 Abs. 1 BetrVG steht (…), war für die Ar-beitgeberin gleichwohl die Rechtsbeschwerde zuzulassen,weil die vorliegende Entscheidung von der Entscheidung des

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Bundesarbeitsgerichts vom 22.10.2003, 7 ABR 3/03 abweicht.(…)■ Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg – Kammern Frei-burg –vom 27.2.2015, 9 TaBV 8/14eingereicht von Rechtsanwalt Thomas GnannRechtsanwälte Gnann, Thauer & KollegenBertoldstraße 48, 79098 FreiburgTel.: 0761/704090, Fax: 0761/[email protected], www.arbeitsrecht24.com

132. Anfechtung der Betriebsratswahl, Größe desGremiums

Leitsatz:1. Regelmäßig im Entleiherbetrieb beschäftigte Leiharbeit-nehmer sind bei der Anwendung der Staffel des § 9 S. 1BetrVG zu berücksichtigen (im Anschluss an BAG v.13.3.2013 – 7 ABR 69/11).2. Wurden in der Vergangenheit in einem Umfang Leiharbeit-nehmer beschäftigt, der zur Überschreitung eines Staffelwertsdes § 9 Abs. 1 BetrVG führte, müssen für eine Prognose desWahlvorstandes, dies werde zukünftig nicht mehr der Fallsein, konkrete, auf Tatsachen gestützte Anhaltspunkte beste-hen. (…)Gründe:I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Betriebsrats-wahl. (…)II. 2. Der Anfechtungsantrag ist auch begründet. Es wurde ge-gen eine wesentliche Vorschrift des Wahlverfahrens im Sinnedes § 19 Abs. 1 BetrVG dadurch verstoßen, dass ein nur 3-köp-figes Betriebsratsgremium gewählt wurde, obwohl der Be-triebsrat aus fünf Personen bestehen müsste. Es liegt damitein Verstoß gegen § 9 S. 1 BetrVG vor, der eine wesentlicheVorschrift im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG ist (BAG v.13.3.2013 – 7 ABR 69/11, EZA, § 9 BetrVG 2001, Nr. 6). Eine Be-richtigung des Fehlers im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG kommtbei einem Verstoß gegen § 9 S. 1 BetrVG nicht in Betracht(BAG v. 13.3.2013, a.a.O.; BAG v. 7.5.2008 – 7 ABR 17/07, EZA,§ 9 BetrVG 2001, Nr. 4).3. Bei dem Betrieb der Arbeitgeberin handelt es sich um einensolchen, in welchem in der Regel mehr als 50 wahlberechtigteArbeitnehmer und weniger als 101 Arbeitnehmer im Sinnedes § 9 S. 1 BetrVG beschäftigt werden, so dass nicht ein 3-,sondern ein 5-köpfiger Betriebsrat zu wählen war.a) Unstreitig waren am maßgeblichen Stichtag des Wahlaus-schreibens (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 5, § 31 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 WO; GK/BetrVG/Kreutz-Jacobs, BetrVG, 10. Auflage, § 9 Rn 14) 32 Perso-nen als „eigene“ Arbeitnehmer der Arbeitgeberin beschäftigt,die sowohl „in der Regel“ beschäftigte Arbeitnehmer im Sinnedes § 9 S. 1 BetrVG, als auch nach § 7 S. 1 BetrVG wahlberech-tigte Arbeitnehmer waren.b) Darüber hinaus werden bei der Arbeitgeberin in erhebli-chem Umfang Leiharbeitnehmer beschäftigt, die als in der Re-

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BetriebsverfassungsrechtBetriebsverfassungsrecht

gel beschäftigte Arbeitnehmer im Sinne des § 9 S. 1 BetrVGgelten. Die Beschwerdekammer folgt insoweit der Rechtspre-chung des Bundesarbeitsgerichts im Beschl. v. 13.3.2013 (7ABR 69/11, a.a.O.), wonach im Entleiherbetrieb regelmäßig be-schäftigte Leiharbeitnehmer bei der Anwendung der Staffeldes § 9 S. 1 BetrVG zu berücksichtigen sind. Maßgebend fürdie Ermittlung der Beschäftigtenzahl nach § 9 S. 1 BetrVG istnicht die durchschnittliche Anzahl der Beschäftigten eines be-stimmten Zeitraums, sondern die normale Beschäftigtenzahl,also diejenige Personalstärke, die für den Betrieb im Allgemei-nen kennzeichnend ist. Dabei hat der Wahlvorstand für dieFeststellung der Arbeitnehmerzahl nicht nur den Personalbe-stand in der Vergangenheit zugrunde zu legen, sondern auchdie künftige, aufgrund konkreter Entscheidungen des Arbeit-gebers zu erwartende Entwicklung des Beschäftigungsstan-des einzubeziehen. Maßgebend sind die Verhältnisse bei Er-lass des Wahlausschreibens. Werden Arbeitnehmer nicht stän-dig, sondern lediglich zeitweilig beschäftigt, kommt es für dieFrage der regelmäßigen Beschäftigung darauf an, ob eine Be-schäftigung während des größten Teils eines Jahres besteht(BAG v. 7.5.2008 – 7 ABR 17/07; EZA, § 9 BetrVG 2001, Nr. 4).Unter Berücksichtigung der personellen Besetzung in der Ver-gangenheit, bestätigt durch die gegenwärtige personelleStärke, konnte der Wahlvorstand nicht von einer für den Be-trieb im Allgemeinen kennzeichnenden Personalstärke vonweniger als 51 Arbeitnehmern im Sinne des § 9 S. 1 BetrVGausgehen. Das Arbeitsgericht hat im angefochtenen Be-schluss zutreffend darauf hingewiesen, dass im Jahr 2013 nurin einem Monat (November) der nach § 9 S. 1 für ein 5-köpfi-ges Gremium erforderliche Schwellenwert unterschrittenwurde. In den ersten fünf Monaten des Jahres 2014 wurdenzwischen 84 und 107 Personen beschäftigt. Ausweislich ihrerBeschwerdeerwiderung geht auch die Arbeitgeberin davonaus, dass für ihren Betrieb im Allgemeinen eine Beschäftigten-zahl von mehr als 50 Arbeitnehmern kennzeichnend ist.Angesichts der Notwendigkeit einer Prognose und den in vie-len Betrieben schwankenden Beschäftigtenzahlen ist demWahlvorstand zwar ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzu-gestehen (vgl. GK-BetrVG/Kreutz-Jacobs, § 9 Rn 15). Angesichtsder erheblichen Überschreitung des Schwellenwertes müss-ten aber für die Annahme des Wahlvorstandes, in der Regelwürden allenfalls 50 Arbeitnehmer im Sinne des § 9 S. 1BetrVG beschäftigt werden, nachvollziehbare Tatsachen vor-liegen, die eine derartige Prognose rechtfertigen. Solche Tat-sachen sind vom Betriebsrat im vorliegenden Beschwerdever-fahren nicht aufgezeigt worden. Er hat in seiner Beschwerdeinsoweit lediglich darauf verwiesen, der Wahlvorstand habezu berücksichtigen gehabt, dass Frequenz und Anzahl desEinsatzes des Fremdpersonals mit Abklingen der Saison imFrühsommer stark zurückgehen werden und die Arbeitgebe-rin den Einsatz des überwiegenden Anteils der Leiharbeitneh-mer auf die Saison begrenze. Eine solche saisonale Schwan-kung ist hingegen aufgrund des Verlaufs des Beschäftigungs-standes im Jahre 2013 nicht nachvollziehbar. Es ist auch keine

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unternehmerische Entscheidung ersichtlich, die erwarten ließ,es käme bei prognostischer Betrachtung zu einem Absinkender Beschäftigtenzahl. Im Gegenteil geht die Arbeitgeberinausweislich ihrer Beschwerdeerwiderung nach wie vor von ei-ner Überschreitung des Schwellenwertes von 50 Arbeitneh-mern im Sinne des § 9 S. 1 BetrVG aus.c) Auch die weitere Voraussetzung, dass im Betrieb der Arbeit-geberin regelmäßig zumindest 51 wahlberechtigte Arbeit-nehmer beschäftigt werden, ist erfüllt.Die Wahlberechtigung von Leiharbeitnehmern bemisst sichnach § 7 S. 2 BetrVG und ist gegeben, wenn Leiharbeitnehmerlänger als drei Monate im Betrieb eingesetzt werden. Auch be-züglich der Voraussetzung der Wahlberechtigung bedarf esim Rahmen der Anwendung des § 9 S. 1 BetrVG der Feststel-lung des Regel- bzw. Normalstandes, wobei dem Wahlvor-stand auch insoweit ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzu-gestehen ist. Es bedarf neben einer Rückschau auf die zurück-liegende Situation auch einer, allerdings auf Tatsachen ge-stützten Prognose (GK-BetrVG, a.a.O., § 9, Rn 15).In Anwendung dieser Grundsätze durfte der Wahlvorstandnicht davon ausgehen, dass regelmäßig weniger als 51 wahl-berechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden.Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Wahlvorstand imRahmen einer Rückschau selbst von 41 wahlberechtigtenLeiharbeitnehmern ausging, die in die Wählerliste aufgenom-men wurden. Ebenso geht die Arbeitgeberin ausweislich derBeschwerdeerwiderung davon aus, dass das Vorhandenseinvon zumindest 19 wahlberechtigten Leiharbeitnehmern fürihren Betrieb kennzeichnend ist. Bestätigt wird dies durch diepersonelle Entwicklung nach Bekanntgabe des Wahlergebnis-ses: Die Aufstellung gemäß Bl. 108 ff. d. A. zeigt, dass auch inden Monaten Juni, Juli und August 2014 mehr als 19 Leihar-beitnehmer durchgängig beschäftigt waren.Der Betriebsrat zeigt demgegenüber keine Tatsachen auf, dieeine Prognose dahingehend rechtfertigen konnten, die regel-mäßige Anzahl auch wahlberechtigter Leiharbeitnehmerwerde zukünftig unter zumindest 19 Personen sinken. Auchinsoweit verweist er lediglich auf saisonale Schwankungen,ohne dass hierfür ausreichende tatsächliche Anhaltspunktebestehen. (…)■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalzvom 6.3.2015, 1 TaBV 23/14

133. Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit imBeschlussverfahren, Übergangsmandat, Restmandat

Leitsätze:1. Zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts bei ei-nem negativen Kompetenzkonflikt im arbeitsgerichtlichenBeschlussverfahren2. Nach einer Betriebsaufspaltung oder -abspaltung hat derbisherige Betriebsrat für die neu entstandenen Betriebe unterden Voraussetzungen des § 21a Abs. 1 S. 1 BetrVG ein Über-gangsmandat. Für den Ursprungsbetrieb hat er im Fall der

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Prozessuales Prozessuales

Aufspaltung nach § 21b BetrVG ein Restmandat; im Fall derAbspaltung bleibt es bei dem bisherigen originären Mandat.3. Kommt es zu einem Konflikt zwischen den Betriebspar-teien, hängt die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichtsnach § 82 Abs. 1 S. 1 ArbGG davon ab, auf welches Mandatsich der Konflikt bezieht.4. Für Konflikte, die das Übergangsmandat betreffen, ist dasArbeitsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Betriebs-leitung des jeweiligen neu entstandenen Betriebs ihren Sitzhat.5. Für Konflikte, die das Restmandat betreffen, ist das Arbeits-gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Betriebsleitungdes aufgelösten Gesamtbetriebs ihren Sitz hatte.6. Wird einer der neu entstandenen Betriebe oder der weiter-bestehende (Rest-) Ursprungsbetrieb später stillgelegt, ist fürKonflikte im Zusammenhang mit der Stilllegung das Arbeits-gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Betriebsleitungdes stillgelegten Betriebs ihren Sitz hatte.■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburgvom 20.4.2015, 21 SHa 462/15

134. Versetzung, Zustimmungsverweigerung,Vertrauensleuteschutzabkommen

Leitsatz:Der Betriebsrat kann die Zustimmung zur Versetzung einerPostzustellerin, die Vertrauensfrau der Gewerkschaft ver.di ist,zu einem anderen Übergabepunkt mit der Begründung ver-weigern, die Maßnahme verstoße gegen das Vertrauensleute-Schutzabkommen, wenn keine Erörterung mit dem zuständi-gen Organ der Gewerkschaft ver.di stattgefunden hat.Das Vertrauensleute-Schutzabkommen ist ein Tarifvertragi.S.d. § 1 Abs. 1 TVG, der dem Anwendungsbereich des § 99Abs. 2 Nr. 1 BetrVG unterfällt.■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalzvom 12.2.2015, 5 TaBV 6/14

Tarifrecht

135. Freizügigkeit, Berufserfahrung, unterschiedlicheArbeitgeber, Eingruppierung

Leitsätze:2. Die in § 16 Abs. 2 S. 2 und S. 3 TV-L getroffene Unterschei-dung betreffend die Anrechnung einschlägiger Berufserfah-rung aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis zu demselbenArbeitgeber und solcher aus einem vorherigen Arbeitsverhält-nis zu einem anderen Arbeitgeber ist nicht mit der gem.Art. 45 AEUV garantierten Freizügigkeit vereinbar und gem.Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 unwirksam(vgl. EuGH, Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH, Urt. v.5.12.2013 – C-514/12).■ Arbeitsgericht Berlinvom 18.2.2015, 60 Ca 4638/14

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136. Branchenzuschläge für Leiharbeitnehmer

Leitsatz:Ein Betrieb, der für einen Automobilhersteller die Montageund Komplettierung der Motor-Getriebe-Einheit durchführt,gehört zum Wirtschaftszweig „Automobilindustrie und Fahr-zeugbau“ im Sinne des Tarifvertrags über Branchenzuschlägefür Arbeitnehmerüberlassung in der Metall- und Elektroin-dustrie.■ Landesarbeitsgericht Kölnvom 16.6.2014, 4 Sa 145/14

Prozessuales

137. Weiterbeschäftigungsanspruch, einstweiligeVerfügung, Verfügungsgrund

Tatbestand:Gegen die am 18.9.2013 zugegangene Kündigung erhob derVerfügungskläger eine auf Kündigungsschutz und vorläufigeWeiterbeschäftigung gerichtete Klage, (…).Mit einem dem Verfügungskläger (…) zugestellten Urteil (…)gab Letzteres [das Arbeitsgericht] der Kündigungsschutzklagestatt, den Weiterbeschäftigungsanspruch wies es ab. Gegendieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt, (…).Mit dem (…) Eilantrag begehrt der Verfügungskläger seinevorläufige Weiterbeschäftigung. (…)Entscheidungsgründe:I. 2. c) (…) Das Arbeitsgericht hat bereits einen Anspruch aufWeiterbeschäftigung verneint. Eine Abweisung des Weiterbe-schäftigungsantrags aus prozessualen Gründen oder auf-grund eingetretener Unmöglichkeit (…) bei gleichzeitigemObsiegen mit dem Kündigungsschutzantrag ist rechtlich nichtausgeschlossen. Zudem hat der Verfügungskläger ein gestei-gertes Erfüllungsinteresse im vorstehenden Sinne nicht dar-gelegt. Er wird von der Verfügungsbeklagten bereits seit dem18.9.2013 nicht mehr beschäftigt. Selbst nach der Verkün-dung des erstinstanzlichen Urteils im Hauptsacheverfahrenhat der Verfügungskläger noch mehr als zwei Monate bis zumEingang des Eilantrags zugewartet. Dies spricht gegen ein ge-steigertes Erfüllungsinteresse. Sollte die Verfügungsbeklagteden Beschäftigungsanspruch des Verfügungsklägers letztlichzu Unrecht verweigert haben, trägt die Sicherung des Vergü-tungsanspruchs durch die Regelungen des Annahmeverzugs,gegebenenfalls auch durch das Schadensersatzrecht, den fi-nanziellen Interessen des Verfügungsklägers ausreichendRechnung. Ob eine – unterstellte – Nichtverlängerung derKreditratenreduzierung irreparable Nachteile bei dem Verfü-gungskläger bewirkt, kann die Kammer aufgrund fehlenderAngaben zu Umfang und Hintergrund sowie zur Sicherungdes Kredits bzw. zu Möglichkeiten anderweitiger Überbrü-

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ProzessualesProzessuales

ckung nicht beurteilen. Diesbezüglich hat der Verfügungsklä-ger auch nichts glaubhaft gemacht. (…)■ Landesarbeitsgericht Niedersachsenvom 30.3.2015, 13 SaGa 187/15eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Peter SchraderLaborius – Die Fachanwälte für ArbeitsrechtPodbielskistraße 33, 30163 HannoverTel.: 0511/2155563-32, Fax: 0511/[email protected], www.laborius.eu

138. Direktionsrecht, einstweilige Verfügung,Verfügungsgrund

Tatbestand:Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Verfügungs-verfahrens um die Verpflichtung der Verfügungsklägerin (imFolgenden: Klägerin), der Weisung der Verfügungsbeklagten(im Folgenden: Beklagte) zur Erbringung der Arbeitsleistungan deren Sitz in Bonn nachzukommen. (…)Ab 2008 übertrug ihr die Beklagte die Projektleitung für densog. (…). Im Zusammenhang mit der Übernahme der Projekt-leitung durch die Klägerin vereinbarte diese mit dem damali-gen Vorstand der Beklagten, Herrn B., dass die Klägerin dieProjektleitung vom Home-Office in Andernach aus erledigendürfe. (…)Mit Schreiben vom 7.1.2015 (…) versetzte die Beklagte dieKlägerin mit Wirkung am 1.2.2015 auf die Stelle „Projektleite-rin Unternehmenskommunikation“ an ihren Standort inBonn-Bad Godesberg und sprach ihr vorsorglich eine Ände-rungskündigung zum 31.8.2015 aus. (…)Die Klägerin kam der Versetzungsanordnung zum 1.2.2015zunächst nicht nach, woraufhin die Beklagte sie mit Schreibenvom 2.2.2015 (...) wegen „beharrlicher Arbeitsverweigerung“abmahnte. (…)Entscheidungsgründe:I. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Es fehlt zumindestam für den Erlass der Verfügung erforderlichen Verfügungs-grund. Im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrensmuss die Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 940 ZPOfür den Erlass einer Regelungsverfügung darlegen und ggfs.glaubhaft machen, dass diese zur Abwendung wesentlicherNachteile erforderlich ist.1. Wesentliche Nachteile sind bei der summarischen Überprü-fung der Weisungen des Arbeitgebers nur in Ausnahmefällenanzunehmen. Allein der Umstand, dass eine möglicherweisevertragswidrige Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht mehrrückgängig gemacht werden kann, reicht hierfür nicht aus(vgl. LAG Köln, Urt. v. 26.8.1992 – 2 Sa 624/92, juris; LAG Köln,Beschl. v. 24.6.2010 – 9 Ta 192/10, juris). Vielmehr erfordert dieBejahung eines Verfügungsgrundes für eine einstweilige Ver-fügung gegen Weisungen des Arbeitgebers zu Inhalt, Ort undArt der Arbeitsleistung ein deutlich gesteigertes Abwehrinte-resse des Arbeitnehmers, wie es allenfalls bei erheblichen Ge-sundheitsgefahren, einer drohenden irreparablen Schädi-

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gung des beruflichen Ansehens oder bei schweren Gewis-senskonflikten bestehen kann. Daneben erkennt die Recht-sprechung lediglich in Fällen einer offenkundigen Rechtswid-rigkeit der arbeitgeberseitigen Maßnahme das Bestehen einesVerfügungsgrundes an (vgl. LAG Hamm, Urt. v. 5.2.2008 – 11SaGa 4/08, juris; LAG Köln, a.a.O.; LAG Mecklenburg-Vorpom-mern, Urt. v. 12.5.2009 – 5 SaGa 4/08, juris). Diesen Grundsät-zen schließt sich die erkennende Kammer an.2. Zu derartigen Umständen, die ein gesteigertes Abwehrinte-resse der Klägerin gegen die ausgesprochene Weisung be-gründen könnten, hat die Klägerin nichts vorgetragen. Eskommt nicht darauf an, ob ihr durch die Nichtbefolgung derWeisung erhebliche Nachteile – wie etwa eine Kündigung –drohen; es kommt im Gegenteil darauf an, ob der Klägerin dieBefolgung der Weisung bis zur rechtskräftigen Entscheidungim Hauptsacheverfahren am Sitz der Beklagten unzumutbarist oder nicht. Dass dies der Fall wäre, ist weder vorgetragennoch ersichtlich. Die Klägerin hat 27 Jahre am Sitz der Beklag-ten gearbeitet und ab 2008 – wenngleich der genaue zeitlicheUmfang umstritten ist – zumindest zum Teil. Weshalb dies abdem 1.2.2015 unzumutbar sein sollte, ist für die Kammer nichterkennbar. Das Ansinnen, die Beklagte zu nach Ansicht derKlägerin rechtmäßigem Verhalten anzuhalten, rechtfertigtkein gesteigertes Abwehrinteresse, sondern wohnt jedemRechtsstreit inne.3. Die Weisung ist auch nicht offenkundig rechtswidrig. Ge-mäß § 106 S. 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort undZeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher be-stimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch denArbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung,eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschrif-ten festgelegt sind.a. Danach durfte die Beklagte die Klägerin mit Tätigkeiten inBonn betrauen. Es ist nicht erkennbar, dass es zwischen denParteien eine Vereinbarung gibt, wonach die Beklagte nichtberechtigt ist, den Arbeitsort der Klägerin zu ändern. Ur-sprünglich war der Sitz der Beklagten in Bonn als Arbeitsortvertraglich vereinbart. Dort war die Klägerin 27 Jahre lang tä-tig. Dass sich die Beklagte, vertreten durch ihren damaligenVorstand, mit der Klägerin dahingehend geeinigt hätte, dassdie Klägerin in Zukunft vorbehaltlos und ohne Berücksichti-gung der von ihr auszuübenden Tätigkeit ausschließlich nurnoch im Home-Office beschäftigt werden solle und die Be-klagte auf ihre Befugnis verzichtet hätte, der Klägerin im Rah-men ihres Weisungsrechts wieder ihren alten Arbeitsort zuzu-weisen, ist nicht erkennbar. (…)c. Letztlich hat die Klägerin eine Vereinbarung, nach der sichdie Beklagte zur Beschränkung ihres Weisungsrechts ver-pflichtet, auch nicht explizit dargelegt. Sie hat vielmehr daraufabgestellt, dass sie ab Ende 2008 absprachegemäß von ihremHome-Office aus habe arbeiten dürfen. Die Beklagte war abernicht dazu angehalten, dabei einen entsprechenden „Ein-schränkungsvorbehalt“ zu erklären, um ihr Weisungsrecht inörtlicher Hinsicht weiter aufrecht zu erhalten. Vielmehr wäre

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umgekehrt ein expliziter Verzicht seitens der Beklagten aufdas Weisungsrecht in örtlicher Hinsicht erforderlich. Zu einemsolchen hat die Klägerin aber nichts vorgetragen.■ Arbeitsgericht Bonnvom 24.2.2015, 7 Ga 5/15eingereicht von Rechtsanwältin Dr. Susanne SadtlerRechtsanwälte Pauly & PartnerKurt-Schumacher-Straße 16, 53113 BonnTel.: 0228/6209010, Fax: 0228/[email protected], www.paulypartner.de

139. Einstweiliger Rechtsschutz, aufschiebende Wirkung,Integrationsamt, Zustimmung zur Kündigung

Entscheidungsgründe:II. (…) Das Beschwerdegericht vertritt nunmehr unter Ände-rung seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. zuletzt Beschl. v.7.8.2008, HmbJVBl. 2008, 99, juris Rn 27 ff.) ebenfalls die An-sicht, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegendie Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung nach§ 85 SGB IX in der Regel unzulässig ist, weil dem Arbeitneh-mer das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis hierfür fehlt. EinRechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn das prozessuale Vorgehendie Rechtsstellung des Antragstellers nicht verbessern kannund daher nutzlos ist. So ist es hier. Die erstrebte Anordnungder aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Zu-stimmung der Antragsgegnerin zur Kündigung der Antrag-stellerin kann deren Rechtsstellung nicht verbessern. Im Ein-zelnen: (…)Mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einesRechtsbehelfs wird nur die Vollziehbarkeit des angefochtenenVerwaltungsakts gehemmt, nicht jedoch dessen Wirksamkeit.Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbe-helfs gegen die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kün-digung führt nicht dazu, dass der Arbeitgeber gehindert wird,das Arbeitsverhältnis zu kündigen oder dass im Falle einerKündigung eine Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmersaus diesem Grund Erfolg hat (so schon: OVG Hamburg, Beschl.v. 7.8.2008, HmbJVBI. 2008, 99, juris Rn 30). Denn für die Kün-digung und ihre Wirksamkeit kommt es allein auf die Wirk-samkeit der Zustimmung an, nicht auf deren Vollziehbarkeit.Das ergibt sich nach der gesetzlichen Konstruktion bereits da-raus, dass der Arbeitgeber eine ordentliche Kündigung nur in-nerhalb einer Frist von einem Monat nach erteilter Zustim-mung erklären kann (§ 88 Abs. 3 SGB IX), die nicht gehemmtoder unterbrochen wird, wenn die Zustimmung nicht voll-ziehbar ist. Für eine außerordentliche Kündigung gilt einenoch kürzere Frist; sie ist unverzüglich nach Erteilung der Zu-stimmung zu erklären (§ 91 Abs. 5 SGB IX). Diese Fristen hän-gen allein davon ab, dass eine Zustimmung (wirksam) erteiltwurde, nicht jedoch davon, dass die erteilte Zustimmung voll-ziehbar ist. Dementsprechend ist es auch für den Ausgang ei-nes arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzverfahrens ohneBedeutung, ob die Zustimmung zur Kündigung vollziehbar ist

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oder nicht. Voraussetzung ist allein, dass eine wirksame Zu-stimmung des Integrationsamtes vorliegt (vgl. BAG, Urt. v.17.6.2003 – 2 AZR 245/02, NJW 2004, 796, juris Rn 24, zur inso-weit vergleichbaren Lage nach § 9 Abs. 3 MuSchG). Liegt einewirksame Zustimmung vor, ist das Arbeitsgericht gehindert,der Kündigungsschutzklage wegen einer fehlenden Zustim-mung des Integrationsamtes zur Kündigung stattzugeben.Das ist vielmehr nur möglich, wenn die Zustimmung fehlt,weil sie entweder bestandskräftig abgelehnt worden ist oderdie Zustimmung aufgrund einer rechtskräftigen verwaltungs-gerichtlichen Entscheidung aufgehoben worden ist. Ist dieZustimmung des Integrationsamtes hingegen noch nicht be-standskräftig, so ist die Kündigung „schwebend wirksam“ (vgl.BAG, Urt. v. 17.6.2003, a.a.O.). Wird die Zustimmung späterrechtskräftig aufgehoben, so wird dem im arbeitsgerichtli-chen Verfahren dadurch Rechnung getragen, dass derschwerbehinderte Arbeitnehmer im Wege der Restitutions-klage gemäß § 79 ArbGG i.V.m. § 580 Nr. 6 ZPO die Abände-rung des arbeitsgerichtlichen Urteils erreichen kann (vgl.BVerwG, Urt. v. 12.7.2012 – 5 C 16/11, BVerwGE 143, 325, jurisRn 13; vgl. auch BAG, Urt. v. 17.6.2003, a.a.O., juris Rn 34; Urt.v. 2.3.2006 – 2 AZR 53/05, juris Rn 56). (…)Entgegen der bisher vertretenen Auffassung des Beschwerde-gerichts (Beschl. v. 7.8.2008, HmbJVBI. 2008, 99, juris Rn 31 ff.)kann sich die Rechtsstellung des schwerbehinderten Arbeit-nehmers auch nicht im Hinblick auf einen Weiterbeschäfti-gungsanspruch für die Dauer des Kündigungsschutzprozes-ses dadurch verbessern, dass die Vollziehbarkeit der Zustim-mung zur Kündigung suspendiert wird. Nach der Rechtspre-chung des Bundesarbeitsgerichts kann dieser Umstand nichtdazu führen, dass der Arbeitgeber zur vorläufigen Weiterbe-schäftigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers verpflich-tet wird. Nach dieser Rechtsprechung begründet nämlich –außer im Fall einer offensichtlich unwirksamen Kündigung –der Umstand, dass der Ausgang des Kündigungsschutzpro-zesses ungewiss ist, ein schutzwürdiges Interesse des Arbeit-gebers daran, den gekündigten Arbeitnehmer für die Dauerdes Kündigungsprozesses nicht beschäftigen zu müssen. Die-ses Interesse überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinte-resse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, in dem imKündigungsprozess ein Urteil ergeht, mit dem die Unwirksam-keit der Kündigung und damit der Fortbestand des Arbeits-verhältnisses festgestellt wird (BAG, Großer Senat, Beschl. v.27.2.1985 – GS 1/84,NJW 1985, 2968, Leitsatz 2 und jurisRn 94). Das Arbeitsgericht kann aber – wie oben ausgeführt –die Unwirksamkeit der Kündigung wegen einer fehlenden Zu-stimmung des Integrationsamtes erst dann feststellen, wenndas Urteil, mit dem das Verwaltungsgericht die Zustimmungzur Kündigung aufgehoben hat, rechtskräftig ist (BAG, Urt. v.23.5.2013 – 2 AZR 991/11, NJW 2013, 3597, juris Rn 28). Dennerst dann wird eine Kündigung, die aufgrund der zunächstausgesprochenen Zustimmung ausgesprochen wurde, rück-wirkend unwirksam (BAG, Urt. v. 23.5.2013, a.a.O., juris Rn 24).Das Arbeitsgericht ist mithin gehindert, die Unwirksamkeit

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ProzessualesProzessuales

der Kündigung bereits dann festzustellen, wenn die Zustim-mung zwar aufgrund eines verwaltungsgerichtlichen Urteilsaufgehoben, dieses Urteil jedoch nicht rechtskräftig ist. Dem-zufolge kann das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der Kündi-gung erst recht nicht schon dann feststellen, wenn die Zu-stimmung des Integrationsamtes noch nicht einmal aufgeho-ben, sondern lediglich ihre Vollziehbarkeit suspendiert ist. Dasgilt unabhängig von den Gründen, aus denen das geschieht,also auch dann, wenn das Verwaltungsgericht die aufschie-bende Wirkung eines Rechtsbehelfs herstellt, weil die Zustim-mung zur Kündigung im Hauptsacheverfahren voraussicht-lich aufzuheben sein wird. Das bedeutet zugleich, dass eineKündigung im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht allein des-halb, weil im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die auf-schiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen die Zustim-mung zur Kündigung angeordnet wurde, als offensichtlichunwirksam angesehen werden kann. Dem entspricht die zu-sammenfassende Schlussfeststellung in dem zuletzt genann-ten Urteil des Bundesarbeitsgerichts, dass die Arbeitsgerichte„erst auf eine rechtskräftige Versagung der Zustimmung Be-dacht zu nehmen haben“. Das betrifft gerade auch die Frageder Weiterbeschäftigung während des Kündigungsverfah-rens. Diese soll nach der gesetzlichen Intention vom Arbeit-nehmer nicht erzwungen werden können, wenn die Kündi-gung behördlich zugelassen worden ist und das verwaltungs-gerichtliche Anfechtungsverfahren noch nicht rechtskräftigabgeschlossen ist (BAG, Urt. v. 23.5.2013, a.a.O., juris Rn 28).Fehlt nach alledem grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnisfür einen Antrag, die aufschiebende Wirkung der Zustimmungzur Kündigung anzuordnen, so kann der Antrag der Antrag-stellerin nur dann zulässig sein, wenn ein atypischer Sonder-fall vorliegt, in dem ausnahmsweise ein Rechtsschutz imHauptsacheverfahren nicht ausreicht (vgl. auch OVG Münster,Beschl. v. 22.8.2013 – 12 B 794/13, juris Rn 7). (…)■ Hamburgisches Oberverwaltungsgerichtvom 19.5.2015, 13 E 117/15eingereicht von Rechtsanwalt Martin ObernesserRembert.RechtsanwälteKajen 12, 20459 HamburgTel.: 040/4132290, Fax: 040/[email protected], www.rembert-rechts-anwaelte.de

140. Feststellungsinteresse, Vergütung, Tarifvertrag

Tatbestand:Die Parteien streiten, ob sich das monatliche Entgelt des Klä-gers ab dem 1.8.2006 nach dem Tarifvertrag für den öffentli-chen Dienst für den Bereich der Kommunalen Arbeitgeberver-bände (TVöD-VKA) in seiner jeweils gültigen Fassung unddem Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kom-munalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung desÜbergangsrechts (TVÜ-VKA) richtet. (…)

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Entscheidungsgründe:I. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Be-stehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erho-ben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daranhat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entschei-dung alsbald festgestellt wird. Die Feststellungsklage kannsich auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechts-verhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungenoder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken –sog. Elementenfeststellungsklage. Auch die Anwendbarkeiteines bestimmten Tarifvertrags oder Tarifwerks auf ein Ar-beitsverhältnis kann Gegenstand einer Feststellungsklagesein (st. Rspr., s. nur BAG v. 22.10.2008 – 4 AZR 784/07 – Rn 11m.w.N., BAGE 128, 165).Eine Feststellungsklage setzt nach § 256 Abs. 1 ZPO weiterhinein rechtliches Interesse des Klägers voraus, dass das Rechts-verhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestelltwird. Dieses besondere Feststellungsinteresse muss als Sach-urteilsvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens, auch nochin der Revisionsinstanz, gegeben sein. Sein Vorliegen ist vonAmts wegen zu prüfen (st. Rspr., etwa BAG v. 17.10.2007 – 4AZR 1005/06 – Rn 14, BAGE 124, 240).Ein solches Feststellungsinteresse ist nur dann gegeben,wenn durch die Entscheidung über den Feststellungsantragder Streit insgesamt beseitigt wird und das Rechtsverhältnisder Parteien abschließend geklärt werden kann (st. Rspr., etwaBAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 522/04 – Rn 12; 29.11.2001 – 4 AZR757/00 – zu I 2 b der Gründe, BAGE 100, 43). Es fehlt, wenndurch die Entscheidung kein Rechtsfrieden geschaffen wird.Die Rechtskraft der Entscheidung muss weitere gerichtlicheAuseinandersetzungen über die zwischen den Parteien stritti-gen Fragen um denselben Fragenkomplex ausschließen (st.Rspr., etwa BAG v. 29.11.2001 – 4 AZR 757/00 – a.a.O.). Dassetzt bei einem auf die Feststellung der Rechtsgrundlage fürdie Vergütung gerichteten Antrag jedenfalls voraus, dass überweitere Faktoren, die die Vergütungshöhe bestimmen, keinStreit besteht und die konkrete Bezifferung dann lediglicheine Rechenaufgabe ist, die von den Parteien ebenso unstrei-tig durchgeführt werden kann wie die Umsetzung der weite-ren Zahlungsmodalitäten. Anderenfalls müssen auch die wei-teren Berechnungskriterien zum Gegenstand des Feststel-lungsantrags gemacht werden, damit nicht lediglich eine Vor-frage geklärt wird (vgl. dazu BAG v. 21.4.2010 – 4 AZR 755/08 –Rn 21; für die Eingruppierungsfeststellungsklage BAG v.17.10.2007 – 4 AZR 1005/06 – Rn 15, BAGE 124, 240; weiterhinBAG v. 29.11.2001 – 4 AZR 757/00 – a.a.O.). Allerdings sind dieGerichte gehalten, Klageanträge nach Möglichkeit so auszule-gen, dass hierdurch eine vom Antragsteller erkennbar er-strebte Sachentscheidung ermöglicht wird (BAG v. 12.8.2009 –7 ABR 15/08 – Rn 12, BAGE 131, 316).II. Hiervon ausgehend ist der Klageantrag unzulässig. Ihmfehlt das erforderliche Feststellungsinteresse.1. Nach dem Wortlaut des Antrags begehrt der Kläger eineFeststellung über die Rechtsgrundlage für die Errechnung sei-

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ner Vergütung. In der Berufungsverhandlung hat er insofernklargestellt, dass sich der Begriff der Vergütung im Antrag al-lein auf die in Nr. 3.1. des Arbeitsvertrags genannte „Vergü-tung“ bezieht, insbesondere also die Einschränkungen undPräzisierungen der folgenden Vereinbarungen in Nr. 3.2. bis3.4. des Arbeitsvertrags außer Betracht bleiben sollen. Im Er-gebnis will der Kläger damit festgestellt wissen, dass derWortlaut von Nr. 3.1. Satz 1 des Arbeitsvertrags – „Die Höheder Vergütung richtet sich nach dem BAT/Gemeinden in derjeweils gültigen Fassung“ – für die Zeit ab dem 1.8.2006 wiefolgt zu lesen ist: „Die Höhe der Vergütung richtet sich nachdem TVöD-VKA und dem TVÜ-VKA in der jeweils gültigen Fas-sung“.2. Für das dahingehend präzisierte Rechtsschutzbegehren desKlägers besteht kein Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1ZPO. Mit der Rechtskraft der begehrten Entscheidung wärenur einer von mehreren Berechnungsfaktoren für das demKläger zustehende Entgelt geklärt. Weitere gerichtliche Ausei-nandersetzungen über zwischen den Parteien streitige Fra-gen über die zutreffende Berechnung des Entgelts sind dannnicht auszuschließen, wie das weitere Vorbringen der Parteienim Rechtsstreit zeigt.■ Bundesarbeitsgerichtvom 27.8.2014, 4 AZR 518/12eingereicht von Rechtsanwältin Jacqueline GreinertKanzlei Jacqueline Greinert – Die ArbeitgeberkanzleiQuerallee 38, 34119 KasselTel.: 0561/6028580, Fax: 0561/60285818www.arbeitgeberkanzlei.net

141. Zulässige Aussetzung des Verfahrens, Wirksamkeiteiner Allgemeinverbindlicherklärung, Zweifel amErreichen des Quorums

Leitsatz:Eine Aussetzung nach § 98 Abs. 6 ArbGG ist jedenfalls dannwirksam, wenn das Arbeitsgericht aufgrund von Zweifeln ander Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung weitereAuskünfte eingeholt hatte und nach Erteilung dieser Aus-künfte immer noch von „ernsthaften Zweifeln“ ausgeht.Gründe:II. (…) Das Arbeitsgericht hat zu Recht den Rechtsstreit gem.§ 98 Abs. 6 ArbGG ausgesetzt.1. Das BAG (Beschl. v. 7.1.2015 – 10 AZB 109/14 – NZA 2015,237) hat hinsichtlich einer möglichen Aussetzung ausgeführt,dass § 98 Abs. 6 ArbGG auch auf bereits anhängige VerfahrenAnwendung findet. Eine Aussetzung dürfe nur dann erfolgen,wenn die Entscheidung des konkreten Rechtsstreits aus-schließlich von der Frage der Wirksamkeit der Allgemeinver-bindlicherklärung abhängt. Im Übrigen müssten ernsthafteZweifel an der Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklä-rung vorliegen. Hierfür genüge es, wenn das Gericht desHauptsacheverfahrens aufgrund Parteivortrags oder aufgrundoffen zu legender gerichtsbekannter Tatsachen zu dem Er-

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gebnis kommt, das ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit derAllgemeinverbindlicherklärung bestünden. Hierbei habe dasGericht alle ihm bekannten Umstände, die für oder gegen dieWirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung sprechen,in seine Würdigung einzubeziehen und unter Berücksichti-gung des Zwecks des Verfahrens nach § 98 ArbGG einerseitsund des Beschleunigungsinteresses der Parteien andererseitszu gewichten. Dem entscheidenden Gericht komme ein ge-wisser Beurteilungsspielraum zu. Dieser könne nur dahinge-hend überprüft werden, ob das Gericht den Begriff selbst ver-kannt, die Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechts-norm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletztund ob die Beurteilung wegen des Übersehens wesentlicherUmstände offensichtlich fehlerhaft ist.2. Bei Anwendung dieser Kriterien kann im hiesigen Einzelfallund unter Berücksichtigung des dem Arbeitsgericht zuste-henden Beurteilungsspielraums nicht festgestellt werden,dass die Aussetzung des Rechtsstreits fehlerhaft erfolgt ist.Mit der Entscheidung des BAG ist davon auszugehen, dass§ 98 Abs. 6 ArbGG n.F. auch auf bereits anhängige VerfahrenAnwendung findet. Weiterhin ist davon auszugehen, dass esim hiesigen Rechtsstreit ausschließlich auf die Frage der Wirk-samkeit der Allgemeinverbindlicherklärung ankommt, da dieBeklagten schon nach der Feststellung des Arbeitsgerichts ei-nen Baubetrieb im Sinne des VTV unterhalten.Das Arbeitsgericht hat spätestens mit dem Nichtabhilfebe-schluss ausreichend dokumentiert, dass nach seiner Ansichternsthafte Zweifel an der Wirksamkeit der Allgemeinverbind-licherklärungen vorliegen. Diese Zweifel ergeben sich in do-kumentierter Form schon aus dem Beschl. v. 27.5.2014. Da-nach hatte das Arbeitsgericht Zweifel, ob durch das zustän-dige Bundesministerium in zutreffender Weise die Vorausset-zungen der Allgemeinverbindlicherklärungen, insbesonderedas Erreichen des erforderlichen Quorums geprüft wordensind. Auf Basis dieser Zweifel hat das Arbeitsgericht von ver-schiedenen Institutionen und Verbänden weitere Auskünfteeingeholt. Trotz der erteilten Auskünfte hat das Arbeitsgerichtin dem Nichtabhilfebeschluss ausgeführt, dass zu seiner Über-zeugung nicht plausibel dargetan sei, dass die vorhandenenDaten zur Ermittlung des Quorums aus § 5 Abs. 1 TVG statis-tisch valide und verifizierbar aufgearbeitet worden seien. Diesreicht zur Dokumentation „ernsthafter Zweifel“ aus. Das Errei-chen des Quorums nach § 5 Abs. 1 Ziff. 1 TVG a.F. ist Voraus-setzung für die Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklä-rung. Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers kann es auchnicht darauf ankommen, ob nach Einbeziehung des klägeri-schen Sachvortrags und der eingeholten Auskünfte „sehr vielmehr für als gegen die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlich-erklärungen spricht“. Diese endgültige Wertung ist in dem aufBasis des § 98 ArbGG anhängigen Beschlussverfahren zu tref-fen. Der an sich zu beachtende Beschleunigungsgrundsatzhilft insofern hier nicht weiter. Der hiesige Sachverhalt ist auchanders als in dem vom Bundesarbeitsgericht aufgehobenenBeschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom

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1.10.2014. Das Hessische Landesarbeitsgericht hatte noch an-genommen, dass es unerheblich sei, ob der Richter des Aus-gangsverfahrens die insoweit vorgebrachten Zweifel selbstteilt. Im Gegensatz zum Hessischen Landesarbeitsgericht gehtdas Arbeitsgericht Berlin weiterhin davon aus, dass ernsthafteZweifel weiterhin vorhanden sind.■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburgvom 31.3.2015, 15 Ta 433/15

142. Fristversäumnis, keine Wiedereinsetzung,Faxversuch um zehn vor zwölf, Voice over IP (VoIP),sipgate

Leitsatz:Ein vergeblicher Faxversuch um zehn Minuten vor zwölf ist je-denfalls dann nicht entschuldbar, wenn es zuvor schon zuzeitlichen Unregelmäßigkeiten bei der Faxversendung mittelsVoice over IP (VoIP) kam.■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburgvom 31.3.2015, 15 Sa 11/15

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143. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung,Physiotherapeuten

Aus dem Tatbestand:Die Beteiligten streiten um die Frage der sozialversicherungs-pflichtigen Beschäftigung der Beigeladenen bei der Klägerin(…).Die Beigeladene war in diesem Zeitraum als Physiotherapeu-tin in den Räumen der Klägerin tätig (…).Aus den Entscheidungsgründen:Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Be-schäftigung ist § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigungdie nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Ar-beitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bun-dessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dassder Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist.Dies ist der Fall, wenn der Beschäftigte in einem fremden Be-trieb eingegliedert ist und dabei einem Ort, Zeit, Dauer undArt der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeit-gebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tä-tigkeit vornehmlich durch das Unternehmerrisiko, dem spie-gelbildlich eine Unternehmenschance gegenüber steht, dasVorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungs-möglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentli-chen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.Ob jemand abhängig beschäftigt ist oder selbstständig tätigist hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (ständigeRechtsprechung vgl. BSG-Urt. v. 28.5.2008, B 12 KR 13/07 R;Bayer. Landessozialgericht, Urt. v. 13.7.2005, L 5 KR 187/04).Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Aus-gangspunkt sind die vertraglichen Vereinbarungen der Betei-

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ligten; weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichenAusgestaltungen ab, so sind diese maßgeblich, soweit diesrechtlich zulässig ist.

Im Rahmen der so vorzunehmenden Gesamtabwägung über-wiegen vorliegend deutlich die Merkmale einer abhängigenBeschäftigung.

Zwar spricht zunächst für eine selbstständige Tätigkeit, dassmit der Beigeladenen feste Arbeitszeiten und/oder Vertre-tungsregelungen nicht vereinbart wurden. Terminvereinba-rungen mit den Klienten, Terminverlegungen- und absagenorganisierte die Beigeladene nach ihren Angaben im Rahmender mündlichen Verhandlung selbst. Theoretisch hätte dieBeigeladene ihr von der Klägerin angebotene neue Klientenauch ablehnen können.

Dem ist jedoch entgegenzusetzen, dass auch abhängige Be-schäftigungsverhältnisse so ausgestaltet sein können, dassder Arbeitnehmer betreffend Ort, Zeit und Dauer seiner Ar-beitsleistung weitgehend weisungsfrei ist (LSG Niedersach-sen-Bremen, Beschl. v. 18.7.2012, L 2 R 115/12). So ist esgrundsätzlich üblich, dass bei fachlich mit der Arbeit vertrau-tem Personal fachliche Einzelanweisungen entbehrlich sind.

Für eine abhängige Beschäftigung spricht außerdem, dass dieBeigeladene wie ein abhängig Beschäftigter in die Betriebsor-ganisation der Klägerin eingebunden war. So wurden von derBeigeladenen während ihrer Tätigkeit bei der Klägerin aus-schließlich die Betriebsmittel sowie Räumlichkeiten der Kläge-rin genutzt. Das Erstgespräch mit den Klienten und die grund-sätzliche Entscheidung über die Aufnahme der Behandlung inder Praxis der Klägerin erfolgten nach den übereinstimmen-den Angaben von Klägerin und Beigeladenen in der mündli-chen Verhandlung ausschließlich durch die Geschäftsleitungder Klägerin. Auf die unternehmerische Entscheidung, ob einbestimmter Klient in der Praxis der Klägerin behandelt wirdoder nicht, hatte die Beigeladene somit keinen Einfluss. Aucheine eigene Klientenakquise wurde von der Beigeladenennicht vorgenommen.

Gegenüber den Klienten trat die Beigeladene nach ihren An-gaben in der mündlichen Verhandlung zudem grundsätzlichals Mitarbeiterin der Klägerin auf und wurde nicht als eigen-ständiger Dienstleister wahrgenommen. Nach außen hin tratausschließlich die Klägerin als verantwortliche Praxisbetreibe-rin auf und rechnete mit dem Kostenträger (Amt für sozialeDienste) ab. Es war für die Klienten somit nicht wahrnehmbar,dass die Beigeladene selbst Unternehmerin gewesen sein soll.Auch dies spricht deutlich für eine abhängige Beschäftigung(so unter anderem auch Landessozialgericht NiedersachsenBremen, Beschl. v. 18.7.2012, L 2 R 115/12; Urt. v. 24.9.2014, L1 KR 351/12, nicht rechtskräftig, beim BSG anhängig unterdem Az B 12 KR 20/14 R).

Auch ein unternehmerisches Risiko bzw. eine unternehmeri-sche Chance der Beigeladenen kann nicht gesehen werden.So musste die Beigeladene weder eigenes Kapital einsetzen,noch war sie am wirtschaftlichen Erfolg der klägerischen Pra-

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xis beteiligt. Auch bestand nicht die Gefahr, dass die Beigela-dene für die von ihr geleistete Arbeit nicht bezahlt wird. DieBeigeladene erhielt nach den getroffenen Stunden- und Kos-tenvereinbarungen eine gleichbleibende Vergütung von 45EUR je Stunde ohne Abzüge für etwaige Schlechtleistung undsomit unabhängig davon, ob sie ihre Leistung gut oderschlecht erbrachte. Der Erfolg des eigenen wirtschaftlichenEinsatzes war somit nicht ungewiss. So hat die Beigeladenenach den in der mündlichen Verhandlung von der Kammergewonnenen Erkenntnissen auch ausschließlich Klienten be-handelt, für die bereits eine Zusage der Kostenübernahmedurch den Kostenträger vorlag. Ein Verdienstausfall bei Kun-deninsolvenz drohte der Beigeladenen somit nicht.Ein wirtschaftliches Risiko bestand für die Beigeladene nur da-rin, dass sie keine Aufträge mehr erhielt. Dabei unterscheidetsich die Beigeladene aber nicht von einem Beschäftigten, derkeine Beschäftigung angeboten erhält. Das Risiko, zeitweisedie eigene Arbeitskraft nicht verwerten zu können, begründetkein Unternehmerrisiko während des Arbeitseinsatzes (siehedazu Landessozialgericht Niedersachsen Bremen, Beschl. v.18.7.2012, L 2 R 115/12; Thüringer Landessozialgericht, Urt. v.1.7.2014, L 6 R 1680/10; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt,Urt. v. 18.6.2008, L 1 RA 257/07).Auch das Fehlen von Regelungen zu Ansprüchen auf Urlaubs-entgelt bzw. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall rechtfertigtfür sich genommen nicht die Annahme eines unternehmeri-schen Risikos. Die Überbürdung sozialer Risiken abweichendvon der das Arbeitsrecht prägenden Risikoverteilung ist nurdann ein gewichtiges Indiz unternehmerisches Handeln,wenn damit auch tatsächlich Chancen einer Einkommenser-zielung verbunden sind, also eine Erweiterung der unterneh-merischen Möglichkeiten stattfindet (LandessozialgerichtNordrhein-Westfalen, Urt. v. 30.4.2014, L 8 R 744/11). Letztereswar hier jedoch nicht gegeben. Die Beigeladene hatte keinenEinfluss auf die Preisgestaltung der Klägerin und konnte auchdie vorgegebenen Zeiträume der einzelnen zu erbringendenTherapieleistungen nach dem Wortlaut der Stunden- undKostenvereinbarungen nicht eigenmächtig verlängern. Hö-here Erlöse konnten somit nur dadurch erzielt werden, dassmehr Stunden für die Klägerin gearbeitet wurde, was jedochals arbeitnehmertypisch anzusehen ist (siehe Bayerisches Lan-dessozialgericht, Urt. v. 11.8.2009, L 5 R 210/09; Thüringer Lan-dessozialgericht, Urt. v. 1.7.2014, L 6 R 1680/10). Denn damitunterschied sie sich nicht von den Möglichkeiten einer abhän-gig Beschäftigten, durch Erhöhung der täglichen Arbeitszeitoder durch Überstunden das Entgelt zu erhöhen.Daran vermag auch die Vereinbarung eines angeblich beson-ders hohen Stundenlohns nichts zu ändern. Eine abhängigeBeschäftigung verliert ihren Charakter nicht durch die Verein-barung eines überdurchschnittlichen Gehalts (Landessozial-gericht Niedersachsen Bremen, Beschl. v. 18.7.2012, L 2 R 115/12).Der Einstufung der Beigeladenen als abhängig Beschäftigtesteht auch nicht entgegen, dass die Beigeladene in den Stun-

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den- und Kostenvereinbarungen als freie Mitarbeiterin be-zeichnet wurde. Grundsätzlich unterliegt der sozialversiche-rungsrechtlichen Status nicht der Dispositionsfreiheit der be-teiligten Personen, sondern ergibt sich aus den gesetzlichenBestimmungen und den von der höchstrichterlichen Recht-sprechung dazu herausgearbeiteten Beurteilungskriterien(Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 30.4.2014, L8 R 744/11). Allein der Vortrag, dass die Beigeladene neben ih-rer Tätigkeit für die Klägerin weitere selbstständige Tätigkei-ten wahrgenommen hat, vermag nicht zu einer anderen Beur-teilung der Sachlage führen, da selbstverständlich auch ab-hängig Beschäftigte zusätzlich einer selbstständigen Tätigkeitnachgehen können.■ Sozialgericht Bremenvom 27.4.2015, S 31 R 397/12eingereicht durch Rechtsanwalt Klaus-Dieter FranzenBackes Krautwald Steuerberater Rechtsanwälte PartG mbHDomshof 8-12, 28195 BremenTel.: 0421/7927330; Fax: 0421/[email protected]; www.legales.de

144. Abführen von Abgaben durch Arbeitgeber

Leitsätze:1. Der Arbeitgeber hat den Gesamtsozialversicherungsbeitrag(§ 28d SGB IV) an die Einzugsstelle zu zahlen. Er hat gemäߧ 28g Sätze 1 und 2 SGB IV gegen den Arbeitnehmer einenAnspruch auf den vom Beschäftigten zu tragenden Teil desGesamtsozialversicherungsbeitrags, den er im Wege des Ab-zugs vom Arbeitsentgelt geltend machen kann. Mit dem Ab-zug und der Abführung von Lohnbestandteilen erfüllt der Ar-beitgeber seine Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitneh-mer. Die Abführung begründet einen besonderen Erfüllungs-einwand. Es bedarf keiner Aufrechnung (vgl. BAG v.30.4.2008 – 5 AZR 725/07 – NZA 2008, 884). Hinsichtlich derSozialversicherungsbeiträge stehen sich nicht allein der An-spruch des Arbeitnehmers auf Auszahlung und der Anspruchdes Arbeitgebers nach § 28g S. 1 SGB IV gegenüber. Vielmehrhat der Arbeitgeber den Beitrag zugunsten des Arbeitneh-mers an die Einzugsstelle zu zahlen (§ 28h SGB IV). Der Arbeit-nehmer hat die Möglichkeit, die Rückerstattung erhöhter So-zialversicherungsbeiträge gemäß § 26 SGB IV zu fordern unddie Höhe der Beiträge von den Sozialgerichten überprüfen zulassen.2. Die Gerichte für Arbeitssachen sind nicht befugt, die Be-rechtigung der Abzüge für Steuer- und Sozialversicherungs-beiträge zu überprüfen. Legt der Arbeitgeber nachvollziehbardar, dass er bestimmte Abzüge für Steuern oder Sozialversi-cherungsbeiträge einbehalten und abgeführt hat, kann derArbeitnehmer die nach seiner Auffassung unberechtigt einbe-haltenen und abgeführten Beträge nicht erfolgreich mit einerVergütungsklage geltend machen. Er ist vielmehr auf diesteuer- und sozialrechtlichen Rechtsbehelfe beschränkt, es seidenn, für den Arbeitgeber wäre aufgrund der für ihn zum Zeit-

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SonstigesSonstiges

punkt des Abzugs bekannten Umstände eindeutig erkennbargewesen, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestand.Andernfalls tritt die Erfüllungswirkung ein (vgl. BAG v.30.4.2008 – 5 AZR 725/07 – Rn 20, 21, a.a.O.).■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalzvom 16.10.2014, 5 Sa 229/14Leitsätze eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Ulrich BrötzmannBonifaziusplatz 1b, 55118 MainzTel.: 06131/618156; Fax: 06131/[email protected]; www.kanzlei-broetzmann.de

145. Insolvenzanfechtung – Darlegungs- und Beweislastdes anfechtenden Insolvenzverwalters – geringfügigesBeschäftigungsverhältnis – arbeitsvertraglicheAusschlussfrist

Leitsätze:1. Den anfechtenden Insolvenzverwalter trifft die primäre Dar-legungs- und Beweislast für das Vorliegen eines unentgeltli-chen Geschäfts.Er ist dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass es sich beieinem schriftlich abgeschlossenen Arbeitsvertrag um einScheingeschäft im Sinn des § 117 Abs. 1 BGB gehandelt hat.Gleichfalls ist der anfechtende Insolvenzverwalter darle-gungs- und beweispflichtig für den Einwand, der Arbeitsver-trag sei nicht abredegemäß durchgeführt worden, die be-klagte Partei habe das Entgelt nur wegen der Hingabe einesDarlehens bzw. als „Schenkung“ erhalten und sei nicht tätiggeworden.2. Der Grundsatz der vollen Darlegungslast des anfechtendenInsolvenzverwalters bedarf insbesondere dann einer Ein-schränkung, wenn er außerhalb des maßgeblichen Gesche-hensablaufs steht und den Sachverhalt nicht ermitteln kann,während der beklagten Partei die erforderliche tatsächlicheAufklärung ohne weiteres möglich und auch zuzumuten ist.Das setzt aber voraus, dass der anfechtende Insolvenzverwal-ter alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausge-schöpft hat, um seiner primären Darlegungslast zu genügen.3. Die Arbeitsvertragsparteien können arbeitsvertraglich nichtwirksam eine Ausschlussfrist für den insolvenzrechtlichenRückforderungsanspruch vereinbaren. Dieser steht außerhalbihrer Regelungsmacht.■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalzvom 18.11.2015, 7 Sa 312/14

146. Zeitzuschläge als unpfändbareErschwerniszuschläge

Leitsatz:Zuschläge für Nachtarbeit, Sonntags- und Feiertagsarbeitgem. § 8 Abs. 1 Buchst. b, c und d TVöD sind Erschwerniszu-schläge i.S.d. § 850a Nr. 3 ZPO und damit unpfändbar.Aus den Entscheidungsgründen:a) Der Kläger hat, darüber besteht zwischen den Parteien keinStreit, nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nur die

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pfändbaren Bestandteile seiner Bezüge aus seinem Arbeits-verhältnis abgetreten. Im Übrigen kann gemäß § 400 BGBeine Forderung nicht abgetreten werden, soweit sie nicht derPfändung unterworfen ist.

b) Die Ansprüche auf Zahlung einer Wechselschichtzulage ge-mäß § 8 Abs. 5 TVöD und die Ansprüche auf Zahlung von Zu-schlägen für Nachtarbeit-, Sonntags- und Feiertagsarbeit ge-mäß § 8 Abs. 1 Buchst. b, c und d TVöD sind keine pfändbarenForderungen, sondern sie sind gemäß § 850a Nr. 3 ZPO un-pfändbar. Bei den streitgegenständlichen Ansprüchen han-delt es sich um Erschwerniszulagen i.S.d. Vorschrift.

aa) Nach § 850a Nr. 3 ZPO sind unpfändbar Aufwandsentschä-digungen, Auslösungsgelder und sonstige soziale Zulagen fürauswärtige Beschäftigungen, das Entgelt für selbstgestelltesArbeitsmaterial, Gefahrenzulagen sowie Schmutz- und Er-schwerniszulagen, soweit diese Bezüge den Rahmen des Übli-chen nicht übersteigen. Erschwerniszulagen i.S.d. dieser Vor-schrift sind auch Zulagen bzw. Zuschläge, die gezahlt werden,weil die Lage der Arbeitszeit mit Erschwernissen für den Ar-beitnehmer verbunden ist. (…) Dies ergibt die Auslegung derNorm.

(1) Dem Wortsinn des § 850a Nr. 3 ZPO kann nicht entnom-men werden, dass Erschwerniszulagen im Sinne dieser Vor-schrift nur solche Zulagen sind, durch die eine Erschwernis ab-gegolten werden soll, die durch die Art der Arbeit, ihre Eigen-tümlichkeit verursacht wird, dagegen solche Zulagen, die ge-zahlt werden, weil die ungünstige Lage der Arbeitszeit Er-schwernisse für den Arbeitnehmer verursacht, nicht hiervonerfasst werden. Für eine solche Differenzierung gibt der Wort-laut keine Anhaltspunkte. (…)

(a) Die Vorschrift des § 850a Nr. 3 ZPO unterscheidet geradenicht danach, aus welchem Grund die Erschwerniszulage ge-zahlt wird, und wodurch die Erschwernis verursacht wird, son-dern erklärt allgemein Erschwerniszuschläge als unpfändbar.

(b) Erschwernisse für einen Arbeitnehmer können sich abersowohl aufgrund der Art der auszuübenden Tätigkeit, als auchaufgrund sonstiger Umstände ergeben, nämlich z.B. wegenregelmäßig wechselnder Dienstschichten oder wegen derVerpflichtung, nachts oder an solchen Tagen, an denen übli-cher Weise keine Arbeitstätigkeiten zu erbringen sind, arbei-ten zu müssen. So wirkt ein regelmäßiger Wechsel der tägli-chen Arbeitszeit erheblich auf den Lebensrhythmus ein undführt dadurch zu Erschwerungen (vgl. BAG v. 24.9.2008 – 10AZR 770/07 – Rn 39, BAGE 128, 42). Ebenfalls zu Belastungenund Erschwernissen führt der Umstand, dass bei geleisteterWechselschicht oder Schichtarbeit der Beginn und das Endeder Arbeitszeit außerhalb der allgemein üblichen Arbeits- undGeschäftszeiten liegen (vgl. BAG v. 19.3.2014 – 10 AZR 744/13 – Rn 18 m.w.N., KHE 2014, 19; 25.9.2013 – 10 AZR 4/12 –Rn 8, NZA-RR 2014, 8). Die ständige Umstellung des Arbeits-und Lebensrhythmus ist mit gesundheitlichen und sozialenAuswirkungen verbunden (vgl. BVerwG v. 21.3.1996 – 2 C 24/95 –, ZBR 1996, 260). Aber auch die Verpflichtung, an Sonnta-

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Sonstiges Sonstiges

gen, Feiertagen und nachts zu arbeiten, verursacht für den Ar-beitnehmer Erschwernisse. Denn ihm wird damit die Teil-nahme am gesellschaftlichen Leben erschwert. So ergebensich insbesondere im familiären und sozialen Bereich Belas-tungen für den Arbeitnehmer, weil er zu Zeiten arbeiten muss,in denen die Mehrzahl der Arbeitnehmer gerade nicht arbei-tet, sondern ihre Freizeit gestalten kann.

(2) Auch die Systematik und der Gesamtzusammenhang derRegelung in § 850a Nr. 3 ZPO sprechen nicht für eine ein-schränkende Auslegung des Begriffs „Erschwerniszulage“.

(a) Die Verwendung des Bindestrichs zwischen Schmutz- undErschwerniszulagen bringt nicht zum Ausdruck, dass Er-schwerniszulagen nur solche Zulagen sind, die wegen Er-schwernisse bei der Art der Arbeitstätigkeit geleistet werden.Vielmehr dient ein Bindestrich lediglich dazu, dass ein zu er-gänzendes Wort, hier das Wort „Zulage“, nicht doppelt ver-wendet werden muss. Dies dient allein der besseren, nämlichflüssigeren Lesbarkeit des Satzes.

(b) Unter § 850a Nr. 3 ZPO werden zudem verschiedene Be-züge aufgezählt, die aus völlig unterschiedlichen Gründen ge-leistet werden. So werden hier einerseits echte Aufwandsent-schädigungen, mit der tatsächliche Aufwendungen des Ar-beitnehmers ausgeglichen werden, aufgeführt, aber auch so-ziale Zulagen für auswärtige Beschäftigungen. Die Aufzäh-lung dieser unterschiedlichen Bezüge lässt demnach geradenicht darauf schließen, dass Erschwerniszulagen nur solchesind, die ihren Grund gerade in der Art der Tätigkeit haben.

(3) Die Auflistung der unterschiedlichen unpfändbaren Bezü-gebestandteile in § 850a Nr. 3 ZPO verdeutlicht vielmehr denZweck der Vorschrift, nämlich dem Arbeitnehmer die Bezügezu belassen, die er vom Arbeitgeber wegen eigener finanziel-ler, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger persönlicher Be-lastungen aufgrund der Erbringung der Arbeitsleistung erhält.Dieser erkennbar verfolgten Zwecksetzung würde es aber wi-dersprechen, wenn der Begriff Erschwerniszulagen einschrän-kend ausgelegt wird. Es gibt nämlich keine plausiblen Gründe,weshalb Zulagen für Erschwernisse, die ihren Grund in der Artbzw. Eigentümlichkeit der Arbeit haben, unpfändbar sein sol-len, dagegen Zulagen, die einen Ausgleich für die Erschwer-nisse aufgrund der ungünstigen Lage der Arbeitszeit bzw. denständigen Wechsel der Arbeitszeit gewähren, nicht. Die Belas-tungen für den Arbeitnehmer können in beiden Fällen gleichhoch sein. Der Arbeitnehmer soll über den finanziellen Aus-gleich für die Erschwernisse, soweit sich dieser im Rahmendes Üblichen hält, frei verfügen können und diesen für sichbehalten dürfen. Durch die Unpfändbarkeit kann der Arbeit-nehmer zudem motiviert werden, die für ihn mit Erschwernis-sen verbundenen Tätigkeiten auszuüben, was dem Arbeitge-ber zugutekommt (vgl. auch Musielak/Becker, ZPO, 11. Aufl.,§ 850a ZPO Rn 5a). Auch unter Berücksichtigung dieses Ge-sichtspunkts wäre es zweckwidrig, die Pfändbarkeit der Zula-gen von der konkreten Ursache der Erschwernis abhängig zumachen.

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(4) Die Entstehungsgeschichte des § 850a Nr. 3 ZPO lässt esebenfalls nicht zu, Zulagen, die für geleistete Wechselschichtoder für Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit gezahlt wer-den, von dem Anwendungsbereich des § 850a Nr. 3 ZPO aus-zunehmen. Die Vorschrift des § 850a ZPO ist durch Art. 1Nr. 12 des Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiete derZwangsvollstreckung vom 20.8.1953 (BGBl I S. 952) in die Zivil-prozessordnung eingefügt worden. Dem Gesetz liegt der Ge-setzentwurf der Bundesregierung vom 5.4.1952 (BT-Drucks 1/3284 S. 1 ff.) zugrunde. In dem Gesetzentwurf finden sich kei-nerlei Hinweise dahingehend, dass der Gesetzgeber den ein-deutig gewählten Begriff der „Erschwerniszulagen“ nicht um-fassend, sondern in einem engeren, zivilprozessualen Sinneverstanden wissen wollte. Dahingehende Anhaltspunkte fin-den sich auch nicht in der Stellungnahme des Bundesratesvom 29.2.1952 zu dem genannten Gesetzentwurf (vgl. Anlage2 zum Gesetzentwurf vom 5.4.1952, a.a.O.). Falls der Gesetzge-ber beabsichtigt hätte, im Rahmen der neu geschaffenen Vor-schrift des § 850a Nr. 3 ZPO bestimmte Erschwerniszulagenvon dem Begriff der Erschwerniszulagen auszunehmen, hättees nahe gelegen, dies in den Gesetzgebungsmaterialien deut-lich zu machen. Das ist indes nicht geschehen (…).(5) Eine einschränkende Auslegung des Begriffs „Erschwernis-zulage“ kann auch nicht mit einem Bescheid des Bundesmi-nisters der Justiz vom 13.8.1952 (3742 – 13 281/52) begründetwerden, in dem dieser ausweislich eines in der Zeitschrift „DerBetriebs-Berater“ (Jahrgang 1952, S. 859) enthaltenen Hinwei-ses im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit denBegriff der Schmutz- und Erschwerniszulage im Sinne des § 3Nr. 3 der Verordnung zur einheitlichen Regelung des Pfän-dungsschutzes für Arbeitseinkommen – Lohnpfändungsver-ordnung 1940 – vom 30.10.1940 (RGBl I S. 1451) in der Fas-sung des Gesetzes vom 22.4.1952 (BGBl I S. 247) dahin erläu-tert hat, dass „darunter nur solche Lohnzuschläge zu verste-hen sind, die zur Abgeltung einer durch die Eigentümlichkeitder Arbeit verursachten Erschwernis gewährt werden.“ Dazugehörten, so der in der Zeitschrift BB 1952, 859 wiedergege-bene Hinweis, „Zuschläge für Hitze-, Wasser-, Säure-, Staub-,Schacht- und Tunnel-, Druckluft- und Taucher- sowie Stachel-drahtarbeit“. Zuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeitkönnten hingegen nicht als Erschwerniszulagen angesehenwerden, diese Auffassung entspreche, so die Veröffentli-chung, „auch der tariflichen Praxis, die Erschwerniszulagenvon Nacht-, Sonn- und Feiertags- und ähnlichen Zuschlägen“klar unterscheide (vgl. hierzu BB 1952, 859). Die Ausführungendes Bundesministers der Justiz vom 13.8.1952 sind bereitsnicht zu § 850a Nr. 3 ZPO ergangen. Es ist auch nicht erkenn-bar, dass diese Erwägungen explizit in das Gesetzgebungsver-fahren zu § 850a Nr. 3 ZPO eingeflossen sind (vgl. hierzu auchOVG Lüneburg v. 17.9.2009 – 5 ME 186/09 – juris, Rn 10f, ZBR2010, 60). Im Übrigen hat diese Interpretation keinen Aus-druck in § 850a Nr. 3 ZPO gefunden. Für die Auslegung dieserVorschrift kann es auch nicht maßgeblich darauf ankommen,wie Zulagen in Tarifverträgen bezeichnet werden. Denn von

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Streitwert und GebührenStreitwert und Gebühren

der Bestimmung sind nicht nur solche Zulagen erfasst, die aufder Grundlage von Tarifverträgen gezahlt werden. Wie sichbereits aus dem Begriff der Erschwerniszulage ergibt, kommtes allein darauf an, ob eine Zulage für tatsächlich mit der Aus-übung der Arbeit verbundene Erschwernisse gezahlt wird.bb) Danach sind sowohl die Wechselschichtzulage nach § 8Abs. 5 TVöD als auch die Zuschläge, die gemäß § 8 Abs. 1Buchst. b, c und d TVöD für Nacht-, Sonntags- und Feiertags-arbeit gezahlt werden, Erschwerniszulagen i.S.d. des § 850aNr. 3 ZPO. Die Wechselschichtzulage gewährt einen finanziel-len Ausgleich dafür, dass Wechselschichtarbeit erheblich aufden Lebensrhythmus einwirkt und ihr Beginn und Ende au-ßerhalb der üblichen Arbeits- und Geschäftszeiten liegt. Diemit der Ausübung der Wechselschichtarbeit verbundenen Be-lastungen und Erschwernisse sollen ausgeglichen werden.Damit handelt es sich um eine Erschwerniszulage (vgl. auchBAG v. 24.9.2008 – 10 AZR 770/07 – Rn 39, BAGE 128, 42; 24.März 2010 – 10 AZR 58/08 – Rn 24, 32, BAGE 134, 34). Durchdie Zahlung der Zuschläge für Nacht-, Sonntags- und Feier-tagsarbeit sollen die Erschwernisse und Belastungen ausge-glichen werden, die dadurch entstehen, dass die Arbeitstätig-keit zu ungünstigen Arbeitszeiten auf den Lebensrhythmuseinwirkt und die Nacht und der Sonntag bzw. Feiertag nichtder Regeneration dienen , bzw. die Sonn- und Feiertage z.B.nicht dem Zusammensein mit der Familie und für Vornahmevon religiösen Handlungen genutzt werden können (vgl.hierzu auch BAG v. 11.12.2013 – 10 AZR 1018/12 – Rn 16, EzATVG § 4 Druckindustrie Nr. 35 zur Sonntagsarbeit; vgl. zurNachtarbeit auch BAG v. 5.9.2002 – 9 AZR 202/01 – BAGE 102,309; 27.5.2003 – 9 AZR 180/02, ZTR 2004, 212). (…)■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburgvom 9.1.2015, 3 Sa 1335/14

147. Nichtzahlung angeordneter Raten, Aufhebung derPKH setzt Verschulden voraus

Leitsätze:1. Eine Aufhebung der Prozesskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1Nr. 5 ZPO wegen Nichtzahlung angeordneter Raten setzt auchvoraus, dass der Zahlungsverzug auf einem Verschulden derbedürftigen Partei beruht.2. Verschulden fehlt, wenn die festgesetzten Raten wegen Ver-schlechterung der Vermögensverhältnisse der Leistungsfähig-keit der bedürftigen Partei nicht (mehr) entsprechen.■ Landesarbeitsgericht Kölnvom 15.9.2014, 1 Ta 176/14

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Streitwert und Gebühren

148. Wirksamkeit eines Streitwert, Aufhebungsvertrag,Abfindung

Aus den Gründen:I. Der Beschwerdeführer begehrt die Festsetzung eines höhe-ren Gegenstandswertes im Zusammenhang mit einem Antragauf Feststellung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses undder Verpflichtung der Beklagten eine Abfindung i.H.v.45.732,00 EUR zu zahlen. (…)Der Kläger hat am 17.4.2014 beim Arbeitsgericht Klage erho-ben und beantragt, festzustellen, dass das zwischen den Par-teien bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund des am12.12.2013 abgeschlossenen Aufhebungsvertrags zum31.7.2014 aufgelöst wird und die Beklagte verpflichtet ist,dem Kläger eine Abfindung i.H.v. 45.732,00 EUR brutto zu zah-len; (…)Das Arbeitsgericht hat auf Antrag des Prozessbevollmächtig-ten des Klägers den Wert für die anwaltliche Tätigkeit des Pro-zessbevollmächtigten des Klägers mit Beschl. v. 6.1.2015 aufebenfalls 10.083,00 EUR festgesetzt. Es hat ausgeführt, derStreitwert sei mit drei Bruttomonatsgehältern zu bemessen.(…)2. Die Beschwerde ist auch in der Sache erfolgreich. Der Wertfür die Gerichtsgebühren war unter Abänderung des arbeits-gerichtlichen Beschlusses auf 45.732.00 EUR festzusetzen.Gem. § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO ist für die Bestimmungdes Wertes einer Klage das wirtschaftliche Interesse des Klä-gers am Streitgegenstand entscheidend (LAG Rheinland-Pfalzv. 18.4.2011 – 1 Ta 46/11 – Rn 9, juris).Der Antrag des Klägers ist unter Berücksichtigung der Klage-begründung dahin auszulegen, dass der Kläger die Feststel-lung des Zustandekommens eines Aufhebungsvertrags unddaraus resultierend die Zahlung einer Abfindung i.H.v.45.732,00 EUR begehrt. Das wirtschaftliche Interesse derKlage richtet sich damit auf den Erhalt der 45.732,00 EUR, sodass der Streitwert in dieser Höhe festzusetzen war.Die Sonderregelung des § 42 Abs. 2 S. 1 GKG ist vorliegendnicht anwendbar. Nach dieser Regelung ist für die Wertbe-rechnung bei Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichten für Ar-beitssachen über das Bestehen, das Nichtbestehen oder dieKündigung eines Arbeitsverhältnisses höchstens der Betragdes für die Dauer eines Vierteljahres zu. leistenden Arbeitsent-geltes maßgebend; eine Abfindung wird nicht hinzugerech-net.Diese Regelung bedeutet nicht, dass alle geltend gemachtenAbfindungen unbewertet bleiben. Es ist nämlich zu unter-scheiden zwischen Abfindungen im Sinne der §§ 9, 10 KSchGeinerseits und anderen Entschädigungen, die auf anderenRechtsgrundlagen beruhen wie etwa einem Rationalisie-rungsschutzabkommen, Sozialplänen, sonstigen Vereinbarun-gen und auch Ansprüchen nach § 113 BetrVG. Beruht die Ab-findung auf einer eigenen Anspruchsgrundlage, die nicht von

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Streitwert und Gebühren Streitwert und Gebühren

dem Ausgang des Kündigungsschutzrechtsstreits abhängigist, handelt es sich um verschiedene Streitgegenstände. DerStreitwert eines solchen Abfindungsanspruchs unterliegtnicht den Beschränkungen des § 42 Abs. 2 GKG. Anders alsdiese Regelung, die den Kündigungsschutzprozess und diehier unter bestimmten Voraussetzungen festzusetzende Ab-findung meint, deren Voraussetzung die Unwirksamkeit der inerster Linie umstrittenen Kündigung ist, wachsen die anderenEntschädigungen nicht aus einer unwirksamen Kündigungheraus, sondern setzen im Gegenteil voraus, dass die Kündi-gung als solche, z.B. wegen einer Betriebsänderung, Rationali-sierungsmaßnahmen etc. Bestand hat (vgl. zu § 12 Abs. 7 S. 1ArbGG a.F.: LAG Hamburg v. 19.9.2003 – 4 Ta 16/03 – Rn 8, ju-ris); Die Abfindung mildert in diesen Fällen die im Verlust desArbeitsplatzes liegende Härte, stellt jedoch keine Ersatzleis-tung für das Arbeitsverhältnis dar. Der Streitwert richtet sichin diesen Fällen nach, der Höhe der Abfindung (vgl. Schwab,ArbGG 4. Aufl. 2015, § 12 Rn 202).Ein solcher Fall, der nicht eine unwirksame Kündigung oder ei-nen sonstigen unwirksamen Beendigungsgrund, sondern ge-rade eine wirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses vo-raussetzt, ist vorliegend gegeben. Der Kläger hat hier eine Ab-findung geltend gemacht und diese auf eine eigene – vertrag-liche – Anspruchsgrundlage gestützt. Die Parteien habennicht im Rahmen einer Bestandsschutzstreitigkeit über denFortbestand des Arbeitsverhältnisses des Klägers gestritten.Die begehrte Abfindung setzt gerade voraus, dass ein wirksa-mer Aufhebungsvertrag bereits zu Stande gekommen odernoch abzuschließen ist.Auch Sinn und Zweck der Regelung in § 42 Abs. 2 GKG greifthier nicht. Die gesetzliche Regelung will erreichen, dass derfür die Existenz des Arbeitnehmers besonders bedeutsameKündigungsschutzprozess aus sozialen Gründen nicht mit ei-nem zu hohen Kostenrisiko verbunden ist. Dieses Ziel wirddurchkreuzt, wenn die Höhe einer gem. § 9 KSchG gegebe-nenfalls festzusetzenden Abfindung beim für die Gebührenmaßgeblichen Streitwert berücksichtigt wird (LAG Münchenv. 14.9.2001 – 4 Ta 200/01 – Rn 12, juris). Im vorliegenden Fallging der Streit nicht um den Bestand des Arbeitsverhältnisses,den die eine oder andere Partei für sich in Anspruch nahm. Esging insbesondere auch nicht um ein vom Arbeitgeber inFrage gestelltes Recht des Arbeitnehmers, das Arbeitsverhält-nis zu beenden. Der Kläger begehrte die Zahlung einer be-stimmten Abfindung auf vertraglicher Grundlage. (…)■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalzvom 27.4.2015, 8 Ta 12/15eingereicht durch Rechtsanwalt Michael PeterDr. Anders & PartnerBismarckstraße 10, 53604 Bad HonnefTel.: 02224/2638 u. 967565, Fax: 02224/[email protected], www.anders-peter.de

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149. Streitwert Zwischenzeugnis

Leitsatz:Der Streit um den Inhalt eines Zwischenzeugnisses ist mit ei-nem Monatsbruttoentgelt zu bewerten. Die bisherige Recht-sprechung der Kammer (Bewertung mit einem halben Mo-natsbruttoentgelt) wird aufgegeben.■ Landesarbeitsgericht Kölnvom 21.1.2015, 4 Ta 347/14

150. Eingruppierung, Verfahrenswert

Leitsatz:Der Wert eines Verfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG, in dem esum die zutreffende Eingruppierung eines Arbeitnehmersgeht, bestimmt sich nicht nach der Vergütungsdifferenz ver-schiedener Entgeltgruppen.■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburgvom 26.2.2015, 17 Ta (Kost) 6014/15

151. Streitwert, Streitwertkatalog, Beschlussverfahren,Zustimmungsersetzung, „Mengenrabatt“ beiselbstständigen Einzelverfahren

Leitsätze:Werden in einem einheitlichen arbeitsgerichtlichen Be-schlussverfahren nach § 99 BetrVG auf Ersetzung der Zustim-mung des Betriebsrats zur Einstellung von Arbeitnehmernmehrere rechtlich und tatsächlich gleichgelagerte Fälle zu-sammengefasst, die keinerlei individuelle Besonderheitenaufweisen, kann es gerechtfertigt sein, bei der Bemessung desGebührenstreitwerts einen sog. „Mengenrabatt“ einzurech-nen: Der Gesamtstreitwert des Verfahrens fällt dann zwar hö-her aus, als wenn nur ein einziger Fall Streitgegenstand wäre,aber nicht so hoch wie das entsprechende Vielfache eines iso-liert bewerteten Einzelfalls.Dagegen verbietet es sich, in die Streitwertbetrachtung auchvermeintlich oder wirklich gleichgelagerte Fälle mit einzube-ziehen, die in anderen selbstständigen BeschlussverfahrenStreitgegenstand sind. Ein verfahrensübergreifender „Men-genrabatt“ kommt nicht in Frage.■ Landesarbeitsgericht Kölnvom 15.12.2014, 7 Ta 35/14

152. Streitwert, Beschlussverfahren,Zustimmungsersetzung, Eingruppierung, mehrere Fällein einem Verfahren

Leitsätze:1. Der Gebührenstreitwert eines Beschlussverfahrens, das aufdie Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Ein- oderUmgruppierung eines Arbeitnehmers gerichtet ist, richtet sichnach § 23 Abs. 3 S. 2 RVG, ist aber wegen der vom BAG ange-nommenen erheblichen Bedeutung des Beschlussverfahrensfür einen entsprechenden Individualrechtsstreit des betroffe-nen Arbeitnehmers (BAG v. 28.8.2008 – 2 AZR 967/06) „nach

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Rechtsprechung

Streitwert und GebührenStreitwert und Gebühren

Lage des Falles“ auf 80 % des 36-fachen Unterschiedsbetrageszwischen den streitigen Eingruppierungsvarianten festzuset-zen. (Rn 6)2. Dabei ist jedoch stets nur auf den Unterschiedsbetrag zurnächsthöheren oder nächstniedrigeren Entgeltgruppe abzu-stellen, auch wenn die Auffassungen der Beteiligten über dierichtige Eingruppierung mehr als eine Entgeltgruppe ausei-nander liegen. (Rn 8)3. Streiten die Beteiligten in ein- und demselben Beschlussver-fahren nach § 99 BetrVG um die Eingruppierung mehrerer Ar-beitnehmer, richtet sich der Streitwert grundsätzlich nach derSumme der wie oben berechneten Einzelstreitwerte. Ein sog.Mengenrabatt kommt allenfalls dann in Betracht, wenn dieEinzelfälle der verschiedenen Arbeitnehmer keinerlei indivi-duelle Besonderheiten aufweisen und für Gericht und An-wälte keinerlei individuellen Prüfungsbedarf hervorrufen.(Rn 13)■ Landesarbeitsgericht Kölnvom 28.10.2014, 7 Ta 250/13

153. Streitwert eines Verfahrens über die Besetzung derEinigungsstelle

Leitsätze:1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des LAG Köln,dass der Streitwert eines Verfahrens nach § 98 ArbGG a.F. re-gelmäßig 5.000 EUR beträgt. Dies gilt unabhängig davon, obdie Beteiligten schwerpunktmäßig über die Person des einzu-setzenden Vorsitzenden, über die Anzahl der Beisitzer oderüber die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelleoder mehrere oder gar alle diese Gesichtspunkte streiten.(Rn 3)2. An dieser Rechtsprechung wird auch nach Erarbeitung desStreitwertkatalogs festgehalten. (Rn 3)■ Landesarbeitsgericht Kölnvom 17.11.2014, 5 Ta 360/14

154. Streitwert, Änderungskündigung, andererArbeitsort

Aus den Gründen:Der Kläger, der bisher von seiner Wohnung in Mainhausen ausin seinem Home-Office für die Beklagte tätig war, erhielt vonder Beklagten eine Änderungskündigung, die er unter Vorbe-halt angenommen und im Übrigen Kündigungsschutzklageerhoben hat. Nach dem Änderungsangebot hatte der Klägerzu den bisherigen vertraglichen Bezügen und Bedingungennunmehr in Hamburg zu arbeiten.Mit Beschl. v. 14.1.2015 stellte das Gericht das Zustandekom-men eines Vergleichs gemäß § 278 Abs. 6 ZPO fest, wobei we-gen des Inhalts des Vergleichs auf Bl. 47 d.A. Bezug genom-men wird. Das Arbeitsgericht hat nach vorheriger Anhörungdes Klägers und seines Prozessvertreters den Gegenstands-wert für die Klage und den Vergleich durch Beschl. v. 9.2.2015jeweils in Höhe eines Bruttogehaltes festgesetzt, (…).

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II. Die zulässige Beschwerde der Klägervertreter hat Erfolg.Den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für das Ver-fahren und den Vergleich ist auf jeweils 8.850,00 EUR festzu-setzen, was den dreifachen Bezügen des Klägers entspricht.Der gegen die Wirksamkeit der unter Vorbehalt angenomme-nen Änderungskündigung gerichtete Rechtsstreit ist in Höheder dreifachen Bezüge des Klägers anzusetzen.Die Beschwerdekammer orientiert sich im Interesse einermöglichst einheitlichen Wertrechtsprechung in arbeitsge-richtlichen Verfahren an dem von der Streitwertkommissionder Arbeitsgerichtsbarkeit erarbeiteten Streitwertkatalog(siehe Streitwertkatalog 2014 veröffentlicht auf der Internet-seite des Hessischen Landesarbeitsgerichts unter Service/Wertfestsetzung, abgedr. in NZA 2014, 745 ff.). Dabei verkenntdie Beschwerdekammer nicht, dass der von der Streitwert-kommission erarbeitete Streitwertkatalog für die Arbeitsge-richte nicht bindend ist. Sie orientiert ihre Rechtsprechung je-doch im Interesse einer möglichst einheitlichen Gestaltungder Streitwertbemessung für bestimmte, typische Fallkonstel-lationen an diesem Katalog (vgl. auch LAG Nürnberg v.12.12.2013 – 4 Ta 133/13, BeckRS 2014, 03679 und v.21.6.2013 – 7 Ta 41/13, BeckRS 2013, 7121; LAG Sachsen v.28.10.2013 – 4 Ta 172/13, BeckRS 2014, 67070).Entsprechend ist der Gegenstandswert für eine unter Vorbe-halt angenommene Änderungskündigung mit einer Monats-vergütung bis zur Vergütung für ein Vierteljahr je nach demGrad der angebotenen Vertragsänderung zu bemessen, wennes infolge der ausgesprochenen Kündigung zu keiner Vergü-tungsänderung kommen soll.Unter Beachtung dieser Grundsätze ist im Hinblick auf die an-gebotene Vertragsänderung ein Betrag angemessen, der demdreifachen Bruttogehalt des Klägers entspricht. Das mit derÄnderungskündigung unterbreitete Angebot, zu im Übrigenunveränderten Arbeitsbedingungen die Tätigkeit nicht mehrvon seinem Home-Office in Mainhausen, sondern in Hamburgfür die Beklagte tätig zu werden, beinhaltet eine gravierendeÄnderung des zukünftigen Arbeitsortes, die massiv in das bis-herige Arbeitsleben eingreift. Bei dem Wechsel des Arbeitsor-tes über eine Strecke von mehr als 400 km handelt es sich umeine schwerwiegende Belastung für den Arbeitnehmer, die al-lein auf den geänderten Arbeitsbedingungen beruht. Sie be-dingt die Änderung des Wohnortes zumindest während derArbeitswoche und führt mithin zu einer wesentlichen Verän-derung der Lebensbedingungen im sozialen Umfeld, die nichtohne erheblich belastende Umstände einhergehen. (…)■ Hessisches Landesarbeitsgerichtvom 1.6.2015, 1 Ta 75/15eingereicht von Rechtsanwalt Ansgar S. ImgramMarktplatz 2, 63500 Seligenstadt,Tel.: 06182/825595, Fax: 06182 [email protected], www.ra-imgram.de

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155. Terminsgebühr durch Telefonat

Leitsatz

Ein Telefonat unter Anwälten, in dem darauf hingewiesenwird, dass ein erledigendes Ereignis bereits eingetreten ist

RezensionenMeine/Wagner (Hrsg.)Handbuch Arbeitszeit, Manteltarifverträge im BetriebBund-Verlag, 1. Aufl. 2014, 489 Seiten, geb., 39,90 EURISBN 978-3-7663-6291-9

Das von Hartmut Meine, dem Bezirksleiter des IG Metall Be-zirks Niedersachsen und Sachsen-Anhalt und Hilde Wagner,der Ressortleiterin Tarifpolitik beim Vorstand der IG Metall inFrankfurt/Main herausgegebene Buch umfasst die Rechte undAnsprüche, die sich für die Beschäftigten neben dem Betriebs-verfassungsgesetz insbesondere aus den Manteltarifverträ-gen der Metall- und Elektroindustrie ergeben und stellt dieseübersichtlich und gut strukturiert dar, so dass oft ein kurzerBlick genügt, um die wesentlichen Inhalte und Probleme zuerfassen.

Es ist insbesondere eine gute Zusammenschrift aller relevan-ten Themenkomplexe der Arbeitszeitgestaltung. Eingangs fin-det sich eine Darstellung der Grundprinzipien der Arbeitszeit(Dauer, Lage und Verteilung), die u.a. gefolgt wird von denThemenkomplexen flexible Arbeitszeitgestaltung, Verkürzungder Arbeitszeit zur Beschäftigungssicherung, Altersteilzeit, Ar-beitsverhinderungen und Betriebsstörungen sowie Arbeits-zeitregelungen in den Mantel-Tarifverträgen. Zudem befasstsich das Buch mit den Perspektiven der Arbeitszeitgestaltung,insbesondere mit Blick auf die Vereinbarkeit von Arbeit undPrivatleben und den im Wandel befindlichen Ansprüchen derBeschäftigten, die im Rahmen einer Studie der IG Metall ausdem Jahr 2013 ermittelt wurden. Dahingehend setzt es sichinsbesondere mit den Möglichkeiten der Durchsetzung guterArbeitszeitregelungen und sozial- und gesundheitsverträgli-cher Arbeitszeiten im Betrieb auseinander.

Insgesamt richtet sich das Buch eher an betriebliche Interes-senvertreter, denen es als umfassendes Nachschlagewerk hilftbei allen Fragen der Arbeitszeitgestaltung, bei der Anwen-dung der Tarifverträge und dem Wahrnehmen der Rechte derBeschäftigten. Gleichwohl verschafft das Buch aber auch demRechtsanwalt einen Überblick über gesetzliche und tarifver-tragliche Regelungen zur Arbeitszeit und ihrer vielfältigenAusgestaltungsmöglichkeiten und es vermag so in kürzesterZeit erste Fragen zu beantworten und einen guten Einstiegfür größere Problemfälle zu bieten.

Irene SchubertRechtsanwältin, Berlin

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und das dann die Rücknahme des Rechtsmittels zur Folge hat,führt nicht zum Anfall einer Terminsgebühr, da es die zukünf-tige Erledigung nicht mehr herbeiführen konnte.■ Landesarbeitsgericht Kölnvom 14.10.2014, 2 Ta 356/14

Hümmerich/ReufelsGestaltung von Arbeitsverträgen und Dienstverträgenfür Geschäftsführer und VorständeNomos Verlagsgesellschaft, 3. Aufl. 2015, 2052 Seiten, geb.,148,00 EURISBN 978-3-8487-0764-5

Mit weit über 2000 Seiten zählt das Werk mit dem Untertitel„Kommentierte Klauseln und Musterverträge“ zu den heraus-ragenden monografischen Ratgebern. Die Besonderheit setztsich beim Blick auf den Inhalt fort, denn rund drei Viertel desVolumens sind dem sog. Klauselalphabet vorbehalten, womitdie kritische Kommentierung von Muster-Vertragsklauseln zuallen üblichen vertraglichen Regelungsbedürfnissen gemeintist. Stets werden zu insgesamt 93 Stichworten wie Abrufklau-seln, Altersgrenzenregelungen, Arbeitszeitklauseln, Auslands-arbeitsverträgen, Bezugnahmeklauseln, Freizeitverhaltens-klauseln, Nebentätigkeitsklauseln, Social-Media-Klauseln,Überstundenklauseln, nachvertraglichem Wettbewerbsverbotetc. mehrere Regelungs- und Formulierungsmöglichkeitenvorgestellt und mit Vor- und Nachteilen sowie rechtlichen Be-denken besprochen.

Ergänzt wird diese Kasuistik durch kürzere instruktive Darstel-lungen, jeweils mit Musterverträgen, zu den unterschiedli-chen rechtlichen Regimen von Arbeitsverträgen, Dienstverträ-gen von Geschäftsführern und Vorständen und, über den Titelhinaus, der Verträge mit freien Mitarbeitern.

Sowohl die Klauselvorschläge als auch die dazu referierteRechtsprechung sind im Ergebnis einer kursorischen Durch-sicht auf aktuellem Stand und lassen sich unbedenklich über-nehmen. Auch die derzeit thematisierte Problematik der For-mulierung von Ausschlussfristen in Hinblick auf Ansprüchenach dem Mindestlohngesetz ist bereits angesprochen undeingearbeitet.

Zusammenfassend bekommt man Arbeitsvertragsklauseln„satt“, bestens zugänglich und verwendbar aufbereitet, unddamit eine uneingeschränkte Empfehlung für alle rechtsge-staltenden Tätigkeiten auf dem Gebiet des Arbeits- undDienstrechts.

Dr. Thomas BaumgartenFachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin

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Düwell/SchubertMindestlohngesetz – HandkommentarNomos Verlag, 1. Aufl. 2015, 320 Seiten geb., 69,00 EUR,ISBN 978-3-8487-1928-0

Kaum ein arbeitsrechtliches Gesetz hat die öffentliche Diskus-sion in den letzten Monaten derart geprägt wie das Mindest-lohngesetz. Dieser Handkommentar, der in seiner 1. Auflageerscheint, hat sich zum Ziel gesetzt, der Thematik die Emotio-nalität zu nehmen und einer juristischen Betrachtung zu un-terziehen. Für das Werk zeigen sich Autoren verantwortlich,die nicht nur in den unterschiedlichen juristischen Bereichentätig waren bzw. sind, sondern teilweise auch in den Entste-hungsprozess des Gesetzes involviert waren. Bereits dieserUmstand macht die Kommentierung zu einem Gewinn in derjuristischen Argumentation.Der Handkommentar setzt sich chronologisch mit den einzel-nen Normen des Gesetzes auseinander und befasst sich dabeiauch mit den Folgen, die das neue Gesetz über die Pflicht zurZahlung des gesetzlichen Mindestlohnes hinausgehend mitsich bringt. Dies erstreckt sich von der Anrechenbarkeit desgesetzlichen Mindestlohns auf einzelne Vergütungsbestand-teile wie Zuschläge, Provisionen, etc., über Auswirkungen aufdie Arbeitszeit (nebst der Aufzeichnungspflicht) bis hin zurHaftung und Sanktionen bei Verstößen gegen die gesetzli-chen Mindeststandards. Hervorzuheben ist, dass auch die ein-schlägigen Normen mit Bezug auf das Mindestlohngesetz ausdem AEntG, AÜG, TVG, SchwarzArbGG sowie die aufgrund desGesetzes erlassenen Verordnungen eine integrierte Kommen-tierung erfahren.Fazit: Der Kommentar bietet eine kompakte und eingehendeKommentierung zum gesetzlichen Mindestlohn. Er ist gut les-bar, bleibt stets praxisorientiert und ist daher für Kollegenempfehlenswert.Dr. Gunnar Becker, LL.M.Fachanwalt für Arbeitsrecht

PreisDer Arbeitsvertrag – Handbuch der VertragsgestaltungVerlag Dr. Otto Schmidt, 5. Aufl. 2015, 1952 Seiten, geb.,149,00 EURISBN 978-3-504-42033-8

Dieses bekannte und beliebte Werk wird in der neuesten Auf-lage ausschließlich durch Professoren und Richter gestaltet.Das ist – wie im Vorwort mitgeteilt wird – eine gewollte Kon-zeption, weil inzwischen zahlreiche Werke auf dem Fachbuch-markt vorhanden sind, die ganz in den Händen der Anwalt-schaft liegen und die Autoren des „Preis“ im vermeintlichenGegensatz zu anwaltlichen Autoren anstreben, die Diskussionum die rechtsbeständige und interessenausgleichende Ver-tragsgestaltung zu fördern.Das kommt ein wenig diskreditierend daher, denn um dieRechtsbeständigkeit sind anwaltliche Autoren ganz beson-

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ders bemüht, sind es doch die Anwälte, die etwa nicht-rechts-beständige Formulierungen von Angesicht zu Angesicht vorder Richterschaft zu verteidigen haben, während die Professo-ren durch den Elfenbeinturm der Wissenschaft geschützt sind.Von diesem Lapsus abgesehen ist das Werk weiterhin und ver-stärkt eine große Hilfe bei den eigenen Überlegungen dazu,was man für interessengerecht und rechtsbeständig hält.Zum Einstieg sollte man das Vorwort lesen, damit man weiß,warum es das eine Stichwort nicht gibt und das andere umge-wandelt wurde. Alsdann gliedert sich das Werk in drei über-sichtlich getrennte Teile, nämlich die Grundlagen der Ver-tragsgestaltung einschließlich der sozialrechtlichen und steu-errechtlichen Aspekte, den Kommentar zu Vertragstypen undVertragsklauseln und die Vertragsmuster, für die im Vorwortnoch einmal geltend gemacht wird, dass man sich um einefaire Vertragsgestaltung bemüht. Besondere Vertragsmustergibt es für das Bank- und Versicherungsgewerbe, die chemi-sche Industrie, den Einzelhandel und die Metallindustrie. Beidem Teil Kommentar zu Vertragstypen und -klauseln gehörtauch eine umfangreiche Bearbeitung des Abwicklungsvertra-ges und des Aufhebungsvertrages dazu, Personalfragebögenund Zielvereinbarungen und natürlich die üblichen Stich-worte von Abtretungsverbot bis Zurückbehaltungsrecht. Ge-genstände der so genannten Compliance wurden unter ein-zelnen Stichworten, z.B. Anzeige- und Nachweispflichten, au-ßerdienstliches Verhalte und Ehrenämter berücksichtigt. Alleswird ausführlich erläutert. Schwerpunkte der Neuauflage sinddie Aufnahme besonderer Vertragsmuster für den Niedrig-lohn- und Mindestlohnbereich sowie für die geringfügige Be-schäftigung, wobei diese Themen selbstverständlich auch beiden allgemeinen Ausführungen zur Vertragsgestaltung be-rücksichtigt wurden. Der Rechtsprechungsnachweis wurdeauf den neuesten Stand gebracht, u.a. zur flexiblen Arbeits-zeit, zum Direktionsrecht und zu Vertragsstrafen.Dieses Werk hat sich einen Stammplatz bei der Gestaltungvon Verträgen verdient geschaffen und gehört neben einigenanderen wichtigen Werken auf den Schreibtisch jedes bera-tenden Anwalts.Dr. Hans-Georg MeierFachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin

Bubenzer/Noltin/Peetz/MallachSeearbeitsgesetz – KommentarVerlag C.H.Beck, 2015, 598 Seiten in Leinen, 89,00 EURISBN: 978-3-406-66876-0

Seearbeitsrecht? Das ist doch nur etwas für Anwälte, die in ei-ner der großen deutschen Hafenstädte residieren, mag man-cher denken. Und dann sind wir Deutschen doch wohl auchnicht zuständig, denn die meisten Schiffe sind „ausgeflaggt“?Das sind teilweise Vorurteile, teilweise in der Sache richtigaber ohne die daraus gezogene Konsequenz der Irrelevanz fürden in Regensburg, Köln oder Cottbus praktizierenden Ar-beitsrechtler.

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Zum einen gibt es doch noch das eine oder andere unter Bun-desflagge operierende Seeschiff, zum anderen gilt das deut-sche Seearbeitsgesetz und vor allem das von ihm geschützteSeerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen und dasSeearbeitsübereinkommen 2006 auch für Schiffe unter aus-ländischer Flagge bzw. deren Besatzungsmitglieder. Undschließlich sind deutsche und ausländische Seeleute nicht nuran der Nord- und Ostsee beheimatet, sondern in erstaunlichhoher Zahl auch in Bayern, im Rheinland und in Sachsen, z.B.solche, die auf einem der in wachsender Zahl auf den Meerenfahrenden Kreuzfahrtschiffen im gastronomischen Bereichunterwegs sind. Auf meiner Kreuzfahrtreise bin ich von vielenBayern und Sachsen betreut worden. Sie alle haben nach ei-nem Rundumeinsatz auf See einen langen Urlaubsanspruchund könnten Sie fragen, was denn nun zu tun ist, wenn siewährend dieses Urlaubs erkranken. Ausgerüstet mit dem hierbesprochenen Kommentar zum Seearbeitsgesetz könnten Sieauf § 62 SeeArbG gestützt die richtige Auskunft erteilen. ZuHause hat der „Seemann“ auch ausreichend Zeit, sich über al-les zu informieren, was ihm während der Reise unangenehmaufgefallen ist und Sie z.B. nach Arbeitszeiten und Ruhezeitenauf See wie im Hafen befragen, der Angemessenheit der Ver-gütungsbedingungen, und wenn es ganz schlimm kommt(das habe ich selbst erlebt), dann verstirbt ein Besatzungsmit-glied und seine Witwe fragt, wie in solchen Fällen zu verfah-ren ist und Sie könnten sie auf die §§ 79, 80 i.V.m. den ein-schlägigen Vorschriften der Maritime Labour Convention2006 (MCL) verweisen. Durch letztere sind weltweit gültigeStandards für die Arbeits- und Lebensbedingungen von See-leuten verbindlich festgelegt worden und das besprocheneWerk kommentiert erstmals umfassend und praxisbezogendie relevanten Fragen hierzu. Damit können Sie sich u.a. infor-mieren über die Bedingungen der Arbeitsvermittlungsagen-turen, seeärztliche Untersuchungen, Heuerverträge (Arbeits-verträge), Arbeitszeiten, Urlaub, Kündigung, Heimschaffung,medizinische Versorgung an Bord und Seearbeitszeugnisse.

Nach der Neufassung des Seemannsgesetzes zum Seear-beitsG per 1.8.2013 wird sich einstweilen nicht mehr viel än-dern und auch die MCL und die anderen internationalen Ab-kommen über die Rechte der Seeleute und die Zuständigkeitfür Rechtsstreitigkeiten werden aufgrund der Vielfalt der beieiner Neugestaltung einzubeziehenden Organisationen innächster Zeit kaum verändert werden, so dass dieser Kom-mentar Ihnen lange Zeit ein zuverlässiger Begleiter sein wirdund sich damit die Anschaffung sehr wohl lohnt.

Dr. Hans-Georg MeierFachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin

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TschöpeArbeitsrecht HandbuchVerlag Dr. Otto Schmidt, 9., neu bearb. Aufl. 2015,3189 Seiten, geb., 159,00 EURISBN 978-3-504-42043-7

Der „Tschöpe“ hat sich zu einem Standardwerk in der täglichenarbeitsrechtlichen Praxis entwickelt und erscheint mittler-weile in der 9. Auflage. Auffallend ist auf den ersten Blick dieÄnderung im Titel vom bisherigen Anwalts- zum „einfachen“Handbuch Arbeitsrecht. Der Herausgeber verfolgt hiermit dasZiel, die breite Leserschaft seines Werkes (Rechtsanwälte,Richter, Personalverantwortliche und Verbände) direkt anzu-sprechen.Abgesehen von der Titeländerung hat das Werk seine be-kannte Grundgestaltung beibehalten und ist lediglich in Nu-ancen (so etwa beim Beschäftigtendatenschutz) modifiziertworden. Demzufolge bildet das Handbuch nach wie vor dasgesamte Arbeitsverhältnis ab, angefangen von dessen Be-gründung über seinen Bestand bis hin zu Beendigungstatbe-ständen. Neben diesem individuellen Themenkomplex erfah-ren auch das kollektive Arbeitsrecht, das arbeitsgerichtlicheVerfahren sowie sozialversicherungsrechtliche Regelungenmit Bezug auf das Arbeitsverhältnis eine gewohnte intensiveAuseinandersetzung. Die aus früheren Auflagen bekannteund bewährte Darstellung von Hinweisen, Beispielen, Check-listen und Musterformulierungen wurde ebenfalls beibehal-ten.Das Werk berücksichtigt selbstverständlich die aktuelle Recht-sprechung und Gesetzgebung, so etwa die Regelung zumMindestlohngesetz und des Familienpflegezeitgesetzes undwagt zudem einen Ausblick auf den umstrittenen Gesetzent-wurf zur Tarifeinheit. Abschließend hervorzuheben ist die de-taillierte Darstellung und Aufbereitung des Streitwertkatalogszur Arbeitsgerichtsbarkeit.Fazit: Dieses Standardwerk von Praktikern für Praktiker istauch in seiner 9. Auflage für die tägliche Arbeit unerlässlich,bleibt wie gewohnt stets praxisorientiert und unterstützt da-bei das Erreichen optimaler Ergebnisse. Es ist daher ohneWenn und Aber mit dem Prädikat „empfehlenswert“ zu be-werten.Dr. Gunnar Becker, LL.M.Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin

Bauer/DillerWettbewerbsverboteVerlag C.H. Beck, 7. Aufl. 2015, 533 Seiten kart., 59,00 EURISBN 978-3-406-67943-8

Der Rechtsgegenstand dieses Werkes steht im Spannungsfeldzwischen dem Recht des einzelnen Beschäftigen, sich nachBeendigung eines Arbeitsverhältnisses frei auf dem Markt be-wegen zu können, sei es in einer weiteren abhängigen Be-schäftigung, sei es als Unternehmer, und dem verständlichen

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Rezensionen

Wunsch des Arbeitgebers, seine eigenen Geschäftsbeziehun-gen zu schützen vor einem Mitbewerber, den er sich selbst„herangezüchtet“ hat durch beste Ausbildung und Verschaf-fung von Kontakten im zukünftig gemeinsamen Geschäfts-feld.Dieses Spannungsfeld führt zu einer reichhaltigen Rechtspre-chung. Zudem entstehen sozial- und steuerrechtliche Fallstri-cke, so dass dringend zu empfehlen ist, sich vor Bearbeitungeines entsprechenden Falles gründlich einzuarbeiten oder je-denfalls auf den neuesten Stand zu bringen. Zu diesem Zweckist die 7. Auflage der „Wettbewerbsverbote“ von Bauer/Dillerwärmstens zu empfehlen. Das Werk ist an der Praxis orientiert,erfasst die Konflikte umfassend und in jeder Ausprägung, vonder Berücksichtigung im Aufhebungsvertrag, über pensions-rechtliche Fragen bis hin zur Berechnung der Karenzentschä-digung und in allen Spielarten, z.B. auch bezüglich der insbe-sondere bei Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern beliebten„Mandantenübernahme-klauseln“, bezüglich derer neuereEntscheidungen Andeutungen der Vergangenheit sichtbarweiterentwickelt haben und Anlass geben, sich über nochweitreichendere Konsequenzen auseinanderzusetzen.Umfassend ist das Werk, da es die geschichtliche Entwicklungdarstellt, die Rechtsquellen, das Zustandekommen von Wett-bewerbsverboten und mögliche Rechtsmängel und ihre Fol-gen, die Karenzentschädigung, den Verzicht und die Lösungvom Wettbewerbsverbot sowie die Anrechnung anderweiti-gen Verdienstes, Wettbewerbsverbote auch mit Organmitglie-dern und freien Mitarbeitern erörtert und das bereits ange-sprochene Sozialversicherungs- und Steuerrecht, um nur ei-nige Themen zu nennen.Äußerst hilfreich ist schließlich auch ein umfangreicher An-hang mit Mustern zu allen relevanten Erklärungen im Rahmendes Wettbewerbsverbots, teilweise auch in englischer Fas-sung. Arbeitserleichternd ist zudem, dass die einschlägigenRegelungen aus diversen relevanten Gesetzen ebenfalls wie-dergegeben werden.Wer auch nur einen Fall zu bearbeiten hat, bei dem es um einWettbewerbsverbot geht, der kann auf dieses Werk nicht ver-zichten.Dr. Hans-Georg MeierFachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin

Norbert SchneiderFälle und Lösungen zum RVG – Praktische Anwendungund AbrechnungsbeispieleDeutscher Anwaltverlag, Bonn, 4. Aufl. 2015, 1546 Seiten,geb., 99,00 EURISBN 978-3-8240-1252-7

„Fälle und Lösungen zum RVG“ stammt von einem Rechtsan-walt und Gebührenrechtler und richtet sich an Praktiker. Vordem Hintergrund, dass Kosten und Gebühren für viele An-wälte ein eher unbeliebtes bzw. unvertrautes Thema sind, fürdas oft die Zeit zu fehlen scheint, sorgt das Buch für willkom-

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mene Abhilfe. Beabsichtigt war hierbei gerade kein Werk mitLehrbuchcharakter, sondern eine übersichtliche und leicht zu-gängliche Anwendungshilfe für das RVG und die Rechnungs-erstellung. Dies ist dem Autor in 42 Kapiteln gelungen, in de-nen er alle wesentlichen Bereiche des Kostenrechts praktischund übersichtlich abdeckt. Das beeindruckende Ausmaß hatsich vor allem durch die Einarbeitung der Änderung durch das2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz, aber auch der Ände-rungen des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts imGegensatz zu den vorherigen Auflagen noch um einiges er-weitert, durch eine klare und konsequente Struktur büßt eshierdurch jedoch nicht an Übersichtlichkeit ein. Zudem bietetdas Werk etwas, was Anwälte aus ihrem Berufsalltag sonstnicht kennen, nämlich verständliche Lösungsbeispiele für dierelevantesten Fälle in Form von über 2.200 Beispielfällen, beidenen der Autor besonders auf Praxis-und Rechtssprechungs-bezug geachtet hat und die mit knappen, aber prägnanten er-gänzenden Erläuterungen die notwendigen Grundlagen dar-legen.

Nach einem einleitenden Kapitel, in dem das Vorgehen beiAbrechnungen sowie die Anforderungen an eine ordnungs-gemäße Abrechnung behandelt werden, folgt die Auseinan-dersetzung mit den möglichen Kosten- und Gebührentatbe-ständen in allen denkbaren Bereichen und Stadien der an-waltlichen Tätigkeit. Den häufigsten Rechtsgebieten Verwal-tungsrecht, Arbeitsrecht, Steuerrecht und Sozialrecht sowieStrafsachen wurde jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet. DerUmfang des Buches ermöglicht darüber hinaus nicht nur dieEinbeziehung sehr relevanter Bereiche wie der außergerichtli-chen Vertretung und bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ersterInstanz, sondern auch seltenere Probleme wie die Abrech-nung bei überlangen Gerichtsverfahren, das selbstständigeBeweisverfahren oder die Bewilligung der Vollstreckung aus-ländischer Geldstrafen konnten in einem eigenen Kapitel Be-achtung finden.

Arbeitsrechtliche Angelegenheiten werden praxisbezogenunter § 27 behandelt. Durch eine Unterteilung in die verschie-denen Stadien der anwaltlichen Betreuung, von der Erstbera-tung über das Mahnverfahren sowie die verschiedenen In-stanzen bis hin zur Zwangsvollstreckung, lässt sich auf alleFragen eine schnelle Lösung finden. Die jeweiligen Stadien ei-nes Mandats sind ihrerseits aufgeteilt in die relevantesten Sze-narien, wie z.B. den Entwurf eines Aufhebungsvertrages, einesKündigungsschreibens und den Abschluss eines Sozialplansin der außergerichtlichen Vertretung oder die Güteverhand-lung mit Einigung im ersten Rechtszug. Für jedes Szenariowird ein praxisrelevantes Beispiel angeboten, das die Anwen-dung einfach und effektiv macht.

Das Buch ermöglicht eine Bearbeitung aller möglichen Ab-rechnungskonstellationen auf einen Blick. Der bewusste Ver-zicht auf lehrbuchartige Informationen und die Konzentration

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Rezensionen

auf die praxisrelevante Berechnung macht das Buch zu einemalltäglichen, nützlichen Nachschlagewerk.Alice StählerRechtsanwältin, Köln

Schaefer/SchaeferAnwaltsgebühren im ArbeitsrechtDeutscher Anwaltverlag, Bonn, 4. Aufl. 2015, 265 Seiten,geb., 44,00 EURISBN 978-3-8240-1245-9

Die Autoren, ein Fachanwalt für Arbeitsrecht, sowie sein Sohn,Diplom-Jurist, beschreiben in ihrem Buch sehr anschaulich an-hand vieler Beispiele, samt Beispielrechnungen, auf welch un-terschiedliche Weise sich die Gebühren im Arbeitsrecht be-rechnen können und was es in den einzelnen Fallgestaltun-gen zu beachten gilt. Das mittlerweile in 4. Auflage erschie-nene Buch wurde mit dem neuen Streitwertkatalog, der Einar-beitung der RVG-Reform sowie aktuelle Entscheidungen aufden neuesten Stand gebracht und berücksichtigt vor allemauch das praxisrelevante Regulierungsverhalten von Rechts-schutzversicherungen. Es wird zudem an vielen Stellen auf diejeweils zu beachtende anwaltliche Aufklärungspflicht hinge-wiesen, was die komplexe Aufklärungspflicht des Rechtsan-walts und die damit verbundene Haftung verdeutlicht.Das zu Recht als Kernkompetenz beschriebene Gebiet desVergütungs- und Kostenrechts wird oft stiefmütterlich behan-delt, dabei ist dies das tägliche Brot eines jeden Rechtsanwaltsund sichert diesem seinen Lohn. Dieses Buch hilft auf an-schauliche Weise, sich im Dschungel des Vergütungsrechts

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und der dazugehörigen Rechtsprechung zurechtzufinden. Da-bei zeigen die Autoren zunächst auf, wie wichtig eine Kosten-prognose zu Beginn eines Mandats ist und was es dabei zubeachten gilt, bevor die einzelnen Streitwerte von Klageanträ-gen und Vergleichen sowie außergerichtlicher Tätigkeit erläu-tert werden. Im Weiteren werden die Gebühren des RVG nachden jeweiligen Verfahrensständen geordnet beschrieben, wo-bei ausführlich und anschaulich auf die jeweiligen Gebühren-tatbestände eingegangen wird. Anschließend gehen die Au-toren auf die Erstattung der Gebühren durch Rechtsschutz-versicherungen, Landes- und Bundeskassen, den Gegner undden Mandanten ein. Schließlich werden Vergütungsvereinba-rungen behandelt und Gestaltungsmöglichkeiten erläutert,bevor auf die Besonderheiten bei der Vertretung des Betriebs-rates, Streitwerte im Beschlussverfahren und die Vergütungenbei Einberufung einer Einigungsstelle eingegangen wird. Ab-gerundet wird das Buch durch eine Vielzahl von Mustern, dievom Beginn des Mandatsverhältnisses bis zu seiner Abrech-nung reichen und auch Deckungsanfragen an die Rechts-schutzversicherung umfassen sowie den aktuell diskutiertenStreitwertkatalog der Arbeitsgerichtsbarkeit.Das Buch gibt einen sehr guten und ausführlichen Überblicküber die anwaltlichen Gebühren im Arbeitsrecht und hilft vorallem auch bei besonderen Fallgestaltungen weiter, da auchdiese nicht vergessen wurden, sondern oft unter Erläuterungdes Meinungsstandes dargelegt werden. Insofern ist es einebenso gutes Grund- wie Nachschlagewerk, um sich im Ge-bührenrecht einen Überblick zu verschaffen und in der Praxissicher zu fühlen.Beatrice KemperRechtsanwältin, Köln

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Stichwortverzeichnis

Stichwortverzeichnis

(Zahlenangaben sind lfd. Nummern der Entscheidungen)

AbfindungBerechnungskriterien – 98Fälligkeit – 98Sozialplan – 108

Abgeltungsklauselsiehe Ausgleichsklausel

AGB-KontrolleBezugnahmeklausel – 101

AGGAltersdiskriminierung – 95Ausschlussfrist – 92Entschädigungsanspruch – 92Geschlechtsdiskriminierung – 92, 96Passivlegitimation – 96Schwerbehinderung – 93Sozialplan – 93Urlaub – 95Vergütungssystem – 92

AllgemeinverbindlichkeitAussetzung des Rechtsstreits – 141

Allgemeines PersönlichkeitsrechtGeschlechtsdiskriminierung – 96Mindestgrößenvorgabe – 96

AltersteilzeitDienstwagen in der Freistellungsphase – 102

ÄnderungskündigungMinderleistung – 121

AnnahmeverzugAusschlussfrist – 124Ausweisentzug – 104Leistungsminderung/-unfähigkeit – 104Verjährung – 124

ArbeitnehmerstatusDarlegungs- und Beweislast – 105Messehostess – 106Physiotherapeut – 143

ArbeitnehmerüberlassungBranchenzuschläge – 136Equal-pay – 101

ArbeitsverweigerungAuflösungsantrag – 129

AuflösungsantragArbeitspflicht – 129

AusgleichsklauselAuslegung – 97

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Kostenerstattungsanspruch – 97Wirkungsbereich – 97

AuslegungAusgleichsklausel – 97Prozessvergleich – 97Sozialplan 108

AusschlussfristDauertatbestand – 92Insolvenzanfechtung – 145Unwirksamer Tarifvertrag – 101

Außerordentliche KündigungDarlegungs- und Beweislast – 117Konkurrenztätigkeit, Vorbereitung – 116Manipulative Bescheinigung – 119Presseveröffentlichung – 118Spesenbetrug – 117Urkundenfälschung – 119Verdacht – 120Verheimlichendes Verhalten - 119Whistleblowing – 118

AussetzungAllgemeinverbindlichkeit – 141

Befristung des ArbeitsverhältnissesEuroparecht – 125Gesamtabwägung – 125Klagefrist – 126Rechtsmissbrauch – 125, 128Tarifliche Regelungsbefugnis – 127Vertretung mittelbar – 125

Betriebliche AltersversorgungEinstandspflicht des Arbeitgebers – 107Pensionskasse – 107

Betriebsbedingte KündigungInsolvenz – 114Interessenausgleich mit Namenslisten – 113, 114Sozialauswahl – siehe dortTeil-Namensliste – 115

BetriebsratKompetenzkonflikt – 133Restmandat – 133Übergangsmandat – 133Zuständiger Betriebsrat – 133

BetriebsratswahlLeiharbeitnehmer – 131, 132Regelmäßige Beschäftigtenzahl – 131, 132

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Stichwortverzeichnis

BetriebsübergangPassivlegitimation der Kündigungsschutzklage – 110Tarifbindung – 99

BeweisangebotAusforschung – 117Behauptung ins Blaue – 117

Dienst-PkwFreistellungsphase Altersteilzeit – 102

DirektionsrechtArbeitsort – 103Drohendes Unvermögen – 103Rücksichtnahmepflicht – 103

EingruppierungAnrechnungsbeschränkung – 135Berufserfahrung – 135Branchenzuschläge – 136

Einstweilige VerfügungDirektionsrecht – 138Schwerbehindertenkündigungsschutz – 139Späte Antragstellung – 137Verfügungsgrund – 137, 138Weiterbeschäftigungsanspruch – 137

FeststellungsinteresseVergütung – 140

FeststellungsklageFeststellungsinteresse – 140

Freizügigkeit, europäischeAnrechnungsbeschränkung – 135

InsolvenzanfechtungDarlegungs- und Beweislast – 145Scheingeschäft – 145Vertragliche Ausschlussfrist – 145

IntegrationsamtEinstweiliger Rechtsschutz – 139Zustellung des Zustimmungsbescheides – 123

InteressenausgleichBetriebsratsbeschluss – 112Teil-Namensliste – 115

KostenfestsetzungEinwendungen – 97

Kündigungsiehe auch unter betriebsbedingte-, krankheitsbedingte –,verhaltensbedingte, außerordentliche und personenbe-dingte –Änderungskündigung – siehe dortSchwerbehinderte – siehe dort

KündigungserklärungSchriftform – 122

03/2015 187

Leiharbeitnehmersiehe Arbeitnehmerüberlassung

MassenentlassungsanzeigeAmtliche Auskunft – 111Konsultationsverfahren – 111

Mitbestimmung des Betriebsrates in personellen Angele-genheiten

Versetzung – 134

Mitbestimmung des Betriebsrates in sozialen Angelegen-heiten

Facebook – 130Ordnung im Betrieb – 130Technische Überwachung – 130

MobbingDarlegungs- und Beweislast – 94Indizien – 94

NachweisgesetzAktuelle Vertragsbedingungen – 100

Personenbedingte KündigungMinderleistung – 121

PfändbarkeitZeitzuschläge – 146

ProzesskostenhilfeAufhebung – 147Ratenzahlung – 147

ProzessvergleichAuslegung – 97, 98

SchadenersatzMitverschulden – 91Pflichtverletzung des Arbeitgebers – 91Unfallanzeige – 91

Schlüssiger VortragAnforderungen – 105Vergütungsklage – 124

SchriftformKündigungserklärung – 122

SchwerbehinderteAnnahmeverzug nach Rehabilitation – 124Reihenfolge der Gremienbeteiligung – 118Zustimmungsverfahren Integrationsamt – 123

SozialauswahlDarlegungs- und Beweislast – 113Erklärungspflicht des Arbeitgebers – 113Gruppenzugehörigkeit – 113Interessenausgleich mit Namensliste – 113, 114Teilnahmeliste – 115Unterhaltspflicht – 108Vergleichbare Arbeitnehmer – 113

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Impressum

SozialplanAuslegung – 108Diskriminierung – 93Schwerbehinderte – 93

SozialversicherungsbeiträgeErfüllungswirkung – 144Unzuständigkeit des Arbeitsgerichts – 144

StreitwertAufhebungsvertrag – 148Beschlussverfahren – siehe dortKündigungsschutzverfahren – siehe dortZwischenzeugnis – 149

Streitwert im BeschlussverfahrenEingruppierungsstreitigkeit – 150, 152Einsetzung Einigungsstelle – 153Mehrere Anträge – 151, 152Mehrere Verfahren – 151Personelle Einzelmaßnahme – 151, 152

Streitwerte im KündigungsschutzverfahrenÄnderungskündigung – 154

TarifvertragBetriebsübergang – 99Bezugnahmeklausel – 99Einzelvertragliche Abmachung – 99

Impressum

AE-Arbeitsrechtliche Entscheidungen

Herausgeber:Rechtsanwalt Dr. Hans-Georg Meier und dieArbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV

Chefredakteur:Rechtsanwalt Dr. Hans-Georg MeierTauentzienstraße 1110789 BerlinTelefon (030) 25 45 91 55Telefax (030) 25 45 91 66E-Mail: [email protected]

Redaktion:Rechtsanwältin Dr. Nathalie OberthürKanzlei RPO RechtsanwälteIm Mediapark 650670 KölnTelefon (0221) 355051-50Fax (0221) 355051-35E-Mail: [email protected]

Rechtsanwältin Regina SteinerKanzlei Steiner, Mittländer, FischerBerliner Str. 4460311 FrankfurtTelefon (069) 21 93 99-0Fax (069) 21 93 99-21E-Mail: [email protected]

für die Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deut-schenAnwaltverein (Adresse s. unten)

Geschäftsführender Ausschuss:Geschäftsstelle:Rechtsanwalt Dr. Johannes Schipp (Vors.)Münsterstraße 2133330 GüterslohTelefon (0 52 41) 90 33-0Telefax (0 52 41) 1 48 59

Deutscher AnwaltVereinArbeitsgemeinschaft ArbeitsrechtGeschäftsstelleThomas MarxLittenstraße 1110179 BerlinTelefon (030) 72 61 52-0, Sekr. 171Telefax (030) 72 61 52-195

Verlag:Deutscher AnwaltVerlagRochusstr. 2–453125 BonnTelefon: (0228) 9 19 11-0Telefax: (0228) 9 19 11-23E-Mail: [email protected]

AnzeigenDeutscher AnwaltverlagKarin SchwettmannAdresse: s.o.Telefon: (0228) 9 19 11-41Telefax: (0228) 9 19 11-23E-Mail: [email protected]

LektoratAnne KraussTelefon: (0228) 9 19 11-52E-Mail: [email protected]

SatzCicero Computer GmbH, 53225 Bonn

DruckHans Soldan Druck GmbH, 45356 Essen

ErscheinungsweiseDie AE erscheint vierteljährlich.

Bezugspreise 2015Inland € 109,– (zzgl. Versand)Einzelheft € 33,80 (zzgl. Versand)

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Das Abonnement verlängert sich zu den jeweils gültigen Bedingungen um einJahr, wenn es nicht 6 Wochen vor Ablauf des Bezugsjahres gekündigt wird.

Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitsrecht erhalten die AE im Rah-men ihrer Mitgliedschaft.

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03/2015188

TerminsgebührErledigungsziel – 155

UrlaubsanspruchAltersdiskriminierung – 95

VerdachtskündigungAnforderungen – 120

VergütungsanspruchErfüllung durch Sozialbeiträge – 144

VerjährungRestitutionsverfahren – 124

VertrauensleuteschutzabkommenVersetzung – 134

VerzichtVerzichtswille, Anforderungen – 97

WiedereinsetzungAnwaltsverschulden – 142

ZeitzuschlägePfändbarkeit – 146

Zuständigkeit des ArbeitsgerichtsSozialversicherungsbeiträge – 144

ZwangsvollstreckungZeitzuschläge – 146