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Technische Universität Berlin
Fakultät I | Institut für Sprache und Kommunikation Fachgebiet Allgemeine Linguistik
Sekretariat H42, Straße des 17. Juni 135, 10623 Berlin
Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts (M.A.)
zum Abschluss des Masterstudiengangs Sprache und Kommunikation
Erstgutachterin: Prof. Dr. Dr. h.c. Monika Schwarz-Friesel
Zweitgutachter: Dr. Simon Meier
Jedem das Seine
Von der Gerechtigkeitsformel zum Synonym von Massenmord?
Eine korpuslinguistische Zeitungsanalyse einer
nationalsozialistisch belasteten Phrase
-
eingereicht im Juni 2017
vorgelegt von Julian Gerlach (Matrikelnummer: 361761)
Türkenstraße 21 13349 Berlin
E-Mail: [email protected]
Abstract
Diese Arbeit setzt sich kritisch mit der Verwendung nationalsozialistisch belasteter
Sprache im öffentlichen Diskurs auseinander. Grundlage hierfür ist die jahrtausendealte
Gerechtigkeitsformel suum cuique, zu Deutsch Jedem das Seine, die von den
Nationalsozialisten als zynische Inschrift am Innentor des Konzentrationslagers
Buchenwald angebracht wurde und bis heute für Leidtragende ein Sinnbild des
Nationalsozialismus darstellt.
Da die Phrase jedoch ebenfalls für Gerechtigkeit, Individualität oder Gleichheit stehen
kann und nicht zu den eindeutigen sprachlichen Pejorisierungsstrategien wie Zigeuner
oder Neger gehört, wird sie in Printmedien hochfrequent gebraucht. Weiterhin finden
sich zahlreiche Verwendungen der Phrase in der Werbebranche, um beispielsweise für
einen hohen Grad an Individualität zu werben. Es herrscht somit kein öffentlicher
Konsens darüber, wie mit diesem belasteten Ausdruck umgegangen werden soll. Die
Arbeit macht es sich zur Aufgabe, diese Ambivalenz genauer zu untersuchen und nach
weiteren Gründen zu forschen, warum eine nationalsozialistisch belastete Phrase
unbedarft weiterverwendet wird.
Inhalt
1 Einleitung ................................................................................................................... 1
1.1 Thesen ................................................................................................................. 2
1.2 Vorgehen ............................................................................................................ 3
2 Forschungsstand ........................................................................................................ 4
2.1 Forschungsstand zur NS-Sprache ....................................................................... 4
2.2 Forschungsstand zu Jedem das Seine ................................................................. 6
2.3 Forschungsstand zur Kenntnis des Nationalsozialismus .................................... 8
3 Phraseologische Merkmale von Jedem das Seine.................................................... 10
4 Geschichte der Phrasen ........................................................................................... 13
4.1 Suum cuique in der Antike ................................................................................ 13
4.2 Suum cuique in der Neuzeit .............................................................................. 15
4.3 Jedem das Seine im deutschsprachigen Raum ................................................. 17
4.3.1 Jedem das Seine im Nationalsozialismus .................................................. 17
4.3.2 Jedem das Seine von 1945-1998 ............................................................... 18
5 Korpusanalyse .......................................................................................................... 21
5.1 Korpus ............................................................................................................... 21
5.1.1 Methodik ................................................................................................... 22
5.1.2 Zeitungen ................................................................................................... 24
5.1.3 Aufklärungsrate ......................................................................................... 25
5.1.4 Aufklärungsrate nach Zeitungen ............................................................... 26
5.1.5 Aufklärungsrate nach Jahren ..................................................................... 28
5.1.5.1 Das Jahr 1998 ..................................................................................... 29
5.1.5.2 Das Jahr 2001 ..................................................................................... 31
5.1.5.3 Das Jahr 2009 ..................................................................................... 33
5.1.5.4 Die Jahre 2014 und 2015 ................................................................... 34
5.1.5.5 Die kontrastiven Jahre ....................................................................... 35
5.2 Thematische Domänen ..................................................................................... 36
5.2.1 Aufklärungsrate nach thematischen Domänen ........................................ 37
5.2.2 Funktionen von Phraseologismen ............................................................. 38
5.2.3 Die Domäne Sport ..................................................................................... 39
5.2.4 Die Domäne Werbung/Werbungsannoncen ............................................. 44
5.2.5 Die Domäne Politik .................................................................................... 49
5.2.6 Die Domäne Wirtschaft ............................................................................. 55
5.2.7 Die Domäne Bildung .................................................................................. 58
5.2.8 Ausgewählte Belege der restlichen Domänen .......................................... 62
5.2.9 Phraseologische Aspekte ........................................................................... 65
5.2.9.1 Definition als Geflügeltes Wort .......................................................... 65
5.2.9.2 Extension ............................................................................................ 67
5.2.10 Zusammenfassung der Verwendung in Domänen .................................... 69
5.2.10.1 Muster zur Bewältigung einer kommunikativen Aufgabe ................. 70
5.3 Metasprachliche Belege ................................................................................... 72
5.3.1 Die Domäne Buchenwald .......................................................................... 72
5.3.2 Sprachkritische Ansätze nach Verfehlungen ............................................. 74
5.3.3 Die Domäne Sprachkritik ........................................................................... 76
5.3.4 Metasprachliche Deutung der Phrase ....................................................... 82
6 Diskussion ................................................................................................................ 85
6.1 Zusammenfassung ............................................................................................ 88
6.2 Ausblick ............................................................................................................. 89
7 Literaturverzeichnis ................................................................................................. 91
8 Abbildungsverzeichnis ............................................................................................. 98
9 Tabellenverzeichnis ................................................................................................ 100
10 Selbständigkeitserklärung .................................................................................. 101
1
1 Einleitung
„Alle Leute haben eben so ihre eigenen Ansichten und Vorlieben. Auch vergleichbare
Wendungen tragen dem Rechnung. So kann man auch sagen: "jeder, wie es ihm beliebt"
oder "jedem das Seine" - ein sehr altes ethisches Prinzip und geflügeltes Wort.“1
Jedem das Seine. Eine Phrase, die Toleranz predigt. Die es ermöglicht, jedem das zu
gewähren was ihm zusteht, das was er persönlich für richtig hält, das Seine eben. Dem
im obigen Zitat beschriebenen ethischen Prinzip wohnt jedoch noch ein weiterer
Kontext inne, der Teil dieser Arbeit ist. Im Zuge des Baus des Konzentrationslagers
Buchenwald wurde die Phrase am Innentor des Lagers angebracht, um die Insassen zu
verhöhnen und ihnen tagtäglich vor Augen zu führen, dass sie die an ihnen vollzogenen
Gräueltaten verdienen und die Nationalsozialisten legitim handeln. In der Phrase
spiegelt sich somit ein immenser Kontrast wider. Sie ist eine wünschenswerte
Gerechtigkeitsformel, nach welcher eine Gesellschaft leben sollte und zugleich ein
Synonym für das Leid von Millionen von Menschen und Massenmord.
Die beschriebene Ambivalenz ist Grundlage dieser Arbeit. Auf Basis von 1242 Belegen
der Phrase von deutschen und ausländischen Zeitungen soll erörtert werden, wie dieser
Bedeutungskontrast zustande kommt. Es soll dabei analog beantwortet werden, ob eine
unbedarfte Weiterverwendung der Phrase ohne Bezugnahme auf den
nationalsozialistischen Kontext gebilligt wird und ob sich hier womöglich Unterschiede
hinsichtlich Zeitungen, Ländern und thematischen Domänen finden lassen. Potenzielle
Veränderungen über Zeit können ebenfalls betrachtet werden, da die Belege von 1956
bis 2015 reichen. Die Arbeit bietet somit sowohl eine statistisch-quantitative Analyse
der Phrase als auch eine qualitative, die die Untersuchung von 82 Einzelbelegen
beinhaltet. Dass die Thematik außerdem ein hohes Maß an Kontroversität beinhaltet
und sich über mehrere Jahrtausende erstreckt, wird auch von KLENNER (2002:328)
erkannt. „Denn Jedem das Seine! ist ins Gerede gekommen. Sehr sogar, und mit
politischer Brisanz. Ein Schlagwort also, das Schlagzeilen macht. Auch das ist nicht das
Gängige, zumal dieses Schlagwort uralt und der Skandal brandneu ist.“ Die
1 Beleg aus der LEIPZIGER VOLKSZEITUNG vom 27.10.2011 zur Interpretation des Sprichworts Dem einen sin Uhl, dem anderen sin Nachtigall.
2
Untersuchung der Phrase ist somit Bindeglied zwischen Linguistik, Gesellschaft, Politik
und Geschichte. Im Zentrum steht jedoch die Frage, wie eine unbedarfte
Weiterverwendung bei solch einer belasteten Phrase zustande kommen kann.
1.1 Thesen
Da Jedem das Seine trotz prominenter nationalsozialistischer Vergangenheit auch als ein
„durch keinen spezifischen geschichtlichen Kontext determinierte[n] Ausdruck“
(BRUNNSEN 2010:300) weiterverwendet wird, ist davon auszugehen, dass
1. Jedem das Seine nicht dem typischen NS-Vokabular entspricht. Deswegen ist der
nationalsozialistische Hintergrund größtenteils unbekannt
2. es außerhalb des Kontexts des Nationalsozialismus und der Gerechtigkeitsformel
weitere vielfältige Kontexte gibt, da die Phrase hochfrequent verwendet wird
und durch nichts „determiniert“ ist
3. die Phrase darauf basierend, dass sie nicht nur als Geflügeltes Wort verwendet
wird2, auch linguistisch betrachtet eine Mischform darstellt, welche dann auch
unterschiedliche Funktionen besitzt
4. sich die beschriebenen unterschiedlichen Funktionen durch eine vage Semantik
realisieren lassen, da das Seine unterspezifiziert ist
5. sich durch die Vagheit ein sprachliches Modell ergibt, welches universell auf
vielfältige Situationen eingesetzt werden kann
Während sich die beschriebenen Hypothesen auf Verwendungen der Phrase beziehen,
in denen sie semantisch wie funktional in den Kotext eingebunden ist, so ist die
Untersuchung der Belege, die sich metasprachlich auf die Phrase beziehen ebenfalls
interessant. Folgende Hypothesen werden hierfür angenommen:
1. Metasprachliche Belege beziehen sich zu einem Großteil auf den Kontext des
Nationalsozialismus
2. Es gibt keinen öffentlichen Konsens, wie mit der nationalsozialistisch belasteten
Phrase umgegangen werden soll
2 Da der Ausdruck zum Teil durch keinen geschichtlichen Kontext determiniert ist, muss es Verwendungsweisen geben, die sich nicht auf eine Definition als Geflügeltes Wort beziehen.
3
3. Daher verfehlen sprachkritische Ansätze ihre Wirkung, da sie keine fundierte
Empfehlung abgeben können
4. Semantisch zeigt sich eine hohe Diskrepanz zwischen funktional eingebetteten
und metasprachlichen Belegen
1.2 Vorgehen
Zahlreiche Hypothesen zur Phrase Jedem das Seine können nicht nur mit der Analyse
des Korpus eingehender untersucht werden. Gleichzeitig ist eine ausführliche Einleitung
zum Forschungsstand und Geschichte der Phrase unabdingbar, um nachfolgend eine
geeignete Korpusanalyse durchführen zu können.
Daher widmet sich Kapitel 2 der Arbeit den verschiedenen Forschungsständen zur NS-
Sprache im Allgemeinen, zu Jedem das Seine sowie zur Kenntnis des Nationalsozialismus.
In diesen Kapiteln soll die Aufarbeitung des lexikalischen NS-Erbes betrachtet werden,
da einer adäquaten gesellschaftlichen Aufklärung sowohl eine Kenntnis der Phrase, eine
sprachliche Sensibilisierung sowie ein bewusster Umgang mit belasteter Sprache
einhergehen würde. Kapitel 3 befasst sich mit den phraseologischen Merkmalen von
Jedem das Seine. Ziel dieses Kapitels ist es, eine zutreffende terminologische Einordnung
der Phrase zu finden und die Hypothese der Mischform zu untersuchen. Kapitel 4
widmet sich der Entstehung, der Verwendung und dem Missbrauch der Phrase und
analysiert die knapp 2500 Jahre andauernde Geschichte einer Formel, die bis heute
unterschiedlich gedeutet wird. Dieses Kapitel ist Grundlage für die darauffolgende
Korpusanalyse und soll außerdem aufzeigen, dass die in den Hypothesen proklamierte
vielfältige Semantik der Phrase bereits in der Vergangenheit höchst prominent war.
Der Hauptteil dieser Arbeit, Kapitel 5, gliedert sich in drei große Abschnitte. Kapitel 5.1
befasst sich größtenteils mit der statistisch-quantitativen Analyse des Korpus und
betrachtet die Hypothese des fehlenden Konsenses zur Weiterverwendung von Jedem
das Seine. Als Quantifizierung des fehlenden Konsenses wird eine Aufklärungsrate
bestimmt, die die Belege danach gliedert, ob der nationalsozialistische Hintergrund
erwähnt wird oder nicht. Dieses Kapitel ist auch Grundlage für die Untersuchung der
sprachkritischen Ansätze (Kapitel 5.3.2 und 5.3.3).
4
Kapitel 5.2 ist nach thematischen Domänen gegliedert und versucht anhand dieser
Domänen verschiedene pragmatische Funktionen der Phrase herauszuarbeiten, um die
Hypothese der Polyfunktionalität zu untersuchen. In Kapitel 5.3 werden darauffolgend
die metasprachlichen Belege betrachtet, um den nationalsozialistischen Kontext
genauer zu untersuchen. Schließlich erfolgt eine Einordnung der gewonnenen
Erkenntnisse in Kapitel 6.
2 Forschungsstand
2.1 Forschungsstand zur NS-Sprache
Das Jahr 1945 markiert das „Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ (STÖTZEL
1995¹:19) und somit eine „politisch wie auch sprachhistorisch bedeutsame Zäsur.“
Obgleich „die NS-Organisations- und Verwaltungswörter und der totalitäre
Radikalwortschatz nach dem Ende der NS-Diktatur größtenteils rasch außer Gebrauch
gekommen sind“ (VON POLENZ 1999:550), so gibt es doch manche Worte, die „sich so tief
eingefressen [haben], daß sie ein dauernder Besitz der deutschen Sprache zu werden
scheinen“ (KLEMPERER 2010:24). Einen wichtigen Grundstein zur Erforschung der NS-
Sprache im Osten Deutschlands legte der oben zitierte Victor Klemperer, der sich schon
1947 mit der nationalsozialistischen Sprache in seinem Buch Lingua Tertii Imperii3 –
Notizbuch eines Philologen auseinandersetzte.4 Die von ihm veröffentlichten Beiträge
im Buch stammen größtenteils aus der Zeit des Nationalsozialismus, in welchen er in
seinem Tagebuch festhält, dass die NS-Sprache den Menschen „in millionenfachen
Wiederholungen“ aufgezwungen wurde und die dadurch „mechanisch und unbewußt
übernommen wurde“ (KLEMPERER 2010:25). Obwohl (STÖTZEL 1995¹:19) eine Zäsur für
diese Zeit definiert, so hält SCHLOSSER (1995:208) doch fest, dass es eine sprachliche
Stunde Null nach 1945 nicht gab.5 Für die DDR stellt BOCHMANN (1991:86) fest, dass es
nach Klemperers Werk keine nennenswerten linguistischen Beiträge mehr zur NS-
Sprache gab und der Nationalsozialismus mit dem Faschismus gleichgesetzt wurde.
3 KLEMPERER (2010:19) wählt bewusst die Abkürzung LTI, um als „parodierende Spielerei“ auf die abkürzenden Bezeichnungen der Nazi-Zeit (BDM, HJ, DAF) zu referieren. STÖTZEL (1995²:356) beschreibt den Titel als „Geheimtitel“. 4 Zur Darstellung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Phrase Jedem das Seine siehe Kap. 4.3.2. 5 Zu diesem Ergebnis kommt ebenfalls FALKENBERG (1989:6).
5
Eine sprachkritische Auseinandersetzung mit der NS-Sprache in Westdeutschland wurde
insbesondere in der Zeitschrift Die Wandlung vorangetrieben. Zwischen 1945 und 1948
verfassten Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind verschiedene Artikel,
die sich mit dem rassistischen Radikalwortschatz auseinandersetzen. 1957 wurden diese
Artikel zusammengefasst und als Buch unter dem Namen Aus dem Wörterbuch des
Unmenschen veröffentlicht (STERNBERGER/STORZ/SÜSKIND 1968).6
Dass die beschriebenen Bücher ihre breite gesellschaftliche Wirkung bis 1960 jedoch
verfehlten, „lag vor allem an der in der Nachkriegszeit und den 1950er Jahren in ganz
Deutschland vorherrschenden Verdrängungsmentalität, die nach der Kapitulation aus
dem weit verbreiteten Bedürfnis nach Entlastung von der jüngsten Vergangenheit
entstanden war“ (BRUNNSEN 2010:302), sowie im „komplizierten Charakter des Mediums
Sprache“ (STÖTZEL 1995²:357).
Eine dezidierte „Weiterverwendungsdiskussion“ (STÖTZEL 1995²:356) setzte in den
1960er Jahren in Westdeutschland insbesondere durch Cornelia Berings 1964
erschienenes Buch „Vom ‘Abstammungsnachweis’ zum ‘Zuchtwart’: Vokabular des
Nationalsozialismus“ ein, welches konträr zu vorangegangenen Büchern „philologisch
abgesichert und quellenmäßig breiter angelegt“ (STÖTZEL 1995²:362) war und über 500
Wendungen der NS-Sprache darlegt (SCHMITZ-BERING 1998).7 Die Studentenbewegungen
der 1960er Jahre führten außerdem zu einer „Änderungen des öffentlichen Bewußtseins
und zur erhöhten Sensibilität gegenüber sprachlichen Benennungen“ (WENGELER
1995:384). Trotz dessen wurde die Sprache des Nationalsozialismus zur Zeit des Ost-
West-Konflikts instrumentalisiert, um damit jeweilige Kontrahenten zu diskreditieren.
Diese gängige Diffamierungsmethode manifestiert sich in sogenannten Nazi-
Vergleichen (EITZ/STÖTZEL 2007:489), welche trotz hoher Dichte an wissenschaftlichen
Arbeiten (u.a. PÉRENNEC (2008), SCHWARZ-FRIESEL (2013:197ff.), SCHWARZ-FRIESEL (2009)
SCHWARZ-FRIESEL/REINHARZ (2013:231ff./347ff.), STÖTZEL (1989), WETTE (2003)) auch heute
noch ein prominentes sprachliches Mittel sind, um zu denunzieren.8
6 1968 wurde das Buch nochmals um zehn Artikel erweitert und erneut veröffentlicht. VON POLENZ (1995:316) definiert die Beiträge jedoch als „undifferenzierte Breite allgemeiner Kulturkritik“, die ihre Wirkung verfehlten. 7 Dieses Buch wurde unter dem Namen Vokabular des Nationalsozialismus erweitert (SCHMITZ-BERING 1998). 8 Dass der NS-Vergleich ebenfalls durch Jedem das Seine realisiert werden kann, zeigt Kap. 4.3.2.
6
Nach 1968 finden sich zahlreiche Werke, die sich kritisch mit der NS-Sprache
auseinandersetzten und diese auch kategorisierten. Gerade BRACKMANN/BIRKENHAUER
(1988) oder PÄTZOLD ET. AL (2002) weisen gegenüber den wesentlich prominenteren
Werken, Polenz‘ Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart
(1999), Thorsten Eitz‘ und Georg Stötzels Wörterbuch der Vergangenheitsbewältigung
(2007), STÖTZEL/WENGELER (1995) oder SCHMITZ-BERING (1998) einen entscheidenden
Vorteil für die gesellschaftliche Reflexion einer missbrauchten Phrase auf. Sie
thematisieren die Verwendung von Jedem das Seine im Nationalsozialismus, während
die anderen Arbeiten bedeutsamere Beispiele der Sprache des Nationalsozialismus
analysieren und Jedem das Seine außen vor lassen. Diese Feststellung kann als erster
Grund dafür gesehen werden, dass die gesellschaftliche Kenntnis zur Phrase
unbefriedigend ist und sie vielfältig eingesetzt wird. Weiterhin ist festzustellen, dass die
Aufarbeitung des lexikalischen NS-Erbes nach Ende des Nationalsozialismus bis in die
1970er Jahre größtenteils verdrängt wurde. Beide Erkenntnisse sind wichtige Faktoren
für die folgende Untersuchung der Phrase. In Kapitel 2.2 soll dargelegt werden, was
Jedem das Seine von anderen sprachlichen Zeugnissen der NS-Zeit unterscheidet.
2.2 Forschungsstand zu Jedem das Seine
Völlig konträr zu dieser gewachsenen Sensibilität mit der Sprache des
Nationalsozialismus entwickelte sich die Verwendung der Redewendung Jedem das
Seine. Sie kann konträr zu vielen anderen typischen Wendungen nicht pauschal „jenem
rassistischen Radikalwortschatz [zugeordnet werden], dessen Inventar — wie zum
Beispiel ‘Ariernachweis’9, ‘Blut und Boden’, ‘erblich Minderwertige’, ‘judenfrei’,
‘Untermensch’ oder ‘Zuchtwart’ — eindeutig und praktisch ausschließlich in der
nationalsozialistischen Ideologie verankert ist“ (BRUNNSEN 2010:309).10 Weiterhin gehört
die Phrase nicht zu den typischen Pejorisierungsstrategien der NS-Zeit, zu welchen
beispielsweise „vernegern“ oder „rassefremd“ zählen (BRUNNSEN: 2010:309). Die Phrase
dient ebenfalls nicht vorrangig der sprachlichen Diskriminierung, wie es beispielsweise
Stereotype oder negative Assoziationen tun (SCHWARZ-FRIESEL 2013:339ff.). Sie ist also
9 Die Anführungszeichen wurden ohne Abänderung aus den Originalzitaten entnommen. Daher sind die in den Zitaten verwendeten Anführungszeichen nicht konsistent. 10 Zur Geschichte der Phrase siehe Kapitel 4.
7
nicht per se diffamierend aufzufassen. Jedem das Seine gehört viel eher einer vierten
Kategorie an, zu welcher u.a. auch das Lexem Euthanasie (vgl. FELDER 2009:13) zählen
könnte. Hiermit sind Lexeme oder Wendungen gemeint, die für das
nationalsozialistische System umgedeutet und missbraucht11 wurden und daher mit
dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht werden. Dass sich diese Verbindung
jedoch nicht zwangsläufig aufrechterhalten lässt, zeigt ein Beleg von
STERNBERGER/STORZ/SÜSKIND (1968:8). Sie schreiben: „Das Wort >>Lager<<, so harmlos es
einmal war und wieder werden mag, können wir doch auf Lebzeiten nicht mehr hören,
ohne an Auschwitz zu denken.“ Gleichzeitig existiert ein elementarer linguistischer
Unterscheid zwischen einem Lexem wie Euthanasie und der universell einsetzbaren
Phrase Jedem das Seine.12
Dass Jedem das Seine – auch konträr zu Arbeit macht frei – nicht zu den prominenten
Kategorien gehört, kann als ein weiterer Grund dafür angesehen werden, warum die
Phrase nicht zwangsläufig mit der NS-Zeit in Verbindung gebracht wird. Daher gleicht
die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Phrase eher einem Desiderat. Es
existieren jedoch einige Artikel, die diesem Umstand entgegenzuwirken versuchen.
Hierzu zählt u.a. HEYL (1998), der es sich aufgrund mehrmaliger Verfehlungen von
Werbetreibenden zur Aufgabe machte, über die Geschichte der Phrase aufzuklären oder
auch BRUNNSEN (2010:290), der festhält, dass es „bis heute [...] den Deutschen nicht
überzeugend gelungen [ist], einen verbindlichen gesellschaftlichen Konsens über den
angemessenen Umgang mit nationalsozialistisch belasteten Wörtern und Wendungen“
herzustellen. Gerade dieses Werk, wie auch der Aufsatz von KLENNER (2002) sind für die
vorliegende Arbeit von großer Bedeutung. Im nachfolgenden Kapitel sollen zwei weitere
Ursachen dargelegt werden, die die „ahistorisch profane“ (BRUNNSEN 2010:290)
Verwendung der Phrase begründen könnten.
11 Es existieren wissenschaftliche Überlegungen, die nicht zwangsläufig von einem Missbrauch der Phrase sprechen. So stellt beispielsweise Klenner fest, dass „die Meinungen, ob im Falle des KZ Buchenwald ein Gebrauch oder ein Mißbrauch des Schlagwortes vorliegt“ weit auseinandergehen (KLENNER 2002:331). 12 Zu linguistischen Merkmalen der Phrase siehe Kapitel 3.
8
2.3 Forschungsstand zur Kenntnis des Nationalsozialismus
Will man die gesellschaftliche Sensibilität im Umgang mit NS-Sprache fördern, so ist es
von großer Bedeutung, dass eine prinzipielle Kenntnis des Nationalsozialismus
vorherrscht. Dass dies jedoch nicht zwangsläufig der Fall ist, zeigen verschiedene
Studien. So konnte Forsa im Auftrag des Magazins STERN (2012) herausfinden, dass
beispielsweise 21 Prozent der 18- bis 30-Jährigen den Begriff Auschwitz nicht einordnen
konnten.13 Wie AHLHEIM/HEGER (2002) in einer Studie mit 2200 Studierenden der
Universität Essen herausfinden konnten, verfügten 54 Prozent der Befragten über
lückenhaftes Faktenwissen zum Nationalsozialismus und Holocaust. 17 Prozent
verfügten gar über ein geringes Faktenwissen.14 Eine Studie des Forschungsverbandes
SED-Staat der Freien Universität Berlin von 2012 konnte außerdem festhalten, dass nur
etwa die Hälfte der befragten Schülerinnen und Schüler den Nationalsozialismus einer
Diktatur zuordnen würde.15 Immerhin 25 Prozent einer Forsa-Umfrage von 2007 sind
der Meinung, dass der Nationalsozialismus auch gute Seiten gehabt hat.16 Bei den
Hauptschulabsolventen waren es sogar 44 Prozent. Die dargelegten Fakten machen eine
Kenntnis der geschichtlichen Zäsur der Phrase Jedem das Seine sehr unwahrscheinlich.
Aus diesen Gegebenheiten folgt jedoch eine viel weitreichendere Konsequenz, die einen
dramatischen Einfluss auf die gesellschaftliche Aufklärung bezüglich des
Nationalsozialismus und respektive auch Jedem das Seine hat.
Betrachtet man die weiterführenden Ergebnisse der Studie von AHLHEIM/HEGER (2002),
so wird deutlich, dass 47 Prozent der Studierenden mit geringem Faktenwissen einen
„Schlussstrich“ hinter die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands ziehen
wollen (vgl. Abbildung 1). Selbst bei Studierenden mit gutem Faktenwissen sind es
immer noch 29 Prozent. Bei der beschriebenen Forsa-Umfrage für den STERN (2012)
waren es gar 40 Prozent, die sich für einen Schlussstrich aussprachen.17
13 http://www.zeit.de/gesellschaft/2012-01/umfrage-auschwitz (zuletzt eingesehen am 19.03.2017). 14 Gestellte Fragen der Studie u.a.: Wann begann/endete der zweite Weltkrieg? Was passierte in der sogenannten Reichskristallnacht? Was wurde auf der Wannsee-Konferenz geplant? AHLHEIM/HEGER (2002:63). 15 http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/schueler-wissen-wenig-ueber-ddr-und-nationalsozialismus-a-841157.html (zuletzt eingesehen am 21.03.2017). 16 http://www.stern.de/politik/deutschland/stern-umfrage-hatte-die-ns-zeit-gute-seiten--3228902.html (zuletzt eingesehen am 21.03.2017). 17 In einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung von 2007 waren es sogar 57 Prozent (ZICK 2010:232).
9
Abbildung 1: Ergebnisse der Studie zum Wissen über den Nationalsozialismus aus AHLHEIM/HEGER (2002:68).
„Die Schlussstrich-Forderung stützt sich dabei […] auf das Argument, lange genug sei der
Erinnerungs- und Gedenkpflicht genüge getan und es seien hinreichend finanzielle
Reparationen geleistet worden“ (SCHWARZ-FRIESEL/REINHARZ 2012:281). Während
Unwissenheit mit gesellschaftlicher Aufklärung, wissenschaftlichen Arbeiten und
medialer Sensibilisierung entgegenzuwirken wäre, verhält es sich bei der Forderung
nach einem Schlussstrich anders. Gerade weil ein adäquater Umgang mit NS-Sprache
Empathie erfordert – da der unbedarfte Gebrauch vieler Wendungen nicht strafbar ist –
wirkt sich eine „Überdrussmentalität“ (SCHWARZ-FRIESEL/REINHARZ 2012:282) gravierend
auf eine adäquate Erinnerungskultur aus. „Das Zurückweisen der Erinnerungskultur ist
gekoppelt an die Verweigerung eines emphatischen Gefühls: Keinerlei Verständnis wird
für das Bedürfnis der Opfer(nachkommen) gezeigt, die Erinnerung an den Holocaust
wachzuhalten“ (SCHWARZ-FRIESEL/REINHARZ 2012:282). Denn während bei einem Teil der
Gesellschaft „historische Erinnerung (etwa bei den Überlebenden) oder historisches
Bewusstsein und Sensibilität vorhanden [ist]“, und die Phrase Jedem das Seine
„unweigerlich Assoziationen an den nationalsozialistischen Terror wachrufen“ wird
(HEYL 1998:5), gibt es ebenfalls einen Teil, der „vom Trauma der Davongekommenen
nichts wissen will, eine[r] Auseinandersetzung mit dem Sprachgebrauch des
Nationalsozialismus“ (BRUNNSEN 2010:311) skeptisch gegenübersteht und einen
endgültigen Schlussstrich ziehen möchte. Gerade diese Gründe machen eine
angemessene Erinnerungskultur, die auch den Umgang mit Jedem das Seine beinhaltet,
so komplex und gesellschaftlich polarisierend.
Es zeigt sich, dass die eingangs proklamierte These zum Teil relativiert werden muss. Es
ist nicht nur die besondere Rolle von Jedem das Seine im Vergleich zu anderen
10
sprachlichen Phänomenen der NS-Zeit (Kap. 2.2), die dafür sorgt, dass der
nationalsozialistische Hintergrund der Phrase größtenteils unbekannt ist. Es ist
weiterhin das Fehlen von wissenschaftlicher Aufklärung in der Nachkriegszeit (Kap. 2.1),
die Unwissenheit zum Nationalsozialismus im Allgemeinen und die Forderung nach
einem Ende der Erinnerungskultur, die eine Verwendung der Phrase in „ahistorisch
profaner Bedeutung“ (BRUNNSEN 2010:290) fördern. Betrachtet man Jedem das Seine aus
phraseologischer Sicht, so zeigen sich weitere markante Merkmale, die einen
universellen Einsatz in verschiedenen Kontexten ermöglichen und somit einen wichtigen
Anhaltspunkt für eine ahistorische Verwendung darstellen.
3 Phraseologische Merkmale von Jedem das Seine
Ein für die folgende Untersuchung wichtiger Faktor ist die Einordnung von Jedem das
Seine hinsichtlich phraseologischer Merkmale. PALM (1995:3) definiert die Wendung
eindeutig als Sprichwort und somit als Unterkategorie von Phraseologismen.18
Sprichwörter „sind in sich geschlossene Sätze, die durch kein lexikalisches Element an
den Kontext angeschlossen werden müssen“ (BURGER 2010:106). Insofern Jedem das
Seine als geschlossener Satz definiert wird, weist er eine syntaktische Irregularität auf,
da er einen verblosen Aufforderungssatz darstellt (PAUL 1995:134).19 Weiterhin ist
Jedem das Seine eine polylexikalisch feste Wortverbindung, die sowohl gebräuchlich20
als auch strukturell fest ist.21 BURGER (2010:37ff.) nimmt folgende Klassifikation für den
Gesamtbereich der Phraseologie vor (vgl. Abbildung 2).
18 U.a. FLEISCHER (1997:255) zählt Sprichwörter nicht zur Klasse der Phraseologismen: „Im Unterschied, zu Routineformeln und Phraseolexemen, die als Einheiten des Sprachsystems reproduziert werden, werden Sprichwörter als Texte zitiert“. 19 Im Korpus wird Jedem das Seine sowohl textwertig, satzwertig wie auch satzgliedwertig verwendet. 20 Das zeigen die zahlreichen Ergebnisse des Korpus. 21 Das wird ebenfalls durch die syntaktische Irregularität deutlich. Weitere phraseologische Merkmale wie Modifikation und Variation werden analog zur Analyse verschiedener Belege ab Kapitel 5.2 erörtert.
11
Abbildung 2: Klassifikation der Phraseologie
Weil kommunikative Phraseologismen „bestimmte Aufgaben bei der Herstellung,
Definition, dem Vollzug oder der Beendigung kommunikativer Handlungen“ (BURGER
2010:36) besitzen, das Sprichwort hingegen als referentiell eingeordnet wird, zeigt sich
hier bereits die Problematik einer strikten Definition. Sprichwörter können nach KOLLER
(1977:52) ebenfalls „den Höhepunkt oder den Abschluß eines Gesprächs“ markieren
und nach LÜGER (1999:161) der Ablaufregulierung (z.B. Eröffnung oder
Zusammenfassung von Abschnitten)22 dienen. Sie haben somit oftmals eine
textlinguistische Funktion. Gerade für Jedem das Seine trifft das – wie in Kapitel 5.2.4
gezeigt wird – zu.
Referentiell-propositionale Phraseologismen sind „Aussagen über Objekte und
Vorgänge“, die satzwertig oder textwertig sind (BURGER 2010:37). LÜGER (1999:92)
hingegen definiert, dass Sprichwörter „in der Regel keine Verweise auf irgendwelche
Situationsfaktoren“ beinhalten. Die nachfolgende Analyse wird zeigen, dass Jedem das
Seine beide beschriebenen Definitionen bedienen kann. Ebenfalls konträr zu LÜGER
(1999:131) gliedert BURGER (2010:37ff.) satzwertige Phraseologismen nicht nach dem
Kriterium der Idiomatizität, sondern nach syntaktischen und textlinguistischen Kriterien.
Hieraus ergeben sich dann die Klassen feste Phrasen23 und topische Formeln. Topische
Formeln sind generalisierende Aussagen, die „auch ohne Verankerung in einem
spezifischen Kontext, einer spezifischen Situation verständlich sind“ (BURGER 2010:41).
22 Auch RÖHRICH/MIEDER (1977:81) erkennen in Sprichwörtern die Funktion der Zusammenfassung. 23 Sie beziehen sich durch deiktische/anaphorische Elemente direkt auf den Kontext.
12
Sie können somit prinzipiell kontextfrei verstanden werden, wobei dies gerade für
Jedem das Seine, wie diese Arbeit zeigen wird, nicht immer gilt. Auch BURGER (2010:106)
relativiert dieses Merkmal zumindest in Teilen.
Betrachtet man die topischen Formeln weiter, so ergeben sich zwei Unterkategorien.
Gemeinplätze definieren keine neuen Erkenntnisse und haben einen tautologischen
Charakter. Zumindest PETERSEN (2017:45) erkennt dieses Merkmal in Jedem das Seine
basierend auf einer Definition als Gerechtigkeitsformel (vgl. Kap. 4.1). Linguistisch
betrachtet besteht jedoch ein Unterschied zwischen Gemeinplätzen wie Was sein muss,
muss sein und Jedem das Seine, da Jedem das Seine vielmehr die Form eines „All-Satzes“
aufweist, die nach BURGER (2010:106) charakteristisch für Sprichwörter sind und somit
einen generalisierenden Aspekt aufweisen.
Eine Definition als Sprichwort leuchtet somit durchaus ein. Verweist man jedoch mit der
Verwendung der Phrase beispielsweise auf Cicero oder Platon, so ist eine Definition als
Geflügeltes Wort ebenfalls möglich. Eine strikte Trennung zwischen Sprichwort und
Geflügeltem Wort wie LÜGER (1999:131)24 sie vornimmt, hat in der folgenden Analyse
keinen Mehrwert, da dieses Kriterium bei Jedem das Seine erst durch die explizite
Definition des Verfassers zum Tragen kommt und sich die Semantik der Phrase zum Teil
daraus erst ergibt.25 „Entscheidend ist jeweils, dass bei den Sprechern ein Bewusstsein
dafür vorhanden ist, dass der Ausdruck auf eine bestimmte […] Quelle zurückgeht“
(BURGER 2010:48). Das Kapitel 5.2.9.1 untersucht die Definition als Geflügeltes Wort
genauer.
Die Wendung Jedem das Seine kann somit sowohl als Phrase, Geflügeltes Wort wie auch
als Sprichwort definiert werden.26 Eine strikte Definition wäre für diese Untersuchung
nicht nur nicht förderlich, sondern sogar schädlich, da Jedem das Seine eine Mischform
ist, die je nach Situation heterogene Funktionen27 aufweist und auch von Verfassern zum
Teil kontrastiv gedeutet wird. Hierzu zählen insbesondere auch verschiedene
24 LÜGER geht nach dem Kriterium +/-belegbar vor. 25 Im Korpus liegen beide Verwendungsweisen vor. 26 STEIN (1995:45) liefert noch weitere potenzielle Bezeichnungen, die ebenfalls für Jedem das Seine gelten könnten (Redewendung, Redensart, formelhafte Wendung, Phraseologismus, vorgeformter Ausdruck, sprachliches Fertigteil, Routineformel usw.). Unter diesen Bezeichnungen subsumieren sich jedoch die bereits definierten Charakteristika. 27 Diese werden im weiteren Verlauf der Arbeit analog zu thematischen Domänen (ab Kapitel 5.2.3) genauer definiert.
13
pragmatische Funktionen (KOLLER 1977:70ff., GRZYBEK 1984:225), die u.a. als „Warnung,
Überredung, Mahnung, Zurechtweisung, Feststellung, Charakterisierung […]“
(RÖHRICH/MIEDER 1977:81) gedeutet werden können und „eine bestimmte
Bewußtseinsänderung beim Rezipienten“ (GRZYBEK 1984:225) erzielen möchten.28 Ziel
dieser Arbeit ist es, diese hohe Variabilität einer Phrase hinsichtlich ihrer Funktion,
Semantik und metasprachlicher Deutung präzise darzustellen. Denn gerade aus der
vielfältigen Anwendbarkeit ergibt sich womöglich einer der Gründe, warum die Phrase
nicht nur im Kontext des Nationalsozialismus verwendet wird. „Doch ist ohnehin nicht
die Eindeutigkeit, sondern die Deutungsvielfalt intelligenter Sätze das Normale. Schon
deshalb, weil sich der geistige Gehalt eines Textes ohne dessen jeweiligen Kontext nicht
erschließen läßt“ (KLENNER 2002:327).
4 Geschichte der Phrasen
Für eine angemessene Untersuchung der Phrasen Jedem das Seine sowie dem
lateinischen Äquivalent suum cuique ist eine ausführliche geschichtliche Betrachtung
von großer Bedeutung. Nachfolgend soll erläutert werden, wo die jeweiligen Phrasen
ihren Ursprung haben, in welchem Kontext sie verwendet wurden und welche Semantik
ihnen zugewiesen werden kann.
4.1 Suum cuique in der Antike
Erste Spuren der Phrase finden sich bereits bei Platon in seinem Werk Politeia (Der Staat)
um etwa 370 v.Chr., in welchem er sich mit der Aushandlung von Gerechtigkeit
auseinandersetzt.29 In einem Gespräch zwischen Glaukon und Sokrates definiert
Sokrates Gerechtigkeit wie folgt: „[…] Gerechtigkeit sei, daß jeder das Eigene und das
Seinige hat und tut“ (PLATON 2016:155/433e). Nach BRUNNSEN (2010:295) bedeutet das,
dass jeder „die seinen Fähigkeiten und Lebensumständen gemäße Rolle im Staat spielt.“
Schon in dieser Definition zeigt sich die individuelle Auslegungsmöglichkeit der Phrase,
da HÄRLE (2011:56) anmerkt, dass während Gerechtigkeit „in der Philosophie vor und
nach Platon […] definiert worden war als die Tugend, durch die jedem zuteilwird, was
28 Zur Funktion von Phraseologismen im Allgemeinen siehe Kapitel 5.2.2.
14
ihm zusteht („suum cuique“), sagt Platon, Gerechtigkeit bestehe darin, dass jeder das
Seinige tut“. Jeder soll also das tun, „wozu er von Natur besonders veranlagt sei“ (PLATON
2016:154/433a). Platon definiert somit konträr zu anderen Gerechtigkeitsdefinitionen
eine aktive Rolle des Menschen, in welcher er sich auch selbst verwirklichen kann.
Obwohl die lateinische Phrase suum cuique freilich nicht in der griechischen Antike
verwendet wurde, zeigt sich doch, dass die bei Platon definierte
Gerechtigkeitsinterpretation Grundlage für nachfolgende Auslegungen war. So
konkretisierte Cicero in seiner Schrift De Officiis (von den Pflichten) die Aushandlung von
Gerechtigkeit mit den Worten suum cuique, um zu beschreiben, was moralisches
Handeln ist. „Mit dem Einsatz für die menschliche Gemeinschaft, der Bereitschaft,
jedem Einzelnen das zuzuteilen, was ihm zukommt […]“ (CICERO 2008:21/1, 15).30 Cicero
beschreibt somit außerdem die aktive Rolle des Staates, welcher es sich zur Aufgabe
machen solle, jedem etwas zuzuteilen. Fälschlicherweise verweisen sowohl LAUTERBACH
(2002:385) als auch BRUNNSEN (2010:296) auf Kapitel 2431 des ersten Buches (Liber
primus) von Cicero mit dem Wortlaut: „iustitiam, suum cuique tribuit, alienum non
vindicat, utilitatem propriam negle(i)git ut communem aequitatem custodiat“ (AMBROSE
2002:184). Dieser Satz stammt jedoch von Ambrosius, einem Bischof aus Mailand, und
ist in seinem gleichnamigen Werk erschienen, welches jedoch lediglich eine
Nachahmung von Ciceros Schriften ist.
Basierend auf Ciceros Definition verfasste der oströmische Kaiser Justinian I. 533 n. Chr.
in seiner Sammlung bürgerlichen Rechts (Corpus Iuris Civilis) den Satz „iustitia est
constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuens“32 (JUSTINIAN I. 1997:1/ Inst.
1,1,0). Gerechtigkeit ist demnach „der unwandelbare und dauerhafte Wille, jedem sein
Recht zu gewähren.“ Die Gebote des Rechts sind nach Justinian I. folgende: „Ehrenhaft
leben, niemanden verletzen, jedem das Seine gewähren“ (JUSTINIAN I. 1997:1/Inst.
30 Übersetzung: „in hominum societate tuenda tribuendoque suum cuique et rerum contractarum fide“
(CICERO 2008:20/1, 15). 31 In Kapitel 24 ist jedoch folgendes vermerkt: „Atque illae quidem iniuriae, quae nocendi causa de industria inferuntur, saepe a metu proficiscuntur, cum is, qui nocere alteri cogitat, timet, ne, nisi id fecerit, ipse aliquo afficiatur incommodo. Maximam autem partem ad iniuriam faciendam aggrediuntur, ut adipsicantur ea, quae concupiverunt; in quo vitio latissime patet avaritia“ (CICERO 2008:26). 32 KLENNER (2002:328) weist die Formel suum cuique Ulpian zu. HÄRLE (2011:369) stellt fest, dass „die vielerorts zu lesende Behauptung, die Formel „suum cuique“ stamme von Ulpian, falsch ist“.
15
1,1,3)33. Konträr zu Cicero und Platon werden bei Justinian I. die Rechte des Einzelnen
gegenüber dem Staat definiert (BRUNNSEN 2010:296). Gerade auch deshalb beschreibt
VON DER PFORDTEN (2013:25) die Texte Justinians I. als „einflussreichste Rechtssammlung
des Abendlandes.“ KLENNER (2002:327) geht so weit, dass suum cuique lediglich zum
„Schlagwort“ geworden ist, weil Justinian I. die Phrase als „Rechts- und
Gerechtigkeitsprinzip zu Grunde legen ließ.“ HÄRLE (2011:125) verweist sogar darauf,
dass suum cuique in der stoisch-ciceronischen Tradition eines der fünf klassischen
Grundprinzipien des Naturrechts darstellte.34
Während durch die in diesem Kapitel beschriebenen Belege die Bedeutsamkeit von
suum cuique schon in der Antike nicht zu bestreiten ist, lassen sich doch kritische
Anmerkungen zur Aushandlung von Gerechtigkeit durch die Phrase finden. So stellt
SCHOPENHAUER (2007:116) fest, dass sich „die Negativität der Gerechtigkeit […], dem
Anschein entgegen, selbst in der trivialen Definition [bewährt]: >>Jedem das Seine
geben.<< Ist es das Seinige, braucht man es ihm nicht zu geben: bedeutet also >>Keinem
das Seinige nehmen<<.“ Darauf basierend formuliert PETERSEN (2017:45), dass es „seit
jeher ein Einwand gegen die Gerechtigkeitsdefinition des suum quique (sic!) gewesen
[ist], dass sie sich in einem nichtssagenden, tautologischen Inhalt erschöpft“. Auch
KELSEN (1985:378) bezeichnet die Phrase als „inhaltslose Formel“. Trotz dieser zum Teil
berechtigten Kritik wurde die lateinische Phrase auch in der Neuzeit vielfach verwendet
und unterschiedlich interpretiert.
4.2 Suum cuique in der Neuzeit
„Justinians Gesetzgebungswerk erwies sich als die folgenreichste Kodifikation der
Weltgeschichte: Ihre Regelungen wurden in ganz Europa rezipiert“ (KLENNER 2002:327).
Zurückführend auf das römische Gerechtigkeitsprinzip lässt auch Shakespeare Marcus
Andronicus in dem Werk Titus Andronicus den Satz „Suum cuique is our Roman Justice“
sagen (SHAKESPEARE 1979:211). HEYL (1998:2) stellt daher zutreffend fest, dass „dieser
33 Vgl. in Latein: „Iuris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere“ (JUSTINIAN I. 1997:1/ Inst. 1,1,3). 34 Hierzu zählten außerdem: neminem laedere (niemanden verletzen); honeste vivere (ehrenhaft leben); deum colere (Gott verehren); pacta sunt servanda (Verträge sind einzuhalten), HÄRLE (2011:125).
16
Grundsatz […] neben der Rechtsphilosophie und Moraltheologie seit langem die
Literatur, Musik und Kunst“ beschäftigt.35
Im deutschsprachigen Raum erfährt die lateinische Phrase ihre Berühmtheit
insbesondere durch den Schwarzen Adlerorden, dem höchsten preußischen Orden und
der Verwendung als „Wahlspruch“ Preußens (ZEDLITZ-NEUKIRCH 1836:73). „Der Endzweck
Unseres Reiches und Ordens […] nemlich Recht und Gerechtigkeit zu üben, und
jedweden das Seine zu geben“ ist nach ZEDLITZ-NEUKIRCH (1836:73) einer der
Hauptgründe dafür, dass die Phrase suum cuique das Wappen schmückt. Ein Weiterer
ist die Intention, die „allgemeine Unpartheilichkeit anzudeuten, nach welcher nicht nur
dem einen und dem andern; sondern allen durchgehends und einem jedweden nach
Verdiensten das Seine geleistet werden sollte.“ Der deutsche Historiker Leopold von
Ranke versichert in seinem Buch Preussische Geschichte unter Berufung auf eine Person
namens Lamberty dass sich „jenes „Suum cuique“ in den Insignien desselben […] auf die
Definition einer guten Regierung [bezieht], in der den Guten sowohl wie den Bösen nach
ihrem Verdienst geschehe“ (VON RANKE 1957:369). Beschrieben werden hier somit
konträr zu allen anderen bisherigen Bedeutungsaspekten, die Pflichten des Königtums.36
Seit der Gründung der Bundeswehr im Jahr 1955 tragen auch die Feldjäger ein Abzeichen
mit dem preußischen Gardestern und der Inschrift suum cuique. Somit „dürfte die
Benutzung der lateinischen Vorlage kaum als illegitim anzusehen sein, da es sich bei
jenem ‘suum cuique’ um einen in relativ niedriger Frequenz gebrauchten Ausdruck
handelt, der seit 1945 weder von Überlebenden des SS-Terrors noch von Sprachkritikern
direkt mit den NS-Verbrechen assoziiert worden ist“ (BRUNNSEN 2010:309).
35 Hierzu ausführlicher im Kapitel 4.3. 36 HAFFNER (1978:113) interpretiert die Phrase jedoch anders: „Der Staat stellte jedem Bürger, vom König
bis zum letzten Untertanen eine Aufgabe, auf deren Erfüllung er ihn streng verpflichtete, und zwar jedem Stand eine andere“.
17
4.3 Jedem das Seine im deutschsprachigen Raum
Erste Aufzeichnungen der deutschen Phrase Jedem das Seine finden sich „in den Künsten
und auch in akademischen37 Texten“ (BRUNNSEN 2010:297). So unter anderem bei
Immanuel Kants Werk Metaphysik der Sitten, in welchem er nach Ulpians Rechtslehre
definiert: „Tritt in eine Gesellschaft mit Andern, in welcher Jedem das Seine erhalten
werden kann (suum cuique tribue)“ (KANT 1838:41). In der Literatur wird die Phrase von
Eduard Mörike als Titel eines Gedichts von 1861 verwendet, in welchem er eine
Liebesgeschichte beschreibt (MÖRIKE 2015:54). Auch in der Musik kommt Jedem das
Seine durch die Benennung einer Kantate von Johann Sebastian Bach zum Tragen (HEYL
1998:2). Festzuhalten ist jedoch, dass gerade die deutsche Phrase keine
geschichtsträchtige Vergangenheit aufweist und vielmehr „Symbol für ein System [ist],
in dem sadistische Scharfrichter die Macht hatten, jedem zuzuweisen, was sie für das
Seine hielten“ (NEUES DEUTSCHLAND, 12.11.1988).38 Die aus dieser zynischen Definition
resultierenden Konsequenzen werden im nachfolgenden Kapitel erörtert.
4.3.1 Jedem das Seine im Nationalsozialismus
Obwohl die Phrase in den jeweiligen Epochen unterschiedliche Bedeutungsdefinitionen
innehatte, erfährt der eigentliche Rechtsgrundsatz im Nationalsozialismus eine
eindeutige Zäsur. Die Phrase wird im 1937 eröffneten Konzentrationslager Buchenwald
an der Innenseite des Eingangstors angebracht.39 Ziel dessen war es, die Insassen
während ihrer gesamten Aufenthaltszeit zu demütigen (BRUNNSEN 2010:295), denn „die
auf dem Appellplatz stehenden Häftlinge hatten sie ständig vor Augen“ (STEIN 1999:34).
Im auf dem Ettersberg in Weimar errichteten KZ Buchenwald wurden bis 1945 nahezu
240.000 Menschen inhaftiert. Etwa 56.000 fielen den Gräueltaten der
Nationalsozialisten zum Opfer. Gefertigt wurde die Inschrift vom ehemaligen
Meisterschüler des Bauhauses Dessau, Franz Ehrlich, welcher selbst im KZ Buchenwald
inhaftiert war. „Ehrlich entwirft die Buchstaben in Anlehnung an Meister des Bauhauses
und an seinen Lehrer Joost Schmidt. Die Typografie wird so zur subtilen Intervention
37 BRUNNSEN (2010:297) nennt hier auch Verwendungen von Nietzsche, Hegel und Marx. 38 Die Staatsbibliothek Berlin stellt auf ihrer Internetseite sämtliche Exemplare von drei DDR-Tageszeitungen (BERLINER ZEITUNG, NEUES DEUTSCHLAND, NEUE ZEIT) von 1945-1994 zur Verfügung. Die Definition von NEUES DEUTSCHLAND als sozialistische Tageszeitung wurde berücksichtigt. 39 Die Arbeiten am gesamten KZ Buchenwald gingen jedoch bis spät in das Jahr 1939. (KIRSTEN 2002:15)
18
gegen den Geist der Inschrift.“40 1932 verfasste der Nationalsozialist Hans Schwarz van
Berk eine Rechtfertigungsschrift mit dem Titel Preußentum und Nationalsozialismus. 7
Briefe an einen preußischen Junker, in welchem er schreibt: „Der Nationalsozialismus
setzt an die Stelle der utopistischen Parole “Alles allen!” den preußisch-sozialistischen
Wahlspruch “Jedem das Seine!”“ (VAN BERK 1932:17). BRUNNSEN (2010:295) interpretiert
diese Zeilen als möglichen Grund für die Verwendung der Phrase Jedem das Seine am KZ
Buchenwald anstatt der üblichen Phrase Arbeit macht frei. Die Bedeutung von Jedem
das Seine wandelte sich somit von einer jahrtausendealten Gerechtigkeitsformel zu
einem „Synonym für Massenmord“ (STERN 20.08.1998:17). Der ehemalige
Ministerpräsident von Thüringen, Bernhard Vogel, fasst die Absurdität zwischen
Gerechtigkeit und Jedem das Seine im KZ in einer Gedenkveranstaltung von 1995 sehr
treffend zusammen: „Buchenwald war der Ort, an dem das Grauen in
menschenverachtender und demütigender Weise seinen Ausdruck fand,
eingeschmiedet in das Tor des Lagers: ›Jedem das Seine‹. Dieses zynische Motto mit
seinem bösen, inhumanen Sinn sprach dem klassischen lateinischen Gerechtigkeitsideal
eines ›suum cuique‹ (Cicero) Hohn“ (HEYL 1998:3). KLENNER (2002:332) definiert diese
hohe Diskrepanz als „Skandalon in der Verwendungsgeschichte“ und auch BRUNNSEN
(2010:298) stellt fest, dass nicht Recht und Gerechtigkeit den Insassen zuteilwurde,
sondern die Willkür und Grausamkeit der SS.
4.3.2 Jedem das Seine von 1945-1998
Nach Ende des 2. Weltkriegs wurde die Phrase zunächst als ein „durch keinen
spezifischen geschichtlichen Kontext determinierte[n] Ausdruck“ weiterverwendet
(BRUNNSEN 2010:300). Das wird insbesondere durch Zeitungsbelege der Zeitung NEUES
DEUTSCHLAND deutlich. So äußert sich beispielsweise Johannes Stroux (ehemaliger Rektor
der Berliner Universität) über die Grundrechte des Volkes.41
(I) NEUES DEUTSCHLAND, 08.10.1946
Der eine lehrt, daß alle Rechte, ohne Rücksicht auf äußere und erworbene Lebensumstände wie Geburtsadel, Reichtum und ähnliche Eigenschaften Privilegierter, aus der allgemeinen und gleichen Menschennatur abgeleitet werden
40 https://www.buchenwald.de/602/ (zuletzt eingesehen am 16.03.2017). 41 Alle in diesem Kapitel aufgeführten Belege wurden nicht in die Korpusanalyse miteinbezogen. Deshalb sind diese auch anders gesondert und mit römischen Ziffern aufgeführt.
19
müssen. Aus ihr geht die Bestimmung der einzelnen menschlichen Persönlichkeit ebenso hervor, wie die Bestimmung der menschlichen Gesellschaft und damit auch des Staates. Der zweite Grundsatz aber verlangt, daß die soziale Gerechtigkeit bestehen und „Jedem das Seine" zugeteilt werde. Das Ist die Grundlage des sozialen Friedens.
Jedem das Seine steht hier stellvertretend für die Schaffung des sozialen Friedens in
Deutschland. Bereits ein Jahr nach Ende des Nationalsozialismus wird die Phrase
verwendet, um Grundrechte des Volkes und Gerechtigkeit darzustellen. Der
nationalsozialistische Missbrauch wird somit nicht thematisiert. Die Verwendung erfolgt
auf Basis der antiken Gerechtigkeitsdefinition.
Auch in einem Beleg der Zeitung NEUE ZEIT vom 07.11.1950 wird die wirtschaftliche
Gerechtigkeit der Sowjetunion durch die Phrase definiert und dem Grundsatz „Allen das
Gleiche“ gegenübergestellt.
(II) NEUE ZEIT, 07.11.1950
Aber die menschliche Ungleichheit, die Rangordnung der Individuen zu leugnen, kommt auch dem Bolschewismus nicht in den Sinn, und auch ihm heißt Gerechtigkeit, selbst im Wirtschaftlichen, nicht „Allen das Gleiche", sondern „Jedem das Seine".
Die mediale „Unbekümmertheit“ wird auch in einem vom SPIEGEL veröffentlichten Artikel
deutlich, in welchem über die Oscars berichtet wird und der Film To Each His Own mit
den Worten Jedem das Seine übersetzt, obgleich der eigentliche Titel Mutterherz war.
(III) SPIEGEL, 22.03.1947
Den "weiblichen Oscar" bekam Olivia de Havilland, eine gebürtige Engländerin. In ihrer leidensvollen Rolle in dem Film "Jedem das Seine" hat sie, so sagt man, das schlechthin Weibliche so prägnant dargestellt, daß selbst hartgesottene Männer ihr den Oscar auf keinen Fall versagen konnten.
Ein Grund dafür, „dass sich bis weit in die 1950er Jahre kein öffentliches Bewusstsein
von der Bedeutung der Buchenwalder Torinschrift herausbildet“ (BRUNNSEN 2010:302),
könnte der Dokumentarfilm Die Todesmühlen sein, welcher nach Kriegsende eine
Woche lang ausnahmslos in allen Kinos der US-Zone gezeigt wurde. Während im Film
das KZ Auschwitz mit seiner Inschrift Arbeit macht frei gezeigt wird, verpassen es die
Filmemacher, auch die Inschrift des KZ Buchenwald eindeutig darzustellen.42 Erste
42 Vgl. Die Todesmühlen 1945.WILDER, B./BURGER, H. (Regie). Produktion: Office of Military Government for Germany United States.
20
Anzeichen für einen reflektierten Gebrauch entstehen durch den Bau der Mahn- und
Gedenkstätte Buchenwald im Jahr 1954. Dieser Bau wird in den DDR-Zeitungen
thematisiert und wirkt sich ebenfalls auf die Berichterstattung in Westdeutschland
aus.43
( IV) N E U E Z E I T , 11.04.1954
Eine Stätte des Grauens soll Mahnmal des Friedens werden
Nicht minder zynisch kennzeichnend wirkt die jetzt noch erhaltene Inschrift an dem schmiedeeisernen Tor: Jedem das Seine! Hinter dem Eingang dehnt sich die Weite des sogenannten „Appellplatzes", auf dem allmorgendlich die Häftlinge zum Abzählen angetreten waren und der jetzt den Versammlungsort für die großen offiziellen Feiern zum Internationalen Befreiungstag bildet.
Während HEYL (1998:5) darauf verweist, dass „in Ostdeutschland, wo zu Zeiten der
ehemaligen DDR der Gedenkstätte Buchenwald besondere Bedeutung zukam (fast alle
Jugendlichen in der DDR […] das ehemalige Lager in Vorbereitung ihrer Jugendweihe,
mit der Schule oder der FDJ besucht [haben], manche gleich mehrfach)“44 und die Phrase
in Ostdeutschland somit präsenter sei, spricht BOCHMANN (1994:86) bezogen auf die DDR
von der „Geschichte eines Defizits“.
In den 1960er Jahren werden Jedem das Seine wie auch andere Lexeme der NS-Zeit
instrumentalisiert, um jeweilige Kontrahenten zur Zeit des Ost-West-Konflikts zu
diffamieren (EITZ/STÖTZEL 2007:489ff./STÖTZEL 1995²:369).
So beschreibt der ehemalige SED-Chef Walter Ulbricht das von der BRD erlassene
Sozialpaket mit den Worten „Also ganz wie bei den Nazis: Jedem das Seine!“ (NEUES
DEUTSCHLAND, 13.03.1963). Das von Ulbricht realisierte Tertium Comparationis, also die
relevante Teilmenge der beiden verglichenen Entitäten, wird ebenfalls von ihm
formuliert: „Die Bilanz des Sozialpakets bedeutet also Milliarden mehr in die Taschen
der Unternehmer, Milliarden mehr aus den Taschen der Arbeiter, Angestellten und
Rentner.“ Selbst wenn das die Folge des Sozialpakets wäre, so wird hierdurch lediglich
eine irrelevante Teilmenge beschrieben, die einen Vergleich mit den Gräueltaten der
Nationalsozialisten als indiskutabel erscheinen lässt. 1969 vergleicht Horst Salomon den
Springer-Verlag ebenfalls mit einem Konzentrationslager.
43 So berichtet u.a. auch DIE ZEIT vom KZ-Buchenwald und der Inschrift (04.12.1959). 44 Auch zum zehnjährigen Bestehen der Gedenkstätte schreibt NEUES DEUTSCHLAND über die Taten im KZ (NEUES DEUTSCHLAND, 08.02.1964).
21
(V) NEUES DEUTSCHLAND, 24.02.1969
So ist der Teil der Welt, in dem die Springer walten und schalten, zu einem KZ für Geist und Gefühl geworden, über dessen Pforte nach wie vor „Jedem das Seine" steht. Für die einen das klägliche Gewinsel von der Nichtigkeit des Lebens, das wehmütige, weinselige Ausbreiten belangloser Gefühlchen, für den anderen die Vergötzung animalischer Gier, Skrupellosigkeit und Sadismus.
Spätestens ab den 1980er Jahren wurden solche Vergleiche allerdings als
„unangemessen“ angesehen, weil sich in der Öffentlichkeit die Einsicht durchsetzte,
dass sie die „Verbrechen der Nazis relativieren und verharmlosen“ (EITZ/STÖTZEL
2007:399). Dass diese Einsicht jedoch keine großen Auswirkungen auf den historisch-
unkritischen Gebrauch der Phrase Jedem das Seine hatte, zeigt die Tatsache, dass im für
diese Arbeit angelegten Korpus lediglich 16,2 Prozent der Zeitungsartikel bis zum
13.06.1998 über die nationalsozialistische Vergangenheit aufklären. Nach dieser Zeit
setzt eine eindeutige Zäsur ein, da es „eine historisch-politisch sensibilisierte
Öffentlichkeit als obszön [empfand], daß für Kapitalistenkommerz mit einem Text
geworben werde, den die Nazibarbaren in das Eingangstor ihres Konzentrationslagers
Buchenwald hatten einschmieden lassen, um ihre Opfer auch noch zu verhöhnen“
(KLENNER 2002:329). Diese Proteste, die „von einer ausführlichen
Medienberichterstattung begleitet worden sind“ (BRUNNSEN 2010:307), sollen
nachfolgend im Kapitel 5.1.5.1 thematisiert werden. Zuvor wird das angesprochene
Korpus und die auf darauf basierende Methodik vorgestellt.
5 Korpusanalyse
5.1 Korpus
Die Korpusbelege dieser Arbeit zu Jedem das Seine stammen aus dem Deutschen
Referenzkorpus (kurz DeReKo) des Instituts für Deutsche Sprache Mannheim. Das
DeReKo ist mit über 29 Milliarden Wörtern (Stand 31.03.2016) das größte
deutschsprachige Korpus der Welt. Mit Hilfe des Abfragesystems COSMAS II kann man
das DeReKo nach individuellen Suchanfragen durchsuchen. Durch die Auswahl der
einzelnen Archive (W-W4 Archiv der geschriebenen Sprache) und der Selektion der
benutzerdefinierten Korpora (beispielsweise Frr – Frankfurter Rundschau, 2000-2015)
können genau die Quellen ausgewählt werden, die für die Untersuchung zielführend
22
sind. So wurden bei dieser Untersuchung unter anderem keine Wikipedia-Artikel und
Diskussionen, Belege aus Belletristik sowie Dichtungen berücksichtigt. Weiterhin
existieren in den einzelnen Archiven teilweise Dopplungen, sodass die Zahl der Belege
durch COSMAS II von der Zahl der hier angegebenen Belege abweicht.
Mit Hilfe der Suchanfrage „Jedem /+w1 das /+w1 Seine“ und der oben definierten
Selektion wurden 1242 Belege der Phrase Jedem das Seine eingehend analysiert.
Abbildung 3 zeigt die Verteilung der Belege nach Jahren, bezogen auf das erstellte
Korpus. Aus dieser Abbildung können keine Schlüsse bezüglich der absoluten oder
relativen Häufigkeit der analysierten Zeitungen gezogen werden, da viele Zeitungen in
das DeReKo lediglich für gewisse Zeitabschnitte (beispielsweise 2002-2009) eingespeist
wurden und die Korpusgröße der Zeitungen nicht berücksichtigt wurde.
Abbildung 3: Anzahl der Belege nach Jahren
5.1.1 Methodik
Bei der Analyse wurden die einzelnen Belege nach neun unterschiedlichen Merkmalen
klassifiziert. In Tabelle 1 sind diese Merkmale aufgeführt. Das Merkmal Überschrift
wurde für die weiterführende Untersuchung nicht berücksichtigt und ist demnach hier
nicht aufgeführt.
89
3340
27
45
79
33
50 54
83
65 66
79
171
57 61 62 6555
28
0
20
40
60
80
100
120
140
160
180
An
zah
l Bel
ege
Jahre
23
Tabelle 1: Analysierte Merkmale der Belege
Zeitung Datum Land Beleg nsH45 Domäne Zitat Umgebung
Mit Hilfe dieser Merkmale soll nicht nur eine eindeutige Klassifizierung der Belege
möglich sein, sondern ebenfalls eine statistische Auswertung der Anteile eines
Merkmals. Daher wurden für einige Merkmale die Auswahlmöglichkeiten beschränkt.
So definiert die Spalte nsH lediglich, ob der analysierte Beleg über den
nationalsozialistischen Hintergrund der Phrase aufklärt oder nicht. Die
Auswahlmöglichkeit ist somit binär auf ja/nein beschränkt. In der Spalte Domäne wird
festgelegt, welcher thematischen Domäne46 der Beleg zugewiesen wird (beispielsweise
Politik, Sport, Sprachkritik etc.). Das Korpus enthält insgesamt 70 verschiedene
Domänen. Die Spalte Zitat besitzt drei potenzielle Auswahlmöglichkeiten. So kann
Jedem das Seine einerseits im Text mit oder ohne Anführungszeichen erscheinen,
andererseits kann die Verwendung der Phrase eine Aussage einer dritten Person
darstellen. Mit Hilfe dieser Spalte wird geklärt, wer Verfasser des Belegs ist (Verfasser
des Texts oder Dritter) und ob die Phrase als zitierungswürdig erachtet wird oder nicht,
was jedoch nur relevant ist, wenn der Verfasser der Autor ist. Insofern die Phrase mit
Anführungszeichen versehen wird, gibt der Autor zu verstehen, dass er sie entweder als
feststehenden Begriff betrachtet oder auf jemanden verweist (wie beispielsweise Plato
hat gesagt). Der Bereich Umgebung gibt einerseits an, durch was die Phrase erweitert
wird, (mir das meiste, allen das Gleiche etc.) andererseits als was die Phrase
metasprachlich gedeutet wird (Parole, Motto, zynische Inschrift etc.). Da hier auch
Signalwörter eingetragen sind, die im Satz potenziell weiter von der Phrase entfernt
sind, als dass sie bei einer Kookkurrenzanalyse erfasst werden und somit ebenfalls
Verknüpfungen zu den anderen Merkmalen möglich sind, wurde dies manuell für jeden
Beleg verfasst. Abbildung 4 zeigt die vorgenommenen Einstellungen in COSMAS II. Als
Beleg wurde jeweils der Teil in das Korpus eingespeist, der bei der Volltext-Anzeige mit
diesen Einstellungen angezeigt wurde. Der weitere Kotext eines Belegs wurde lediglich
fakultativ zur Analyse miteinbezogen.
45 nsH= nationalsozialistischer Hintergrund. 46 Eine Aufteilung nach thematischen Domänen nehmen u.a. auch STUMPF/KREUZ (2016) vor.
24
Abbildung 4: Vorgenommene Einstellungen bei COSMAS II
5.1.2 Zeitungen
Das Korpus besteht aus 1242 Belegen aus 64 verschiedenen Zeitungen in vier Ländern.
Abbildung 5 zeigt die Top-20 der Zeitungen mit den meisten Belegen. Der Mittelwert der
Anzahl von Beispielen pro Zeitung beträgt 18,5. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG hat mit 99
Belegen den größten Umfang aller analysierten Zeitschriften. 25 Zeitungen haben im
Korpus weniger als 10 Belege.
Abbildung 5: Häufigste Zeitungen des Korpus
Außerhalb deutscher Zeitungen wurden Zeitungen aus Österreich, der Schweiz und
Luxemburg in die Analyse mit einbezogen. Der Anteil ausländischer Zeitungen beträgt
23,03 Prozent (286 Belege). Somit sind 76,97 Prozent der Belege aus deutschen
Zeitungen (956). Die Analyse der ausländischen Zeitungen ist gerade deshalb so
99
55 52 4842 39 39
34 34 33 33 32 31 31 31 29 28 28 26 24
0102030405060708090
100
An
zah
l Bel
ege
Zeitungen
25
interessant, da erörtert werden kann, ob die Weiterverwendungsproblematik
nationalsozialistisch belasteter Sprache auch außerhalb Deutschlands (jedoch im
deutschsprachigen Raum) diskutiert wird. Darauf aufbauend kann erschlossen werden,
ob die Problematik um Jedem das Seine der deutschen Sprache inhärent ist, oder ob sie
durch Landesgrenzen anders gedeutet wird.
5.1.3 Aufklärungsrate
Betrachtet man die Statistiken zur medialen Aufklärung über den nationalsozialistischen
Hintergrund der Phrase, so zeigt sich, dass sich weniger als ein Drittel der
Zeitschriftenbelege damit auseinandersetzen. Gleichbedeutend damit ist, dass 849 der
1242 Belege die Phrase unbedarft verwenden (vgl. Abbildung 6). Jede Erwähnung des
Nationalsozialismus im Allgemeinen oder der Verwendung im KZ Buchenwald im
jeweiligen Text wurde als Aufklärung über den nationalsozialistischen Hintergrund
gewertet.
Abbildung 6: Aufklärungsrate gesamt
Hierbei muss insbesondere beachtet werden, dass alle Belege ausländischer Zeitungen
miteinbezogen wurden. Abbildung 7 zeigt das Verhältnis von deutschen zu
ausländischen Zeitungen in Bezugnahme auf die Aufklärung des nationalsozialistischen
Hintergrundes der Phrase.
ja (393); 31,64%
nein (849); 68,36%
26
Abbildung 7: Aufklärungsrate nach Ländern
Die Aufklärungsrate liegt bei deutschen Zeitungen somit um 6,06 Prozentpunkte höher
als der Gesamtanteil. Das dargestellte prozentuale Verhältnis kann als Indiz dafür
erachtet werden, dass die Aufarbeitung des lexikalischen NS-Erbes im
deutschsprachigen Raum unterschiedlich vorangetrieben wird.
5.1.4 Aufklärungsrate nach Zeitungen
Dass kein öffentlicher Konsens darüber besteht, wie mit der geschichtlich belasteten
Phrase umgegangen werden soll, zeigt sich statistisch in Abbildung 8 und Abbildung 9.
Bei den Abbildungen werden lediglich die Zeitungen betrachtet, die mehr als zehn
Belege im Korpus aufweisen konnten, da eine signifikante Tendenz sonst nicht
auszumachen wäre. Auffällig ist, dass drei der Gedenkstätte Buchenwald geographisch
naheliegende Zeitungen eine Aufklärungsrate von über 80 Prozent aufweisen und
zugleich die drei Zeitungen mit den höchsten Aufklärungsraten sind. Demnach achten
thüringische Zeitungen besonders darauf, den Missbrauch der Phrase zu erwähnen.
Sechs weitere Zeitungen weisen eine Rate von über 50 Prozent auf (vgl. Abbildung 8).
37,7% 12,1% 10,0% 11,2%0
200
400
600
800
1000
1200
Deutschland Schweiz Österreich Ausland
An
zah
l Bel
ege
Länder
ja (in Prozent) nein
27
Abbildung 8: Aufklärungsrate nach Zeitungen (1)
Abbildung 9 zeigt, dass die Problematik der nationalsozialistischen Vergangenheit auch
von renommierten Zeitungen wie der ZEIT, der RHEIN-ZEITUNG oder der SÜDDEUTSCHEN
ZEITUNG hingegen anders betrachtet wird. Sie verwenden die Phrase öfter außerhalb des
nationalsozialistischen Kontextes. Acht der zwölf Zeitungen mit einer Aufklärungsrate
von unter 25 Prozent stammen jedoch aus dem Ausland.
Abbildung 9: Aufklärungsrate nach Zeitungen (2)
90% 89%82%
64% 61%54% 53% 50% 50%
39% 36% 35% 34% 33% 33%
0%10%20%30%40%50%60%70%80%90%
100%au
fklä
ren
de
Bel
ege
in P
roze
nt
Zeitungen
29% 29% 28%26% 25%
23% 22%
18% 17% 16% 16% 16%
12% 11%
6%4% 4%
0%0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
aufk
läre
nd
e B
eleg
e in
Pro
zen
t
Zeitungen
28
Interessanterweise weist die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG einen Beleg auf, in welchem gerade
Journalisten für den unbedarften Gebrauch nationalsozialistisch belasteter Sprache
kritisiert werden. Daraus kann geschlossen werden, dass sich selbst in den Redaktionen
einzelner Zeitungen unterschiedliche Meinungen zum Umgang mit NS-Sprache finden
lassen ((1)).
(1) SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 23.06.1998
Deutschland erwachte? Sollte das ein Wortspiel sein? Wußte der Reporter, womit er spielte? „Deutschland erwache!” – mit dieser Parole zogen einst die Nazis durch die Weimarer Republik, von Neonazis wird sie weiterhin benutzt. In der Sprache gibt es noch mehr Hinterlassenschaften des Dritten Reiches, die aber 50 Jahre danach vielen Menschen nicht mehr als Hinterlassenschaften bekannt sind. „Schreiberlinge” und „Journaille”, das sind Ausdrücke, die man immer wieder liest. Sie stammen aber von Goebbels. „Jedem das Seine”, hört man immer wieder mal. Es stand aber über dem Eingang von Buchenwald. Ein guter Journalist legt keinen Wert darauf, politisch korrekt zu denken. Damit würde er aufhören, zu denken. Er sollte aber bedenken, womit er spielt.
5.1.5 Aufklärungsrate nach Jahren
Abbildung 10: Aufklärungsrate nach Jahren
Abbildung 10 zeigt die Aufklärungsrate der analysierten Belege nach Jahren. Lediglich
sieben der analysierten 59 Jahre übersteigen eine Rate von 30 Prozent. Anhand der
Korpusbelege kann festgestellt werden, was zu der erhöhten Rate führte. Daher widmen
sich die nachfolgenden Kapitel der Analyse einzelner Jahre. Festzuhalten ist jedoch
bereits auf Grundlage der Abbildung 10, dass der mediale Gebrauch der Phrase auf
keinem einheitlichen Konsens basiert.
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
aufk
läre
nd
e B
eleg
e in
Pro
zen
t
Jahre
29
5.1.5.1 Das Jahr 1998
Eine öffentliche Auseinandersetzung mit Jedem das Seine wurde insbesondere durch die
Verwendung der Phrase in der Werbebranche vorangetrieben. So verwendeten
zahlreiche Unternehmen Jedem das Seine als eine Art Slogan, welcher auf die
individuelle Entfaltungsmöglichkeit des Kunden durch das jeweilige Produkt hinwies.
Den Präzedenzfall erfolgte im Jahr 1998, in welchem NOKIA mit dem Slogan „Jedem das
Seine. Mit Xpress-On Covers“ für die individuelle Gestaltung des Telefongehäuses warb.
Da das Mobiltelefon in verschiedenen Farben erhältlich war, sollte jeder Kunde die
Möglichkeit haben, sich sein Wunschgehäuse auszusuchen. Kritik kam insbesondere von
politischer Seite sowie von Wendy Kloke, der Sprecherin vom Berliner Büro des
American Jewish Committee. Kloke verwies auf die daraus resultierende Verhöhnung
der Opfer des Nationalsozialismus (TAZ.DE, 13.06.1998)47. Die in Kapitel 4.3.2 erwähnte
„historisch-politisch sensibilisierte Öffentlichkeit“ (KLENNER 2002:329) wurde in diesem
Fall ebenfalls aktiv. „Mehrere Anwohner aus Berlin haben angerufen und sich
beschwert“ bestätigte die Sprecherin der Deutschland-Zentrale von NOKIA (TAZ.DE,
13.06.1998). Die Werbung wurde daraufhin zurückgezogen und durch den Slogan „Was
ihr wollt“ (Shakespeare) ersetzt. Hieraus resultierte eine hohe mediale Aufmerksamkeit,
welche durch zahlreiche Berichterstattungen in deutschen, wie auch in ausländischen
Zeitungen48 erkennbar ist ((2)).
(2) NÜRNBERGER NACHRICHTEN, 15.06.1998
Der finnische Telekommunikationskonzern Nokia hat nach Protesten des American Jewish Committee und von Bündnis 90/Die Grünen seine Werbekampagne für Mobiltelefone mit dem Slogan "Jedem das Seine" in Deutschland sofort gestoppt. Die jüdische Organisation und die Grünen hatten die Einstellung der Plakataktion gefordert, weil der Spruch über dem Eingang zum Konzentrationslager Buchenwald hing. Unternehmenssprecher Tapio Hedman sagte in Helsinki, der Entschluß sei "postwendend" gefaßt worden. Der "makabre Hintergrund" […] sei aber wohl auch der jungen Generation in Deutschland nicht mehr bekannt.
47 Die Belege der TAGESZEITUNG beginnen im Korpus erst 2001. Daher wurden diese Belege manuell gesucht. http://www.taz.de/1/archiv/?dig=1998/06/13/a0072 (zuletzt eingesehen am 13.03.2017). 48 Im Ressort: In Kürze (KLEINE ZEITUNG (AUT)) oder Nebenbei (ST. GALLER TAGBLATT).
30
Aufgrund dieses Vorfalls setzen sich verschiedene Zeitungen sprachkritisch mit der Frage
auseinander, was mit historisch belasteten Wörtern und Wendungen geschehen soll
((3)).49
(3) SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 16.06.1998
[…] Die Kampagne wurde eingestellt, nicht aber die mit ihr verbundene alte Frage, was auf Dauer mit Wörtern oder Sätzen zu geschehen hat, die mit der nationalsozialistischen Hirnspaltung in Berührung kamen und seither quasi kontaminiert im Sprachraum herumstehen. Gibt es so etwas wie eine Halbwertszeit der Verderbtheit? Anders gefragt: Kann man das „Mädel” eines Tages wieder arglos im Munde führen, während der „Führer” oder das „Völkische” oder das vollends unselige „Arbeit macht frei” eine derart hohe Dosis ultrabrauner Strahlung abbekommen haben, daß sie definitiv ins Endlager abzuführen sind? […] Wenn die Panne von Nokia unserem Geschichtsbewußtsein in dem Punkt aufhalf, hatte sie ja auch ihren tieferen Sinn.
Auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung wurde hierdurch gefördert. So merkt
HEYL (1998:1) an, dass dieser Eklat „der erste Anlaß für die Hamburger Forschungs- und
Arbeitsstelle »Erziehung nach/über Auschwitz« [war], dem historischen Hintergrund
dieses Wortes weiter nachzugehen und diese kurze Dokumentation zu erstellen.“ Auch
BRODER (1999) wurde durch diese Werbemaßnahme aktiv, indem er das Buch „Jedem
das Seine“ veröffentlichte, in welchem er sich mit der Holocaustproblematik und dem
Umgang von Deutschen mit Juden auseinandersetzte.
Nur etwa einen Monat nach der Werbeaktion von NOKIA verwendete das Unternehmen
REWE die Phrase Jedem das Seine ebenfalls als Werbeslogan, um für individuelle
Grillmöglichkeiten zu werben. Initiator des Protests war in diesem Fall eine Privatperson,
die die FRANKFURTER RUNDSCHAU kontaktierte, wie (4) zeigt.
(4) FRANKFURTER RUNDSCHAU, 23.07.1998
Das Kölner Handelsunternehmen Rewe hat sich für einen Werbeslogan in einem Prospekt für seine Lebensmittelkette HL entschuldigt. Die FR hatte am Dienstag nach der Beschwerde einer Hanauer Kundin darüber berichtet. In dem mehrseitigen bunten Wurfzettel, der millionenfach an deutsche Haushalte ging, war für Ketchup und andere Zutaten mit dem Slogan "Grillen: Jedem das Seine" geworben worden. Die Übersetzung des Zitats von Cato dem Älteren ("suum cuique") war von den Nationalsozialisten mißbraucht worden; sie brachten es am Eingang zum Konzentrationslager Buchenwald an.
49 Für eine detaillierte Analyse der sprachkritischen Belege siehe Kapitel 5.3.3.
31
Die Empörung seitens der Medien fiel bei REWE jedoch wesentlich geringer aus als bei
NOKIA. Das belegen die statistischen Werte des Korpus. So berichteten acht verschiedene
Zeitungen über den Vorfall mit NOKIA. Bei REWE hingegen sind es nur zwei. Die
Inszenierung oder Veröffentlichung eines Skandals mit derselben Thematik, innerhalb
einer kurzen Zeitspanne scheint weniger medienwirksam zu sein. Im Jahr 1999 warb der
Konzern BURGER KING in Erfurt ebenfalls mit der Phrase. Eine mediale
Auseinandersetzung fand ebenso wie bei REWE nur bei zwei Zeitungen statt.
5.1.5.2 Das Jahr 2001
Das Jahr 2001 markiert mit 45,57 Prozent Aufklärungsrate das drittstärkste Jahr
hinsichtlich dieses Parameters. Wie bereits für das Jahr 1998 beschrieben, beläuft sich
die hohe Rate hier ebenfalls auf Verfehlungen verschiedener Unternehmen, sowie
zeitungsinterne Kritik. Sowohl die TELEKOM als auch die MÜNCHENER MERKUR-BANK werben
mit der Redewendung Jedem das Seine. Analog zu der Berichterstattung von 1998 bei
NOKIA veröffentlichen alle größeren Zeitungen des Korpus einen Bericht zu den
Werbemaßnahmen und geben einen groben geschichtlichen Kontext um die Phrase
herum ((5) und (6)).
(5) MANNHEIMER MORGEN, 05.01.2001
Kunden der Münchner Merkur-Bank haben unterdessen entsetzt auf einen Werbespruch der Bank mit dem Spruch "Jedem das Seine" reagiert. Die Nationalsozialisten hatten diese Worte am Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar angebracht, um die Häftlinge zu verhöhnen. Thüringer Filialen der Bank in Weimar und Jena hätten die Werbeaktion gestoppt, bestätigte der Niederlassungsleiter in Weimar einen Bericht der "Thüringischen Landeszeitung". Bei der Münchner Zentrale der Bank hatte zunächst niemand die Problematik des Slogans registriert.
(6) THÜRINGER ALLGEMEINE, 05.01.2001
Der Ausspruch stammt von Marcus Porcius Cato, der im zweiten Jahrhundert vor Christus den römischen Rechtsspruch prägte: Soweit es an mir liegt, soll jeder das Seine nutzen und genießen dürfen suum cuique. Auf Befehl des Kommandanten des KZ Buchenwald wurde der Spruch 1938 im Tor des Konzentrationslagers auf zynische Weise verewigt Jedem das Seine.
32
Die sprachkritische Auseinandersetzung wird auch im Jahr 2001 von verschiedenen
Printmedien vorangetrieben. Eine Konsequenz oder Schlussfolgerung wird hier jedoch
ebenfalls nicht erzielt. Die Problematik des Umgangs mit nationalsozialistisch belasteter
Sprache wird somit erkannt und kontrovers diskutiert, doch wie auch BRUNNSEN
(2010:290) feststellt, „ist es den Deutschen [bis heute] nicht überzeugend gelungen,
einen verbindlichen gesellschaftlichen Konsens über den angemessenen Umgang mit
nationalsozialistisch belasteten Wörtern und Wendungen herzustellen.“ In (7) wird
ebenfalls festgestellt, dass die Verwendung der Phrase nicht verboten sei. Dieser
Umstand macht einen potenziellen Konsens noch schwieriger.
(7) SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 26.02.2001
Was ging, fragte sich die Elite der Nachdenklichen, in Köpfen wie denen der Herren der Münchner Merkur-Bank vor, die eine Werbebroschüre mit „Jedem das Seine” verzieren wollten? Wer hat sie gezwungen? Die Polizei war es nicht, denn noch ist es nicht verboten, der Erinnerung unsensibel zu begegnen […].
In (8) wird die unbedarfte Verwendung mit der Unwissenheit zum NS-Kontext verknüpft.
Mangelnde Kenntnis oder unzureichendes Geschichtsbewusstsein bezüglich der Phrase
zeigt sich somit ebenfalls in den Redaktionen verschiedener Zeitungen. Weiterhin wird
durch die wiederholte Verwendung der Phrase bewusst, dass die sprachkritische
Auseinandersetzung mit Jedem das Seine zwar fördernd für die Kenntnis der
Gesellschaft ist, jedoch kein kollektives Bewusstsein hieraus erschaffen werden kann.
(8) FRANKFURTER RUNDSCHAU 22.02.2001
Die Deutsche Telekom AG hat in einer Broschüre mit dem von den Nationalsozialisten missbrauchten Spruch "Jedem das Seine" Werbung für ihre Telekommunikations-Angebote gemacht. Ein Sprecher des Unternehmens bestätigte dies am Mittwoch und bedauerte den Vorgang. Der Spruch sei offenbar aus Unwissenheit der Werbetexter verwendet worden. Die Broschüre sei in 15 Millionen Exemplaren deutschlandweit verteilt worden. Der auf die griechische und römische Philosophie zurückgehende Ausdruck "Jedem das Seine" sollte ursprünglich ein System der Gerechtigkeit beschreiben. Die Nationalsozialisten hatten ihn später zynisch am Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald angebracht. Der Spruch ist schon mehrfach in Werbungen verwendet worden.
Auch HEYL (1998:4) stellt fest, dass es zahlreiche Verwendungen der Phrase durch
Personen oder Institutionen gibt, die sich der „historisch-politischen Aufladung“ nicht
einmal bewusst sind.
33
5.1.5.3 Das Jahr 2009
Im Jahr 2009 wurden 63,74 Prozent der Belege von Jedem das Seine in Verbindung mit
einem nationalsozialistischen Hintergrund gebracht. Anzumerken ist, dass das Jahr 2009
gleichzeitig das Jahr mit den meisten Belegen ist. Betrachtet man die einzelnen Belege
des Jahres, so lassen sich verschiedene gesellschaftliche Aspekte festmachen, die zu der
hohen Aufklärungsrate führen. So besuchten der amerikanische Präsident Barack
Obama und die Bundeskanzlerin Angela Merkel die Gedenkstätte Buchenwald am
05.06.2009, um den Opfern des Nationalsozialismus zu gedenken. Alleine 23 der 109
Belege, die über den nationalsozialistischen Hintergrund aufklärten, beziehen sich auf
diese Domäne. So auch die NÜRNBERGER NACHRICHTEN in (9).
(9) NÜRNBERGER NACHRICHTEN, 04.06.2009
Wenn morgen Nachmittag der amerikanische Präsident Barack Obama zusammen mit Kanzlerin Merkel von Dresden aus in Buchenwald eintreffen wird, lebt dieser Teil der deutschen und der amerikanischen Geschichte wieder auf. Aus dem Lager mit der zynischen Aufschrift „Jedem das Seine“ am Eingangstor ist eine Gedenkstätte geworden.
Ebenfalls im Jahr 2009 feierte die Kunstschule Weimar ihr 90-jähriges
Gründungsjubiläum. Da Franz Ehrlich das schmiedeeiserne Tor mit der Inschrift entwarf
und die Gedenkstätte Buchenwald ihn mit einer Sonderausstellung würdigte, wurde
auch diese Thematik, wie auch in (10) von verschiedenen Zeitungen aufgegriffen.
(10) SAARBRÜCKER ZEITUNG, 03.08.2009
Die KZ-Gedenkstätte Buchenwald erinnert seit gestern an den Bauhaus-Architekten und Widerstandskämpfer Franz Ehrlich (1907-1984). Im Mittelpunkt der Sonderschau im Neuen Museum (bis 11. November) steht das schmiedeeiserne Lagertor des Konzentrationslagers mit der zynischen Inschrift "Jedem das Seine". Der KZ-Häftling Ehrlich hatte sie im Auftrag der SS gestaltet, jedoch im Bauhausstil. Für Gedenkstätten-Direktor Volkhardt Knigge ist dieser Rückgriff auf die von der NS verfemte moderne Kunst ein Akt des Nein-Sagens und des bewussten Widerstands.
Weil das Tor des ehemaligen KZ-Buchenwalds für die oben beschriebene
Sonderausstellung ebenfalls ausgebaut und nach Weimar gebracht wurde, finden sich
hierzu ebenfalls zahlreiche Zeitungsartikel, von denen einer in (11) exemplarisch
dargestellt wird.
34
(11) THÜRINGER ALLGEMEINE, 21.07.2009
Zum ersten Mal in der Geschichte der Gedenkstätte Buchenwald hat das Symbol gewordene Lagertor des einstigen KZ mit der Inschrift Jedem das Seine den Ettersberg verlassen. Es zog vorübergehend in das Neue Museum Weimar, wo es ab August in der Ausstellung Franz Ehrlich. Ein Bauhäusler in Widerstand und Konzentrationslager zu sehen ist. In der Gedenkstätte wurde eine Kopie eingesetzt.
Dass sich im Jahr 2009 eine erhöhte Zahl an Belege findet, die über den
nationalsozialistischen Hintergrund der Phrase aufklären, liegt nicht einzig und allein an
Belegen, die sich auf die Gedenkstätte Buchenwald beziehen. So wurde ebenfalls eine
Werbekampagne der Schüler-Union50 sowie der Unternehmen TCHIBO und ESSO
veröffentlicht, die insbesondere medial kritisiert wurden. TCHIBO und ESSO warben
gemeinsam mit dem Slogan „Jedem den Seinen“ für verschiedene Kaffeesorten an
Raststätten. 23 der 109 Belege beziehen sich auf diese Thematik. Analog zu
vorangegangenen Verfehlungen verschiedener Unternehmen wird der Gebrauch
nationalsozialistisch belasteter Sprache auch diesmal wieder sprachkritisch erörtert. Die
affektive Reaktion auf Verfehlungen bei Werbemaßnahmen ist also immer gegeben.
Dass dies jedoch keine sonderlich hohe Wirkung hat, zeigt Kapitel 5.1.5.5.
5.1.5.4 Die Jahre 2014 und 2015
Im Jahr 2014 wurde das restaurierte Lagertor der Gedenkstätte Buchenwald
wiedereingesetzt. Hierzu gibt es zahlreiche Pressemeldungen, die über das Ereignis
selbst berichten, jedoch ebenfalls den Diskurs kontextualisieren und die Geschichte des
KZ-Buchenwalds beschreiben. Auch wenn das Einsetzen des restaurierten Lagertors die
Meldung erst bedingt, so wird durch Belege wie in (12) doch das gesellschaftliche
Bewusstsein zur nationalsozialistischen Vergangenheit der Phrase gestärkt.
(12) TRIERISCHER VOLKSFREUND, 15.05.2014
Mit den Worten "Jedem das Seine" wollte die SS Neuankömmlingen ihre angebliche rassische Minderwertigkeit und politischen Gegnern ihren Ausschluss aus der "deutschen Volksgemeinschaft" bewusst machen. Mehr als 250 000 Menschen aus vielen Nationen mussten bis zur Befreiung 1945 das Tor passieren; 56 000 kehrten nie in ihre Heimat zurück. Mai fand heraus, dass die dem Lagerinneren zugewandte Seite der Buchstaben unter den Nationalsozialisten
50 Die Werbekampagne mit dem Slogan „Nicht jedem das Gleiche, sondern jedem das Seine“ wurde durch den Jugendverband der SPD, den Jusos, kritisiert und dadurch medial rezipiert. Die mediale Reaktion wird eingehender in Kapitel 5.2.7 betrachtet.
35
achtmal überstrichen wurde, um sie lesbar zu halten - die Kehrseite aber nur ein einziges Mal.
Im Jahr 2015 wurde in der Gedenkstätte Buchenwald das 70-jährige Ende des
Nationalsozialismus gefeiert. Im Zuge der Feierlichkeiten werden zahlreiche persönliche
Schicksale durch Zeitungen veröffentlicht. Die Phrase wird wie in (13) nahezu
durchgehend als „zynische Inschrift“ gedeutet.
(13) MANNHEIMER MORGEN, 13.04.2015
„Ich wollte Hitler überleben“, sagt er auf die Frage, was ihn angetrieben hat, nicht aufzugeben. „Am 11. April wusste ich, ich habe Hitler überlebt.“ Damals vor 70 Jahren ertönte gegen 15.15 Uhr über die Lautsprecher des Lagers der ebenso lang ersehnte wie unglaubliche Satz: „Kameraden, wir sind frei!“ Seit diesem Tag steht die Turmuhr über dem Lagertor mit der zynischen Inschrift „Jedem das Seine“ auf 15.15 Uhr – zum Gedenken und zur Mahnung, dass der Schwur der Buchenwalder, den Nazismus mit seinen Wurzeln auszurotten, noch nicht erfüllt ist.
5.1.5.5 Die kontrastiven Jahre
Die Ergebnisse der Jahre 1997,2002, 2003, 2004 und 2013 (vgl. Abbildung 10) zeigen,
dass aus der medialen Berichterstattung zu bestimmten Ereignissen, Verfehlungen oder
sprachkritischen Anmerkungen keine längerfristige Wirkung erzielt werden konnte.
Während sich DIE TAGESZEITUNG beispielsweise am 08.11.2001 für den Gebrauch der
Phrase bei ihren Lesern entschuldigte (vgl. Kap. 5.3.2), verwendet sie sie in den
darauffolgenden Jahren achtmal, ohne auf nationalsozialistische Verwendung
hinzuweisen. Die Phrase wird bei diesen Belegen ebenfalls dreimal als Motto gedeutet.
Betrachtet man die Belege zum Jahr 2013 (Aufklärungsrate 10,77 Prozent), so wird
wiederholt deutlich, dass ein sprachlicher Konsens bezogen auf Jedem das Seine medial
nicht erschaffen werden konnte.
36
5.2 Thematische Domänen
In diesem Kapitel wird die hohe Variabilität der Phrase hinsichtlich ihrer Bedeutung,
ihres Nutzens in verschiedenen Domänen sowie ihrer pragmatischen Funktionen
dargestellt. Im Verlauf des Kapitels 5 wird zwischen zwei großen Verwendungsweisen
der Phrase unterschieden. Kapitel 5.2.3 - 5.2.10 befasst sich mit Belegen, in denen die
Phrase funktional in den Kotext miteingebunden ist. Kapitel 5.3 untersucht darauf
aufbauend die metasprachlichen Belege.
Alle Korpusbelege wurden einer Domäne zugewiesen. Aufgrund der Vielzahl der
Domänen können sie jedoch potenziell zu Hyperonymen zusammengefasst werden. So
ergeben die Domänen Film, Unterhaltung (Fernsehen), Journalismus und Internet das
Hyperonym MEDIEN.51 Abbildung 11 zeigt die 20 häufigsten Domänen des Korpus.
Abbildung 11: Thematische Domänen
Hierbei muss beachtet werden, dass die Zuweisung der Domänen zu einzelnen Belegen
nach keinem stringenten Muster verläuft. Während gewisse Domänen sehr vage und
unbestimmt sind (Gesellschaft, Recht, Kultur) beziehen sich andere explizit auf einen
Diskurs (Werbung TCHIBO/ESSO). Weiterhin gibt es Belege, die durchaus mehreren
Domänen hätten zugewiesen werden können. Als weiteres zu differenzierendes
Merkmal muss beachtet werden, dass sich manche Domänen fast ausschließlich
metasprachlich auf die Phrase beziehen (Buchenwald, Sprachkritik), während andere
51 Diese Klassifikation ist jedoch für die vorliegende Arbeit von keiner Bedeutung und wurde lediglich für potenziell weiterführende Analysen angelegt.
220
10378 72
58 53 48 45 38 37 37 34 34 32 30 29 23 23 23 22 22 20
0
50
100
150
200
250
An
zah
l Bel
ege
Thematische Domänen
37
funktional in den jeweiligen Kotext eingebunden sind. Die Aussagekraft der
thematischen Zuordnung muss zum Teil relativiert werden. Sie eignet sich jedoch
sowohl für die Erkenntnis, dass die Phrase vielfältig einsetzbar ist, als auch für die
Kategorisierung der nachfolgenden Kapitel.
5.2.1 Aufklärungsrate nach thematischen Domänen
Die Analyse der Aufklärungsrate nach thematischen Domänen macht aber eines sehr
deutlich. Der nationalsozialistische Kontext wird nahezu nie erwähnt, wenn die Phrase
funktional in den Kontext eingebaut ist. Gerade in den Domänen Sport, Wirtschaft und
Bildung, die im Korpus häufig vertreten sind, findet eine Aufklärung so gut wie nicht
statt.
Abbildung 12: Aufklärungsrate nach thematischen Domänen
Festzuhalten ist jedoch, dass es einen Grund dafür gibt, dass die Phrase in den
erwähnten Domänen so häufig verwendet wird. Die Phrase ist auf vielfältige Weise dazu
prädestiniert, Sachverhalte oder Entitäten zu beschrieben oder zu bewerten. Demnach
erfüllt die Phrase eine gewisse Funktion in den Texten. Nachfolgend sollen die
allgemeinen pragmatischen Funktionen von Phraseologismen zusammengefasst
werden.
100%94%
40%35%
21% 20% 17% 13%7% 7% 5% 5% 3% 1% 0 0 0 0
0%10%20%30%40%50%60%70%80%90%
100%
aufk
läre
nd
e B
eleg
e in
Pro
zen
t
Thematische Domänen
38
5.2.2 Funktionen von Phraseologismen
Die bereits erwähnten pragmatischen Funktionen lassen sich nach unterschiedlichen
Kriterien charakterisieren. So unterscheidet beispielsweise KOLLER (1977:70ff.) zwischen
zwei Oberkategorien der Funktionen. Zur ersten Gruppe gehören Redensarten, die
Sachverhalte, Situationen, Handlungen oder Beteiligte bewerten. Die zweite Gruppe
beinhaltet Redensarten, die die Beziehung zwischen Sprecher/Autor und Hörer/Leser
regulieren. So kann eine Redensart nach KOLLER (1977:70ff.) u.a. folgende pragmatische
Funktionen zwischen Autor und Leser erfüllen:
- Vereinfachungsfunktion (Reduzierung der Komplexität)
- Übertragungsfunktion, Plausibilitätsargumentation (Darstellung von komplexen
Zusammenhängen durch Situationen der Alltagswelt)
- Argumentations-Ersparungsfunktion (durch Verwendung der Redensart erübrigen
sich weitere Argumente)
- Unschärfefunktion (Vagheit)
- Funktion als Handlungsanweisung, Situationsorientierung, Situationsbewältigungs-
muster (empfiehlt dem Leser eine gewisse Positionierung oder Handlung)
Die Phrase ist dann als argumentative Stütze zu betrachten, die dem Verfasser hilft,
seine Ziele, bezogen auf den Leser, zu verwirklichen. RÖHRICH/MIEDER (1977:81) nennen,
wie bereits in Kapitel 3 beschrieben, die Funktionen der „Warnung, Überredung,
Mahnung, Zurechtweisung, Feststellung, Charakterisierung, Erklärung, Beschreibung,
Rechtfertigung, Zusammenfassung etc.“, die Sprichwörter erfüllen können. Viele dieser
Funktionen sind Spezifika der von KOLLER (1977:72) beschriebenen Funktion als
Handlungsanweisung, Situationsorientierung und Situationsbewältigungsmuster.52 Dass
die Oberkategorien nicht strikt voneinander zu trennen sind, zeigt die Wertungs- und
Bewertungsfunktion. Sie gehört sowohl zur ersten Gruppe der Bewertung als auch zur
zweiten Gruppe, da man unter Umständen zum Ausdruck bringt, dass man ein gewisses
Verhalten nicht billigt. Darauf aufbauend dient die Redensart dann fakultativ als
Handlungsanweisung für den Leser und nach RÖHRICH/MIEDER (1977:81) als Warnung
oder Mahnung. Es wird bereits hier deutlich, dass die verschiedenen Funktionen nicht
52 Die Funktionen kann man weiterführend mit den von LÜGER (1999:182) definierten zentralen Handlungsmustern satzwertiger Phraseologismen vergleichen.
39
isoliert voneinander betrachtet werden können. Wichtig ist ebenfalls, dass sich die
Funktionen „immer erst aus dem Kotext/Kontext“ heraus bestimmen lassen und „je
nach Text/Situation/Redekonstellation in denen sie gebraucht werden,
unterschiedliche[n] Funktionen oder Funktionsbündel[n] (eine bestimmte Redensart […]
kann zugleich mehrere Funktionen haben) zugeordnet werden“ können (KOLLER
1977:69). Nachfolgend soll die Polyfunktionalität der Phrase Jedem das Seine in
verschiedenen Domänen dargestellt werden. Denn diese wurde in den Hypothesen als
ein wichtiger Faktor erachtet, warum Jedem das Seine eine hochfrequente Verwendung
vorweisen kann. Gerade die Domäne Sport erweist sich aufgrund vielfältiger Funktionen
und variierender Semantik der Phrase als besonders erkenntnisreich.
5.2.3 Die Domäne Sport
Die Domäne Sport ist mit 78 Belegen die dritthäufigste im Korpus. Keiner der Belege
weist auf einen nationalsozialistischen Hintergrund hin. Die Phrase wird bei dieser
Domäne u.a. dafür verwendet, um auf die hohe Individualität einer Person, eines
Vereins oder Ähnlichem gegenüber einer anderen Entität zu verweisen.
(14) DIE PRESSE, 28.12.1991
Jeder seiner Springer bereite sich mental spezifisch vor, "jeder hat sein System!" Da schlägt in Innauer der Individualist durch, der jeden nach dessen Facon glücklich werden läßt. "Grundsätzlich aber wird so gearbeitet, daß jeder in einem Großwettkampf auch allein bestehen kann!" Die Emanzipation auch der Jungen sei weit vorangeschritten, daß sie bei den Routiniers ausgeprägt sei, verstehe sich von selbst. Zum Beispiel bei Andi Felder, neuerdings als Vogel-V unterwegs, Sechster in Courchevel. "Das war noch lange nicht das Ende. Ich erwarte mir bei der Tournee weitere Aufschlüsse!" Felder macht die Schere, Horngacher hingegen hat sie geschlossen. Jedem das Seine.
Der Verfasser von (14) beschreibt die individuelle Vorbereitung der Skispringer mit den
Wendungen „jeder hat sein System“ und „nach dessen Facon“. Während die genannten
Wendungen auf die allgemeine Individualität einer Entität und lediglich implizit auf
Unterschiede verweisen, differenziert Jedem das Seine explizit zwischen zwei
Sachverhalten, in diesem Fall zwischen dem Absprung der beiden Skispringer („Felder
macht die Schere, Horngacher hingegen hat sie geschlossen“). Die Phrase kann somit als
sprachliches Mittel zur kontrastiven Kategorisierung dienen. Analog dazu wird das im
Text beschriebene unterschiedliche Verhalten gerechtfertigt. Dass jeder das Seine
40
macht, legimitiert unterschiedliche Verhaltensmuster, da es das Seine und somit einer
Person inhärent ist. Die beschriebene Funktion der kontrastiven Kategorisierung kann
sowohl textinitial (15)53 wie auch textfinal54 (17) realisiert werden.
(15) RHEIN-ZEITUNG, 29.10.2002
Jedem das seine: Während die einen auf Mountainbikes, Inline-Skates oder in Wanderschuhen jede Sekunde des Spätsommers auskosten, können es passionierte Skifahrer und Snowboarder kaum erwarten, wieder den Schnee stauben zu lassen.
Während in (16) lediglich eine Kategorisierung der Ausgangslagen zweier Vereine
erfolgt, wird in (15) und (17) kontrastiv zwischen unterschiedlichen Interessen
kategorisiert (Sommer- vs. Wintersportler und Eiskunstlauf vs. Eishockey). Mit Hilfe der
Phrase werden diese unterschiedlichen Interessen jedoch zeitgleich legitimiert.
Die Phrase kann somit als argumentative Stütze angesehen werden. So beschreibt auch
LÜGER (1999:226): „Satzwertige Phraseologismen treten vielfach in Textpassagen auf, die
man in ihrem Zusammenhang als Konklusion (claim) oder These einer Sequenz/eines
Textes betrachten kann.“ Fungiert die Phrase in (15) als textinitiale These55, für die dann
„zur Begründung bzw. Rechtfertigung jeweils bestimmte Daten (data) oder Fakten
angegeben werden“ (LÜGER 1999:226)56, so kann sie in (16) und (17) als „wirkungsvolle
Präsentation der für den Text entscheidenden Konklusion“ (LÜGER 1999:226) angesehen
werden. Die Phrase hat somit auch wichtige textlinguistische Funktionen inne, die in
Kapitel 5.2.4 genauer untersucht werden.
(16) DER TAGESSPIEGEL, 11.04.2004
[…] Der Rest war für Dortmund Ergebnis-Verwaltung. "Wir haben im Spiel nach vorne viele Bälle schon nach dem dritten oder vierten Ballkontakt wieder verloren", monierte HSV-Trainer Toppmöller. Die Gastgeber hatten im Verlauf der 90 Minuten nur zwei halbwegs verwertbare Chancen, die beste unmittelbar nach dem 0:2 durch eine Gemeinschaftsaktion von Barbarez und Romeo. Aber ein Tor hatten die Hamburger für ihre hilflosen Bemühungen wohl kaum verdient. Während die Dortmunder ohne den nach fünf Gelben Karten gesperrten Stefan Reuter nun im
53 Die Phrase stellt hier jedoch nicht die Überschrift dar. Diese lautet: „Wo der Schnee schon staubt Auf den Gletschern surren die Lifte - Zwei Vorschläge fürs Skivergnügen“. Der Fließtext wird somit durch Jedem das Seine eingeleitet. 54 Bei (14) ist die Phrase zwar aufgrund der in Kap. 5.1.1 beschriebenen Methodik textfinal dargestellt, es folgt danach jedoch ein weiterer Absatz. 55 LÜGER (1999:228) geht bei seiner Definition als These von einem textfinalen Gebrauch als Schlussregel aus. Bezogen auf Jedem das Seine ergibt eine textinitiale Definition jedoch ebenfalls Sinn. 56 LÜGER (1999:226) geht in diesem Fall nach dem Argumentationsschema von TOULMIN vor.
41
Spitzenspiel auf den FC Bayern treffen, setzt sich der HSV am nächsten Samstag mit dem Abstiegskandidaten 1860 München auseinander. Jedem das Seine eben.
(17) SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 12.07.1997
Ein Nachmittag auf der Kunsteisbahn Eglisee: Eine homogen wirkende Mädchen-Gruppe, Hand in Hand, die unter der Aufsicht einer Leiterin zum graziösen «Ringel, Ringel, Reihe» ansetzt. Auf dem hinteren Eisfeld die Knaben, die ihre Kräfte im brachialen Eishockeysport messen. Jedem das Seine eben.
Die Domäne Sport bietet zahlreiche solcher Belege, die mit Hilfe der Phrase
unterschiedliche Beweggründe sowie polarisierende Interessen legitimieren. Geht man
von der Definition von RÖHRICH/MIEDER (1977:81) aus, so könnte man der Phrase bereits
hier verschiedene pragmatische Funktionen zuweisen. So ist sie als Rechtfertigung,
Legitimation, Argument aber auch außerhalb der Definitionen als Kategorisierung zu
verstehen. Die Funktion der Rechtfertigung wird in (18) noch substanzieller, da eine von
gesellschaftlichen Normen abweichende Situation beschrieben wird, die beim Leser
legitimiert werden soll.
(18) DIE PRESSE, 07.08.1998
Je schriller, umso besser. Bei den Gay Games in Amsterdam legt es manch einer darauf an, die Realität möglichst bizarr zu betonen, um den Eindruck einer Parodie gar nicht aufkommen zu lassen. Wie jener Amerikaner, der einen "Tunten-Tanz" zum Besten gab. Jedem(r) das Seine oder frei nach Shakespeare: Wie es Euch gefällt oder Was ihr wollt?
BURGER (2010:28) definiert für gesprächsspezifische Phraseologismen die fakultative
Funktion „als abrufbare Einheiten zur Bewältigung wiederkehrender kommunikativer
Aufgaben, insbesondere in exponierten bzw. kritischen Phasen der Kommunikation zur
Verfügung [zu] stehen“ (vgl. KOLLER 1977:70 Redensart als
Situationsbewältigungsmuster).57 Während sich diese Definition prinzipiell auf
mündliche Kommunikation bezieht, wird im obigen Beispiel deutlich, dass die
außergewöhnliche Situation des „Tunten-Tanzes“ mit Hilfe der abrufbaren Einheit
legitimiert wird. Weiterhin wird Jedem das Seine noch mit den Worten Shakespeares
„Wie es Euch gefällt oder Was ihr wollt?“ paraphrasiert. Die Semantik der Phrase wird
in diesem Beleg somit nochmals paraphrasiert. Die Legitimation wird sowohl durch die
Berufung auf eine Autorität (Shakespeare) als auch durch die Verwendung der Phrase
57 Dieser Faktor wird ausführlich in Kapitel 5.2.10.1 behandelt.
42
Jedem das Seine erzielt. Denn „eine durch einen Phraseologismus gestützte
Argumentation zu bestreiten, stellt ein kommunikatives Problem dar. Sprichwörter,
Gemeinplätze, Truismen usw. gelten als zur Sprache gewonnene Wahrheiten“
(BECKMANN 1991:89). KOLLER (1977:140) definiert diesen Aspekt bei Redensarten als
„Argumentations-Ersparungsfunktion“. „Weitere Argumente und eine weiterführende
Analyse braucht es nicht, weil mit einem intuitiv-unmittelbaren Verständnis und
Einverständnis gerechnet werden kann.“ Der Leser wird somit besänftigt. Der Verfasser
gibt zeitgleich zu verstehen, dass er das beschriebene Verhalten billigt. Gerade erst
durch den Aspekt der „gewonnenen Wahrheit“, die BURGER (2010:108) als vom Sprecher
und Hörer akzeptierte „Formulierung einer generellen Regel“ (soziale Funktion bei
GRZYBEK (1984:225)) definiert, kann Jedem das Seine überhaupt die pragmatischen
Funktionen58 der Rechtfertigung, Legimitierung, Besänftigung etc. erfüllen. Dass diese
Formulierung einer generellen Regel auch auf Jedem das Seine zutrifft, zeigt sich bereits
in der Domäne Sport. So leiten zahlreiche Belege die Verwendung der Phrase mit den
nachfolgenden Worten ein (drei Belege werden hier exemplarisch gezeigt):
(19) STUTTGARTER NACHRICHTEN, 12.12.2013
'Es ist einfach das speziellere Snowboarden', sagt Isabella Laböck über ihre Disziplinen Parallel-Slalom und Parallel-Riesenslalom, die in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren haben. Nun gilt ja ganz generell: Jedem das Seine. Probleme gibt es dennoch. Zum Beispiel beim Blick auf den Renn-Kalender.
(20) TIROLER TAGESZEITUNG, 09.05.2011
„Da sollen die Mütter doch mit den Kindern zusammen sein. Ab der U 15 liegt die Regelung alleine bei den Vereinen", gewährt TFV-Geschäftsstellenleiter Gerhard Neurauter einen Einblick in (s)eine Sicht der Dinge. Selbst die Theorie – „am Muttertag haben wir sogar mehr Zuschauer" - sei vorhanden. Und wie immer gilt - jedem das Seine.
(21) BASLER ZEITUNG, 15.04.2008
Unerlaubte leistungsfördernde Mittel machen also überall Sinn - es gilt einfach die Regel: jedem das Seine. Oder anders gesagt: Anabolika hätten Gary Kasparow am Brett so wenig genützt wie Sprinter Ben Johnson im Startblock die Einnahme von Tranquilizern.
58 BURGER (2010:108) nennt die pragmatischen Funktionen „kontextuelle Funktionen“.
43
Jedem das Seine ist demnach etwas, was immer gilt und eine Regel darstellt. Sie ist somit
universell einsetzbar und hat – wie sich in den nachfolgenden Kapiteln noch zeigen wird
– nicht nur in der Domäne Sport Geltungsanspruch.
Eine von den Überzeugungen des Verfassers abweichende Herangehensweise kann
ebenfalls mit der Phrase legitimiert werden ((22)). Mit Hilfe der Phrase kann somit eine
Konsensbildung zwischen verschiedenen Entitäten erzielt werden, obgleich die
Interessen, Ideen oder Meinungen logisch betrachtet nicht übereinstimmen.
(22) BASLER ZEITUNG, 01.09.2005
«free solo climbing». Im Gegensatz zum gewöhnlichen Sportklettern, dem «free climbing», bei dem ohne technische Hilfsmittel - aber mit Seil - geklettert wird, geht der Free-Solo-Kletterer ohne jegliche Sicherung an die Wand. «Wenn jemand diesen Kick braucht, okay, jedem das seine. Aber ich lebe dafür viel zu gerne», sagt Eyer.
Fakultativ kann auch offengelassen werden, ob die von eigenen Überzeugungen
abweichende Situation gleichzeitig legitimiert wird. In (23) entzieht sich der Verfasser
durch die Verwendung der Phrase einer Bewertung der vorher beschriebenen Situation.
Die Sprechereinstellung (vgl. BURGER 2010:198) wird nicht deutlich. Der Verfasser
entgeht dadurch einer potenziellen Konfrontation.
(23) DIE PRESSE, 13.07.1994
Eineinhalb Autostunden weiter sonnten sich die Bulgaren im Hotel Scanticon. Kein Medien-Auflauf, kein Pressetermin, kein Training, keine Hektik, kein lautes Wort. Süßes Nichtstun am Pool, da und dort wird geraucht, die Nacht des Jubels mit Festessen, Champagner, Toast und Disco-Fever bis 3 Uhr morgens sozusagen ausgeblasen. "Das paßt genau in unser Konzept", sagt Teamchef Penew. "Hauptsache, wir haben Spaß und erholen uns gut, um gegen Italien frisch zu sein." Jedem das Seine.
Semantisch betrachtet ermöglicht die Phrase hier einen hohen Grad an Vagheit (vgl.
BURGER 2010:80), welche durch sogenannte Leerformeln realisiert wird und je nach
Kontext definiert werden kann. Die semantische Vagheit bedingt sich ebenfalls durch
die fehlende textlinguistische Einbettung, da die Phrase durch kein lexikalisches Element
an den Kontext angeschlossen ist. Während „a specific context will reveal what the
proverb wants to say“ (MIEDER 2007:396), so ist es ebenfalls möglich, semantische sowie
funktionale Aspekte der Phrase völlig offen zu lassen. Das ist auf funktionaler Ebene
auch deshalb möglich, weil „ein Phraseologismus, je nach Verwendung, auch völlig
44
unterschiedliche Funktionen ausfüllen“ (LÜGER 1999:140) kann. Eine genauere Definition
des Vagheitscharakters der Phrase wird in Kapitel 5.2.5 vorgenommen.
Festzuhalten ist jedoch, dass die Phrase in der Domäne Sport oftmals eine Wertungs-
und Bewertungsfunktion innehat (KOLLER 1977:72), die dann wie bereits berschrieben
rechtfertigt, legitimiert und besänftigt. Es zeigt sich bereits in diesem Kapitel eindeutig,
dass die Phrase die in Kapitel 4.2.2 beschriebenen Funktionen erfüllt. Sie vereint die
Bewertung einer Situation oder Handlung mit der Regulierung der Beziehung zwischen
Verfasser und Leser.
5.2.4 Die Domäne Werbung/Werbungsannoncen
In diesem Kapitel werden sowohl die
großangelegten Werbungen sowie kleinere
Werbeannoncen in Zeitungen hinsichtlich
ihrer Semantik, Pragmatik sowie
textlinguistischer Anpassung untersucht. Es
soll hier keine dezidierte Analyse der
Werbung erfolgen, sondern lediglich
aufgezeigt werden, dass die Phrase Jedem das
Seine vielfältige Verwendungsmöglichkeiten in
der Werbung aufweist. Anzumerken ist, dass alle bildlichen Darstellungen bis auf die
Werbung von IKEA medial kritisiert wurden und zurückgezogen wurden. Dass
Phraseologismen in der Anzeigenwerbung ein beliebtes Mittel sind, um Aufmerksamkeit
zu erhalten, wurde u.a. von JANICH (2005), LÜGER (1999:167ff.) und KOLLER (1977:174ff.)
herausgearbeitet. LÜGER (1999:174) bezieht sich hierbei insbesondere auf die
Modifikation59 von Phraseologismen und stellt gerade diese als Instrument zur
Aufmerksamkeitssteuerung heraus. Betrachtet man jedoch zunächst eine
Werbeanzeige, die mit der lexikalisierten Form des Phraseologismus wirbt (vgl.
Abbildung 13), so wird deutlich, dass die erste erzeugte Aufmerksamkeit beim
Rezipienten durch die gegebene sprachliche Repräsentation (Schriftgröße) zustande
59 Zu unterscheiden sind Modifikation und Variation. BURGER (2010:26) definiert Variationen als usuelle Erscheinungen.
Abbildung 13: Werbung BURGER KING
45
kommt. Die Phrase weicht somit vom restlichen
Text ab und kann als eigenständiger Mikrotext
verstanden werden (BURGER 2010:108). Aufgrund
der Vagheit oder Generizität (vgl. LÜGER 1999:168)
der Phrase erfolgt dann das weiterführende
Interesse, da erst einmal nicht ersichtlich ist, was
„das Seine“ ist. Die argumentative Funktion ist also
bei der Werbung von BURGER KING (Abbildung 13)
sekundär. Anders verhält es sich bei der
Anzeigenwerbung von NOKIA (Abbildung 14). Die
Phrase wird als argumentative Stütze eingesetzt,
während die Aufmerksamkeitssteuerung durch das
Bild vorgenommen wurde. Mit Hilfe der Phrase wird argumentiert, dass jedem Kunden
das passende Gehäuse geboten werden kann. Die Vagheit der Phrase wird dadurch
aufgelöst und die argumentative Funktion entfaltet sich durch die Form des „All-Satzes“,
also die Möglichkeit Jedem das Seine (Gehäuse) geben zu können. Die Phrase ist
demnach auch eine implizite Handlungsanweisung (KOLLER 1977:72) des Verfassers an
den Kunden. Im Bereich der Werbung zeigen sich ebenfalls unterschiedliche
okkasionelle Modifikationen. „Im Unterschied zu den lexikographisch erfaßten
Varianten handelt es sich hier um ad hoc gebildete Veränderungen phraseologischer
Einheiten […], die noch nicht usuell geworden sind“
(LÜGER 1999:174). So beispielsweise bei AUSTRIAN
AIRLINES, die eine Modifikation der Phrase nutzten, um
für Flüge nach Paris zu werben (vgl. Abbildung 15).60 Die
Besonderheit einer Modifikation liegt in „der
Stimulierung von Aufmerksamkeit und Leseinteresse“
(LÜGER 1999:174). Sie hat hier somit die Fähigkeit,
aufmerksamkeitssteuernd (durch Schriftgröße und
Nichterfüllung der Erwartung „die Seine“ anstelle von
„das Seine“) und zusammen mit dem Bild argumentativ
60 Ein weiteres Beispiel wäre die Werbung von ESSO und TCHIBO, die mit dem Satz „Jedem den Seinen“ warben.
Abbildung 14: Werbung NOKIA
Abbildung 15: Werbung AUSTRIAN-
AIRLINES
46
zu wirken. Während das Seine zuvor unbestimmt war oder mehrere
Auswahlmöglichkeiten innehatte, wird nun Jedem eine Möglichkeit geboten und zwar
an die Seine zu fliegen. Betrachtet man die aus den Werbungen erzielte mediale
Wirkung (vgl. Kap. 5.1.5), so könnte man zu dem Entschluss kommen, dass sich die
Verfasser der Werbungen, ebenso wie bei NS-Vergleichen (SCHWARZ-FRIESEL 2013:199),
über die Inadäquatheit bewusst sind und die nationalsozialistisch belastete Phrase aus
Kalkül wählen. „Daß zu den Geschäftsbedingungen von Werbetextern nicht grade
Sensibilität für inhumane Assoziationen ihrer Slogans gehört, sondern bedenkenlose
Interessenwahrnehmung für die Warenproduzenten und -verkäufer, ist eine
Binsenwahrheit“ (KLENNER 2002:329).
Ein potenzielles Indiz für solch eine bewusste Verwendung könnte die Werbung von IKEA
sein (vgl. Abbildung 16 und Abbildung 17). Während im kanadischen Katalog mit dem
Satz „Your personal touch starts at the store“ geworben wird, verwendet das deutsche
Äquivalent die Phrase Jedem das Seine. Der darunterliegende Fließtext ist hingegen
nahezu gleich.
Dass hinter der wiederholten Verwendung einer missbrauchten Phrase tatsächlich
Kalkül stecken könnte, wird auch von der THÜRINGER ALLGEMEINEN in (24) unterstellt.
(24) THÜRINGER ALLGEMEINE, 15.01.2009
Tchibo und Esso haben eine gemeinsame Kampagne gestoppt, in der auf etwa 700 Plakaten mit dem Spruch Jedem den Seinen für eine große Kaffeeauswahl in Esso-Tankstellen geworben werden sollte. Die Nazis schrieben Jedem das Seine an das Tor zum KZ Buchenwald. Der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald-Dora, Volker Knigge, verurteilte gegenüber dieser Zeitung die Geschichtslosigkeit in der Werbebranche: Die Kombination aus Vergesslichkeit und Kaltschnäuzigkeit ist
Abbildung 16: IKEA Werbung Original Abbildung 17: IKEA Werbung Deutschland
47
deprimierend. Es passiert zu häufig, um nur ein Ausrutscher zu sein. Beide Firmen entschuldigten sich.
Da die gezielte und bewusste Verwendung jedoch nicht wissenschaftlich nachgewiesen
werden kann, bleibt diese Frage an dieser Stelle unbeantwortet. Was diese Anmerkung
jedoch legimitiert, ist die Tatsache, dass zahlreiche Unternehmen die Phrase nach 1998
(der ersten größeren Werbung von NOKIA) erneut verwendeten und dies immer wieder
mit geschichtlicher Unkenntnis begründeten. Die nachfolgend aufgelisteten Belege sind
kleinere Werbeanzeigen, die in den Zeitungen selbst erschienen sind. Mit Hilfe der
Phrase wird ebenso auf die individuelle Auswahlmöglichkeit des potenziellen Kunden
hingewiesen. Konträr zu den Werbemaßnahmen der größeren Unternehmen wird die
Verwendung der Phrase bei keiner der Zeitungsannoncen öffentlich kritisiert.
(25) NIEDERÖSTERREICHISCHE NACHRICHTEN, 06.07.2009
Bedienen Sie sich aus Ihrem persönlichen Wohlfühlkorb - für die Dauer des Aufenthaltes, gefüllt mit Bademantel und Saunatuch. Der Fitnessbereich des Life Resorts steht Ihnen exklusiv zur Verfügung. Sport oder Wellness: jedem das Seine. Beauty, Sport, Wellness, Kulinarik, Nordic Walking, Biken und Golfen, oder entspannt in der heißen Sauna, schwerelos im prickelnden Wasser schweben. Machen Sie einfach, was Ihnen gut tut.
Während in der Domäne Sport beschrieben wurde, dass die Phrase einen hohen Grad
an Vagheit sowie Leerformeln bietet, so zeigt sich ähnlich wie bei NOKIA, dass das Seine
im Verlauf der Anzeige von (25) definiert wird (Nordic Walking, Biken, Golfen). Das
Sprichwort ist somit nicht „indexikalisiert“, es enthält konträr zur allgemeineren
Definition nach LÜGER (1999:92) Verweise auf einen Sachverhalt. Durch die Phrase wird
demnach argumentiert, dass das Unternehmen die Fähigkeit hat Jedem Kunden das
Seine zuzuteilen. Die Auswahlmöglichkeiten sind konträr zu NOKIA (unterschiedliche
Gehäuse) noch wesentlich vielfältiger und belaufen sich auf verschiedene Aktivitäten.
Analog zur individuellen Auswahlmöglichkeit des Kunden werden durch die Phrase
ebenfalls individuelle Produkte beschrieben. In (26) wird dies durch die Anmerkung „es
wird in Bezug auf Größe, Gewicht und Körperbau exakt an den Körper des Kunden
angepasst“ deutlich. Auffällig ist, dass die Phrase in den Werbeannoncen oftmals
textinitial verwendet wird. Sie bietet somit analog zur Domäne Sport (vgl. (15)) und der
Werbung von BURGER KING (Abbildung 13) textinitial ausreichend Vagheit, um den
Rezipienten zum Weiterlesen zu ermutigen.
48
(26) AACHENER ZEITUNG, 20.10.2012
Jedem das Seine: Bettsysteme nach Maß Jeder Mensch ist individuell. Deshalb sollte sein Bett es auch sein. Das Bettenhaus Medorma in Heinsberg ist bereits seit 25 Jahren auf die perfekte und damit gesündeste Schlaflösung für jeden einzelnen seiner Kunden spezialisiert. Mit Ecco 2, bestehend aus flexiblem Federholzrahmen, Matratze und Nackenkissen, bietet das Fachgeschäft ein Bettsystem nach Maß. Es wird in Bezug auf Größe, Gewicht und Körperbau exakt an den Körper des Kunden angepasst. Schlafgewohnheiten werden berücksichtigt. Das Bettsystem passt sich dem Körper an, nicht umgekehrt.
In (27) stellt die Phrase die Schlussregel der Argumentation in der Überschrift dar. Sie
fasst die zuvor angebotenen Möglichkeiten (Traubenkernöl-Massage,
Schokoladenpackung etc.) treffend zusammen. Betrachtet man den gesamten Text, ist
die Phrase jedoch Teil der textinitialen Überschrift. Im Bereich der Werbeannoncen wird
Jedem das Seine nahezu ausschließlich textinitial verwendet.
(27) DIE ZEIT, 30.09.2004
Ob Traubenkernöl-Massage, Schokoladenpackung oder Wasser-Stretching, ob Toskana, Thüringen oder Niederbayern - jedem das Seine
In der Quelle liegt die Kraft. Das wussten schon die alten Römer, die sich im Herbst in den Thermalbädern der südlichen Toskana tummelten. Derart aufgemöbelt, ließ sich der raue Winter besser überstehen. Auf diesem kurmäßig historischen Boden findet auch der moderne Erholungssuchende Aufbauhilfe fürs Immunsystem. Das Wellness-Zentrum Terme di Saturnia, von der englischen Zeitschrift Travel & Leisure als »bestes Medical-Spa weltweit« gepriesen, verfügt über eine schier unerschöpflich sprudelnde Quelle und jede Menge Fantasie, das kostbare Nass zu nutzen. Mit dem prickelnden Heilwasser werden nicht nur die 37 Grad warmen Badebecken gespeist, es dient zudem als Grundstoff für die hauseigene Kosmetiklinie.
Der Gebrauch der Phrase ermöglicht es daher dem Kunden, die Erfüllung zwei zentraler
Bedürfnisse bieten zu können, die für wirkungsvolle Werbung essentiell sind. Man kann
damit einerseits einen hohen Grad an Individualität darstellen, gleichzeitig verfügt man
aber über die Fähigkeit, jedem Einzelnen das Geeignete bieten zu können. Auch VON DER
PFORDTEN (2004:10) sieht in der Phrase „einen normativen Individualismus: Nicht nur das
Kollektiv zählt ethisch, sondern jede einzelne zu berücksichtigende Person bzw. Entität.“
Die Zielgruppe der Werbung vergrößert sich daher um ein Vielfaches.
Nachfolgend soll der Gebrauch in der Domäne Politik analysiert werden. Während sich
viele Funktionen aus den vorangegangenen Domänen wiederfinden lassen, so gibt es
49
auch zahlreiche neue, die bisher noch nicht dargestellt wurden. Gerade der semantische
Kontrast zwischen Explizitheit in der Werbung und Vagheit in der Politik zeigt die
Vielfältigkeit der Phrase auf.
5.2.5 Die Domäne Politik
Der Domäne Politik wurden 103 Belege des Korpus zugewiesen. Sie ist somit die
zweithäufigste Domäne des Korpus. Sieben Belege klären über den
nationalsozialistischen Hintergrund der Phrase auf.61 In (28) wird eine bisher noch nicht
erfasste Funktion der Phrase beschrieben.
(28) DIE ZEIT, 19.05.1966
Auf solchem Niveau kann es keine ernsthafte politische Auseinandersetzung geben. Jedem das Seine – das heißt in diesem Falle: eine sachliche Diskussion mit Huyn lohnt nicht. Da hält sich, wer streiten will, schon lieber an Strauß oder Guttenberg. Bei ihnen gibt es die gleichen Ideen zu Schröders Politik im Original, und sie wissen wenigstens, wo im Kampf der Parteien die Linie zu ziehen ist: nämlich am Gürtel.
Während bei den vorangegangenen Belegen der Werbungsannoncen die Vielfältigkeit
von Optionen dargelegt wurde, wird hier durch die Phrase und den Zusatz „das heißt in
diesem Falle“ darauf verwiesen, eine mögliche Option – in diesem Fall eine Meinung
bzw. eine Person – zu exkludieren. Konträr zu (22) wird die von den eigenen
Überzeugungen abweichende Meinung nicht legimitiert. Die Person Huyn wird somit
gleichzeitig charakterisiert und negativ bewertet. Daraus ergibt sich eine Warnung (vgl.
RÖHRICH/MIEDER 1977:81), sich keiner Diskussion mit Huyn hinzugeben.
Der ambivalente Charakter der Phrase wird in der Domäne Politik offensichtlich. In
zahlreichen Belegen der Domäne wird mit Hilfe der Phrase auf Überzeugungen oder
Werte einer Partei oder Person verwiesen. Sie dient dann – je nach Intention – auch
einer positiven Bewertung (vgl. (29)).
(29) SAARBRÜCKER ZEITUNG, 19.05.2007
Müller: Sowohl SPD als auch CDU sprechen in ihren Programmen vom Grundwert der Gerechtigkeit. Der Unterschied besteht in der Ausfüllung dieses Begriffs. Bei Sozialdemokraten ist Gerechtigkeit in erster Linie identisch mit Ergebnis-Gleichheit.
61 Belege, die auf den Besuch Obamas und Merkels der Gedenkstätte Buchenwald verweisen (vgl. Kapitel 5.1.5.3) wurden nicht der Domäne Politik, sondern der Domäne Buchenwald zugewiesen.
50
Die SPD sagt: "Jedem das Gleiche." Wir sagen: "Jedem das Seine." Die Union versteht Gerechtigkeit vor allem als Chancengerechtigkeit. Wenn aber die gleichen Chancen für alle herbeigeführt sind, gibt es die Kategorie der Eigenverantwortung. […].
Möglich ist das gerade wegen der von BURGER (2010:80) definierten Vagheit eines
Phraseologismus. „Vagheit liegt vor, wenn die Bedeutung eines Ausdrucks […] ein
breites Spektrum konkretisierender Vorstellung […] eröffnet“ (KLEIN 2014:225).62 Welche
Konsequenz aus der Phrase für die Definition von Gerechtigkeit folgt, wird nicht
erläutert.63 So kann die Phrase unter gewissen Umständen auch für Ungerechtigkeit
stehen, wie die Analyse der Domäne Wirtschaft zeigen wird (Kap. 5.2.6). Durch die
Nutzung vager Wendungen ergibt sich daher die Möglichkeit der Mehrfachadressierung.
„Unter bestimmten historischen Bedingungen [sind] vage Begriffe in der Lage […], mit
großer Durchschlagskraft sehr unterschiedliche politische Vorstellungen zu bündeln“
(KLEIN 2014:225). Mit der allgemein anerkannten Regel64 Jedem das Seine können sich
zahlreiche Person unterschiedlichen Alters und differenzierender politischer
Vorstellungen identifizieren. Die Phrase wird also genutzt, um „Adressatengruppen mit
unterschiedlicher oder gegensätzlicher Einstellung zur Zustimmung zu bewegen“ (KLEIN
2014:225). „Indem die Redensartformeln den Anschein erwecken, in ihrer unmittelbar
einsichtigen Selbstverständlichkeit nicht weiter hinterfragt werden zu müssen, nehmen
sie dem Leser Analysearbeit ab, behindern und verhindern möglicherweise die Analyse
geradezu“ (KOLLER 1977:125).
KOLLER (1977:122ff.) nimmt diese Definition für „Redensarten in der Sprache der
politischen Berichterstattung“ an und definiert sie als „Einverständnisherstellungs- und
-bestätigungsfunktion“ (KOLLER 1977:72). LÜGER (1999:139) erkennt darin das „Erwecken
des Eindrucks unmittelbar einsichtiger Selbstverständlichkeit.“ Nach RÖHRICH/MIEDER
(1977:81) könnte man der Phrase somit nicht nur die pragmatische Funktion des
Arguments, sondern ebenfalls der Überredung zuordnen. Für den nachfolgenden
politischen Diskurs zu Gerechtigkeit kann die Phrase außerdem als Leitlinie der CDU
angesehen werden und somit unter Umständen sogar zum Ideologievokabular werden
62 KLEIN (2014:225) unterscheidet eindeutig zwischen Vagheit und Mehrdeutigkeit. „Mehrdeutigkeit liegt vor, wenn ein Ausdruck mindestens zwei auf der langue-Ebene etablierte unterscheidbare Bedeutungen besitzt“. 63 KOLLER (1977:140) definiert für Redensarten in der Politik auch eine Unschärfefunktion, die „unterschiedliche Situationen auf einen gemeinsamen Nenner“ bringen. 64 Vgl. Kapitel 5.2.3: Jedem das Seine als Formulierung einer generellen Regel (BURGER 2010:108).
51
(KLEIN 1989:7). „Ein prägnanter Phraseologismus […] hat eine große Chance, intertextuell
weitergegeben zu werden. Das gilt großräumig für alle Medien. Z. B. wird eine solche
Originaläußerung eines Politikers – über eine Agenturmeldung oder auch direkt – in alle
Medien übernommen“ (BURGER 1999:85). Weiterhin findet durch den Zusatz „Die SPD
sagt: "Jedem das Gleiche."“ eine kontrastive Abgrenzung oder Kategorisierung statt, die
den komplexen Sachverhalt trivial erscheinen lässt und dem Rezipienten die einfache
Entscheidungsmöglichkeit überlasst: Gerechtigkeit durch Jedem das Seine oder Jedem
das Gleiche (vgl. Vereinfachungsfunktion, KOLLER 1977:72).
Die Phrasen „überführen die "politische Welt" in die Alltagswelt, indem sie die eine in
den Formeln der anderen darstellen“ (KOLLER 1977:138). Diese Form wird in der Domäne
Politik öfter angewandt und ist auch die für die Domäne Bildung von großer Bedeutung.
KOLLER (1977:138) definiert sie als „Plausibilitätsargumentation“. In (30) und (31) wird
die Phrase Jedem das Seine um den Teil nicht jedem das Gleiche erweitert (Extension).
(30) NÜRNBERGER ZEITUNG, 07.03.2005
Die Handlungsmaxime könne dabei nur lauten: »Jedem das Seine, nicht jedem das Gleiche!« Ungleichheit verursache beim Menschen drei Reaktionen: Sich damit abfinden, nach dem Wünschenswerten streben und nach Anlass für Kritik zu suchen - Letzteres das Stadium, in dem sich die SPD aktuell mit der Bildungspolitik der CSU-Staatsregierung plagt.
(31) SALZBURGER NACHRICHTEN, 22.04.1995
Den auffälligsten Unterschied zwischen alten und neuen ÖVP-Grundsätzen finden wir unter Punkt 3.5: Wo einst Gleichheit stand, steht jetzt Gerechtigkeit. Und zwar deshalb, weil die Menschen zwar in ihrer Würde und ihren Rechten gleich seien, ungleich hingegen in ihren Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Interessen. Ergo versteht die ÖVP unter Gerechtigkeit nicht jedem das gleiche, sondern jedem das seine.
Festzuhalten ist, dass die oben beschriebenen Funktionen von Jedem das Seine auch in
der Politik lediglich deswegen realisiert werden können, weil die Phrase als
Formulierung von „Überzeugungen, Werten und Normen“ gilt und „in einer bestimmten
Kultur und Zeit soziale Geltung“ beansprucht (BURGER 2010:107). Die pragmatischen
Funktionen wirken auch hier nur durch die soziale Funktion. Beleg (29) ist ebenfalls aus
sprachkritischer Sicht sehr interessant, da die verwendete Formulierung in der
darauffolgenden Woche durch die Partei Die Linke kritisiert wird. (30) und (31) hingegen
werden nicht kritisiert.
52
(32) SAARBRÜCKER ZEITUNG, 26.05.2007
Mit Bestürzung hat diese Woche die Partei Die Linke im Saarland auf Äußerungen des Ministerpräsidenten Peter Müller in unserer Zeitung reagiert. Müller hatte gesagt: "Bei Sozialdemokraten ist Gerechtigkeit in erster Linie identisch mit Ergebnis-Gleichheit. Die SPD sagt: Jedem das Gleiche. Wir sagen: Jedem das Seine." Der Chef der Saar-Linken Hans-Kurt Hill kritisiert, dass Müller wohl nicht bedacht habe, dass der Slogan "Jedem das Seine" das Eingangstor des KZ Buchenwald "ziere". In diesem KZ seien 56000 Menschen von den Nazis ermordet worden. Wegen fehlender sprachlicher Sensibilität war 2005 auch der jetzige Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag, Oskar Lafontaine, von der Gegenseite scharf angegangen worden.
Diese kritikwürdige Anmerkung der Partei Die Linke wird seitens der SAARBRÜCKER ZEITUNG
jedoch nicht weiter in geschichtlicher Art und Weise kontextualisiert. Es wird hingegen
ein vergleichbarer Fall von Oskar Lafontaine eingeführt, der dazu führt, dass das
eigentliche Vergehen Müllers verharmlost wird, da es vergleichbare Fälle schon
mehrfach gegeben habe. Angemerkt sei hier, dass die CDU Saarland die Phrase bereits
2004 in ihr Wahlprogramm übernahm und sie bis heute auf ihrer Internetplattform für
eine Definition einer gerechten Gesellschaft steht.65 Diese ahistorisch profane
Weiterverwendung der Phrase überrascht zumindest in der Domäne Politik sehr, da „der
weitere Gebrauch eines inzwischen mißbrauchten Schlagwortes eine Sensibilität
voraus[setzt], die man zumindest von denjenigen wird erwarten dürfen, deren Beruf im
Umgang mit Worten und deren Bedeutung besteht“ (KLENNER 2002:332). Während sich
weder Peter Müller noch die CDU für die Verwendung von Jedem das Seine
entschuldigten, geriet die hessische Kultusministerin Dorothea Henzler (FDP) unter
medialen Druck, nachdem sie die Phrase in einer Broschüre verwendete (vgl. (33)).
(33) MANNHEIMER MORGEN, 06.02.2009
Den vom römischen Staatsmann Cato dem Älteren (234 bis 149 v. Chr.) stammende und von den Nazis missbrauchten Spruch „Jedem das Seine“ hat Hessens neue Kultusministerin Dorothea Henzler (FDP) in einer Broschüre der hessischen FDP benutzt. Der Spruch stand über dem Eingang des Konzentrationslagers Buchenwald. Die Broschüre sei im Internet gelöscht worden, Reste der Druckauflage würden eingestampft, sagte Henzler. Es tue ihr sehr leid, diese Formulierung verwendet zu haben.
Das Fehlen eines öffentlichen Konsenses wird auch hier deutlich. Während die CDU ohne
negative Folgen mit der Phrase hantiert, wird Dorothea Henzler dafür kritisiert. Henzler
65 http://www.cdu-saar.de/content/messages/46951.htm (zuletzt eingesehen am 28.03.2017).
53
verwendete die Phrase, um die bildungspolitischen Vorstellungen der FDP
zusammenzufassen. Ebenso wie bei Müller dient die Phrase neben den bereits
beschriebenen Funktionen (Vereinfachung etc.) der Zusammenfassung (vgl.
RÖHRICH/MIEDER 1977:81) eines komplexen politischen Bereichs. Funktion der Phrase
und Intention des Sprechers sind demnach äquivalent. Die daraus resultierende mediale
Reaktion unterscheidet sich jedoch immens.
Eine weitere Extension der Phrase ist „Jedem das Seine, mir das meiste.“ Sie wird
insbesondere in der Politik und Wirtschaft angewandt. Einerseits wird mit der Phrase
ein Handlungsmuster beschrieben, welches keinesfalls angewandt werden darf,
andererseits werden damit politische Ideologien anderer Parteien oder Politiker
dargestellt, um sie zu diffamieren. In der Domäne Politik wird folgendes deutlich: Wird
die Phrase Jedem das Seine um die Extension „mir das meiste“ erweitert, erfolgt
hierdurch eine negative Bewertung, die als Selbstbereicherung, Egoismus und
Ungleichheit paraphrasiert werden kann (vgl. (34) und (35)). Erhält die Phrase jedoch die
Extension „nicht allen das Gleiche“, so wird damit etwas Wünschenswertes und
Positives zum Ausdruck gebracht, was gleichbedeutend mit Individualität,
Selbstverwirklichung und Freiheit ist. Die Phrase besitzt somit einen semantisch
ambivalenten Charakter, durch welchen sogar Gegensätzliches zum Ausdruck gebracht
werden kann. Während die beschriebenen Extensionen aufgrund ihrer frequentierten
Verwendung lexikalisiert sind, so gibt es Weitere, die okkasionell gebildet sind und deren
Bedeutungen nicht eindeutig zu erfassen sind. Diese werden nachfolgend in Kapitel
5.2.9.2 analysiert.
(34) TAGESANZEIGER, 31.10.2008
[…] Er lobte die bayerische Computerindustrie, die Bayerischen Motorenwerke und sprach vom Wettbewerb der Produktionsstätten. Dabei betonte er, wie wichtig die Bildung sei angesichts der globalen Konkurrenz. Auch auf die Finanzkrise kam Stoiber zu sprechen. Die Maxime «Jedem das Seine und mir das meiste» dürfe nicht sein.
Die Phrase kann in (34) der pragmatischen Funktion der Warnung oder Mahnung (vgl.
RÖHRICH/MIEDER 1977:81) zugewiesen werden, da Stoiber sagt, dass diese Maxime nicht
sein dürfe und somit negative Folgen hätte.
54
(35) WESTDEUTSCHE ZEITUNG, 14.02.2013
Im Freistaat Bayern sieht man das naturgemäß ganz anders: CSU-Chef Horst Seehofer attackierte Steinbrück gleich zu Beginn seiner überraschend kurzen Rede scharf. Der habe als Bundesfinanzminister vor allem Schulden hinterlassen. Er verschwieg dabei aber, dass die meisten Schulden als Bundesfinanzminister bislang CDU-Mann Wolfgang Schäuble gemacht hat. Mit Blick auf Peer Steinbrücks umstrittene Redehonorare fügte Seehofer hinzu: "Sein Lebensmotto ist offensichtlich: jedem das Seine und mir das Meiste."
Die Aussage Seehofers wird im Original intertextuell weitergegeben und von zahlreichen
Zeitungen veröffentlicht. Die beschriebene Extension wird in keinem der Belege mit der
NS-Zeit verknüpft. Gerade im politischen Sektor wirkt eine solche Anschuldigung wie in
(35) besonders schwer, da dort prinzipiell die Aushandlung von Gerechtigkeit vollzogen
wird. Peer Steinbrücks Interesse ist nach Seehofer jedoch nicht die Aushandlung von
Gerechtigkeit und Gemeinwohl, sondern Selbstbereicherung durch erhaltene
Redehonorare. Paradoxerweise würde man das „Lebensmotto“ Steinbrücks ohne die
Extension „mir das meiste“ vermutlich als Aushandlung von Gerechtigkeit definieren.
Die Phrase kann somit durch die Extension mir das Meiste sogar als Diffamierung
eingesetzt werden. Er spricht ihm hiermit die Fähigkeit ab, auf politischer Ebene gerecht
zu handeln, da er lediglich nach Gewinnmaximierung für seine eigene Person schaut.
Seehofer bewertet die politischen Fähigkeiten Steinbrücks demnach als unzureichend.
Die Sprechereinstellung wird in diesem Beleg somit mehr als deutlich. Dass dies jedoch
bei Phraseologismen nicht immer der Fall ist, zeigt u.a. BURGER (2010:198). Die
vorangegangenen Analysen zu Jedem das Seine haben ebenfalls gezeigt, dass die
Sprechereinstellung positiv wie negativ sein kann und dass sich der Sprecher durch die
Verwendung der Phrase auch einer eindeutigen Einstellung entziehen kann (vgl. (23)).
In der Domäne Politik zeigen sich somit vielfältige Funktionen der Phrase, die
insbesondere die Aufgabe haben, eine Wirkung beim Leser zu bewirken (Plausibilität,
Einverständnis, Bestätigung). Nachfolgend sollen zwei Domänen untersucht werden, in
welcher die Phrase einerseits fast ausschließlich eine negative Bewertung darstellt
(Wirtschaft), andererseits nahezu durchweg positiv gewürdigt wird (Bildung). In diesen
beiden Kapiteln wird somit insbesondere die Semantik der Phrase untersucht.
55
5.2.6 Die Domäne Wirtschaft
45 Belege wurden der Domäne Wirtschaft zugewiesen. In keinem der Belege wird der
nationalsozialistische Gebrauch der Phrase thematisiert. Die Analyse der Domäne
Wirtschaft soll u.a. aufzeigen, dass die in der Domäne Politik proklamierte Gerechtigkeit
durch Jedem das Seine auch feststehende Ungleichheiten legitimieren kann, die
womöglich nicht gerecht sind. In (36) wird beschrieben, wie das Unternehmen Bayer
jedem seiner Mitarbeiter das Seine abhängig von ihrer hierarchischen Position im
Unternehmen bietet.
(36) NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, 28.08.2001
Rund ums Chemiewerk entstand schon vor hundert Jahren eine Gartenstadt. Nur der strenge Geruch, der gelegentlich herüberwehte, erinnerte an den Industriestandort. Bayer tut und tat sonst alles, um das Leben angenehm zu machen. Je nach Lohn- und Gehaltshöhe wurde jedem das Seine geboten, dem Fabrikarbeiter die Wohnung in der "Kolonie", den Chefs die stattliche Villa im Grünen, den "Bayer-Beamten" das Zweifamilienhäuschen, oft nur wenige Minuten Fussweg vom Werk entfernt. In der Tat nannten sich die mittleren Angestellten lange Zeit Beamte, hatten sie doch Entlassungen nicht zu befürchten. Einmal bei Bayer, immer bei Bayer.
Das Seine ist in diesem Fall die Wohnung oder das Haus, welches jedem Mitarbeiter in
Leverkusen geboten werden kann. Konträr zu vielen anderen Belegen wird das Seine
somit explizit gemacht. Die Realisierung von das Seine ist abhängig von der Lohn- und
Gehaltshöhe und wird demnach als gerecht legitimiert. VON DER PFORDTEN (2004:11)
definiert „weitere Gerechtigkeitsmaßstäbe bzw. Konkretisierungen des „Jedem das
Seine““, die hier unter Umständen geeigneter zutreffen. So könnte man die in (36)
dargestellte Gerechtigkeitsdefinition von Jedem das Seine eher als „Jedem nach seiner
Leistung“, „Jedem nach seinem Verdienst“ sowie „Jedem nach seiner Stellung im
Gemeinwesen“ beschreiben. Es zeigt sich, dass das Seine nicht ausschließlich gewählt
werden kann. In diesem Fall wird es einem nach gewissen Faktoren zugewiesen.66 Man
erhält somit nicht das, was einem gehört, sondern das was einem nach seiner Position
66 VON DER PFORDTEN (2004:11) gibt hier noch Beispiele: Jedem das Gleiche. Jedem nach seinen
Bedürfnissen. Jedem nach seiner Leistung. Jedem nach seinem Verdienst. Jedem nach seiner Stellung im Gemeinwesen. Jedem nach seiner Geburt. Jedem, sofern er der erste ist (Prioritätsprinzip). Jedem nach seinen Menschenrechten (Rechteposition). Jedem so, daß alle am Meisten haben (Utilitarismus). Jedem so, daß die Ärmsten am Meisten haben (Rawls’ Differenzprinzip). Jedem mehr, wenn kein anderer dadurch weniger bekommt (Paretoprinzip).
56
zusteht. Dass diese Definition der Phrase womöglich missbraucht werden kann, wird in
(37) geschildert.
(37) NÜRNBERGER NACHRICHTEN, 28.11.1995
Brakemeier verlangte eine Neuberechnung der Produktionskosten, die sich von sozialen und ökologischen Gesichtspunkten leiten läßt: "Wirtschaftlich sollte künftig das genannt werden, was einer größtmöglichen Anzahl von Menschen den Lebensunterhalt garantiert." Solange keine Einigung darüber erzielt wird, was dem Menschen zusteht, bleibe das Prinzip "Jedem das Seine" unzureichend und dem Mißbrauch ausgesetzt. Wirtschaft solle die Gesamtheit im Auge behalten: "Ist es unzumutbar zu fordern, daß nicht der Gewinn, sondern der Friede oberstes Ziel wirtschaftlicher Überlegungen sein sollte?"
Die Definition dessen, was einem Menschen zusteht, ist somit individuell auslegbar und
fördert unter Umständen eher Ungleichbehandlung. Gerade die Vagheit der Maxime
Jedem das Seine kann demnach auch negative Folgen haben und zynisch gedeutet sogar
Legitimation für die Handlungen im Nationalsozialismus sein. In (38) wird die Phrase
deshalb auch als „der dehnbarste Satz des Rechts“ paraphrasiert.
(38) SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 13.03.2012
Die Regeln des Rechts sind die folgenden: „Ehrbar leben, andere nicht verletzen, jedem das Seine zubilligen.“ Der Satz steht im Corpus Juris, in der einflussreichsten Kodifikation der Rechtsgeschichte, geschrieben im sechsten Jahrhundert. Das Rechtsdenken baut bis heute darauf auf; die Rechtsgeschäftspraxis nicht. Jedem „das Seine“ zuzubilligen, daraus wurde der dehnbarste Satz des Rechts. Die Manager zum Beispiel haben sich absurd hohe Gehälter und Antritts- und Austrittsgelder genehmigt nach dem Motto: Jedem das Seine, mir das Meiste. So ein fröhlicher Zynismus galt Megaverdienern nicht mehr als zynisch, sondern als selbstverständlich.
Jedem das Seine kann somit „als Rechtfertigung jeder beliebigen Gesellschaftsordnung
im Allgemeinen und jeder beliebigen generellen Vorschrift im Besonderen“ (KELSEN
1953:33) dienen. Ist ein gesellschaftliches Bild gegeben, in welchem beispielsweise
durch Ungleichbehandlung einem kleinen Teil der Gesellschaft ein Großteil gehört, so
kann die Phrase auch diesen Zustand legitimieren, wie (39) zeigt.
(39) SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 27.04.2006
Angesichts der Empörung über Managergehälter, irrwitzige Tantiemen und goldene Handschläge formulieren die Ökonomen heute die Sache mit „Vorbildhaftigkeit“ der Wirtschaftselite vorsichtiger. Der Wirtschaftsliberalismus aber läuft immer noch auf eine sehr calvinistische Auslegung der alten
57
Gerechtigkeitsformel suum cuique hinaus: Jedem das Seine – das ist demzufolge das, was jeder hat.
In der thematischen Domäne Wirtschaft wird die Phrase vielfach dazu genutzt, die
ungleiche Behandlung verschiedener sozialer Klassen zu beschreiben.67 So auch in (40),
in welchem das ST. GALLER TAGBLATT die Ungleichbehandlung der Bundesregierung
zwischen Familien, Rentnern und Arbeitslosen sowie Betuchten und Bedienten
beschreibt. Durch den Kotext „die Raffkes griffen zu“ wird die Semantik der
Selbstbereicherung wiederholt deutlich.
(40) ST. GALLER TAGBLATT, 26.06.2010
Nach wie vor müssen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung Eintritt zahlen, wenn sie zum Arzt gehen wollen. Und wer wissen möchte, wie es um die deutsche Bildung steht, sollte erst eine beliebige deutsche Bank-Filiale besuchen und danach eine beliebige deutsche Schule. Eine moralische Wende hatte die neue Bundesregierung versprochen – und in der Tat: Die Raffkes griffen zu. Jedem das Seine. Aber mir das meiste. Niemand bezweifelt ja, dass in den Kassen des Staats und der Sozialversicherungsträger gähnende Leere herrscht. Warum aber vorzugsweise bei denen gespart werden soll, die ohnehin nicht viel haben – Familien, Rentner, Arbeitslose – während die Betuchten und Bedienten verschont bleiben, ist kaum zu begreifen.
In (41) wird die „Adlon-Affäre“ des ehemaligen Präsidenten der Deutschen Bundesbank,
Ernst Welteke, beschrieben.
(41) BERLINER KURIER, 11.04.2004
Jedem das Seine — und für mich alles. So denken und handeln die Mächtigen dieser Welt. Wer viel hat, will noch mehr. Und er hält es für sein gutes Recht. Ob sich ein Bundesbank-Chef Nächte in einem Nobelhotel spendieren lässt, ob sich ein Politiker an den Geldtöpfen der EU bedient oder ob sich Manager von Landes-Unternehmen in Berlin fette Gehälter gönnen — Gier ist einfach geil!
Durch die okkasionelle Modifikation „und für mich alles“, welche den Superlativ der
Extension „mir das meiste“ darstellt, erfolgt eine eindeutige negative Bewertung der
Handlungen von Welteke. Die soziale Klasse „der Mächtigen dieser Welt“ bereichert sich
selbst. Das zeigt auch (42), in welchem der Kotext die Lexeme Geldgier, Habgier, Raffgier
enthält.
67 Viele Belege der Domäne Wirtschaft haben gesellschaftlichen Bezug und hätten daher auch der vageren Domäne Gesellschaft zugewiesen werden können. Da die beschriebene Semantik jedoch insbesondere für die Domäne Wirtschaft konstituierend ist, wurden die Belege ihr zugewiesen.
58
(42) SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 11.11.2011
Viele Details aus dem Verfahren gegen den früheren Bankmanager Gerhard Gribkowsky, die nun vor Gericht ausgebreitet wurden, illustrieren die Geldgier, Habgier, Raffgier in unseren Tagen. „Jedem das Seine, mir das Meiste“ ist offenbar nicht nur eine Redensart. Sogar der erfahrene Vorsitzende Richter Peter Noll staunte, wie in der Glitzer- und Wahnwelt der Formel 1 die Zahlen durcheinanderpurzeln. Aus Millionen wurden Milliarden – oder war es umgekehrt? Egal, illegal, alles egal?
Die Phrase beschreibt somit die wiederkehrende Problematik der Ungleichbehandlung
und Selbstbereicherung. ABRAHAMS (1968:47) stellt fest, dass “humans, as cultural
beings, have a ‘rage for order’. Anxiety arises with the intuition of chaos, of the elderly
procession of life, and the dissolution of group. Proverbs ‘name’ situations in which
social stability is repeatedly threatened, the potentially disruptive forces coming from
within in the group.” GRZYBEK (1998:134) geht davon aus, dass Sprichwörter als eine Art
Normformulierung zu verstehen sind und sie sich somit „als Kontrollverfahren in
wiederkehrenden Problemsituationen” erweisen. Pragmatisch betrachtet dient Jedem
das Seine in der Domäne Wirtschaft größtenteils der Warnung und negativen
Bewertung. Konträr zu diesen Aspekten wird die Phrase in der Domäne Bildung als
Formulierung von Überzeugungen verwendet, nach welchen das Sozialgefüge der
Bildung aufgebaut werden sollte.
5.2.7 Die Domäne Bildung
Die Domäne Bildung beinhaltet 48 Belege, von denen sich zwei mit der
nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandersetzen. Die Phrase steht in der
Bildung stellvertretend für individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen und
wird oftmals kontrastiv der Phrase „Allen das Gleiche“ gegenübergestellt. Sie wird als
argumentative Stütze in der Debatte eingesetzt, wie der Bereich Bildung ausgestaltet
werden sollte. In (43) wird gar beschrieben, dass sich die Ungleichheit durch die Formel
„jedem das gleiche“ potenziere und ihr vielmehr durch die uneingeschränkte Formel
„jedem das Seine“ entgegengewirkt werden könne.
(43) DIE ZEIT, 04.10.1968
Es hapert mit der Gleichheit der Bildungschancen, obwohl sie Voraussetzung für die Gleichheit der sozialen, ökonomischen und politischen Chance ist. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Gleichheit der Chancen bedeutet nicht,
59
jedem das gleiche (das würde die Ungleichheit potenzieren), sondern jedem das Seine, dieses aber uneingeschränkt, in bester Qualität und in dem denkbar größten Umfange. Die Ursache des heutigen Mißverhältnisses ist klar: Der berufliche Bildungsweg ist noch zu sehr nach dem Bilde des ersten, des gymnasialen Bildungsweges angelegt.
Dass Gleichheit und Gerechtigkeit zwei unterschiedliche Aspekte sind, wird von der
Zeitung DIE PRESSE in (44) beleuchtet. Jedem das Seine wird im nachfolgenden Kotext mit
den Lexemen Freiheit, Freiräume und Autonomie beschrieben und ist somit Argument
für die zuvor geäußerte Idee der Umstrukturierung des Unterrichts.
(44) DIE PRESSE, 07.02.2005
Der Grundsatz könnte heißen, so viele Ganztagsschulen wie notwendig, so viel Halbtagsunterricht (etliche Schulnachmittage sind ohnedies dabei) wie möglich. Nicht allen das Gleiche, vielmehr jedem das Seine. Gleichheit und Gerechtigkeit sind zwei Paar Schuhe. Es darf nicht so sein, dass die Wohltat für die einen zur Plage für die andern wird. Es geht hier auch um Freiheit und um Freiräume für Schüler, Lehrer, Eltern. Die jeweilige Schule soll im Rahmen ihrer Autonomie in der Schulgemeinschaft über das notwendige Maß an Ganztagsklassen verantwortungsvoll entschieden und/oder um bloße Nachmittagsbetreuung besorgt sein.
In (45) wird die Tatsache, dass man „nicht jedem das Seine zumessen kann“, als
Erschwerung der Bildungsarbeit angesehen. Diese Aussage impliziert, dass ein Vorgehen
nach Jedem das Seine positive Auswirkungen auf die Bildung hätte.
(45) VORARLBERGER NACHRICHTEN, 05.02.1997
Jeder dritte Schüler ist heute überfordert und sitzt in der höheren Schule am falschen Platz. Nicht daß er "dümmer" ist als seine Mitschüler, seine Talente und Neigungen sind anders geartet. Da man aber allen das Gleiche und nicht jedem das Seine zumessen kann, wird die Bildungsarbeit unnötig erschwert. Dabei läßt sich Bildung auch bei manuellen Berufen optimal verwirklichen.
Welche konkreten Auswirkungen dieses Vorgehen hätte, wird jedoch nicht beschrieben.
Die vage Maxime steht demnach wie in der Domäne Politik stellvertretend für
Gerechtigkeit. Daraus ergibt sich eine Reduktion der Komplexität, wie sie auch GÜLICH
(1978:14) u.a. für Gemeinplätze herausarbeitet. Änderungen in Politik und Bildung sind
langwierige hochkomplexe Prozesse, die jedoch für den Rezipienten stark vereinfacht
mit dem Phraseologismus Jedem das Seine zusammengefasst werden und somit auch
für den Laien zu verstehen sind. Konträr dazu wird der unbefriedigende Ist-Zustand in
60
(44) und (45) mit der Phrase „allen das Gleiche“ zusammengefasst, welcher auch auf der
Reduktion von Komplexität basiert.
(46) MANNHEIMER MORGEN, 14.02.2001
Letztlich will sich der Staat völlig aus dem morschen Schulwesen zurückziehen. Private Betreiber wie Industrie oder Kirchen sollen das System in einem Fünfjahres-Plan wieder auf Touren bringen. Jedem das Seine, ist das Motto, was konservative Kritiker als späte Bestätigung für den Widerstand gegen die "sozialistische Gleichmacherei im Klassenzimmer" empfinden.
In (46) wird die Phrase gar als Gegenentwurf zur „sozialistische[n] Gleichmacherei im
Klassenzimmer“ verstanden. Jedem das Seine kann somit als Modell gesehen werden,
nach welchem die Bildung aufgebaut werden sollte. GRZYBEK (1984:226) weist dem
Sprichwort aufgrund seines zeichenhaften Charakters auch eine modellbildende
Funktion zu. Obwohl auch Jedem das Seine „in vielfältiger Weise funktional in den
jeweiligen Kontext bzw. in die Situation eingebunden [ist]“ (BURGER 2010:107), für die es
Modell ist, bleibt die Phrase zunächst inhaltsleer, insofern keine weiteren Informationen
gegeben werden. Ein Beispiel für die Auflösung der Vagheit und Inhaltsleerheit gibt der
folgende Beleg.
(47) MANNHEIMER MORGEN, 21.02.2003
"In diesem Sinne: Nicht jedem das Gleiche, sondern jedem das Seine", so Dr. Schnatterbeck. "Tiere im Kunstwerk entdecken", "Kreatives Schreiben", "Die Römer", "Der Natur auf der Spur", "Die Welt von oben": Ein- bis zweimal pro Woche bietet das zusätzliche Nachmittagsprogramm spannende Workshops für die kleinen Blitzgescheiten an. Für jedes Talent und jede Begabung soll etwas dabei sein, jedoch besonders die Lust an Mathe, Informatik und Technik geweckt werden.
Es wird explizit gemacht, was man sich unter der Maxime Jedem das Seine bezogen auf
Bildungsinhalte verspricht. Jedem das Seine steht für Vielfältigkeit in den angebotenen
Optionen und zugleich für die freie Auswahlmöglichkeit der Schülerinnen und Schüler.
Sie können somit entscheiden, was das Seine ist.
Interessanterweise wählt die Schüler-Union der CDU die Phrase ebenfalls, um sich gegen
die Einführung der Gemeinschaftsschulen in Nordrhein-Westfalen auszusprechen. Die
Jugendorganisation der SPD, die Jusos, kritisierten diesen Gebrauch jedoch aufgrund der
nationalsozialistischen Vergangenheit (vgl. (48)).
61
(48) RHEINISCHE POST, 12.03.2009
Die der CDU nahestehende Schüler-Union wird ihre Kampagne "Nicht jedem das Gleiche, sondern jedem das Seine" einstellen, um jede Form der Missdeutung zu vermeiden. Dies erklärte CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst. Mit dem Motto wollte die Schüler-Union NRW gegen eine Gemeinschaftsschule und für den Erhalt des gegliederten Schulsystems werben. Die Jusos hatten kritisiert, die Verwendung des Slogans zeuge von geschichtlicher Unkenntnis. Die Nationalsozialisten hatten den Spruch "Jedem das Seine" am Tor des KZ Buchenwald angebracht.
Insofern sich eine Organisation oder Person über den Gebrauch echauffiert, wird der
Vorfall in die Medien aufgenommen. Es verwundert jedoch, dass kein weiterer
Gebrauch der Phrase in der Domäne Bildung kritisiert wird,68 obwohl der Beleg
funktional und semantisch zu den vorangegangenen quasiäquivalent ist. Während alle
anderen Belege der Phrase als adäquate und positive Ideen zur Ausgestaltung der
Bildung hingenommen werden, wird dieser Vorfall auch noch von anderen Zeitungen
aufgenommen.
(49) THÜRINGISCHE LANDESZEITUNG, 12.03.2009
Eine bildungspolitische Kampagne der CDU-nahen Schüler-Union Nordrhein-Westfalens mit dem Slogan Jedem das Seine hat am Mittwoch für Wirbel gesorgt. Die Jusos in der SPD reagierten mit scharfer Kritik auf den Slogan. Es zeuge von einer unsäglichen Unkenntnis über unsere eigene Geschichte, dass so etwas in einer politischen Jugendorganisation nicht eingeordnet werden kann, sagte Juso-Landeschef Christoph Dolle.
Es scheint somit so, dass der Gebrauch der Phrase unter gewissen Umständen von
Kontrahenten instrumentalisiert wird, um die Verfasser zu kritisieren. Das gilt
gleichermaßen für Parteien wie auch für Medieninstitutionen, die den Gebrauch nur
dann beanstanden, wenn ein Skandal daraus folgen könnte. Dass dieses Vorgehen eine
Doppelmoral enthält, wird an zweierlei Punkten deutlich. Erstens verwenden Zeitungen
die Phrase bereits kurz nach geäußerter Kritik unbedarft weiter, zweitens werden, wie
u.a. auch Kapitel 5.2.4 zeigt, Verwendungen, die medial nicht hochstilisiert werden
können, nicht moniert.
Festzuhalten ist, dass die Phrase Jedem das Seine in der Domäne Bildung nahezu
ausschließlich positiv bewertet wird und ein Modell darstellt, nach welchem der
68 Ein Beleg in der Domäne Bildung bezieht sich noch auf den nationalsozialistischen Hintergrund. Er thematisiert jedoch den Besuch einer Schulklasse in der Gedenkstätte Buchenwald und den daraus resultierenden Erkenntnissen für Schülerinnen und Schüler.
62
Bildungssektor aufgebaut sein sollte. Durch den Rückgriff auf Sprachmuster der
Erfahrungswelt des Rezipienten erfährt die Argumentation eine Selbstverständlichkeit,
die „einen Meinungswechsel begründen, Ungewißheit beseitigen und
entgegenstehende Überzeugungen verunsichern“ (TEIGELER 1968:102) soll. Die von
KOLLER (1977:70) beschriebene Anbiederungsfunktion, die es ermöglicht abstrakte
Sachverhalte mit Formeln der Alltagswelt zu beschreiben, wird insbesondere in den
Domänen Bildung und Wirtschaft deutlich. Durch diese Form der Vereinfachung folgt
jedoch ebenfalls eine Vagheit (Unschärfefunktion vgl. KOLLER (1977:140)), die
wirkungsvolle Schlussfolgerungen in den jeweiligen Thematiken lediglich erahnen lässt.
5.2.8 Ausgewählte Belege der restlichen Domänen
Insbesondere in der thematischen Domäne Automobil wird die Phrase als
Zusammenfassung verwendet. Zweimal wird die Phrase in der FRANKFURTER NEUEN PRESSE
mit einem Fazit: eingeleitet (vgl. (50) und (51)). In (50) dient die Phrase wiederholt der
Relativierung und beschreibt, dass beide zuvor eingeführten Varianten (hier
Automobile) akzeptabel erscheinen und gleichwertig sind.
(50) FRANKFURTER NEUE PRESSE, 15.12.2012
Fazit: Jedem das seine. Doch dürfte es der A-Klasse schwer fallen, Audi die A3-Kunden in größerer Zahl abzujagen. Zumal bei vergleichbarer Modellwahl der A3 meist einen Tick günstiger ist.
(51) FRANKFURTER NEUE PRESSE, 02.12.2014
Fazit: Jedem das seine. Der Scirocco stellt zwar nur ein halbes Prozent der VW-Verkäufe, hat im Zeitalter der automobilen Artenvielfalt aber seine Daseinsberechtigung. Das gilt auch für den heißesten der Wüstenwinde.
Viele Organisatoren nutzen die Phrase als Motto ihrer Freizeitveranstaltungen. Die
Phrase hat in (52) analog zur Werbung einen Argumentationscharakter, da für eine
Veranstaltung geworben wird, die jedem das Seine bieten kann.
(52) BADISCHE ZEITUNG, 12.01.2007
Am Samstag, 13. Januar, 20 Uhr, lädt der MGV Silberbrunnen-Eintracht zum Konzertabend in die Silberberghalle ein. Der Abend steht unter dem Motto "Jedem das Seine" - Lieder über verschiedene Charaktere und Temperamente.
63
Zahlreiche Belege – ganz gleich welcher thematischen Domäne – relativieren mit der
Phrase zuvor eingeführte Aspekte. Das zeigt sich insbesondere durch die Interjektion
naja, die dann genau vor der Phrase steht (vgl. (53), (54), (55)).
(53) RHEIN-ZEITUNG, 30.10.1998
Bläck Fööss, Roland Kaiser, Ignatz Bubis, Nicole - schön aufgereiht stehen die Plakate vor der Ransbach-Baumbacher Stadthalle. "Naja, jedem das Seine", mag man bei diesem Anblick denken.
(54) SAARBRÜCKER ZEITUNG, 04.06.2003
Die Crewmitglieder hielten die Sprudelflaschen einfach so über die Fans und jeder, der etwas wollte, stellte sich darunter, sperrte den Mund auf und ließ sich das Wasser so einflößen - naja, jedem das Seine. Das einzige, was man meiner Meinung nach in Erwägung ziehen sollte, ist, ob man nicht wenigstens in dem Gedränge unmittelbar vor der Bühne ein Rauchverbot einführen sollte. Denn Zigarette im Au' brennt wie Sau - und auch an der Hand oder auf dem Arm tut heiße Asche nicht wirklich gut.
(55) SÄCHSISCHE ZEITUNG, 12.04.2001
Es gibt Tage, da ginge es auch ohne. Andere Tage, da reichen drei nicht, und ich ärgere mich, statt des Kochs nicht vier Kochen kann ich schließlich selber. Naja, jedem das Seine. Wenn mein Vermieter glaubt, dass das im Rahmen eines um DM 3,80 pro Quadratmeter erhöhten Nutzungsentgelts drin ist, werd` ich doch nicht. Wie mein Vermieter heißt? Freistaat? Aber ich bitte Sie! Ich bin doch nicht Die Steuerzahler auszunehmen, überlasse ich gern unserer Aristokratie.
Während die Interjektion naja prinzipiell eher in einem schriftlichen oder mündlichen
Dialog verwendet wird, um ein Argument zu entkräften oder eine abweichende
Meinung zu akzeptieren, so zeigt sich im Verbund mit Jedem das Seine die Möglichkeit,
eine beschriebene Situation zu relativeren oder den Leser analog zu (18) zu besänftigen.
Denn auch in (54) wird ein von gesellschaftlichen Normen abweichendes Verhalten
beschrieben. Ein sehr interessanter Aspekt wird in (56) erwähnt. Während die Phrase in
der Domäne Wirtschaft beschrieben hat, dass es eine ungleiche Verteilung bezüglich der
Menge von etwas gibt und sie in der Domäne Bildung dafürstand, dass nicht jeder das
Gleiche bekommen soll, wird hier definiert, dass jeder das Seine erhalten solle (welches
durchaus unterschiedlich sein kann), jedoch keiner mehr oder weniger. Die Phrase steht
hier somit für eine Art Gleichheit in dem, wie viel Einem zugestanden wird, jedoch für
Unterschiedlichkeit in dem, was Einem zugestanden wird.
64
(56) VORARLBERGER NACHRICHTEN, 11.02.2012
Was sehr wohl hinterfragt werden darf ist das nebulose Nichtrauchergesetz, das außer Ärger und Kosten für die Gastwirte bislang nicht viel gebracht hat. Diese Erfahrungen sollten eigentlich reichen, um endlich klare Verhältnisse zu schaffen. Dann gäbe es nicht mehr solche und andere und welche dazwischen, sondern nur noch entweder oder. Denn wer will als Nichtraucher schon in einer Pseudo-Nichtraucher-Ecke hocken, in die der Qualm der Raucher wabert? Und umgekehrt, wer will als Raucher die naserümpfenden und abschätzigen Blicke der Nichtraucher dauernd im Nacken spüren? Also. Deshalb jedem das Seine, aber keinem mehr oder weniger.
Dass die Phrase keinesfalls lediglich in der Domäne Sport als Regel aufgefasst wird (vgl.
(19), (20), (21)), wird in zahlreichen Belegen deutlich, in denen die Phrase
dementsprechend eingeführt wird. Die Definition als Regel wird in (57) durch den Kotext
„man sagt ja immer“ deutlich. Weitere Markierungen als Regel können auch durch die
Partikel halt in (58) und eben in (59) realisiert werden.
(57) ALLGEMEINE ZEITUNG, 15.01.2008
Im Ragazzi in der Spießgasse hat sich ein kleines Publikum eingefunden. Viele der Gäste kennen sich und sitzen zusammen an der Bar. Bodo ist vor sechs Monaten nach Alzey gezogen und begeistert von der Veranstaltung in der Volkerstadt. Vor allem gefällt ihm die Vielfalt der Bars: "Man sagt ja immer: Jedem das Seine, und das ist hier gegeben."
(58) SAARBRÜCKER ZEITUNG, 22.09.2003
In exotischen Ecken - Hawaii, Belize, die Bahamas, um nur einige zu nennen - bieten Reiseveranstalter das Vergnügen an. Suzanne Wheatley hat es selbst ausprobiert. So intelligente, mystische Tiere, staunte sie, das vergesse sie nicht für den Rest ihres Lebens. Delfine, Korallen, ein Ticket für die Concorde, das alles kostet viel Geld. Wer nicht so tief ins Portemonnaie greifen kann oder will, für den hat die BBC gleich ein paar Alternativvorschläge parat. Kauf einen Hummer und lass ihn frei! Spende Blut! Schick eine Flaschenpost auf die Reise! Jedem das Seine eben.
(59) SAARBRÜCKER ZEITUNG, 09.04.2002
So gibt es die Anhänger der altbekannten Eigenblut-Therapie, bei der Blut entnommen, mit Antikörpern angereichert und wieder in den Körper gebracht wird. Andere setzen auf Akupunktur, wieder andere auf De-Sensibilisierung durch Medikamente der klassischen Schulmedizin oder auf Homöopathie. Menschen, die alles schon probiert haben und immer noch nicht so beschwerdefrei sind, wie sie gern wären, probieren Mischformen oder gar Diäten aus Asien (chinesische Heilkräuter!) und Afrika aus. Jedem das Seine halt.
65
Die in Kapitel 4.3.2 beschriebene Nutzung der Phrase als NS-Vergleich zeigt sich lediglich
ein einziges Mal. In (60) wird die Situation einer Kleinfamilie mit einem
Konzentrationslager verglichen. Eingeleitet wird der Vergleich durch die Phrase Jedem
das Seine. Die Inadäquatheit des Vergleichs erscheint hier jedoch noch weitaus größer,
da ein Tertium Comparationis nicht auszumachen ist.
(60) DIE TAGESZEITUNG, 12.02.2004
Ein junger Mann (Frank Giering) und eine junge Frau (Anne Ratte-Polle) leben mit ihrem Baby in Berlin-Mitte – und quälen sich gegenseitig. Er ist ein erfolgloser Schriftsteller, der sie vom Sofa aus mit seiner Depression terrorisiert. Und sie legt den Finger auf seine Wunden: „Vielleicht solltest du aufhören, zu schreiben”, sagt sie, als wieder eine Ablehnung kommt. Er sieht danach so stumm auf die Tischplatte, dass auch sie sich gleich wieder schlecht fühlt. Jedem das Seine: Das ist das Konzentrationslager der Kleinfamilie.
5.2.9 Phraseologische Aspekte
Nachfolgend sollen zwei phraseologische Aspekte der Phrase genauer untersucht
werden. Während der Bereich Extension bereits beschrieben wurde, ist die in Kapitel 3
aufgekommene Frage, ob die Phrase Jedem das Seine als Geflügeltes Wort aufgefasst
werden kann, noch nicht nachgegangen.
5.2.9.1 Definition als Geflügeltes Wort
Für eine geeignete Untersuchung der potenziellen Definition von Jedem das Seine als
Geflügeltes Wort ist entscheidend, „dass bei den Sprechern ein Bewusstsein dafür
vorhanden ist, dass der Ausdruck auf eine bestimmte und allenfalls bestimmbare Quelle
zurückgeht“ (BURGER 2010:48). Die Beantwortung dieser Frage ist gerade deshalb so
interessant, weil eine Berufung auf eine vor den Nationalsozialismus liegende Quelle
eine potenzielle Legitimation für eine Weiterverwendung darstellen könnte. Ein erster
Ansatz hierfür könnte die Markierung der Phrase durch Anführungszeichen sein. Zu
unterscheiden sind hiervon Belege, die auf Aussagen Dritter beruhen. Die Belege im
Korpus wurden folgendermaßen klassifiziert (vgl. Abbildung 18).
66
Abbildung 18: Anteil Zitierung der Phrase
558 der 1249 Belege wurden nicht durch Anführungszeichen markiert. Das entspricht
44,92 Prozent aller Belege. Festzuhalten ist, dass die Markierung bei Aussagen Dritter
gesondert betrachtet werden muss, da die Zitierung hier obligatorisch ist. Demnach
verbleiben lediglich zwei Kategorien. Für die in Abbildung 19 angegebenen statistischen
Werte wurde die Kategorie ja (Aussage Dritter) exkludiert.
Abbildung 19: Anteil Zitierung ohne Aussagen Dritter
Analysiert man nun dahingehend die einzelnen Domänen, so zeigen sich immense
Unterschiede. Während die Domänen Nationalsozialismus (95 Prozent)69, Werbung
(Nokia) (85 Prozent), Werbung (Merkur-Bank) (84 Prozent), Schwarzer Adlerorden (77
Prozent) und KZ-Buchenwald (70 Prozent) einen hohen Anteil an Markierung durch
Anführungszeichen aufweisen, wird in den Domänen Werbung (93 Prozent)70,
Automobil (88 Prozent), Ernährung, (78 Prozent), Sport (75 Prozent) und Wirtschaft (71
Prozent) größtenteils darauf verzichtet. Die Verwendung von Anführungszeichen
markiert somit statistisch betrachtet nicht eine Verbindung zu Cato, Aristoteles oder
69 Prozentuale Angabe der Belege mit Anführungszeichen. 70 Prozentuale Angabe der Belege ohne Anführungszeichen.
Anführungszeichen (437); 35,18%
Aussage Dritter (247); 19,88%
nein (558); 44,92%
Anführungszeichen (437); 43,91%
nein (558); 56,09%
67
Justinian, sondern eher eine Verbindung zum KZ-Buchenwald. Das zeigt sich ebenfalls in
der Analyse der beiden Kategorien bezogen auf den nationalsozialistischen Hintergrund.
Lediglich 21,07 Prozent der Belege, die über den nationalsozialistischen Hintergrund
aufklären, verwenden keine Anführungszeichen. Gleichzeitig wird die Phrase zu 75,79
Prozent ohne Anführungszeichen verwendet, wenn der Nationalsozialismus keine
Erwähnung findet. Geht man von Cato als Verfasser der Phrase aus und untersucht alle
1242 Belege, so wird deutlich, dass sein Name lediglich siebzehnmal erwähnt wird und
sich zehn der Belege auf die Werbung (TCHIBO/ESSO) beziehen. Auch Platon wird im
gesamten Korpus lediglich zehnmal als Quelle angegeben. Eine Definition der Phrase als
„war schon in der Antike bekannt“ genügt nicht, um Jedem das Seine als Geflügeltes
Wort zu charakterisieren, da dies keine bestimmbare Quelle darstellt.
5.2.9.2 Extension
Ein wichtiger phraseologischer Aspekt von Jedem das Seine sind die zahlreichen
Extensionen; mit welcher die Phrase versehen werden kann. Mit Hilfe einer Cluster/N-
Gram-Untersuchung im Programm AntConc können alle Extensionen der Phrase
ausgelesen werden, welche häufiger als einmal vorkommen. Die Größe des N-Grams
wurde auf mindestens vier und höchstens 12 Lexeme beschränkt. Daraus resultieren
lediglich zwei lexikalisierte Extensionen, die bereits in den vorangegangenen Kapiteln
beschrieben wurden.
1. Jedem das Seine (und) (aber) (,) mir das meiste71
2. Jedem das Seine (und) (aber) (oder) nicht allen (jedem) das Gleiche
Es zeigt sich, dass nahezu alle anderen Extensionen usuelle Variationen der beiden
lexikalisierten Phrasen sind. In Tabelle 2 sind einige dieser Extensionen aufgelistet.
71 Rot= obligatorisch, grün=fakultativ.
68
Tabelle 2: Extensionen von Jedem das Seine
Beleg Zeitung72 *73
„Jedem das Seine, aber bloß nicht jeden Tag
Dasselbe!“
NK, 17.02.2005 2
„Jedem das Beste, statt jedem das Seine“ TV, 27.02.2001 2
„Jedem das Seine, dir mehr, aber mir das Meiste“ NN, 05.02.2015 1
„Jedem das Seine, aber auch jedem das Gleiche“ NZ, 20.06.2007 2
„Jedem das Seine — und für mich alles“ BK, 11.04.2004 1
„jedem das Seine, nicht jedem jedes“ DZ, 26.05.1961 2
„Jedem das Seine und mir das Bier“74 GT, 14.11.2009 1
„Jedem das Seine, mir das Doppelte (das ich bereits
habe)“
SN, 19.01.2006 1
„Jedem das Seine, oder besser, allen das Ihre“ SZ, 06.07.2004 2
Die in Kapitel 3 festgelegte Form der Phrase als „All-Satz“ (vgl. BURGER 2010:106) kann
durch die aufgelisteten Extensionen aufgelöst werden. Die Bedeutung der Phrase kann
somit verschiedenen Gegebenheiten und Bedürfnissen angepasst werden. Selbst wenn
eigentlich das gegensätzliche der Phrase gemeint ist, kann sie im Rahmen gewisser
Extensionen verwendet werden (vgl. Jedem das Seine aber mir das meiste). Nachfolgend
sollen die unterschiedlichen Optionen der Phrase hinsichtlich ihrer Semantik und
pragmatischer Funktion zusammengefasst werden (Tabelle 3), die in den Kapiteln 5.2.3
bis 5.2.8 beschrieben wurden. Diese kurze Zusammenfassung ist Grundlage für Kapitel
5.2.10, in welchem beschrieben wird, dass Jedem das Seine ein sprachliches Muster
darstellt, welches in sich gleichenden Situationen verwendet wird.
72 NK=NORDKURIER, TV=TRIERISCHER VOLKSFREUND, NN= NIEDERÖSTERREICHISCHE NACHRICHTEN, NZ= NÜRNBERGER
ZEITUNG, BK= BERLINER KURIER, DZ= DIE ZEIT, GT= ST. GALLER TAGBLATT, SN= STUTTGARTER NACHRICHTEN, SZ=STUTTGARTER ZEITUNG. 73 =semantische Nähe zu lexikalisierter Extension 1 oder 2. 74 Es gibt zahlreiche Belege, die anstelle von Bier verschiedene andere Entitäten einsetzen.
69
5.2.10 Zusammenfassung der Verwendung in Domänen
Tabelle 3: Zusammenfassung der Funktionen von Jedem das Seine
Domäne Zeitung (in Klammern Zahl des Belegs) Pragmatische Funktion Beschreibt… Bewertung
Sport DIE PRESSE, 28.12.1991 (14) Kontrastive Kategorisierung Unterschiedliche Interessen wertneutral
Sport DIE PRESSE, 07.08.1998 (18) Rechtfertigung Freie Entfaltungsmöglichkeit positiv
Sport TIROLER TAGESZEITUNG, 09.05.2011 (19) Überzeugung Grundsatz positiv
Sport BASLER ZEITUNG, 01.09.2005 (22) Besänftigung, Legitimation Abweichendes Verhalten wertneutral
Werbung NIEDERÖSTERREICHISCHE NACHRICHTEN, 06.07.2009 (25) Argument Individualität positiv
Politik DIE ZEIT, 19.05.1966 (28) Warnung Exklusion einer Meinung wertneutral
Politik SAARBRÜCKER ZEITUNG, 19.05.2007 (29) Überredung Ideologie positiv
Politik MANNHEIMER MORGEN, 06.02.2009 (33) Zusammenfassung Überzeugung positiv
Politik TAGESANZEIGER, 31.10.2008 (34) Mahnung Zu verurteilendes Vorgehen negativ
Politik WESTDEUTSCHE ZEITUNG, 14.02.2013 (35) Charakterisierung Selbstbereicherung negativ
Wirtschaft SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 27.04.2006 (39) Legitimation Ungerechtigkeit negativ
Bildung MANNHEIMER MORGEN, 14.02.2001 (46) Modellierung, Vereinfachung Wünschenswertes System positiv
Automobil FRANKFURTER NEUE PRESSE, 15.12.2012 (50) Fazit Gleichwertigkeit neutral
Gesellschaft VORARLBERGER NACHRICHTEN, 11.02.2012 (56) Beschreibung Gleichheit positiv
Kultur RHEIN-ZEITUNG, 30.10.1998, (53) Relativierung Bewertung einer Situation neutral
Familie DIE TAGESZEITUNG, 12.02.2004 (60) (NS)-Vergleich Unangenehme Situation negativ
70
5.2.10.1 Muster zur Bewältigung einer kommunikativen Aufgabe
Nach eingehender Analyse der Belege, in denen Jedem das Seine semantisch und
funktional in den Kontext eingebunden ist, kann festgestellt werden, dass die Phrase
universell einsetzbar ist, vielfältige Funktionen aufweist und semantisch vage sowie
ambivalent ist (Tabelle 3). Obgleich die thematischen Domänen, die pragmatischen
Funktionen und die zu beschreibenden Situationen, in denen die Phrase eingesetzt wird,
erst einmal sehr unterschiedlich erscheinen, so wird bei näherer Betrachtung deutlich,
dass sie sich in vielen Teilen gleichen. Dass beispielsweise von gesellschaftlichen Normen
abweichendes Verhalten oder Interessen, die denen des Verfassers nicht entsprechen,
wiederholt mit der Phrase Jedem das Seine beschrieben werden, bedingt sich durch die
Verwendung des Sprichworts als sprachliches Muster, welches die Realisierung der
verschiedenen Handlungsmuster beziehungsweise pragmatischen Funktionen darstellt.
Sprichwörter sind „strategies for dealing with certain situations. In so far as situations
are typical and recurrent in a given social structure, people develop names for them and
strategies for handling them“ (BURKE 1941:256). Besteht beim Verfasser somit das
Interesse darin, sein Gegenüber zu warnen, zu besänftigen oder zu überreden, kann das
sprachliche Muster Jedem das Seine auf die jeweilige Handlung (ebenfalls Legitimation,
Rechtfertigung etc.) angewendet werden. Dabei ist es erst einmal zweitrangig, im
Rahmen welcher thematischen Domäne die Handlung vollzogen werden soll. Das
primäre Ziel ist „eine bestimmte Bewußtseinsänderung beim Rezipienten“ (GRZYBEK
1984:225). Diese Möglichkeit bedingt sich durch die bereits beschriebene semantische
Vagheit der Phrase. Aufgrund dieser Tatsache eignet sich die Phrase ebenfalls als
Modellierung, Vereinfachung oder Zusammenfassung. Dass diese Funktionen gerade in
den thematischen Domänen Politik, Wirtschaft und Bildung verwendet werden, zeigt,
dass die Phrase es ermöglicht, komplizierte Prozesse in den Erfahrungsbereich des
Rezipienten zu transferieren und diese verständlich zu machen.
GRZYBEK (1991:190) definiert Sprichwörter sogar als eine Gattung, die vorranging dazu
geeignet ist, situative Probleme zu lösen. Diese Definition entspricht wiederum der
Definition von LUCKMANN (1986:202) zu kommunikativen Gattungen, die er als „mehr
oder minder wirksame und verbindliche „Lösungen“ von spezifisch kommunikativen
71
„Problemen“" ansieht,75 deren Funktion in der „Bewältigung, Vermittlung und
Tradierung intersubjektiver Erfahrungen der Lebenswelt besteht“ (GÜNTHNER/KNOBLAUCH
1994:699). GÜNTHNER (1995:199) definiert Sprichwörter als „Minimalgattungen“, die
zwar nicht den „prototypischen Gattungen“ entsprechen, jedoch ebenfalls
„sozialverfestigte und komplexe kommunikative Muster“ darstellen. Die
Minimalgattungen können ebenfalls „integrierte Bestandteile komplexer Gattungen
sein.“ Jedem das Seine kann somit Bestandteil der komplexen kommunikativen Gattung
Warnung, Besänftigung oder Verurteilung sein.76
Es ist hierbei jedoch besonders wichtig anzumerken, dass all diese Aspekte nur
deswegen realisiert werden können, weil die Phrase auch vom Rezipienten als geeignete
Routineformel zur Lösung einer kommunikativen Aufgabe erachtet wird. Diese
Feststellung entspricht der Definition von GRZYBEK (1984:225), der bei Sprichwörtern
eine „soziale Funktion“ (vgl. Kap. 5.2.3) ausmacht. Sie können „als Formulierungen von
Überzeugungen, Werten und Normen gelten, die in einer bestimmten Kultur und Zeit
soziale Geltung beanspruchen“ (BURGER 2010:106).
Hieraus wird deutlich, dass der unbedarften Weiterverwendung der Phrase auch
linguistische Aspekte zugrunde liegen. Wäre die Phrase nicht polyfunktional und
semantisch vage, würde sie auch nicht als Routineformel oder sprachliches Muster
angewandt werden. Im nachfolgenden Kapitel werden Belege betrachtet, in denen sich
metasprachlich auf die Phrase bezogen wird.
75 Zahlreiche Bücher verweisen auf ein Zitat Luckmanns aus diesem Artikel. Das Zitat konnte jedoch nicht gefunden werden. Demnach sollen kommunikative Gattungen „historisch und kulturell spezifische, gesellschaftlich verfestigte und formalisierte Lösungen kommunikativer Probleme“ darstellen. So zitieren u.a. auch DÜRSCHEID, (2005:8) oder HABSCHEID (2011:155), nach LUCKMANN (1986:256) und verweisen im Literaturverzeichnis auf den Text Grundformen der gesellschaftlichen Vermittlung des Wissens: Kommunikative Gattungen. Der von den Autoren angegebene Artikel ist auf den Seiten 191-211 in einem Sammelwerk erschienen. 76 Kommunikative Gattungen werden weiterführend in unterschiedliche Ebenen unterteilt. So gibt es eine Binnenstruktur für prosodische, lexikalische, syntaktische und rhetorische Elemente (worunter dann auch Sprichwörter fallen), eine situative Realisierungsebene für konversationelle Aspekte und eine Außenstruktur, die soziale Faktoren miteinbezieht (GÜNTHNER/KNOBLAUCH 1994:705ff.).
72
5.3 Metasprachliche Belege
Nachfolgend werden Belege untersucht, in denen die Phrase weder semantisch noch
funktional in den Kontext eingebunden ist.
5.3.1 Die Domäne Buchenwald
Die Domäne Buchenwald ist mit 220 Belegen die größte im Korpus. Während es
eindeutig ist, dass alle Belege über den nationalsozialistischen Gebrauch aufklären, so
ist eine Statistik in diesem Zusammenhang sehr interessant. Ohne die Domäne
Buchenwald sinkt der Anteil der Belege, die über den nationalsozialistischen
Hintergrund aufklären auf 20,37 Prozent (vgl. Abbildung 20). Ein großer Teil der
Aufklärung über den Missbrauch der Phrase im Nationalsozialismus findet somit in
dieser Domäne statt.
Abbildung 20: Aufklärungsrate ohne Domäne Buchenwald
Eine äquivalente Untersuchung der Domäne wie bei den vorangegangenen Domänen
wäre nicht zielführend, da sich die Belege in ihrer Deutung der Phrase gleichen.
Interessant hingegen ist der Kontrast zu den anderen Domänen hinsichtlich des
Kotextes. Vergleicht man durch das Programm AntConc die Keyword-Lists77 der Belege,
die über die Verwendung in der NS-Zeit aufklären,78 mit denen, die es nicht tun, ergibt
sich ein differenziertes Ergebnis. Die Keyword-List zeigt im statistischen Vergleich,
inwieweit bestimmte Begriffe eines Korpus im Vergleich mit einem anderen Korpus
besonders häufig oder besonders selten vorkommen. Daraus ergeben sich dann
77 Sortiert nach: Keyness. Keyword Generation Method: Log-likelihood. Threshold Value: All Values. Other Options: Treat all data as lowercase. 78 Inklusive der Domänen Buchenwald, Sprachkritik und Werbung.
ja (173); 20,37%
nein (849); 79,63%
73
Keywords, also Lexeme, die für das Korpus Schlüsselbegriffe darstellen. Ausgewählt
wurden 15 Lexeme der 100-Top Antworten beider Listen (Tabelle 4). Die Lexeme sind
hier somit zwar nach ihrer Keyness sortiert, sie stellen aber nicht die 15-Top Antworten
dar.
Tabelle 4: Keywords der Korpora
Ja Nein
KZ Gerechtigkeit
Inschrift Lebensmotto
Gedenkstätte Kinder
Lagertor Politik
Zynisch Gleich
Häftlinge Preußen
Nationalsozialisten Solidarität
SS Unterschiedlich
Juden Geld
Überlebende Garten
Opfer Motto
Krematorium Spaß
Sterben Prinzip
Holocaust Urlaub
Missbraucht Freude
Lexeme wie Holocaust, sterben, zynisch und Häftlinge sind für die Domäne Buchenwald
konstituierend, während es bei den restlichen Domänen Lexeme wie Gerechtigkeit,
Lebensmotto, Solidarität und Spaß sind. Der hohe Kontrast wird u.a. auch dann deutlich,
wenn man sich verschiedene Interpretationen anschaut, für was Jedem das Seine
eigentlich in den Belegen steht. Wolfgang Mieder beschreibt die Phrase in (61)
beispielsweise als „befreiend“ und „demokratisierend“.
(61) MANNHEIMER MORGEN 18.07.2013
Mieder hat alles das getan. Ob er ein Lieblingssprichwort hat? „Gewiss nicht ‚Morgenstund hat Gold im Mund’“, sagt er, das lange als beliebtestes deutsches Sprichwort galt. Ein amerikanisches fällt ihm ein: „Different strokes for different
74
folks“, im Deutschen etwa: „Jedem das Seine“; befreiend und demokratisierend klinge es – im besten Sinne amerikanisch.
Im Kontext des Nationalsozialismus wird die Phrase jedoch als weltweites Symbol des
Schreckens gedeutet (vgl. (62)).
(62) HANNOVERSCHE ALLGEMEINE, 21.07.2009
Die Inschrift „Jedem das Seine“ ist zum Symbol für die Schrecken des Nazi-Terrors geworden. Gestern wurde das weltweit bekannte Tor des Konzentrationslagers Buchenwald mit dem zynischen Schriftzug abmontiert.
Betrachtet man die Belege in der Domäne Buchenwald genauer, so trifft man häufig auf
Beschreibungen der Phrase als zynische Inschrift oder missbrauchter Spruch, die dann
mit fakultativen Attributen wie barbarisch, grausam oder unmenschlich präzisiert
werden (vgl. (63) und (64)).
(63) DIE ZEIT, 15.11.1985
[…] "jedem das Seine" stand in zynisch-barbarischer Anspielung auf ein lateinisches Sprichwort über dem Lagertor von Buchenwald. es galt, im Sinne seiner Mörder und ihrer Anstifter, auch für das Opfer Ernst Thälmann.
(64) ST. GALLER TAGBLATT, 25.07.2009
«Jedem das Seine» – dieser menschenverachtende und erniedrigende Spruch steht noch über dem Tor zum ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslager Buchenwald.
Ein und dieselbe Phrase kann somit sowohl als befreiend und demokratisierend wie auch
als barbarisch und menschenverachtend gedeutet werden. Es kann als Sinnbild oder
Symbol für die Schrecken des Nazi-Terrors gelten und im darauffolgenden Absatz
Gerechtigkeit definieren und erstrebenswerte Maxime einer Gesellschaft darstellen.
Dieser hohe Kontrast wird nachfolgend im Kapitel 5.3.2 noch dezidierter ausgearbeitet.
5.3.2 Sprachkritische Ansätze nach Verfehlungen
Insofern die Phrase als Werbeslogan oder Leitspruch verwendet wird und eine große
Reichweite erzielt, erhält der nationalsozialistische Kontext Relevanz. Die Nutzung der
Phrase wird darauffolgend ausschließlich als negativ bewertet und der Kotext ähnelt
dem der Domäne Buchenwald. Folgende Reaktionen löste die unbedarfte Verwendung
u.a. aus:
75
(65) FRANKFURTER RUNDSCHAU, 05.05.1999
Die Hamburger-Kette Burger King hat in Erfurt mit einer Werbekampagne für Empörung gesorgt.
(66) THÜRINGISCHE LANDESZEITUNG, 12.03.2009
Die Jusos in der SPD reagierten mit scharfer Kritik.
(67) DIE TAGESZEITUNG, 05.01.2001
Kunden der Münchner Merkur-Bank haben entsetzt auf eine Werbeaktion mit dem Spruch „Jedem das Seine” reagiert.
Die Verwendung der Phrase kann somit auch „Empörung“, „scharfe Kritik“ und
„Entsetzen“ auslösen. Vereinzelte Zeitungen entschuldigen sich auch für ihre eigene
Verwendung oder kritisieren andere Zeitungen für einen unbedarften Gebrauch.
(68) DIE TAGESZEITUNG, 08.11.2001
„Jedem das Seine” lautete in unserer gestrigen Ausgabe auf dieser Seite die Überschrift einer Nachricht – neben großen Beiträgen über jüdisches Leben in der Bremer Neustadt. „Peinlich” bis „schlimm” waren dazu gestern die Reaktionen von LeserInnen und Redaktionsmitgliedern. Denn „Jedem das Seine” stand am Eingang des Konzentrationslagers Buchenwald, nur von innen zu lesen. Die Nazis wollten mit dem Spruch ihre Opfer verhöhnen und demütigen.
In den darauffolgenden Jahren verwendet die Zeitung die Phrase jedoch wiederholt
unbedarft, obgleich sie analog zu anderen Zeitungen über die Verfehlungen von
Werbetreibenden o. Ä. berichten. Leserkommentare führen teilweise zu einer Einsicht
bei den Redaktionen, die auch eine langfristige Wirkung erzielten. Das zeigt der Beleg
der FRANKFURTER NEUEN PRESSE ((69)). Nach dieser Anmerkung findet sich kein weiterer
Beleg in der Zeitung, der den nationalsozialistischen Hintergrund außer Acht lässt, was
jedoch auch an danach folgender geringer Datenlage im Korpus liegen kann.
(69) FRANKFURTER NEUE PRESSE, 07.10.2013
"Jedem das Seine" war am vergangenen Dienstag eine Geschichte über die gesellschaftliche Situation in der Türkei überschrieben: Wer einmal in Buchenwald war, wird niemals vergessen, dass die Nationalsozialisten unter der zynischen Losung "Jedem das Seine", viele tausend Menschen skrupellos in den Tod schickten. Auch wenn man weiß, dass das Lateinische "suum cuique" in der antiken philosophischen Theorie eine andere Bedeutung hatte, so zeugt es doch, nach meinem Empfinden, von wenig Fingerspitzengefühl oder kaum vorhandenem Geschichtsbewusstsein einer Redaktion, wenn Ihre Zeitung - zu einer Entscheidung der türkischen Regierung zum Kopftuchverbot im Staatsdienst - ausgerechnet diese Inschrift des Eingangstores von Buchenwald als fette Überschrift benutzt. Hans-
76
Joachim Bärenfänger, Elz Anm. der Red.: Die Kritik dieses Lesers, wie auch einiger anderer, die uns dazu erreichten, ist berechtigt.
In (70) kritisiert die Zeitung MANNHEIMER MORGEN die BWWOCHE für die Verwendung der
Phrase in einer Überschrift. Zum wiederholten Male wird deutlich, dass kritische
Anmerkungen nur dann erfolgen, wenn ein größeres Unternehmen die Phrase als Slogan
verwendet, Politiker die Phrase als Maxime für Gerechtigkeit beschreiben, sie eine
Überschrift in der Zeitung darstellt oder Kontrahenten damit diskreditiert werden
können. Es lassen sich nur sehr wenige kritische Anmerkungen zur prinzipiellen
Verwendung der Phrase finden. Die Reichweite und die intendierte Wirkung des
Verfassers spielen somit bei der Beurteilung eine gewisse Rolle.
(70) MANNHEIMER MORGEN, 29.11.2005
Gemessen daran leistet sich das Organ mit dem offiziösen Anstrich in seiner neuen Ausgabe einen argen Fehlgriff. "Jedem das Seine" lautet die Schlagzeile auf Seite 1 über einem ansonsten harmlosen Artikel zu individueller Förderung von Kindern. Niemandem im jungen Redaktionsteam ist aufgefallen, dass unter dem Einlieferungsmotto "Jedem das Seine" im Konzentrationslager Buchenwald zehntausende Menschen ermordet wurden. 56 000 von insgesamt einer Viertelmillion Häftlinge, das schätzt die Stiftung KZ Buchenwald, haben den Terror in dem Lager nicht überlebt. 11 000 Juden waren darunter, auch der Kommunist Ernst Thälmann. Angesichts der Geschichtslosigkeit kann man nur hoffen, dass die Selbstdarstellung der Redaktion falsch ist. Denn darin heißt es: "Kurz gesagt: bwWoche - das ist Baden-Württemberg."
Im nachfolgenden Kapitel werden grundlegendere sprachkritische Ansätze untersucht,
die zumindest im Ansatz versuchen, eine Schlussfolgerung aus der Problematik um
Jedem das Seine zu finden.
5.3.3 Die Domäne Sprachkritik
Das Korpus bietet zahlreiche Ansätze sprachkritischer Auseinandersetzung mit der
Phrase Jedem das Seine. Es muss hierbei unterschieden werden, zwischen Belegen, die
lediglich über Verfehlungen einzelner Unternehmen berichten und Belegen, die sich mit
den Folgen eines unkritischen Gebrauchs auseinandersetzen, potenzielle Lösungen
bieten und den fehlenden Konsens bezüglich NS-Sprache hinterfragen. Festzuhalten ist
schon vor der Analyse der Domäne, dass die Debatte um Jedem das Seine eine komplexe
ist, da sie nicht auf Basis von Abweichungen orthographischer oder syntaktischer
Normen geführt wird (Sprachsystemnormen), sondern auf der Basis von
77
Sprachgebrauchsnormen. Der Gebrauch der Phrase ist daher nicht falsch oder verboten
(vgl.(7)), sondern unangemessen oder geschichtsrevidierend. Der Maßstab ist bei dieser
Norm wesentlich schwerer zu definieren. Während sich Sprachsystemnormen auch von
Nichtlinguisten als richtig/falsch klassifizieren lassen können (ARENDT/KIESENDAHL
2013:162), werden Sprachgebrauchsnormen anders bewertet. Hierbei verlässt sich der
Sprachkritiker auf seine persönliche Ansicht, die von SANDERS (1992:17) als
„Sprachgefühl“ definiert wird. Dieses Gefühl ist indes nicht linguistisch begründet und
„als Summe des erworbenen Sprachwissens und der lebenslangen Spracherfahrung
eines Menschen, […] in höchstem Grade subjektiv geprägt.“ Gerade daraus ergeben sich
kontrastive Meinungen zur Weiterverwendung von NS-Sprache. Die Sensibilität des
Sprechers ist in diesem Fall von großer Bedeutung. Dass eine Klassifikation nach
richtig/falsch insbesondere bei NS-Sprache fatale Folgen haben kann, zeigt die Umfrage
der Zeitung DIE TAGESZEITUNG in (71).
(71) DIE TAGESZEITUNG, 16.01.2009
„Jedem das Seine”? Kein Nazisprech! 66,7 Prozent Nein. Die Redewendung „Jedem das Seine” war schon in der Antike bekannt.
Der hochkomplexe Sachverhalt um die Sprache des Nationalsozialismus wird hier mit
einer simplen Umfrage abgetan. Die Teilnehmer der Internetumfrage haben
entschieden, dass Jedem das Seine kein „Nazisprech“ ist. Das Ergebnis ist eine
Legitimation zu unbedarften Weiterverwendung der Phrase und im Vergleich mit den
vielen dezidierten Artikeln zur sprachkritischen Auseinandersetzung sehr unreflektiert.
Die Legitimation wird mit der Aussage begründet, dass die Phrase „schon in der Antike
bekannt“ war. Dass sich aus dieser Schlussfolgerung ein Paralogismus ergibt, bleibt
unbemerkt. Aus dem Umstand, dass die Phrase schon in der Antike bekannt war, folgt
nicht zwangsläufig, dass sie nicht auch „Nazisprech“ ist. Die Umfrage wurde nach der
Werbung von ESSO und TCHIBO veröffentlicht, also einer Werbung, die viel Kritik erhalten
hatte (vgl. Kap. 5.1.5.3) und auch gesellschaftlich als inakzeptabel gewertet wurde.
Während also eine gesellschaftliche und mediale Sensibilität gegeben war, wird diese
durch die unreflektierte Umfrage relativiert.
Was die Diskussion um Jedem das Seine außerdem so komplex macht, wird von der
STUTTGARTER ZEITUNG in (72) sowohl zutreffend, marginalisierend als auch falsch
zusammengefasst.
78
(72) STUTTGARTER ZEITUNG, 30.01.2009
Die Frage lautet zunächst, ob Wörter und Sätze, die von den Nationalsozialisten missbraucht wurden, ein für alle Mal diskreditiert sind. Es gibt Grenzfälle. Jüngst gab es Wirbel um die Formulierung "Jedem den Seinen". Tchibo und Esso zogen ihre rund 750 Werbeplakate mit diesem Slogan zurück, nachdem Salomon Korn vom Zentralrat der Juden auf den Missbrauch einer ähnlichen Formulierung hingewiesen hatte […]. Die Kampagne sei "von nicht zu überbietender Geschmacklosigkeit", ein Beispiel für "totale Geschichtsunkenntnis". Auch meldete sich der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Volkhard Knigge, zu Wort und rügte, kaum jemand wisse noch, was "Jedem das Seine" im SS-Staat bedeutet habe. Reflexe und Unverständnis steuern die Debatte. Die einen empören sich, weil sie sich stets in solchen Fällen empören und weil nur sie bei bestimmten Wörtern oder Sätzen überhaupt noch Bauchschmerzen bekommen. Die anderen tun so, als sei alles nur ein Missverständnis, und entschuldigen sich mit Floskeln in der Hoffnung, dass das Ganze bald vergessen ist. Die Medien berichten darüber, ebenfalls oft reflexhaft, eben so, wie sie sonst über schiefe NS-Vergleiche (Hans-Werner Sinn), fragwürdige Sonntagsreden (Martin Walser) und rhetorisch verkorkste Reden zum 9. November (Philipp Jenninger) berichtet haben. Sie bekommen Leserbriefe, in denen sich Bürger beschweren, dass "schon wieder die Juden" respektive "schon wieder der Zentralrat" sich aufregen.
Die Debatte um Jedem das Seine wird als „Grenzfall“ der Sprache der Nationalsozialisten
definiert. Diese Definition ergibt insofern Sinn, da die Phrase konträr zu anderen
Wendungen nicht ausschließlich dem rassistischen Radikalwortschatz der NS-Zeit
zugewiesen werden kann. Insbesondere die Reaktionen verschiedener Gruppen werden
von der STUTTGARTER ZEITUNG näher beschrieben. Die Unternehmen „tun so, als sei alles
nur ein Missverständnis und entschuldigen sich mit Floskeln“. Betrachtet man die
unterschiedlichen Reaktionen der Unternehmen, so wird deutlich, dass sie immer
wieder auf Unkenntnis verweisen und die Werbung einstellen (vgl. (73)).
(73) SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 15.06.1998
Der Sprecher sagte: „Wir haben die Sache sofort gestoppt, nachdem die Verwendung in dem KZ bekannt wurde.” Der „makabere Hintergrund” des Reklamespruchs für Mobiltelephone in verschiedenen Farben sei der jungen Generation nicht mehr bekannt. Deshalb hätten „die Kontrollfunktionen bei dem mit der Kampagne beauftragten Reklamebüro nicht funktioniert”.
Dass die Medien „oft reflexhaft“ über die Verfehlungen berichten, sich daraus aber
keine Konsequenz ergibt, wurde u.a. in Kapitel 5.1.5.5 beschrieben. Was jedoch gerade
im Hinblick auf eine potenzielle Sensibilisierung der Gesellschaft besonders schwer
wiegt, ist die Aussage, dass sich nur ein kleiner Teil empört, „weil sie sich stets in solchen
Fällen empören und weil nur sie bei bestimmten Wörtern oder Sätzen überhaupt noch
79
Bauchschmerzen bekommen“. Die Gruppe derer, die sich der Problematik bewusst ist,
wird kleiner gemacht als sie ist. Dass sich insbesondere seit 1998 eine breite sprachlich-
sensibilisierte Öffentlichkeit herausbildete, die keineswegs eine unbedeutende
Minderheit darstellte und gegen die bereits in Kapitel 4.3.2 beschriebene Verhöhnung
der Opfer durch die kommerzielle Weiterverwendung von Jedem das Seine vorging,
bleibt unerwähnt. Es waren nämlich nicht nur die „Altphilologen“ (KLENNER 2002:329)
und oder die „linguistically and historically conscious individuals“ (DOERR 2000:84), die
„Bauchschmerzen“ bekamen. Welche Folgen die Marginalisierung der Gruppe haben
kann, die sich einer unbedarften Weiterverwendung entgegenstellt, zeigt (74) aus der
Zeitung NEUES DEUTSCHLAND.
(74) NEUES DEUTSCHLAND, 23.02.2001
Die Deutsche Telekom AG wird ihre Werbebroschüre mit dem von den Nationalsozialisten missbrauchten Spruch »Jedem das seine!« nicht aus dem Umlauf nehmen. Nach Auskunft eines Sprechers bedauere das Unternehmen den Vorfall, sehe aber keine Veranlassung zu handeln. Der Slogan stehe nicht im Mittelpunkt einer Kampagne und erinnere nur Wenige an seinen zynischen Missbrauch durch die Nazis am Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald. In Zukunft wolle man ihn aber nicht mehr verwenden.
Die Tatsache, dass die Redewendung nur noch wenige an die Gräueltaten der
Nationalsozialisten erinnert, ist Legitimation dafür, die von der TELEKOM veröffentlichte
Werbung, nicht zurückzuziehen. Eine angemessene Erinnerungskultur definiert sich
gerade dadurch, dass sie Erinnerungen wachhält, die primär nicht von einem selbst
erlebt wurden. Dass die Redewendung nur noch wenige an die Nationalsozialisten
erinnert, sollte das Interesse an einer angemessenen Aufklärung steigern und nicht
mindern. Salomon Korn positionierte sich bezüglich einer unbedarften
Weiterverwendung in (75) ebenfalls eindeutig.
(75) ST. GALLER TAGBLATT, 16.01.2009
Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland sagte dazu, solange es noch einen einzigen Menschen gebe, der bei dieser Redewendung an Buchenwald denke, sei es unmöglich, sie zu verwenden. In der Tat: So viel Erinnerung muss sein. Und so viel Respekt. Auch vor dem Zitatenschatz. Das setzt jedoch – auch bei Werbern – etwas Geschichtskenntnisse voraus.
80
Die Zahl derer, die sich durch die Redewendung angegriffen fühlen, ist für die Debatte
demnach zweitrangig. Dieses Argument wird jedoch auch bei der Debatte um
ESSO/TCHIBO im Jahr 2009 angewandt.
(76) SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 15.01.2009
„Die große Mehrheit der Deutschen empfinden den Spruch – anders als ‚Arbeit macht frei’ – nicht als belastet. Wenn man 100 Leute fragen würde, würden wohl 99 den Slogan als unbedenklich einstufen”, erklärt Frank Dopheide, Geschäftsführer der Werbeagentur Grey in Deutschland. Und auch Nickel vom Werberat gibt zu bedenken: „Jedem das Seine” stamme nicht von den Nationalsozialisten, sondern habe eine lange Historie. Die Worte gelten als die Gerechtigkeitsformel – sie ist Ausdruck für das Bestreben, jedem sein Recht zukommen lassen.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sich das ST. GALLER TAGBLATT in (75) ebenfalls mit
der Frage auseinandersetzt und zu dem Ergebnis kommt, dass es unmöglich sei, die
Phrase in der Werbung zu verwenden. Betrachtet man darauf aufbauend wieder (72),
so wird noch ein weiterer wichtiger Aspekt deutlich, der eine angemessene
Erinnerungskultur erschwert.
Beschrieben wird hier die „Überdrussmentalität“ der Bürger, die sich über die
fortwährende Kritik der „Juden“ und des „Zentralrats“ beschweren. „Die Geschehnisse
in der NS-Zeit werden emotional nicht als moralische Last, die innerlich zu existenzieller
Trauer, Mitgefühl und Reflexion verpflichtet, sondern als ein Lästig-Sein empfunden, das
von den Juden oktroyiert wird und das es abzuschütteln gilt“ (SCHWARZ-FRIESEL/REINHARZ
2012:280). Die Gruppe derer, die sich über den unbedarften Gebrauch echauffieren,
wird auch in anderen Belegen negativ dargestellt. In (77) bewertet der
Rechtswissenschaftler und Professor der Humboldt-Universität zu Berlin, Prof. Dr. Dieter
Simon, die Gruppe als „Erinnerungswärter“ und „Korrektheitshüter“.
(77) SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 26.02.2001
[…] Es war wohl nur der massive Druck der Erinnerungswärter und Korrektheitshüter, die allerorten mit ihren Reinheitsgeboten herumfuhrwerken und den Andenkenfrevlern die nötige Befangenheit einbleuen, bis ihnen bei „Jedem das Seine” sofort die Angst vor der gesellschaftlichen Ächtung ins Gebein fährt.
81
Während also die Gruppe, die antisemitische Tendenzen aufweist und ein Ende der
Erinnerungskultur fordert, in ihrer Größe hochstilisiert wird (vgl. „Sie bekommen
Leserbriefe, in denen sich Bürger beschweren“), erfährt die sprachlich-sensibilisierte
Gruppe negative Bewertungen wie „Erinnerungswärter“ und „Korrektheitshüter“ und
wird marginalisiert („weil nur sie bei bestimmten Wörtern oder Sätzen überhaupt noch
Bauchschmerzen bekommen“). Es muss beachtet werden, dass sich auch zahlreiche
Zeitungen sehr reflektiert mit der Phrase auseinandersetzen. Die vorangegangenen
Belege sollen jedoch aufzeigen, dass das Fehlen eines sprachlichen Konsenses auch
kontrastive Meinungen fördert, die zum Teil unreflektiert sind. Die Folge einer
Normalisierung und Eingliederung elementarer Wendungen der NS-Sprache in den
Alltag wird u.a. von der RHEIN-ZEITUNG in (78) beleuchtet.
(78) RHEIN-ZEITUNG, 18.08.2011
Doch wirken die Worte „Theater macht frei“ überhaupt noch als Provokation? Schließlich haben sich bereits mehrere große Konzerne mit der Verwendung des ebenfalls von den Nationalsozialisten missbrauchten Spruch „Jedem das Seine“ blamiert, wissen die Schüler. Gut möglich also, dass die Mehrheit der Passanten an den Plakaten vorbeigehetzt wäre, ohne sich des Zynismus der Aussage bewusst zu werden. „Und dafür ist das Thema einfach zu wichtig.“
Demnach ist es sogar möglich, dass eine Modifikation der Phrase Arbeit macht frei
unbemerkt bleibt. Soweit geht auch die THÜRINGER ALLGEMEINE in (79), wenn sie schreibt,
dass Arbeit macht frei in ferner Zukunft „nicht nach Massenmord, sondern nur noch wie
der Slogan eines Arbeitsvermittlers klingen wird.“
(79) THÜRINGER ALLGEMEINE, 27.01.2001
Noch leben Zeitzeugen. Opfer. Nicht nur Täter oder Mitläufer. Die nichts gewusst und nichts bemerkt haben wollen. Der authentische Bericht über das erlebte Grauen der Deportation kann heute in einer Schulklasse zum Nachdenken anregen. Hilft Lücken im Wissen dort zu schließen, wo trockener Lehrstoff nicht haften bleibt. Doch die Zeit rückt näher, da klingt der Spruch Arbeit macht frei nicht nach Massenmord, sondern nur noch wie der Slogan eines Arbeitsvermittlers. Mit Jedem das Seine hat bereits ein Reiseveranstalter um Kunden geworben.
Wie solch eine Normalisierung klingen könnte, wird in (80) beleuchtet.
(80) LEIPZIGER-VOLKSZEITUNG, 27.10.2011
Mit diesem Sprichwort möchte man zumeist ausdrücken, dass die Geschmäcker verschieden sind. Und über Geschmack lässt sich bekanntlich (nicht) streiten. Was jemanden ärgert und ihm nicht gefällt, kann eine andere Person durchaus mögen
82
und für erstrebenswert halten. Einem sagt es zu und ist es zum Vorteil, den Anderen stößt es ab und bringt ihm Schaden. Alle Leute haben eben so ihre eigenen Ansichten und Vorlieben. Auch vergleichbare Wendungen tragen dem Rechnung. So kann man auch sagen: "jeder, wie es ihm beliebt" oder "jedem das Seine" - ein sehr altes ethisches Prinzip und geflügeltes Wort.
Die Phrase wird hier als „altes ethisches Prinzip und geflügeltes Wort“ definiert. Es findet
somit eine unreflektierte und selektive Darstellung statt, die die Verwendung in der NS-
Zeit völlig außen vorlässt und Unwissenheit fördert. Dass die Definition als Geflügeltes
Wort außerdem nicht zum Tragen kommt, zeigt Kapitel 5.2.9.1. Die Phrase wird
weiterhin als „Prinzip“ definiert und somit als eine „feste Regel, die jemand zur
Richtschnur seines Handelns macht, durch die er sich in seinem Denken und Handeln
leiten lässt“ (DUDEN-ONLINE79). Interessant ist darauf aufbauend die Frage, wie die Phrase
in anderen Kontexten gedeutet wird.
5.3.4 Metasprachliche Deutung der Phrase
Im Zuge der Verwendung von Jedem das Seine wird die Phrase in zahlreichen Belegen
ebenfalls metasprachlich gedeutet. Dieses Kapitel soll Aufschluss darüber geben, welche
Lexeme für die Deutung der Phrase verwendet werden. Die Lexeme sind in Abbildung
21 mit der jeweiligen Frequenz angegeben.
Abbildung 21: Metasprachliche Deutung
79 http://www.duden.de/rechtschreibung/Prinzip (zuletzt eingesehen am 08.05.2017).
139 137
96
69
3730 28
23 20 20 2015 15 11 8 7
0
20
40
60
80
100
120
140
160
An
zah
l der
Deu
tun
gen
metasprachliche Deutung der Phrase als ...
83
Bei der Deutung als Titel wurden lediglich die Belege ausgewählt, die tatsächlich die
Phrase beschreiben. Unter dem Lexem Grundsatz sind alle Belege zusammengefasst, die
die Phrase als Grundsatz und Rechtsgrundsatz definieren.
In der Domäne Buchenwald wird die Phrase nahezu ausschließlich als Inschrift,
Aufschrift oder Schriftzug gedeutet. Sie beziehen sich eindeutig auf die Verwendung am
Innentor des KZ-Buchenwald und gerade nicht auf die Deutungen, die die Phrase als
feststehende Regel definieren, wie es die u.a. die Lexeme Motto, Slogan, Grundsatz etc.
tun. Bei allen anderen Deutungen zeigen sich zwar gewisse Präferenzen für eine oder
mehrere Domänen, sie kommen jedoch in niedrigerer Frequenz in fast allen Domänen
vor. Die Deutung als Motto wird besonders häufig in den Domänen Bildung und Freizeit
angewandt. Gerade die Domäne Freizeit bietet häufiger Belege, die mit den Worten
unter dem Motto Jedem das Seine eingeletet werden (vgl. (52) und (81)).
(81) ST. GALLER TAGBLATT, 06.07.2010
Vor während und nach diesem offiziellen Auftakt wird - hoffentlich bei schönem Wetter - eine Programmfülle angeboten, die hier nur stichwortartig unter dem Motto «Jedem das Seine» angedeutet werden kann: Schwingen auf dem Kanzleiplatz, Seilziehen auf dem Schmäuslemarkt, Bungee Jumping auf dem Landsgemeindeplatz, Sumo Wrestling beim Rot-Tor, Kletterwand beim Haus Salesis, Elastorun in der Engelgasse, Lucky Rodeo am Platteneck, Gewichtheben am Schmäuslemarkt.
Die Definition als Slogan tritt insbesondere in der Domäne Werbung auf. Hier ist jedoch
festzuhalten, dass es auch einzelne Belege in der Domäne Buchenwald gibt, die dann
vom zynischen Slogan sprechen. Die Deutung als Titel verweist auf biografische oder
belletristische Werke im Bereich Literatur, Theater oder Ausstellung. Die hier nicht
aufgeführte, jedoch dreimal verwendete Deutung der Phrase als Wahlspruch bezieht
sich auf den geschichtlichen Kontext des Schwarzen Adlerordens von Preußen.
Festzuhalten ist, dass die unterschiedlichen Deutungen zu zwei kontrastiven
Hyperonymen zusammengefasst werden können.
Deutung als Inschrift in Buchenwald versus Deutung als Regel
Diese Erkenntnis ist für diese Arbeit von größter Bedeutung. Dass die Phrase als Motto,
Grundsatz, Devise, Prinzip etc. aufgefasst werden kann, macht sie universell einsetzbar,
praktikabel und zitierfähig. Die Phrase kann musterhaft, wenn nicht gar schablonenartig
84
auf unterschiedliche Situationen angewandt werden und als feststehende Regel der
sprachlichen Einordnung verschiedener Gegebenheitden dienen (vgl. Kap. 5.2.10.1).
Diese Fähigkeit hat die Phrase Arbeit macht frei beispielsweise nicht inne. Würde man
von einer Welt ausgehen, in welcher Arbeit macht frei niemals im Nationalsozialismus
gebraucht wurde, so könnte man mit der Phrase trotzallem lediglich Situationen
beschreiben, die auf Arbeit oder körperliche Anstrengung referieren. Dieser enorme
Unterschied kann als ein weiteres wichtiges linguistisches Indiz dafür angesehen
werden, warum Jedem das Seine trotz Missbrauch im Nationalsozialismus hochfrequent
eingesetzt wird. In (82) wird die Komplexität der Phrase Jedem das Seine geeignet
zusammengefasst.
(82) THÜRINGISCHE LANDESZEITUNG, 16.01.2009
Jedem das Seine. Der Slogan geht leicht über die Lippen. Zu griffig, zu tolerant kommt diese Redensart rüber und deshalb auch zu leichtfertig. Es war der Spruch, den die Nazis ins Tor des Konzentrationslagers Buchenwald schmieden ließen in zynischer Abwandlung seines ursprünglichen Sinnes. Ähnlich dem Satz Arbeit macht frei in Auschwitz.
85
6 Diskussion
Nach eingehender Analyse des gesamten Korpus können verschiedene Ansatzpunkte
dafür gegeben werden, warum Jedem das Seine trotz nationalsozialistischem Kontext so
frequent verwendet wird. Abbildung 22 fasst die gewonnenen Erkenntnisse zusammen.
Während zahlreiche Aspekte ausgemacht werden konnten, die auf gesellschaftlichen,
politischen sowie wissenschaftlichen Faktoren basieren, so hat die Analyse des Korpus
gezeigt, dass es auch diverse linguistische Gründe dafür gibt, dass eine
nationalsozialistisch belastete Phrase hochfrequent in verschiedensten thematischen
Domänen verwendet wird.
Abbildung 22: Zusammenfassung
Die vielfältigen linguistischen Aspekte sind jedoch nur deswegen so wesentlich für die
Beantwortung der Frage, warum Jedem das Seine so hochfrequent verwendet wird, weil
die Phrase soziale Geltung beanspruchen kann. Sprichwörter „werden als Normen
aufgestellt, die für das Handeln gültig sind“ (BURK 1953:62). Sie können „als autoritative
Norm des Kollektivs verstanden“ (GRZYBEK 1991:191) werden und stellen somit eine
allgemein anerkannte Routineformel dar, die es ermöglicht, Situationen zu bewältigen
86
(vgl. Koller 1977:72 Situationsbewältigungsmuster). Jedem das Seine ist somit Teil „einer
Soziologie der Kommunikation“ (LUCKMANN 1989:33). Die Phrase ist sowohl
gesellschaftlich anerkannt als modellierende Maxime in der Bildung, als ideologisches
Prinzip in der Politik, als individuelles Lebensmotto in der Gesellschaft wie auch als
kollektiver rechtssprechender Grundsatz in der Judikative. Gleichzeitig steht die Phrase
stellvertretend für Freiheit, Individualität, Demokratie und Gerechtigkeit sowie
Selbstbereicherung, Ungleichheit und Willkür. Dass sie all diese Definitionen bedienen
kann, liegt wiederum an ihrer semantischen Vagheit und ihrer pragmatischen
Polyfunktionalität, was sich insbesondere dadurch bedingt, dass Jedem das Seine als
phraseologische Mischform unterschiedliche Modifikationen, Extensionen und
Variationen ermöglicht. Die soziologischen und linguistischen Aspekte der Phrase stehen
somit in einer reziproken Abhängigkeit zueinander, da Jedem das Seine keine
anerkannte Norm darstellen würde, wenn sie sich nur auf eine ganz spezifische Situation
anwenden lassen könnte. Jedem das Seine verbindet somit die Wissenschaftsbereiche
Linguistik, Soziologie und Geschichte miteinander.
Dass die Phrase ein solch prominentes und allgemein anerkanntes sprachliches Muster
für vielfältige Situationen darstellt, zeigt zugleich die unzureichende Aufklärung
bezüglich nationalsozialistisch belasteter Sprache. Die analysierten sprachkritischen
Zeitungsbelege beschreiben lediglich eine kurative Reaktion auf Verfehlungen und
geben weder Empfehlungen für einen kritischen Gebrauch ab, noch folgen sie selbst
einem stringenten Muster bei der Weiterverwendung. Dieser Mangel ist jedoch zum Teil
als Spätfolge der geringen wissenschaftlichen Auseinandersetzung sowie
gesellschaftlichen Aufklärung von 1945 bis 1998 zu betrachten, aus welcher ein
verbindlicher gesellschaftlicher Konsens zum Umgang mit NS-Sprache hätte folgen
müssen. Zu kritisieren sind hier insbesondere die sprachkritischen Beiträge von
Zeitungen, die unreflektiert für eine Weiterverwendung der Phrase plädieren, da sie
ihren Ursprung bereits in der Antike habe und auch dementsprechend gemeint sei. Die
Analyse der Domäne Buchenwald hat gezeigt, welche Bedeutung die Phrase für
zahlreiche Opfer nationalsozialistischer Gewalt hat. Diesen Aspekt außer Acht zu lassen
ist grob fahrlässig und widerspricht der aufklärerischen Fähigkeit, wenn nicht gar Pflicht
der Medien.
87
Es ist nicht Aufgabe dieser Arbeit, zu entscheiden, ob man „die nationalsozialistische
Instrumentalisierung der epocheübergreifenden Bedeutung“ (BRUNNSEN 2010:308)
unterordnet, wie es beispielsweise VON DER PFORDTEN (2004:10) tut. Er sagt: „Wer eine
Gerechtigkeitsformel, die fast 2500 Jahre alt ist, schon durch die kurzzeitige
Pervertierung durch ein Terrorregime als nicht mehr zitierfähig ansieht, sorgt ungewollt
dafür, daß dessen geistiges Zerstörungswerk fortwirkt, anstatt offensiv und aufklärend
gegen die Pervertierung vorzugehen.“ Auch eine eindeutige Positionierung gegen eine
Weiterverwendung und für eine Tabuisierung ist weder Ziel dieser Arbeit, noch
gesellschaftlich zielführend. Wenn Kurt Scheel schreibt, dass Jedem das Seine durch den
Missbrauch im KZ-Buchenwald „verdorben“80 sei, so ist dem zuzustimmen. Doch der
„Missbrauch eines Schlagworts hebt dessen künftige Brauchbarkeit nicht auf“ (KLENNER
2002:329). Eine unbedarfte Weiterverwendung der Phrase ohne Rücksicht auf die
nationalsozialistische Vergangenheit ist indes zu kritisieren. Die in dieser Arbeit
beschriebene Unkenntnis bezüglich des Nationalsozialismus im Allgemeinen und der
Phrase Jedem das Seine im Besonderen zeigt, dass ein adäquater Gebrauch der Phrase
insbesondere durch eine fundierte wissenschaftliche Auseinandersetzung wie auch eine
breite gesellschaftliche Aufklärung erzielt werden kann. Wünschenswert wäre eine
„Konsensbildung über den angemessenen Umgang mit der lexikalischen
Hinterlassenschaft des Dritten Reichs“ (BRUNNSEN 2010:310), die auf einem hohen Grad
der „sprachlichen Zivilität“ basiert und einen historisch-kritischen Gebrauch der Phrase
zulässt. Gerade die Forderung nach einem Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit und
eine daraus resultierende „Überdrussmentalität“ (SCHWARZ-FRIESEL/REINHARZ 2012:280)
macht dieses Vorhaben jedoch besonders komplex.
80 http://www.zeit.de/2001/08/46559/komplettansicht (zuletzt eingesehen am 09.05.2017).
88
6.1 Zusammenfassung
Auf Basis eines eigens erstellten Korpus hat sich die vorliegende Arbeit mit der Frage
auseinandergesetzt, warum die Phrase Jedem das Seine trotz nationalsozialistischer
Vergangenheit hochfrequent in Pressetexten verschiedener deutscher wie
ausländischer Zeitungen verwendet wird. Ausgangspunkt dieser Untersuchung war eine
dezidierte Zusammenfassung des Forschungsstandes zur NS-Sprache und der Formel
Jedem das Seine, in welcher festgestellt werden konnte, dass die Phrase einem
nationalsozialistischen Umdeutungsprozess zum Opfer fiel und nicht zu den typischen
NS-Wendungen zählt. Trotz oder gerade wegen dieser besonderen Form wurde die am
Innentor des KZ-Buchenwald angebrachte zynische Losung gesellschaftlich wie
wissenschaftlich nicht adäquat aufgearbeitet. Das zeigte sich ebenfalls in der
mangelnden Kenntnis zum Nationalsozialismus und der fehlenden Erinnerungskultur.
Während seit dem Jahr 1998 ein allmähliches gesellschaftliches Interesse zum
historisch-kritischen Gebrauch ausgemacht werden konnte, führte die Analyse von 1242
Zeitungsbelegen der Phrase zu der Erkenntnis, dass sich abgesehen von der mangelnden
Aufklärung weitere Faktoren ergaben, warum die Phrase vielfach eingesetzt wird. So
weist die Phrase eine hohe semantische Vagheit auf, die zum Teil ambivalent ist.
Dadurch kann sie in zahlreichen thematischen Domänen eingesetzt werden. Zugleich
ermöglicht die besondere phraseologische Mischform der Wendung, ihre vielfältige
metasprachliche Deutung als Prinzip, Parole, Motto etc. und ihr Charakter als „All-Satz“
eine funktionale Einbettung in den Kontext. Mit der Phrase können Sachverhalte,
Situationen, Handlungen oder Beteiligte bewertet werden. Oftmals geht dabei eine
Regulierung der Beziehung zwischen Autor und Leser einher. Liegt eine zu bewertende
Situation vor, so kann der Autor mit Hilfe der Phrase warnen, legitimieren, verurteilen,
besänftigen, kategorisieren oder modellieren. Daraus resultiert dann oftmals eine
Handlungsanweisung für den Leser. Eine wichtige Erkenntnis ist die Tatsache, dass
Jedem das Seine nur deswegen als Handlungsanweisung oder
Situationsbewältigungsmuster verwendet werden kann, weil es als solches
gesellschaftlich akzeptiert ist und eine allgemein anerkannte Routineformel zur Lösung
eines kommunikativen Problems darstellt.
89
Im Verlauf der Arbeit wurden ebenfalls zahlreiche metasprachliche Belege betrachtet,
in denen die Phrase weder semantisch noch funktional in den Kontext eingebunden war.
Hierunter zählten insbesondere sprachkritische Ansätze sowie Belege, die sich mit dem
KZ-Buchenwald auseinandersetzten. Die Domäne Sprachkritik beinhaltete oftmals
lediglich kurative Kritik an Unternehmen, Personen des öffentlichen Lebens oder
anderen Zeitungen, nachdem sich diese der Phrase bedient hatten. Weiterhin konnten
unreflektierte Belege gefunden werden, in denen für eine unbedarfte
Weiterverwendung der Phrase plädiert wurde. In der Domäne Buchenwald konnte auf
Basis einer KeyWord-Analyse des Programms AntConc eindeutig aufgezeigt werden,
dass die Phrase außerhalb der Definition als Gerechtigkeitsformel, Maxime oder
Lebensmotto eine weitere innehat. Sie ist Synonym für Massenmord und steht
stellvertretend für das Leid von Millionen von Menschen und die Willkür und
Gräueltaten des Nationalsozialismus. Da dies jedoch nicht der einzige Kontext ist, in dem
die Phrase verwendet werden kann und es keinen einheitlichen Konsens zur adäquaten
Weiterverwendung nationalsozialistisch belasteter Sprache gibt, kommt diese Arbeit zu
der Konklusion, dass sich ein angemessener Umgang mit der Phrase weder durch
Tabuisierung noch durch unbedarfte Weiterverwendung erzielen lässt. Das Ziel ist eine
sprachlich sensibilisierte Öffentlichkeit, die sich aus der Kombination aus
wissenschaftlicher Auseinandersetzung und gesellschaftlicher Aufklärung ergibt und
einen adäquaten Umgang mit NS-Sprache zur Folge hat.
6.2 Ausblick
Abbildung 10 zeigt, dass in den Jahren 2014 und 2015 erstmals zwei
aufeinanderfolgende Jahre eine Aufklärungsrate von über 40 Prozent aufweisen
konnten. Daher wäre eine Analyse der Jahre 2016 und 2017 insbesondere im
Zusammenhang mit einem fehlenden gesellschaftlichen Konsens erkenntnisreich. Eine
Stagnation oder Erhöhung der Rate in den Jahren 2016 und 2017 wäre zwar nicht
gleichbedeutend mit einem Konsens, eine positive Tendenz wäre jedoch auszumachen.
Gerade die Untersuchung der Phrase in einer Form der interaktiven Schriftlichkeit (z.B.
Forum, Chat etc.) könnte neue Erkenntnisse bezogen auf die Funktion als
Situationsbewältigungsmuster bringen. Darauf aufbauend könnte man untersuchen, ob
sich die jeweiligen Funktionen mit den hier beschriebenen gleichen oder ob die Phrase
90
bei höherer Interaktivität weitere Funktionen aufweist. Aus den in dieser Arbeit
gewonnenen Erkenntnissen und einer Analyse der Nutzung in Foren, Chats und
eventuell sogar mündlichen Situationen könnte ein umfassendes linguistisches Muster
der Phrase erstellt werden, welches dann mit anderen polyfunktionalen Phrasen
verglichen werden kann. Das für diese Arbeit erstellte Korpus bietet jedoch ebenfalls
weitere Analysemöglichkeiten. So wäre eine Untersuchung weiterer thematischer
Domänen, bezogen auf phraseologische, semantische und syntaktische Aspekte der
Phrase, ebenfalls aufschlussreich.
91
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8 Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Ergebnisse der Studie zum Wissen über den Nationalsozialismus aus
AHLHEIM/HEGER (2002:68). Aus: AHLHEIM, K./HEGER, B., 2002. Die unbequeme
Vergangenheit: NS-Vergangenheit, Holocaust und die Schwierigkeiten des
Erinnerns. Schwalbach: Wochenschau-Verlag. S.68.
Abbildung 2: Klassifikation der Phraseologie. Eigene Darstellung. Nach: BURGER, H.,
2010. Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. Berlin: Erich
Schmidt Verlag. S.37ff.
Abbildung 3: Anzahl der Belege nach Jahren. Eigene Darstellung.
Abbildung 4: Vorgenommene Einstellungen bei COSMAS II. Screenshot der
Einstellungen für KWIC/Volltext auf https://cosmas2.ids-mannheim.de/cosmas2-
web/faces/investigation/archive.xhtml
Abbildung 5: Häufigste Zeitungen des Korpus. Eigene Darstellung.
Abbildung 6: Aufklärungsrate gesamt. Eigene Darstellung.
Abbildung 7: Aufklärungsrate nach Ländern. Eigene Darstellung.
Abbildung 8: Aufklärungsrate nach Zeitungen (1). Eigene Darstellung.
Abbildung 9: Aufklärungsrate nach Zeitungen (2). Eigene Darstellung.
Abbildung 10: Aufklärungsrate nach Jahren. Eigene Darstellung.
Abbildung 11: Thematische Domänen. Eigene Darstellung.
Abbildung 12: Aufklärungsrate nach thematischen Domänen. Eigene Darstellung.
Abbildung 13: Werbung BURGER KING. http://www.claus-bach.net/bildarchiv/alle-jahre-
wieder/. Zuletzt eingesehen am 08.05.2017.
Abbildung 14: Werbung NOKIA. http://www.bpb.de/politik/grundfragen/sprache-und-
politik/42761/jedem-das-seine?p=all. Zuletzt eingesehen am 08.05.2017.
99
Abbildung 15: Werbung AUSTRIAN-AIRLINES.
http://derstandard.at/1253596419957/Werbungs-Wortwahl-Direktflug-in-die-
Nazi-Falle. Zuletzt eingesehen am 08.05.2017.
Abbildung 16: IKEA Werbung Original.
http://riesenmaschine.de/index.html?nr=20060929145636. Zuletzt eingesehen
am 08.05.2017.
Abbildung 17: IKEA Werbung Deutschland.
http://www.kulturnation.org/archives/2006/08/29/ikea-demnachst-in-weimar-
ettersberg/. Zuletzt eingesehen am 08.05.2017.
Abbildung 18: Anteil Zitierung der Phrase. Eigene Darstellung.
Abbildung 19: Anteil Zitierung ohne Aussagen Dritter. Eigene Darstellung.
Abbildung 20: Aufklärungsrate ohne Domäne Buchenwald. Eigene Darstellung.
Abbildung 21: Metasprachliche Deutung. Eigene Darstellung.
Abbildung 22: Zusammenfassung. Eigene Darstellung.
100
9 Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Analysierte Merkmale der Belege. Eigene Darstellung.
Tabelle 2: Extensionen von Jedem das Seine. Eigene Darstellung.
Tabelle 3: Zusammenfassung der Funktionen von Jedem das Seine. Eigene Darstellung.
Tabelle 4: Keywords der Korpora. Eigene Darstellung.
101
10 Selbständigkeitserklärung
Hiermit erkläre ich an Eides statt gegenüber der Fakultät I der Technischen Universität Berlin, dass die vorliegende, dieser Erklärung angefügte Arbeit selbstständig und nur unter Zuhilfenahme der im Literaturverzeichnis genannten Quellen und Hilfsmittel angefertigt wurde. Alle Stellen der Arbeit, die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen wurden, sind kenntlich gemacht. Ich reiche die Arbeit erstmals als Prüfungsleistung ein. Titel der schriftlichen Arbeit _______________________________________________________________________ VerfasserInnen* Name, Vorname, Matr.-Nr. _______________________________________________________________________ Betreuende/r DozentIn Name, Vorname _______________________________________________________________________ Mit meiner Unterschrift bestätige ich, dass ich überfachübliche Zitierregeln unterrichtet worden bin und verstanden habe. Die im betroffenen Fachgebiet üblichen Zitiervorschriften sind eingehalten worden. Eine Überprüfung der Arbeit auf Plagiate mithilfe elektronischer Hilfsmittel darf vorgenommen werden. _______________________________________________________________________ Ort, Datum, Unterschrift** *Bei Gruppenarbeiten sind die Unterschriften aller VerfasserInnen erforderlich. **Durch die Unterschrift bürgen Sie für den vollumfänglichen Inhalt der Endversion dieser schriftlichen Arbeit