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Nur das Rotlicht fehlt noch Das Eintagesfestival „Nürnberg Pop“ ist längst angesagter Szenetreff Von Nikolas Pelke Nürnberg (DK) Eine Straße, ein Abend, ein Musikfestival. Die „Nürnberg Pop“ hat sich zu einem angesagten Szenetreff für Freunde der Musik- und Pop- kultur entwickelt. An einem Tag scheppert es rund um die klei- ne Klaragasse in der Altstadt. Neben dem letzten Schrei der alternativen Hitlisten treten musikalische Eigengewächse auf den 21 Bühnen der „Nürn- berg Pop“ am 29. Oktober auf. Das Konzept der „Nürnberg Pop“ ist genauso einfach wie verführerisch. Verständlich, dass der maximal komprimier- te Partyspaß beim popkulturell anspruchsvollen Hipsterpubli- kum ankommt wie Pommes- Schranke nachts um vier. Die drei Macher nutzen den Hype rund um das Eintagesfestival für einen konsequenten Expansi- onskurs. Dabei wird selbst die Hochkultur nicht verschont. Die Klaragasse ist dunkel, eng und kurz. Genau der richtige Resonanzkörper also für die popkulturelle Avantgarde. Ein- mal im Jahr scheppert es noch mehr als sonst. Dann geht sprichwörtlich der Punk ab in allen Ecken in der „Klara“. Mit dem Kosewort hätscheln die Nürnberger die nachtgraue Partymeile zwischen Mauthalle und Hallplatz. In der „Klara“ fällt man von einem Klubs in den nächsten. Die an einen as- phaltierten Waldweg erinnern- de Gasse ist der Spielplatz für den jährlichen Parforceritt durch die Popkultur. Drei Freunde haben sich das Reeperbahnfestival in Ham- burg vor fünf Jahren zum Vor- bild genommen und mit ihrer Version des Konzertreigens ei- ne der derzeit wohl angesag- testen Szene-Veranstaltungen in Nordbayern geschaffen. Das Tagesfestival beginnt in diesem Jahr nicht erst am Abend. Be- reits ab 14 Uhr startet „die Pop“ in zwei Plattenläden mit Gra- tiskonzerten. Die Electro-In- die-Band „Kytes“ aus München spielt eine Akustikshow im Vi- nylshop „Monoton“. Vor dem Kultimbiss „Wurstdurst“ steigt ab 18 Uhr ein kleines Openair. Ab 19 Uhr geht es dann rund in den 21 Spielstätten. Mit dem Kauf eines Tickets (20 Euro im Vorverkauf) bekommt man „nur“ Zugang zum Festivalge- lände rund um die Klaragasse. Darauf weisen Thomas Eckert, David Lohdi und Thomas Wurm mantraartig hin. Denn eine Ga- rantie für ein bestimmtes Kon- zert ist mit dem Ticket zum In- door-Festival nicht verbunden. Das gehe aus Kapazitätsgrün- den nicht, sagen die drei Ver- anstalter Die „Nürnberg Pop“ startet heuer zum ersten Mal bereits acht Tage vorher mit einer Kul- turwoche. Mit dem Festival-Ti- cket können Besucher ab dem 24. Oktober eine Woche ver- günstigt Ausstellungen und Museen, Theater und Konzert- hallen besuchen. „Popkultur ist nicht nur Musik. Popkultur kann auch Kino oder Museum sein“, erklärt David Lohdi die crosskulturelle Idee dahinter. Kern der „Pop“ bleiben die vie- len verschiedenen Bands, die sich an einem Tag die „Klara“ teilen. Die Hälfte der musika- lischen Gäste kommen aus Nürnberg. Mit der Formation „Robocop Kraus“ haben die Veranstalter ein echtes fränki- sches Schwergewicht am Pop- himmel an Land gezogen. Als Geheimtipp werden die „Par- cels“ aus Australien gehandelt, die ab 22 Uhr auf der Bühne des „Club Stereo“ stehen. Aus der Hauptstadt reist die nationale Vorzeigeband „Von Wegen Lisbeth“ an. Die musi- kalische Vielfalt spiegelt sich in der Auswahl der Spielorte wie- der. So können die Besucher in diesem Jahr auf der „Nürnberg Pop“ moderne Blasmusik aus Bayern (Impala Ray) im Jeans- laden hören oder den Reimen von Rapper „Juse Ju“ im ehe- maligen Tabledance-Schuppen „Rosi Schulz“ lauschen. Apro- pos: Gerne würden die Macher – ganz nach dem Vorbild der Veranstaltung auf der sündigen Meile in Hamburg – mehr Rot- licht ins Festival bringen. Noch ziert sich offensichtlich das äl- teste Gewerbe, ihre schumm- rigen Kneipen mit den Künst- lern zu teilen. Derweil liebäu- geln die Veranstalter bereits damit, das „Nürnberg Pop“- Festival“ im nächsten Jahr auf zwei Tage auszuweiten. Tickets und Details zum umfang- reichen Programm gibt es im In- ternet unter nuernberg-pop.de. Vorbild Reeperbahnfestival: Thomas Eckert, David Lohdi, Thomas Wurm (von links) haben in der Klarastraße in Nürnberg ihre eigene Ver- sion einer Klubmeile geschaffen. In diesem Jahr steigt die Party am 29. Oktober. Außerdem gibt es zuvor eine Kulturwoche. Foto: Pelke KULTUR DK Nr. 243, Donnerstag, 20. Oktober 2016 18 Irritierende Ansichten Die Münchner Pinakothek der Moderne zeigt mit „Distant Realities“ künstlerische Fotografie im digitalen Zeitalter Von Annette Krauß München (DK) Fotografien sorgen dafür, dass die Welt im- mer kleiner wird. Millionen von Bildern werden täglich in sozi- alen Netzwerken hochgeladen, quer über den Erdball kommu- nizieren Menschen per Foto miteinander. Zugleich machen die digitalen Angebote uns zu Voyeuren – oft ohne dass Täter und Opfer sich ihrer Rolle voll bewusst sind. „Ist Fotografie heute überhaupt noch das, was der Betrachter zu kennen meint und zu sehen glaubt?“ – so die Frage von Inka Graeve Ingel- mann, Leiterin der Sammlung „Fotografie und Neue Medien“ an der Pinakothek der Moderne. Antworten darauf sucht ihre Ausstellung „Fotografie heute – Distant Realities“ (ferne Wirk- lichkeiten). Gezeigt werden nicht einfach Fotos, Bild für Bild an die Wand gehängt, sondern Arbeiten, die Fotografien digital verarbeiten, verfremden, kombinieren. Zum Teil sind es vorgefundene Auf- nahmen, etwa aus „Google Streetview“, die der Belgier Mishka Henner im Internet sucht. Sein Thema sind Un-Orte wie Straßenkreuzungen, Bus- haltestellen oder Straßenbö- schungen, wo in Italien oder Spanien Prostituierte auf ihre Kunden warten. Sie wurden zu- fällig aufgenommen, als Google diese Landstriche dokumen- tierte und ins Netz stellte. Ein Augenblick im Leben dieser Frauen wurde „eingefroren“, weltweit publiziert, und durch den Künstler werden sie zu Do- kumenten des Kapitalismus und seiner sozialen Ränder. Gesellschaftlichen Wandel hält eine wandgroße Fotoarbeit der israelischen Künstlerin Ilit Azoulay fest, indem sie die Ver- wandlung eines Sanatoriums in ein Luxushotel als Collage zeigt. Vergangenheit und Gegenwart, sozialer Treffpunkt und Luxus- sanierung prallen aufeinander, Spiegelungen und Zierrat in den dargestellten Räumen entpup- pen sich bei genauem Hinsehen als Anspielungen auf die Ge- fangenschaft israelischer Sol- daten. Um vorgebliche Tatorte geht es dem Ukrainer Mykola Ridnyi, der in seinen Aufnah- men von Straßenszenen Men- schen und Orte nachträglich rot markiert, als handelte es sich um Fotos von Überwachungs- kameras, die potenzielle Atten- täter, Opfer und Schauplätze von Verbrechen dokumentie- ren. Die weltweite Verunsiche- rung durch Terror ist ebenfalls ein Thema in den Fotos der Amerikanerin Erin Shirreff, die analoge Aufnahmen des New Yorker UNO-Gebäudes zu Vi- deo-Sequenzen zusammen- setzt. Je nach Belichtung wird die Szene verfremdet, Tages- licht und Wetter scheinen sich zu ändern, zum Schluss leuch- tet das Gebäude auf, als sei es Ziel eines Anschlages. Techni- sche Mittel der Verfremdung wählt Inga Kerber aus Leipzig. Sie scannt ihre Fotos, kopiert sie, benutzt unterschiedliches Papier und stellt damit Un- schärfen her, sodass der Prozess des Reproduzierens Bestandteil des Bildes selbst wird. Insgesamt verdeutlichen die fünf Positionen, dass der Be- trachter dieser fotografischen Arbeiten in den seltensten Fäl- len sofort begreift, was er sieht, obwohl vordergründig das Ab- gebildete gut erkennbar ist. Eine spannende Ausstellung, die als Reihe fortgesetzt werden soll. Bis 29. Januar, Pinakothek der Mo- derne, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr. Absurde Orte, zufällige Aufnahmen: Der belgische Künstler Mishka Henner arbeitet mit Bildern, die er im Netz findet, wie hier Aufnah- men eines Online-Kartendienstes. Foto: Mishka Henner Suchbild: Die israelische Künstlerin Ilit Azoulay zeigt in ihrer Panoramaansicht – zwei auf mehr als neun Meter – den Umbau eines in den 1960er-Jahren erbauten Sanatoriums in ein Luxushotel. Beim genauen Hin- schauen werden Verweise auf die Gefangenschaft israelischer Soldaten sichtbar. Foto: Ilit Azoulay Wortgewaltig Die Autorin Elfriede Jelinek wird heute 70 Von Matthias Röder Wien (dpa) Die höchste lite- rarische Auszeichnung hatte sie zutiefst verschreckt. „Ich ver- spüre eigentlich mehr Ver- zweiflung als Freude“, sagte El- friede Jelinek 2004 zur Verlei- hung des Literaturnobelpreises. Ihre Reaktion war der Rückzug aus der Öffentlichkeit – kaum Interviews, keine Talkshows, kein Platz auf Podi- en. Auch zum heu- tigen 70. Geburtstag der scheuen öster- reichischen Autorin, die in ihrer Heimat lange umstritten und für viele gera- dezu eine Hassfigur war, ist das nicht anders. Filme, TV- Sendungen, ein Symposium mit dem Titel „Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin“ dre- hen sich um das Werk – aber ohne Auftritt der Frau, die als studierte Organistin die Musik mindestens so liebt wie das Schreiben. „Sie ist abwesend, aber prä- sent“, sagt der Leiter des Rowohlt-Theaterverlags, Nils Tabert. Gemeint ist Jelineks Er- folg gerade als Dramatikerin. Vielfach wurde ein Text von ihr zum „Stück des Jahres“ gekürt. Aber bei Wei- tem nicht alle Theatergänger sind einverstan- den mit dem Zynismus der Au- torin. Lange hatte die Feminis- tin vor allem mit dem Muff und Mief in Österreich, dem Kapi- talismus mit seinen verheeren- den Folgen auf die menschli- chen Beziehungen und mit der Kälte der Gesellschaft der Al- penrepublik abgerechnet. Sie verabscheut Sport und insbe- sondere Skifahren – was sie in Österreich nicht populärer macht. Mit ihren Themen habe Jelinek geradezu „seismografi- sche Fähigkeiten“ bewiesen, meint Pia Janke, Leiterin der an der Universität Wien angesie- delten Forschungsplattform Elfriede Jelinek. Bereits vor der Wirtschaftskrise habe die einst bekennende Kommunistin „Die Kontrakte des Kaufmanns“ und 2013 – lange vor dem Höhe- punkt der Flüchtlingswelle „Die Schutzbefohlenen“ ge- schrieben. Die Bücher und Texte sind nichts für Schnell-Leser. Im Zentrum steht immer die Spra- che, die Sprachbe- fragung, die Sprach- arbeit, die Sprach- kritik, nie die Hand- lung. „Es geht nicht um die äußere Handlung, es geht nicht um das Ge- schichtenerzählen“, sagt Janke. In lan- gen, oft über Seiten hinweg absatzlosen Textflächen flicht sie verschiedene sprachliche Ebe- nen ineinander. Die deutschsprachige Ge- samtauflage liegt dem Verlag zufolge bei 1,5 Millionen Ex- emplaren, sie hat 50 Theater- stücke, 800 Essays, rund ein Dutzend Romane, dazu Dreh- bücher, Übersetzungen, Lyrik sowie Libretti geschrieben. Bestseller sind der Anti-Porno „Lust“ und der von Oscar- Preisträger Mi- chael Haneke verfilmte Ro- man „Die Kla- vierspielerin“. Und Jelinek, seit 1974 mit einem Informati- ker und Filmkomponisten aus Bayern in einer Art „Einzelgän- ger-Ehe“ verheiratet, hat längst das Internet zu ihrer persönli- chen Bühne erkoren. Ein roter Faden sind die aus Elfriede Jelineks Sicht „allge- genwärtigen männlichen Herr- schafts- und Gewaltverhältnis- se“ und die große Politik. Sie kann aber auch Leichteres. Im Januar kommt in der Modestadt Düsseldorf ihr neuestes Stück „Das Licht im Kasten“ im Schauspielhaus auf die Bühne. Jelinek ist auch Modefetischis- tin. Foto: Stauss/dpa „Mit ihren Themen hat sie geradezu seismografische Fähigkeiten bewiesen.“ Pia Janke, Universität Wien Funes-Museum muss schließen Paris (KNA) Es ist das Aus für das Louis-de-Funes-Museum in dessen einstigem Schloss an der Loire: Die wohl wichtigste Er- innerungsstätte an den fran- zösischen Komiker (1914–1983) schließt zum Monatsende ihre Pforten. Grund sind demnach fehlende Geldmittel, um die bislang nur angemietete Oran- gerie des Schlosses zu kaufen. Ein Schweizer Immobilienin- vestor hatte den Mietvertrag nicht verlängert. Die Spenden- suche im Internet hatte nur ei- nen Bruchteil der für die Kauf- option nötige Summe er- bracht. Mit den Einnahmen seiner ersten Erfolgsfilme hatte Louis de Funes 1967 den Stammsitz der Familie seiner Ehefrau, ei- ner geborenen de Maupassant, in Le Cellier zurückgekauft. Als Schlossbesitzer engagierte er sich für den Naturschutz, züch- tete Rosen und integrierte sich voll in die kleine Dorfgemein- schaft. In seinem Garten erlitt er im Januar 1983 seinen drit- ten, tödlichen Herzinfarkt. Auf dem Dorffriedhof ist er begra- ben. Goethe-Institut im Exil Berlin (dpa) „Goethe-Institut Damaskus im Exil“ – unter die- sem Motto startet in Berlin ein zweiwöchiges Veranstaltungs- programm. Rund 100 syrische und deutsche Künstler setzen sich in 50 Veranstaltungen mit den Themen Heimat, Flucht und Identität auseinander. In einem leer stehenden Laden- lokal in der Nähe des Alexan- derplatzes sind Ausstellungen, Konzerte, Workshops, Lesun- gen, Filme und Diskussionen geplant. „Mit dem symboli- schen Ort setzt das Goethe-Ins- titut ein Zeichen für eine Zu- kunft nach dem Krieg und nimmt einzelne Fäden seiner Arbeit in Syrien wieder auf“, er- klärte Johannes Ebert als Ge- neralsekretär der weltweit täti- gen Kulturinstitution. 2012 hat- te das Institut in Damaskus we- gen des Krieges im Land schlie- ßen müssen.

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Page 1: Suchbild: Foto: Ilit Azoulay Irritierende Ansichten · Suchbild: Die israelische Künstlerin Ilit Azoulay zeigt in ihrer Panoramaansicht –zwei auf mehr als neun Meter –den Umbau

Nur das Rotlicht fehlt nochDas Eintagesfestival „Nürnberg Pop“ ist längst angesagter Szenetreff

Von Nikolas Pelke

Nürnberg (DK) Eine Straße,ein Abend, ein Musikfestival.Die „Nürnberg Pop“ hat sich zueinemangesagten Szenetreff fürFreunde der Musik- und Pop-kultur entwickelt. An einem Tagscheppert es rund um die klei-ne Klaragasse in der Altstadt.Neben dem letzten Schrei deralternativen Hitlisten tretenmusikalische Eigengewächseauf den 21 Bühnen der „Nürn-berg Pop“ am 29. Oktober auf.Das Konzept der „Nürnberg

Pop“ ist genauso einfach wieverführerisch. Verständlich,dass der maximal komprimier-te Partyspaß beim popkulturellanspruchsvollen Hipsterpubli-kum ankommt wie Pommes-Schranke nachts um vier. Diedrei Macher nutzen den Hyperundumdas Eintagesfestival füreinen konsequenten Expansi-onskurs. Dabei wird selbst dieHochkultur nicht verschont.Die Klaragasse ist dunkel, eng

und kurz. Genau der richtigeResonanzkörper also für diepopkulturelle Avantgarde. Ein-mal im Jahr scheppert es nochmehr als sonst. Dann gehtsprichwörtlich der Punk ab inallen Ecken in der „Klara“. Mitdem Kosewort hätscheln dieNürnberger die nachtgrauePartymeile zwischen Mauthalleund Hallplatz. In der „Klara“fällt man von einem Klubs inden nächsten. Die an einen as-phaltierten Waldweg erinnern-de Gasse ist der Spielplatz fürden jährlichen Parforcerittdurch die Popkultur.Drei Freunde haben sich das

Reeperbahnfestival in Ham-burg vor fünf Jahren zum Vor-bild genommen und mit ihrerVersion des Konzertreigens ei-ne der derzeit wohl angesag-testen Szene-Veranstaltungenin Nordbayern geschaffen. DasTagesfestival beginnt in diesemJahr nicht erst am Abend. Be-reits ab 14 Uhr startet „die Pop“in zwei Plattenläden mit Gra-tiskonzerten. Die Electro-In-die-Band „Kytes“ aus Münchenspielt eine Akustikshow im Vi-nylshop „Monoton“. Vor dem

Kultimbiss „Wurstdurst“ steigtab 18 Uhr ein kleines Openair.Ab 19 Uhr geht es dann rund inden 21 Spielstätten. Mit demKauf eines Tickets (20 Euro imVorverkauf) bekommt man„nur“ Zugang zum Festivalge-lände rund um die Klaragasse.Darauf weisen Thomas Eckert,David Lohdi undThomasWurmmantraartig hin. Denn eine Ga-rantie für ein bestimmtes Kon-zert ist mit dem Ticket zum In-door-Festival nicht verbunden.Das gehe aus Kapazitätsgrün-den nicht, sagen die drei Ver-anstalterDie „Nürnberg Pop“ startet

heuer zum ersten Mal bereitsacht Tage vorher mit einer Kul-turwoche. Mit dem Festival-Ti-cket können Besucher ab dem24. Oktober eine Woche ver-günstigt Ausstellungen undMuseen, Theater und Konzert-hallen besuchen. „Popkultur istnicht nur Musik. Popkulturkann auch Kino oder Museumsein“, erklärt David Lohdi diecrosskulturelle Idee dahinter.Kern der „Pop“ bleiben die vie-len verschiedenen Bands, diesich an einem Tag die „Klara“teilen. Die Hälfte der musika-lischen Gäste kommen ausNürnberg. Mit der Formation„Robocop Kraus“ haben die

Veranstalter ein echtes fränki-sches Schwergewicht am Pop-himmel an Land gezogen. AlsGeheimtipp werden die „Par-cels“ aus Australien gehandelt,die ab 22 Uhr auf der Bühnedes „Club Stereo“ stehen.Aus der Hauptstadt reist die

nationale Vorzeigeband „VonWegen Lisbeth“ an. Die musi-kalische Vielfalt spiegelt sich inder Auswahl der Spielorte wie-der. So können die Besucher indiesem Jahr auf der „NürnbergPop“ moderne Blasmusik ausBayern (Impala Ray) im Jeans-laden hören oder den Reimenvon Rapper „Juse Ju“ im ehe-maligen Tabledance-Schuppen„Rosi Schulz“ lauschen. Apro-pos: Gerne würden die Macher– ganz nach dem Vorbild derVeranstaltung auf der sündigenMeile in Hamburg – mehr Rot-licht ins Festival bringen. Nochziert sich offensichtlich das äl-teste Gewerbe, ihre schumm-rigen Kneipen mit den Künst-lern zu teilen. Derweil liebäu-geln die Veranstalter bereitsdamit, das „Nürnberg Pop“-Festival“ im nächsten Jahr aufzwei Tage auszuweiten.

Tickets und Details zum umfang-reichen Programm gibt es im In-ternet unter nuernberg-pop.de.

Vorbild Reeperbahnfestival: Thomas Eckert, David Lohdi, ThomasWurm (von links) haben in der Klarastraße in Nürnberg ihre eigene Ver-sion einer Klubmeile geschaffen. In diesem Jahr steigt die Party am29. Oktober. Außerdem gibt es zuvor eine Kulturwoche. Foto: Pelke

KULTUR DK Nr. 243, Donnerstag, 20. Oktober 2016 18

Irritierende AnsichtenDie Münchner Pinakothek der Moderne zeigt mit „Distant Realities“ künstlerische Fotografie im digitalen Zeitalter

Von Annette Krauß

München (DK) Fotografiensorgen dafür, dass die Welt im-mer kleiner wird. Millionen vonBildern werden täglich in sozi-alen Netzwerken hochgeladen,quer über den Erdball kommu-nizieren Menschen per Fotomiteinander. Zugleich machendie digitalen Angebote uns zuVoyeuren – oft ohne dass Täterund Opfer sich ihrer Rolle vollbewusst sind. „Ist Fotografieheute überhaupt noch das, wasder Betrachter zu kennenmeintund zu sehen glaubt?“ – so dieFrage von Inka Graeve Ingel-mann, Leiterin der Sammlung„Fotografie und Neue Medien“ander PinakothekderModerne.Antworten darauf sucht ihreAusstellung „Fotografie heute –Distant Realities“ (ferne Wirk-lichkeiten).Gezeigt werden nicht einfach

Fotos, Bild für Bild an die Wand

gehängt, sondern Arbeiten, dieFotografien digital verarbeiten,verfremden, kombinieren. ZumTeil sind es vorgefundene Auf-nahmen, etwa aus „GoogleStreetview“, die der BelgierMishka Henner im Internetsucht. Sein Thema sindUn-Ortewie Straßenkreuzungen, Bus-haltestellen oder Straßenbö-schungen, wo in Italien oderSpanien Prostituierte auf ihreKunden warten. Sie wurden zu-fällig aufgenommen, als Googlediese Landstriche dokumen-tierte und ins Netz stellte. EinAugenblick im Leben dieserFrauen wurde „eingefroren“,weltweit publiziert, und durchden Künstler werden sie zu Do-kumenten des Kapitalismusund seiner sozialenRänder.Gesellschaftlichen Wandel

hält eine wandgroße Fotoarbeitder israelischen Künstlerin IlitAzoulay fest, indem sie die Ver-wandlung eines Sanatoriums in

ein Luxushotel als Collage zeigt.Vergangenheit und Gegenwart,sozialer Treffpunkt und Luxus-sanierung prallen aufeinander,SpiegelungenundZierrat in dendargestellten Räumen entpup-pen sich bei genauemHinsehenals Anspielungen auf die Ge-fangenschaft israelischer Sol-daten. Um vorgebliche Tatortegeht es dem Ukrainer MykolaRidnyi, der in seinen Aufnah-men von Straßenszenen Men-schen und Orte nachträglich rotmarkiert, als handelte es sichum Fotos von Überwachungs-kameras, die potenzielle Atten-täter, Opfer und Schauplätzevon Verbrechen dokumentie-ren.Die weltweite Verunsiche-

rung durch Terror ist ebenfallsein Thema in den Fotos derAmerikanerin Erin Shirreff, dieanaloge Aufnahmen des NewYorker UNO-Gebäudes zu Vi-deo-Sequenzen zusammen-

setzt. Je nach Belichtung wirddie Szene verfremdet, Tages-licht und Wetter scheinen sichzu ändern, zum Schluss leuch-tet das Gebäude auf, als sei esZiel eines Anschlages. Techni-sche Mittel der Verfremdungwählt Inga Kerber aus Leipzig.Sie scannt ihre Fotos, kopiertsie, benutzt unterschiedlichesPapier und stellt damit Un-schärfen her, sodass der Prozessdes Reproduzierens BestandteildesBildes selbstwird.Insgesamt verdeutlichen die

fünf Positionen, dass der Be-trachter dieser fotografischenArbeiten in den seltensten Fäl-len sofort begreift, was er sieht,obwohl vordergründig das Ab-gebildete gut erkennbar ist. Einespannende Ausstellung, die alsReihe fortgesetztwerden soll.

Bis 29. Januar, Pinakothek der Mo-derne, täglich außermontags von 10bis 18Uhr, donnerstags bis 20Uhr.

Absurde Orte, zufällige Aufnahmen: Der belgische Künstler MishkaHenner arbeitet mit Bildern, die er im Netz findet, wie hier Aufnah-men eines Online-Kartendienstes. Foto: Mishka Henner

Suchbild: Die israelische Künstlerin Ilit Azoulay zeigt in ihrer Panoramaansicht – zwei auf mehr als neun Meter – den Umbau eines in den 1960er-Jahren erbauten Sanatoriums in ein Luxushotel. Beim genauen Hin-schauen werden Verweise auf die Gefangenschaft israelischer Soldaten sichtbar. Foto: Ilit Azoulay

WortgewaltigDie Autorin Elfriede Jelinek wird heute 70

Von Matthias Röder

Wien (dpa) Die höchste lite-rarische Auszeichnung hatte siezutiefst verschreckt. „Ich ver-spüre eigentlich mehr Ver-zweiflung als Freude“, sagte El-friede Jelinek 2004 zur Verlei-hung des Literaturnobelpreises.Ihre Reaktion war der Rückzugaus der Öffentlichkeit – kaumInterviews, keine Talkshows,kein Platz auf Podi-en. Auch zum heu-tigen 70. Geburtstagder scheuen öster-reichischen Autorin,die in ihrer Heimatlange umstrittenund für viele gera-dezu eine Hassfigurwar, ist das nichtanders. Filme, TV-Sendungen, einSymposium mitdem Titel „Nestbeschmutzerinund Nobelpreisträgerin“ dre-hen sich um das Werk – aberohne Auftritt der Frau, die alsstudierte Organistin die Musikmindestens so liebt wie dasSchreiben.„Sie ist abwesend, aber prä-

sent“, sagt der Leiter desRowohlt-Theaterverlags, NilsTabert. Gemeint ist Jelineks Er-folg gerade alsDramatikerin.Vielfach wurdeeinText von ihrzum„Stück desJahres“ gekürt.Aber bei Wei-tem nicht alleTheatergänger sind einverstan-den mit dem Zynismus der Au-torin. Lange hatte die Feminis-tin vor allem mit dem Muff undMief in Österreich, dem Kapi-talismus mit seinen verheeren-den Folgen auf die menschli-chen Beziehungen und mit derKälte der Gesellschaft der Al-penrepublik abgerechnet. Sieverabscheut Sport und insbe-sondere Skifahren – was sie inÖsterreich nicht populärermacht. Mit ihren Themen habeJelinek geradezu „seismografi-sche Fähigkeiten“ bewiesen,meint Pia Janke, Leiterin der ander Universität Wien angesie-

delten ForschungsplattformElfriede Jelinek. Bereits vor derWirtschaftskrise habe die einstbekennende Kommunistin „DieKontrakte des Kaufmanns“ und2013 – lange vor dem Höhe-punkt der Flüchtlingswelle –„Die Schutzbefohlenen“ ge-schrieben.Die Bücher und Texte sind

nichts für Schnell-Leser. ImZentrum steht immer die Spra-

che, die Sprachbe-fragung, die Sprach-arbeit, die Sprach-kritik, nie die Hand-lung. „Es geht nichtum die äußereHandlung, es gehtnicht um das Ge-schichtenerzählen“,sagt Janke. In lan-gen, oft über Seitenhinweg absatzlosenTextflächen flicht sie

verschiedene sprachliche Ebe-nen ineinander.Die deutschsprachige Ge-

samtauflage liegt dem Verlagzufolge bei 1,5 Millionen Ex-emplaren, sie hat 50 Theater-stücke, 800 Essays, rund einDutzend Romane, dazu Dreh-bücher, Übersetzungen, Lyriksowie Libretti geschrieben.Bestseller sind der Anti-Porno

„Lust“ und dervon Oscar-Preisträger Mi-chael Hanekeverfilmte Ro-man „Die Kla-vierspielerin“.Und Jelinek,

seit 1974 mit einem Informati-ker und Filmkomponisten ausBayern in einer Art „Einzelgän-ger-Ehe“ verheiratet, hat längstdas Internet zu ihrer persönli-chen Bühne erkoren.Ein roter Faden sind die aus

Elfriede Jelineks Sicht „allge-genwärtigen männlichen Herr-schafts- und Gewaltverhältnis-se“ und die große Politik. Siekann aber auch Leichteres. ImJanuar kommt in derModestadtDüsseldorf ihr neuestes Stück„Das Licht im Kasten“ imSchauspielhaus auf die Bühne.Jelinek ist auch Modefetischis-tin. Foto: Stauss/dpa

„Mit ihren Themen hat siegeradezu seismografischeFähigkeiten bewiesen.“Pia Janke, Universität Wien

Funes-Museummuss schließenParis (KNA) Es ist das Aus für

das Louis-de-Funes-Museum indessen einstigem Schloss an derLoire: Die wohl wichtigste Er-innerungsstätte an den fran-zösischen Komiker (1914–1983)schließt zum Monatsende ihrePforten. Grund sind demnachfehlende Geldmittel, um diebislang nur angemietete Oran-gerie des Schlosses zu kaufen.Ein Schweizer Immobilienin-vestor hatte den Mietvertragnicht verlängert. Die Spenden-suche im Internet hatte nur ei-nen Bruchteil der für die Kauf-option nötige Summe er-bracht.Mit den Einnahmen seiner

ersten Erfolgsfilme hatte Louisde Funes 1967 den Stammsitzder Familie seiner Ehefrau, ei-ner geborenen de Maupassant,in Le Cellier zurückgekauft. AlsSchlossbesitzer engagierte ersich für den Naturschutz, züch-tete Rosen und integrierte sichvoll in die kleine Dorfgemein-schaft. In seinem Garten erlitter im Januar 1983 seinen drit-ten, tödlichen Herzinfarkt. Aufdem Dorffriedhof ist er begra-ben.

Goethe-Institutim Exil

Berlin (dpa) „Goethe-InstitutDamaskus im Exil“ – unter die-sem Motto startet in Berlin einzweiwöchiges Veranstaltungs-programm. Rund 100 syrischeund deutsche Künstler setzensich in 50 Veranstaltungen mitden Themen Heimat, Fluchtund Identität auseinander. Ineinem leer stehenden Laden-lokal in der Nähe des Alexan-derplatzes sind Ausstellungen,Konzerte, Workshops, Lesun-gen, Filme und Diskussionengeplant. „Mit dem symboli-schen Ort setzt das Goethe-Ins-titut ein Zeichen für eine Zu-kunft nach dem Krieg undnimmt einzelne Fäden seinerArbeit in Syrien wieder auf“, er-klärte Johannes Ebert als Ge-neralsekretär der weltweit täti-gen Kulturinstitution. 2012 hat-te das Institut in Damaskus we-gen des Krieges im Land schlie-ßen müssen.