solidarität mit modernität verbinden debatte über einen gesetzentwurf zur reform der gesetzlichen...

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Der Internist 9·99 | M 273 Gesundheitswesen BDI K.D. Göring-Eckardt Solidarität mit Modernität verbinden Debatte über einen Gesetzentwurf zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung – „Gesundheitsreform 2000“/49. Sitzung des Bundestages am 30.Juni 1999 Liebe Frau Bergmann-Pohl, Sie haben davon gerdet, daß wir mit diesem Ge- setzentwurf die Reglementierung auf die Spitze treiben würden.Ich kann Ih- nen nur sagen: Ich empfehle Ihnen die Lektüre des „Handelsblatts“ von heute. Darin können Sie nachlesen, daß sich gerade diejenigen, die von dieser Re- form profitieren werden, auch heute schon dem Wettbewerb im System stel- len, einem Wettbewerb übrigens, den Sie immer wieder in die Schranken gewie- sen haben. Sie haben gesagt, Qualität und Wirtschaftlichkeit zu prüfen sei Re- glementierung. In wessen Sinne prüfen wir denn Qualität und Wirtschaftlich- keit, bitte schön? Wir tun das doch ganz sicher,damit Patientinnen und Patienten wissen, worauf sie sich einlassen kön- nen, und damit Patientinnen und Pati- enten in vollem Umfang, in hoher Quali- tät und mit Wirtschaftlichkeit – die sich am Ende doch auf das Gesamtsystem auswirkt – betreut werden können. Wettbewerb um Qualität Patientinnen und Patienten in den Mit- telpunkt zu stellen und die Beitragszah- ler nicht über Gebühr zu beanspru- chen, das ist der Geist des Gesetzes. Da- für legen wir uns übrigens auch gern mit denen an, die am System beteiligt sind. Dabei geht es nicht darum, denje- nigen, die im Gesundheitssystem arbei- ten, irgendwie den Schwarzen Peter zu- zuschieben. Im Gegenteil: Wir wissen und gehen davon aus, daß dort Arbeit mit hoher Qualität erbracht wird. Wir wissen und gehen davon aus, daß der Wettbewerb um Qualität innerhalb der gesetztlichen Rahmenbedingungen ge- fördert werden muß und nicht behin- dert werden darf. Dieser Wettbewerb wird am Ende den Patientinnen und Patienten zugute kommen. Die Gesund- heitspolitiker der Koalition haben am Anfang ihrer Beratungen die Verabre- dung getroffen, daß bei der Erarbeitung des Gesetzes die Reform im System und die zu erschließenden Einsparmöglich- keiten Priorität haben. Heute stehen wir vor der Situation, daß insbesondere Krankenhausträger hergehen und uns sagen, jede weitere Einsparung würde automatisch mit Kündigungen einher- gehen, und der Personalabbau würde sich selbstverständlich zuvörderst im Bereich der Pflegekräfte abspielen. Ich halte diese Debatte aus drei Gründen für verlogen. 1. Wenn man mit Pflegekräften spricht, so stellt man fest, daß sie es sind, die sehr klare Vorstellungen davon ha- ben, wie Ressourcen etwa im Ablauf des Krankenhausbetriebes zu er- schließen sind: zum Beispiel, indem Patientinnen und Patienten bewußt mobilisiert und am Heilungsprozeß beteiligt werden und indem es inner- halb eines Hauses Flexibilität zwi- schen den Stationen gibt. 2. Der Gesundheitsbereich wächst wie keine andere Branche. Immer mehr Menschen investieren in ihre Ge- sundheit. Das sind ganz sicher nicht nur die Gutverdienenden. Es werden Möglichkeiten erschlossen, in diesem Bereich ganz neue berufliche Chan- cen zu bekommen. Dazu gehören si- cher Mut und Ideenreichtum. Aber wer wollte das ausgerechnet denjeni- gen, die im Gesundheitsbereich ar- beiten, nicht zutrauen? 3. Wir haben bereits festgestellt, daß die Ansprüche und Notwendigkeiten an- ders und größer werden. Die demo- graphische Entwicklung wird zu mehr und nicht zu weniger Erkran- kungen führen. Wenn wir innerhalb dieser Reform sagen, daß wir zum Beispiel den Grundsatz „ambulant vor stationär endlich in die Praxis umsetzen wollen, dann heißt das doch, daß neue Betätigungsfelder entstehen und bereits bestehende ausgeweitet werden. Zum nächsten Punkt der Kritik, den ich gerne aufgreifen will. Budgetierung sei Rationierung, heißt es. Das von uns vor- geschlagene Globalbudget wird in jedem Jahr anwachsen, und zwar um die Steige- rung der Grundlohnsummenrate. Das gilt übrigens in Ost und West gleicher- maßen. Alle, die heute behaupten, die Deckelung der Ausgaben im Gesund- heitswesen bedeute Mängel in der Ver- sorgung, seien an zwei Sachverhalte er- innert: Alle Beteiligten in der Politik, in den Verbänden, in den Vertretungen der Kassen haben immer wieder gesagt: ja, es gibt Einsparmöglichkeiten. Daß diese Möglichkeiten jeweils immer bei den an- deren eruiert wurden, verwundert kaum. Vor allem bitte ich alle, die so argumen- tieren, sich einfach selbst in die Rolle des Beitragszahlenden zu versetzen. Natür- lich will jede Patientin und jeder Patient optimal behandelt werden. Aber natür- lich möchte jeder auch Beiträge in einem erträglichen Maß zahlen. Reserven intel- ligent erschließen, neue Versorgungsfor- men auf den Weg bringen und zugleich die notwendigen Leistungen erbringen – das ist der Weg, den wir beschreiten wer- den. Hier bietet auch die globale Budget- ierung neue Chancen. Endlich legt die Politik nicht mehr fest, wieviel Geld in welchem Bereich ausgegeben werden muß. Es wird dafür gesorgt, daß Patien- tinnen und Patienten zur richtigen Zeit am richtigen Ort behandelt werden, weil das Geld der Leistung folgt.

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Der Internist 9·99 | M 273

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K.D. Göring-Eckardt

Solidarität mit Modernität verbindenDebatte über einen Gesetzentwurf zur Reform der gesetzlichenKrankenversicherung – „Gesundheitsreform 2000“/49. Sitzungdes Bundestages am 30.Juni 1999

Liebe Frau Bergmann-Pohl, Sie habendavon gerdet, daß wir mit diesem Ge-setzentwurf die Reglementierung aufdie Spitze treiben würden.Ich kann Ih-nen nur sagen: Ich empfehle Ihnen dieLektüre des „Handelsblatts“ von heute.Darin können Sie nachlesen, daß sichgerade diejenigen, die von dieser Re-form profitieren werden, auch heuteschon dem Wettbewerb im System stel-len,einem Wettbewerb übrigens,den Sieimmer wieder in die Schranken gewie-sen haben. Sie haben gesagt, Qualitätund Wirtschaftlichkeit zu prüfen sei Re-glementierung. In wessen Sinne prüfenwir denn Qualität und Wirtschaftlich-keit, bitte schön? Wir tun das doch ganzsicher,damit Patientinnen und Patientenwissen, worauf sie sich einlassen kön-nen, und damit Patientinnen und Pati-enten in vollem Umfang, in hoher Quali-tät und mit Wirtschaftlichkeit – die sicham Ende doch auf das Gesamtsystemauswirkt – betreut werden können.

Wettbewerb um Qualität

Patientinnen und Patienten in den Mit-telpunkt zu stellen und die Beitragszah-ler nicht über Gebühr zu beanspru-chen, das ist der Geist des Gesetzes. Da-für legen wir uns übrigens auch gernmit denen an, die am System beteiligtsind. Dabei geht es nicht darum, denje-nigen, die im Gesundheitssystem arbei-ten, irgendwie den Schwarzen Peter zu-zuschieben. Im Gegenteil: Wir wissenund gehen davon aus, daß dort Arbeitmit hoher Qualität erbracht wird. Wirwissen und gehen davon aus, daß derWettbewerb um Qualität innerhalb dergesetztlichen Rahmenbedingungen ge-fördert werden muß und nicht behin-dert werden darf. Dieser Wettbewerbwird am Ende den Patientinnen und

Patienten zugute kommen. Die Gesund-heitspolitiker der Koalition haben amAnfang ihrer Beratungen die Verabre-dung getroffen, daß bei der Erarbeitungdes Gesetzes die Reform im System unddie zu erschließenden Einsparmöglich-keiten Priorität haben. Heute stehen wirvor der Situation, daß insbesondereKrankenhausträger hergehen und unssagen, jede weitere Einsparung würdeautomatisch mit Kündigungen einher-gehen, und der Personalabbau würdesich selbstverständlich zuvörderst imBereich der Pflegekräfte abspielen. Ichhalte diese Debatte aus drei Gründenfür verlogen.

1. Wenn man mit Pflegekräften spricht,so stellt man fest, daß sie es sind, diesehr klare Vorstellungen davon ha-ben, wie Ressourcen etwa im Ablaufdes Krankenhausbetriebes zu er-schließen sind: zum Beispiel, indemPatientinnen und Patienten bewußtmobilisiert und am Heilungsprozeßbeteiligt werden und indem es inner-halb eines Hauses Flexibilität zwi-schen den Stationen gibt.

2. Der Gesundheitsbereich wächst wiekeine andere Branche. Immer mehrMenschen investieren in ihre Ge-sundheit. Das sind ganz sicher nichtnur die Gutverdienenden. Es werdenMöglichkeiten erschlossen, in diesemBereich ganz neue berufliche Chan-cen zu bekommen. Dazu gehören si-cher Mut und Ideenreichtum. Aberwer wollte das ausgerechnet denjeni-gen, die im Gesundheitsbereich ar-beiten, nicht zutrauen?

3. Wir haben bereits festgestellt, daß dieAnsprüche und Notwendigkeiten an-ders und größer werden. Die demo-graphische Entwicklung wird zumehr und nicht zu weniger Erkran-

kungen führen. Wenn wir innerhalbdieser Reform sagen, daß wir zumBeispiel den Grundsatz „ambulantvor stationär endlich in die Praxisumsetzen wollen, dann heißt dasdoch, daß neue Betätigungsfelderentstehen und bereits bestehendeausgeweitet werden.

Zum nächsten Punkt der Kritik, den ichgerne aufgreifen will. Budgetierung seiRationierung, heißt es. Das von uns vor-geschlagene Globalbudget wird in jedemJahr anwachsen, und zwar um die Steige-rung der Grundlohnsummenrate. Dasgilt übrigens in Ost und West gleicher-maßen. Alle, die heute behaupten, dieDeckelung der Ausgaben im Gesund-heitswesen bedeute Mängel in der Ver-sorgung, seien an zwei Sachverhalte er-innert: Alle Beteiligten in der Politik, inden Verbänden, in den Vertretungen derKassen haben immer wieder gesagt: ja,es gibt Einsparmöglichkeiten. Daß dieseMöglichkeiten jeweils immer bei den an-deren eruiert wurden,verwundert kaum.Vor allem bitte ich alle, die so argumen-tieren, sich einfach selbst in die Rolle desBeitragszahlenden zu versetzen. Natür-lich will jede Patientin und jeder Patientoptimal behandelt werden. Aber natür-lich möchte jeder auch Beiträge in einemerträglichen Maß zahlen. Reserven intel-ligent erschließen, neue Versorgungsfor-men auf den Weg bringen und zugleichdie notwendigen Leistungen erbringen –das ist der Weg, den wir beschreiten wer-den. Hier bietet auch die globale Budget-ierung neue Chancen. Endlich legt diePolitik nicht mehr fest, wieviel Geld inwelchem Bereich ausgegeben werdenmuß. Es wird dafür gesorgt, daß Patien-tinnen und Patienten zur richtigen Zeitam richtigen Ort behandelt werden, weildas Geld der Leistung folgt.

Hausarztsystem

Was wird sich nun für Versicherte sowiePatientinnen und Patienten ändern? Siewerden nicht zu gläsernen Patientin-nen und Patienten werden, sondernsich endlich in einem System zurecht-finden können, über das kaum noch je-mand einen Überblick hat. Sie werdenVeränderungen vor allem dort erleben,wo sie selbst aktiv eingreifen können.So ist der Prävention – das hatten Sieabgeschafft, Sie erinnern sich sicherlich– endlich wieder der ihr gebührendePlatz eingeräumt worden.

Ein weiterer Punkt betrifft dasHausarztsystem. Wenn man mündigePatienten will, die sich selber zurecht-

Medikamente enthalten sind, die auchnach entsprechenden Kriterien bewer-tet werden, ist kein Feigenblatt, sondernin allererster Linie ein Instrument zurQualitätssicherung, die wir auch in die-sem Bereich brauchen.

Mit der vorgelegten Reform sorgenwir dafür, daß es Modernität und Solari-tät miteinander verbindet, daß es Eigen-verantwortung und Selbstbestimmungstärkt und daß es künftig mehr auf dasSetzen von Rahmenbedingungen denndirigistisches Reglementieren zielt.

Katrin Dagmar Göring-Eckhardt (*1966)Bündnis 90/Die GrünenAngestellteIngersleben (Thüringen)

finden, dann muß man dafür sorgen,daß sie einen Partner bekommen. Denwollen wir ihnen mit dem Hausarzt zurSeite stellen. Wir wollen niemandenzwingen, irgendeinen Hausarzt oderFacharzt zu besuchen.

Die freie Wahl des Arztes ist nach wievor gegeben.

Mit der Stärkung der Selbsthilfe, dieheute hier schon angesprochen wur-de, werden diejenigen unterstützt, dieselbst etwas im Prozeß der Genesungoder auch im Umgang mit ihrer Krank-heit beitragen wollen. Auch die Positiv-liste, die für mehr Transparenz sorgtund in deren Anhang die alternativen

| Der Internist 9·99M 274

D. Parr

Mangelnde Sensibilität beim DatenschutzDebatte über einen Gesetzentwurf zur Reform der gesetzlichenKrankenversicherung – „Gesundheitsreform 2000“/49. Sitzungdes Bundestages am 30. Juni 1999

Ich sehe die Plakate mit der Aufschrift„Arbeit, Arbeit, Arbeit“ noch vor mir.Unter dieses Motto, meine Damen undHerren von der SPD und von den Grü-nen, haben Sie noch vor wenigen Mona-ten Ihren Wahlkampf gestellt. Jede Ent-scheidung sollte, bevor sie in Kraft tritt,hinsichtlich ihrer Auswirkungen aufden Arbeitsmarkt abgeklopft werden.Als wir dieses Thema vor 14 Tagen aufdie Tagesordnung gesetzt haben, habenSie die von uns beantragte AktuelleStunde zu den Folgen Ihrer Gesund-heitsreform für die Arbeitsplätze vonder Tagesordnung abgesetzt. Das Pfle-gepersonal in den Krankenhäusern undArzthelferinnen bangt um seine Zu-kunft, und Sie drücken sich um dieparlamentarische Auseinandersetzungherum.

Im Korsett des Budgets

Sie behaupten, daß Sie den Ärzten er-möglichen wollen, Ihre Patienten opti-mal zu betreuen. Statt dessen strangu-lieren Sie sie, so daß ihnen kaum mehrLuft zum Atmen bleibt: Sie beraubensie ihrer ehrenamtlichen Selbstverwal-tung; Sie konfrontieren sie mit sinken-den Punktwerten und Planungsunsi-cherheit; Sie pressen sie in ein Kor-sett unterschiedlichster Budgetvorha-ben. So geht die Freiberuflichkeit alsGarant für patientenorientiertes Han-deln vor die Hunde. Sie behaupten, da-für sorgen zu wollen, daß die Patienteneine gute Zahnprophylaxe und, wenn esnotwendig ist, einen gut aussehendenZahnersatz erhalten. Gleichzeitig sen-ken Sie diejenigen, die das garantieren

sollen, die Vergütungen und nehmendem Patienten jede Möglichkeit derfreiwilligen Zuzahlung für eine höher-wertige Leistung. High-Tech-Zahner-satz soll zukünftig in den Leistungska-talog der gesetzlichen Krankenver-sicherung aufgenommen werden; abereine zusätzliche Bezahlung dieserLeistungen kommt selbstverständlichnicht in Betracht, nach dem Motto: Wirhaben ja das Globalbudget.

Im Krankenhausbereich treibenSie es ganz besonders toll. Sie wollen,daß die Patienten im Krankenhaus um-fassend versorgt und betreut werden.Gleichzeitig entziehen Sie den Kran-kenhäusern massiv Geld. Als amschlimmsten empfinde ich Ihre fehlen-de Sensibilität hinsichtlich der Daten-erfassung. Während der Datenschutz