the european 4/2014
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Wann haben Sie zuletzt ber Adolf Hitler gelacht? Sicher vor nicht allzu langer Zeit, denn ob es uns nun gefllt oder nicht, Hitler ist heute eine popkulturelle Karikatur.
Liebe Leserinnen und Leser,
das Erbe des Faschismus lastet schwer auf deutschen Schultern. Ob SS-Rune oder Hakenkreuz: Wer die Insignien der Tyrannei zur Schau stellt, wird bestraft. Im Gegen-satz zu dieser juristischen Strenge hat sich eine stets Lacher garantierende Karikatur des Fhrers etabliert: Comedians, Autoren und Filmemacher geben ihn der Lcherlichkeit preis und machen Adolf Hitler so zum fatalsten Treppenwitz der Weltgeschichte.
70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs stellen wir in unserer Titel-Debatte deshalb die Frage, woraus sich diese zuweilen schizophrene Melange aus Angst und Witz im Umgang mit der Nazi-Vergangenheit speist und ob das eigentlich gesund ist. Freuen Sie sich u. a. auf Beitrge von Ernst Nolte (S. 70), dem Auslser des deutschen
Histori ke r streits, dem Bestseller-Autor (Er ist wieder da) Timur Vermes (S. 64) und dem Comedian Michael Kessler, der als Adolf Hitler ein Groraumbro tyrannisierte (S. 72).
Derweil halten Nationalisten, die Schwippschwger des Faschismus, die Globalisierung als Geisel. Sie versprechen ihren Whlern, dass ein Zurck in die starken Arme von Vater Staat mglich ist, und bauen neue Mauern. Zeichnet sich also das Ende der Globalisierung ab? Zu Wort kommen u. a. George Ritzer (S. 22), Schpfer der McDonaldisierung, der Wirtschaftshistoriker Harold James (S. 21) sowie der franzsische konom Thomas Piketty (S. 26), dessen Buch Kapital im 21. Jahrhundert seine Zunft wie selten zuvor in Unruhe versetzt.
Die Globalisierung hat uns Deutschen hingegen ein zwiespltiges Geschenk gemacht: Einerseits Frieden und Wohlstand, andererseits eine fatale Abhngigkeit vom Rest der Welt und wenn es im nahen oder fernen Osten brennt, stellt sich eine alte Frage neu: Wie halten wir es mit dem Krieg? Antworten gibt es u. a. von dem Kriegsfotografen Christoph Bangert (S. 38), der Amnesty-Generalsekretrin Selmin aliskan (S. 36) und dem SPD-Urgestein und Willy-Brandt-Intimus Egon Bahr (S. 46).
In weiteren Debatten gehen wir den Fragen nach, ob es zwischen Fast-Food und Slow- Travel auch einen entspannt-zweckfreien Umgang mit der Zeit geben kann (u. a. mit Alexander Kluge, S. 100 und Rdiger Safranski, S. 90), welche Rolle Mode in der Politik spielen sollte (u. a. mit Joachim Schirrmacher, S. 122) und welche Wellen der Zwist zwischen Vegetariern und Fleischessern schon immer schlug (S. 136). Unsere groes Neuropa-Gesprch fhren wir dieses Mal mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schuble (S. 146) und im Gesellschafts-gesprch steht der Quatschmacher Helge Schneider Rede und Antwort (S. 154). Sptestens hier darf ohne schlechtes Gewissen gelacht werden. Versprochen.
Ihre Redaktion
DEN MANN GIBT ES GAR NICHT; ER IST NUR DER LRM, DEN ER VERURSACHT (KURT TUCHOLSKY, 18901935, BER ADOLF HITLER)
JE GRSSER DAS TABU IST, UMSO BESSER MUSS DER GAG SEIN (THOMAS HERMANNS, *1963)
THEMENSITZUNG
LUIS F. M ASALLERAS COLL AGEN SIND PROVOK ANT UND BLEIBEN IM
GEDCHTNIS: DIE IDE ALE ERGNZUNG ZU UNSEREN DEBAT TEN.
WILLKOMMEN IM TE A M!
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SPENDENKONTO Dt. Bank Reutlingen
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DER GERECHTE KRIEGWofr wrden wir Deutsche noch tten?
Krieg ist politisches VersagenSELMIN ALIKAN 36
Ein Foto aus der HlleCHRISTOPH BANGERT 3 8
Debatte verfehltCATHRYN CLVER 40
Begegnung mit dem KriegBEATE WEDEKIND 42
Exportschlager TodJRGEN GRSSLIN 44
Ich bin kein PazifistGESPRCH MIT EGON BAHR 46
Einen gerechten Krieg gibt es nichtBILDSTRECKE KOMMENTIERT VON ROBERT SEDL ATZEK-MLLER 50
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THEMENSITZUNG
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SPRUCHREIF!
Hitler-Parade10
FLOTTER DREIER
Debatten aus der Schweiz, sterreich und Luxemburg
TITELDEBATTE HITLERTAINMENTZwischen Angst und Unterhaltung: Warum gehen wir so ambivalent mit Hitler um?
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16DAS ENDE DER GLOBALISIERUNG? Weltweit arbeiten Nationalisten und Populisten an ihrer Abwicklung.
Das Welt-PuzzlePARAG KHANNA 18
Vor dem KollapsHAROLD JAMES 20
GewaltmarschGEORGE RITZER 22
Die Globalisierung des LeidensIAVOR RANGELOV 24
Der Mythos von der staatlichen Souvernitt hilft Unternehmen, uns zu bescheienGESPRCH MIT THOMAS PIKETT Y 26
Die Banalisierung des BsenHELMUT ORTNER 62
Die Hitler-IndustrieTIMUR VERMES 64
Der Mut zu lachenMICHELLE STARCK 66
Der Hitler in unsBARBARA ZEHNPFENNIG 68
Die historische LastERNST NOLTE 70
Meine Eltern finden das nicht lustigGESPRCH MIT MICHAEL KESSLER 72
Hitler-BilderBILDSTRECKE HITLER-KARIKATUREN 77
UNSERE DEBATTEN
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ZEIT HABENBrauchen wir mehr Miggang? Eine Debatte in Interviews.
Der Erzhler ist der Herr der ZeitGESPRCH MIT RDIGER SAFRANSKI 90
Ich bewundere Menschen, die in den Tag hinein leben knnenGESPRCH MIT WOLFGANG BOSBACH 94
PechtropfenEXPERIMENT 98
Jeder Mensch stirbt vierundzwanzig Stunden am TagGESPRCH MIT ALEXANDER KLUGE 100
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GESPRCHSREIHE NEUROPA
Wolfgang Schuble: Das ist die faustische Wette154
GESELLSCHAFTSGESPRCH
Helge Schneider: Der Ursprung des Humors liegt im Banalen159
EDITORIAL DES CHEFREDAKTEURS
Alexander Grlach: Menschen, die auf Hitler starren 160
IMPRESSUM
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DEBATTENSTOFF
Die Redaktion stellt die 10 besten Ideen des Hefts vor162
GUILLOTINE
Hier rollen Kpfe
FLEISCH ODER GEMSE?Der ewige Streit ums tote Tier die historische Debatte.
Baumrinde statt FesttafelPLUTARCH 138
Die Lust am FleischJEAN ANTHELME BRILL AT-SAVARIN 140
Heilung durch GemseFRANZ KAFKA 143
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DIE MACHT DES ZWIRNSWie wirkt sich Kleidung auf die Politik aus?
Mode macht PolitikCHRISTINA HOLTZ-BACHA 114
Kleidung spielt keine RolleVIOL A HOFMANN 116
Ende des EinheitsbreisJAN PHILIPP ALBRECH 118
Politiker-StilkritikMELTEM TOPRAK 120
Wir unterschtzen die Macht der ModeGESPRCH MIT JOACHIM SCHIRRMACHER 122
Zhne zeigenBILDSTRECKE VON WIKTOR DABKOWSKI 126
112PLUS EINS: DEBATTEN-KULTURWas darf man noch sagen, und wo hrt der Spa auf?
Ich verteufele niemandenGESPRCH MIT BERND LUCKE 106
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KOLUMNEN
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Thomas Ramge: Betriebsblind14
Peter Wittkamp: Du bist nicht allein32
Thore Barfuss: Bekenntnisse eines analogen Besserwissers58
Sebastian Pfeffer: Zu hoch gestapelt?86
Florian Guckelsberger: Die Fnf-Prozent-Horde104
Lars Mensel: Manipuliert uns!110
Martin Eiermann: Monster gesucht134
Max Tholl: Traute Einsamkeit158
Julia Korbik: Unter Knautschgesichtern
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KOLUMNE AUSLISTEN
DU BIST NICHT ALLEIN
PETER WITTKAMP IST FREIER BERATER
FR SOCIAL-MEDIA-KOMMUNIKATION
UND KONZEPTER FR WERBUNG ALLER
ART. KRZLICH ERSCHIEN SEIN BUCH
DIE FNF SCHLECHTESTEN ANTWORTEN
AUF ICH LIEBE DICH! UND WEITERE
LEBENSRETTENDE LISTEN (KIEPEN-
HEUER & WITSCH).
www.theeuropean.de/peter-wittkamp
Peter Wittkamp erstellt Listen. Dieses Mal: Groe Gruppen, denen sich keiner zugehrig fhlt.
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D E R F R A N Z S I S C H E KO N O M T H O M A S
PI K E T T Y W U R D E D U R C H S E I N B U C H
KAPITAL IM 21. JAHRHUNDERT (C.H. BECK)
WELTWEIT BEKANNT. SEINE ANALYSE
DER WACHSENDEN GLOBALEN EIN
KOMMENSUNGLEICHHEIT TRIFFT DEN
NERV DER ZEIT. DER WIRTSCHAFTS
NOBELPREISTRGER PAUL KRUGMAN
PREIST PIKET T YS WERK ALS WICHTIGSTES
WIRTSCHAFTSBUCH DES JAHRES UND
VIELLEICHT DES JAHRZEHNTS.
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Der Mythos staatlicher Souvernitt hilft Unternehmen, uns zu bescheien
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The European: Herr Piketty, Ihr Buch Kapital im 21. Jahrhundert wurde nicht nur von Paul Krugman und Joseph Stiglitz gelobt, sondern auch von der franzsischen Populistin Marine Le Pen.Piketty: Hat sie es wirklich gelesen?
Ganz offensichtlich.Niemand hat mir erzhlt, dass ihr das Buch gefllt. Hat sie wirklich gesagt, sie htte es gelesen?
Sie wirken berrascht.Das bin ich! Ich frage mich, was fr Schlsse sie daraus zieht
Die von Ihnen vorgeschlagenen Lsungen lehnt sie ab, aber sie begrt Ihren vermeintlichen Angriff auf die globalisierte Welt.Das Buch ist auf keinen Fall eine Angriff auf die globalisierte Welt es ist vielmehr der Versuch, globalen Wettstreit mit globaler Gerechtigkeit zu vershnen. Ich glaube fest daran, dass die
Globalisierung unter dem Strich ein Gewinn ist. Aber wir mssen Mittel und Wege finden, dass auch wirklich jeder von ihr profitiert. Wenn immer mehr Menschen glauben, dass ein unverhltnis mig groes Stck des Kuchens nur dem Finanzsektor oder groen Unter nehmen zu Gute kommt, werden Leute wie Frau Le Pen mit ihrer Strategie Erfolg haben und den Nationalismus wiederbeleben.
Strt es Sie, dass Ihr Buch in diesem Sinne missbraucht wird?Ich bin fr all das, was sie an Europa bekmpft: eine engere politische und finanzielle Union, mehr Kooperation und so weiter. Die Menschen werden sehen, dass Marine Le Pen und ich nicht einer Meinung sind. Ich mchte aber klarstellen, dass es in dem Buch eher um die Entstehung der Ungleichheit geht als um jetzt zu ergreifende Manahmen. Ich
bin besser im Analysieren der Vergangenheit als im Vorhersagen der Zukunft. Tatschlich finde ich es gut, wenn meine Leser anderer Meinung sind und bessere Vorschlge einbringen. Ich wollte mit meinen Daten die Debatte anfeuern und sie auf die politische und wirtschaftliche Agenda setzen.
Was muss getan werden, um die negativen Effekte der Globalisierung unter Kontrolle zu bekommen?Unsere Institutionen sind berfordert. Der Internationale Whrungsfonds oder die Weltbank sind nicht geeignet, die mit der Globalisierung einhergehenden Probleme anzugehen. Wir brauchen engere politische, und wirtschaftliche Zusammenarbeit, um die Globalisierung so zu regulieren, dass eine Mehrheit der Menschen von ihr profitiert. Die Europische Union ist an dieser Aufgabe klar gescheitert. Wenn wir eine einheitliche Unternehmenssteuer haben oder Steuerflucht bekmpfen wollen, mssen wir die existierenden Institutionen neu strukturieren.
Thomas Piketty wird von allen Seiten politisch vereinnahmt auch von den europischen Populisten. Was fr ein neues Parlament er sich wnscht und warum er weiter auf Globalisierung setzt, bespricht der konom mit Max Tholl und Florian Guckelsberger.
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the european 27das ende der globalisierung?
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DER SCHMALEGRAT
Fr wen oder was wrden wir Deutsche noch in den Krieg ziehen? Eine Debatte zu den roten Linien der deutschen Auen- und Sicherheitspolitik und unserem Gewissen.
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ILLUSTRATION: LUIS F. MASALLERA
D en Krieg haben die Menschen nie auf die leichte Schulter genommen. Das uerste Mittel politischer Auseinandersetzung bedurfte deshalb immer einer Rechtfertigung ob nun Gottes Segen, moralischer Rechtfertigung oder, in der demokratischen Moderne, des parlamentarischen Beschlusses. Die Hochkulturen gyptens, Persiens, Griechenlands und des Rmischen Reichs unterschieden genau wie wir heute schlechte von guten Kriegen, ungerechte von gerechten.
Die Existenz letzterer leugnet ein Groteil der Deutschen heute. Der bundesdeutsche Verfassungspazifismus ist Teil der politischen DNS des Landes. Den Grundstein fr diese vielleicht letzte, eherne Konstante der Grndungsjahre legte Adolf Hitler vor genau 75 Jahren mit seinem berfall auf Polen. Auf die absolute Niederlage folgte das absolute Nie wieder; bis heute Mantra allen auenpolitischen Handels.
Doch die Welt nimmt keine Rcksicht auf die Kriegsmdigkeit der Deutschen. Schuld ist die moralische Kategorie, in der wir die Leichenfelder von Srbrenica und den ruandischen Vlkermord reflektieren, Verantwortung die politische. Aber wie bernimmt man Verantwortung? Und:
GLAUBEN WIR NOCH AN DEN GERECHTEN KRIEG UND WENN JA, FR WELCHE BERZEUGUN-GEN, WERTE ODER INTERESSEN WRDEN WIR TTEN?
Syrien, Irak, Libyen, Kongo, Palstina, Irak, Ukraine und andere Konflikte zwingen uns immer wieder, diese Frage zu beantworten. Der Verlauf der ffentlichen Debatte ist unberechenbar wie der Schuss einer Flipperkugel, wir trudeln zwischen Auschwitz und Srebrenica, von vlkerrechtlicher Schutzverantwortung zu politischen Interessen, von Realpolitik zu Polemik.
So vermint ist das Gelnde, dass sogar die Autoritt eines Bundesprsidenten nicht ausreicht, eine offene Debatte zu starten, ohne diffamiert zu werden oder das Handtuch zu werfen. Dabei ist die Frage nach Verantwortung eine, die wir alle unserem Gewissen stellen mssen. Auch und gerade dann, wenn wir Angst vor der Antwort haben.
VON FLORIAN GUCKELSBERGER IM NAMEN DER REDAKTION
SELMIN ALIKANMENSCHENRECHTSAKTIVISTINKOMMENTAR S. 36
THOMAS BANGERT KRIEGSFOTOGRAFFOTO S. 38
CATHRYN CLVERPOLITOLOGINKOMMENTAR S. 40
BEATE WEDEKINDJOURNALISTINKOMMENTAR S. 42
JRGEN GRSSLINRSTUNGSKRITIKERKOMMENTAR S. 44
EGON BAHRSPD-POLITIKERGESPRCH S. 46
ROBERT SEDL ATZEK-MLLERVETERAN & BUCHAUTORBILDSTRECKENGESPRCH S. 50
ES DEBATTIEREN
the european 35der gerechte krieg
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HITLERTAINMENT
Wir haben den grten Verbrecher zum Popstar gemacht und frchten ihn doch. 70 Jahre nach Ende des Dritten Reiches ist unser Verhltnis zu Hitler zwiegespalten.
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HITLERTAINMENT
ILLUSTRATION: LUIS F. MASALLERA
I mmer kommt noch ein Film dazu, noch eine Doku, noch ein Buch, noch ein Magazin, noch ein Comic, noch ein Witz, noch ein Vergleich. Deutschland hat eine Unterhaltungs-Obsession: Hitler ist GrPaZ die grte Popfigur aller Zeiten.
Deutschland hat auch: Angst. Nicht vor Hitler, nein. Aber es frchtet, was er hinterlassen hat. Ha ken kreuz, SS-Rune und Reichskriegsflagge: ver-boten. Mein Kampf: womglich bald. Der Staat achtet penibel auf jedes Zeichen. 88 auf dem Num-mernschild? Niemals! Kein anderes Land hat in die-ser Sache so restriktive Gesetze. Hitler htte das gefallen. Seinerzeit reichte eine Edelweinadel am Revers zur standrechtlichen Erschieung aus.
Es ist eine zwiespltige Logik. Hitler fasziniert, amsiert und verkauft. Betrachtet man den Umgang mit dem Fhrer isoliert, knnte man meinen, dass Deutschland dieses Trauma soweit eben mglich verarbeitet hat. Wer Hitler zu Popkultur macht, nimmt ihm den Schrecken, oder?
Wren da nicht seine Symbole, die behandelt werden wie schwarze Magie. Die Angst vor Hitlers Hinterlassenschaft geht von der Annahme aus, dass das deutsche Volk zwischen 1933 und 1945 vor allem von der nationalsozialistischen Symbolwelt verfhrt worden sei. Mit Gesetzen konservieren wir diese ver-meintliche Macht.
Der Zwiespalt ist eklatant: Hitler ist popkulturelle Unterhaltung, und vor den Insignien seiner Macht grassiert die Angst das ist Deutschland 70 Jahre danach. Einerseits lasch, andererseits harsch. Zwei widerstrebende Seelen wohnen in dieser Brust.
Deshalb debattieren wir:
ZWISCHEN ANGST UND UNTER-HALTUNG WAS SAGT DIESE AMBIVALENZ IM UMGANG MIT HITLER BER DIE DEUTSCHEN AUS?
VON SEBASTIAN PFEFFER IM NAMEN DER REDAKTION
HELMUT ORTNERPUBLIZISTKOMMENTAR S. 62
TIMUR VERMESSCHRIFTSTELLERKOMMENTAR S. 64
MICHELLE STARCKKULTURWISSENSCHAFTLERINKOMMENTAR S. 66
BARBARA ZEHNPFENNIGPOLITOLOGINKOMMENTAR S. 68
ERNST NOLTEHISTORIKERKOMMENTAR S. 70
MICHAEL KESSLERSCHAUSPIELERGESPRCH S. 72
HITLER-K ARIK ATURENGESAMMELT VON DER NSDAPBILDSTRECKE S. 77
ES DEBATTIEREN
the european 61hitler
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H itler und kein Ende. Kaum eine historische Figur vermag die Deutschen mehr zu bewegen. Hitler ist ein Popstar, ein Headliner der Medien- und Unterhaltungsindustrie. In seinem Erregungs- und Entrstungspotenzial wird er von keiner anderen his-torischen Schreckgestalt bertroffen. Ein Magazin, das Hitler auf das Cover setzt, verkauft sich gut.
Als Dani Levys Film Mein Fhrer Die wirk-lich wahrste Wahrheit ber Adolf Hitler 2007 in die Kinos kam, war die Aufregung im Feuilleton gro: Darf man das?, fragten nervse Journalisten, ber Hitler lachen? Als htte es Mel Brooks Frhling fr Hitler nie gegeben. Mittlerweile ist The Fhrer ein globaler Popstar. In der Kult-Trickserie Die Simpsons hat Adolf Hitler mehrere Auftritte. Keine Frage: Es gibt eine neue Leichtigkeit im Umgang mit Hitler und dem Nationalsozialismus. Nicht weil der Gegenstand seinen Schrecken verloren, sondern weil sich der Schrecken vom Gegenstand gelst hat. Ob als Film, Buch oder Parodie-Vorlage: Es scheint, als wre Hitler den Deutschen bald 70 Jahre nach Kriegsende nher denn je.
Guido Knopps bunte TV-Doku-Reportagen (Hitlers Helfer, Hitlers Frauen ...) sind noch heute Quotenbringer, BBC-Serien ber Hitlers Na-zideutschland finden auf Phoenix in Wiederholungs-Endlosschleifen ihre Zuschauer. Die dokumentari-schen TV-Filme leben von der Fiktionalisierung. Und die ist unaufhaltsam, schon allein deshalb, weil die letzten Augenzeugen aussterben.
Das tatschlich Geschehene weicht einem his-torischen Mythos, der keine Widersprche kennt. Die Gestalten, die Propaganda, die Verbrechen der Nationalsozialisten, das reale Grauen schlgt um in
Der 08/15-Hitler
ber die Banalisierung des Bsen und wie der Mann mit dem Bart zu einem Popstar wurde.
von HELMUT ORTNER schaudernde Faszination. So wird das NS-Deutsch-land vernebelt und marktgngig in die Jetzt-Zeit transferiert. Die Nazi-ra verkommt zur beliebig ersetzbaren Chiffre des Bsen mit einem verhng-nisvollen Nebeneffekt: der Verharmlosung. Und diese Verharmlosung braucht ein Gesicht: Hitler. Er ist zur popkulturellen Ikone des Bsen mutiert.
GRAUEN SCHLGT UM IN FASZINATION
Die verharmlosende Beliebigkeit steht im schroffen Gegensatz zum Verfolgungs- und Kriminalisierungs-wahn im Kampf gegen jegliche Nazi-Hinterlassen-schaft. Hakenkreuz, SS-Rune und Reichskriegs-flagge sind verboten. Wer sie ffentlich zur Schau stellt, ruft die Justiz auf den Plan. Hitlers gesam-melte Propagandaprosa Mein Kampf wird nicht gedruckt, nicht verkauft. Gerade wird darber dis-kutiert, wie zuknftig zu verfahren ist: Die Rechte an dem Machwerk bislang beim bayerischen Staat laufen ab. Ein Verbot des Werks wird diskutiert. Von den Symbolen und Schriften geht demnach noch immer eine Gefahr aus.
Wohin die Versuche der Austreibung von NS-Symbolen fhren knnen, zeigt eine Justizposse aus dem Schwabenland. Dort beschftigten sich fast zwei Jahre lang Polizisten, Staatsanwlte und Richter mit der Frage, ob ein durchgestrichenes Hakenkreuz gegen das Verbot von NS-Symbolen verstt. Woh-nungen wurden durchsucht, Aufkleber und Trans-parente beschlagnahmt, Geldstrafen verhngt. Dann entschied der Bundesgerichtshof: Demonstranten drfen verfremdete Nazi-Symbole verwenden, NPD-Gegner drfen Hakenkreuze bildlich in die Tonne treten, Punks drfen sie symbolisch mit dem Stiefel zerquetschen oder mit dem Hammer zertrmmern.
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Der Ursprung des Humors liegt im Banalen
DER IN MLHEIM AN DER RUHR GEBORENE
HELGE SCHNEIDER IST KOMIKER, MULTI
INSTRUMENTALER JAZZMUSIKER, SCHRIFT
STELLER, MALER, SCHAUSPIELER SOWIE
REGISSEUR. SEINE WERKE SIND GEPRGT
DURCH KREATIVEN UND UNKONVENTI
ONELLEN UMGANG MIT DER DEUTSCHEN
SPRACHE. ER IST VOR DEM ABITUR VON
DER SCHULE GEFLOGEN, WEIL ER AUF EINE
SELBSTGESCHRIEBENE KRANKSCHREI
BUNG ANGINA PECTORIS SCHRIEB EINE
VORBERGEHENDE DURCHBLUTUNGS
STRUNG DES HERZENS. ER DACHTE, DAS
WRE EINE ERKLTUNG.
www.theeuropean.de/helge-schneider
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ALEXANDERPLATZ EDITORIAL DES CHEFREDAKTEURS
MENSCHEN, DIE AUF HITLER STARREN
Eine Ent-Dmonisierung tut unserem Umgang mit der NS-Zeit gut denn es waren keine Boten aus der Hlle, die damals wteten. Mit Hitler sind wir Deutschen aber noch lange nicht fertig.
Hitler verkauft sich gut als Magazincover, als Kinoplot oder in Satireform. Siebzig Jahre nach Kriegsende luft dem Publikum immer noch der Schauer ber den Rcken. Die Schwarz-Wei-Bilder, die ber die Leinwand flimmern, zeigen uns das Deutschland unserer Gro- und Urgro-eltern, in das wir uns nicht hineindenken knnen, aber das wir dennoch verstehen mchten.
Wir sind nicht entschieden: Zum einen ist das Dritte Reich Gottseidank lange Geschichte. Zum anderen streiten sich Gelehrte und ffentlichkeit ber Monate, ob es eine kommentierte Ausgabe von Mein Kampf geben darf. Die Angst sitzt tief, dass sich noch einmal ein Dmon erheben knnte, dass aus den Buchstaben, die so viel Unheil angerichtet haben, sich noch ein-mal Unheil ber die Welt ergiet.
Mit Hitler sind die Deutschen lange noch nicht fertig. Und das nicht nur in einem akade-misch-historischen Sinne. Als Walter Moers mit dem Cartoon Adolf, die Nazi-Sau Hitler zu einer Comicfigur machte, war die ffentlichkeit ratlos: Ob dadurch nicht die Gefahr einer Ver-niedlichung des Diktators bestnde, wurde diskutiert. Auch die Fotokunst Pissende Nazis von Andreas Mhe, die uniformierte Nazi-Darsteller auf dem Obersalzberg zeigt, hat einige verstrt: Darf man an historischer Sttte mit dem Nationalsozialismus spielerisch umgehen?
Die Frage ist berechtigt, denn um persiflieren zu knnen, muss man das Original kennen. Und da wissen wir: Den Jugendlichen von heute sind die Nazizeit und der Holocaust fern. Zeitzeugen
sind nicht mehr Familienangehrige, die dunkelste Zeit der deutschen Geschichte tritt aus dem Bewusstsein der nachwachsenden Generation hinter die Schranke, die der Einband eines Geschichtsbuchs gemeinhin darstellt.
Knapp siebzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg steht die Gedenkkultur in Deutschland daher vor einer immensen Herausforderung. Wenn der Roman-Hit Er ist wieder da von Timur Vermes, ein Buch, dessen Plot daraus besteht, dass Hitler im Jahr 2011 in Berlin auf-wacht und versucht, seine Propaganda im Internetzeitalter unters Volk zu bringen, im Verkauf 19,33 Euro kostet, dann muss man diese Anspielung erst einmal verstehen. Gleichzeitig drngt sich legitimerweise die Frage auf, ob das Jahr der Machtergreifung heute nur noch fr einen Marketing- Gag herhalten kann.
Hitler taugt heute fr beides: zur Abschreckung und zur Belustigung. Eine Ent-Dmoni-sierung tut unserem Umgang mit der NS-Zeit gut. Dort haben keine Dmonen gewtet, son-dern Menschen aus Fleisch und Blut. Echte, feiste, irdische Typen von nebenan und keine Boten aus der Hlle.
Die Menschen damals sahen in Adolf Hitler einen politischen Messias. Die Nachkommenden haben versucht, in die eine oder andere Seite zu re-lativieren: Vom Dmon hatten wir es bereits, eine andere Weise intoniert den Klassiker mit den Autobahnen und dem damit vermeintlich verbun-denen Verdienst Hitlers, er habe die Arbeitslosigkeit beseitigt.
Wir Heutigen sehen in ihm was genau? Wir haben uns diese Frage noch nicht beantwortet.
ALEXANDER GRL ACH IST CHEFREDAKTEUR UND HERAUSGEBER VON THE EUROPEAN. AM 10.
SEPTEMBER 2014 ERSCHEINT SEIN BUCH WIR WOLLEN EUCH SCHEITERN SEHEN. WIE DIE HME UNSER
L AND ZERFRISST BEI CAMPUS.
UNSERE ERINNERUNGSKULTUR STEHT VOR EINER HERAUSFORDERUNG
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