subjektivierung im netzwerk
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Zur Subjektivierung im Netzwerk
Modul 14sSeminar Nachrichten aus dem 21. Jahrhundert: Was bedeutet Medientheorie nach den Medien? Prof. Siegfried ZielinskiSommersemester 2010
Helge [email protected]
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Inhalt
1. Einleitung S. 3
2. Gouvernementalität und Subjektivierung S. 4
3. Transformation der Subjektkultur S. 10
3.1. Gegenkultur als Subjekttransformationsbewegung S. 11
3.2. Kybernetische Beiträge zur Gegenkultur S. 15
4. Vernetzte Subjekte und Regieren im Netzwerk S. 22
5. Literatur S. 25
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1. Einleitung
„ I like to think
(it has to be!)
of a cybernetic ecologywhere we are free of our laborsand joined back to naturereturned to our mammal
brothers and sisters,and all watched over
by machines of loving grace“
Das Gedicht „All watched over by machines of loving grace“ des Hippie‐Poeten
Richard Brautigan von 1967 (zit. nach Turner 2006, S. 38f) beschwört eine
Utopie, in der sich der Mensch von der Arbeit befreit und mit der Natur
versöhnt hat. Das Potential, diese Utopie zu verwirklichen, wurde der
Kybernetik zugesprochen: Wohlwollende Maschinen sollten über die neue
kybernetische Ökologie wachen. Jahrzehnte später attestiert das französische
Autorenkollektiv Tiqqun der Gegenwart eine „(...)neue Gouvernementalität,
die durch die kybernetische Hypothese inspiriert ist“ (Tiqqun 2007, S. 15). Im
Kontrast zur Utopie der 60er begreifen Tiqqun die Kybernetik als eine
Herrschaftstechnologie, die jedes Anzeichen einer kritischen Äußerung als
Feedback ins System zurückführe und zum Richtungsanzeiger und
Innovationspotential für die Stabilisierung und Perpetuierung kapitalistischer
Herrschaft umnutze. Die politisch gewendete Kybernetik ziele auf eine totale
Durchregulierung des Existierenden mit Hilfe dezentraler Kontrolldispositive;
die elektronischen Kommunikationsnetze bildeten die Quelle ihrer Macht (vgl.
Ebd., S. 18). Das dieser Form von Herrschaft komplementäre Subjekt sei eines
der spontanen Kooperation, das in der Lage sei, sich dynamisch selbst zu
organisieren; entwurzelt und fähig, sich einer Umwelt der andauernden
Umwälzung anzupassen (vgl. Tiqqun 2003, S. 50ff).
Die Diskrepanz ist offensichtlich: Existierte in einem Teil der Gegenkultur der
60er noch eine Vorstellung von der Kybernetik als Mittel zur Verwirklichungeiner Utopie der Befreiung und Versöhnung, so erscheint sie nun in der
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Gegenwart als Mittel, die Herrschaft auf Dauer zu stellen und ihre Kritik immer
schon integriert zu haben.
Ziel dieser Arbeit ist weniger eine Diskussion der Thesen Tiqquns, als vielmehr
der Versuch, vor dem Hintergrund der Transformation der Subjektkultur vonder organisierten Moderne zur Postmoderne nachzuzeichnen, wie die
Rezeption der Kybernetik in einem Teil der amerikanischen Gegenkultur eine
Subjektform hervorbrachte, die sich in eine aktualisierte Gouvernementalität
einschreibt. Dazu sollen zunächst die Begriffe Subjektivierung und
Gouvernementalität geklärt (Kap. 2) und dann nachvollzogen werden, wie sich
die Subjektkultur unter dem Einfluss der Gegenkultur transformierte und
welche kybernetischen Beiträge dabei existierten (Kap. 3), um schließlichanzudiskutieren, wie Kybernetik und Gouvernementalität der Gegenwart
zusammenhängen (Kap. 4).
2. Gouvernementalität und Subjektivierung
Gegen Ende der Vorlesung „Die Gouvernementalität“ von 1978 erläutert Michel
Foucault zusammenfassend seinen Begriff der Gouvernementalität:
„Unter Gouvernementalität verstehe ich die Gesamtheit, gebildet aus
den Institutionen, den Verfahren, Analysen und Reflexionen, den
Berechnungen und den Taktiken, die es gestatten, diese recht
spezifische und doch komplexe Form der Macht auszuüben, die als
Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als Hauptwissensform die politische
Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die
Sicherheitsdispositive hat.“ (Foucault 2000, S. 64)
Es sind hier drei Begriffe gegeben, mit denen sich das Feld der
Gouvernementalität erschließen lässt: Macht, Bevölkerung und Sicherheit.
Zur Frage der Macht lassen sich drei analytische Ebenen unterscheiden:
Machtbeziehungen sollen verstanden werden als strategische Spiele zwischen
Menschen, die das Verhalten anderer Individuen zu lenken versuchen ‐ sie sind
immer schon gegeben, sobald soziale Situationen vorliegen. In
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Herrschaftszuständen haben sich bestimmte Machtbeziehungen verfestigt und
institutionalisiert, so dass sich das strategische Spiel zugunsten einer Seite
dauerhaft entschieden hat. Regierungstechnologien schließlich vermitteln
zwischen strategischen Beziehungen und Herrschaftszuständen, indem sieMachtausübung in systematisierten, regulierten und reflektierten Formen
erlauben, ohne so flüchtig wie die Machtbeziehungen noch so erstarrt wie die
Herrschaftszustände zu sein. Herrschaft lässt sich somit als Effekt von
Regierungspraktiken verstehen, die Machtbeziehungen derart stabilisieren,
dass sie zu Herrschaftszuständen gerinnen (vgl. Lemke 2001).
Foucault zeichnet nach, wie im 16. Jahrhundert unter dem Begriff der
Regierung noch mehr Phänomene gefasst wurden, als heute mit der Verengungauf die Angelegenheiten des Staates üblich ist. Regiert wurde jenem
Verständnis nach auch in Familien, Klöstern, Schulen und derlei mehr; die
Regierung des Staates bzw. Fürsten war nur eine Form des Regierens unter
vielen.
Aus einer Kritik der souveränen Regierung des Fürsten heraus, die eine Reihe
von Autoren ab dem 16. Jahrhundert übten, entwarf sich eine Form des
Regierens, die ihr Vorbild in der Regierung der Familie (griechischoikos) – derÖkonomie – fand. Regiert werden sollte nun nicht mehr zum selbstbezüglichen
Zwecke des Erhalts der fürstlichen Souveränität, sondern mit der
Gewissenhaftigkeit des Familienvaters, der die Geschicke der Familie zum
Besten lenkt. Dabei erweiterten sich sowohl Gegenstand als auch
Zwecksetzung der Regierung, die sich nunmehr „(...) nicht auf das Territorium
bezieht, sondern auf eine Art Komplex, gebildet aus den Menschen und den
Dingen“ (Foucault 2000, S. 51) und diesen zum Zwecke der„Vervollkommnung, Maximierung oder Intensivierung“ (Ebd., S. 54) führt.
Mit dem Bevölkerungswachstum des 18. Jahrhunderts schließlich tritt die
Bevölkerung als Problem und Ziel der Regierung hervor. Sie ist nun nicht mehr
bloßer Ausdruck der Macht des Souveräns, sondern Zweck und Instrument der
Regierung, was eine Reihe neuer Taktiken und Techniken der Führung sowie
auf die Bevölkerung bezogener Wissensformen notwendig macht, zwischen
denen die Statistik eine herausragende Rolle einnimmt.
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Foucault beschreibt die Gouvernementalität nicht nur als eine an der
Bevölkerung orientierte Regierung, sondern auch als historische
Entwicklungstendenz des Staates: Vom durch das Gesetz herrschenden
Gerechtigkeitsstaat des Mittelalters über den disziplinierendenVerwaltungsstaat des Feudalismus bis hin zum durch Sicherheitsdispositive
kontrollierenden Regierungsstaat findet ein Prozess der
Gouvernementalisierung des Staates statt (vgl. Ebd., S. 66).
Im Liberalismus der letzteren Staatsform erkennt Foucault nicht die
Ausweitung einer überhistorisch feststellbaren Freiheit, sondern vielmehr die
Einrichtung der Bedingungen für Freiheit selbst, die jedoch immer mit der
Produktion von Regierungsinterventionen und Gefahrendiskursen verbundensein muss, die freies Handeln einhegen, um die Sicherheit der liberalen
Ordnung zu gewährleisten:
„Mit einer Hand muss die Freiheit hergestellt werden, aber dieselbe
Handlung impliziert, dass man mit der anderen Einschränkungen,
Kontrollen, Zwänge, auf Drohungen gestützte Verpflichtungen usw.
einführt.“ (Foucault 2004, S. 98)
Die Entstehung der liberalen Regierung bringt eine Sicherheitstechnologie mit
sich, die im Unterschied zum Disziplinarsystem keine präskriptive Norm
vorgibt, deren Einhaltung mit Disziplinarmaßnahmen erzwungen wird,
sondern eine bspw. durch Statistiken über die Bevölkerungex posterhobene
empirische Norm etabliert, an die sich subjektive Normalisierungsprozesse
innerhalb einer Bandbreite akzeptabler Abweichungen anschließen können
(vgl. Lemke 2001).
Mit der Frage nach der Regierung ist also die Verknüpfung von
Herrschaftstechniken mit Technologien des Selbst angesprochen: der
Regierungsbegriff vermittelt zwischen Macht und Subjektivität.
Unter den Begriff der Technologien des Selbst sind Operationen gefasst,
mithilfe derer Individuen ihre eigene Selbstkonzeption und Lebensführung im
Hinblick auf ein gewünschtes Ziel modifizieren (vgl. Bröckling, Krasmann &
Lemke 2000, S. 28f).
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Die Verschränkung von Herrschaftstechniken und Technologien des Selbst, von
Fremdführung und Selbstführung, ersetzt den Zwang als Mittel der
Disziplinierung:
„Warum sollte es nötig sein, individuelle Freiheiten undGestaltungsspielräume einzuschränken, wenn sich politische Ziele
wesentlich „ökonomischer“ mittels individueller „Selbstverwirklichung“
realisieren lassen?“ (Ebd., S. 30)
Die Selbstverwirklichung als Selbstführung setzt eine Konzeption des
Individuums als Subjekt voraus. In „The Subject and Power“ (1983) weist
Foucault dem Subjektbegriff zwei Bedeutungen zu:
„There are two meanings of the word subject: subject to someone else
by control and dependence, and tied to his own identity by conscience
or self‐knowledge. Both meanings suggest a form of power which
subjugates and makes subject to.“ (Foucault 1983, S. 212)
In der Subjektivierung sind also Momente sowohl der Fremd‐ als auch der
Eigensteuerung ineinander verschränkt. Zwar erkennt und bildet sich das
Subjekt als eigenständiges Ich, muss jedoch seine Handlungsfähigkeit von denInstanzen beziehen, gegen die es seine Autonomie behauptet (vgl. Bröckling
2007). Die Anrufung des Subjekts eröffnet dabei einen prinzipiell
unerfüllbaren Imperativ: „Ein Subjekt zu werden ist etwas, dem niemand
entgeht und das zugleich niemandem gelingt“ (Ebd., S. 30).
Um Machtbeziehungen zu verstehen, empfiehlt Foucault, die darauf bezogenen
Widerstände und Kämpfe zu untersuchen. Diese Kämpfe haben eine Reihe von
gemeinsamen Eigenschaften: Sie sind gleichzeitig transversal und unmittelbar,haben die Effekte der Macht zum Ziel, stellen die Regierung der
Individualisierung zur Disposition, befragen dazu Macht‐Wissen‐Komplexe
und drehen sich schließlich um die Frage nach dem Selbst. Kurz: Die Kämpfe
attackieren Machttechniken, die aus Individuen Subjekte machen, indem sie die
Individuen kategorisieren und ihnen Identitäten und Wahrheitsordnungen
aufprägen, die von ihnen und anderen berücksichtigt werden müssen.
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Foucault unterscheidet in drei Arten von Kämpfen: Kämpfe gegen Ausbeutung
als Trennung des Produzenten vom Produkt, gegen Formen der ethnischen,
religiösen oder sozialen Dominanz und Kämpfe gegen die Unterwerfung unter
die Form des Subjekts. Letzteren attestiert Foucault eine zunehmendeWichtigkeit, wobei diese Kämpfe immer als ineinander verwoben zu verstehen
seien. Die zunehmende Relevanz der Kämpfe um Subjektivierung macht
Foucault an der Säkularisierung und Entgrenzung der christlichen
Pastoralmacht seit dem sechzehnten Jahrhundert fest. Diese besondere Form
der Macht sei in der modernen Staatsmacht als gleichzeitig
individualisierender und totalisierender Macht aufgegangen. Die Spezifik der
Pastoralmacht bestimmt Foucault von mehreren Eigenschaften her: Sie sei
erlösungsorientiert, enthalte im Gegensatz zur politischen Souveränität ein
Moment des Opfers, sei individualisierend im Gegensatz zum Recht und
erstrecke sich über die gesamte Lebensspanne, schließlich sei sie mit der
Produktion eines bestimmten Wissens verbunden, nämlich des Wissens um
das Individuum selbst. In der Form des Staates sei die Pastoralmacht heute
enthalten, wiewohl sich die Zielsetzung auf eine weltliche Wohlfahrt hin neu
orientiert und die Agenten dieser neuen Pastoral‐ bzw. Staatsmacht sich
vervielfältigt haben: Sei es der Staatsapparat selbst, die Polizei oder
Institutionen wie die Philanthopie, die Familie oder gar komplexe Misch‐
Strukturen wie die Medizin. Diese neue Vielfalt brachte auch die Entwicklung
neuer Wissenschaften vom Menschen mit sich: Als Wissenschaften von der
Bevölkerung, wie der bereits angesprochenen Statistik, sowie als
Wissenschaften vom Individuum.
Foucault beschreibt die Macht des so verstandenen Staates als einesubjektivierende:
„I don’t think we should consider the „modern state“ as an entity which
was developed above individuals, ignoring what they are and even their
very existence, but on the contrary as a very sophisticated structure, in
which individuals can be integrated, under one condition: that this
individuality would be shaped in a new form, and submitted to a set of
very specific patterns.“ (Foucault 1983, S. 214)
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Machtausübung wiederum setzt freie Subjekte voraus, die sich in einem Feld
mehrerer Möglichkeiten des Handelns bewegen. Schließlich bedeute Regieren
im Sinne der Führung, dieses Möglichkeitsfeld zu strukturieren und
Handlungswahrscheinlichkeiten herzustellen:„For to conduct is at the same time to „lead“ others (...) and a way of
behaving within a more or less open field of possibilities. The exercise of
power consists in guiding the possibility of conduct and putting in order
the possible outcome.“ (Ebd., S. 220f)
An diese machttheoretischen Überlegungen lässt sich eine kulturtheoretische
Frage nach dem Subjekt anschließen. Andreas Reckwitz stellt das Subjekt vor
als einen „Katalog kultureller Formen (...), die definieren, was unter einem
vollwertigen Subjekt zu verstehen ist, und die sich in seiner körperlich‐
mentalen Struktur in Form von spezifischen Dispositionen, Kompetenzen,
Affektstrukturen und Deutungsmustern einprägen“ (Reckwitz 2006, S. 10). Die
spezifischen Formen dessen, was ein Subjekt ist, werden dabei in
Subjektkulturen definiert und realisiert, die sich als Praxis‐/Diskurskomplexe
beschreiben lassen. In Praktiken werden die Subjekte hervorgebracht, die
Subjektform ist in ihnen implizit enthalten, während sie in Diskursen bspw.über die Differenzmarkierung zu einem Anti‐Subjekt explizit formuliert wird.
Praktiken enthalten dabei immer ein kulturelles Moment, da sie von
Sinnmustern abhängig sind, die „nicht nur das Denken und Meinen, sondern
das praktische Wissen und damit die Verhaltensakte und Subjekte
strukturieren“ (Ebd., S. 38), womit sie das Möglichkeitsfeld des Denkens und
Handelns eingrenzen. Insbesondere die Technologien bzw. Praktiken des
Selbst, die ein heterogenes Feld von (Alltags‐)Techniken bilden, mit denen einVerhältnis zu sich selbst hergestellt wird, um bestimmte Kompetenzen
aufzubauen und zu stabilisieren, wirken dabei subjektivierend.
Subjektivierung ist dabei keineswegs (rein) repressiv zu verstehen: Innerhalb
einer Subjektkultur stellt sich das spezifische Subjektmodell als ein
begehrenswertes Ideal dar, mit dem sich affektiv identifiziert wird und das
handlungsmotivierend wirkt. Dabei geht das einzelne Subjekt niemals
vollständig in der idealen Subjektform auf: Es bleiben residuale Idiosynkrasien,
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die – so sie über einzelne Subjekte hinaus kollektive Muster bilden – zum
Motor für die Transformation von Subjektkulturen werden können.
3. Transformation der Subjektkultur
Diese Transformationsbewegungen versteht Reckwitz als der Moderne
eigentümlich:
„Die Moderne produziert keine eindeutige, homogene Subjektstruktur,
sie liefert vielmehr ein Feld der Auseinandersetzung um kulturelle
Differenzen bezüglich dessen, was das Subjekt ist und wie es sich
formen kann. Kennzeichnend für die Moderne ist gerade, dass sie demSubjekt keine definitive Form gibt, sondern diese sich als ein
Kontingenzproblem, eine offene Frage auftut, auf die unterschiedliche,
immer wieder neue und andere kulturelle Antworten geliefert und in
die Tat umgesetzt werden“ (Ebd., S. 14).
Vor dem Horizont der Moderne macht Reckwitz eine Abfolge dreier differenter
und miteinander konfligierender Subjektordnungen aus, die jedoch nicht als
einander abrupt ablösend, sondern als hybrid und aufeinander verweisendverstanden werden sollen: Die bürgerliche Moderne brachte das moralisch‐
souveräne, respektable Subjekt hervor, die organisierte Moderne das
extrovertierte Angestelltensubjekt, die Postmoderne schließlich die kreativ‐
konsumtorische Subjektivität, in der das neoliberale „unternehmerische
Selbst“ (Bröckling 2007) als eine Seite einer ästhetisch‐ökonomischen
Doublette enthalten sei.
Reckwitz empfiehlt zur Analyse der Transformationsbewegungen vor dem
Hintergrund der hegemonialen Subjektkulturen gerade die jeweils minoritären
kulturellen Gegenbewegungen in den Blick zu nehmen, die einen neuen
Menschen imaginieren und ihn in tentativen Praktiken in die Tat umzusetzen
versuchen (vgl. Reckwitz 2006, S. 17).
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3.1 Gegenkultur als Subjekttransformationsbewegung
Zwei ereignishafte Zuspitzungen macht Reckwitz in der Transformation der
Subjektkultur von der organisierten Moderne zur Postmoderne aus: Zunächst
das Jahr 1968, als die gegenkulturellen Bewegungen auf die Bühne traten, die
gegen eine als unauthentisch und konformistisch empfundene
Angestelltenkultur opponierten. Dann das Jahr 1990, das den Zusammenbruch
des Staatssozialismus als einer verschärften Variante der Prinzipien der
organisierten Moderne markierte.
Reckwitz begreift das Subjekt der Gegenkulturen als ein ästhetisches und
nachmodernes, das den Rationalismus der Moderne zu überwinden sucht, mit
der Sensibiliserung der sinnlichen Wahrnehmung und des körperlichen
Empfindens experimentiert und sich in kreativer Aktivität, efferveszenten
Kollektiverlebnissen und der Stilisierung des Ich ergeht. Die Gegenkulturen
liest Reckwitz als den Versuch, gegen die dominante Angestelltenkultur eine
Parallelwelt zu entfalten, die diskursiv ausgestaltet und innerhalb derer mittels
alternativer sozialer Praktiken und Technologien des Selbst diese neue
Subjektform erprobt und eingeübt wird.
In der Angestelltenkultur stellten die Gegenkulturen einen Mangel fest, der
daran hindere, in einem eigentlichen Sinne Subjekt zu werden:
„Die Herrschaft der technischen Rationalität, der „Technokratie“, die in
den Korporationen und ihrer Arbeitsorganisation verankert ist,
reduziert das Subjekt auf einen passiven Agenten vorgezeichneter
Funktionen; sie schränkt es auf rein kognitive Leistungen ein, führt zuseiner Entkörperlichung und Entsinnlichung: Körper und Sinne
erscheinen als bloße Instrumente effizienten Handelns“ (Reckwitz
2006, S. 456)
Die alle sozialen Felder bestimmende Normalisierung der Angestelltenkultur
ist dabei an einen durchaus legitimen Hedonismus des Konsums gekoppelt,
was sich als Bruchstelle erweist. Gegen ein zweckorientiertes und moralisches
Handeln machen die Gegenkulturen eine Wahrnehmung der Welt als
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„Projektionsfläche des Lustprinzips“ (Ebd., S. 462) stark. Das
Angestelltensubjekt von rationalistischer Wissenschaft, Technik, Bürokratie
und Massenkonsum wird als Anti‐Subjekt konstruiert.
In Praxiskomplexen wie der kreativen Arbeit in Kollektiven und neuenTechnologien des Selbst wie Drogentrips, Rock/Pop‐Musik und Meditation
trainiert sich das gegenkulturelle Subjekt mit dem Ziel einer ästhetischen
Subjektivation, der Intensivierung der Möglichkeiten der Perzeption und des
Erlebens seiner Selbst.
Das Live‐Konzert der Rockmusik erweist sich als die paradigmatische
Anordnung der neuen gegenkulturellen Praxis der Musikerfahrung: Die
Trennung zwischen Komposition, Interpret, Zuhörern, Musik und Raum wird
in einer „Totalperformance“ (Ebd., S. 477) aufgehoben, die Feedbacks
ermöglicht und produziert:
„Die Musik ist ein Produkt der aktiven – von allen Beteiligten so
empfundenen – „Mitarbeit“ der Zuhörer, der Rückkopplung vom
Publikum zum Künstler, sie existiert nur in der gemeinsamen
performance von Künstlern und Publikum, die erst zusammen die
dichte Atmosphäre von Expression und Kollektivität des Pop‐
Erlebnisses zu schaffen vermag“ (Ebd., S. 477).
Tanz bedeutet nun ein individuelles Eintauchen in Klang und Umgebung, das
doch – gemeinsam vollzogen – ein kollektives efferveszentes Erleben
verspricht. Das gemeinsame Erlebnis bewirkt eine Öffnung des Ichs, ein
Aufgehen in einem Kollektiv von Individuen, eine Auflösung der Grenzen
zwischen dem Selbst und den Anderen; nicht zuletzt eine Erfahrung desintensiven Seins im Moment. Auch die psychedelischen Drogentrips als
Technologien des Selbst zielen wie die zen‐buddhistischen
Meditationstechniken auf eine Subjektform, welche „(...) sich nicht in Kraft und
Gegenkraft aufspaltet, sich nicht selbst kontrollierend zuschaut, sondern
„reines Sein“, das heißt ein reiner, handlungsentlasteter, ununterbrochener
Strom des Erlebens im Jetzt ist“(Ebd., S. 481).
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Als Gegenpraxis zur entfremdeten, produktiven Arbeit wird die kreative
Aktivität als veralltäglichte Selbststilisierung und Kooperation in einer
Kreativitätsgemeinschaft in Stellung gebracht. Statt einer funktionalen
Arbeitsteilung wird die kreative Produktion in einem projektförmigen,differenzprämierenden Kollektiv angestrebt, das sich die Kunstszene und das
kollektive Experimentieren in Labors zum Vorbild nimmt. In den 70ern sollte
sich die Kreativitätsgemeinschaft in den Alternativbetrieben
institutionalisieren (vgl. dazu auch Neumann 2008). Der Umbruch der
Subjektstruktur, der in den 60ern mit der Erprobung neuer Praktiken begann,
die liminale Erfahrungen ermöglichten, wurde im Alternativmilieu der 70er auf
Dauer gestellt. Mit der Etablierung neuer Politiken der Subjektivität wie der
Frauen‐ und Schwulenbewegung und der Ausdifferenzierung der Gegenkultur
in eine Reihe von Jugendkulturen bereitet sich die allmähliche Durchsetzung
der neuen Subjektordnung in den 80ern vor.
Neue digitale (Kommunikations‐)Technologien, die nach Reckwitz zunPiaächst
als Anzeichen einer noch größeren technischen Effizienz und sozialer Kontrolle
innerhalb bürokratischer Hierarchien wahrgenommen wurden, sollten ab den
80ern neue Arbeitspraktiken befördern, die anschlussfähig waren sowohl fürdas Kreativideal der Gegenkultur, eine individualästhetische Konsumkultur als
auch den neoliberalen Managementdiskurs der Chicago School.
Neoliberaler und gegenkultureller Diskurs trafen sich dabei im gemeinsamen
Differenzschema Dynamik/Rigidität:
„Obwohl von differnter kultureller Herkunft wirken sie in der doppelten
Formierung eines Binärcodes zusammen, der sich vom Modell desSozio‐Technischen und der fixen Geordnetheit (...) in homologer Form
abgrenzt und dagegen eine dynamische „Beweglichkeit“ , anti‐
konformistische „Selbstorientierung“ und grenzüberschreitende
„Offenheit des Subjekts“ plaziert“ (Reckwitz 2006, S. 504)
Das Angestelltensubjekt und seine bürokratischen, hierarchischen Praktiken
der Arbeit erscheinen nun als Ausdruck einer innovationsfeindlichen „Logik
des Militärischen“ (Ebd., S. 508), der mit post‐bürokratischen Praktiken des
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selbstorganisierten, projektbasierten Teamwork begegnet wird, die in
Verbindung mit digitalen Technologien wie CAD und der Just‐in‐time‐
Produktion einer nun auch zunehmend individualästhetischen Konsumkultur
angemessener sind, die nach diversifizierten Angebotspaletten undbeschleunigter Produktentwicklung verlangt.
Das ästhetisch orientierte Subjekt der Gegenkultur mit seiner Disposition zur
kreativen Arbeit im Kollektiv macht sich im Rahmen einer zunehmend
postfordistischen Produktionsweise nützlich:
„Das postmoderne Arbeitssubjekt kombiniert in sich die ästhetische
Fähigkeit zur symbolischen Innovationsproduktion, welche jede
normative Selbst‐ und Fremdkontrolle aufzubrechen sucht, mit der
Selbstkontrolle der Arbeit an sich selbst und der Sensibilität für
Fremderwartungen, die der Markt an das Profil des Einzelnen stellt.“
(Ebd., S. 510)
Über das Bereitstellen eines materialen Rahmens für post‐bürokratische
Praktiken des Arbeitens hinaus begreift Reckwitz den Computer auch als eine
Technologie des Selbst. Die neuen medialen Praktiken förderten Dispositionendes experimentellen Entdeckens, der Wahl zwischen und Kombination von
vorgegebenen Optionen, des Ausprobierens und der Kreation durch
Neukombination:
„Das Computer‐Subjekt trainiert sich im Habitus eines user, in einer
Kombination von elektiven, experimentellen und ästhetisch‐
imaginativen Dispositionen, die den Kern der spätmodernen
Subjektform als Kompetenzen ausmachen“ (Ebd., S. 575)
Reckwitz situiert die Computerpraktiken an der Bruchstelle, an der die
Praktiken der organisierten Moderne in die Postmoderne umschlagen. Die
Anschlussfähigkeit der digitalen Technologien für das von den Gegenkulturen
geformte Kreativsubjekt sieht Reckwitz jedoch erst mit der Erfindung des
Graphic User Interface gegeben. Zuvor sei die Computertechnologie als ein
regelgeleiteter Prozess des Erteilens von Befehlen in Programmiersprachenmit der Angestelltenkultur identifiziert worden:
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„Im Rahmen der von den Gegenkulturen oder dem bürgerlichen
Humanismus gespeisten Kritiken kann diese Computer‐Technik
demgegenüber als avanciertestes Instrument eines anti‐individuellen
und anti‐kreativen rationalistischen Kontroll‐Systems interpretiertwerden“ (Ebd., S. 576)
So hätten sich erst mit der Erfindung des Graphic User Interface und seiner
Einführung in den Arbeitsalltag der Symbolberufe ab den 80er Jahren und der
Ausbreitung des Internet ab den 90er Jahren die „Dispositionen des Computer‐
Subjekts (...) von kognitivistisch‐technischen, kontrollierend‐effizienten
Elementen der Kultur der organisierten Moderne zu solchen, die den
kulturellen Prinzipien der organisierten Moderne widersprechen“(Ebd., S.576) transformiert.
Jedoch sei dies, wie Reckwitz in einem Nebensatz bemerkt, im gegenkulturell
inspirierten Teil der Computer‐Subkultur der 70er Jahre bereits vorbereitet
worden. Davon soll nun die Rede sein.
3.2 Kybernetische Beiträge zur Gegenkultur
Die Kybernetik als wissenschaftliches Programm wurde in den USA kurz nach
dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen der Macy‐Konferenzen ins Leben gerufen.
Hier wurde auf Grundlage der Verknüpfung des logischen Kalküls von Warren
McCulloch, der Informationstheorie Claude Shannons und den Feedback‐
Konzepten von Norbert Wiener, Julian Bigelow und Arturo Rosenblueth eine
Universalwissenschaft behauptet, die den Menschen aus dem Zentrum der
Wissenschaften verdängte und an seine Stelle die Information und den
Regelkreis setzte:
„Wo zuvor das Leben, die Sprache oder die Arbeit ihre Einheit im
Menschen fanden, treffen sie sich nun, über seine Grenzen hinweg, in
Regelkreisen von Information, Schaltalgebra und Feedback“ (vgl. Pias
2004a, S. 16).
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Die Konferenzen waren interdisziplinär angelegt: Neurophysiologie,
Psychiatrie, Anthropologie und Soziologie trafen auf Physik und
Computerwissenschaft. Der Mensch wurde in diesem Rahmen als besonderer
Fall der digital arbeitenden Informationsmaschine entworfen, der sich zur ihnumgebenden Welt als Teil eines zusammenhängenden Regelkreises
aufeinander wirkender Systeme und Subsysteme ins Verhältnis setzt (vgl.
Ebd.). Mensch und Maschine wurden als Teile eines sozio‐technischen Systems
imaginiert, in dem Kontrolle nicht durch Kommando ausgeübt wird, sondern
aus komplexen Interaktionen emergiert. Insbesondere auch Norbert Wiener
legte eine Vision einer kybernetischen Gesellschaft vor, die „(...) as a system
seeking self‐regulation through the processing of messages“ (Turner 2006, S.
22) verstanden werden sollte.
Rahmenbedingung für die Entwicklung grundlegender Konzepte der
Kybernetik, wie der „nicht‐deterministischen Teleologie“ (Pias 2004a, S. 3) des
Flugabwehrsystems von Norbert Wiener, war das Zusammenfinden von
universitärer Forschung und militärischer Entwicklung in neu geschaffenen
Forschungseinrichtungen wie dem MIT Radiation Lab. Zwar stellten sich die
entsprechenden neu entstehenden Institutionen als hierarchisch strukturierteOrganisationen dar, dennoch florierte innerhalb der Labore für Forschung und
Entwicklung eine Arbeitskultur, die Interdisziplinarität, Individualität und
nicht‐hierarchische Kollaboration förderte:
„(...) the pressures to produce new technologies to fight the war drove
formerly specialized scientists and engineers to cross professional
boundaries, to routinely mix work with pleasure, and to form new,
interdisciplinary networks within which to work and live“ (Turner
2006, S. 19)
In „From Counterculture to Cyberculture“ (2006) argumentiert Fred Turner,
dass sich die Wissenschaftskultur der militärischen und universitären
Forschung und Entwicklung, innerhalb derer die Protagonisten der Kybernetik
agierten, und Teile der nordamerikanischen Gegenkultur sich in der Bejahung
kollaborativen, intellektuellen Arbeitens, des utopischen Potentials neuerTechnologien und einer systemischen Weltanschauung trafen.
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Turner unterscheidet dabei in einen politischen Teil der Gegenkultur, die New
Left, der einen konfrontativen, außenorientierten politischen Aktivismus
betrieb, und einen nach innen, auf die Transformation des eigenen
Bewusstseins zielenden Teil, die New Communalists.Noch 1964 sollte der politische Teil der Gegenkultur die Welt der
Informationstechnik als Metapher für die soziale Maschine imaginieren, gegen
die er opponierte:
„(...) the corporate world, the university, the military, and the punch‐
card universe of information seemed to be mirrors of one another. (...)
In the military or the corporate world, or, for that matter, in the
university, people would have to learn to play assigned organizational
roles. These roles, many argued at the time, might reduce their
otherwise complex and creative natures to the two‐dimensional
dullness of an IBM card“ (Ebd., S. 12)
Doch schon in der Kunstszene Manhattans in den 50ern lassen sich frühe
Spuren des systemischen Denkens innerhalb der entstehenden Gegenkultur
ausmachen. Teils inspiriert vom Zen‐Buddhismus suchten John Cage alsMusiker, Robert Rauschenberg als bildender Künstler und Allan Kaprow als
früher Happening‐Künstler nach künstlerischen Prozessen der Kollaboration
zwischen Publikum, Material und Künstler:
„Like Cage´s music or Rauschenberg´s paintings, Kaprow and company´s
happenings brought to life a world of chance experience built out of
everyday materials. Within that world traditional artistic hierarchies
were leveled. The artist, the audience, the experience of theater, theexperience of everyday life – all were equivalent elements in a single
complex system of exchange“ (Ebd., S. 48)
Waren diese Experimente noch nicht direkt mit dem kybernetischen Denken in
Zusammenhang zu bringen, so lassen sie sich doch schon als Manifestation
einer ästhetischen Beschäftigung mit Problemen der Regulierung eines
Systems durch Feedback lesen (vgl. Shanken 2002). In den frühen 60ern
verband das Künstlerkollektiv USCO die Werke Norbert Wieners mit
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fernöstlicher Mystik und rief in Multimedia‐Installationen die Vorstellung von
Stammesritualen an, die elektrische Technologien, Drogen und mystische
Kräfte verbanden. Gerd Stern, einer der Gründer des Kollektivs, beschäftigte
sich intensiv mit den Werken Wieners:„In large part for this reason, light, electricity, and mystical „energy“
generally played a role in USCO’s work very much like the one
„information“ plays in Wienerian cybernetics: they became universal
forces that, functioning as the sources and content of all „systems“
(biological, social, and mechanical), made it possible for individual
people, groups, and artifacts to be seen as mirrors of one another“
(Turner 2006, S. 49f)
Stewart Brand, der das systemische Denken der Biologie als Student in
Stanford kennengelernt hatte und sowohl in der Kunstszene der Ostküste als
auch der entstehenden Hippie‐Kultur der Westküste zu Hause war,
organisierte 1966 in San Francisco das Trips‐Festival, das die psychedelische
Szene der Bay Area mit den experimentellen Künstlern der Ostküste in einem
großen multimedialen LSD‐Experiment zusammenbrachte, bei dem Hippie‐
Ikonen wie The Grateful Dead und Ken Kesey teilnahmen. Das Festival, auf
dessen Plakat inmitten eines psychedelisch anmutenden Wirbels ein
Oszilloskop abgebildet war, verband Multimedia‐Installationen mit Live‐
Feedback‐Mechanismen, Rock‐Musik und Zitaten indianischer Kultur; das
Publikum war eingeladen, aktiv zu partizipieren:
„The festival itself was a techno‐social hybrid. The Longshoreman’s Hall
surrounded dancers with the lights, images and music of electronicmedia. The bodies of many dancers were infused with LSD. To the
extent that they felt a sense of communion with one another, the
sensation was brought about by their integration into a single techno‐
biological system within which (...) the individual human being was
simply another „pattern‐complex““ (Ebd., S. 67)
Das Festival war eines der Gründungsereignisse einer Strömung der
Gegenkultur, die weniger an politischem Aktivismus interessiert war, als
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vielmehr an einer Transformation des eigenen Bewusstseins und der eigenen
Lebensweise, und die dafür neue soziale Praktiken erforschte. Die Kybernetik
bot sich dabei als ideologische Alternative zur konfrontativen Logik der Linken
an: Wenn das Bewusstsein die Quelle des Wandels ist, dann müssteInformation eine große Rolle dabei spielen. Und schließlich konnten die
zirkulären Informationskreisläufe des systemischen Denkens als natürliche
Beweise für die Richtigkeit kollektiver Lebensweisen gelesen werden (vgl.
Ebd., S. 38).
Zwischen 1965 und 1972 wurden in den USA zehntausende Kommunen
gegründet, in denen in den frühen 70ern bis zu 750.000 Menschen lebten (vgl.
Ebd., S. 32). Zwar waren die New Communalists eine back‐to‐the‐land‐Bewegung, verstanden sich jedoch auch als Pioniere, die eine neue soziale
Ordung auf Grundlage eines neuen Bewusstseins in die Tat umsetzten, und
wandten sich dafür auch Technologien und Gedankengut aus einem
kybernetischen Kontext zu. Die Kommune Drop City, 1965 gegründet, bestand
aus einem Cluster von Geodesic Domes nach dem Vorbild Buckminster Fullers,
der technokratische Visionen mit dem Bild des Comprehensive Designer, der
die Figuren des Künstlers und des Wissenschaftlers in sich vereinigte, zuverbinden verstand (vgl. Ebd., S. 57). Die Domes erinnerten mit ihrer
effizienten Verteilung der Oberflächenspannung an eine Welt in Homöostase
und modellierten die verteilten kollaborativen Machtarrangements der
Kommunebewegung in einer architektonischen Antithese zu den
hierarchischen Bürokratien der Angestelltenkultur (vgl. Ebd., S. 94). Inmitten
der Domes nutzten die Kommunarden von Drop City Techniken wie LSD und
Rock‐Musik, die sie darin trainierten, sich als miteinander verbunden und vonunsichtbaren Energien durchströmt zu begreifen (vgl. Ebd., S. 75).
Medium des Austauschs und der Vernetzung der Kommunebewegung war der
von Stewart Brand 1968 gegründete Whole Earth Catalog, der in seiner letzten
Ausgabe 1971 eine Auflage von über einer Million Exemplare erreichen sollte.
Beiträge aus den unterschiedlichsten sozialen Praxisfeldern wie der
Wissenschaft, den Kunstszenen New Yorks und San Franciscos, der
psychedelischen Szene der Bay Area und der über das ganze Land verteilten
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4. Vernetzte Subjekte und Regieren im Netzwerk
1985 wurde mit dem Whole Earth `Lectronic Link, kurz WELL, ein
Nachfolgemedium des Whole Earth Catalog ins Leben gerufen: Ein
elektronisches Bulletin Board System vernetzter Computer, dessenManagementprinzipien die gegenkulturellen Ideale von Kollektivität und
kybernetischer Selbstorganisation in sich aufnahmen. Der WELL wurde als
selbstregierendes, sich selbst designendes Experiment konzipiert, das in einer
Feedbackschleife zwischen Systemaufbau und Systemnutzung evolvieren
sollte. Das Netzwerk sollte seinen Nutzern die Möglichkeit geben, sich auf
informationstechnischer Grundlage nicht‐hierarchisch selbst zu regieren: Ein
Medium, in dem sich die Nutzer gemeinsam individuell verwirklichen undausdrücken können (vgl. Ebd., 143ff). Im WELL verschwammen die Grenzen
zwischen privater und professioneller Sphäre in einer Atmosphäre
nichthierarchischer, selbstorganisierter, projektförmiger Kooperation; er
diente als Modell zur Erprobung der postbürokratischen Arbeitspraktiken, die
– wie weiter oben beschrieben – typisch für die postmoderne Subjektivität
werden sollten.
Schließlich hat diese gegenkulturell interpretierte Form des Netzwerks, die aus
einer kybernetisch informierten Kritik hierarchisch‐bürokratischer
Anordnungen entstand, auch eine Dimension des Regierens: Formale Rigidität
wird durch kommunikative Dichte ersetzt, die den Regierten die
Selbstsynchronisation an in einem zirkulären Prozess immer wieder neu
entstehende Normen ermöglicht und nahe legt (vgl. Kaufmann 2004). Das
Regieren im Netzwerk fordert damit ein Subjekt, in dem entsprechende
Dispositionen zur Selbstführung angelegt sind und das in den beschriebenen
Praxis‐/Diskurskomplexen der Gegenkultur schon vorbereitet wurde, bevor an
elektronische Netzwerke im heutigen Sinne zu denken war. Im Rahmen der
Virtual Community des WELL fand die Kybernetik als politische Technologie
dann ihre gegenkultuell gewendete materielle Anwendung auf
informationstechnischer Grundlage.
Zwischen dem Konzept der gouvernementalen Selbstregierung und dernetzwerkförmigen Selbstregulierung spannt sich eine Kontinuität auf, die sich
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über eine Betrachtung der Herkünfte eines politisch gelesenen Begriffs der
Kybernetik erklären lässt. Joseph Vogl (2004) weist darauf hin, dass bereits in
den von Foucault untersuchten kameralistischen und merkantilistischen
Staatskonzeptionen das Regieren auf der Grundlage immer wieder neu zuerhebenden empirischen Wissens verstanden wurde. Für Leibniz schließlich
existierte der Staat in der ständigen Erneuerung seines Wissens über sich
selbst als ein Unternehmen, das „(...) nicht allein durch Befehl und Gehorsam
und nicht durch die Einheit der Einzelwillen zusammenhält, sondern als ein
Körper, der sich seiner Aktionen und Vermögen systematisch und fortlaufend
vergewissert“ (Vogl 2004, S. 70). Das Problem des Wissens ist so bereits
angesprochen, das hier allerdings erst in eine Richtung fließt. Doch ist im so
verstandenen Staate die Regierung schon eine produktive Aufgabe, der es nicht
um Verhinderung, sondern um Sorge im Sinne der in Kap. 2 angesprochenen
Pastoralmacht zu tun ist. Um 1800 verbreitete sich dann u.a. mit der
Malthusianischen Krisentheorie die Unterscheidung zwischen linearen und
zirkulären Kausalitäten, die über das Organismusmodell in einen Begriff des
Sozialen eindringt und die Grundlage für einen politischen Begriff der
Kybernetik legt. 1843 dann beschreibt André‐Marie Ampère die Cybernétique
als ein politisches Wissen und eine Gesamtheit von Regierungsaufgaben: Die
Steuerungskunst beruhe auf einer umfangreichen Erhebung von Wissen, auf
dessen Grundlage dann mit einer Gemeinwohlorientierung indirekt regiert
werden kann (vgl. Ebd., S. 67f).
Im krisengeschüttelten Chile Allendes sollte die kybernetische
Steuerungsvision kurzzeitig in die Tat umgesetzt werden. Der amerikanische
Managementberater Stafford Beer sollte die Prinzipien kybernetischerRegelkreise für eine ganze Volkswirtschaft implementieren, wozu die „(...)
gesamte Wirtschaft des Landes (auf eine) verschachtelte und rekursive
Struktur viabler Systeme und Subsysteme“ (Pias 2004) umgestellt werden
sollte: Eine fraktale Struktur, die über Staat, Wirtschaft, Unternehmen und
Individuum als ineinander verschachteltes System gedacht wurde. Nahezu in
Echtzeit liefen die Wirtschaftsdaten in einem Großrechner zusammen, der
selbsttätig für die Homöostase des Systems sorgen sollte. Politischen
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Entscheidungsträgern kam die Funktion zu, in einem zentralen
Steuerungsraum die Kennzahlen in Echtzeit abrufen zu können und die
Algorithmen, mit denen der Computer die Wirtschaftskreisläufe regulierte, zu
kalibrieren (vgl. Ebd.).In der gegenkulturell gewendeten Kybernetik schließlich soll die Information
über die Zustände des Systems und seiner Teile im Sinne eines „Post‐
Panopticons“ (Bauman 2000) nicht nur für Entscheidungsträger an zentraler
Stelle, sondern für jeden Einzelnen jederzeit sichtbar sein: Die Steuerung
wandert aus den Händen technokratischer Eliten über Technologien und
Praktiken kommunikativer Verdichtung in das Subjekt selbst hinein. Das
Netzwerk erlaubt ein Regieren in Echtzeit, weil sein Subjekt sich nun in einemunabschließbaren Prozess der Systembeobachtung und Selbstoptimierung
freiwillig selbst synchronisiert:
„Obedience to standards (a pliable and exquisitely adjustable obedience
to eminently flexible standards, let me add) tends to be achieved
nowadays through enticement and seduction rather than by coercion ‐
and it appears in the disguise of the exercise of free will, rather than
revealing itself as an external force” (Bauman 2000, S. 86)
Bauman beschreibt eine verflüssigte Macht, die der zentralen panoptischen
Anordnungen zur Disziplinierung dank der elektronischen
Kommunikationsnetzwerke nicht mehr bedarf: Nicht die Wenigen beobachten
die Vielen, sondern die Vielen die Wenigen – und sich gegenseitig, was nicht
minder disziplinierend wirkt (vgl. Ebd., S. 23f).
Die von den Gegenkulturen getriebene Subjekttransformationsbewegung von
der organisierten Moderne zur Postmoderne schreibt sich somit durchaus im
oben angesprochenen Sinne Tiqquns in eine Geschichte gouvernementaler
Herrschaft ein: Die Rebellion gegen die zentralen Machtarrangements von
Hierarchie und Bürokratie brachte eine Subjektform hervor, die in einem Akt
antistaatlichen Aufbegehrens die Regierung noch tiefer in sich aufnahm.
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