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DONNERSTAG, DEN 24. FEBRUAR 2011 T HE M A OSTFRIESEN-ZEITUNG, SEITE 12
GROßEFEHN - An der Ein-gangstür des alten Kapitäns-hauses in Großefehn, dassich Karl-Heinz Langen-scheidt und seine Frau Han-ne als Ruhe-sitz zugelegthaben, stehtihr Lebens-motto: „Dieweite Welt istunser Feld“.Der langjäh-rige Vorsit-zende desVereins rei-senderSchaustellerOstfrieslandskann sich garkein anderesLeben vor-stellen alsdas auf quir-ligen Rum-melplätzenoder auf ge-schäftigenWeihnachts-märkten.Aber er räumt auch ein: „Fürden Beruf des Schaustellersmuss man geboren sein; denkann man nicht erlernen.“Langenscheidt feiert an die-
sem Wochenende Jubiläum:Seit 50 Jahren ist er Schau-steller. Und das macht der69-Jährige genau so, wie essich für einen Jahrmarktsbe-schicker gehört – mit der Prä-sentation eines nagelneuenKarussells. Die Berg- und Tal-bahn „Hot Snow“ haben sei-ne Söhne für ihn gekauft,und sie soll das letzte Fahrge-schäfts sein, dass Langen-scheidt sich in seiner langenSchausteller-Karriere zulegt.Es ist immerhin auch schondas 20. Karussell.
„Wir sind Schaustellerschon in der achten Genera-tion“, erzählt Langenscheidt.Sein Vater hatte in Leer einKettenkarussell und eineSchießbude. Als er mit gera-de einmal 54 Jahrenstarb, war der damalsknapp 16 Jahre alteKarl-Heinz zusam-men mit seinendrei Brüdern undseiner Schwesterquasi allein aufsich gestellt. DasKarussell und dieSchießbude reichtennicht aus, um für alle eineLebensgrundlage zu bieten.
Der 69-Jährige erinnert sich:„Ich hatte damals schon mei-nen Treckerführerschein undwollte eine Reisegewerbekar-te. Doch die bekam man erstmit 21 Jahren.“
Deshalb machte er inHamburg bei Schipper & vander Ville eine Art zweijährigesPraktikum: „Wir haben dieSonderzüge von Hamburgzum Oktoberfest nach Mün-chen beladen. Aufgrund mei-ner Erfahrungen, die ich beider größten Schaustellerfa-milie in Deutschland sam-meln konnte, bekam ich dieReisegewerbekarte schließ-lich doch schon mit 19 Jah-ren.“
Und nochetwas Wichti-ges passiertein Hamburg:Dort lernte erseine EhefrauHanne ken-nen. Ihre El-tern führtenein Zucker-warenge-schäft; folg-lich war –und ist –Hanne seine„Zuckerpup-pe“. Mit demWohnwagenund einemLanz-Bulldogzogen beideüber die Elb-brückenRichtungOstfriesland:
„Denn das Heimweh meldetesich.“ Auf dem Marktplatz inLeer hat das junge Paar da-mals überwintert: „Im Hafenkonnten wir gutes Geld ver-
dienen, wenn wir Gruben-holz oder Zement verladenhaben.“
Das mit dem „guten Geld“ist sicherlich relativ. „Es gab70 Pfennig in der Stunde“, er-zählt Langenscheidt: „Dasreichte nicht einmal dafür,dass wir uns Wellaform fürdie Haare leisten konnten.“Dafür hätten die jungenSchaustellersich ebenMargari-
ne in die Haarpracht ge-schmiert: „Die Brühe lief unsdann beim Schwof in Tamm-lings Gaststätte in Leer he-runter.“
So richtig losging es für denjungen Karl-Heinz Langen-scheidt, als seinBruder das Ket-tenkarussell ab-gab, um in dieEisbranche zuwechseln. „DerKettenflieger al-leine reichte abernicht, um überdie Runden zukommen. Da ha-be ich eine Rau-penbahn dazu gekauft“, er-zählt der 69-Jährige. Das seidamals ein echter Spaß ge-wesen, doch der Trend zum„Immer schneller, immer hö-her, immer rasanter“ ließsich nicht aufhalten.
Eines der beliebtestenFahrgeschäfte der 60erJahre war der „Wellen-reiter“. „Da kam die Ju-gend schon allein we-gen der Musik“,schmunzelt Langen-scheidt. Doch die Jahr-marktsbesucher ver-langten ständig nachNeuheiten. So legtesich der Schaustellerdas erste Hydraulik-Ka-russell Ost-frieslands
zu, den „Hollywood-Lift“. EinKassenschlager sei das „Ci-nema 2000“ gewesen: „Dawurde eine Traglufthalle auf-geblasen und fertig. Jedes
Mal hatten wir400 Leute drin,die Filme auf be-weglichen Sesselnhautnah miterle-ben konnten.“Doch irgendwannstellte der jungeJahrmarktbeschi-cker fest, dass ervon Ostfrieslandallein nicht exis-tieren konnte. Eszog ihn hinaus zuden großen Plät-zen in ganz
Deutschland. Dafür brauchteer Attraktionen. „Mein erstesnagelneues Karussell habeich im Breisgau bestellt, die
,Nordseewellen‘. Dafür habeich damals 1 000 028 Markbezahlt – das weiß ich nochwie heute. Aber seinerzeitgab es ja auch ganz andere
Möglichkeiten über die Fi-nanzierungsbanken.“
Wenn man den Sprecherder ostfriesischen Schaustel-ler fragt, dann sagt er, dassdas „Hit in 2000“ für ihn dasschönste seiner insgesamt20 Karussells war: „Damitkonnte die ganze Familiefahren.“ Fahrgeschäfte wie
das „Enterprise“ oderdas „Rainbow“ sind
nach seiner Ein-schätzung „nur
etwas für Ver-
rückte“. Teilweise geht es da-rin so wild zu, dass die nachzwei Jahren „abgenudelt“sind: „Und wer einmal damitgefahren ist, steigt da auchnicht so schnell wieder ein.“
Doch als Schaustellermuss man sich offensichtlichdem „Immer schneller, im-mer verrückter“ beugen: „Wirkriegen ja auch den Druckvon unseren Mitbewerbern,von denen wir uns auf denMärkten nicht die Butter vomBrot nehmen lassen wollen.“
Ein Problem dieser mo-dernen Fahrgeschäfte: We-gen des enormen Technik-Einsatzes und der hohen Si-cherheitsvorschriften sinddie Fahrpreise stark gestie-gen. Langenscheidt: „Ich hat-te mit 30 Pfennig für eineFahrt mit der Raupenbahnletztlich mehr Geld einge-nommen als mit 2,50 Eurofür den ,Take of‘.“ Das Geldwerde heute eher mit Würst-chen- und Ausschankbudenverdient: „Aber was wäre einJahrmarkt nur mit Schwarz-wald-Häusern und Würst-chenbuden, wenn die Fahr-geschäfte nicht da wären?“
„Es gibt nur noch wenig
Plätze, wo das Geschäft rich-tig gut läuft“, beklagt Lange-scheidt. Der Gallimarkt in derAltstadt von Leer und dasEsenser Schützenfest gehö-ren sicherlich dazu. Dochehemals große Schützenfestewie in Wittmund oder Leergibt es heute gar nicht mehr:„Ohne die Weihnachtsmärktekönnten die meisten von unsheute gar nicht mehr überle-ben.“
Trotzdem kann sich Karl-Heinz Langenscheidt keinenschöneren Beruf vorstellen:„Die einzigen Tage, an denenich nicht arbeite, sind derHeiligabend und Weihnach-
ten.“ Das soll auch so wei-tergehen. Der 69-Jährigelässt es sich nicht neh-men, das jüngste Karus-sell „Hot Snow“, das amSonnabend in Großefehn
hinter dem Kompanie-haus vorgestellt undkirchlichen Segen er-halten soll, selbst
aufzubauen:„Ich binderjenige,der im-mer denMittelbausetzt. Dazählt al-lein dieErfah-rung.“
Am Wochenende feiertder 69-Jährige sein Jubi-läum mit der Vorstellungeines neuen Fahrge-schäfts in Großefehn. Seitgut drei Jahrzehnten ister zudem Sprecher derostfriesischen Jahrmarkt-beschicker.
„Den Schausteller-Beruf kann man nicht erlernen“
VON WOLFGANG MALZAHN
PORTRÄT Karl-Heinz Langenscheidt und die Welt der Karussells / Seit 50 Jahren auf Märkten und Rummelplätzen zu Hause
Diese Familien-Aufnahme entstand vor rund 25 Jahren vorLangenscheidts Lieblings-Karussell, dem „Hit in 2000“(von links): Acki Langenscheidt, Schwester Martha Wege-ner geb. Langenscheidt, Franz und Karl-Heinz Langen-scheidt. BILDER: PRIVAT
Karl-Heinz Langenscheidtals junger Schausteller.
Das „Take of“ ist das teuerste Karussell, das Karl-Heinz Langenscheidt jemals ange-schafft hat. Rund 2,8 Millionen Euro hat er nach eigenen Angaben dafür hinblättern müs-sen. Es wird nur auf ganz großen Plätzen wie beim Gallimarkt in Leer aufgebaut, ist aberauch schon in Frankreich und den Niederlanden gelaufen.
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„Für mein ers-tes nagelneues
Karussellhabe ich
1 000 028 Markbezahlt – dasweiß ich noch
wie heute“KARL-HEINZ
LANGENSCHEIDT
Viel Spaß gemacht hatdem Leeraner Schaustellerauch das „Cinema 2000“.Hier baut er gerade ein Er-satzteil in das Kinoge-schäft ein.
Karl-Heinz Langenscheidt mit einem Modell des Lanz-Bull-dogs und des Wohnwagens, mit dem er mit seiner Frauvon Hamburg nach Ostfriesland zog. BILD MALZAHN