sophistische satyrn

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© koninklijke brill nv, leiden, ��4 | doi �0.��63/�5685�5X- �34�� �7 mnemosyne 67 (�0 �4) �8-49 brill.com/mnem Sophistische Satyrn Das sogenannte Oineus-Fragment und seine Bedeutung für die Poetik des Satyrspiels Jan Bernhardt Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Altertumswissenschaften Fürstengraben 1, 07743 Jena, Germany [email protected] Received: June 2011; accepted: December 2011 Abstract Since the discovery of the so-called Oineus fragment, which can with some certainty be attributed to Sophocles, it has been believed that the appearing Satyrs are a parody of the Sophists. This supposition has consequences for our understanding of the Satyr play: Usually, only Euripides᾿ Cyclops is believed to include contemporary allusions, but a closer examination of further fragments besides the Oineus fragment yields the con- clusion that comic effects based on similar allusions might have been a common and regular feature of Satyr plays. So my aim is firstly, after a brief discussion of the frag- ment, to prove that the Satyrs are in fact a parody of the Sophists; in a second step I will analyze the Cyclops and some further fragments for contemporary allusions and then compare them with the Oineus fragment, until I finally draw my conclusion with regard to the appropriate interpretation of the Satyr play. Keywords Satyr play – Oineus fragment – Sophists – Sophocles – Cyclops – poetics 1 Vorbemerkungen zum Oineus-Fragment und zur Fragestellung des Artikels Das Satyrspielfragment TrGF 4 **1130 ist seit seiner Erstedition im Jahr 1911 Gegenstand der Forschung, und auch wenn Autor und Stück nach wie vor

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Sophistische Satyrn

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  • koninklijke brill nv, leiden, 4|doi 0.63/56855X-347

    mnemosyne 67 (04) 8-49

    brill.com/mnem

    Sophistische SatyrnDas sogenannte Oineus-Fragment und seine Bedeutung fr die Poetik des Satyrspiels

    Jan BernhardtFriedrich-Schiller-Universitt Jena, Institut fr Altertumswissenschaften Frstengraben 1, 07743 Jena, Germany

    [email protected]: June 2011; accepted: December 2011

    Abstract

    Since the discovery of the so-called Oineus fragment, which can with some certainty be attributed to Sophocles, it has been believed that the appearing Satyrs are a parody of the Sophists. This supposition has consequences for our understanding of the Satyr play: Usually, only Euripides Cyclops is believed to include contemporary allusions, but a closer examination of further fragments besides the Oineus fragment yields the con-clusion that comic effects based on similar allusions might have been a common and regular feature of Satyr plays. So my aim is firstly, after a brief discussion of the frag-ment, to prove that the Satyrs are in fact a parody of the Sophists; in a second step I will analyze the Cyclops and some further fragments for contemporary allusions and then compare them with the Oineus fragment, until I finally draw my conclusion with regard to the appropriate interpretation of the Satyr play.

    Keywords

    Satyr play Oineus fragment Sophists Sophocles Cyclops poetics

    1 Vorbemerkungen zum Oineus-Fragment und zur Fragestellung des Artikels

    Das Satyrspielfragment TrGF 4 **1130 ist seit seiner Erstedition im Jahr 1911 Gegenstand der Forschung, und auch wenn Autor und Stck nach wie vor

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    unsicher sind, knnen bestimmte Annahmen einiges an Wahrscheinlichkeit beanspruchen. Nach verschiedenen Versuchen einer Zuschreibung, beispiels-weise an Ion von Chios durch Wilamowitz oder an Aischylos durch Mette, hat sich in der Forschung Hunts Annahme durchgesetzt, dass Sophokles der Autor ist. Dies darf mit Radts Aufnahme des Fragments in den Sophokles-Band seiner Tragikerfragmente heute als communis opinio gelten.1 Da die bei-den Papyri P.Oxy. 1083 und der zwar spter publizierte, aber zum Manuskript von 1083 gehrende P.Oxy. 2453 mehrere Stcke umfasst haben, von denen eines Sophokles zugeschrieben werden kann, handelt es sich bei den Funden mglicherweise um Teile einer Ausgabe mit mehreren Stcken des Autors, wie Hunt es bereits vermutet hatte.2 Hinzu kommen die Beobachtungen zu Wort-gebrauch und Stil des Fragments durch Maas, die eine Autorschaft des Sopho-kles nahelegen.3

    Dass es sich bei dem Fragment um ein Satyrspiel handelt, bezeugt die Zuschreibung einiger Verse an Akteure, die sich auf dem Papyrus finden lsst. So wird Vers 6 einem Satyrchor zugeteilt und die Verse 19-20 einer weiteren Person, wahrscheinlich Oineus.4 Durch die Selbstaussage der Satyrn, dass sie als Brutigame der Tochter des Angesprochenen kmen,5 kann man davon ausgehen, dass das Fragment in den Zusammenhang mit einer Vermhlung,

    1 Zur mglichen Autorschaft des Ion, die selbst dessen Herausgeber von Blumenthal (1939, 63-64) nicht fr wahrscheinlich ansah, vgl. die Bemerkung von Wilamowitz bei Hunt 1911, 61. Zur Autorschaft des Aischylos vgl. Mette 1963, 176, der diese zumindest nicht ausschlieen wollte und fr die sich Theodoridis 1976, 49-53 aufgrund einer Notiz bei Pollux, dass ein aischyleisches Wort sei, vehement ausgesprochen hat. Mit Radt 1977, 638 kann man dagegen sagen, dass die Bemerkung bei Pollux nicht eindeutig ist, und auerdem spricht nichts gegen die Verwendung des Wortes auch durch die brigen Tragiker, gerade weil es an dieser Stelle eine Persiflage intellektueller Ausdrucksweise zu sein scheint (dazu die folgenden Ausfhrungen).

    2 Vgl. Hunt 1911, 61 und Lloyd-Jones 1963, 437.3 Vgl. Maas 1973, 53. 4 Zum Namen Oineus vgl. Radt 1977, 638. Maas (1973, 53) hat auf die Mglichkeit hingewiesen,

    dass man auch Schoineus lesen knne, so dass das Satyrspiel von den Freiern Atalantes gehandelt habe (so auch Mette 1963, 176); Lloyd-Jones (1963, 437) hielt Phineus fr mglich, schloss sich aber spter der communis opinio und damit der Deutung Oineus an (dazu ders. 1996, 419). Mit Carden 1974, 136-7 kann man Phineus wohl ausschlieen, fr die Lesart Oineus gegenber Schoineus spricht, dass der Mythos in seinem Fall von mehreren Aufgaben der Freier berichtet, wie es das Fragment andeutet; auerdem ist Herakles, dessen Auftritt fr ein Oineus-Stck zu erwarten ist, eine beliebte Figur des Satyrspiels. Ein Stck Oineus ist fr Sophokles auch an anderen Stellen belegt, dazu Radt 1977, 380.

    5 Das wird deutlich aus Vers 19, auerdem aus Vers 6, auf den noch einzugehen ist.

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    d. h. bei Lesart Oineus der der Deianeira, zu bringen ist: Um die Ehe mit die-ser hatten sich Herakles und der Flussgott Acheloos beworben, woraufhin der Brautvater beide Kontrahenten in Wettkmpfen gegeneinander antreten lie, aus denen Herakles als Sieger hervorging.6 Im Satyrspiel, das zumindest zum Teil diese Brautwerbung und den anschlieenden Wettkampf zum Inhalt gehabt haben drfte, scheinen die Satyrn als dritte Partei aufgetreten zu sein, wie es aus der Prahlerei mit ihren Fhigkeiten vermutet werden kann. Schlus-sendlich drften sie aber nicht nur unterlegen gewesen sein, sondern werden den Kampf wohl nicht einmal gewagt haben.

    In den folgenden Ausfhrungen soll zuerst eine philologische Funote zu diesem Fragment genauer untersucht werden. Es wurde vielfach die Vermu-tung geuert, dass es sich beim Auftritt der Satyrn um eine Parodie auf Sophi-sten handele, deren Wirken damit verspottet und lcherlich gemacht werde.7 Da die Forschung dieser Vermutung, die meiner Meinung nach zutreffend ist, bisher noch nicht genauer nachgegangen ist, soll eine Untersuchung die-ser Frage in den folgenden Abschnitten zwei und drei im Mittelpunkt meiner Ausfhrungen stehen. ber Verweise auf sophistische Texte sowie auf Litera-tur zur Sophistik soll dabei der mgliche Kontext der Ausfhrungen des Frag-ments dargestellt und darber der Bezug auf die Sophistik in den Worten der Satyrn als wahrscheinlich erwiesen werden.

    Da als communis opinio der Forschung jedoch gelten kann, dass diese Form zeitgenssischer Komik, wie sie eine Parodie auf Sophisten an dieser Stelle dar-stellen wrde, dem Satyrspiel fremd ist,8 bedarf es einer etwas ausfhrlicheren

    6 Der Mythos ist gut bezeugt, Sophokles lsst Deianeira die Geschichte in den Trachinierinnen (7-27) erzhlen.

    7 Zuerst geuert und genauer untersucht wurde dies von Sajdak (1920, 67-71), dessen Aufsatz aber in Vergessenheit geraten ist und den dementsprechend weder von Blumen thal (1939, 37) noch Pfeiffer (1966, 66) zu kennen scheinen, die beide eine Beziehung zum Sophisten Hippias bei Platon herstellen. Spter hat Pfeiffer (1976, 211-2) das Fragment allgemeiner als humorvolles Bild des sophistischen Universalismusanspruchs bezeichnet und damit bei Carden (1974, 137) und Pechstein und Krumeich (1999, 373-4) Zustimmung gefunden. Dagegen allerdings Sutton (1980, 138), der zeitgenssische Bezge im Satyrspiel grundstzlich negiert und daher die Fhigkeiten der Satyrn als tatschlich magisch und bernatrlich bezeichnet, wofr es allerdings weder im Text noch in der Tradition Anhaltspunkte gibt.

    8 Vgl. dazu Sutton 1980, 163: we find little evidence for overt contemporary humor in which present-day individuals, events, political trends, speculative thought, cultural institutions, or literature are parodied., Seidensticker 1989, 353-4: In die gleiche Richtung weist die Tatsache, da dem Satyrspiel die direkte und indirekte Attacke auf Zeitgenossen und die von ihnen reprsentierten Haltungen, Gedanken und Entwicklungen so gut wie ganz fremd ist [...], oder, wenngleich differenzierter, Lmmle 2011, 626.

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    Untersuchung der sich aus dieser Deutung ergebenden Problematik sowie der knappen Besprechung vergleichbarer Beispiele im vierten Abschnitt. Zwar gilt als groe Ausnahme fr entsprechende Komik zumeist der euripideische Kyklops,9 in dem die Anspielungen auf die Sophistik unverkennbar sind und ber den Lesky bezeichnenderweise geurteilt hat, dass Euripides mit seinen zeitgenssischen Andeutungen das heitere Spiel etwas schwer befrachtet habe.10 Bei aller methodischen Fragwrdigkeit dieser Annahmesoll doch das einzige vollstndig erhaltene Satyrspiel als Ausnahme geltenlsst bereits der Blick auf weitere Satyrspiel-Fragmente diese Deutung fragwrdig erscheinen, wie es im Folgenden ausgehend vom Oineus-Fragment zu zeigen ist. Der vierte Abschnitt meiner Ausfhrungen steht daher unter der These, dass die parodistische Einbindung der concerns of the contemporary nicht nur, wie Seaford meinte, im Prozess des Verlusts der specific form des Satyrspiels mit Euripides ins Satyrspiel eingedrungen ist,11 sondern als prinzi-piell mgliches poetisches Element des Satyrspiels angesehen werden sollte. Diesen Schluss kann man erstens daraus ziehen, dass entsprechende Par-odien auch bei anderen Dichtern nachgewiesen werden knnen;12 zweitens aber auch aus der strukturell vergleichbaren Form dieser Komik: So zeichnen sich die Parodien dadurch aus, dass sie nicht wie in der Alten Komdie als direkter Angriff im Sinne des durchgefhrt werdenhier-fr scheint das Satyrspiel tatschlich keinen Raum zu bieten, sondern in das mythische Spiel eingebunden sind, die Genregrenzen nicht berschrei-ten und den Mythos nicht durchbrechen. So zeigen sie ihre zeitgenssische Storichtung zwar nur indirekt auf, wirken aber doppelt komisch: ber die direkte Komik des Geschehens sowie ber die indirekte Komik der zeitgens-sischen Anspielungen. Als Mittler der Parodie dienen diejenigen Figuren, die fr die Storichtung besonders geeignet sind. Dies sind zumeist die prinzipi-ell komischen Satyrn, es knnen aber auch weitere dramatische Figuren zum Trger der Parodie werden, wie es der Kyklops zeigt, wo Polyphem als eine Art Kallikles dargestellt ist. Realisiert werden kann diese Form der Parodie dabei leicht aufgrund der Vielfalt an Stoffen und Motiven, die das Satyrspiel bietet und die dem Dichter reiche Mglichkeiten zur Einfhrung zeitgenssischer

    9 Anders allerdings Sutton 1980, 121, der, wohl zu Unrecht, auch im Kyklops keine contem-porary intellectual trends parodiert sieht.

    10 Zu Zitat und Kontext Lesky 1972, 501.11 Vgl. zu den Zitaten sowie zum Problem insgesamt Seaford 1984, 18-9, dessen Ausfhrungen

    allerdings sehr knapp sind.12 Neben dem Oineus-Fragment vgl. auch meine folgenden Ausfhrungen zu Aischylos

    Theoroi oder Isthmiastai sowie meine Anmerkung zu Achaios.

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    Momente in das Drama erffnet.13 Meiner Einschtzung nach spricht daher nichts dagegen, von der prinzipiellen Realisierungsmglichkeit zeitgenssi-scher Parodien im Satyrspiel auszugehen,14 wofr mir das Oineus-Fragment nahezu ein Paradebeispiel zu sein scheint.

    2 Zu Text und Inhalt des Fragments

    Die hier relevanten Verse 3-20 sind gut erhalten und klar verstndlich, die pro-blematischen Verse 1 und 2 knnen fr die folgende Untersuchung unbetrach-tet bleiben. Die aus diesen Versen erhaltenen Worte drften auf Oineus zu beziehen sein, der fr den Brautwettkampf verantwort-lich ist. In der Wiedergabe des Textes folge ich Radt:

    Oineus (?): . [ [] [ [] [ 15 5Chor der Satyrn: [], , , , , , , 10, , , , , , , , 15

    13 Zu den Satyrn sowie der Vielfalt an mglichen Stoffen vgl. Seidensticker 1989, 338-50; das Spektrum der Themen allein der folgenden Beispiele ist breit und umfasst die Bereiche Sport, Sexualitt, Verhaltensnormen und Literatur, die alle immer in den Mythos des Stcks eingebunden sind, zugleich aber einen zeitgenssischen Bezug aufweisen.

    14 Ein Einfluss der Komdie auf das Satyrspiel ist damit natrlich ebenso wenig auszuschlie-en wie die mgliche Zunahme von entsprechenden Parodien.

    15 Ergnzung nach Hunt 1911, 63, bernommen von Carden 1974, 142. Radt 1977, 636 verzich-tet im Text auf die Ergnzung.

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    , [] Oineus (?): . [] .16 20

    Die drei Verse des Oineus leiten das Geschehen mit der typischen Bitte an Fremde ein, Herkunft und Geschlecht zu benennen. Die Satyrn kom-men dem nach und stellen sich selbst in ihrer Abkunft als Kinder von Nymphen und Diener des Bakchos vor (7), bertreiben aber ihrem Cha-rakter gem zu Beginn, wenn sie sich prahlerisch Gefhrten der Gtter (8 )17 nennen und bereits mit ihren ersten Worten als Bru-tigame (6 ) auftreten und nicht, wie es korrekt wre, als Freier.18 Die folgenden Verse 8-16 dienen der Beschreibung ihrer Fhigkeiten, ber die sie dem Brautvater verdeutlichen wollen, warum sie die richtigen Bruti-game sein werden und warum die Wahl daher auf sie fallen sollte. Beendet wird ihre Rede durch die rhetorische Frage in 16, ob man solche Fhigkeiten

    16 Der Verstndlichkeit halber sei hier die von mir leicht vernderte bersetzung von Pechstein und Krumeich 1999, 372 abgedruckt, auf die ich mich im Folgenden beziehe: Oineus (?): Nun gut, ich werde es sagen. Aber zuerst will ich / wissen, wer ihr seid, und aus welchem Geschlechte ihr / stammt. Das (wei) ich nmlich jetzt noch nicht. Chor der Satyrn: Du sollst alles erfahren: Als Brutigame kommen wir, / wir sind Shne von Nymphen, Diener des Bakchios, / Gefhrten der Gtter. Jede Kunstfertigkeit / ist glnzend in uns angelegt. Als da sind: Was man zum Kampf / im Kriege braucht, Ringkmpfe, Wettkmpfe mit Pferden und im Lauf, / mit der Faust und mit den Zhnen, Hoden-Drehen; / in uns stecken Lieder voller Musenkunst, in uns steckt / allbekannte Sehergabe ohne Lug und Trug, / prfender Blick fr Heilmittel, in uns steckt / Messung des Himmels, steckt Tanzen, steckt / Palaver ber das, was unter der Erde ist. /Ist fruchtlos unser festlicher Zug hierher? Von diesen Dingen kannst du dir nehmen, was immer du brauchstwenn du mir nur deine Tochter zur Frau gibst. Oineus (?): Aha, dies Geschlecht ist nicht zu tadeln, aber ich will / auch den zuerst genau prfen, der da kommt.

    17 Zur Bedeutung von , das nur fr Sophokles bezeugt ist, Carden 1974, 143, der wohl zu Unrecht davon ausgeht, dass das Wort hier wie zu verstehen sei. Eine sex-uelle Andeutung ist weder aufgrund der Grundbedeutung des Wortes zwingend noch hier passend, viel eher wollen die Satyrn doch auf ihre hervorragende gesellschaftliche Stellung hinweisen, weswegen die bersetzung Gefhrten zu bevorzugen ist.

    18 Dies passt zu den folgenden malosen bertreibungen der Satyrn, die hier durch implizieren wollen, dass der Kampf bereits in ihrem Sinne entschieden sei. Zwar darf man mit Maas 1973, 51 von einem Wortspiel mit dem folgenden ausgehen, gegen die Forschung sollte man aber nicht annehmen, dass hier wie gebraucht wird, da damit die Pointe zerstrt wrde; anders Hunt 1911, 79, Carden 1974, 142 und Pechstein und Krumeich 1999, 372.

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    etwa fruchtlos () nennen knne,19 und durch das Angebot an den Brautvater in 17-8, auf diese Fhigkeiten nach seinem Belieben zurckgrei-fen zu knnen, wenn er ihnen seine Tochter bergeben habe.

    Die eigentliche Aufzhlung der Fhigkeiten steht unter der berschrift, dass tatschlich jegliche in ihnen in glnzender (9 ) Art und Weise vorhanden sei. Darunter fallen sowohl die Fhigkeiten des Krieges als auch die im sportlichen Wettkampf (Verse 9-11), Knste im musischen Bereich, in den Bereichen Mantik und Medizin (12-3) sowie die Fhigkeiten zu Astro-nomie, zu Tanz und zu der Beschftigung mit der Unterwelt. Folgende Glie-derung ist mglich: Der erste Teil, der die Verse 9-11 umfasst, endet mit der Beschreibung ihrer krperlichen Fhigkeiten in der komischen bertreibung um den Einsatz ihrer Zhne im Kampf sowie des Hoden-Drehens (11 ).20 Es folgt in 12 ein ber auch sprachlich markierter Neu-ansatz, der die nicht-physischen Fhigkeiten des zweiten Abschnitts in 12-4 einleitet. Der dritte Teil, der inhaltlich eine Mischung beider Gruppen darstellt, kann dann in den Versen 14-6 gesehen werden, in dem nur Substantive auf - gebraucht werden, wodurch auch sprachlich der Hhepunkt der Aufzh-lung erreicht ist. Die abschlieend genannte Fhigkeit der kann wieder als besondere bertreibung gedeutet werden: Da die Satyrn dem Zuschauer aus anderen Stcken als Unterweltbesucher bekannt sind, kann man den Sinn dieser Aussage darin sehen, dass die Satyrn ber diese Erwh-nung ihre Tapferkeit hell strahlen lassen wollen, wobei der Zuschauer natrlich wei, dass deren Nekyiai selten von echter Tapferkeit begleitet gewesen sind.21

    19 Die Bedeutung von ist umstritten, allerdings muss damit zusammengefasst auf die Fhigkeiten der Satyrn Bezug genommen sein. Hunt (1911, 70) verstand study, Maas (1973, 52) Anblick und Witkowski (1912, 704) sowie Pechstein und Krumeich (1999, 372) Gesandtschaft bzw. Zug. Diese Bedeutung ist vorzuziehen, da sich die Satyrn wie ein Hochzeitszug auffhren, der rhetorisch als besonders ntzlich stilisiert werden soll.

    20 Hier entlarven sich die Satyrn ebenso wie spter in Vers 16 selbst ber die unehrenhafte Wahl ihrer Mittel, zugleich ist hierin aber mglicherweise auch ein parodistischer Hinweis auf die fragwrdigen Mittel sophistischer Argumentation gegeben.

    21 Zu den Nekyiai der Satyrn siehe Seaford 1984, 37-8. Die Forschung versteht mit Hunt 1911, 70 in der Regel, wie hier bersetzt, als Palaver ber das, was unter der Erde ist; jedoch ist der Sinn dieser Aussage ungeklrt und die Forschung belsst es zumeist bei Verweisen auf entsprechende Stellen bei Plato, um die Gelufigkeit solcher Debatten fr die Zeit darzulegen (so Carden 1974, 146). Sieht man jedoch den Bezug auf die Unterweltsfahrten der Satyrn, wre damit sowohl erneut in einer Selbstparodie ihre (mythische) Fhigkeit zu dieser erklrt, es kann aber auch die zeitgenssische Parodie erhalten bleiben und hier in seiner Grundbedeutung als Palaver auch der Sophisten verstanden werden. Der von Maas (1973, 52) angenommene Bezug auf die

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    Mit seiner Antwort in Vers 19, dass solcherlei Fhigkeiten nicht zu verachten seien, bernimmt wiederum Oineus, wendet sich dann aber sogleich einem weiteren Mitbewerber zu, der in diesem Moment die Bhne betritt und, wie zu vermuten ist, nun ebenfalls in den Wettkampf einsteigen will.22

    Zwar ist der Fortgang des Stcks unbekannt. Falls aber die vorgelegte Rekonstruktion richtig ist, dass es um einen Brautwettkampf geht, darf man davon ausgehen, dass die Satyrn im Moment der tatschlichen Demonstration ihrer Krfte gekniffen und den Kampf mit Herakles und Acheloos (oder den Freiern Atalantes) gemieden haben werden. Dies entsprche dem typischen Verhaltensmuster der Satyrn, sich und die eigenen Krfte vor der Tat so gro wie mglich zu machen, dann aber im Moment der Wahrheit doch das Weite zu suchen.23

    3 Sophistische Satyrn?

    Das Fragment allein bietet einen hchst interessanten Einblick in das Satyr-spiel und scheint typische, d. h. freche und protzige Satyrn, in einer typischen Situation, nmlich der Suche nach einer Frau, zu zeigen,24 wobei das Verhalten der Helden von vornherein so bertrieben dargestellt ist, dass man sie ber-haupt nicht ernst nehmen kann. Wie angedeutet ist das Fragment allerdings

    Geschlechtsorgane als die unteren Krperteile ist attraktiv, aber m. E. an dieser Stelle allzu brachylogisch; besser scheint mir noch Lloyd-Jones (1996, 421) Deutung zu sein, der paraphrasiert: They are boasting of their farting power (so auch Voelke 2003, 338). Wenn man jedoch nicht, mit Voelke (ebd.), einen Bruch annehmen will, der die Zuschauer nur erwarten lsst, dass die Satyrn von der Unterwelt reden werden, dass sie dann aber ber die Klangfhigkeit ihres Hinterteils referieren, was ich ebenfalls fr zu brachylogisch halte, geht in beiden Deutungen jedoch sowohl die Trias Himmel, Erde und Unterwelt als auch der Bezug auf sophistisches Geschwtz verloren.

    22 (20) macht klar, dass der entsprechende Mann, der kommt (20), bereits zu sehen ist. Die Formulierung (19) sollte man ironisch auffassen, da der Sprecher die Prahlerei der Satyrn gewiss bereits durchschaut hat.

    23 Als Kontrast zur angeberischen Selbstbeschreibung des Oineus-Fragments eignet sich die Beschreibung der Satyrn durch den Silen in Sophokles Ichneutai (145-65, Verszhlung nach Radt), wo ihre blichen Verhaltensweisen beschrieben werden; insbesondere ihre dort berichtete Neigung zu groen Worten ohne Taten drfte auch fr dieses Stck zu erwarten sein. Vgl. prinzipiell zu ihren Charakterzgen Seidensticker 1989, 338. Sie stehen damit den echten Helden des Spiels gegenber, die weniger komisch angelegt sind und die ber Strke oder Klugheit die Situation damit anders als die Satyrn auch zu lsen vermgen (dazu ebd. 342-5). Entsprechend eignet sich der Satyrchor besonders fr Parodien.

    24 Zu diesem Element des Satyrspiels Carden 1974, 137-8.

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    aus einem weiteren Grund interessant, nmlich aufgrund des mglichen Bezugs zur Sophistik: Da zwar bereits kurz nach der Erstpublikation des Frag-ments die Vermutung geuert wurde, dass der Autor an dieser Stelle eine Sophisten-Parodie vorlege, und da diese Deutung nahezu einhellig fr richtig befunden wurde, die Hinweise der Forschung aber meist nur sehr kurz ausfie-len, soll die Frage an dieser Stelle genauer untersucht werden.

    ber den in Vers 16 angesprochenen Nutzen der Gruppe fr Oineus steht am Ende der aufgezhlten direkt der Kernbegriff sophistischer Theorie, nmlich der Nutzen fr den Einzelnen, der Oineus rhetorisch vergegenwrtigt wird und aufgrund dessen er die Satyrn als seine Schwiegershne auswhlen soll. Begrndet wird dieser Nutzen mit der Beherrschung prinzipiell aller Fer-tigkeiten, wie es dem sophistischen Anspruch auf universelle Knnerschaft entspricht.25

    In den Dissoi Logoi wird dies breit ausgefhrt, wenn an einen Mann die-ser Anspruch universeller Fertigkeiten gestellt wird. Da nmlich alle Dinge miteinander zusammenhngen, msse man auch in jedem Bereich Wissen haben, um die Erfordernisse des Alltags bestmglich meistern und sogar selbst als Lehrer auftreten zu knnen.26 Bekannt ist auch die spttische Darstellung sophistischer Allwissenheit der platonischen Dialoge: So stellt sich Hippias im Hippias maior als einen solchen umfassenden Knner dar.27 Gleiches gilt fr die Sophisten Gorgias oder Euthydemos.28 Aristophanes bezeichnet die Sophisten daher als 29 und Plato erhebt gegen sie fortwhrend den Vor-wurf, dass sie seien,30 wobei in beiden Beispielen als Hchstform

    25 Sajdak (1920, 67) baute seine Argumentation, dass die Satyrn Sophisten parodieren, daher mit Recht auf diesem Satz sowie dem abschlieenden Verweis auf ihren Nutzen auf; fr einen echten Nachweis muss man aber, wie es im Folgenden versucht wird, noch weiter gehen.

    26 Vgl. Dialex. 8.27 Auf die Stelle Pl. Hp.Ma. 285b5-286c2, die gewiss ironisch gefrbt ist, hat Pfeiffer 1966, 66

    verwiesen.28 Fr Gorgias siehe DK 82 A 1a und die platonische Darstellung in Men. 70b5-c2 und Grg.

    447c5-8, fr Euthydemos Euthd. 273e1-274a3, wo Sokrates ironisch davon spricht, die bei-den Sophisten aufgrund ihrer Kenntnisse als Gtter bezeichnen zu mssen (273e7 ).

    29 Ar. Av. 1695-6. Der Vorwurf wird in Vers 1701 erneut, und zwar gegen Leute wie Gorgias (), erhoben, so dass klar ist, dass hier eine zeitgenssische Sophistenkritik vorliegt und dass der Dichter auf den sophistischen Wissensanspruch rekurriert.

    30 Vgl. zu Euthydemos und Dionysodoros Pl. Euthd. 271c6-7 und 287c10, zu Protagoras Tht. 152c8-9, zu Prodikos Prt. 315e7; allgemein fr den abwertenden Gebrauch bei Plato auch Sph. 251c6-7.

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    der Polymathie negativ konnotiert ist: An der Aristophanes-Stelle bezeichnet es den Vorwurf einer schlauen und betrgerischen Praxis, die sich im Sinne der sophistischen Praxis des gelungenen Lebens auf alle Ttigkeiten des Lebens bezieht, whrend Plato den Vorwurf erhebt, dass sophistisches Allwissen ein Wissen meine, das zwar tatschlich alle Bereiche abdecke, aber immer nur an der Oberflche der Dinge verbleibe und daher kein echtes Wissen sei.31 Die Formulierung (8-9) funktioniert daher als Parodie, weil sophistischer Wissensanspruch nicht nur auf die Satyrn ber-tragen wird, sondern weil dieser Anspruch ber die Satyrn, die der mythischen Tradition nach als besonders o gelten, gerade lcherlich gemacht und als Prahlerei entlarvt wird.32 Wenn die insgesamt bertriebene Aufzh-lung ihrer Fhigkeiten dann jeweils in klar fragwrdigen Hhepunkten endet, nmlich in der Beschreibung des Einsatzes ihrer Zhne (11 ) und des Hoden-Drehens (11 ), die so als ihre wahren Kampftechni-ken prsentiert werden, sowie in der Deutung ihrer dialektischen Fhigkeit als Palaver (17 ), dann ist diese Selbstbeschreibung der Satyrn komisch, da sie sich darber selbst entlarven. Komisch ist aber auch die darin enthal-tene parodistische Fremdbeschreibung der Sophisten: Denn ber die prsente Unrechtmigkeit der Mittel der Satyrn werden auch die Sophisten ganz im Sinne des aristophanischen verspottet, die eben nicht nur die-sen Anspruch auf Fertigkeiten in allen Bereichen erheben, sondern sich auch ebenso wenig scheuen, vergleichbar fragwrdige Techniken einzusetzen.

    Man knnte nun argumentieren, dass all dies zwar durchaus notwendige Argumente fr einen Bezug auf Sophisten sind, dass sie aber nicht hinreichen. So ist das Geprahle der Satyrn mit ihren Fhigkeiten keine Besonderheit dieses Satyrspiels, sondern ein typischer Charakterzug des Satyrchores. Die Komik wre dann motivgebunden und prinzipiell auf jeden durchschnittlichen Prahlhans verallgemeinerbar, aber gerade keine Satire, die an Zeitgenossen festzumachen wre. Die Aufzhlung der verschiedenen Fhigkeiten verdeut-licht jedoch, dass vom Dichter hier zwar kein expliziter Angriff im Sinne eines gegen die Sophisten unternommen wird, dass allerdings sophistischer Anspruch durchaus spielerisch eingebracht, mit dem Mythos verwoben und darber parodiert wird.

    31 Fr sophistisches Denken mag dies weniger Vorwurf als Lob sein, da ein sokratisch-plato-nisches Durchdringen der Dinge und damit eine Beschftigung ohne praktischen Mehrwert fr das Gelingen des menschlichen Lebens irrelevant und damit abzulehnen ist; so deutlich aus Pl. Grg. 484c4-486d1.

    32 Zu vgl. Hes. Fr. 123 M./W., auf das Carden (1974, 142) hingewiesen hat.

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    Dies beginnt mit dem aus dem Fragment abzuleitenden Anspruch darauf, wer als trefflicher Mann gelten knne und ber welche Fhigkeiten er verfgen msse. Am Anfang stehen die krperlichen Fhigkeiten, die fr den folgenden Wettkampf notwendig gewesen sein drften und auf die die Satyrn daher so ausfhrlich eingehen.33 Zwar betont die Forschung fr das sophistische Erzie-hungsideal meist nur den lebenspraktisch-theoretischen Bereich, es gibt aber keine Hinweise auf die Vorstellung einer vollkommenen berwindung der tra-ditionellen, d. h. auch physischen Erziehungsideale, da diese in Maen fr eine angemessene Lebensfhrung notwendig gewesen sind. Vielmehr sollte man fr das 5. und 4. Jahrhundert von einer Aufwertung der geistigen Erziehung sprechen, die gleichrangig neben die des Krpers gestellt wird. Dies wird im Epitaph des Gorgias betont, wo der Sophist davon spricht, dass die Gefalle-nen alle und damit auch die krperlichen Fhigkeiten in sich zur Vollendung gebracht htten, die fr ein gelungenes Leben notwendig seien.34 Die Gleich-wertigkeit beider Ansprche kommt aber auch bei Antisthenes und Isokrates zum Ausdruck, deren Erziehungsideal beide Bereiche umfasst: Fr sie gilt, dass ein , der ein sein wolle, seine Seele ebenso wie seinen Krper zu trainieren habe.35

    Zu einem noch klareren Bezug der Stelle auf die Sophistik fhren die Sophi-sten Euthydemos und Dionysodoros, die sowohl aufgrund ihrer geistigen als auch ihrer krperlichen Fhigkeiten berhmt waren und damit den an den Menschen gestellten Anspruch in hchstem Mae reprsentierten. Nach dem platonischen Euthydemos verbanden beide diese Ttigkeitsbereiche, indem sie die sophistische Technik des Agons mit dem Wettkampf der Ringer zusam-menbrachten, da der Sophist wie der Ringer darum bemht sein msse, sei-nen Gegner jederzeit niederringen zu knnen.36 Dass dies keine platonische Zuschreibung ist, sondern hier ein genuin sophistischer Anspruch wiederge-geben wird, zeigt der Titel des protagoreischen Werks (erg. ), wobei das Wort der Ringersprache entnommen ist.37

    33 Voelke 2003, 337-9 stellt das Fragment aufgrund dieser Betonung der physischen Fhigkeiten in den Zusammenhang mit anderen Satyrspielen athletischen Inhalts wie dem Autolykos; dagegen ist jedoch zu sagen, dass diese Fhigkeiten hier anders als in Athleten-Parodien keineswegs im Zentrum der Ausfhrungen stehen, sondern ber die verwendete Terminologie sogar als Bestandteil der Sophisten-Parodie anzusehen sind.

    34 Vgl. DK 82 B Fr. 6, wo wie im Fragment der Begriff neben von Bedeutung ist.

    35 Vgl. zu Antisthenes CPF 1.1 18 1T, zu Isocrates or. 15.180.36 Zu ihren doppelten Fhigkeiten vgl. erneut Pl. Euthd. 273c2-274a4.37 Zum Titel DK 80 B 1, zur Metaphorik auerdem Pl. Sph. 232d9-e1 und Euthd. 277d1-2 sowie

    Buchheim 1986, 115-7.

  • 39Sophistische Satyrn

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    Wenn im Fragment ber (9) ein damit auch terminologischer Bezug zu zwei zentralen Begriffen sophistischer Theorie erffnet wird, deutet dies darauf hin, dass fr den Zuschauer die Verbindung zur Sophistik hier auch ganz konkret ber die Aufzhlung physischer Fhigkeiten hinaus durch fest mit sophistischer Theorie verbundene Wrter hergestellt wirdnicht explizit ausgesprochen und benannt, sondern spielerisch mit dem Mythos verwoben und daher der Komik des Satyrspiels entsprechend.

    Dies lsst sich anhand weiterer Begrifflichkeiten in den drei skizzierten Abschnitten der Aufzhlung zeigen. Neben und in 8 und 9 werden im zweiten Teil (12-4) Ttigkeiten benannt, die mit Sophisten bzw. der Sophistik als Strmung in Verbindung gebracht werden knnen. Fr den Bereich der (12) bietet die anonyme Schrift ber die Musik Hin-weise auf sophistische Ttigkeiten; und auch das Werk selbst steht in einer kla-ren Beziehung zur Sophistik, da der Anonymus sowohl stilistisch deutlich von der Sophistik beeinflusst ist als auch in dem Versuch einer Systematisierung seiner ganz im Kontext des zeitgenssischen Diskurses zu sehen ist.38

    Eben dies gilt fr die Bereiche Mantik und Medizin. Auch in diesen Ttig-keitsfeldern fhrte der Einfluss sophistischen Denkens ber die Erstellung von Fachtexten zur Systematisierung bestehenden Wissens, wodurch eine ratio-nale, d. h. eine empirisch und logisch begrndete Ausbildung in den betref-fenden erst ermglicht wurde. Neben der Rhetorik, wo die Bedeutung der Sophisten allgemein anerkannt ist, lsst sich dies im Bereich der Medizin an den frhen Schriften des corpus Hippocraticum und hier besonders an den anonymen Schriften ber die Kunst und ber die alte Medizin festmachen, wobei im Prolog der letzteren entsprechende rationale Systematisierungsver-suche der Zeit sogar kritisch betrachtet werden.39 Nicht weniger gilt dies auch fr den Bereich der Mantik, der sich der Sophist Antiphon mit seiner Schrift ber die Traumdeutung zugewandt hat.40 Und mit dem Wort wird auch in diesem Abschnitt ein Kernterminus sophistischer Theorie angefhrt und damit nicht allein die sophistische Fhigkeit zur Widerlegung im medizi-nischen Bereich angesprochen (14), sondern darber hinaus generell auf die

    38 Vgl. Kerferd und Flashar 1998, 104.39 Zu ber die Kunst vgl. Kerferd und Flashar 1998, 106-7, zu ber die alte Medizin Oser-Grote

    1998, 462-5 und generell zur sophistischen Beeinflussung des corpus Hippocraticum ebd., 457 und 462-70; wie Gorg. Hel. 14 zeigt, ist die Beeinflussung von Medizin und Sophistik durchaus wechselseitig.

    40 Wie die in der Tragdie prsenten Orakelkritiken zeigen, war der Einfluss entsprechender Schriften nicht unerheblich.

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    bereits benannte Forderung angespielt, dass ein Mensch jederzeit zur Wider-legung seines Gegenber in allen Bereichen befhigt sein msse.41

    Am deutlichsten ist der Bezug zur Sophistik abschlieend in 15-6, wobei es hier weniger auf inhaltliche Aussagen ber konkrete Fhigkeiten als auf die sprachliche Gestaltung der Verse ankommt. Wie bereits angemerkt, lsst der Dichter die Satyrn ihre eigenen Fhigkeiten anhand dreier Substantive auf - beschreiben. Mit Maas darf man stilistisch von einem Homoioteleuton aus-gehen, das der Bekrftigung des Anspruchs dienen soll, und, wie oben ausge-fhrt, trgt hier gewiss einen abwertenden Klang (Palaver) und zeugt damit von der Ironie, mit der die Satyrn bereits in Vers 11 gezeichnet worden waren. Allerdings haben Handley sowie Willi (wohlgemerkt beide ohne Bezug auf das Fragment) gezeigt, dass die Verwendung von Substantiven dieser Art nicht nur mit der Sophistik drastisch zunimmt, sondern wenigstens bei Ari-stophanes eindeutig als Parodie intellektuellen Sprachgebrauchs angesehen werden kann.42 Zu Recht hat Carden aus diesem Befund geschlossen, dass hier zeitgenssischer Sprachgebrauch bestimmter intellektueller Gruppen verspot-tet wird und darber ein klarer Bezug zur historischen Gegenwart und damit zur Sophistik hergestellt ist.43

    Am Bezug des Fragments auf Sophistik und sophistische Theorie, auf die die Komik auch abzielt, kann daher kein Zweifel bestehen. Die gesamte Aus-fhrung ist berschrieben mit dem Ideal sophistischer Vielgelehrsamkeit und schliet mit dem Beweis der Ntzlichkeit der einzelnen Fertigkeiten ab; allein dies hatte auf die Sophistik hingedeutet. Wie gezeigt lsst sich dies aber anhand der drei Abschnitte der Aufzhlung der Fertigkeiten noch genauer belegen. ber den Bezug auf das spezifisch sophistische Bild vom als Ringkampf wird die Bedeutung der Agonistik innerhalb der sophistischen Theorie aufge-nommen; die aufgezhlten Gebiete theoretischer Beschftigung lassen sich mit Bereichen verbinden, in denen Sophisten selbst ttig waren bzw. die unter sophistischem Einfluss whrend der Zeit blhten. Fr die Zeitgenossen drfte damit ber die Benennung der Schlagworte die allgemeine Zielrichtung die-ser Aufzhlung und damit der Bezug auf die Gegenwart deutlich geworden sein. Die abschlieende Imitation intellektuellen Sprachgebrauchs besttigt

    41 Zur Bedeutung des in der sophistischen Theorie vgl. Buchheim 1986, 4-10.42 Vgl. Handley 1953, 141-2 sowie Willi 2003, 134-6. Entsprechend lsst sich diese Verwendung

    als Sophisten-Parodie bei Aristophanes insbesondere in den Wolken und den Thesmophoriazusen finden, auerdem in den Frschen, wo aber eher tragischer Sprachgebrauch parodiert wird, da diese Substantive auch in der Tragdie relativ hufig sind.

    43 Vgl. Carden 1974, 145.

  • 41Sophistische Satyrn

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    diese Deutung ebenso wie die offenbar gesuchte Verwendung sophistischer Schlagworte (, , , , , ), die die Aufzhlung durchzieht, so dass dem Zuschauer auf verschiedenen Ebenen, vom Auftritt der Satyrn ber den Inhalt der Aufzhlung und den sprachlichen Ausdruck bis hin zur Semantik der Worte vom Anfang bis zum Ende Hinweise auf diesen Bezug gegeben werden.

    4 Zeitgenssische Komik im Satyrspiel?

    Man kann daher davon sprechen, dass das Oineus-Fragment eine Form von Komik aufweist, die direkt aus dem dargestellten Verhalten der Satyrn und ihren Aussagen resultiert, darber hinaus aber ber den Bezug auf die sophistischen Satyrn auf einer literarischen Metaebene komisch wirkt, deren Erschlieung fr den Zuschauer aufgrund entsprechender Hinweise problem-los mglich gewesen sein drfte. Die hier prsente hintergrndige, das heit zeitbezogene und damit aktuelle Komik, unterscheidet sich wie angemerkt stark von der Alten Komdie, in der der Spott direkt und namentlich ausge-schttet werden kann, whrend sie hier spielerischer ist, da sie die Ebene des Fiktiv-Mythischen und damit die Genregrenzen nicht verlsst und eingebun-den bleibt in die Darstellung der Erzhlung. Sie ist dabei aber auch komplexer, da sie nicht unmittelbar verstndlich ist, sondern verstanden werden muss. Dass diese Deutung einer zeitgenssischen Parodie im Satyrspiel mit der com-munis opinio der Forschung konfligiert, ist oben bereits ausfhrlich dargelegt worden. Im Folgenden soll es daher darum gehen, auch fr andere Satyrspiele zu zeigen, dass zeitgenssische Motive dort nicht fehlen und dass ihre Ein-bindung mit der im Oineus-Fragment verglichen werden kann.

    Mglicherweise lassen sich solche Momente bereits in den aischyleischen Theoroi oder Isthmiastai (Fr. 78a-c Radt) ausmachen.44 Dort befinden sich die Satyrn auf der Flucht vor Dionysos und bereiten sich gerade auf eine Teilnahme an den Isthmischen Spielen vor; eine Person, wahrscheinlich Dionysos selbst, taucht auf und wirft ihnen vor, dass sie in ihrem (fr sie ungewhnlichen) Eifer um den Sport nicht nur den Dionysos-Dienst vernachlssigen, sondern auch sein Geld verschwenden wrden (78a, 35 ), wh-rend er selbst unter dem Vorwurf stehe, ein schwaches Weib (78a, 68 ) zu sein und sich nicht wie ein echter Mann auf die Schmiedekunst

    44 Ich zitiere das Stck nach den TrGF 3; zu einer ausfhrlichen Besprechung mit Literaturverweisen (jedoch ohne die Annahme von Zeitbezgen) vgl. Wessels und Krumeich 1999, 131-48.

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    zu verstehen.45 Hier mag ein Bezug vorliegen auf die hohen Kosten einer Teil-nahme an den panhellenischen Spielen und damit eine Parodie auf Athleten, die viel kosten, aber sonst keinen Nutzen haben,46 mglicherweise aber auch auf den Kontrast von Adels- und Polisgesellschaft. Denn deutlich ist das Frag-ment durchzogen von der Gegenberstellung von sportlichem Wettkampf und musischer Beschftigung, so dass man hier nahezu eine Konfrontation zwischen der sportlichen Adelskultur und der Poliskultur der athenischen Dionysien dargestellt sehen kann, wobei die Satyrn als Betrger natrlich nur flschlicherweise diese Grenze durchbrechen und daher die Mittel des Diony-sos verschwenden mssen.47

    Entsprechende zeitgenssische Anklnge sind neben dem Kyklops auch fr weitere Stcke des Euripides auszumachen. Aus seinem Autolykos ist eine lngere Invektive auf Athleten erhalten (Fr. 282 Kannicht), denen vorgewor-fen wird, nicht fr ihre eigene Altersversorgung sorgen zu knnen und damit das schlimmste aller bel zu sein.48 In dieser Schmhrede, die gut neben das aischyleische Fragment gestellt werden kann, wird von der Forschung eine Anspielung auf die bekannte Elegie des Xenophanes gesehen, so dass zum Verstndnis dieses Fragments ein auerhalb der eigentlichen Erzhlung lie-gendes literarisches Vorwissen bentigt wird.49 Weiterhin ist wahrscheinlich, dass diese Verse in einem nur losen Zusammenhang mit der Handlung des

    45 Zu den Vorwrfen gegen die Satyrn siehe Fr. 78a 29-36, zu denen gegen Dionysos als Weichling ohne Kenntnis der Schmiedekunst ebd. 65-8. Wie auch immer man den Zeitbezug bewerten will, so erscheint mir eindeutig, dass die Komik hier von mehr als frische[r] Naivitt zeugt (so Seidensticker 1989, 354 prinzipiell zum Satyrspiel bei Aischylos und Sophokles) und durchaus auch auf Anspielungen beruht.

    46 Zu entsprechender Kritik siehe bereits Tyrtaios (Fr. 12 W.) oder Xenophanes (Fr. 2 W.), zu den hohen Kosten eines Athleten, die sich aus einer Teilnahme an den panhellenischen Spielen ergaben und die den Teilnehmerkreis daher auf die vermgende Oberschicht begrenzten, vgl. Pleket 2001, 169. Den Hinweis auf die Kosten und den mglichen zeitge-nssischen Bezug dieses Fragments verdanke ich Ernst Siegmanns unverffentlichten Vorlesungen zum Satyrspiel (Siegmann 1972/73, Vorlesung vom 30.11.1972).

    47 Zur Standesproblematik im Kontext der panhellenischen Wettkmpfe und der Adelsgesellschaft als ihrem Trger gegenber den demokratischen Festen im Fragment vgl. Reinhardt 1957, 11-2, prinzipiell zum Teilnehmerkreis an den panhellenischen Spielen Pleket 2001, 161-9.

    48 TrGF 5.1 Fr. 282.1-2: / .

    49 Ich folge Pechstein 1998, 70-86, der Bezug geht erneut auf Xenophanes Fr. 2 W.; tatschlich vergleichbar sind beide Texte aber nur in ihrer Anspielung auf den Sport, da bei Xenophanes die Brger fr ihre Hochschtzung von Sportlern angegriffen werden, wh-rend Euripides Anklage gegen die Athleten selbst gerichtet ist.

  • 43Sophistische Satyrn

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    Stcks stehen und als rhetorische Prachtrede (vielleicht des Autolykos) einen Preis auf die Beredsamkeit darstellen, vielleicht im Kontext der Betrugshand-lung des Stckes.50 Fr das Verstndnis des Textes verweist Pechstein auf die Argumentation des in den Wolken des Aristophanes, der den Vorwurf erhebt, dass Rhetorik die Sportpltze leere; die Rede des Satyrspiels knne seiner Meinung nach als Gegenentwurf dazu und damit als Verteidi-gung der neuen Ttigkeitsbereiche gelesen werden, wenn nun die Nichts-nutzigkeit der Athleten angeprangert und damit die Bedeutung der Rhetorik gezeigt werde. Bei aller Unsicherheit in der Deutung des Textes kann man in dieser Athletenschelte jedoch gewiss einen Gegenwartsbezug sehen, der seine Komik ber die Anspielung auf eine aktuell diskutierte (und damit fr den Zuschauer direkt relevante) sowie literarisch prsente Debatte entfaltet. Eine Steigerung der Komik knnte im Vergleich mit Aristophanes dadurch noch her-beigefhrt worden sein, dass die Frage von der verkehrten Seite aus betrachtet wird, wenn hier tatschlich der bekannte Vorwurf der Verdorbenheit der Sitten durch die Rhetorik Ziel des Angriffs sein sollte.

    In zwei Fragmenten aus dem Skiron desselben Dichters (Fr. 675 und 676 Kan-nicht) sind erneut zeitgenssische Anspielungen zu finden.51 Es geht im Stck um die berwindung des gleichnamigen Monsters durch Theseus, wobei die Satyrn als Diener Skirons auftreten. Als sie die Bhne betreten, befinden sich in ihrem Gefolge Hetren aus Korinth, ber die sie in den genannten Fragmen-ten berichten, dass sie sie mit athenischem sowie korinthischem Geld bezahlt htten. Sowohl die Anspielungen auf die Geldstcke, die metonymisch nur ber ihren Stempel benannt werden,52 als auch die Berhmtheit korinthischer Mdchen mssen aber als zeitgenssischer Bezug gedeutet werden, wobei die Verknpfung mit dem Mythos seiner Struktur nach wie im Oineus-Frag-ment erreicht ist. Hier wie dort funktioniert die Komik gerade darber, dass die Satyrn eben leicht mit Sophisten verglichen bzw. mit Hetren zusam-mengebracht werden knnen, da sie nun einmal protzige und stndig geile

    50 Zum Teil hat die Forschung auch fr dieses Fragment methodisch problematisch aus der Darstellung auf den Dichter selbst geschlossen, wobei die Interpretation hier meist dar-auf hinauslief, in der Rede einen Angriff des Geistmenschen Euripides gegen den ath-letischen Ungeist zu sehen (so Lesky 1972, 276).

    51 Ich folge erneut Pechstein 1998, 239-42.52 Die Frauen werden nach dem Preis unterteilt, den man ihnen zu zahlen hat: Die erste

    Gruppe lsst sich fr ein Fllen (1 , nach Pollux eine korinthische Silbermnze) kaufen, die zweite fr ein Zweigespann (2 , also zwei Mnzen), whrend man der dritten Gruppe attische Jungfrauen (4 , gemeint ist eine attische Tetradrachme, die das Bild der Athene trug) zu zahlen habe; berliefert ist das Fragment bei Pollux (9.75), der es auch erklrt.

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    Nichtsnutze sind. Dies ist zwar bereits komisch, noch komischer aber ist wie im Fall der offenbar berhmten leichten Mdchen aus Korinth die Einflech-tung von Aktualittsbezgen in diese Handlung, die der Zuschauer zwar deko-dieren muss, die dann aber ber ihre Gegenwartsbedeutung auf einer anderen Ebene wirken.

    Dies gilt auch fr das vielgedeutete sogenannte Sisyphos-Fragment,53 das seit Wilamowitz Kritias zugeschrieben worden ist, dessen Autorschaft seit einem Aufsatz von Dihle allerdings wieder diskutiert wird.54 Problematisch fr die Forschung auch zu diesem Fragment ist die methodisch unhaltbare Annahme, dass die im Fragment dargelegten atheistischen Vorstellungen mit der Person des Dichters, d. h. Kritias oder Euripides, in einen Zusammenhang zu bringen seien. Bei aller Unklarheit ber den Autor des Fragments kann aber zumindest als unbestritten gelten, dass der vorgebrachte Mythos vom , der den Menschen die Furcht vor den Gttern eingeflt habe, in den Kontext sophistischer Mythen und Kulturentstehungslehren gestellt werden muss.55 Wie auch immer man den Mythos im Einzelnen deutet, was aufgrund der Isoliertheit des Fragments eine durchaus komplexe Frage ist, so gilt doch auch fr diesen Text, dass der Zeitbezug beraus deutlich und ein Verstnd-nis der Rede nur dann mglich ist, wenn die hintergrndige Anspielung auf entsprechende sophistische Kulturentstehungslehren beim Publikum voraus-gesetzt werden kann. Da auch hier ein komischer Bezug anzunehmen ist, der aus dem Fragment selbst allerdings nicht deutlich wird, kann man es zumin-dest fr wahrscheinlich halten, dass die Komik sich auch an dieser Stelle ber ein tiefergehendes Verstndnis der Aktualitt der Darstellung erffnet haben wird.56

    Die ausgewhlten Fragmente zeigen, dass Aktualittsbezge dem Satyr-spiel durchaus nicht fremd sind und dass auch zeitgenssische und damit

    53 Hier zitiert als TrGF 1 43 Kritias, Fr. 19.54 Zur Frage vgl. Dihle 1977, 28-40 und Pechstein 1998, 289-303.55 Zur Einordnung des Textes in den zeitgenssischen Diskurs vgl. Egli 2003, 149-54. Der

    Autor macht diesen Anschluss an entsprechende Mythen auch sprachlich deutlich, da er seine Erzhlung mit beginnen lsst (vgl. den Protagoras-Mythos in Pl. Prt. 321c8) und davon spricht, dass das Leben der Menschen gewesen sei, was ein typischer Begriff in diesen Erzhlungen ist (so in E. Supp. 202 oder dem Mythos bei Diodor (1.8.1-7), der von Diels/Kranz (68 B 5) Demokrit zugeschrieben wird). Zu den Kulturentstehungsmythen insgesamt vgl. beispielweise Kerferd und Flashar 1998, 26.

    56 Ein Problem bei der Interpretation des Textes ist das vollstndige Fehlen jeglichen Kontexts, so dass der Text meist ernst genommen und nicht bedacht wird, dass der Mythos hier eventuell nur persifliert wird (zu dieser Mglichkeit Egli 2003, 151) oder dass es sich vielleicht nur um ein rhetorisches Kunststck handelt.

  • 45Sophistische Satyrn

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    hintergrndige Komik als mgliches poetisches Element der Gattung anzuse-hen ist. Die Fragmente besttigen aber auch die spezifische Form der Einflech-tung dieser Motive in den Mythos, die vom Publikum zum Teil literarisches Wissen abverlangt (Bezug auf Xenophanes bzw. auf sophistische Mythen) oder die aktuelle Debatten ironisiert, die nur mit einem gewissen Vorwissen komisch sind (wie im Fall der Athletenschelten, der Standesproblematik oder der Berhmtheit korinthischer Mdchen). In allen Beispielen wird dabei aber die Ebene des Mythos nicht verlassen, sondern der Mythos wird ber das dra-matische Personal, dessen Charakterisierungen, dessen Handlungen und des-sen Aussagen mit der Gegenwart verwoben. Gerade darber wird die Komik erzielt.

    Besonders deutlich ist diese spielerisch-hintergrndige Art der Komik im Kyklops des Euripides. Nach der langen Rhesis des Odysseus, in der der Held den Kyklopen sowohl ber logische Erwgungen als auch ber die Mahnung, die geltenden Satzungen zu beachten,57 davon zu berzeugen versucht, ihn nicht zu fressen, setzt Polyphem an und spottet ber die angebliche Macht der Gtter und die Satzungen der Menschen. Einzig der Reichtum sei fr weise Mnner Gott, der Rest nur Geschwtz.58 In hedonistischer Manier sieht er es daher als einzige Handlungsmaxime an, seine eigenen Bedrfnisse zu stillen und nur dem hchsten aller Gtter, dem eigenen Bauch, zu dienen. Zeus aber bedeute allein, tglich Essen und Trinken zu haben und keine Schmerzen lei-den zu mssen.59 Die Gesetzgeber aber, die solcherlei Bruche wie das Gast-recht geschaffen haben und damit das menschliche Leben nur verkomplizier-ten (339 ), die verflucht er und bietet Odysseus in hchstem Zynismus als Gastgeschenke Feuer und einen Kessel (ein Familien-erbstck, wie er betont) anum ihn darin zu kochen.60

    Diese Rede ist oft und zu Recht mit der Kallikles-Rede des platonischen Gor-gias verglichen worden, da sie dessen Radikalitt in unverblmter, aber freilich hchst bertriebener und darin komischer Art und Weise vorwegnimmt und

    57 Zur Rhesis E. Cyc. 285-312, besonders 299-300, die den argumentativen bergang vom zum darstellen: , , / [...].

    58 Ebd. 316-7.59 Ebd. 334-8. Diese Form der Deifikation und der damit verbundene Zweifel an der tradier-

    ten Gtterwelt knnen nach Seaford 1984, 164 ebenfalls mit sophistischer Theorie in Verbindung gebracht werden, obgleich diese hier freilich bertrieben dargestellt werden. Die Betonung der Freiheit von Leiden als hchstmglichem Nutzen fr den Menschen lsst sich auch beim Sophisten Antiphon finden (DK 87 B 44a4.8-22).

    60 E. Cyc. 338-44.

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    damit sophistische Theorie ad absurdum fhrt.61 Tatschlich lassen sich die Aussagen aber nicht allein mit denen des Kallikles aus dem Gorgias verglei-chen, sondern es liegt ein allgemeiner Bezug zur Sophistik vor,62 der fr Poly-phem die argumentative Grundlage dafr bildet, alle gltigen Werte mit einem Handstreich tilgen zu knnen. Sophistisch an den Worten des Kyklopen ist die vollkommene Fokussierung auf das Individuum, dessen Nutzen als einzig normierender Mastab definiert wird, da solches Verhalten den Notwendig-keiten der entspreche. Da dieses Eigeninteresse aber den von Odysseus benannten entgegensteht, sieht der Kyklop auch keinen Grund, sich an diesen zu orientieren. Er kann daher frank und frei behaupten, dass nur der eigene Vorteil fr sein Handeln mageblich sei und er den Fremden daher essen drfe: / .63

    Ebenso wie im Oineus-Fragment funktioniert die zeitgenssische Parodie auch hier, indem die aktuellen Motive ber einen entsprechenden Charakter in das Stck eingefhrt und dann von ihm in bertriebener Weise vertreten werden (Wissensanspruch dort, Nomos-Physis-Problematik sowie Interesse des Individuums hier). Komisch ist daher im Kyklops nicht, dass Polyphem ein Sophist ist, sondern dass er sein Handeln an dieser Stelle ber sophistische Theorie legitimiert, ebenso wie die Satyrn mit ihrem Auftritt sophistischen Anspruch persiflieren. Da dieses Handeln aber weder fr die Satyrn noch fr den Kyklopen unangemessen und daher charakterlich stimmig ist, da die Kyklopen schon bei Homer einen besonders blen Ruf haben,64 erweitert das zeitgenssische Moment die Erzhlung nur und trgt darber zustzlich zur Komik der Aussage des Polyphem bei, bricht sie aber nicht.

    5 Das Oineus-Fragment und seine Bedeutung fr eine Poetik des Satyrspiels

    Die Beispiele zeigen, dass der euripideische Kyklops mit seiner Parodie auf sophistisches und damit zeitgenssisches Denken offensichtlich nicht allein steht, sondern dass solche Bezge in weiteren Satyrspielen nachgewiesen wer-

    61 Zu entsprechenden Stellen im Gorgias und zur Parodie sophistischen Denkens im Kyklops vgl. Lesky 1972, 501, Seaford 1984, 164-9, Biehl 1986, 22-3 oder Egli 2003, 154-5.

    62 Vergleiche bieten sich beispielsweise mit Antiphons Schrift ber die Wahrheit, dem Palamedes des Gorgias oder den Dissoi Logoi an.

    63 E. Cyc. 340-1.64 Vgl. Od. 9.109-15.

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    den knnen65 und sogar strukturell vergleichbar funktionieren, indem Mythos und Parodie spielerisch verwoben werden.66 Wie auch in der Tragdie blich, wird der Mythos so vorsichtig aktualisiert,67 hier aber gerade mit dem Ziel, ber die Aktualisierung in der Parodie eine besondere Form von Komik zu erzielen, die den Bereich des Mythos nicht verlsst und damit hintergrndiger bleibt und im Einzelnen gewiss auch schwieriger zu deuten ist, da sie ber eine andere Art der literarischen Kodierung wirkt. In den hier angefhrten Beispielen ist dies allerdings so deutlich, dass kaum ein Zweifel daran beste-hen kann, dass sie geeignet sind, unser Verstndnis der Poetik des Satyrspiels in diesem Punkt zu modifizieren. Anders als bisher vielfach angenommen, sollte man daher durchaus mit zeitgenssischen Parodien und Anspielungen im Satyrspiel rechnen, ohne gleich von einer hnlichkeit zur Alten Komdie ausgehen zu mssen. Dass diese Anspielungen besonders hufig Sophisten getroffen zu haben scheinen, wie es zumindest ein Teil der hier ausgefhrten Beispiele zeigt, kann auf die Wirkmchtigkeit dieser Geistesstrmung auf die Zeit hindeuten.

    Fr das Oineus-Fragment, das im Zentrum dieser Untersuchung stand, sollte die Parodie auf die Sophisten damit erwiesen sein. ber diese Parodie aber und die Struktur der Einflechtung zeitgenssischer Motive in die eigentliche Erzhlung, die ber ihre hintergrndig-spielerische Art komisch wirken, kann man mit Vorsicht und unter Heranziehung weiterer Fragmente auch generell zu einem verbesserten Verstndnis des Satyrspiels gelangen. Daher kann man

    65 Neben den hier aufgefhrten Beispielen kann man mglicherweise auch in zwei Satyrspielen des Achaios zeitgenssische Bezge erkennen. So machen sich in seinem Alkmeon (TrGF 1 20, Fr. 12) die Satyrn ber die Bewohner von Delphi lustig, die nur mit Opfern und Mahlzeiten beschftigt sind, wie Athenaios (4.173) es bezeugt, und in seinen Athla (oder Athloi, TrGF 1 20, Fr. 3-4) lsst sich erneut eine Parodie auf Athleten finden.

    66 Diese strukturelle hnlichkeit darin, dass die Parodie ber diejenigen Figuren funktioni-ert, die dem Parodierten prinzipiell hnlich sind, gilt fr das Oineus-Fragment und den Kyklops. Fr das Sisyphos-Fragment und die Theoroi oder Isthmiastai knnte das Gegenteil gelten, wenn gerade die Satyrn als adlige Athleten auftreten oder wenn gerade Sisyphos als derjenige, der von den Gttern fr seinen Betrug gestraft worden ist, im Rekurs auf Kulturentstehungsmythen davon spricht, dass ein weiser Mann die Gtter nur erfunden habe und die Komik damit gerade daraus resultiert, dass die Zuschreibung nicht passt und so zugleich auch die zeitgenssischen Bezge in einem komischen Licht erscheinen (gegen diese Deutung des Sisyphos-Fragments allerdings Pechstein 1998, 309-10).

    67 Biehl (1986, 21-4) spricht fr den Kyklops gar von einer permanenten interpretatio Attica, die Euripides in das Spiel eingewoben habe und die mageblich fr den Konsens mit dem Publikum verantwortlich sei. Diese Deutung knnte man auch fr die Motive der anderen Stcke bernehmen, beispielsweise die Mnzbeschreibung des Skiron.

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    schlieen, dass Aktualittsbezge durchaus als mgliches Element des Satyr-spiels gelten drfen, und, sofern das Fragment tatschlich eben diesem zuzu-schreiben ist, auch bei Sophokles vorkommen. Fr das Verstndnis des Kyklops gilt daher jedenfalls, dass er keine so groe Ausnahme darstellt wie bisweilen angenommen.68

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    68 Fr ihre Bemerkungen und Kritik zu Dank verpflichtet bin ich M. Bernhardt, F. Timmer-mann, P. Picker und Prof. Thiel in Jena sowie Prof. Boter und den Gutachtern der Mnemosyne. Alle Fehler verbleiben bei mir.

  • 49Sophistische Satyrn

    mnemosyne 67 (2014) 28-49

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