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Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/75 22.02.2017 75. Sitzung Mittwoch, den 22.02.2017 Erfurt, Plenarsaal Vor Eintritt in die Tagesord- nung Blechschmidt, DIE LINKE 6183, a) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der AfD zum The- ma: „Kein Steuergeld für Aus- länder ohne legalen Aufent- haltsstatus“ 6184, Unterrichtung durch den Präsi- denten des Landtags - Drucksache 6/3442 - Herold, AfD 6184, Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6185, Herrgott, CDU 6186, Berninger, DIE LINKE 6187, 6188, Werner, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 6188, b) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema: „Chan- cen und Risiken der geplanten Übernahme von Opel durch PSA: Arbeitsplätze in Eisenach sichern“ 6190, Unterrichtung durch den Präsi- denten des Landtags - Drucksache 6/3444 -

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Page 1: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 6/75 6. Wahlperiode 22.02 · Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/75 22.02.2017 75. Sitzung Mittwoch, den 22.02.2017 Erfurt, Plenarsaal

Thüringer Landtag6. Wahlperiode

Plenarprotokoll 6/7522.02.2017

75. Sitzung

Mittwoch, den 22.02.2017

Erfurt, Plenarsaal

Vor Eintritt in die Tagesord-nung

Blechschmidt, DIE LINKE 6183,

a) Aktuelle Stunde auf Antragder Fraktion der AfD zum The-ma: „Kein Steuergeld für Aus-länder ohne legalen Aufent-haltsstatus“

6184,

Unterrichtung durch den Präsi-denten des Landtags- Drucksache 6/3442 -

Herold, AfD 6184,Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6185,Herrgott, CDU 6186,Berninger, DIE LINKE 6187, 6188,Werner, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 6188,

b) Aktuelle Stunde auf Antragder Fraktionen DIE LINKE, derSPD und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN zum Thema: „Chan-cen und Risiken der geplantenÜbernahme von Opel durchPSA: Arbeitsplätze in Eisenachsichern“

6190,

Unterrichtung durch den Präsi-denten des Landtags- Drucksache 6/3444 -

Page 2: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 6/75 6. Wahlperiode 22.02 · Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/75 22.02.2017 75. Sitzung Mittwoch, den 22.02.2017 Erfurt, Plenarsaal

Helmerich, SPD 6190, 6191,6191,

Wucherpfennig, CDU 6191,Müller, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6192, 6193,Höcke, AfD 6193, 6195,Hausold, DIE LINKE 6194,Tiefensee, Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft 6196,

c) Aktuelle Stunde auf Antragder Fraktion der CDU zum The-ma: „Die Asyl- und Flücht-lingspolitik der Landesregie-rung. Zwischenbilanz nach derProtokollerklärung Thüringenszum Thema anlässlich der Mi-nisterpräsidentenkonferenzvom 9. Februar 2017“

6198,

Unterrichtung durch den Präsi-denten des Landtags- Drucksache 6/3456 -

Aussprache

Herrgott, CDU 6198,Lehmann, SPD 6199,Henke, AfD 6200,Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6201,Gentele, fraktionslos 6202,Berninger, DIE LINKE 6203, 6203,Lauinger, Minister für Migration, Justiz und Verbraucherschutz 6204,

Erstes Gesetz zur Änderungdes Thüringer Gesetzes zurRegelung des Mehrbelastungs-ausgleichs für den Vollzug desBetreuungsgeldgesetzes

6206,

Gesetzentwurf der Landesregie-rung- Drucksache 6/3039 -dazu: Beschlussempfehlung des

Ausschusses für Soziales,Arbeit und Gesundheit- Drucksache 6/3449 -

ZWEITE BERATUNG

Der Gesetzentwurf wird in ZWEITER BERATUNG und in derSchlussabstimmung jeweils angenommen.

Meißner, CDU 6206,

Erstes Gesetz zur Änderungdes Thüringer Lehrerbildungs-gesetzes

6207,

Gesetzentwurf der Fraktion derCDU- Drucksache 6/3113 -ZWEITE BERATUNG

Der Gesetzentwurf wird in ZWEITER BERATUNG abgelehnt.

6178 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

Page 3: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 6/75 6. Wahlperiode 22.02 · Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/75 22.02.2017 75. Sitzung Mittwoch, den 22.02.2017 Erfurt, Plenarsaal

Tischner, CDU 6207, 6213,Wolf, DIE LINKE 6208,Rosin, SPD 6211, 6212,Muhsal, AfD 6212,Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6214,Ohler, Staatssekretärin 6215,

Thüringer Gesetz zur Si-cherstellung von Finanzdienst-leistungen im ländlichen Raumdurch Sparkassen

6216,

Gesetzentwurf der Fraktion derAfD- Drucksache 6/3297 -ZWEITE BERATUNG

Die erneut beantragte Überweisung des Gesetzentwurfs an denHaushalts- und Finanzausschuss sowie an den Ausschuss für Infra-struktur, Landwirtschaft und Forsten wird jeweils abgelehnt.

Der Gesetzentwurf wird in ZWEITER BERATUNG in namentlicherAbstimmung bei 83 abgegebenen Stimmen mit 7 Jastimmen und76 Neinstimmen abgelehnt (Anlage).

Brandner, AfD 6216, 6219,6219, 6219, 6219, 6220, 6220, 6222, 6224, 6225,

Floßmann, CDU 6217, 6219,6220, 6220, 6220, 6221, 6221,

Müller, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6218,Dr. Pidde, SPD 6220, 6221,

6221, 6221, 6221, 6221, 6222,Skibbe, DIE LINKE 6222,Kuschel, DIE LINKE 6223,Taubert, Finanzministerin 6225,

Drittes Gesetz zur Änderungdes Thüringer Feier- und Ge-denktagsgesetzes (Gesetz zurEinführung eines Gedenktagesfür die Opfer des islamisti-schen Terrorismus)

6226,

Gesetzentwurf der Fraktion derAfD- Drucksache 6/3308 -ZWEITE BERATUNG

Der Gesetzentwurf wird in ZWEITER BERATUNG abgelehnt.

Höcke, AfD 6226, 6226,Walsmann, CDU 6227,Dittes, DIE LINKE 6228,

Thüringer Gesetz zu dem Ab-kommen zur dritten Änderungdes Abkommens über dasDeutsche Institut für Bautech-nik

6229,

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6179

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Gesetzentwurf der Landesregie-rung- Drucksache 6/3388 -ERSTE BERATUNG

Der Gesetzentwurf wird an den Ausschuss für Infrastruktur, Land-wirtschaft und Forsten überwiesen.

Keller, Ministerin für Infrastruktur und Landwirtschaft 6229,Becker, SPD 6230, 6230,

Erstes Gesetz zur Änderungdes Thüringer Umweltinforma-tionsgesetzes

6230,

Gesetzentwurf der Landesregie-rung- Drucksache 6/3431 -ERSTE BERATUNG

Der Gesetzentwurf wird an den Ausschuss für Umwelt, Energie undNaturschutz – federführend – sowie an den Innen- und Kommunal-ausschuss überwiesen.

Möller, Staatssekretär 6230,Krumpe, fraktionslos 6231,Kießling, AfD 6232,Dittes, DIE LINKE 6232,Becker, SPD 6233,

Thüringer Gesetz zur Ausfüh-rung des Therapieunterbrin-gungsgesetzes (ThürThUGAG)

6234,

Gesetzentwurf der Landesregie-rung- Drucksache 6/3441 -ERSTE BERATUNG

Der Gesetzentwurf wird an den Ausschuss für Migration, Justiz undVerbraucherschutz überwiesen.

Lauinger, Minister für Migration, Justiz und Verbraucherschutz 6234, 6234,Brandner, AfD 6235,

Dreizehntes Gesetz zur Ände-rung des Thüringer Abgeord-netengesetzes (Gesetz zur An-passung der Altersentschädi-gung der Abgeordneten)

6236,

Gesetzentwurf der Fraktion derAfD- Drucksache 6/3438 -ERSTE BERATUNG

Der Landtag beschließt gemäß dem Vorschlag des Ausschusses fürMigration, Justiz und Verbraucherschutz nach § 121 Abs. 2 GO, derRechtsauffassung des amtierenden Präsidenten, wonach der Antragder Fraktion der AfD, über die Vertagung der Beratung des Tages-ordnungspunkts 11 namentlich abzustimmen, gemäß § 44 Abs. 4Nr. 7 GO unzulässig ist, zu folgen.

6180 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

Page 5: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 6/75 6. Wahlperiode 22.02 · Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/75 22.02.2017 75. Sitzung Mittwoch, den 22.02.2017 Erfurt, Plenarsaal

Der Landtag beschließt gemäß dem Vorschlag des Ausschusses fürMigration, Justiz und Verbraucherschutz nach § 121 Abs. 2 GO, derRechtsauffassung des amtierenden Präsidenten, wonach der Antragder Fraktion der AfD, gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 2 GO die Reihenfolgeder Beratungsgegenstände in den Tagesordnungspunkten 11, 12und 13 zu ändern, nach Aufruf des betreffenden Tagesordnungs-punkts unzulässig sei, zu folgen.

Der Landtag lehnt die erneute Einberufung des Ausschusses für Mi-gration, Justiz und Verbraucherschutz nach § 121 Abs. 2 GO wegender Frage, ob über die Vertagung des Tagesordnungspunkts 11 na-mentlich abgestimmt werden kann, als missbräuchlich ab.

Die Vertragung des Tagesordnungspunkts 11 nach § 24 Abs. 2Satz 1 GO wird abgelehnt.

Die beantragte Überweisung an den Haushalts- und Finanzaus-schuss, an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit so-wie an den Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutzwird jeweils abgelehnt.

Brandner, AfD 6236, 6236,6236, 6236, 6236, 6237, 6237, 6237, 6237, 6237, 6238, 6238, 6238, 6238, 6239, 6239, 6239, 6239, 6239,

6240, 6240, 6240, 6240, 6240, 6241, 6241, 6246, 6246,Hennig-Wellsow, DIE LINKE 6238,Muhsal, AfD 6240, 6250,Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6241, 6243,Geibert, CDU 6241,Höcke, AfD 6241, 6241,

6242,Tasch, CDU 6242,Korschewsky, DIE LINKE 6244,Marx, SPD 6249, 6250,

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6181

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Anwesenheit der Abgeordneten:

Fraktion der CDU:

Bühl, Carius, Fiedler, Floßmann, Geibert, Grob, Gruhner, Herrgott, Holbe,Holzapfel, Kellner, Kowalleck, Lehmann, Lieberknecht, Liebetrau, Malsch,Meißner, Mohring, Schulze, Tasch, Thamm, Tischner, Prof. Dr. Voigt, Walk,Walsmann, Wirkner, Worm, Wucherpfennig, Zippel

Fraktion DIE LINKE:

Berninger, Blechschmidt, Dittes, Engel, Hande, Harzer, Hausold,Hennig-Wellsow, Huster, Jung, Kalich, König, Korschewsky, Kräuter,Kubitzki, Kummer, Kuschel, Leukefeld, Lukasch, Dr. Lukin, Dr. Martin-Gehl,Mitteldorf, Müller, Schaft, Dr. Scheringer-Wright, Skibbe, Stange, Wolf

Fraktion der SPD:

Becker, Helmerich, Höhn, Lehmann, Marx, Matschie, Mühlbauer, Pelke, Dr.Pidde, Rosin, Taubert, Warnecke

Fraktion der AfD:

Brandner, Henke, Herold, Höcke, Kießling, Muhsal, Rudy

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Adams, Henfling, Kobelt, Müller, Pfefferlein, Rothe-Beinlich

fraktionslos:

Gentele, Krumpe, Reinholz

Anwesenheit der Mitglieder der Landesregierung:

Ministerpräsident Ramelow, die Minister Taubert, Keller, Lauinger,Siegesmund, Tiefensee, Werner

6182 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

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Beginn: 14.02 Uhr

Präsident Carius:

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darfSie bitten, die Plätze einzunehmen. Ich heiße Sieherzlich willkommen zu unserer heutigen Plenarsit-zung, begrüße auch die Gäste auf der Zuschauer-tribüne und habe eine besondere Freude: Frau Ab-geordnete Beate Meißner hat am 02.02. diesesJahres geheiratet. Ich denke, ich spreche im Na-men aller, wenn wir ihr herzlich gratulieren, allesGute für sie, ihren Mann und die Familie wünschen.

(Beifall im Hause)

Für die Plenarsitzung hat als Schriftführerin FrauDiana Lehmann neben mir Platz genommen, dieRedeliste wird von Herrn Stefan Gruhner geführt.

Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt:Herr Abgeordneter Primas, Herr Abgeordneter Em-de, Herr Abgeordneter Hey, Herr AbgeordneterMöller, Herr Abgeordneter Scherer, Herr Minister-präsident Ramelow, Herr Minister Prof. Dr. Hoff.

Ich darf darauf hinweisen, dass die ThüringerHandwerkskammer für heute zum 25. parlamenta-rischen Abend des Thüringer Handwerks eingela-den hat – ein erfreuliches Ereignis, das besondersviele Gäste anzieht, und zwar so viele, dass wirnicht wie üblich in dem großen Anhörungssaal, son-dern im Plenarsaal tagen. Das heißt für uns, dasswir gegen 20.00 Uhr mit dem parlamentarischenAbend beginnen werden. Sie sehen da hintenschon eine Leinwand aufgestellt. Meine Bitte an dieKollegen wäre, dass Sie Ihre Unterlagen nach derSitzung mit in Ihr Büro nehmen, bevor Handwerkersie vielleicht mit nach Hause nehmen und Sie siedann am nächsten Tag nicht finden.

Der Ältestenrat hat gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 derGeschäftsordnung für Herrn Jan-Frederik Tänzer,für Herrn Ralf Schemel, für Herrn Lutz Stordel undfür Herrn Jakob Richter von N24 Dauerarbeitsge-nehmigungen für Bild- und Tonaufnahmen im Ple-narsaal für die gesamte Wahlperiode erteilt.

Die Fraktionen waren im Ältestenrat übereingekom-men, heute nach 18.30 Uhr keinen weiteren Tages-ordnungspunkt aufzurufen und am Donnerstag um21.00 Uhr das Sitzungsende festzulegen. Wie Sieder Plenumseinladung weiterhin entnehmen kön-nen, ist man im Ältestenrat übereingekommen, dieTagesordnungspunkte 26 und 27 in dieser Plenar-sitzung auf jeden Fall aufzurufen.

Die Tagesordnungspunkte 1 a, b und c sowie dieTagesordnungspunkte 2 und 4 werden wiederumvon der Tagesordnung abgesetzt, weil der Innen-und Kommunalausschuss noch nicht abschließendberaten hat.

Die Beschlussempfehlung zu Tagesordnungs-punkt 3 hat die Drucksachennummer 6/3449.

Zu Tagesordnungspunkt 29 wurde ein Änderungs-antrag des Abgeordneten Krumpe in der Drucksa-che 6/3455 verteilt. Da für die Zulässigkeit diesesÄnderungsantrags die Zustimmung des Antragstel-lers notwendig ist, frage ich die Fraktion der CDU,ob die Zustimmung erteilt wird.

(Zuruf Abg. Mohring, CDU: Ja!)

Herr Abgeordneter Mohring sagt, sie ist gegeben,sodass der Änderungsantrag zulässig ist.

Zu Tagesordnungspunkt 30 wurde ebenfalls ein Än-derungsantrag des Abgeordneten Krumpe in derDrucksache 6/3471 verteilt. Auch hier frage ichnach Zustimmung.

Dies wird bestätigt, sodass auch dieser Änderungs-antrag zulässig ist.

Zu Tagesordnungspunkt 34, der Fragestunde, kom-men die Mündlichen Anfragen in den Drucksachen6/3414 und 6/3430, 6/3432, 6/3443, 6/3450, 6/3451und 6/3453 hinzu.

Die Landesregierung hat mitgeteilt, neben den be-reits zu den letzten Plenarsitzungen angekündigtenSofortberichten zu den Tagesordnungspunkten 13,16 und 17 auch zu den Tagesordnungspunkten 23,24, 25, 26 und 28 von der Möglichkeit eines Sofort-berichts gemäß § 106 der Geschäftsordnung Ge-brauch zu machen.

Jetzt frage ich: Gibt es weitere Wünsche zur Tages-ordnung? Herr Abgeordneter Blechschmidt, bitte.

Abgeordneter Blechschmidt, DIE LINKE:

Danke, Herr Präsident. Drei kleine Veränderungenwürden wir gern im Zusammenhang mit der Tages-ordnung vornehmen. Die Tagesordnungspunkte 18und 19 würden wir gern gemeinsam beraten, weilsie inhaltlich zusammengehören. Die Tagesord-nungspunkte 23 und 33, das hatten wir schon in derletzten Plenarsitzung, gehören auch inhaltlich zu-sammen und sollten deshalb zusammen beratenwerden. Wir wollen den Tagesordnungspunkt 16von dieser Tagesordnung absetzen und ihn auf dieTagesordnung der Anfang Mai stattfindenden Ple-narsitzung setzen. Zum 1. Mai könnten wir auchnoch reden, dann machen wir eine Sondersitzung.

Präsident Carius:

Weitere Wünsche? Das ist nicht der Fall, sodasswir zur Abstimmung kommen, und zwar zunächstdazu, die Tagesordnungspunkte 18 und 19 zusam-menzulegen. Da sehe ich keinen Widerspruch, so-dass wir das derart machen können.

Bei den Punkten 23 und 33 hatten wir das bei derletzten Plenarsitzung schon beschlossen. Da seheich jetzt auch keinen Widerspruch, sodass auchdas einmütig entschieden ist.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6183

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Bei dem Vertagungsantrag – ich blicke jetzt in dieRunde – gibt es auch keinen Wunsch, das anderszu sehen, sodass der dann im Mai für die nächstePlenarsitzung aufgenommen werden wird. VielenDank.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 35, die AktuelleStunde.

Die Fraktionen haben insgesamt drei Aktuelle Stun-den eingereicht. Jede Fraktion hat in der Ausspra-che 5 Minuten Redezeit, für die Landesregierungbeträgt sie grundsätzlich 10 Minuten und die frak-tionslosen Kollegen haben eine Gesamtredezeitvon 5 Minuten.

Ich eröffne den ersten Teil der Aktuellen Stunde

a) Aktuelle Stunde auf Antragder Fraktion der AfD zum The-ma: „Kein Steuergeld für Aus-länder ohne legalen Aufent-haltsstatus“Unterrichtung durch den Präsi-denten des Landtags- Drucksache 6/3442 -

Frau Abgeordnete Herold für die AfD-Fraktion hatals Erste das Wort.

Abgeordnete Herold, AfD:

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete, liebe Zuschauer auf derTribüne und im Internet! Wir leben in einem Staat,in einem Rechtsstaat, in dem man für das Nichtzah-len von Zwangsgebühren für öffentlich-rechtlichesFernsehen

(Zwischenruf Abg. Blechschmidt, DIE LINKE:Das ist ein Beitrag!)

möglicherweise in Haft kommen kann, wenn einemdie sich daraus ergebenden Rechtsfolgen ereilen.Allerdings gilt das nicht für illegale Einreise. DiesesDelikt kann man hunderttausend-, zehntausendfachbegehen, ohne dass es in Deutschland irgendwel-che ernst zu nehmende rechtliche Konsequenzenhätte. Dabei sind es keine Kavaliersdelikte, sondernStraftatbestände. § 95 des Aufenthaltsgesetzessieht je nach Rechtslage für diese Straftat Freiheits-strafen von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafevor. Nach § 95 Abs. 3 ist allein der Versuch der il-legalen Einreise strafbar. Allein im Jahr 2015 gabes 2.330 Fälle von sich unerlaubt in Thüringen auf-haltenden Ausländern. Allerdings wurden nur 16davon überhaupt verurteilt. Zahlen für das vergan-gene Jahr 2016 liegen nach Auskunft der Landes-regierung immer noch nicht vor. Bundesweit gab esim vergangenen Jahr mindestens 111.000 Fällevon versuchter oder erfolgter illegaler Einreise. Al-lein in Passau wurden 33.265 Ermittlungsverfahrenwegen unerlaubter Einreise eingeleitet.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:Können Sie zum Thema reden?)

Lediglich 234 davon landeten überhaupt vor Ge-richt. Die Staatsanwaltschaften, übrigens nicht nurin Grenznähe, da wir ja keinen konsequentenGrenzschutz haben und die Bundespolizei nicht je-den illegalen Migranten gleich zu fassen bekommt,ermitteln für den Papierkorb, legen für jedes mögli-che Ermittlungsverfahren einen Vorgang und einAktenzeichen an. Schon bevor die Staatsanwalt-schaft ins Spiel kommt, ist die Polizei damit be-schäftigt, allerdings auch für die berühmte Katz.

Das Rechtsvollzugsdefizit ist für jeden, der Augenhat, offensichtlich zu sehen. Diese Landesregierungjedoch kümmert sich nicht darum, es zu beheben.Nein, sie fördert den illegalen Aufenthalt in Thürin-gen, ermuntert zur illegalen Einreise nach Thürin-gen und belohnt die Illegalen in Thüringen mit kei-ner Abschiebung und darüber hinaus mit kostenlo-ser medizinischer Versorgung. Alle, die aus wel-chen Gründen auch immer nach Thüringen kom-men, sich hier registrieren lassen als Antragstellerfür Asyl, subsidiären Schutz, Schutz nach der Gen-fer Flüchtlingskonvention oder einfach, weil sieglauben, hier besser einen Arbeitsplatz zu finden,ob sie vom Balkan kommen, aus dem MittlerenOsten oder woher auch immer: Wenn sie hier regis-triert sind, haben sie Anspruch auf eine medizini-sche Grundversorgung auf Kosten und zulasten derSteuerkasse. Aber im Koalitionsvertrag kündigt Rot-Rot-Grün bereits die Einführung von anonymisier-ten Krankenscheinen für Menschen ohne Papiereim Rahmen eines Modellprojekts an. Das Projektsoll dann ausgewertet und als Grundlage für eineEntscheidung genommen werden. Eines muss mandieser Landesregierung lassen, sie ist wirklich kon-sequent, was die ideologischen Lieblingsprojekteangeht. 230.000 Euro spendiert SozialministerinFrau Werner für die medizinische Versorgung vonillegal hier Aufhältigen für je eine Arzt-, eine Verwal-tungsteilzeitstelle, medizinische Behandlung undArzneimittel. Das muss man sich auf der Zungezergehen lassen: eine Sozialministerin, die zu un-rechtmäßigem, strafrechtlich zu verfolgendem Auf-enthalt Beihilfe mit medizinischer Versorgung leis-tet.

(Beifall AfD)

(Unruhe DIE LINKE)

Es ist das hart erarbeitete Geld des Steuernutz-viehs, das hier ausgegeben wird. Ist es rechtsstaat-lich, Beihilfe für die Straftaten der illegalen Einreiseund des illegalen Aufenthalts zu leisten?

(Zwischenruf Abg. Dr. Lukin, DIE LINKE: DieSteuerzahler als Nutzvieh zu bezeichnen!Unmöglich!)

Die AfD als Rechtsstaatspartei wird für Aufklärungsorgen.

6184 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Präsident Carius)

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(Heiterkeit DIE LINKE)

Wir fragen nach, was die Förderung von Illegalendurch Arbeitsmarktprogramme oder Migrationspro-jekte angeht. Wir machen Druck. Wir stehen für diesoziale Heimat Thüringen.

(Beifall AfD)

Der Sozialstaat kann als Erfolgsmodell nur erfolg-reich verteidigt und ausgebaut werden, wenn derZugang zu ihm über die Staatsangehörigkeit oderüber die Ableistung der diversen vorgezeichnetenRechtswege führt. Konsequente Grenzsicherungstatt konsequenter Rechtsbeugung ist das Gebotder Stunde. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Präsident Carius:

Danke schön. Als Nächste hat das Wort die Abge-ordnete Rothe-Beinlich für die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen.

Abgeordnete Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrtenDamen und Herren, ja, die rot-rot-grüne Koalitionund auch die koalitionstragenden Fraktionen sindkonsequent, konsequent, was Grund- und Men-schenrechte anbelangt, denn diese gelten für alleMenschen,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Da prallenin der Tat Menschenbilder aufeinander, wenn wiruns das vor Augen führen, was wir hier eben vonFrau Herold zur Kenntnis nehmen mussten. Füruns gilt weiterhin: Kein Mensch ist illegal.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Und: Gesundheit und der Zugang zu medizinischerVersorgung müssen demzufolge auch für alle ge-währleistet sein. Deshalb an dieser Stelle zunächstein ganz herzliches Dankeschön an unsere Ge-sundheitsministerin, Frau Werner, dafür, dass sieund ihr Ministerium ein Modellprojekt zur medizini-schen Versorgung von Menschen ohne Papiere un-terstützen und dafür Fördermittel – das konnten wirauch schon der Drucksache zur Aktuellen Stundeder AfD entnehmen – in Höhe von 230.000 Euro anden Verein „Anonymer Krankenschein“ übergebenhaben.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Wofür sind diese Mittel? Die Mittel werden genutztfür den Aufbau und den Betrieb einer medizini-schen Versorgungs- und Vermittlungsstelle für

Menschen ohne Papiere. Auf diese medizinischeVersorgung – wir hatten dazu übrigens auch inten-sive Debatten in der letzten Legislaturperiode –musste Thüringen viel zu lange warten. Wir Grünenjedenfalls sind froh, dass nun für diese Menschenendlich eine Versorgungsstruktur und eine Vermitt-lungsstelle geschaffen wurde.

Lassen Sie mich noch mal klarstellen, worum eshier eigentlich geht, und vor allem, um wen. Men-schen, die sich ohne behördliche Genehmigung inDeutschland aufhalten, sind nämlich alles andereals kriminell. Sie werden allerdings kriminalisiert,und zwar fast ausschließlich durch das Ausländer-recht in Deutschland. Die sogenannten „irregulären“Migranten oder Statuslosen bzw. Papierlosen sindnämlich in Wahrheit größtenteils arbeitende Men-schen, die lediglich ohne geregelten Aufenthalt beiuns leben. Und sie werden hier oftmals ausgebeu-tet. Was machen denn diese Menschen? Sie sindes, die hier in schlecht bezahlten Jobs arbeiten,zum Beispiel in der Gastronomie, in sogenanntenhaushaltsnahen Dienstleistungen, in der häuslichenPflege oder in Helferberufen. Und zu ihnen gehörenauch viele ältere Flüchtlinge und ihre Kinder unddie, die lediglich ihren Familien gefolgt sind.

(Zwischenruf Abg. Herrgott, CDU: Damit un-terstützen Sie die Ausbeutung!)

Sie, die Statuslosen, machen in vielerlei Hinsicht füruns die Drecksarbeit. Wir unterstützen nicht dieAusbeutung, meine sehr geehrten Damen und Her-ren!

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Im Gegenteil: Wir wollen die Betroffenen nämlichlegal beschäftigen. Wir wollen, dass auch sieselbstverständlich beispielsweise einen Mindest-lohn einklagen können. All das können sie nicht.Und jetzt stellen Sie sich vor, so ein Mensch verun-glückt oder verletzt sich bei seiner Arbeit oder er-krankt schlichtweg und hat keinerlei Zugang zu me-dizinischer Versorgung! Im Übrigen, mein Frak-tionsvorsitzender, Dirk Adams, hat bei der Redevon Frau Herold zu mir gesagt: Selbst im Krieg wares so, dass, wenn ein Schiff in Seenot geraten istvon der einen Seite und tatsächlich in Gefahr war,selbstverständlich Hilfe von der anderen Seite ge-leistet werden musste. Im Übrigen ist das genausoauch bei Ärztinnen und Ärzten und beim medizini-schen Personal, sie alle haben einen hippokrati-schen Eid geleistet und sie sind zur Hilfeleistung inmedizinischen Notfällen sogar verpflichtet, meinesehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Deswegen sagen wir ganz deutlich: Es ist an derZeit, dass diesen Menschen endlich auch der Zu-gang zu medizinischer Versorgung gewährt wird.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6185

(Abg. Herold)

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Entscheidend war zu erkennen, dass sie diesen Zu-gang eben nicht haben, dass sie oftmals mit ver-meintlich einfachen Krankheiten, Knochenbrüchenoder anderen Verletzungen vor sich hin laborieren,manchmal sogar mit dem Tod konfrontiert sind, weilsie schlichtweg keine Versorgungszugänge haben.Deshalb mussten wir hier aktiv werden. Im Übrigenhaben diese Menschen nicht nur Probleme beimZugang zu medizinischer Versorgung, sondern ge-nauso auch Probleme beim Zugang zu Sozialleis-tungen – jetzt werden Sie aufschreien –, obwohl ih-nen diese nach dem Asylbewerberleistungsgesetzsogar zustehen, wenn sie als vollziehbar Ausreise-pflichtige gelten. Und ihre Kinder haben auch keineZugänge zu Bildungseinrichtungen und Kinderta-geseinrichtungen. Auch darüber müsste man maldiskutieren. Wir Grüne wollen das jedenfalls än-dern.

Wir sehen es als gesellschaftliche Aufgabe im Sin-ne einer menschenrechtsorientierten Flüchtlingspo-litik, diese Menschen aus dem Schattendasein undder oktroyierten Illegalität herauszuholen, und des-halb unterstützen wir natürlich nicht nur die Schaf-fung von Strukturen zur besseren medizinischenVersorgung dieser Menschen, sondern auch politi-sche Initiativen, die den hier lebenden statuslosenMenschen einen dauerhaft legalisierten Aufenthaltermöglichen.

Ich möchte noch einmal den Blick kurz über denTellerrand wagen: Andere Länder wie Italien, Portu-gal, Frankreich und Spanien haben längst Gesetzezur Legalisierung von sogenannten Statuslosen er-lassen. Ich hoffe, dass uns das auch in Deutsch-land demnächst gelingt. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsident Carius:

Danke schön. Als Nächster hat das Wort Abgeord-neter Herrgott für die CDU-Fraktion.

Abgeordneter Herrgott, CDU:

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen undHerren, zunächst noch ein Wort zur Kollegin vonder AfD: Die AfD macht Druck – na ja, das sah inder letzten Woche zu diesem Thema ein bisschenanders aus. Wir haben dazu von Ihnen leider keineÄußerungen gehört, als das Thema akut war; damussten Sie sich mit dem eventuellen AusschlussIhres Vorsitzenden aus der AfD beschäftigen.

Dennoch will ich sagen, es ist ein wichtiges Themaund deswegen ist es auch gut, dass wir heute überdieses Thema hier sprechen. Ich habe in der letz-ten Woche ausführlich in der OTZ und in den Lan-desmedien dazu was gesagt und will das heuteauch gern hier noch mal tun.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung för-dert das Projekt „Anonymer Krankenschein“ in die-sem Jahr mit 230.000 Euro. Das ist so absurd, dassman es kaum beschreiben kann.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ihr Menschenbild ist absurd!)

Sie unterstützen und fördern mit 230.000 EuroSteuergeld die Verlängerung von illegalem Aufent-halt in Thüringen.

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Nein!)

Meine Damen und Herren, bevor hier die Argumen-tation kommt, dass wir doch kranke Menschen nichtunbehandelt ihrem Schicksal überlassen können:Meine Damen und Herren, das tun wir auch nicht!

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Ach nein?!)

Jeder Ausländer im Asylverfahren oder mit Aufent-haltsstatus erhält Krankenbehandlung. Selbst dieje-nigen, die eine Ablehnung bekommen haben – dashat Frau Rothe-Beinlich gerade ausgeführt –, be-kommen eine Krankenbehandlung. Und diejenigen,die bewusst untergetaucht sind, selbst die könnensich behandeln lassen, allerdings müssen die be-handelnden Ärzte diesen Vorfall den Ausländerbe-hörden melden.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:Das ist falsch!)

Das hat nichts mit Verpfeifen zu tun, wie es Ärzte-präsident Montgomery einmal genannt hat, sonderndas ist konsequente Rechtsanwendung.

(Beifall CDU)

Hier wird niemand von der Krankenbehandlungausgeschlossen, meine Damen und Herren, son-dern diese ist lediglich an die Einhaltung unsererGesetze geknüpft.

Unter dem fadenscheinigen Deckmantel der Huma-nität geben Sie den Menschen, die sich nicht an un-sere Regeln und Gesetze halten, das klare Signal:Es ist uns egal, ob sie unseren Staat und seine Ge-setze anerkennen; ihr könnt auch illegal hier in Thü-ringen bleiben und bekommt auch noch kostenfreieanonyme Krankenbehandlung. Das untergräbt je-den staatlichen Anspruch auf Rechtstreue seinerBürger und auf die Rechtstreue seiner Gäste, mei-ne Damen und Herren.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:Das ist so armselig, was Sie hier machen,Herr Herrgott!)

Ich kann mich nicht auf der einen Seite den Pflich-ten entziehen, indem ich untertauche, aber alleRechte, die mit einem legalen Aufenthalt inDeutschland verbunden sind, einfordern. Und wenn

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(Abg. Rothe-Beinlich)

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Sie sagen, Sie wollen diese Menschen aus demSchattendasein herausholen: Der richtige Weg istund beginnt mit einem legalen Aufenthaltsstatus,das ist der erste Schritt!

(Beifall CDU)

Dann unterstütze ich auch nicht das Schattenda-sein von Menschen in Illegalität, die ausgebeutetwerden und die ich mit anonymer Krankenbehand-lung weiterhin auch in diesem Status belasse.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich willhier noch einen anderen Aspekt kurz beleuchten,den Sie in Ihrer von vorgeblich guten Taten beseel-ten Unterstützung von illegalem Aufenthalt völligausblenden.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:Der erste war ja auch falsch!)

In Deutschland halten sich vermutlich – auch imHinblick auf die begangenen und versuchten Ter-roranschläge – nicht nur friedliebende ehemaligeAsylbewerber, deren Antrag aus welchen Gründenauch immer abgelehnt wurde, illegal auf, sondernauch Personen, die niemals einen Asylantraggestellt haben, meine Damen und Herren. Darunterkönnten sich auch Personen befinden, die ihreIdentität bewusst verschleiern, weil sie – wie HerrAmri in Berlin, noch nicht allzu lange her – sich aufeine schwere staatsgefährdende Straftat vorberei-ten. Mit Ihrer Unterstützung dieses Modellprojektsder anonymen Krankenbehandlung laufen Sie be-wusst Gefahr, solchen Personen in Thüringeneinen besonders komfortablen Rückzugsraum mitanonymer Krankenbehandlung zu bieten.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN: Komfortabel ist da gar nichts!)

Dies wird die Chance einer Entdeckung solcherPersonen durch unsere Sicherheitsbehörden weiterverringern, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU)

Die Umsetzung des Koalitionsvertrags in diesemPunkt halte ich zudem für rechtlich äußerst bedenk-lich, wenn nicht gar für rechtswidrig. Das ganzeProjekt mit einer Übereinstimmung der UN-Chartazu begründen, trägt da leider auch nicht sehr weit.Zur rechtlichen Einordnung, insbesondere vor demHintergrund einer möglichen Strafbarkeit dieserHandlungen in Bezug auf die §§ 95 und 96 Aufent-haltsgesetz, empfehle ich unter anderem ein inte-ressantes Urteil des Landgerichts Freiburg aus demJahr 2008. Ob die dort angeführten Beihilfetatbe-stände von Unterkunft und Arbeit bei intensiverrechtlicher Betrachtung auch auf kostenfreie, an-onyme medizinische Versorgung erweiterbar sind,wird rechtlich noch zu klären sein. Unbenommendieser rechtlichen Würdigung fordern wir Sie auf,die Unterstützung dieses Projekts sofort zu been-

den, denn es trägt nicht zur Sicherung unseresRechtsstaats bei. Vielen Dank.

(Beifall CDU, AfD; Abg. Gentele, fraktionslos)

Präsident Carius:

Vielen Dank. Vonseiten der Abgeordneten liegt mireine weitere Wortmeldung vor. Frau AbgeordneteBerninger, Sie haben das Wort.

Abgeordnete Berninger, DIE LINKE:

Herzlichen Dank, Herr Präsident. Meine Damenund Herren, zur Aktuellen Stunde der AfD ist ei-gentlich nichts weiter zu sagen, als einen Aufklebervon PRO ASYL zu zitieren: „Rassismus führt zumVerlust Ihres Mitgefühls“.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Aber auf die Ausführungen des Herrn Herrgottmuss ich einfach reagieren.

(Zwischenruf Abg. Herrgott, CDU: Realität istkein Rassismus!)

Die Thüringer rot-rot-grüne Koalition meint tatsäch-lich, was sie im Koalitionsvertrag geschrieben hat:„Flüchtlinge finden in Thüringen eine humanitäreAufnahme.“ Das steht in der Präambel auf Seite 5.Und: „Am Umgang mit Flüchtlingen und der Integra-tion von Migrantinnen und Migranten bemisst sichdie Humanität einer Gesellschaft.“ Das finden Sieauf Seite 26 unseres Koalitionsvertrags. Ich will da-ran erinnern, was im letzten Koalitionsvertrag bis2014 gestanden hat: „Die Landesregierung sorgt füreine gelingende Integration aller, die dauerhaft hierleben wollen.“ Dass dieser Satz nicht ernst gemeintwar, das wissen wir alle. Die Politik war eine ande-re. Wir meinen, was wir aufgeschrieben haben,meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Das Recht der Menschen auf Gesundheitsschutzergibt sich aus der allgemeinen Erklärung der Men-schenrechte in Artikel 25 und wir finden es auchniedergeschrieben – nicht wörtlich, aber auslegbar– in Artikel 2 Abs. 2 unseres Grundgesetzes: „Jederhat das Recht auf Leben und körperliche Unver-sehrtheit.“ Ebenso steht es in der Thüringer Verfas-sung geschrieben, meine Damen und Herren. DasModellprojekt der Einführung anonymisierter Kran-kenscheine oder ein ähnliches Modellprojekt fürMenschen ohne Papiere ist nicht eine Erfindung derThüringer rot-rot-grünen Koalition, es wird unter-stützt durch Kirchen und Wohlfahrtsverbände,durch Flüchtlingsorganisationen seit vielen, vielenJahren. Auch die Bundesärztekammer hat sich da-zu schon geäußert. Und es ist beispielsweise in

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(Abg. Herrgott)

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Niedersachsen 2014 schon Beschlusslage des dor-tigen Landtags und inzwischen auch umgesetzt.

Ich habe mich hier gemeldet, weil Herr Herrgottschon in seinen Presseäußerungen wirklich Sachenverdreht hat, die man so einfach nicht verdrehenkann, ohne tatsächlich zu wollen, dass sich Res-sentiments erhärten, Herr Herrgott. Sie haben voneinem völlig falschen Signal an Migranten gespro-chen, die sich irregulär in Deutschland aufhalten.Sie haben jetzt noch davon gesprochen, wir würdenlegimitieren, dass Menschen sich illegal hier aufhal-ten. Das tun wir nicht! Wir wollen nur Menschennicht im Stich lassen, die sich illegalisiert hier auf-halten, die nicht nach den aufenthaltsrechtlichenRegelungen einen Aufenthaltsstatus und damit dievon Frau Rothe-Beinlich benannten Rechtsansprü-che auf Sozialleistungen nach dem Asylbewerber-leistungsgesetz haben. Sie sagten in einem OTZ-Beitrag, zumindest wurden Sie dort so zitiert, esginge darum, den Aufenthaltsstatus Tausender zuklären, die ohne Ausweisdokumente ins Land ka-men. Allzu oft würde die Identität vorsätzlich ver-schleiert. Sie zielen damit aber gerade auf Men-schen ab, die wir mit diesem Projekt nicht meinen,nämlich auf die, die Asyl beantragen, ohne Aus-weispapiere vorweisen zu können, und denen häu-fig zu Unrecht unterstellt wird, sie würden vorsätz-lich ihre Identität verschleiern. In vielen Fällen liegtes nämlich am Herkunftsland und daran, wie sichdortige Regierungen gegenüber den geflüchtetenMenschen verhalten. Ich fand es ziemlich kritikwür-dig, dass der Autor des OTZ-Artikels, Herr Paczul-la, das unhinterfragt einfach so hat stehen lassen,obwohl ihm die Pressemitteilung des Sozialministe-riums vorlag, in der genau beschrieben war, umwelche Personengruppe es sich handelt. Ich findees skandalös, dass Sie, Herr Herrgott, wissentlich –ich denke und hoffe zumindest, dass Sie das wis-sen, sonst könnten Sie nicht ernsthaft das Themen-feld hier begleiten – den Eindruck erwecken, es gin-ge um abgelehnte Asylbewerberinnen und Asylbe-werber, die mit dem Status einer Duldung hier le-ben. Um diese geht es nämlich tatsächlich nicht.

Sie haben gerade eben noch eine falsche Informa-tion in den Raum geworfen: Ärztinnen und Ärztemüssten Flüchtlinge melden, die sich „illegal“, ohnePapiere hier aufhalten, wenn sie sie behandeln.Dem ist nicht so. Ärztinnen und Ärzte können sichauf die ärztliche Schweigepflicht berufen.

(Zwischenruf Abg. Herrgott, CDU: Können!)

Das müssen Sie meines Erachtens auch nach ih-rem Eid, den sie geleistet haben.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN: Dürfen!)

Die einzige Meldepflicht besteht darin, dass in derVerwaltungssache dann die Kosten beim Sozialamtabgerechnet werden müssen, wodurch viele Ärztin-

nen und Ärzte Kosten in der Vergangenheit nichtabgerechnet haben oder sogar Menschen ihreKrankenkarte zur Verfügung stellen, damit Geflüch-tete behandelt werden können. Es hat sogar in2008, Herr Herrgott, eine Entscheidung des Bun-desrats gegeben, wonach die Verwaltungsvorschriftzum Aufenthaltsgesetz dahin gehend geändert wur-de, dass die Krankenhausverwaltung in solchenFälle nicht mehr die Namen der Geflüchteten ange-ben musste. Ich bin der Ministerin sehr dankbarund bin mit ihr einig: Leider hat es doch länger ge-dauert, bis wir das umsetzen konnten, aber jetztkönnen wir es endlich machen.

Präsident Carius:

Ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Abgeordnete Berninger, DIE LINKE:

Das Modellprojekt ist gestartet und ich bin sehr frohdarüber. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsident Carius:

Danke schön. Weitere Wortmeldungen liegen mirjetzt nicht vor, sodass ich Frau Ministerin Wernerfür die Landesregierung das Wort erteile.

Werner, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesund-heit, Frauen und Familie:

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Damen undHerren Abgeordnete! Herr Herrgott, die Diakonie inHessen und Nassau forderte in einer Handreichungfür kirchliche und diakonische Einrichtungen schon2008, dass sich Politik und Gesellschaft der The-matik der Menschen ohne Aufenthaltspapiere, diein Deutschland leben, nicht nur ordnungspolitisch,sondern auch human und pragmatisch nähernmüssten. Auch diese Menschen, so heißt es in derHandreichung weiter, haben Rechte und brauchenunter anderem Zugang zum Gesundheitswesen.Sie wissen, die Thüringer Landesregierung steht füreine humanitäre und menschenrechtsorientierteFlüchtlings- und Integrationspolitik. Grundsatz ist,dass jeder Mensch einen Anspruch auf die Siche-rung einer menschenwürdigen Existenz hat. Dasbetrifft natürlich auch die medizinische Versorgung.Gesundheit, das ist bereits in Artikel 25 der Allge-meinen Erklärung der Menschenrechte normiert, istmithin ein Menschenrecht. Im Koalitionsvertrag istfestgelegt, dass sich die Landesregierung grund-sätzlich zur Ausgabe einer Gesundheitskarte fürgeflüchtete Menschen und auch für die Einführunganonymisierter Krankenscheine für Menschen ohnePapiere im Rahmen eines Modellprojekts einsetzt.Das ist keine Förderung von illegalem Aufenthalt,wie in der Begründung dieser Aktuellen Stunde

6188 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Berninger)

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fälschlich behauptet wird, sondern basiert auf derRechtsordnung des Grundgesetzes und denGrundsätzen der UN-Menschenrechtscharta.

(Beifall DIE LINKE)

Die Ergebnisse dieses Modellprojekts werden aus-gewertet und werden Grundlage für weitere Ent-scheidungen sein. Mit dem Modellprojekt haben wirjetzt begonnen. Projektpartner ist dabei der VereinAnonymer Krankenschein Thüringen e.V. aus Jena.Bereits im Jahr 2016 wurde ein erster Bescheidüber eine Förderung in Höhe von 9.490 Euro erlas-sen, um in einem ersten Schritt Maßnahmen derÖffentlichkeitsarbeit durchführen zu können und umvor allem eine Versorgungs- und Vermittlungsstelleals organisatorische Basis aufzubauen. Am 13.02.habe ich dem Verein einen Zuwendungsbescheid,wie schon gesagt wurde, in Höhe von 230.000 Euroüberreicht; darauf bezieht sich offenbar der vorlie-gende Antrag auf die Aktuelle Stunde. Diese Mittelsind zweckgebunden für die Deckung von Sach-und Personalausgaben zur Durchführung der am-bulanten medizinischen Versorgung von Menschenohne Papiere in Thüringen. Ziel des Modellprojektsist die Entwicklung und die Durchführung eines Ver-fahrens zur Sicherung eines niedrigschwelligen An-gebots einer ambulanten medizinischen Versor-gung für Menschen ohne Papiere in Thüringen. Eswird im Jahr 2017 am Standort Jena durchgeführt.Im Wege der bereits angesprochenen begleitendenEvaluation wird geprüft, ob das Verfahren geeignetist, wie es angenommen wird und ob gegebenen-falls eine Erweiterung erfolgen sollte.

Zu den Leistungen des Projekts gehören die Durch-führung ambulanter medizinscher Leistungen ein-schließlich Laborleistungen und Abgabe von Medi-kamenten, die Führung der hierfür erforderlichenGeschäfte sowie die Öffentlichkeitsarbeit, Schulun-gen und Weiterbildungen für Mitarbeiterinnen undUnterstützer des Projekts. Der Umfang der gewähr-ten medizinischen Versorgung darf nicht die nachdem Asylbewerberleistungsgesetz gewährten Leis-tungen überschreiten.

Mithin erfüllt der Verein Anonymer KrankenscheinThüringen e.V. für Menschen, die Leistungen nachdem Asylbewerberleistungsgesetz nicht in An-spruch nehmen können, und auch für andere Men-schen ohne Papiere die Aufgabe ähnlich einerKrankenkasse. Bisher wurde medizinische Hilfe fürdiese Menschen einzig durch freiwillige und ehren-amtliche Tätigkeit von Ärztinnen und Ärzten geleis-tet, die auf Basis ihres medizinischen Ethos im undfür den Verein MediNetz Jena gearbeitet haben.Der Verein MediNetz hat in den vergangenen Jah-ren jährlich über hundert Menschen versorgt unddarüber hinaus telefonisch beraten. Im Jahr 2016wurden pro Woche circa vier Zeitstunden von Ärz-tinnen und Ärzten angeboten. Die hier gewonnenenErfahrungen sind in den Projektantrag mit einge-

flossen. Es ist auch deutlich geworden, dass einenur auf ehrenamtlichem Engagement beruhendemedizinische Versorgung den notwendigen Bedarfnicht decken kann, insbesondere nicht in Notfallsi-tuationen.

Der Verein Anonymer Krankenschein Thüringen hatdieses Projekt übernommen. Die neue Qualität derProjektarbeit bietet mehrere Vorteile. Die bisherausschließlich ehrenamtliche Arbeit wird unter-stützt. Es wird für die behandelnden Ärztinnen undÄrzte, Apotheken und andere Leistungserbringerein verlässliches Vergütungssystem etabliert. DieProjektarbeit wird durch die Landesregierung, daMittel aus dem Landeshaushalt fließen, kontrolliert.Ein niedrigschwelliger Zugang zur medizinischenVersorgung kann für die Menschen ohne Papiereauch den Weg aus der Illegalität eröffnen, weil wirentsprechend auch Beratung an der Stelle mit an-bieten möchten und gesicherte Perspektiven ge-meinsam erarbeiten.

Nicht zuletzt können durch frühzeitige Kontakte zueiner Arztpraxis gefährliche, ansteckende Erkran-kungen rechtzeitig erkannt und medizinische Ge-genmaßnahmen eingeleitet werden, zum Beispielwenn es um die Ausbreitung von Keimen gehenwürde.

Schließlich und letztendlich jedoch gilt, das Leid derBetroffenen zu mildern und Krankheiten zu heilen.Diesem medizinischen Ethos fühlen sich die Mit-glieder des Vereins Anonymer Krankenschein Thü-ringen zuerst verpflichtet. Das Anliegen wird vonder Landesregierung unterstützt, da es unseremhumanitären Weltbild entspricht.

Sehr geehrte Damen und Herren, das Engagementder Landesregierung stellt keinen Alleingang dar.Dazu möchte ich Ihnen einige Beispiele nennen:Die Diakonie in Hessen und Nassau regt in ihrerHandreichung 2008 an, Möglichkeiten zu prüfen,anonyme Krankenscheine auszustellen, die über ei-ne NGO-Beratungsstelle beantragt werden. Bereitsim Mai 2010 haben die Delegierten des 113. Deut-schen Ärztetags in Dresden den Bundesgesetzge-ber darum gebeten, den Zugang zur medizinischenVersorgung von Menschen ohne legalen Aufent-haltsstatus mit der Einführung eines anonymenKrankenscheins zu erleichtern. Bischof NorbertTrelle, der Vorsitzende der Migrationskommissionder Deutschen Bischofskonferenz, hat 2014 in derZeitschrift „Forum Weltkirche“ festgestellt: „Einerestlose Auflösung der … Spannung zwischen derMigrationskontrolle als Teil des Ordnungsrechts ei-nerseits und den Rechten der Menschen ohne Auf-enthaltsstatus andererseits wird es nicht geben. […]Als Kirche nehmen wir in der Debatte um das poli-tisch Mögliche und rechtlich Nötige vor allem aberauch die ethische und moralische Dimension in denBlick. Es geht um einen konkreten Kranken, dereinen Zugang zu medizinischer Regelversorgung

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6189

(Ministerin Werner)

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benötigt und auch tatsächlich haben soll.“ In Nie-dersachsen hat der Landtag im Dezember 2014 diedortige Landesregierung aufgefordert, für Men-schen ohne definierten Aufenthaltsstatus im Rah-men eines Modellversuchs einen anonymen Kran-kenschein einzuführen, der diesem Personenkreisdie Inanspruchnahme ärztlicher Versorgung ermög-licht, ohne dabei negative Konsequenzen fürchtenzu müssen. Modellprojekte in Göttingen und Han-nover sind gestartet, unter anderem mit dem VereinMedizinische Flüchtlingshilfe als Projektpartner.

Frau Herold, weil Sie gerade sagten, Sie würdenDruck machen: Ich erlebe das nicht. Wenn jemandDruck macht, dann ist das eine rot-rot-grüne Lan-desregierung, die sich unter anderem auf Bundes-ratsebene dafür einsetzt, dass für Solo-Selbststän-dige der Krankenversicherungsschutz verbessertwird. Wir haben uns eingesetzt für eine paritätischeFinanzierung der Krankenversicherung und neh-men sozusagen alle Menschen, die hier in Deutsch-land leben, in den Blick.

Lieber Herr Herrgott, natürlich wäre es schön, wirhätten grundsätzlich eine Lösung für Menschen oh-ne Papiere.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Es wurde schon gesagt: Andere europäische Län-der haben regelmäßig Amnestieprojekte, aber inDeutschland ist das eben nicht möglich. Ich glaube,auch Ihre CDU-geführte Bundesregierung wäre dieletzte, die sich dafür einsetzen würde. So haben wirin Deutschland das Problem, dass Menschen hierauf Dauer ein Schattendasein ohne Grundrechteführen. Natürlich wäre es auch gut, wir hätten einEinwanderungsgesetz, dass eben nicht nur dieMenschen in den Blick nimmt, die gute und sehrgute Bildungsabschlüsse haben, die wir von ande-ren Ländern sozusagen auch abziehen. Sondern esgeht darum, ein Einwanderungsgesetz zu haben,das endlich verhindert, dass Menschen hier inSchwarzarbeit ausgebeutet werden, keine Rechtehaben, beispielsweise vor Gericht ihren Lohn einzu-fordern. Natürlich ist das genau der richtige Weg,Menschen aus dem Schattendasein zu führen,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

nur ist das mit der derzeitigen CDU-Bundesregie-rung nicht möglich. Und solange das nicht passiert,wir den Menschen nicht die Möglichkeit geben, ausder Illegalität herauszukommen, besteht der Mo-ment, Herr Herrgott, zu entscheiden, auf welcheSeite man sich stellt. Ich will Ihren Bundeskanzlera.D., Herrn Kohl, zitieren, der sagte: Der Zivilisati-onsgrad „einer Gesellschaft zeigt sich [...] daran,wie sie mit den schwächsten Mitgliedern [der Ge-sellschaft] umgeht.“ Es ist die Frage, ob man weiterVorurteile bedient und Ängste schürt oder ob man

sich auf Werte beruft wie Humanismus, wieMenschlichkeit oder – um mit anderen Worten zusprechen – wie Nächstenliebe.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Statt hier einer weiteren Verrohung der Gesell-schaft Vorschub zu leisten, geht es darum, Mitge-fühl zu zeigen gegenüber Menschen, die in Notsind. Deswegen will ich hier wirklich die Gelegen-heit nutzen, Dank an die Ärztinnen und Ärzte zu sa-gen und auch den Mitgliedern der beiden Vereine,die sich seit Jahren ehrenamtlich um diese Men-schen, die in Not sind, kümmern, die uns sozusa-gen zeigen, was es bedeutet, Mitgefühl zu zeigen,Nächstenliebe zu zeigen und eben nicht einer wei-teren Verrohung der Gesellschaft Vorschub zu leis-ten. Ich glaube, wir müssen uns gerade diese Men-schen als Vorbild nehmen, wir müssen diese unter-stützen, weil sie dafür stehen, dass Grundrechte inunserer Gesellschaft tatsächlich erhalten bleiben,dass die Mitmenschlichkeit und die Vielfalt hiereinen Platz haben. Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsident Carius:

Vielen Dank, Frau Ministerin. Weitere Wortmeldun-gen aus den Reihen der Abgeordneten sehe ichnicht, sodass ich diesen Teil der Aktuellen Stundeschließe.

Ich rufe auf den zweiten Teil

b) Aktuelle Stunde auf Antragder Fraktionen DIE LINKE, derSPD und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN zum Thema: „Chan-cen und Risiken der geplantenÜbernahme von Opel durchPSA: Arbeitsplätze in Eisenachsichern“Unterrichtung durch den Präsi-denten des Landtags- Drucksache 6/3444 -

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wortdem Abgeordneten Helmerich für die SPD-Fraktion.

Abgeordneter Helmerich, SPD:

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen, sehr verehrte Zuschauer! Vorgut einer Woche hat die Meldung über den Verkaufvon Opel an den französischen PSA-Konzern fürWirbel gesorgt. Die deutsche und die französischeRegierung waren von dieser Ankündigung des Mut-terkonzerns General Motors komplett überrascht.Selbst die Unternehmensführung von Opel und derGesamtbetriebsrat waren nicht über die Verhand-

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(Ministerin Werner)

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lungen unterrichtet. Diese Informationspolitik vonGeneral Motors wird von den Arbeitnehmervertre-tern völlig zu Recht kritisiert.

(Beifall SPD)

So geht man nicht mit seinen Beschäftigten um.Dessen ungeachtet sollten wir aber jetzt nach vorneschauen. Wenn wir dies tun, dann müssen wir auchfesthalten, dass die Ehe mit General Motors fürOpel nicht immer eine glückliche war. Die Schlie-ßungen der Werke in Bochum und Antwerpen ha-ben gezeigt, dass die Zugehörigkeit zu General Mo-tors keineswegs eine Bestandsgarantie für dieOpel-Standorte bietet. Durch die Zugehörigkeit zuGeneral Motors sind Opel zudem bisher wichtigeWachstumsmärkte verwehrt. Die Verbindung mitPSA bietet hingegen die Chance, dass Opel künftigstärker mit der eigenen Marke auf den Weltmärktenpositioniert wird. Auch im Hinblick auf deren Markt-anteile und die strategische Ausrichtung der Pro-duktion macht der Zusammenschluss der beidenUnternehmen Sinn. Die Marktanteile von PSA undOpel ergänzen sich gut und beide Unternehmenhaben sich auf den Weg gemacht, künftig stärkerauf Elektrifizierung zu setzen. Insofern bestehengute Chancen, dass sich Opel und PSA zusammenpositiv entwickeln.

(Beifall SPD)

Wir dürfen aber natürlich auch nicht die Augen da-vor verschließen, dass Unternehmenszusam-menschlüsse auch immer mit einer Überprüfungund gegebenenfalls einer Umstrukturierung des Un-ternehmens einhergehen, im schlechtesten Fall ei-ne Standortschließung zur Folge haben. Aus die-sem Grund ist es mit Blick auf den Opel-StandortEisenach so wichtig, klare politische Anforderungenfür den Zusammenschluss zu formulieren. Gemein-sam heißt es in diesem Zusammenhang, dass wirnicht verschiedene Standorte gegeneinander aus-spielen, sondern uns für den Erhalt aller Standorteeinsetzen.

(Beifall SPD)

Klar ist auch, dass die geltenden Tarifvereinbarun-gen unangetastet bleiben müssen und die Arbeit-nehmervertretungen künftig über die Verhandlun-gen so informiert werden, dass sie ihre Mitbestim-mungsrechte ordentlich wahrnehmen können. Fürdas Traditionsunternehmen Opel ist es außerdemvon entscheidender Bedeutung, dass die Marke er-halten bleibt und bisherige Investitionszusagenauch für die Zukunft gelten.

Meine Damen und Herren, ich bin froh darüber,dass sowohl die Bundesregierung, die Landesre-gierung und die im Haus vertretenen demokra-tischen Parteien in dieser Sache an einem Strangziehen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Deswegen komme ich nicht umhin, noch einmal aufdie AfD-Fraktion einzugehen, die genau dies nichtmacht, sondern den Zusammenschluss von Opelund PSA dazu nutzt, Angst und Verunsicherung zuschüren, und dabei auch vor der Verbreitung vonFalschmeldungen nicht zurückschreckt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Herr Höcke behauptet in einer Pressemitteilungvom Montag, dass der Konzern PSA ein Staatskon-zern sei und der geplante Opel-Kauf insofern einpolitisch motivierter Übernahmeversuch der franzö-sischen Regierung sei.

Präsident Carius:

Herr Helmerich, ich darf Sie bitten, zum Ende zukommen.

Abgeordneter Helmerich, SPD:

Ja, ich bin fertig. – Das, meine Damen und Herren,ist eine Fake-News. Die Stimmanteile sind so struk-turiert, dass der französische Staat die geringerenAnteile an Aktien hat.

Präsident Carius:

Herr Helmerich, jetzt kommen wir bitte zum Ende.

Abgeordneter Helmerich, SPD:

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD)

Präsident Carius:

Danke schön. Als Nächster hat das Wort Abgeord-neter Wucherpfennig für die CDU-Fraktion.

Abgeordneter Wucherpfennig, CDU:

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren, Opelin Eisenach ist bekanntlich Arbeitgeber für1.800 Beschäftigte. Zudem kooperieren zahlreicheZulieferer aus und in Thüringen mit dem Werk. MitOpel finden sie dort einen wichtigen Abnehmer ih-rer Produkte. Des Weiteren ist Opel sehr stark mitder Region verwurzelt, weit über die Landes- undBranchengrenzen hinaus bekannt und somit einesder wichtigsten Produktionsunternehmen in dereher klein bzw. mittelständisch geprägten Wirt-schaft Thüringens.

(Beifall CDU)

Insofern hat auch der beabsichtigte Verkauf vonOpel durch General Motors in der ÖffentlichkeitDeutschlands allgemein und in Thüringen im Be-

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(Abg. Helmerich)

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sonderen hohe Wellen geschlagen. Die Beschäftig-ten sind verunsichert und haben Angst um ihre Ar-beitsplätze, aber auch unsere Sorgen um den Auto-mobilstandort Eisenach und alles, was damit in derFolge zusammenhängt, sind sehr groß. Opel hatzwar in der Vergangenheit schon häufiger gekrän-kelt und Anlass zur Sorge gegeben, dennoch solltenicht unerwähnt bleiben, dass Opel seit 1999, alsoseit 18 Jahren, jährlich negative finanzielle Verlusteeinfährt und schon seit 1929 zu General Motors ge-hört. Wie dem auch sei, Deutschland und der Frei-staat Thüringen müssen alle rechtlich zulässigenRegister ziehen, um die Eigenständigkeit von Opelund die Arbeitsplätze in Eisenach zu erhalten. Derpotenzielle Käufer von Opel, die PSA PeugeotCitroën, war in der Vergangenheit zwar auch nichtfrei von finanziellen Nöten, könnte momentan aller-dings vielleicht sogar der zuverlässigere Partnersein. Die nächsten Tage, Wochen, Monate und hof-fentlich auch Jahre werden es zeigen.

Meine Damen, meine Herren, ich sagte es bereits,Opel muss als traditionsreiche Marke erhalten blei-ben ebenso wie der Produktionsstandort Eisenachmit den dortigen Arbeitsplätzen. Wir sollten nichtnur darauf hoffen, dass die bisherigen positivenVerlautbarungen eingehalten werden, sondern die-se auch intensivst einfordern.

(Beifall CDU)

Hoffen wir alle, dass die jüngsten Äußerungen auchzutreffen, als da wären: „Wir kaufen Opel nicht, umdas Unternehmen plattzumachen und französischeAutos mit deutschem Namen zu vermarkten“ oderdas Signal von PSA an die Bundesregierung, Opelbei einer Übernahme eigenständig weiterzuführenund alle deutschen Standorte zu erhalten. Solltedieses wirklich eintreten, könnten zumindest bis En-de 2018 betriebsbedingte Kündigungen ausge-schlossen werden und die Investitionszusagen un-ter anderem für das Werk in Eisenach mindestensbis 2020 gelten. Durch einen positiven Zusam-menschluss von PSA und Opel sind durchaus auchSynergieeffekte möglich. So ist PSA vorwiegend inSüdeuropa präsent, während Opel stark auf demdeutschen und osteuropäischen Markt vertreten ist.Zudem arbeiten PSA und Opel im SUV-Bereichauch heute schon zusammen. Opel-Grandland,Opel-Crossland und Peugeot 3008 belegen dieses.Durch eine Übernahme würde der zweitgrößte Au-tomobilhersteller auf dem europäischen Markt ent-stehen, und das angeblich ohne kartellrechtlicheProbleme. Zumindest mit diesem Größenvorteilkönnten erfahrungsgemäß auch bessere Kredit-und Einkaufskonditionen für den gesamten Konzernerzielt werden, wovon beide Seiten profitieren dürf-ten.

Meine Damen, meine Herren, damit die potenzielleÜbernahme von Opel für den WirtschaftsstandortThüringen auch zu einem Erfolg führt, ist eine enge

Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsminister Tie-fensee, seinen Länderkollegen und der Bundesre-gierung erforderlich. Selbst die Bundeskanzlerin hatsich des Problems Opel angenommen und höchst-persönlich bereits Gespräche – Sie haben es gele-sen – mit dem PSA-Chef geführt, um Arbeitsplätzeund den Standort in Eisenach und in Deutschlandzu erhalten. Unsere Erwartungen sind folglich auchentsprechend groß. Unabhängig davon müssen wiralle gemeinsam Lösungen finden, wie Opel in Eise-nach trotz der schwierigen Ausgangssituation, derdurchschnittlichen Auslastung der Werke von nur65 Prozent und der bisherigen Ertragssituation vonOpel, zukunftsfest aufgestellt werden kann. Abervielleicht ist die Zukunftsstrategie von Opel ein An-satz für mehr Erfolg. So will sich Opel stärker aufdas Elektromobilgeschäft fokussieren und ab demJahr 2030 nur noch Elektrofahrzeuge anbieten. Ge-rade in diesem Segment will auch PSA stärker wer-den. Darüber hinaus könnte Thüringen auch Opelunterstützen, beispielsweise mit einer gezieltenTechnologie- und Qualifizierungsförderung in die-sem Bereich, und so Standortvorteile in Eisenachgenerieren.

Meine Damen, meine Herren, der gegenwärtig un-geklärten Situation geschuldet habe ich häufig denKonjunktiv verwendet. Eines sollte aber für uns allestehen: Opel ist ein Teil von Thüringen und somuss es bleiben. Vielen Dank.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Präsident Carius:

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wucherpfennig.Als Nächster hat Abgeordneter Müller für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Abgeordneter Müller, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN:

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen, werte Besucherinnen und Be-sucher, und ganz besonders möchte ich Frau KatjaWolf als Oberbürgermeisterin der Stadt Eisenachbegrüßen,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

die heute auch hier zugegen ist, sicherlich mit denbangen Blicken rausschaut, wie die Verhandlungenzwischen PSA und General Motors weiterlaufen.Noch im Dezember vergangenen Jahres wurde dieneue Weichenstellung bei Opel begrüßt. UnserWirtschaftsminister hat sich dazu geäußert, dassneue Technologien eingeführt werden können,dass die Modellpalette sich verändert und zukunfts-weisend sein soll. Für den Thüringer Standort Eise-nach sollte sich die geplante Modellneuausrichtungpositiv bemerkbar machen. Insgesamt wertete das

6192 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Wucherpfennig)

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Wirtschaftsministerium die Entscheidung der AdamOpel AG als zukunftssichernde Maßnahme. Heute,leider nur zwei Monate später, werden diese Ab-sichten und Hoffnungen aus meiner Sicht mehr alsinfrage gestellt. Die überraschende Ankündigungvon GM, Opel an die PSA-Gruppe in Frankreich zuveräußern, verursacht nicht nur bei den Beschäftig-ten, sondern auch bei den Zulieferern der Werke inDeutschland und in Europa Unsicherheiten undÄngste um ihre Arbeitsplätze – allerdings das Gan-ze auch vor dem Hintergrund, dass es schon seit2012 zwischen GM und PSA eine ausgesprochenintensive Zusammenarbeit im Bereich Forschungund Modellentwicklung gibt.

GM trennt sich voraussichtlich von einem Unterneh-mensteil, der in den zurückliegenden Jahren nunwahrlich nicht zu einem positiven Gesamtergebnisim Konzern beigetragen hat. Immer wieder wurde inder Öffentlichkeit über die erforderliche Sanierungder Opel AG spekuliert und diskutiert. Heute müs-sen wir feststellen, dass die Verhandlungen nahezuabgeschlossen sind. Wir erinnern uns an die zu-rückliegenden Jahre, ähnliche Verhandlungen gabes schon mal, die dann überraschend abgebrochenwurden. Inwiefern Standortsicherungen und Siche-rung der Arbeitsplätze tatsächlich Bestandteil dernoch abzuschließenden Verträge werden, bleibt ab-zuwarten. So lautende Zusagen sind bisher nichtverschriftlicht worden; zumindest haben wir davonkeine Kenntnis. Bisher wurden diese Vertragsver-handlungen unter Ausschluss der Betriebsräte undauch unter Ausschluss der Politik geführt, wennauch wir gerade gehört haben, dass die Bundes-kanzlerin und andere Vertreter aus der Politik zu-mindest mitreden.

Ja, der PSA-Konzern lässt verlautbaren, dass dieArbeitsplatzgarantien gegeben werden. Auch solles Garantien für die Standorte geben, doch auchda wieder vor dem Hintergrund der Frage: Wiesieht die wirtschaftliche Entwicklung der Opel AGtatsächlich aus? In den zurückliegenden Jahren hatOpel bisher leider keine Gewinne abwerfen können,vielmehr sind Verluste addiert worden, die mittler-weile eine Größe von rund 15 Milliarden Euro aus-machen. Ich frage Sie tatsächlich an der Stelle:Was wird sich durch eine neue Führung unter derKonzernleitung von PSA verändern oder sich zumBesseren entwickeln? Wir alle wissen, dass nebender verfehlten Modellpolitik die beschränkten Ab-satzmärkte – kein Zugang zum chinesischen Markt,der osteuropäische Markt ist ein schwacher Marktund der russische Markt ist komplett weggebrochen– nicht wirklich eine fundierte und gute Ausgangssi-tuation für eine weitere Entwicklung darstellen.Heute beschäftigt die Adam Opel AG in Deutsch-land nur noch rund 18.000 Beschäftigte. Das sindweniger als die, die 2014 in Bochum gearbeitet hat-ten, als das Werk geschlossen wurde. Nicht be-rücksichtigt in der Zahl sind natürlich die vielen Be-

schäftigten in der Zuliefererindustrie und hier auchganz besonders in Thüringen.

Die PSA-Gruppe konkurriert zusammen mitRenault, VW, Fiat und anderen in einem beinhartumkämpften europäischen Markt der Kleinwagenund der Mittelklasse. Jeder von uns, der vielleicht inder Vergangenheit ein Auto in diesem Bereich ge-kauft hat, weiß: Nachlässe, Rabatte von 30 ProzentHöhe, das ist nichts Ungewöhnliches. Hier soll Opelauch zukünftig seinen Marktanteil erhalten oder ihnmöglicherweise sogar ausbauen. Dieser gnadenlo-se Wettbewerb wird sicherlich nur durch Effizienz-steigerungen in allen Produktionslinien zu erreichensein. Effizienzsteigerungen – das kennen wir ausder Vergangenheit anderer Konzernumstrukturie-rungen auch – gehen leider Gottes häufig einhermit Arbeitsplatzabbau. Aber: Sollte es tatsächlichzu einem Abschluss zwischen PSA und GM kom-men, so bestehen durchaus Hoffnungen für Opel,sofern sie tatsächlich eine Strukturänderung vor-nehmen. Wir, Bündnis 90/Die Grünen, glaubennicht daran, dass es eine dauerhafte Sicherung derStandorte und der damit verbundenen Arbeitsplätze–

Präsident Carius:

Ich muss Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Abgeordneter Müller, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN:

ja, ich beeile mich – geben wird, wenn die Strategieder Verbrennungsmotoren und -autos eingehaltenwird. GM hat in den vergangenen Jahren bereitseinen Strategiewechsel hin zu einer Marke „Opelelektrisch“ eingeleitet.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wird dieses aufgegriffen und aufgenommen, dannsehen auch wir eine Chance bei Opel. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsident Carius:

Danke schön. Als Nächster hat AbgeordneterHöcke für die AfD-Fraktion das Wort.

Abgeordneter Höcke, AfD:

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolle-gen Abgeordnete, sehr geehrte Besucher auf derTribüne. Wir müssen uns, glaube ich, nichts vorma-chen: 1.800 Arbeitsplätze in Eisenach sind durchden geplanten Verkauf von Opel konkret in Gefahr.Daran ändert auch die gestern abgegebene Ar-beitsplatzgarantie durch den PSA-Chef nichts, dennPSA hat nur die bisher schon bestehenden Aussa-gen bzw. Zusagen von General Motors bekräftigt.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6193

(Abg. Müller)

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Aber auch die gelten – und das ist von meinen Vor-rednern schon richtigerweise angesprochen worden– nur bis zum Jahr 2018. Ab 2019 sind auch jetztschon entscheidende Veränderungen in Eisenachgeplant. Dann soll nämlich in Thüringen nur nochein Pkw-Modell hergestellt werden: der Mokka. Mitdieser Entscheidung setzt Opel das EisenacherWerk einem besonderen Risiko aus. Sinkt nämlichdie Nachfrage nach dem Modell, kann die Produk-tion nicht durch ein zweites oder drittes Fabrikat ab-gefangen werden. Im Übrigen zeigt gerade die jün-gere Opel-Geschichte – ich erinnere an die Werks-schließungen in Antwerpen und in Bochum –, dassdie Konzentration auf ein Modell eben diese Gefah-ren mit sich bringen.

Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, wir sollten derRealität ins Auge sehen. Beim Kauf durch PSA ver-mischen sich wirtschaftliche und strategische Inte-ressen. Langfristig kann das zu erheblichen Nach-teilen für die Opel-Werke in Deutschland und dasOpel-Werk in Eisenach führen. An PSA ist nebender Familie Peugeot nämlich nicht nur der französi-sche Staat mit 14 Prozent beteiligt – und das ist einAspekt, den ich hier noch in die Diskussion hinein-bringen will –, sondern auch der staatliche chinesi-sche Autokonzern Dongfeng. Mit der Opel-Über-nahme bekäme erstmals ein chinesischer Auto-hersteller durch die Hintertür Zugang zum deut-schen Automobilmarkt und zur deutschen Automo-bilhochtechnologie. Der massenhafte Aufkauf deut-scher Hochtechnologie

(Zwischenruf Abg. Müller, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN: Um Gottes willen! Das kann nichtwahr sein!)

und die damit verbundenen und bekannten Techno-logieabflüsse – ich erinnere nur an den prominen-testen Fall, den Verkauf bzw. die Übernahme desIndustrieroboterherstellers KUKA – können nicht inunserem Interesse sein.

(Beifall AfD)

Wir sollten uns deswegen nichts vormachen. Mitder Beteiligung des chinesischen und französi-schen Staates handelt es sich beim Opel-Kauf letzt-lich auch um eine politische Übernahme mit klarenwirtschaftspolitischen Interessen. Immer dann,wenn künftig um den Abbau von Arbeitsplätzen ge-rungen wird – und mein Vorredner hat auf die not-wendigen Effizienzsteigerungen hingewiesen – undProduktionsverlagerungen entsprechend vorzuneh-men sind, wird sich Paris – das, wie gesagt, großeAnteile am PSA-Konzern hält – schützend vor diefranzösischen Werke stellen. Für Peking ist eineTraditionsmarke wie Opel die große Chance, künf-tig in China hergestellte Billigautos unter einem be-kannten Markennamen an europäische Kunden zuverkaufen. Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, derVerkauf von Opel an PSA berührt also nicht nurThüringer Interessen. Er stellt zudem die Frage

nach dem Technologieabfluss nach China undnach dem Einfluss Chinas auf den deutschenMarkt. Die Frage ist: Wollen wir wirklich zulassen,dass künftig deutsche Technologie in China zu Bil-liglöhnen produziert und unter dem Namen einerdeutschen Traditionsfirma bei uns verkauft wird?Für uns in Thüringen kommt es jetzt darauf an, die-se Entwicklung zum Schutz der Arbeitsplätze in Ei-senach zu verhindern. Wir, die AfD-Fraktion imThüringer Landtag, fordern die Landesregierungund natürlich auch die involvierte Bundesregierungauf, ihren Einfluss geltend zu machen und langfristi-ge Bestandsgarantien für die Opel-Produktion, ge-rade in Thüringen, auszuhandeln. Nur so wird Thü-ringen das bleiben können, was es ist – ein traditi-onsreiches Autoland. Herzlichen Dank für Ihre Auf-merksamkeit.

(Beifall AfD)

Präsident Carius:

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Höcke. Als Nächs-ter hat das Wort Abgeordneter Hausold für dieFraktion Die Linke.

Abgeordneter Hausold, DIE LINKE:

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen undHerren, es ist schon richtig, als vergangene Wochebekannt wurde, dass PSA Peugeot beabsichtigt,Opel zu übernehmen, war die Verunsicherung zu-nächst sehr groß. Angesichts geheimer Gespräche,die ohne die Einbeziehung der Betriebsräte undGewerkschaften schon weit fortgeschritten seien,konnten natürlich nur viele Fragezeichen aufkom-men, insbesondere auch in der betroffenen Region.Frau Oberbürgermeisterin Wolf ist schon begrüßtworden. Wir waren uns hier unter den demokra-tischen Parteien im Thüringer Landtag immer einig,dass wir uns für diesen Opel-Standort einsetzen.Da müssen Sie nicht daherkommen, Herr Höcke,und darüber philosophieren, ob vielleicht die Auto-mobilindustrie international sei.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Wenn Sie darüber noch debattieren wollen, dannsind alle Züge auf dem Bahnhof, wo Sie auf demWartegleis stehen, längst abgefahren.

(Beifall DIE LINKE)

Ich hatte Frau Wolf erwähnt und will deshalb auchhinzufügen: Wir wissen uns hier natürlich auch einsmit der Region um Eisenach und mit den dortigenpolitischen Verantwortlichen in diesem gemeinsa-men Eintreten. Das ist schon politisch wichtig. Eswar auch meiner Fraktion und den Koalitionspart-nern von Rot-Rot-Grün wichtig, dass wir diesesThema hier im Haus öffentlich und mit Transparenzberaten. Ich möchte mich ausdrücklich bei unserer

6194 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Höcke)

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Landesregierung und beim Wirtschaftsminister be-danken, der sofort auf allen Ebenen aktiv gewordenist und auf seine eigene Initiative hin auch am Don-nerstag im Wirtschaftsausschuss dieses Landtagsseine Position und die Schlussfolgerungen aus derentstandenen Lage deutlich gemacht hat. DieseLandesregierung braucht sicherlich die Unterstüt-zung des Landtags, aber sie braucht keine Besser-wisserei von rechts außen, das möchte ich mir ver-bitten im Namen meiner Fraktion und auch, denkeich, der Koalition.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Wir wissen jetzt definitiv – deshalb gibt es keinenAnlass, in Panik zu verfallen – : Es gibt mündlicheZusicherungen seitens PSA Peugeot, dass es we-der zu einem Arbeitsabbau noch zu Standortschlie-ßungen im Rahmen der Übernahme kommen soll.Alle Verträge und tariflichen Bestimmungen sollendemzufolge erfüllt werden. Wir wissen, dass esschon länger eine durchaus fruchtbare Kooperationzwischen Peugeot und Opel beim Bau verschiede-ner Modelle gibt. Diese soll weiter ausgebaut wer-den. Wir wissen auch, dass das Verhältnis zwi-schen den bisherigen Besitzern, General Motorsund der Marke Opel, schon immer problemhaft istund immer wieder Anlass zu Klagen darüber gab,dass General Motors Opel an wichtigen Entwick-lungsschritten hindert. Deshalb sehen wir vor allenDingen unsere Verantwortung darin, die Chance,die sich aus der aktuellen Entwicklung ergibt, zuunterstützen, für eine zukunftsfähige Aufstellung al-ler Standorte von Opel, aber natürlich auch desStandorts in Eisenach. Dieser Weg scheint aller-dings eingeschlagen zu sein. Dabei braucht es kei-ne Heimlichtuerei, die Beschäftigte und Verantwort-liche auf allen Ebenen verunsichert. Das betrifft na-türlich insbesondere auch die Mitarbeiter. Ich sagesehr deutlich: Der Konzernbetriebsrat von Opel istinsgesamt einzubinden. Sämtliche Dokumentemüssen ihm zugänglich sein und er muss natürlichauch in die Verhandlungen vollinhaltlich einbezo-gen werden. Dass es hierzu bereits Treffen gege-ben hat mit dem Betriebsratsvorsitzenden vonOpel, Dr. Wolfgang Schäfer-Klug, ist schon erwähntworden. Und ich denke, es wird dort auf dem richti-gen Weg sich weiterbewegt.

Des Weiteren muss auch deutlich sein, dass natür-lich von den mündlichen Aussagen übergegangenwird zu konkret festgezurrten auch schriftlichen Ga-rantien, was die Tarifverträge und ihre Einhaltungbetrifft und was die Standorte und die Beschäfti-gungssituation jeweils dort betrifft. Ich hatte dasschon gesagt: Wir sehen natürlich Eisenach alsvorrangige Verantwortung, aber wir wissen auch,Opel kann nur existieren in der Gesamtzahl seinerStandorte einschließlich des Standorts in Großbri-tannien.

Diese Dinge möchte ich hier noch mal hervorgeho-ben wissen, meine Damen und Herren. Ich möchteauch damit noch mal erwähnen – auch das ist be-reits erfolgt –, dass es ja nicht nur um den reinenStandort der Autoproduktion geht, es geht um einbreites Zuliefersortiment. Insofern ist Thüringen na-türlich immer auf den Plan gerufen, wenn es um dieWeiterentwicklung des gesamten Automotivebe-reichs geht. Auch in diesem Zusammenhang istwichtig, dass unsere Landesregierung für meineBegriffe die richtigen Punkte in ihrem Vorgehen ge-setzt hat.

In diesem Sinne appelliere ich an die demokra-tischen Parteien des Hauses: Fahren wir auch jetztso fort, wie wir das immer getan haben. Stehen wirgemeinsam zu dem Standort und zu einer entspre-chenden positiven Entwicklung, dann wird uns auchinsgesamt Erfolg beschieden sein. Davon bin ichüberzeugt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsident Carius:

Vielen Dank. Aus den Reihen der Abgeordneten lie-gen mir keine weiteren Wortmeldungen vor – HerrAbgeordneter Höcke.

Abgeordneter Höcke, AfD:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter HerrKollege Hausold von der deutschen demokra-tischen Fraktion der Linken im Hohen Haus, Sie ha-ben hier natürlich wieder groben Unfug von sich ge-geben.

(Zwischenruf Abg. Blechschmidt, DIE LINKE:Das war wieder eine Kombination von einemund einem!)

Ich wollte in meiner Rede nur darauf hinweisen undich glaube, ich war der Einzige, der das getan hat,dass die Causa Opel eben auch eine Causa ist, dieetwas mit dem Technologieabfluss nach China zutun hat. Und hier sitzt der Wirtschaftsminister desLandes Thüringen, der ehemalige Bundeswirt-schaftsminister Gabriel hat sich in der Causa KUKAauch sehr zurückhaltend bzw. oft auch mit Argu-menten gegen den Verkauf an die Chinesen geäu-ßert. Das Thema „Technologieabfluss nach China“ist ein großes Thema der deutschen Wirtschaftspo-litik und das können Sie hier nicht kleinreden. Herz-lichen Dank.

(Beifall AfD)

Präsident Carius:

Danke schön. Als Nächster hat für die Landesregie-rung Herr Minister Tiefensee das Wort.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6195

(Abg. Hausold)

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Tiefensee, Minister für Wirtschaft, Wissenschaftund Digitale Gesellschaft:

Sehr verehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete, liebe Frau Oberbürger-meisterin Wolf, meine sehr verehrten Damen undHerren, ich habe nach dem Aufruf der AktuellenStunde einen lautstarken Ruf, Ausruf von HerrnMohring in Richtung der Regierungsfraktionen ge-hört. Zum Thema der Aktuellen Stunde meinte er:Da habt ihr ja etwas Großartiges gucken lassen mitdem Aufruf dieses Themas. Das ist eine Haltung,die ich nicht richtig finde.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Hat er sonicht gesagt!)

(Zwischenruf Abg. Zippel, CDU: Das bezogsich auf den ersten Redner, die erste Rede!)

Es bezog sich auf die Aktuelle Stunde.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Nein, nein,es bezog sich auf den ersten Redner, dieerste Rede!)

Und ich bin demgegenüber – wir können im Wort-protokoll dann noch mal nachlesen – sehr, sehrdankbar, dass der Landtag dieses Thema aufruft,weil alle meine politische Erfahrung sagt mir, selbstwenn es hier darum geht, dass zwei Unternehmenmiteinander verhandeln – nämlich GM und PSAPeugeot –, dass es notwendig ist, dass die Politikauf allen Ebenen dafür sorgt, dass dieses Thema indie Öffentlichkeit kommt, Unterstützung gibt füreinen guten Weg und vor allen Dingen alles dafürtut, dass auf dem Wege der Verhandlungen Rah-menbedingungen, Kriterien formuliert werden, diedann möglichst von den Verhandlungsparteien auf-genommen und umgesetzt werden. Und aus die-sem Grunde finde ich es sehr, sehr gut, dass wirheute im Landtag über dieses Thema sprechen.

Wir alle sind überrascht worden am vergangenenDienstag von der Nachricht, dass GM Opel an PSAPeugeot verkaufen will. Ich kann einmal mehr un-terstreichen, dass selbst der Werkchef in Eisenachauch erst am Dienstag davon erfahren hat und derCEO Neumann nur wenige Tage zuvor, Betriebsrä-te, Gewerkschaften überhaupt nicht eingebundenwaren. Das ist ein schlechter Stil und das darf sichnicht wiederholen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Denn auch bei sehr vertraulichen Verhandlungsge-genständen ist es möglich, dass man die Beschäf-tigten und die Werksleitung entsprechend einbe-zieht. Wenn wir uns jetzt den Status quo anschau-en, will ich Ihnen zunächst zurufen: Es gibt intensi-ve Abstimmungen hin zu den Betriebsräten, denGewerkschaften, den Werksleitungen, den Landes-regierungen der betroffenen Länder und der Bun-desregierung. Wir stehen im ständigen Austausch,

um die Informationen à jour zu halten und vor allenDingen immer wieder dafür zu sorgen, dass unsereKriterien, die wir an einen solchen Übergang set-zen, Einfluss auf die Verhandlungen nehmen.

Was sind das für Kriterien? Als Erstes: Wir müssendafür sorgen, dass möglichst langfristig Arbeits-platzgarantie bestehen bleibt. Und wenn Carlos Ta-vares, der CEO von Peugeot, gestern vermeldethat, dass die bestehenden Garantien aufrechterhal-ten werden, dann ist das ein erster Fingerzeig da-für, was sich in den Verträgen wiederfinden könnte.Das Zweite ist: Die Standorte müssen bleiben. Esist schon einmal angesprochen worden: Hier kämp-fen wir für alle deutschen Standorte, also auch fürRüsselsheim und Kaiserslautern, aber natürlich,sehr verehrte Frau Wolf, ganz besonders für Eise-nach.

(Beifall SPD)

Das Dritte: Sämtliche Vereinbarungen, die beste-hen, müssen bestehen bleiben. Das bezieht sichauf die Tarife. Das Vierte ist: Wir müssen dafür sor-gen, dass die Marke „Opel“ erhalten bleibt. Undschließlich – und das ist für mich der entscheidendePunkt – geht es darum, wenn Frankreich undDeutschland, wenn französische und deutscheStandorte zusammenkommen, dass es dann tat-sächlich ein Zusammengehen auf Augenhöhe ist,dass sich die französische Seite nicht die Rosinenherauspickt zulasten der deutschen Standorte undam Ende eine Rückwärtsentwicklung in Deutsch-land stattfindet und eine Aufwärtsentwicklung inFrankreich. Das meint – auch das hat Tavaresgestern eindeutig ausgesagt –, dass wir die Investi-tionsentscheidungen, die gefällt sind, auch in derZukunft forttragen müssen. Das bedeutet für Eise-nach beispielsweise, dass die Investitionen in dasneue Produkt „Mokka“ am Standort Eisenach sovorgenommen werden wie vereinbart. Das würdedazu führen, dass es weit über das Jahr 2020 hi-naus Arbeitsplatz- und Arbeitssicherheit gibt.

Meine Damen und Herren, was kann Politik in die-sem Umfeld tun? Wir wollen uns auch nicht über-nehmen, wir sitzen nicht am Verhandlungstisch.Aber das Entscheidende ist, dass wir Gewerkschaf-ten, Werkchefs dabei unterstützen, dass sie dieseForderungen nachhaltig gegenüber den verhan-delnden Parteien GM und Peugeot deutlich ma-chen. Denn ich sehe anders als Sie, Herr Höcke,große Vorteile. Deshalb bin ich vorsichtig optimis-tisch, dass diese Entwicklung – sowohl was die ge-sprochenen Worte und deren Umsetzung in Verträ-ge anbelangt, aber auch, was die positiven Konse-quenzen aus einem solchen Zusammengehen mitsich bringen könnten – eine Erfolgsstory werdenkönnte. Warum? Auf der einen Seite: Es gibt schoneine Zusammenarbeit zwischen Peugeot und Opel.Auf der anderen Seite: Wir können neue Märkte er-schließen. Auch das ist bereits angesprochen wor-

6196 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

Page 21: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 6/75 6. Wahlperiode 22.02 · Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/75 22.02.2017 75. Sitzung Mittwoch, den 22.02.2017 Erfurt, Plenarsaal

den, dass Opel nicht mehr auf allen Märkten Zu-gang haben konnte, GM hat das verhindert. Ichdenke, wenn wir über Baukasten-, über Plattform-systeme sprechen, die es bisher nicht gegeben hat,könnte es bei einer fairen Aufgabenteilung zu einerKostenreduktion und damit zu mehr Gewinn führen.Der CEO Neumann hat eine Konzeption für dieUmstellung hin zur Elektromobilität ausgegeben,die, wenn sie umgesetzt wird, wenn sie in Deutsch-land umgesetzt wird, wenn sie in Eisenach einenAnteil findet, eine große Zukunft vorhersagt. Ich binmit dem Abgeordneten Müller einer Meinung, dasswir bis ins Jahr 2030 hier unbedingt zu einer Ver-besserung, zu einer Veränderung kommen müs-sen.

Opel ist jetzt schon stark. Das Ergebnis wäre stär-ker, wenn wir nicht den Brexit hätten. Frau Barrahat gesagt, dass es etwa 200 Millionen Dollar ge-kostet hat, was sich durch den Brexit in Vorberei-tung des Austritts Großbritanniens in Bezug aufVauxhall in Großbritannien abspielt. Wir sind in Ei-senach gut aufgestellt mit hoch motivierten, hochqualifizierten Leuten, mit einer modernen Ausrüs-tung des Werks. Das sollte dafür sprechen, dasswir in der Zukunft auch diesen Standort und die an-deren deutschen Standorte erhalten und weiterent-wickeln können.

Was kann Politik über den Appell hinaus noch tun?Ich habe gestern mit dem IHK-Hauptgeschäftsfüh-rer Grusser der Presse versucht deutlich zu ma-chen, dass wir, beispielsweise wenn es um For-schungsverbünde, um das Entwickeln neuer Tech-nologien geht, unterstützen können, dass die Kolle-gin Werner mit ihrem Instrumentarium zur Verfü-gung steht, wenn es um die Qualifizierung vonFachkräften geht, dass die IHK Facharbeiter weiter-qualifizieren kann, Hilfskräfte zu Facharbeitern wei-terentwickeln kann und dass die Duale HochschuleEisenach mit ihrem weiten Portfolio zur Verfügungsteht, um Fachkräfte zum Beispiel zu Bachelorab-schlüssen zu führen. Das hat übrigens einen Auto-experten dazu veranlasst, zu sagen, Tiefensee willmit der Dualen Hochschule Eisenach retten. Alsoda hat jemand was völlig in die falsche Kehle ge-kriegt, ich traue der Dualen Hochschule sehr vielzu, aber sie wird am Ende nicht das Zünglein ander Waage sein, wenn es darum geht, ob die Ver-handlungen erfolgreich sind oder nicht.

Im Übrigen haben Prof. Grusser und ich diese Ge-spräche, als es um die Qualifizierung der Beschäf-tigten ging, bereits im letzten Jahr geführt, um näm-lich den Übergang von 2017 hin zur Mokka-Produk-tion dazu zu nutzen, unsere Fachkräfte weiterzu-qualifizieren und stärker aufzustellen für die Zu-kunft.

Ein weiteres Thema, warum ich glaube, dass es ei-ne Erfolgsstory werden könnte, warum ich vorsich-tig optimistisch bin, ist eines, das heute noch keine

große Rolle gespielt hat, nämlich dass GM bisherseine Einzelteile von den Zulieferern bezogen hat,die international aufgestellt sind. Aus diesem Grundist die Thüringer Zulieferindustrie sehr wenig einge-bunden in die Produktion bei Opel. Ich könnte mirdurchaus vorstellen, dass es, wenn diese Philoso-phie sich ändert, dann möglich ist, auch deutsche,auch Thüringer Zulieferer mehr in die Produktionvon Opel-Produkten einzubeziehen – ein weitererBeleg dafür, dass es vorangehen könnte.

Noch ein kurzer Satz zu Ihnen, die meinen, dasswir es mit einem Ausverkauf deutscher Technologi-en nach China zu tun haben, Herr Höcke. Mankann KUKA nicht mit diesen Verhandlungen ver-gleichen. Sie wissen, KUKA sollte von einem Chi-nesen übernommen werden. Das ist ein Unter-schied. Zum anderen nehmen Sie bitte zur Kennt-nis, dass die 14 Prozent jetzt schon bei PSA Peu-geot, einem europäischen Unternehmen, zu findensind und die Anteile der Chinesen durchgerechnetdann sinken würden, aber eine Eigentümerschaftheißt noch lange nicht einen Technologietransfer.Im Übrigen ist es so, dass wir mittlerweile in einerglobalisierten Welt international aufgestellt sind undselbstverständlich ein Technologieaustausch nichtzuletzt auf der Forschungsebene stattfindet. Ich ha-be an chinesischen Universitäten, beispielsweisean der Tongji-Universität, eine Menge von Inge-nieuren gefunden, die in Deutschland ausgebildetwurden, die an deutschen Automobilstandorten ge-arbeitet haben. Es wird also auch in Zukunft eineinternationale Vernetzung geben. Ich sehe das Pro-blem an der Stelle nicht.

Letzter Satz: Wir sind noch überhaupt nicht überdem Berg. Viele mündliche Zusagen, noch nichtsSchriftliches. Ich bin froh, dass die Gewerkschaften,die Betriebsräte in die Vertragswerke einsehen kön-nen, dass sie mitdiskutieren können. Es wird, mei-ne Damen und Herren, auch nach dieser AktuellenStunde an uns sein, dass wir in den nächsten Mo-naten, wahrscheinlich auch in den nächsten Jah-ren, alles Erdenkliche von unserer Seite aus, Exe-kutive und Legislative, tun, um den gut aufgestell-ten Standort Eisenach und die beiden anderenStandorte in Deutschland nachhaltig zu unterstüt-zen, denn in einem heiß umkämpften europäischenAutomobilmarkt ist selbst bei einem glücklichen Zu-sammengehen von PSA und Opel die Zukunft im-mer noch nicht sicher. Deshalb hoffe ich, dass wirweiter erfolgreich sind, und sage Ihnen zu, dass ichSie auch weiter bestmöglich informieren werde.Vielen Dank.

Präsident Carius:

Vielen Dank, Herr Minister Tiefensee. WeitereWortmeldungen sehe ich nicht, sodass ich diesenzweiten Teil der Aktuellen Stunde schließe und dennunmehr dritten Teil der Aktuellen Stunde aufrufe

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6197

(Minister Tiefensee)

Page 22: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 6/75 6. Wahlperiode 22.02 · Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/75 22.02.2017 75. Sitzung Mittwoch, den 22.02.2017 Erfurt, Plenarsaal

c) Aktuelle Stunde auf Antragder Fraktion der CDU zum The-ma: „Die Asyl- und Flücht-lingspolitik der Landesregie-rung. Zwischenbilanz nach derProtokollerklärung Thüringenszum Thema anlässlich der Mi-nisterpräsidentenkonferenzvom 9. Februar 2017“Unterrichtung durch den Präsi-denten des Landtags- Drucksache 6/3456 -

Als Erster hat Abgeordneter Herrgott für die CDU-Fraktion das Wort.

Abgeordneter Herrgott, CDU:

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrtenDamen und Herren, das Bundeskabinett beschäftigtsich heute mit dem Thema der schnelleren Ab-schiebung als Folge des einstimmigen Ergebnissesder letzten Ministerpräsidentenkonferenz mit derBundeskanzlerin. Das abgestimmte Paket wird esermöglichen, abgelehnte Asylbewerber schneller inihre Heimatländer abzuschieben und in notwendi-gen Fällen Abschiebehaft schneller und konse-quenter anzuordnen. Die für heute geplante weitereSammelabschiebung nach Afghanistan verdeutlichteinmal mehr, dass unsere Bundesregierung und dieMehrheit der Bundesländer sich entschlossen fürdie konsequente Aufenthaltsbeendigung von nichtberechtigten Personen einsetzen.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Inunsichere Gegenden, genau!)

Thüringen und Schleswig-Holstein scheren hier malwieder aus und unterlaufen den Konsens der deut-schen Bundesländer. Diese Haltung, meine Damenund Herren, ist für uns nicht nachvollziehbar.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist vordiesem Hintergrund sehr zu begrüßen, dass dasPaket aus der Ministerpräsidentenkonferenz nunkommt, weil auch am Ende eines Asylverfahrensmit aller Konsequenz und aller notwendigen Härteunser Recht in Deutschland umgesetzt werdenmuss.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:Aber nur rechtsstaatlich und verfassungs-rechtlich unbedenklich, Herr Herrgott!)

Alles sehr verfassungsstaatlich und alles sehr un-bedenklich, Frau Berninger, so ist das, da habenSie vollkommen recht. Umso bedenklicher ist esaber, dass Thüringen als einziges deutsches Bun-desland ausschert und nicht den Schulterschlussmit allen anderen sucht.

Die abwegige Thüringer Einzelmeinung ist hiernichts Neues.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:Keine Einzelmeinung!)

Nun hätte man aber erwartet, dass der ThüringerMinisterpräsident diese Meinung, egal wie isoliertoder abwegig diese auch sein mag, dann auch per-sönlich vertritt. Aber Fehlanzeige, meine Damenund Herren!

(Beifall CDU)

Der Ministerpräsident war als Einziger nicht da.Nun kann man lange darüber debattieren, ob dieSchlichtung bei der Bahn notwendiger oder wichti-ger war als Inhalte der Ministerpräsidentenkonfe-renz, das will ich inhaltlich aber gar nicht bewerten.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Das istaber lukrativer!)

Die erste Aufgabe des Ministerpräsidenten ist esaus unserer Sicht, Thüringen bei der Ministerpräsi-dentenkonferenz zu vertreten, auch wenn seineMeinung völlig isoliert ist und nicht der der Mehrheitentspricht. Das Ganze dann mit einer lapidaren undinhaltlich fragwürdigen Protokollerklärung abzutun,reicht aus unserer Sicht nicht, meine Damen undHerren.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Daist inhaltlich nichts fragwürdig, Herr Herrgott!)

(Beifall CDU)

Vermutlich sah das der Ministerpräsident genauso,sonst hätte er sich wahrscheinlich nicht dazu hinrei-ßen lassen, zu versuchen, sich in seinem Blognoch einmal ausführlich zu rechtfertigen. Da kommtdann eine Aneinanderreihung von fadenscheinigenArgumenten, wie beispielsweise, ich zitiere: „In allerRegel liegen die Beschlussvorlagen für die Treffenerst sehr kurzfristig vor. Abstimmungen in der Lan-desregierung sind dann nur sehr schwer und einge-schränkt möglich.“

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Ja,in dem Fall war es zwei Tage vorher!)

„Konkret war es in der vergangenen Woche nichtmöglich, über einen Beschlussentwurf, der mir amDienstagabend bekannt wurde, im Kabinett (dasDienstagvormittag berät) zu informieren, geschwei-ge diesen mit den zuständigen Fachministerien ab-zustimmen.“

(Zwischenruf Abg. Dr. Lukin, DIE LINKE:Sachlich richtig!)

Nun, die Konferenz war am Donnerstag. Und Siewollen uns ernsthaft weismachen, meine Damenund Herren, dass die Thüringer Landesregierungnicht in der Lage ist, diesen Beschlussentwurf zu-mindest innerhalb der Regierungskoalition in zweiTagen abzustimmen! Wenn das wirklich so ist, istdas ziemlich bedenklich.

(Beifall CDU)

6198 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Präsident Carius)

Page 23: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 6/75 6. Wahlperiode 22.02 · Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/75 22.02.2017 75. Sitzung Mittwoch, den 22.02.2017 Erfurt, Plenarsaal

Was machen denn Ihre Kollegen, die Kollegen Mi-nisterpräsidenten aus Rheinland-Pfalz, aus Berlin,aus Schleswig-Holstein oder aus Sachsen-Anhalt?Alles Dreier-Koalitionen mit unterschiedlichstenPartnern. Komischerweise haben die es geschafft,sich abzustimmen, um mit einer abgestimmten Mei-nung auf der Konferenz ihre Position zu vertreten.Thüringen hat gefehlt.

Und dass die Sicht der Dinge von Herrn Ramelowbei den Koalitionspartnern nicht unbedingt auf Ge-genliebe gestoßen ist, wurde ja beispielsweiseauch von Herrn Adams deutlich kundgetan. Nunwarten wir ab, ob das in dieser Legislatur noch malpassiert und ob dann der einmalige Bonus aufge-braucht ist. Wir werden es sehen.

In seinem Blog moniert der Ministerpräsident wei-terhin, dass eine Reihe von Themen auf der MPKnicht behandelt wurde, die er gern behandelt gese-hen hätte. Auch deshalb habe er sich entschieden,nicht hinzugehen. So fehle unter anderem, und ichzitiere noch einmal aus dem Blog, „eine Regelungfür die Tausenden Menschen, die seit Jahren illegalin Deutschland leben, in unsere Gesellschaft inte-griert sind und endlich legalisiert werden müssen.“Wir hatten das Thema ja bereits in der ersten Aktu-ellen Stunde.

Meine Damen und Herren, dieser Ansatz ist schonim Grundsatz falsch. Integration beginnt mit der An-erkennung unserer Werte und Regeln. Das heißt,dass der Prozess der Integration mit einem legalenAufenthaltsstatus beginnt. Wer sich illegal in unse-rem Land aufhält, kann sich überhaupt nicht wirk-lich integrieren. Sich einen deutschen Pass durcheinen genügend langen Aufenthalt zu ersitzen, wirdes mit uns, meine Damen und Herren, nicht geben.Grundsätzlich gilt: Wer ein Thema behandelt habenwill, auch wenn er dann – wie im Fall von Thüringen– sich sagen lassen muss, dass seine Meinungeben nicht die der Mehrheit ist, der muss da sein.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:Dann reden Sie mal zum Thema!)

Wer fernbleibt, bleibt isoliert, und das kann und darfnicht unser Thüringer Anspruch sein, meine Damenund Herren. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Präsident Carius:

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Herrgott. AlsNächste erhält das Wort Abgeordnete Lehmann fürdie SPD-Fraktion.

Abgeordnete Lehmann, SPD:

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete, der Titel und die Begrün-dung dieser Aktuellen Stunde sind missverständ-lich, weil zumindest der Titel erst einmal den Ein-

druck erweckt, die CDU-Fraktion würde hier gerneine Bilanz der letzten zweieinhalb Jahre Flücht-lingspolitik in Thüringen ziehen. Dem wird eine Ak-tuelle Stunde, bei der man 5 Minuten Redezeit hat,nicht wirklich gerecht.

(Beifall DIE LINKE)

Dann erwecken Sie den Eindruck, es ginge mögli-cherweise um das, was auf der MPK beschlossenwurde. Es ist die Frage, wenn man sich nur mit Ab-schiebung beschäftigt, ob das das gesamte Spek-trum von Flüchtlingspolitik abbildet. Ich würde sa-gen: Nein!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Sondern es ist einfach ein kleiner, notwendiger Teil,und worum es dann zum Schluss wohl doch eherging, ist die Frage der Abwesenheit des Minister-präsidenten auf der letzten MPK. Auch das wird derFrage von Flüchtlingspolitik und der Arbeit, die dieLandesregierung hier macht, nicht gerecht.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn wir jetzt also ernsthaft eine Bilanz ziehenwollen, was hier in den letzten zweieinhalb Jahrenpassiert ist, dann müssen wir uns zum einen anse-hen, wie sich die Zahlen entwickelt haben. Wir wis-sen, dass allein im Jahr 2015 30.000 Menschennach Thüringen gekommen sind – deutlich mehr,als in den vorangegangenen Jahren. Die Landesre-gierung hat innerhalb kürzester Zeit die Kapazitätenin der Erstaufnahme deutlich erhöht, um die Unter-bringung dieser Menschen zu ermöglichen. Sie hataber darüber hinaus auch die Unterbringung inKommunen gefördert, sowohl die dezentrale Unter-bringung als auch die Unterbringung in Gemein-schaftsunterkünften. Sie hat durch eine Verände-rung des Unterbringungsmanagements auf Landes-ebene schnellere Abläufe in der Registrierung undauch in den Asylverfahren ermöglicht. Wir habendarüber hinaus im aktuellen Doppelhaushalt Inte-grationsmanager für die Landkreise und kreisfreienStädte geschaffen, die die Begleitung Geflüchteterund auch von Ehrenamtlichen vor Ort ermöglichen.Wir haben über das Landesarbeitsmarktprogrammdie Möglichkeit geschaffen, Geflüchtete in Arbeit zuintegrieren. Wir haben eine Ehrenamtskoordinationbei der Migrationsbeauftragten, die Ehrenamtlichen,die wir in diesem Bereich dringend brauchen, Un-terstützung sein soll und Hilfe bieten soll. Wir habendie Sozialbetreuung deutlich verbessert und dieLandesregierung ist derzeit dabei, ein Integrations-konzept zu erarbeiten, das dem Ganzen einen Rah-men geben soll. All das ist nur ein Ausschnitt, mussaber Teil einer Bilanz sein, wenn ich mich über dieBilanz der Flüchtlingspolitik hier unterhalten möch-te.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6199

(Abg. Herrgott)

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Jetzt haben Sie hier noch einen anderen Schwer-punkt gesetzt, den des MPK-Beschlusses. Da gehtes insbesondere um die Frage, wie Abschiebungenund Rückführungen ermöglicht werden. Das ist, wieich gesagt habe, nur ein kleiner Ausschnitt derFlüchtlingspolitik. Für mich ist das ehrlich gesagtder unschönste Teil dieser Arbeit, der mit amschwersten ist, weil ich mir wünschen würde, dassviel mehr Menschen die Möglichkeit bekommenwürden, hier bei uns zu bleiben und hier eine Zu-kunft zu bekommen. Da kann man aber unter-schiedlicher Auffassung sein. Das, was der MPK-Beschluss umfasst, ist nicht alles so eindeutig, wieSie das hier dargestellt haben, Herr Herrgott. Derbefasst sich unter anderem mit der Ausweitung derAbschiebehaft, mit Möglichkeiten elektronischerFußfesseln für Gefährder, der Herausgabe vonHandys und Laptops, um Identitäten festzustellen,mit der Möglichkeit, unbefristete Wohnpflicht in derErstaufnahme zu ermöglichen, aber auch zum Bei-spiel mit der Frage, wie Rückführungsprogrammeaufgestockt werden, um eben die freiwillige Ausrei-se zu stärken.

Die Protokollerklärung, die Thüringen abgegebenhat, macht zum einen deutlich, dass dieser MPK-Beschluss durchaus Licht und Schatten hat, undsagt, es gibt einen Teil, den wir durchaus gut fin-den, nämlich die Frage einer stärkeren IT-Vernet-zung untereinander. Sie macht auch deutlich, dasswir sagen, die Auseinandersetzung mit der Stär-kung der freiwilligen Rückführung finden wir einenrichtigen Weg, auch wenn das der MPK-Beschlussnoch nicht in vollem Umfang macht. Was er auchsagt, ist: Wir wollen keine Verschärfung des Asyl-rechts, wir wollen uns insbesondere noch mal mitder Frage der Sicherheitslage – zum Beispiel in Af-ghanistan – auseinandersetzen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und wir sind in dieser unterschiedlichen Einschät-zung nicht so alleine. Das ist nicht nur Schleswig-Holstein, das sagt, es hat dort Bedenken, sondernes sind auch Berlin und Brandenburg, die dasdurchaus kritisch sehen und da eine andere Auffas-sung vertreten.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:Baden-Württemberg!)

Was die Protokollerklärung darüber hinaus macht,dazu ist zu sagen, dass es eine Kritik am Verfahrengibt. Nämlich: Die versucht, das Bundesratsverfah-ren auszuhebeln und zugunsten einer Beschleuni-gung

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

über die MPK den Bundesrat zu umgehen. Dassagt dieser MPK-Beschluss einfach, dass es nichtberechtigt ist, sondern dass es im Sinne einer sach-lichen Debatte und einer intensiven Einbringung der

Länder notwendig ist, ein Bundesratsverfahren zuhaben. Genau das wollen wir. Und genau hier istder Skandal viel kleiner oder Ihre Kritik gar nicht soberechtigt, wie Sie sie haben wollen, sondern wirwollen eine sachliche Mitarbeit, aber wir wollen sieim Rahmen eines Bundesratsverfahrens ermöglichthaben und nicht im Rahmen der MPK. Da ist aucheine breitere Einbeziehung der gesamten Koalitionmöglich. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsident Carius:

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Lehmann. AlsNächster hat Abgeordneter Henke für die AfD-Frak-tion das Wort.

Abgeordneter Henke, AfD:

Vielen Dank. Herr Präsident, werte Abgeordnete,werte Gäste, eine Bilanz des Schreckens – so ließesich die rot-rot-grüne Asylpolitik nach fast der Hälfteder Legislaturperiode zusammenfassen.

(Zwischenruf Abg. König, DIE LINKE: Dashätten Sie richtig betonen müssen!)

Fangen wir auf der Bundesebene an. Hier hat dieseLandesregierung alles getan, um Thüringen zu iso-lieren, den Rechtsvollzug zu behindern und dieAsylkrise zu verschärfen. Im Einzelnen: keine Zu-stimmung zu der Einstufung der Westbalkanländerund der Maghrebstaaten als sichere Herkunftslän-der, Enthaltung beim Asylverfahrensgesetz undjetzt ein trotziges Nein bei der Erleichterung der Ab-schiebungen. Wofür steht die Thüringer Landesre-gierung in der Asylpolitik? Sie steht dafür, dass sichKriminelle aus Nordafrika aller erdenklichenRechtsweggarantien erfreuen können, um inDeutschland möglichst lange ihrer Karriere als In-tensivtäter nachzugehen.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Lassen Sie doch Ihre Po-lemik!)

Sie steht dafür, dass Gefährder möglichst schwer inAbschiebehaft kommen und frei herumlaufen kön-nen, um Terrorakte zu begehen.

(Zwischenruf Abg. Skibbe, DIE LINKE: Dasist ja widerlich!)

Sie steht dafür, dass auf die Kommunen über denThüringer Sonderweg beim Familiennachzug hor-rende Kosten zukommen. Sie steht dafür, dassThüringen bei den Abschiebungen in der Abstiegs-zone steht. Zu guter Letzt steht sie auch dafür,dass Illegale auf Staatskosten medizinisch versorgtwerden. Die Gesundheitskarte für Asylbewerber istein weiterer Meilenstein der Belastung der hart ar-beitenden Thüringer Bevölkerung.

6200 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Lehmann)

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(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Jetzt reicht‘s langsam!)

(Zwischenruf Werner, Ministerin für Arbeit,Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie:Sie werden auch mal krank!)

Eine Bilanz des Grauens! Dabei sind die Symbole,die Sie setzen, genauso verheerend wie die Maß-nahmen, die Sie treffen oder auch nicht treffen. Po-litik besteht aus Symbolen und sie ist immer aucheine symbolische Handlung. Eine der ersten Amts-handlungen von Rot-Rot-Grün bestand darin, einenWinterabschiebestopp zu verfügen, wobei es inmanchen der aufgeführten Länder im Winter übri-gens wärmer ist als bei uns im Sommer. Eine derschlimmsten Handlungen aus dem Amt heraus wardie Inschallah-Rede von Ministerpräsident Rame-low am Bahnhof von Saalfeld.

(Zwischenruf Abg. König, DIE LINKE: Alsowissen Sie, das ist eine Unverschämtheit!)

So Gott will, hat der Ministerpräsident gerufen, „dasist der schönste Tag meines Lebens.“ Ich weißnicht, Herr Ministerpräsident, wie Ihr Leben bislanggelaufen ist, aber ich hatte schönere Momente alsillegal eingewanderte Migranten nachts am Bahn-hof zu begrüßen.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. König, DIE LINKE: Daswaren Kriegsflüchtlinge! Jetzt reißen Sie sichmal zusammen! So viel Blödheit und Rassis-mus in einer Person vereint!)

(Unruhe DIE LINKE)

Wie geht es weiter? Diese Koalition hat noch rundzweieinhalb Jahre Zeit, um ihr migrationspolitischesKonzept des zwangsverordneten Multikulti in Thü-ringen umzusetzen. Im Koalitionsvertrag wird einhumanitäres alters- und stichtagsunabhängigesBleiberecht mit realistischen Anforderungen fürlangjährig Geduldete und die Abschaffung desAsylbewerberleistungsgesetzes angekündigt.Schlimmer geht‘s nimmer.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:Hat Ihnen jemand erklärt, was Sie da vorle-sen?)

Bei dieser Landesregierung wäre ich mir nicht so si-cher. So oder so: Spätestens 2019 wird dieserSpuk ein Ende haben. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Präsident Carius:

Danke schön, Herr Abgeordneter Henke. Für denZwischenruf von Frau König an Herrn Henke – der„Blödheit“ – erteile ich eine Rüge. Frau Abgeordne-te Rothe-Beinlich, Sie haben das Wort für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen.

Abgeordnete Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrtenDamen und Herren, die CDU hat ihre Aktuelle Stun-de damit begründet, dass der Ministerpräsident Bo-do Ramelow bei der letzten Ministerpräsidenten-konferenz ferngeblieben ist, und – so heißt es inder Begründung – Thüringen würde damit zum wie-derholten Mal „einen inzwischen breiten Konsens inPolitik und Gesellschaft“ unterlaufen, nach dem„Flüchtlingsschutz nur akzeptiert wird, wenn dasAsylrecht nicht zur Einwanderung missbrauchtwird“. Lassen Sie mich eines vorweg klarstellen:Durch seine Nichtteilnahme an dieser Ministerpräsi-dentenkonferenz am 9. Februar 2017 hat Bodo Ra-melow keinen von der CDU für vermeintlich existentgehaltenen bzw. herbeigewünschten Abschiebe-konsens unterlaufen – im Gegenteil. Erstens hatder Ministerpräsident durch seine Nichtteilnahmeeine politische Grundhaltung deutlich gemacht, dieich sehr unterstütze. Es ist nicht hinnehmbar, dassdie Ministerpräsidentenkonferenz – da schließe ichan meine Kollegin Diana Lehmann an – mehr undmehr zu einem Ort der Asylrechtsverschärfung unddes Vollzugs von Beschlüssen des Koalitionsaus-schusses der Großen Koalition im Bund verkommt.Wir jedenfalls haben das ganz offenkundig nichtmitgemacht. Zweitens hat der Freistaat Thüringenmit seiner Protokollerklärung klargestellt, dass sichdie Landesregierung grundsätzlich auf der Basis ei-nes menschenrechtsorientierten, flüchtlingspoliti-schen Ansatzes verhält. Das schließt nun mal eineZustimmung zu einem rechtskonservativ-ideolo-gischen Maßnahmenpaket für eine schärfere Ab-schiebepolitik aus.

(Beifall DIE LINKE)

Völlig klar ist, dass Beschlüsse, die Deutschlandvon einem Aufnahmeland zu einem Abschiebelandwerden lassen, von uns nicht mitgetragen werden.

(Beifall DIE LINKE)

Der weitreichende Beschluss der Ministerpräsiden-ten wurde zudem ohne öffentliche Beteiligung – Sieschreien doch sonst neuerdings immer so nach öf-fentlicher Beteiligung, zumindest wenn es um Ge-bietsreform und so etwas geht – und ohne Beteili-gung der gewählten Abgeordneten in Bund undLändern gefasst. Eine Aushöhlung der Demokratie,wie sie die CDU hier versucht zu manifestieren, tra-gen wir jedenfalls auch nicht mit.

(Beifall DIE LINKE)

Der Ministerpräsidentenkonferenzbeschluss liestsich wie eine Top-Wunschliste der Asylverschär-fungsbefürworter. Die Protokollerklärung von Thü-ringen, die 15 Punkte umfasst, weist vollkommenzu Recht darauf hin, dass viele der Maßnahmen ander Praxis vollkommen vorbeigehen. So heißt esbeispielsweise in dieser Protokollerklärung, dass

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6201

(Abg. Henke)

Page 26: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 6/75 6. Wahlperiode 22.02 · Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/75 22.02.2017 75. Sitzung Mittwoch, den 22.02.2017 Erfurt, Plenarsaal

Verschärfungen des Asylrechts und des Leistungs-rechts keine geeigneten Ansätze zur Bewältigungder vor uns liegenden Herausforderungen sind. Au-ßerdem wird in der Protokollerklärung deutlich,dass wir auf freiwillige Ausreise setzen und zudemganz klar sagen: Afghanistan ist mitnichten sicher.

Gestatten Sie mir hier ein Zitat der Menschen-rechtsbeauftragten der Bundesregierung. Sie hatgesagt: „Nicht die Lage in Afghanistan hat sich ver-ändert, sondern die innenpolitische Diskussion“,meine sehr geehrten Damen und Herren. Wenn wirdann vorgestern zur Kenntnis nehmen mussten,dass der Bundesinnenminister Thomas de Maizièresagte: „Normale zivile Bevölkerung ist zwar Opfer,aber nicht Ziel von Anschlägen der Taliban. Unddas ist ein großer Unterschied“, kann ich nur sagen,das ist an Zynismus kaum noch zu überbieten.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Ich bin sehr froh, dass sich Thüringen eben nicht anAbschiebungen nach Afghanistan beteiligt und dasses auch heute wieder eine Mahnwache um18.00 Uhr auf dem Erfurter Fischmarkt gegen Ab-schiebungen nach Afghanistan geben wird.

(Beifall DIE LINKE)

Thüringen setzt seine Prioritäten ganz anders. Mei-ne Kollegin Diana Lehmann hat das schon ausge-führt und deutlich gemacht, was wir alles eingeführthaben, beispielsweise die Ehrenamtskoordination,dass wir an einem Integrationskonzept arbeiten, andem alle Ressorts beteiligt sind, dass wir uns Ge-danken machen, wie wir Menschen genügend inte-grieren können. Eine Abschiebepolitik jedenfalls,die Flüchtlingsschutz und Willkommenskultur unterDruck setzen will, werden wir nicht mittragen, mei-ne sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Ja, weil es gerade schon Thema war, wir stehen füreine Altfallregelung für Menschen, die seit vielenJahren hier leben und gut integriert sind. Die istlängst überfällig. Wenn es nach uns ginge, hättenwir diese schon längst umgesetzt.

Lassen Sie mich noch mal zusammenfassen: DieseAktuelle Stunde taugt in der Tat überhaupt nicht füreine Zwischenbilanz. Sie taugt auch nicht für eineVorführung. Wir werden uns davon auch nicht be-eindrucken lassen.

(Beifall DIE LINKE)

Denn wir sagen ganz deutlich: Für uns ist geradedie Frage der Flüchtlingspolitik eine ganz elementa-re Frage der Haltung. Dass Thüringen hier einmalmehr den Unterschied gemacht hat, ist gut so. Daskann man so sicherlich nicht allzu oft in dieser Formmachen, aber es war ein wichtiges und überfälligesStatement. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsident Carius:

Danke schön. Ich habe eine weitere Wortmeldung,und zwar des Abgeordneten Gentele.

Abgeordneter Gentele, fraktionslos:

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete, liebe Besucher, die Asyl-und Flüchtlingspolitik in unserem Freistaat und dasWirken der Landesregierung, insbesondere des zu-ständigen Ministeriums für Migration, Justiz undVerbraucherschutz unter Minister Lauinger, kannmeines Erachtens als positiv bewertet werden,auch wenn es natürlich Dinge gibt, die verbesse-rungswürdig wären. Aber wie ich aus Gesprächenweiß, wird daran gearbeitet. Mein Dank gilt in aller-erster Linie all den Menschen, die sich unermüdlichehrenamtlich in den letzten zwei Jahren um Asylbe-werber und Flüchtlinge gekümmert haben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Deutschland, insbesondere Thüringen, gibt denAsylbewerbern und Flüchtlingen die Sicherheit unddie Möglichkeit, in Sicherheit und Frieden leben zukönnen. Die Integrationskurse laufen, viele Flücht-linge, die ich persönlich kenne, lernen und könnenauch schon Deutsch. Ein sehr positives Zeichen.Negativ ist, dass anerkannte Flüchtlinge zum Teilein Jahr auf eine entsprechende Wohnung wartenmüssen. Leider liegt das auch daran, dass derWohnungsmarkt vor allem in den Städten nicht da-rauf vorbereitet war und wir keinen sozialen Woh-nungsbau haben. Aber auch hier gibt es Verbesse-rungen, die ich speziell von Erfurt weiß. Die CDU-Fraktion hat dieses Thema eingereicht, um – wirhaben es gehört – am Ministerpräsidenten BodoRamelow rumzumäkeln, weil er am 9. Februar an-lässlich der Ministerpräsidentenkonferenz fehlte.Ja, auch die SPD war laut der Medien sauer. Aber,meine sehr verehrten Damen und Herren, ichverstehe Herrn Ramelows ablehnende Haltung inBezug auf den Beschluss der Ministerpräsidenten-konferenz. Natürlich müssen sich Bund und LänderGedanken machen, nicht anerkannte Flüchtlingeabzuschieben. Aber ich merke auch an, die Minis-terpräsidentenkonferenz ist kein verfassungsrechtli-ches Organ, wie zum Beispiel der Bundesrat. Auchkann in dieser Konferenz kein Veto eingelegt wer-den. Lediglich kann der Ministerpräsident eine Pro-tokollnotiz machen. Diese hätte aber wenig Beach-tung bekommen. Also hat dann das Fernbleiben ei-ne größere Außenwirkung, um klarzumachen, dassin der Konferenz eine Absichtserklärung von Bundund Ländern getroffen werden soll, die so nicht ver-tretbar wäre. Wenn nicht anerkannte Flüchtlingeabgeschoben werden sollen, muss hundertprozen-

6202 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Rothe-Beinlich)

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tig klar sein, dass diesen Menschen in ihren Län-dern kein Leid, keine Demütigung oder sogar derTod erwartet. Das kann keiner von Ihnen oder unsausschließen.

(Beifall DIE LINKE)

Die aktuelle Aussage unseres Innenministers imBund, Thomas de Maizière, in diesem Bezugstimmt mich betrübt, wenn er sagt, die Anschläge inAfghanistan gelten nicht der zivilen Bevölkerung,sondern den staatlichen Institutionen. Ja, aber lei-der sterben bei diesen Anschlägen zivile Men-schen, Kinder und Frauen. Soll dann dieses Landsicher sein? Ich denke, doch wohl nicht. VielenDank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsident Carius:

Danke schön, Herr Gentele. Weitere Wortmeldun-gen von den Abgeordneten liegen mir nicht vor.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:Doch!)

Doch, Frau Berninger. Entschuldigung, ich habeSie nicht gesehen.

Abgeordnete Berninger, DIE LINKE:

Ich dachte, Sie hätten mich gesehen, Herr Präsi-dent.

Meine Damen und Herren, ich habe vorhin den Pro-Asyl-Aufkleber „Rassismus führt zum Verlust IhresMitgefühls“ zitiert und kann zu dem Redner derrechtspopulistischen Fraktion das dazugehörigePlakat zitieren, das ein Kleingedrucktes enthält.Dort steht: „Rassismus enthält vergiftende Inhalts-stoffe wie menschenfeindliche Einstellung und so-ziale Verantwortungslosigkeit. Gegen Abhängigkeitund Gebrauch hilft der Einsatz des Denkvermö-gens.“

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde derCDU-Fraktion ist – das hat Frau Lehmann schongesagt – zwiespältig. Im Titel habe ich tatsächlichfür einen kurzen Moment gedacht, die CDU-Frak-tion will über die flüchtlingspolitische Bilanz der rot-rot-grünen Koalition nach zwei Jahren reden. Dasaber wollen Sie nicht, Herr Herrgott, und das hatauch Ihr Redebeitrag noch mehr als die Begrün-dung der Aktuellen Stunde deutlich gemacht.

(Zwischenruf Abg. Herrgott, CDU: Da reichenkeine 5 Minuten!)

Dann hätten Sie wahrscheinlich wie im August2015 einen entsprechenden Antrag gestellt. AberSie wissen ja: Die flüchtlingspolitische Bilanz derrot-rot-grünen Koalition ist sehr positiv. Sie könnensie gern mal nachlesen. Auf meiner Homepage ha-

be ich im Dezember Bilanz gezogen, und zwarwortwörtlich nach den Festlegungen im Koalitions-vertrag. Das muss man jetzt noch ergänzen um dasModellprojekt zur gesundheitlichen Versorgung vonMenschen ohne Papiere, aber ansonsten ist dasnoch aktuell. Sie haben die Protokollerklärung desMinisterpräsidenten mit dem Prädikat „inhaltlichfragwürdig“ versehen. Ich denke, das gilt zuallererstfür Ihre Aktuelle Stunde. Ich bin ein bisschen ver-wundert, dass der Präsident Ihnen das hat durch-gehen lassen.

Ich will aber mal nach dem Text der Aktuellen Stun-de bzw. der Begründung vorgehen. Ich darf ver-wundert sein, da kann auch der Präsident nichtsdagegen machen.

Präsident Carius:

Ja, aber Kommentierungen sind trotzdem nicht zu-lässig.

Abgeordnete Berninger, DIE LINKE:

Sie schreiben und finden es schlimm, der Minister-präsident sei der Ministerpräsidentenkonferenz am9. Februar ferngeblieben. Ich kann mich nicht erin-nern, dass es im Oktober 2015 einen Aufschrei ge-geben hätte, als Seehofer, der MinisterpräsidentBayerns, angekündigt hatte, der Ministerpräsiden-tenkonferenz fernzubleiben. Sie erinnern sich alle:Im Oktober 2015, das war gerade die Zeit, in der al-le Bundesländer mit den Erstaufnahmekapazitätenzu kämpfen hatten und insbesondere Bayern als„Erstankunftsland“ sozusagen auf die Unterstüt-zung der anderen Bundesländer angewiesen war,die auch alle bei der Erstaufnahme von Geflüchte-ten, die in Bayern angekommen waren, unterstützthaben.

Sie schreiben, es habe ein Einvernehmen der15 Länderchefs gegeben. Dem ist natürlich nichtso. Sie haben unterschlagen, welche inhaltlichenArgumente beispielsweise Brandenburg und Berlin,aber auch Baden-Württemberg und natürlich auchThüringen in ihren Protokollerklärungen angegebenhaben. Berlin und Brandenburg haben beispielswei-se von der Konnexitätsrelevanz einiger der Maß-nahmen gesprochen, die in dem Punkteplan waren.Alle übereinstimmend haben an der einen oder an-deren Stelle rechtliche oder verfassungsrechtlicheBedenken bei den vorgeschlagenen Maßnahmenund sie sind alle davon ausgegangen, dass dieseBesprechung in der Ministerpräsidentenkonferenznicht das Abstimmungsverhalten im Bundesrat vor-wegnimmt. Sie sprechen von einem breiten Kon-sens in Politik und Gesellschaft. Den gibt es tat-sächlich nicht, zumindest nicht, was diese Abschie-bemaßnahmen angeht, die jetzt in einen Gesetz-entwurf gemündet sind. Dass dieser Konsens nichtbesteht, ist schon allein letzte Woche deutlich ge-worden, als bekannt wurde, dass das Bundesamt in

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6203

(Abg. Gentele)

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die Lage versetzt werden soll, die Handys geflüch-teter Menschen auszulesen. Da sind von allen Sei-ten aus der Gesellschaft Bedenken geäußert wor-den und Kritik geübt worden, meine Damen undHerren. Ich nenne das postfaktisch, meine Damenund Herren. Der Ministerpräsident sei einer Diskus-sion über seine Position ausgewichen – das istnicht so. Er hat die Protokollerklärung abgegebenund die Diskussion konnte laufen.

(Zwischenruf Abg. Herrgott, CDU: Und sichdann gerechtfertigt!)

Er hat sich gerechtfertigt, ja. Sie haben ja einigesschon zitiert aus der Rechtfertigung und ich finde,da sind einige Sachen sehr plausibel. Dass derBundestag und Bundesrat als Gesetzgebungsorga-ne unterlaufen werden sollen, das sehen wir ja. DerGesetzentwurf ist letzte Woche im Bundeskabinettberaten worden. Dann wurden Anzuhörende einge-laden, innerhalb eines Tages Stellungnahmen ab-zugeben zu diesem Gesetzentwurf, und heute hatdas Kabinett den Referentenentwurf beschlossen.Ich denke, da ist genau das umgesetzt worden,was mit der Ministerpräsidentenkonferenz am9. Februar beabsichtigt war. Und ich glaube, das istein Missbrauch dieses Gremiums, meine Damenund Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Präsident Carius:

Für die Landesregierung erteile ich das Wort HerrnMinister Lauinger.

Lauinger, Minister für Migration, Justiz und Ver-braucherschutz:

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrtenDamen und Herren Abgeordneten, auch mir ging esein bisschen so wie der Abgeordneten Lehmann.Auch ich dachte, die CDU beabsichtigt mit dem Ti-tel, zunächst eine Zwischenbilanz zu ziehen. Des-halb gestatten Sie mir, dass ich dem ursprünglichenWunsch, wie er in der Überschrift zum Ausdruckgekommen ist, nachkomme und ein paar Beispielezu dieser Zwischenbilanz nenne, ohne dass dieseden Anspruch auf Vollständigkeit hätten, die miraber besonders wichtig sind.

Wir haben es in den vergangenen zwei Jahren ge-schafft, Zehntausenden Menschen, die vor Kriegund aus Not Zuflucht bei uns gesucht haben, aufzu-nehmen, sie menschenwürdig unterzubringen undauch gut zu versorgen,

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Das warendie Kommunen!)

zunächst in den Erstaufnahmeeinrichtungen desLandes und dann tatsächlich in den Landkreisenund kreisfreien Städten unseres Freistaats. Auch in

einer Zeit wie im Herbst 2015, als wir ohne langeVorbereitungszeit mehrere Tausend Menschenkurzfristig unterbringen mussten, haben wir es alsLand Thüringen geschafft, dass wir den Geflüchte-ten ein festes Dach über dem Kopf bieten konntenund nicht gezwungen waren, Zeltstädte in Größen-ordnungen zu errichten, wie das in anderen Bun-desländern der Fall gewesen ist.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Auch gegenwärtig sind wir auf einem guten Wegund verfügen in den Erstaufnahmeeinrichtungen inGera und Suhl über 2.000 Unterbringungsplätze imaktiven Betrieb. Ich betone das an dieser Stellegern und immer wieder: Allein hätten wir das alsLandesregierung nicht schaffen können. Allen vo-ran gilt daher der Dank den Thüringer Landkreisenund kreisfreien Städten, die im Anschluss an dieErstaufnahme eine hervorragende Arbeit geleistethaben, um Geflüchtete anschließend in den Kom-munen unterzubringen. Wir haben sie dabei nachKräften unterstützt und auch mit zusätzlichen not-wendigen finanziellen Mitteln ausgestattet, um die-se menschenwürdige Unterbringung und Versor-gung vor Ort sicherzustellen. Das ist zum einendurch die Investitionspauschale, aber auch durchdie neuen Möglichkeiten der dezentralen Unterbrin-gung gelungen. Wir haben den Kommunen in ei-nem Hilfspaket von zweimal 25 Millionen Euro ge-holfen, die Kosten der Flüchtlinge zu stemmen. Wirhaben die Bewachungsverordnung geändert, umauch da Kosten, die entstanden sind, auszuglei-chen. Der Dank gilt daneben aber auch den zahlrei-chen Haupt- und Ehrenamtlichen, die an vielenStellen so Wichtiges geleistet haben, dass ich imEinzelnen an dieser Stelle gar nicht darauf einge-hen kann.

Wir haben als Landesregierung einen weiterenSchritt getan, an dem wir als Ministerium sehr langeund intensiv mit allen möglichen an dem ProzessBeteiligten gearbeitet haben. Thüringen bietet nun-mehr Geflüchteten einen diskriminierungsfreien Zu-gang zu ärztlicher Versorgung, indem wir nach lan-ger Arbeit die Gesundheitskarte für Geflüchtete ein-geführt haben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Neben der Gewährleistung professioneller, effizien-ter und effektiver Behandlungen im Krankheitsfallsorgt die Gesundheitskarte aber vor allem dafür,dass auch Bürokratie in den Verwaltungen derLandkreise und kreisfreien Städte abgebaut werdenkann. Sprechen Sie an dieser Stelle mal mit Land-räten und Sie werden hören, wie dankbar diesesind, dass sie von diesem bürokratischen Aufwandentlastet worden sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie wir al-le wissen, wütet nach wie vor ein furchtbarer Bür-

6204 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Berninger)

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gerkrieg in Syrien, der mittlerweile vielen Hundert-tausend Menschen das Leben gekostet hat. Unddie Lage ist weiterhin dramatisch. Die Landesregie-rung hat daher – auch darauf bin ich sehr stolz –das humanitäre Landesprogramm zur Aufnahmesyrischer Flüchtlinge durch ihre in Thüringen leben-den Verwandten fortgesetzt. Wir haben dafür dieAufnahmeanordnung für syrische Familienangehö-rige nach erneuter Erteilung des Einvernehmensdurch den Bundesinnenminister zum wiederholtenMal bis 2018 verlängert. Bereits im Zeitraum vonSeptember 2013 – also noch unter der schwarz-ro-ten Vorgängerregierung – bis Dezember 2016konnten in Thüringen auf diese Weise immerhin514 Visa zur Einreise auf Grundlage dieser Verord-nung erteilt werden. Und bei den Menschen, meinesehr geehrten Damen und Herren, bei denen dasBundesamt für Migration und Flüchtlinge bestands-kräftig festgestellt hat, dass sie nicht als Schutzsu-chende in Deutschland anerkannt werden können,setzen wir als Landesregierung weiterhin ganz kon-sequent auf den Weg der freiwilligen Ausreise, be-vor wir zu dem Mittel der Abschiebung greifen.Wenn Sie sich die Zahlen der einzelnen Bundeslän-der anschauen, dann ist es tatsächlich so, dassThüringen nicht weniger Menschen verlassen ha-ben als andere Bundesländer, die nach Prüfung ih-res Asylrechts keinen Anspruch hatten hierzublei-ben. Bloß: Die Quote zwischen freiwilligen Ausrei-sen und Abschiebungen ist in Thüringen eine ganzandere. Während bei uns dreimal so viele Men-schen das Bundesland auf dem Wege der freiwilli-gen Ausreise verlassen haben, ist es in anderenBundesländern teilweise deutlich anders. Aber ge-nau darauf, meine sehr geehrten Damen und Her-ren, bin ich stolz. Und ich bin weiterhin der Auffas-sung, dass wir diesen Weg gehen müssen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Freiwillige Ausreise ist nicht nur humaner, sondernauch – wenn Sie sich die in den letzten Tagen undWochen veröffentlichten Zahlen zu den Kosten undden Durchschnittskosten anschauen – um die Hälf-te billiger als Abschiebungen. Der Zuzug von Ge-flüchteten nach Deutschland und damit auch nachThüringen hat sich im Jahr 2015 deutlich reduziert,hat deutlich nachgelassen. Niemand weiß aller-dings, ob dies dauerhaft so bleiben wird. Diese Si-tuation ermöglicht es der Landesregierung, den Fo-kus nun vor allem auf die Integration und Bildungder zu uns Geflüchteten zu legen. Eine wichtigeund nach meiner Einschätzung elementare Grund-lage dafür ist das Erlernen der Sprache. Weil nichtwenigen Geflüchteten der Zugang zu Integrations-kursen des Bundes jedoch verwehrt ist, haben wirals Landesregierung das Landesprogramm „StartDeutsch“ auf den Weg gebracht, das nach seineraußerordentlich erfolgreichen Einführung im letztenJahr nun auch in der Fläche ausgeweitet wird.

Sie sehen also, meine Damen und Herren, die vonder Fraktion der CDU geforderte Zwischenbilanzkann sich, wie an diesen wenigen Beispielen aus-geführt, mehr als sehen lassen. Natürlich liegenauch noch große Herausforderungen vor uns unddiese betreffen gerade das Gebiet der Integration.Wir werden auch in dem nächsten Doppelhaushaltentsprechende Mittel bereitstellen, um genau diesegroße Aufgabe anzugehen und sie zu bewältigen.

Gestatten Sie mir zum Schluss – das hat sich dannim Laufe der Rede herausgestellt – noch einige Be-merkungen zu der Ministerpräsidentenkonferenz.Thüringen hat auf der letzten Ministerpräsidenten-konferenz eine Protokollerklärung abgegeben, inder sich das Land mit dem Verfahren und den Be-schlüssen, die dort gefasst worden sind, auseinan-dersetzt. Vorredner haben es bereits zitiert. Mir istes auch noch mal wichtig, zu erwähnen, dass Kern-punkt dieser Protokollerklärung ist, dass das LandThüringen aus grundsätzlichen Erwägungen dabeiein Verfahren kritisiert, dass Beschlussempfehlun-gen der Bundesregierung kurzfristig dieser Minister-präsidentenkonferenz vorgelegt werden und damitdas Beteiligungsverfahren der Länder, das eigent-lich im Bundesrat geregelt ist, zumindest schwieri-ger macht, in Teilen vielleicht aushöhlt. Ich glaube,da sollten wir als Landesregierung genauso wie je-de andere Regierung in den anderen Ländern deut-lich machen, dass es wichtig ist, dass für die Betei-ligung des Verfassungsorgans Bundesrat tatsäch-lich die Regeln, die dafür festgeschrieben sind,auch eingehalten werden.

(Beifall DIE LINKE)

Ausdrücklich begrüßt hat Thüringen in dieser Proto-kollerklärung diejenigen Beschlüsse, die einermenschlicheren Flüchtlingspolitik entsprechen.Hierzu zählen unter anderem Maßnahmen, die aufeine stärkere freiwillige Rückkehr abzielen. Glei-ches gilt für eine bessere Abstimmung zwischenBund und Ländern einschließlich einer optimiertenIT-Vernetzung sowie die Vereinfachung von Pro-zessen, soweit dadurch die Prüfung von Asylanträ-gen und Schutzrechten der Antragsteller nicht ein-geschränkt werden.

Schließlich unterstützt Thüringen – das muss manauch erwähnen – ausdrücklich den Ansatz, dassdie Sicherheit in Deutschland durch eine bessereAbstimmung von Bund und Ländern zu gewährleis-ten ist. Andere Vorschläge, die bei dieser Präsiden-tenkonferenz getroffen worden sind, werden wirprüfen müssen. Ich sage an dieser Stelle als zu-ständiger Migrationsminister ganz deutlich, dassBeschlüsse, die nach meiner Einschätzung eindeu-tig auf Repression, auf eine Verschärfung des Asyl-rechts und Leistungskürzungen gerichtet sind, vonmir sehr kritisch gesehen werden.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6205

(Minister Lauinger)

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Wie viele andere teile auch ich die Einschätzung,dass beabsichtigte Änderungen des Aufenthaltsge-setzes verfassungsrechtlich zumindest genau zuprüfen sind, praktisch oft an vielen Stellen nurschwer umsetzbar sind und nach meiner Einschät-zung nicht unbedingt eine Lösung für die vor unsliegenden Herausforderungen sind. Wichtig ist,glaube ich, zu betonen, dass Thüringen in der Pro-tokollerklärung erneut betont hat und deutlich ge-macht hat, dass es europäische und internationaleAnstrengungen sein müssen, die eine Lösung die-ses Problems der immer stärkeren Flüchtlingsbe-wegungen auf der Welt notwendig machen. Ohnediese Rahmenbedingungen, die nur in Zusammen-arbeit mit anderen Ländern und internationalen Ak-teuren zu schaffen sind, bleiben nationale Allein-gänge erfolglos. Zudem – auch das möchte ichnoch einmal betonen – teile ich die Auffassung wieübrigens viele andere Bundesländer auch – dasgeht zum Teil bis nach Bayern –, dass eine Altfall-regelung für jene Menschen, die bereits seit Jahrenin Deutschland leben und integriert sind in der hie-sigen Gesellschaft, dringend notwendig ist. Was füreinen Sinn macht es denn, dass wir als Landesre-gierungen mit großem finanziellem Aufwand denMenschen Sprache beibringen,

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Das sollenSie ja gar nicht!)

sie integrieren, sie über viele Jahre hier leben,einen Arbeitsplatz gefunden haben, hier in der Ge-sellschaft angekommen sind, um dann nach vielen,vielen Jahren zu sagen: Na, jetzt droht dann dochdie Abschiebung. Eine Auffassung, die meiner Mei-nung nach komplett kontraproduktiv ist.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Integrierte Menschen in ihre Herkunftsländer zu-rückzuführen, ist in großem Maße inhuman, birgtdas Risiko sozialer Spannungen und nimmt insbe-sondere den Migranten und Migrantinnen, von de-nen ernsthafte Integrationsbemühungen in sprachli-cher und kultureller Hinsicht erwartet werden, jed-weden Integrationsanreiz. Anstatt auf Zwang undAusgrenzung zu setzen, ist es ganz wichtig, in vie-len Fällen eine differenzierte und grundlegende Lö-sung der anstehenden Probleme zu suchen. DieThüringer Landesregierung wird daher weiterhinden Weg einer sachorientierten und an den Maß-stäben unserer Verfassung ausgerichteten Flücht-lings- und Asylpolitik beschreiten. Vielen Dank fürIhre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Jung:

Meine Damen und Herren, da die Landesregierungmehr Redezeit in Anspruch genommen hat, haben

jetzt alle Fraktionen noch mal 2 Minuten Redezeit.Wünscht noch jemand das Wort? Das kann ichnicht erkennen. Dann schließe ich den Tagesord-nungspunkt und wir fahren fort.

Die Tagesordnungspunkte 1 a, b und c sind abge-setzt von der Tagesordnung. Der Tagesordnungs-punkt 2 wurde auch abgesetzt von der Tagesord-nung und ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 3

Erstes Gesetz zur Änderungdes Thüringer Gesetzes zurRegelung des Mehrbelastungs-ausgleichs für den Vollzug desBetreuungsgeldgesetzesGesetzentwurf der Landesregie-rung- Drucksache 6/3039 -dazu: Beschlussempfehlung des

Ausschusses für Soziales,Arbeit und Gesundheit- Drucksache 6/3449 -

ZWEITE BERATUNG

Das Wort hat Frau Abgeordnete Meißner aus demAusschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit zurBerichterstattung.

Abgeordnete Meißner, CDU:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Da-men und Herren Abgeordnetenkollegen, werte Zu-schauer! Das Thüringer Gesetz zur Regelung desMehrbelastungsausgleichs für den Vollzug des Be-treuungsgeldgesetzes soll mit Ablauf des 30. Aprildieses Jahres außer Kraft treten. Aufgrund des Ur-teils des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Ju-li 2015 wurde auch in Thüringen kein Betreuungs-geld mehr bewilligt. Daher entsteht den Landkrei-sen und kreisfreien Städten kein nennenswerterVerwaltungsaufwand mehr, der nach § 2 Satz 1 desThüringer Gesetzes zur Regelung des Mehrbelas-tungsausgleichs für den Vollzug des Betreuungs-geldgesetzes auszugleichen ist. Das Gesetz fürden Verwaltungsvollzug wird also nicht mehr benö-tigt.

Der Gesetzentwurf wurde am 8. Dezember 2016erstmals im Landtag in seiner 69. Sitzung beratenund an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Ge-sundheit überwiesen. Unser Ausschuss hat denGesetzentwurf in seiner 26. Sitzung am 19. Januardieses Jahres beraten und eine schriftliche Anhö-rung des Thüringischen Landkreistages und desGemeinde- und Städtebundes durchgeführt. Beidieser Anhörung äußerten sich beide kommunalenSpitzenverbände zum Gesetzentwurf zustimmend.Letzte Woche wurde der Gesetzentwurf sodann inunserer 27. Sitzung abschließend beraten. Die Be-schlussempfehlung des Ausschusses für Soziales,

6206 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Minister Lauinger)

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Arbeit und Gesundheit lautet, den Gesetzentwurfanzunehmen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU)

Vizepräsidentin Jung:

Ich eröffne die Beratung. Es liegen mir keine Wort-meldungen vor. Gibt es Wortmeldungen? Das kannich nicht erkennen. Dann schließe ich die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-wurf der Landesregierung in Drucksache 6/3039 inzweiter Beratung. Wer dem Gesetzentwurf die Zu-stimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen.Das sind die Stimmen aus allen Fraktionen. Gegen-stimmen? Die kann ich nicht erkennen. Stimment-haltungen? Die kann ich auch nicht erkennen. Da-mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange-nommen.

Wir kommen zur Schlussabstimmung. Wer mit demGesetzentwurf einverstanden ist, den bitte ich, sichvon den Plätzen zu erheben. Das sind die Abgeord-neten aus allen Fraktionen. Gegenstimmen?Stimmenthaltungen? Solche kann ich nicht erken-nen. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen undich schließe diesen Tagesordnungspunkt.

Der Tagesordnungspunkt 4 wurde von der Tages-ordnung abgesetzt und ich rufe auf den Tagesord-nungspunkt 5

Erstes Gesetz zur Änderungdes Thüringer Lehrerbildungs-gesetzesGesetzentwurf der Fraktion derCDU- Drucksache 6/3113 -ZWEITE BERATUNG

Ich eröffne die Beratung und Abgeordneter Tisch-ner hat sich für die Fraktion der CDU zu Wort ge-meldet.

Abgeordneter Tischner, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren, wir beraten erneut heute die Änderung desThüringer Lehrerbildungsgesetzes. Zu Beginn mei-ner Rede möchte ich zurückmelden, dass es zu er-heblichem Unverständnis in der Fachöffentlichkeitund in den Medien geführt hat, dass die Koalitions-fraktionen in keiner Weise bereit waren, die Proble-matik im Ausschuss und vor allem dort mit den Be-troffenen zu beraten.

Was ist der Anlass unseres Gesetzentwurfs? Mitder Umstrukturierung der Lehrerbildung für dasLehramt an Grundschulen an der Universität Erfurtund der Einrichtung eines komplexen Schulprakti-kums kommt es bei Anrechnung dieser Praktikakünftig zu einer Verkürzung des Vorbereitungs-

dienstes aller Schularten um bis zu sechs Monate.Für das Lehramt an Grundschulen hat diese Ver-kürzung jedoch einen dramatischen Einfluss auf dieAusbildungsqualität, was auch die Leistungsergeb-nisse aktuell zeigen. Eine Verkürzung des Vorberei-tungsdienstes auf zwölf Monate, de facto sind esnur neun Monate, zeigt sich, ist der falsche Weg.Die Verkürzung des Vorbereitungsdienstes auf die-se zwölf Monate zieht eine erhebliche Veränderungin der Ausbildung nach sich und bedeutet eine Be-nachteiligung der Schulart Grundschule gegenüberallen anderen Schularten in Thüringen. Gleichzeitigliegt es nahe, dass sich die Verkürzung negativ aufdie Qualität künftiger Abschlüsse von Lehramtsan-wärtern auswirken wird, denn wie Praktiker in derLehrerbildung berichten, sind zwölf Monate zu kurz,um die für die Ausbildung von Lehramtsanwärternfür Grundschulen notwendigen methodischen unddidaktischen Inhalte zu vermitteln, die sich nichtvon denen in anderen Schularten unterscheiden.

Was ist die Forderung unseres Gesetzentwurfs?Durch den vorliegenden Gesetzentwurf soll derVorbereitungsdienst für alle Lehrämter auf grund-sätzlich 24 Monate festgelegt werden. Werdenwährend der ersten Phase der Lehrerbildung absol-vierte Praktika oder schulpraktische Übungen nach-gewiesen, die vom Umfang und Inhalt her eine An-rechnung auf den Vorbereitungsdienst ermöglichen,wird der Vorbereitungsdienst um bis zu sechs Mo-nate verkürzt, sodass im Ergebnis in der Regel ein18-monatiger Vorbereitungsdienst für alle Lehräm-ter steht, wie es in den meisten anderen Bundes-ländern in Deutschland ebenfalls praktiziert wird.Das Ansinnen der Landesregierung, man wolle denzwölfmonatigen Vorbereitungsdienst zunächst eva-luieren, sehen wir als falsch an, denn vergleichbareUntersuchungen gibt es bereits in anderen Ländernder Bundesrepublik Deutschland, so etwa in Berlinoder in Nordrhein-Westfalen. Im Ergebnis wurdebeispielsweise in Berlin der Vorbereitungsdienst füralle Lehrämter wieder von zwölf auf 18 Monate ver-längert. Auch die Evaluation des reformierten Vor-bereitungsdienstes in Nordrhein-Westfalen – übri-gens sämtlicher Bundesländer, die zurzeit SPD-ge-führt sind – hat dazu geführt, dass festgestellt wur-de, dass eine weitere Verkürzung des jetzt beste-henden 18-monatigen Vorbereitungsdienstes nichtzu empfehlen und nicht sinnvoll ist. Eine Ausnahmestellt neben Thüringen jetzt lediglich noch Sachsen-Anhalt dar. Dort ist der Vorbereitungsdienst für dasLehramt auf 16 Monate festgelegt. Ihr Evaluie-rungsargument ist also eine Krücke. Es ist eineKrücke und ein Beleg für die erneute Arbeitsverwei-gerung der Landesregierung in Schul- und Bil-dungsfragen.

(Beifall CDU)

Meine Damen und Herren, in der Vorahnung, dassSie unseren sehr praxisnahen Gesetzentwurf nichtzur Anhörung an den Bildungsausschuss überwei-

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6207

(Abg. Meißner)

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sen würden, haben wir eine umfassende schriftlicheAnhörung von Universitäten, Verbänden und Prakti-kern durchgeführt. Auf einige Rückmeldungenmöchte ich kurz eingehen. So begrüßt beispielswei-se der Bundesarbeitskreis der Seminar- und Fach-leiterinnen die vorgeschlagene Formulierung im ge-änderten Thüringer Lehrerbildungsgesetz aus-drücklich. In keinem anderen deutschen Bundes-land, so teilte uns ein Verband mit, findet man beider Dauer des Vorbereitungsdienstes Unterschiedezwischen den Schularten. Eine einheitliche Ausbil-dungsdauer ist die Voraussetzung für eine zwi-schen allen Schularten vergleichbare Qualität derAusbildung im Thüringer Vorbereitungsdienst.

Die Vergleichbarkeit der Ausbildung in der erstenPhase und die Ungleichbehandlung zwischen denSchularten im Thüringer Vorbereitungsdienst wer-den insbesondere mit Blick auf die Ausbildung ander Universität Erfurt deutlich. Dort werden, so be-richten uns Studenten und Professoren, sowohlStudierende für das Lehramt an Grundschulen undStudierende für das Lehramt an Regelschulen aus-gebildet. Studierende beider Lehrämter nehmen ge-meinsam an ausgewählten Lehrveranstaltungen vorallem im erziehungswissenschaftlichen Teil teil undbeide Lehrämter schließen nach mindestens zehnSemestern mit einem Master ab. Die Ausbildung fürbeide Lehrämter, Grundschule und Regelschule,enthält eine einsemestrige Praxisphase. Warum Siedann gerade diese Situation an der Erfurter Univer-sität als Beleg dafür nehmen, dass im Grunde einneunmonatiger Vorbereitungsdienst für Grund-schullehrer ausreichend sind, erschließt sich unsnicht. Dann müsste dies in der Konsequenz auchfür die Regelschulabsolventen gelten.

Der Bundesarbeitskreis der Seminar- und Fachlei-ter weist in seiner Berliner Erklärung von 2015 aufdie gestiegenen Anforderungen an die Lehreraus-bildung hin, die sich aus den aktuellen gesellschaft-lichen Veränderungen und den neuen schulischenHerausforderungen in allen Schulformen ergeben.Damit entstehen erweiterte Anforderungen an dieProfessionalisierung von angehenden Lehrkräftenaller Schularten und der reflexive Ansatz, die Indivi-dualisierung und der personenorientierte Bera-tungsansatz seien eine besondere Stärke der zwei-ten Phase der Lehrerausbildung, die sich nur in ei-ner angemessenen Ausbildungszeit effektiv gestal-ten lassen, so wurde uns mitgeteilt. Ebenso be-grüßt der Vorsitzende des Lehrerbildungsausschus-ses der Universität Jena, Prof. Dr. Peter Gallmann,den grundsätzlichen Vorstoß der CDU-Landtags-fraktion, dass für alle Lehramtsstudierenden in allenSchularten 18 Monate Vorbereitungsdienst vorge-sehen sind und dass es in jedem Lehramtsstudien-gang eine Praxisphase für die Dauer eines Semes-ters geben soll. Auch der Thüringer Verband derBerufsschullehrerinnen und -lehrer teilte uns mit,dass er dem Vorhaben positiv gegenübersteht, und

sieht in einer Verkürzung des Vorbereitungsdiens-tes für das Lehramt an Grundschulen eine Benach-teiligung zukünftig in Thüringen ausgebildeterGrundschullehrerinnen und -lehrer. Ein Wechselbzw. eine Bewerbung in ein anderes Bundesland,aus welchen Gründen auch immer, könnte eine Be-nachteiligung dieser Personengruppe, also derGrundschulabsolventen, nach sich ziehen.

Dies alles sind Stellungnahmen von Menschen, dieetwas von der Materie verstehen, die tagtäglich da-von betroffen sind. Wenn Sie schon diesen Fach-leuten nicht trauen, sehr geehrte Kollegen von Lin-ken, SPD und Grünen, dann trauen Sie doch we-nigstens Ihrer Bildungsministerin, die als Kollegin inder Lehrerausbildung doch selbst viele Jahre tätigwar und uns mehrfach gesagt hat, dass diesezwölf Monate nicht ausreichend sind.

(Beifall CDU)

Meine Damen und Herren, da der Gesetzentwurfbei der ersten Lesung leider nicht zur Weiterbera-tung an den Ausschuss für Bildung, Jugend undSport überwiesen wurde, bitte ich heute nochmalsinständig um Ihre Zustimmung zu unserem Gesetz-entwurf. Helfen Sie uns, die Situation für die Lehr-amtsanwärter an Grundschulen im Freistaat Thürin-gen wieder zu verbessern und ihnen vor dem Ein-stieg in den regulären Schulalltag die erforderlichenmethodischen und didaktischen Inhalte ausrei-chend zu vermitteln. Ich bitte um Ihre Zustimmung.

(Beifall CDU; Abg. Gentele, fraktionslos)

Vizepräsidentin Jung:

Als nächster Redner erhält Abgeordneter Wolf,Fraktion Die Linke, das Wort.

Abgeordneter Wolf, DIE LINKE:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen der demokratischen Fraktio-nen, wenn wir heute erneut über den Vorschlag derCDU zur Änderung des Thüringer Lehrerbildungs-gesetzes reden wollen, lohnt es sich, den Blick zu-rück und den Blick nach vorn zu wagen. Recht spät– nämlich erst im Jahr 2008 – kam es zu einer Ver-abschiedung des ursprünglichen Lehrerbildungsge-setzes, damals noch unter Alleinherrschaft derCDU. Erstmals gab es nun auch bei uns ein Ge-setz, das den Rahmen für die Lehrerbildung vor-gibt. Schon zu diesem Zeitpunkt war das Gesetzwenig zukunftsweisend, manifestierte es doch ingroßen Teilen eher den Ist-Zustand bzw. gab we-nigstens genug Spielräume für zum Beispiel die be-reits im Wintersemester 2007 neu gestalteten Lehr-amtsstudiengänge nach dem Jenaer Modell derFSU.

Die Vorschläge der Linken wie auch die meistenVorschläge und Wünsche der Anzuhörenden im

6208 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Tischner)

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Gesetzgebungsverfahren fanden damals leider kei-ne Beachtung. So haben Sie die Anzuhörendenund auch die anderen Fraktionen schlichtweg igno-riert. Auch im Jahr 2013 erwies sich die CDU er-neut als größte Bremse für Innovation in der Leh-rerbildung in Thüringen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Es hatte nicht einmal für ein mündliches Anhö-rungsverfahren im damaligen Ausschuss für Bil-dung, Wissenschaft und Kultur gereicht, sehr ge-ehrter Kollege Tischner.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Das liegtdoch alles in der Vergangenheit, Mensch!)

Wieder wurden unsere Anträge und Änderungsvor-schläge wie auch die der Grünen abgeschmettertund einfach weggestimmt. Bedauerlicherweise wa-ren wieder nur wir diejenigen, die den Betroffenengenau zugehört hatten. Kritik und Wünsche hattensich wiederholt, aber auch die Perspektiven gegen-über 2008 erhielten wiederholt keinen Einzug. DieChance, Lehrerbildung in Thüringen neu zu denkenund innovative Prozesse anzustoßen, waren in2013 vertan.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Was ma-chen wir jetzt?)

So wurden nur einzelne Dinge punktuell angegan-gen und meist lediglich KMK-Bestimmungen umge-setzt. Diesen Fehler dürfen wir nicht erneut ma-chen. Bei allem, was war und damals abgelaufenist, muss ich Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen undKollegen der CDU, zugestehen, dass Ihr Anliegendurchaus diskussionswürdig ist. Es ist ehrbar, dassSie Ihren Fehler, Kollege Tischner, und den FehlerIhrer Fraktion von damals nun korrigieren wollen.Zum Zeitpunkt sage ich gleich noch etwas.

Die Grundlage für die kürzeren Ausbildungszeitenbeim Lehramt für Grundschulen wurden nämlichdurch die Gesetze von 2008 und 2013 gelegt.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Wer wardenn damals Bildungsminister?)

Aber noch einmal: Solch eine Flickschusterei wiedamals können wir uns schlicht und einfach nichtleisten. Damals, 2003, hatte der Kollege Emde, da-mals noch verantwortlich für den Bildungsbereich,unsere Oppositionsarbeit als träge und faul be-zeichnet.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Dafür wirder einen Grund gehabt haben!)

Ich frage mich, wer hier seine Hausaufgaben alsOpposition nicht gemacht hat, wenn Sie uns heute,sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU,ein Änderungsgesetz vorlegen, das nur einen Para-grafen ändern soll, nur einen einzigen. Mit uns wirdes das nicht geben!

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Wir wollenes euch leicht machen!)

Wir als Linke und als Teil einer rot-rot-grünen Lan-desregierung werden es besser machen. Die Stel-lungnahmen und Zuschriften von 2008 und 2013sind nicht vergessen oder verlegt. Die Betroffenenin den Institutionen und Verbänden stehen weiter-hin bereit. Die Evaluation des Thüringer Lehrerbil-dungsgesetzes wird bis Ende 2017 erfolgen. Ich sa-ge „Ende 2017“ schon deswegen – das wissen Sieauch sehr genau, Kollege Tischner –, weil es erstdann Sinn macht zu evaluieren, weil erst dann ge-nügend durch die entsprechende zweite Phase ge-laufen sind und wir dann erst mal etwas evaluieren.

Wenn Sie hier andere Bundesländer zitieren – ichhabe ja vorhin schon gesagt, es ist durchaus ehrbarund wir nehmen das auch sehr ernst, was Sie hiervorbringen –, dann muss man aber auch sagen,dass die Lehrerbildungsgesetze in den Bundeslän-dern natürlich höchst verschieden sind. Kein ande-res Bundesland würde sagen: Weil Thüringenschon mal etwas evaluiert hat – ein ganz anderesGesetz mit ganz anderen Grundlagen –, orientierenwir uns daran, was Thüringen gemacht hat.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Es gehtaber um die Referendare!)

Das gab es ja noch nie, sondern es wird immer einkonkretes Gesetz mit seinen Grundlagen und sei-nen Erfahrungen evaluiert. Was denn sonst?! 2017,liebe Kolleginnen und Kollegen hier im HohenHaus, wird für uns das Jahr der Lehrerbildung.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Ist das ei-ne Drohung?)

Wir werden es nutzen und gemeinsam als Koali-tionsfraktionen die Grundlage für eine innovativeund zukunftsweisende Lehrerbildung in Thüringenschaffen. Was heißt das konkret? Wir brauchen zu-nächst ein Lehrkräftebildungsgesetz. Wenn wir aufdie Ausbildungszeiten schauen, dürfen wir nicht nurdie zweite Phase im Blick haben. Die gleichlangeAusbildung muss bereits im Studium beginnen. Un-ser Ziel ist: 300 Leistungspunkte für alle.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Das muss auch für den Lehramtsstudiengang Re-gelschule in Jena gelten. Natürlich kann sich nichtnur ein 24-monatiger Vorbereitungsdienst daran an-schließen. Es muss unsere Aufgabe sein, mit derEvaluation ganz genau hinzuschauen und zu sa-gen: Gleiche Bedingungen für alle; wir wollen, dassauch die Bedingungen der zweiten Phase akzepta-bel sind, aber erst die Evaluation und dann die Vor-lage des Gesetzes. Aber denken wir auch an dieSeiteneinsteiger oder die Absolventen, die keineausreichenden schulpraktischen Anteile aus demStudium vorweisen können. Sie alle brauchen Zeit,

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6209

(Abg. Wolf)

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denn die Lehrerpersönlichkeit muss sich entwickelnund reifen. Anerkennungszeiten aus schulprakti-schen Anteilen im Studium oder berufspraktischeTätigkeiten vor dem Vorbereitungsdienst bleibennatürlich weiter bestehen. Aber bereits im Studiumwerden die Grundlagen für die zukünftige Laufbahnder Lehrkräfte gelegt. Daher ist es wichtig, die exis-tierenden Lehrämter in Thüringen weiterzuent-wickeln. Wir müssen das Lehramt an Regelschulenbzw. für die Sek. I aufwerten. Es muss wieder at-traktiv sein, dieses Lehramt zu studieren. Das errei-chen wir, wenn wir uns an den KMK-Empfehlungenorientieren. Das heißt, dass wir alle Studiengängein Thüringen, egal ob Lehramtsstudiengang oderlehramtsbezogener Studiengang, mit 300 Leis-tungspunkten bedenken, eine Annäherung bei derNeuverteilung der Leistungspunkte an das Verhält-nis 2 : 1 zwischen den beiden Fächern und Bil-dungswissenschaften, 2 : 1. Dann sind die Absol-venten den pädagogischen Herausforderungen imspäteren Schulalltag besser gewachsen.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Rededoch mal zum Thema!)

Ich rede sehr wohl zum Thema, Kollege Tischner.Ich versuche Ihnen hier gerade mal einen Weg zuweisen, was Sie alles nicht bedacht haben.

Weiterhin gilt es, die schulartbezogene Ausbildungin eine schulstufenbezogene Ausbildung zu über-führen. Das Ziel ist klar, die überwiegende Mehrheitder Lehrkräfte wird in Zukunft in einer ThüringerGemeinschaftsschule arbeiten. Dabei ist über dieSchaffung eines Gemeinschaftsschullehramtsnachzudenken. Schulentwicklung beginnt hier füruns auch bei der Ausbildung der Lehrkräfte. Nurwenn wir die Lehrer für eine Schule haben, kannich die Idee der Schule nachhaltig mit Leben füllen,kann den pädagogischen Anforderungen dieserSchulart auch über die Lehrerbildung Genüge ge-tan werden.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Hoffent-lich sehen das die Lehrer auch so!)

Auch die bessere Verknüpfung von Theorie undPraxis – phasenübergreifend – wird ein Thema fürdas neu zu schaffende Lehrerbildungsgesetz sein.Die erlebte Praxis muss besser eingebunden wer-den in die universitären Veranstaltungen nach derPraxisphase und auch – da Sie ja auch immer Ihreselbst erfasste Umfrage zitieren, dann hören Siesich bitte auch mal genau um, wo da wirklich dieSäge klemmt – in den sich anschließenden Vorbe-reitungsdienst. Das gilt auch für alle anderen Inhal-te und Kompetenzen. Wir brauchen einen roten Fa-den für die Lehrerbildung. Komponenten müssensich besser aufeinander beziehen und bei einemspäteren erneuten Aufgreifen vertieft und vernetztwerden. So implementieren wir ein modernes Spi-ralcurriculum.

Ein weiterer Punkt wird die Steigerung der Attrakti-vität der Lehrämter für Berufsschulen und Förder-pädagogik sein. Die Studierendenzahlen sind hiermarginal. Sie haben das ja auch noch mal mit Ih-rem Antrag im Bildungsausschuss – Kollege Tisch-ner –, den wir ja auch weiter beraten werden, abge-fragt und uns ist auch noch mal bewusst geworden,wie groß die Aufgabe ist. Wir müssen sie wiedernäher an die allgemeinbildenden Lehrämter heran-holen und gemeinsame Studienphasen ermögli-chen. Flexibilität ist hier das Zauberwort. Durch ein-fachere und verlustärmere Wechselmöglichkeitenzwischen den Lehrämtern können wir hier kurzfris-tig reagieren und Menschen im Bildungsprozess ei-ne Umorientierung ermöglichen. Ansätze bildenhierbei die angesprochenen gemeinsamen frühenStudienphasen, die so weit gehen können, dass ei-ne Ausdifferenzierung in die eigentlichen Lehrämtererst später erfolgt.

Aber auch der Umbau der eigenständigen Lehräm-ter zu einem Fach ist ein vielversprechender Lö-sungsansatz. So machen es uns beispielsweise dieKolleginnen und Kollegen in Berlin vor. Statt eineszweiten allgemeinbildenden Fachs kann dort einvierter Schwerpunkt gewählt werden. Das bringt dieFörderpädagogen näher an die anderen Lehrämterheran und ermöglicht auch die Ausdifferenzierungder Förderpädagogen in die Primarstufe, Sek. I undSek. II. Dabei werden wir die grundlegenden Quali-fizierungen der anderen Lehrämter nicht aus denAugen verlieren. Neben den Spezialistinnen undSpezialisten für Förderpädagogik braucht es auchbei den anderen Grundlagenwissen in dem BereichFörderpädagogik. Der Umgang mit Heterogenitätund Kenntnisse sowie Handlungswissen bezüglichaller Vielfaltskategorien müssen hier zum Standardwerden. Um die Verbesserung zu schaffen, werdenwir durch das Gesetz neue und bessere Rahmen-bedingungen schaffen, um diesen im Einklang mitanderen Regelungen zur Wirksamkeit zu verhelfen,denn auch die Umsetzung dieser Vorhaben undIdeen müssen wir gewährleisten.

Das waren einige Schlaglichter des anstehendenÄnderungsbedarfs aus unserer Sicht. Sie sehen, esgibt viel zu tun, sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen der CDU.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Damitkönnen wir doch heute anfangen!)

Wir werden es nach der Evaluation ganz sicher ge-meinsam mit Ihnen anpacken. Zu Ihrem Gesetzes-vorhaben kann ich aber nur wiederholen: Wir wer-den es jetzt ablehnen, da es deutlich zu kurz greift– ich denke, das habe ich jetzt ausgeführt – und dieEvaluation noch nicht zu Ende gebracht worden ist.Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

6210 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Wolf)

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Vizepräsidentin Jung:

Als nächste Rednerin hat Abgeordnete Rosin, Frak-tion der SPD, das Wort.

Abgeordnete Rosin, SPD:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehr-ten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-legen! Alle Sachargumente, warum es im Septem-ber 2013 notwendigerweise zur Novellierung desLehrerbildungsgesetzes gekommen ist und warumLandesregierung und Koalitionsfraktionen eine er-neute Novellierung zum jetzigen Zeitpunkt ableh-nen, sind bereits in der ersten Lesung des CDU-Gesetzentwurfs im Detail ausgeführt worden. Ichmöchte diese Argumente daher nicht noch einmalvortragen, sondern lediglich auf einige Punkte nä-her eingehen, die Kollege Tischner seinerzeit imPlenum benannt hat. Sie zeigen uns aus meinerSicht beispielhaft, dass das Novellierungsvorhabenauf einer unzureichenden Faktenlage basiert undinsgesamt wenig durchdacht ist. Zum einen hat derKollege vorgetragen, die bisherigen Erfahrungenmit dem auf zwölf Monate verkürzten Vorberei-tungsdienst seien durch die Bank negativ. Dieskönne man insbesondere daran ablesen, dass na-hezu alle Referendarinnen und Referendare, die imFebruar 2016 ihren Vorbereitungsdienst aufnah-men, die sogenannte Interimslösung, die MinisterinKlaubert damals vorgeschlagen hat, in Anspruchgenommen und eine Verlängerung des Referenda-riats auf 18 Monate beantragt haben. Diese Be-hauptung ist gar nicht mal komplett falsch, aller-dings spiegelt sich darin die Realität auf eine etwasspezielle Art wider. Natürlich ist es richtig, dass dieallermeisten Nachwuchspädagogen, die im Februarletzten Jahres in den Vorbereitungsdienst gegan-gen sind, die Verlängerungsmöglichkeit in An-spruch genommen haben. Ebenso richtig ist aberauch, dass die mit der Verkürzung des Vorberei-tungsdienstes einhergehenden Ausgleichsmaßnah-men, nämlich der Wegfall der Hausarbeit und dieReduzierung der Ausbildungsfächer beim Lehramtfür Grundschule von vier auf drei, zu diesem Zeit-punkt noch nicht in Kraft gesetzt worden sind. Dassollte eigentlich zeitlich synchron laufen, hat dannaber offenbar doch nicht so funktioniert. Genau ausdiesem Grund hat das Bildungsministerium zuguns-ten und im Sinne der Betroffenen

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Die Quali-tät verschlechtert!)

im letzten Frühjahr die Interimslösung auf den Weggebracht. Wie es der Name schon sagt, ist dasaber nur als befristete Lösung gedacht gewesen,bis die Ausgleichsmaßnahmen greifen. Inzwischengreifen sie, sodass der Ausbildungsjahrgang, deram 1. August 2016 mit dem Vorbereitungsdienstbegonnen hat, nun auch vom Wegfall der Hausar-beit und von der Reduzierung der Ausbildungsfä-

cher profitieren kann. Welche Erfahrungen machendiese Referendarinnen und Referendare, die alsErste überhaupt den verkürzten Vorbereitungs-dienst absolvieren und dabei – wie bei der Novellie-rung 2013 vorgesehen – die Ausgleichsmaßnah-men in Anspruch nehmen können? Wir wissen esbislang noch nicht und können es auch gar nichtwissen, weil die Betroffenen noch mitten in ihrerAusbildung sind.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Sie redendoch auch mit den Betroffenen!)

Und genau deshalb wollen wir diesen Aspekt 2018evaluieren, um dann auf einer soliden Datenbasissagen zu können, ob die 2013er-Novellierung unse-re Erwartungen erfüllt hat oder nicht. Das ist ausmeiner Sicht ein seriöser Umgang mit dem Lehrer-bildungsgesetz.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer jedoch wie die CDU jetzt schon novellierenwill, ohne überhaupt eine belastbare Faktenlage zuhaben, der novelliert ins Blaue hinein und nimmtÄnderungen vor, wo eventuell überhaupt keine Än-derungen notwendig sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, damitkomme ich zu einem zweiten Punkt, den der Kolle-ge Tischner in seiner Argumentationskette vorge-tragen hat. Der Kollege hat im Plenum ebenfallsdargelegt, der zwölfmonatige Vorbereitungsdienstsei in Wirklichkeit ja nur neun Monate lang, weilman schließlich Feiertage, Urlaub und Prüfungs-zeiträume ernsthaft mit einbeziehen muss. Wennich mich aber auf dieses Argument beziehe, dannist natürlich auch ein Referendariat von 18 Monatenzu kurz, weil ich bei einem analogen Rechenweg

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Dann ha-ben sie mindestens ein Schuljahr!)

letztlich bei zwölf Monaten Vorbereitungsdienst net-to herauskomme. Sie müssen demnach für mindes-tens 24 Monate Referendariat plädieren und nichtreal für 18, was Sie ja tun.

An meinem Beispiel sehen Sie, meine Damen undHerren, wie absurd dieses Rechenbeispiel ist. Derbestehende zwölfmonatige Vorbereitungsdienstmag die richtige Länge haben oder er mag zu kurzsein, darüber kann man sich ohne Weiteres streitenund auch darüber diskutieren. Seine zeitliche Daueraber künstlich runterzurechnen und quasi mit einerBrutto- und einer davon abzusetzenden Nettovor-bereitungsdienstrechnung zu argumentieren, ist ab-surd.

(Beifall DIE LINKE)

Genauso wenig solide ist schließlich der Hinweisder CDU, er habe auch aus dem Hochschulbereichnegative Rückmeldungen zum verkürzten Vorberei-tungsdienst erhalten.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6211

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(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Das ha-ben wir sogar schriftlich!)

Das klingt beim ersten Anhören natürlich so, als ha-be die Universität Erfurt selbst Zweifel an der vonihr durchgeführten, mit der Kürzung des Vorberei-tungsdienstes eng verknüpften Reform der ErfurterLehramtsstudiengänge angemeldet. Dem ist aber inWirklichkeit nicht so.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Das habeich auch nicht so gesagt!)

Herr Tischner hat nämlich mit der FSU Jena ge-sprochen und dann hier im Plenum aus deren Stel-lungnahme zitiert. Und dass die Jenaer Universität,die ihre Lehramtsstudiengänge ganz anders aufge-baut hat, dem Erfurter Modell des Lehramtsstudien-gangs für Grundschulen nicht viel abgewinnenkann, das ist natürlich kaum verwunderlich.

Vizepräsidentin Jung:

Frau Abgeordnete Rosin, gestatten Sie eine Zwi-schenfrage des Abgeordneten Tischner?

Abgeordnete Rosin, SPD:

Nein, danke.

Viel interessanter wäre daher für mich eine kritischeStellungnahme aus der Feder von Herrn Bauer-Wabnegg, der also damit seine Erfurter Perspektivehier auch noch mal darlegen könnte. So haben wirnur eine Rückmeldung von der FSU Jena dargelegtbekommen, um damit dafür zu plädieren, den Vor-bereitungsdienst weiterhin zu erweitern, ohne Da-tenlage. Und damit es überhaupt etwas aus Hoch-schulsicht zu kritisieren gibt, haben Sie dann ein-fach mal bei der FSU Jena nachgefragt. Das ist na-türlich eine originelle Methode. Auf gleiche Weisekönnte ich auch die evangelische Landesbischöfinzum katholischen Unfehlbarkeitsdogma oder Borus-sia Dortmund zu den spielerischen Qualifikationender Münchner fragen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Ergebnis dürfte jeweils recht eindeutig und we-nig überraschend sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie Siesehen, werden weder der von der CDU vorgelegteGesetzentwurf noch die Argumentation des Kolle-gen Tischner uns überzeugen können, von unsererEntscheidung, die wir bereits in der ersten Lesungdes Gesetzes vorgetragen haben, abzukommen.Wir werden die angestrebte Evaluierung im nächs-ten Jahr erwarten. Wir werden mit den Ergebnissenumgehen und werden dann die entsprechendenEntscheidungen treffen, auf basierter Datenlage.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Jung:

Aus den Reihen der Abgeordneten liegen mir jetztkeine – Frau Abgeordnete Muhsal, Fraktion derAfD.

Abgeordnete Muhsal, AfD:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abge-ordnete, die wesentlichen Aspekte dieses Gesetz-entwurfs wurden ja schon vor vier Wochen hierausführlich diskutiert, deswegen habe ich mir vor-genommen, diese Diskussionsstränge nicht zu wie-derholen. Allerdings, wenn ich mir die Wortbeiträgevon Frau Rosin und Herrn Wolf anhöre, glaube ich,ich hätte mir das vielleicht vornehmen sollen. Viel-leicht lesen Sie einfach noch mal das Plenarproto-koll aus der letzten Sitzung.

Eine Sache, zu der auch Herr Tischner nichts ge-sagt hat, möchte ich allerdings jetzt auch ausspa-ren, weil ich dazu letztes Mal schon ausführlich ge-sprochen habe. Ich will noch einmal die Rolle derCDU bei der Schaffung der Gesetzeslage erwäh-nen, die wir jetzt haben. Diese Gesetzeslage, diejetzt geändert werden soll, ist natürlich auch aufdem Mist der CDU gewachsen. Wie dem auch sei,das Hauptziel dieses Gesetzentwurfs, auch die Zeitdes Grundschulreferendariats von grundsätzlich18 Monaten wieder auf grundsätzlich 24 Monate zuerhöhen, begrüßen wir als AfD-Fraktion. Anders alsHerr Wolf sehe ich keinen Grund, das Ganze aufdie lange Bank zu schieben. Lehrer haben eineüberaus verantwortliche Stellung für die Bildung un-serer Kinder und gerade ihre Ausbildung sollte nichtmit der heißen Nadel gestrickt sein. Schade ist al-lerdings, dass die Koalitionsfraktionen mit ihrerMehrheit einer Ausschussüberweisung dieses Ge-setzentwurfs nicht zugestimmt haben, ja, sie verhin-dert haben, denn wir als AfD hätten vor allem gernüber die Verkürzungsmöglichkeiten durch die Prak-tika diskutiert, die im Gesetzentwurf beibehaltenwerden sollen, und das auch kritisch hinterfragt.Letztlich hätten die Regierungsfraktionen die Mög-lichkeit, diese Thematik nicht nur im Ausschuss zudiskutieren, sondern auch den Missstand zügig zubeseitigen. Wenn Rot-Rot-Grün wollte, könnte heu-te die Entscheidung fallen, die Referendariatszeitfür das Grundschullehramt wieder auf zwei Jahrezu verlängern. Aber Rot-Rot-Grün will offenbarnicht. Warum möchte Rot-Rot-Grün nicht etwas füreine bessere Lehrerausbildung tun? Einen Hinweisdarauf hat uns Frau Rothe-Beinlich von den Grünenin der ersten Beratung des Gesetzentwurfs gege-ben. Mir ist es wichtig, darauf noch einmal öffentlicheinzugehen, denn ich möchte dem Argument, dassman am Ende sagen kann, man habe nicht ge-wusst, was da vor sich geht, nach Möglichkeit gerndie Grundlage entziehen.

Die bildungspolitische Sprecherin der Grünen führteaus, was die Koalition bei der Lehrerbildung, also in

6212 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Rosin)

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der Schulpolitik in der nächsten Zeit vorhat. Bei derNovellierung der Lehrerfortbildung werde man – ichzitiere Frau Rothe-Beinlich – „nicht nur über dieStruktur, sondern auch über die inhaltliche Ausge-staltung des Lehramtsstudiums sprechen“. Weitersagte Frau Rothe-Beinlich: „Da geht es auch umdas bereits im Studium vermittelte Selbstverständ-nis der Lehrkräfte. Wir müssen weg vom Idealtyp[…] eines möglichst umfassend fachlich ausgebil-deten Fachlehrers bzw. einer Fachlehrerin hin zugut ausgebildeten schülerorientierten Lernbegleite-rinnen und Lernbegleitern, die individuell auf dieeinzelnen Schüler zugehen können und für die In-klusion und der Umgang mit Heterogenität keineFremdworte, sondern selbstverständlicher Alltagsind.“

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Richtig!)

Das sind also die Worte von Frau Kollegin Rothe-Beinlich von den Grünen. Nur nebenbei, Frau Ro-the-Beinlich, es muss in diesem Zusammenhang„Fremdwörter“ und nicht „Fremdworte“ heißen. Daskönnen Sie sich ja einmal von einem der fachlichumfassend ausgebildeten Deutschlehrer, die Sieabschaffen wollen, näher erklären lassen.

(Beifall AfD)

Das führt uns zu einem wichtigen Punkt. Fachlichumfassend ausgebildete Lehrer sind in der Lage,Wissen, Bildungsgehalte und Fertigkeiten zu ver-mitteln. Genau darum geht es, wenn wir über Bil-dung sprechen. Ihnen aber geht es um etwas ande-res und das hat Methode. Wenn an der Schulenicht primär Wissen vermittelt wird, wenn unsereSchüler nicht mehr die elementaren Bildungsinhaltekennenlernen, dann werden sie natürlich empfängli-cher für Indoktrination und Bevormundung. Das ge-nau ist Ihr Ziel. Es ist schon bezeichnend, dass Siezuallererst nicht etwa davon reden, dass LehrerKenntnisse vermitteln sollen, sondern davon, dasssie Inklusion betreiben und mit Heterogenität umge-hen sollen. Ich erinnere Sie daran, dass Schule zu-allererst einen Allgemeinbildungsauftrag hat.Schule soll das Wissen und die Fertigkeiten vermit-teln, die für ein Leben in unserer modernen Gesell-schaft von allen abverlangt werden, die insofern al-len gemein sind. Was allen gemein ist, ist aber ge-rade nicht das, was alle voneinander unterscheidet.Diese allgemeinen Kenntnisse werden gerade auchin der Grundschule vermittelt. Dafür brauchen wirfachlich gründlich ausgebildete Lehrer.

(Beifall AfD)

Wir brauchen gründlich ausgebildete Lehrer, zumalschon jetzt zu sehen ist, was die Fixierung der Leh-rerausbildung auf sogenannte Methodenkompetenzund sonstige sogenannte Kompetenzen bringt. Washört man denn beispielsweise aus den Unterneh-men? Dort wird immer wieder beklagt, dass die jun-

gen Leute, die beispielsweise eine handwerklicheAusbildung absolvieren, elementare Fähigkeitennicht beherrschen, die für die Berufsausbildung un-entbehrlich sind. Mit anderen Worten: Die Schulenentlassen unsere Jugendlichen oft ohne ausrei-chende Kenntnisse etwa im elementaren Rechnenund Schreiben. Schon jetzt haben wir also erhebli-che Schwierigkeiten im Bereich der Schulbildung.Diesen Schwierigkeiten werden wir nur begegnenkönnen, wenn wir erstklassige Lehrer an dieSchulen bringen und nicht ideologisch verblendeteSozialarbeiter, die dann „Lernbegleiter“ heißen sol-len. Denn genau darauf laufen die grünen Pläne hi-naus. Sie wollen unsere Schüler unmündig halten,damit man die jungen Leute umso besser indoktri-nieren und bevormunden kann, damit den Schülerndie ideologischen Utopien der Grünen und der an-deren Linken leichter eingetrichtert werden können.

(Beifall AfD)

Wir als AfD sagen dagegen klar und deutlich: Wirwollen, dass es in Thüringen weiterhin eine solideAusbildung unserer Lehrer, und gerade auch unse-rer Grundschullehrer, gibt. Die Verkürzung der Re-ferendariatszeit war ein Fehler. Die Verlängerungdes Grundschulreferendariats auf wieder grund-sätzlich zwei Jahre ist dafür ein richtiger Ansatz.Wir als AfD würden zwar gerne – wie gesagt – überdie anrechenbare Zeit von Praktika diskutieren,werden jedoch, da der Gesetzentwurf eine Verbes-serung gegenüber der jetzigen Lage bedeutet, die-sem zum jetzigen Zeitpunkt in dieser Form zustim-men. Danke schön.

(Beifall AfD)

Vizepräsidentin Jung:

Jetzt hat sich Abgeordneter Tischner noch mal zuWort gemeldet.

Abgeordneter Tischner, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren, jetzt drängt es mich doch noch mal nachvorn, am Ende einer Debatte, die eigentlich sehrsachlich begonnen hat und vielleicht auch jetztgleich mit einem sachlichen Beitrag der Staatsse-kretärin enden wird. Aber eins möchte ich dochschon noch mal hier von diesem Pult aus feststel-len: Wir reden über eine Problematik, die unheim-lich viel Aufmerksamkeit in der Praxis verursachthat. Und dass dann die Kollegin hier im Hause, dieeigentlich von der Thematik am meisten verstehenmüsste, hier Falschbehauptungen und Aussagenformuliert, die kaum von Praxiskenntnis zeugen, er-schreckt und erstaunt uns schon in besondererWeise.

(Beifall CDU)

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6213

(Abg. Muhsal)

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Dass die Frau Kollegin jetzt, wo sie Falschbehaup-tungen hier in den Raum stellt, auch noch denRaum verlässt und sich nicht mal den Nachfragenstellt, ist ebenso unkollegial und fehlerhaft.

(Beifall CDU; Abg. Gentele, fraktionslos)

Da ist sie, sie hat es gehört. In der Hinsicht, FrauKollegin Rosin, würde ich schon noch mal nachfra-gen wollen, ob Sie nicht in der letzten Plenarsitzungmeiner Rede gefolgt sind, als ich sehr ausführlichauch auf die Stellungnahme eingegangen bin, diewir von der Universität Erfurt, von Prof. Hany, demDirektor der School of Education, erhalten haben.Ich habe dort in meiner Rede ausgeführt, dass dieErfurter Universität die einzige Universität in Formder School of Education ist. Wenn Sie mit denFachdidaktikern reden, kriegen Sie ganz andereAntworten, da müssen Sie mal ein bisschen telefo-nieren. Dort ist gesagt worden, man möchte auchlieber evaluieren und ein bisschen auf der Bremsestehen, wahrscheinlich mit dem Argument oder mitder Angst, man könnte ein Semester verlieren, wasman hinzubekommen hat. Ich sage Ihnen aberauch: Darum geht es uns gar nicht. Ruhig die zehnSemester Ausbildung auch für die Grundschule,wie es für die Regelschule an der Erfurter Universi-tät möglich ist. Aber warum verkürzen Sie, wenn eszehn Semester erste Lehrerbildungsphase gibt fürdie Grundschule und für die Regelschule? Warumverkürzen Sie und halten daran fest, den Vorberei-tungsdienst …

(Zwischenruf Abg. Wolf, DIE LINKE: Sie ha-ben es verkürzt, Sie waren das!)

Hören Sie doch mal zu, Herr Wolf! – Warum verkür-zen Sie den Vorbereitungsdienst für die Grund-schulen und warum verkürzen sie ihn dann nicht fürdie Regelschulen? Dann müssten Sie in Ihrer Argu-mentation doch ähnlich sein und sagen: Alles isttoll.

Herr Wolf, Ihre Rede hat wieder davon gezeugt,dass Sie unseren Antrag scheinbar gar nicht gele-sen haben. Sie haben wieder eine Parteitagsredegehalten über irgendwelche Lehrerbildungsände-rungen, über Gleichmacherei an Schulen, überGleichmacherei in der Lehrerbildung. Das werdenSie mit uns nicht erreichen. Das Thüringer Schul-system ist stark geworden, weil wir eine Vielfalt ha-ben, weil wir Grundschulen haben, weil wir Regel-schulen haben, weil wir Gymnasien haben, weil wirBerufsschulen und Förderschulen haben. Wir brau-chen keine Einheitsschule, sondern wir braucheneine Schule, die für die Kinder da ist, so wie siesich entfalten und entwickeln wollen.

(Beifall CDU; Abg. Gentele, fraktionslos)

Vizepräsidentin Jung:

Es gibt eine weitere Wortmeldung. Frau Astrid Ro-the-Beinlich, Bündnis 90/Die Grünen.

Abgeordnete Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehr-ten Damen und Herren, wir diskutieren nun schonzum zweiten Mal über diesen Gesetzentwurf derCDU-Fraktion. Ich werde jetzt meine Rede aus derersten Beratung nicht noch einmal vortragen, willaber auf den einen oder anderen Punkt selbstver-ständlich noch einmal eingehen. Diffamierung istmeine Sache nicht, so viel zum Beitrag der AfD.Und wenn Sie sich freuen, einen Rechtschreibfeh-ler in meiner Rede gefunden zu haben, kann ich Ih-nen sagen, da haben Sie zum ersten Mal tatsäch-lich getroffen, weil ich an der Stelle ausgesprochenakribisch bin. Nichtsdestotrotz ändert das nichts amInhalt der Sache. Da haben Sie leider nur sehr un-zulänglich zitiert.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Deswegen füge ich jetzt aus meiner Rede vom letz-ten Mal noch an, was auf das folgte, was Sie hiervorgetragen haben. Da habe ich nämlich ausge-führt, Zitat aus meiner Rede aus der letzten Plenar-sitzung: „Für uns ist klar, dass alle Schülerinnenund Schüler Lehrkräfte brauchen mit starken“ – hö-ren Sie zu! – „fachlichen, pädagogischen und dia-gnostischen Fähigkeiten, Lehrkräfte, die individuellfördern und Inklusion auch umsetzen.“

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Das heißt also: Es geht um eine allseits gebildetePersönlichkeit, die als Lehrerin oder als Lehrer tätigist. Da geht es natürlich auch um fachliche Qualifi-kation, aber eben noch um sehr viel mehr. Genaudas ist das Spannende am Beruf der Lehrerinnenund Lehrer. Dass Sie von der AfD das diffamierenund daraus machen, wir würden Lehrerinnen undLehrer bilden wollen, nur um unsere Ideologie zuverbreiten, ich glaube, wer sich so etwas ausdenkt,der geht viel zu sehr von sich selber und seinem ei-genen Agieren aus. Wir denken jedenfalls so nicht,meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Auch Herrn Tischner, selbst wenn es weh tut, mussman vielleicht noch mal daran erinnern, dass nichtwir den Vorbereitungsdienst verkürzt haben, son-dern Sie haben ihn verkürzt.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Wer wardenn damals Minister?)

Sie haben ihn verkürzt in der letzten Legislatur, eswar die Herzkammer, Ihre rechte Herzkammer so-zusagen von der rechten Seite, rechts sitzen Sieneben Ihnen. Nichtsdestotrotz haben Sie dasselbstverständlich mitgetragen, genauso wie wirjetzt auch das Bildungsministerium mittragen, auch

6214 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Tischner)

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wenn die Ministerin nicht unserer Fraktion oder un-serer Partei entstammt. So ist das nun mal in einerKoalition. Sie haben das gemeinsam hier einge-bracht, Sie haben das auch gemeinsam vertreten.Wenn Sie es wollten, würden Sie sich auch erin-nern, dass wir das Vorhaben damals sehr kritischgesehen haben.

Allerdings ist es völlig richtig, wie Kollegin Rosinhier ausgeführt hat, dass es noch gar keine Gene-ration von Lehrerinnen und Lehrern gibt, die manjetzt entsprechend abschließend evaluieren könnte,da die ersten Jahrgänge des Studiums nach derNeuordnung an der Stelle noch gar nicht so weitvorangekommen sind und es noch gar nicht ab-schließen konnten.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Das istdoch Quatsch!)

Deshalb sagen wir, man muss sich das Lehrerbil-dungsgesetz gründlich vornehmen, wir halten es fürrichtig, die Evaluation abzuwarten, die zwischendem Wissenschafts- und dem Bildungsministeriumvereinbart wurde, um dann tatsächlich eine grund-sätzliche Neuregelung des Thüringer Lehrerbil-dungsgesetzes auf den Weg zu bringen. Das ha-ben wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen. Dageht es in der Tat um noch sehr viel mehr. Ich zitie-re noch mal, was wir im Koalitionsvertrag dazu fest-gelegt haben, nämlich – Zitat – „dass die Ausbil-dung der Lehrerinnen und Lehrer [...] in Abstim-mung mit den Beschlüssen der Kultusministerkon-ferenz so weiterentwickelt werden [soll], dass diesezukünftig schulstufenbezogen erfolgt. Wir wollennoch mehr Praxisnähe in die Lehramtsstudiengän-ge bringen. Die Einführung eines Teilzeit-Referen-dariats wird geprüft.“ Daran sehen Sie, dass wirsehr viel mehr vorhaben.

Spannend fand ich übrigens auch Ihren Vortrag,Herr Tischner, dass jetzt tatsächlich von einemgleichwertigen Studium für alle Lehrkräfte gespro-chen wird. Wir hatten bei Ihrer Gesetzesinitiativedamals eher den Eindruck, dass es um ein verkürz-tes Studium für das Grundschullehramt geht. Dashaben wir Grüne immer kritisiert, weil wir gesagthaben, gerade die Kleinsten brauchen besondersgute Bildung. Deshalb sind wir auf Ihre Haltungsehr gespannt, wenn es dann tatsächlich um dieDiskussion gehen wird, sobald ein Entwurf aus demBildungsministerium nach der entsprechenden Eva-luation vorliegt.

Kurzum, meine sehr geehrten Damen und Herren:Zu der eigens erstellten Umfrage der CDU hat FrauRosin richtigerweise alles gesagt. Auch ausgeführtwurde von sowohl Torsten Wolf als auch von Mari-on Rosin bereits zu den Inhalten, warum wir unsverständigt haben, tatsächlich eine gänzliche Neu-vorlage des Thüringer Lehrerbildungsgesetzes aufden Weg zu bringen, und zwar nach Abschluss ei-ner vernünftigen Evaluation. Sie hätten uns früher

immer vorgeworfen, hier etwas übers Knie brechenzu wollen. Genau das machen wir nicht und des-halb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf auch ab. Vie-len herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Jung:

Aus den Reihen der Abgeordneten liegen jetzt kei-ne Wortmeldungen mehr vor. Frau StaatssekretärinOhler, Sie haben das Wort für die Landesregierung.

Ohler, Staatssekretärin:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Da-men und Herren Abgeordnete, ja, es sprechen be-reits heute einige Gründe dafür, das Referendariatwieder von zwölf auf 18 Monate zu verlängern.

(Beifall CDU)

Aber um dies zu prüfen und die Umsetzung vorzu-bereiten, führen wir eine Evaluation durch. Die CDUwill nun mit ihrem Gesetzentwurf vorpreschen. Dasschafft mehr Unruhe, als es hilft. Deshalb noch ein-mal der Sachstand: In den vergangenen Jahrengab es einige Änderungen an der ersten Phase derLehrerbildung, also des Studiums. Das hatte Aus-wirkungen auf die zweite Phase der Lehrerbildung,den Vorbereitungsdienst, das Referendariat. 2003wurde an der Universität Erfurt die Studienstrukturder Lehramtsstudiengänge auf einen konsekutivenBachelor-/Masterstudiengang umgestellt. Dadurchverlängerte sich die Regelstudienzeit von siebenauf neun Semester. 2013 erfolgte dann mit der An-passung an eine aktuelle KMK-Vereinbarung eineerneute Verlängerung des Studiums auf insgesamtzehn Semester. Vor diesen Umstellungen wareninsgesamt 24 Monate für den Vorbereitungsdienstvorgesehen. Um die gesamte Ausbildungszeit nichtzu sehr zu verlängern, wurde 2008 eine erste Ver-kürzung des Referendariats von 24 auf 18 Monatevorgenommen. Weil seit 2013 schulpraktische Stu-dien und Praktika wie das komplexe Schulprakti-kum auf den Vorbereitungsdienst angerechnet wer-den können, wird aktuell der Vorbereitungsdienst inder Regel in zwölf Monaten absolviert.

Mit der Änderung des Thüringer Lehrerbildungsge-setzes 2013 waren weitere Erleichterungen fürLehramtsanwärterinnen und -anwärter verbunden:Eine Hausarbeit fiel weg, die Zahl der Ausbildungs-fächer wurde von vier auf drei reduziert.

Gleichwohl hat im Vergleich zur 18-Monats-Rege-lung die Kritik aus der Praxis zugenommen. Daraufreagieren wir.

Sehr geehrte Damen und Herren, Studium und Re-ferendariat, erste und zweite Phase der Lehrerbil-dung, müssen in einem guten und angemessenenVerhältnis zueinander stehen. Der erste Ausbil-

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6215

(Abg. Rothe-Beinlich)

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dungsjahrgang, bei dem die Verkürzungen und Er-leichterungen greifen, hat zu Beginn des aktuellenSchuljahres, also im August 2016, den Vorberei-tungsdienst begonnen. Diesen Ausbildungsgangwerden wir evaluieren. Wir müssen die Lehramts-ausbildung ansehen und wir werden in der Auswer-tung der Evaluation auch die Länge der Referenda-riatszeit in den Blick nehmen – so viel Zeit musssein. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Jung:

Es liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor.Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-wurf der Fraktion der CDU in Drucksache 6/3113 inzweiter Beratung. Wer stimmt für den Gesetzent-wurf? Das sind die Fraktionen der CDU und derAfD und die fraktionslosen Abgeordneten Genteleund Krumpe. Wer stimmt dagegen? Das sind dieKoalitionsfraktionen. Damit ist der Gesetzentwurfabgelehnt und damit schließe ich diesen Tagesord-nungspunkt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 6

Thüringer Gesetz zur Si-cherstellung von Finanzdienst-leistungen im ländlichen Raumdurch SparkassenGesetzentwurf der Fraktion derAfD- Drucksache 6/3297 -ZWEITE BERATUNG

Ich eröffne die Beratung und erteile das Wort demAbgeordneten Brandner, Fraktion der AfD.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Meine Damen und Herren, zweite Lesung, ich habees beim ersten Mal schon erwähnt: Seit Jahren istein Sparkassensterben im ländlichen Raum in Thü-ringen zu verzeichnen. Von den ursprünglich539 Geschäftsstellen und Selbstbedienungsberei-chen waren Ende 2015 nur noch knapp 330 übrig –fast eine Halbierung, also von einem Drama vor al-lem für den ländlichen Bereich nicht weit entfernt.Mit Blick auf diesen Kahlschlag und mit Blick aufdie angekündigte Gebietsreform müssen jetzt sofortGesetzesänderungen vorgenommen werden, umdie rechtlichen Grundlagen für den Erhalt des Spar-kassennetzes und die Attraktivität des Lebens aufdem Lande zu schaffen.

(Beifall AfD)

Die Sparkassen sind als Anstalten des öffentlichenRechts an den öffentlichen Auftrag gebunden. Die-ser kann durch eine Änderung des Sparkassenge-setzes und der Kommunalordnung erweitert werden

– nichts anderes beantragen wir hier. Die in derersten Lesung getätigte Aussage, unser Gesetzent-wurf sei dirigistisch, ist natürlich wie so vieles vonIhnen von den Altparteien Quatsch. Dass im Rah-men der Selbstverwaltung Vorschriften gemachtund auch geändert werden können, ist das Normal-ste der Welt. Unser Gesetzentwurf schreibt derSparkassenselbstverwaltung lediglich vor, dass fürdas Gemeinwohl und den Erhalt des ländlichenRaums zukünftig verpflichtend ein Bargeld- undDienstleistungsangebot bereit- und vorzuhalten ist.Bei der Umsetzung dieses Gebots wird der Ge-schäftspolitik vor Ort ein großer Handlungsspiel-raum belassen. Der Landesregierung soll bei derSparkassenaufsicht zukünftig eine aktivere Rollezukommen. Ich hoffe, dass die Landesregierungdann für die Sparkassenaufsicht auch mehr Zeit fin-det als für die Teilnahme an dieser Plenarsitzung.

(Beifall AfD)

Unser Gesetz ermöglicht eine bessere Kontrolledes Sparkassennetzes hinsichtlich des Erhalts vonSiedlungskernen und der Wirtschaftsstruktur imländlichen Raum. Allerdings hat es den Anschein,dass die Führungsebene im Finanzministerium –die ich jetzt hier herzlich begrüße, die Spitze – mitdem Erhalt der Sparkassen im ländlichen Raum ab-solut überfordert ist und das wahrscheinlich auchgar nicht will. Überhaupt haben wir den Eindruck,dass Rot-Rot-Grün weder den ländlichen Raumnoch die Heimat will. Ramelow und Hoff – wo sinddie? Im ländlichen Raum unterwegs? – und Co.wollen lieber anonyme Großkreise, die den DDR-Bezirksstrukturen sehr nahe kommen, und die ge-plante Gebietsreform, ich bin sicher, ist nur einSchritt, um diese Richtung „DDR-Strukturen“ auchwieder herbeizuführen. Unterstützt werden sie vonden deutschen demokratischen Ramelow-Fraktio-nen hier, von der SPD bis zu den Linken.

Meinen Damen und Herren – Frau Taubert istda! –, ich nutze die Gelegenheit, auf den auch in-haltlich unterirdischen Redebeitrag der Ministerinbei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs nochmal einzugehen, der die fehlende Eignung der FrauTaubert für das bekleidete Amt unterstrich. Und damuss ich sagen, da waren ungefähr 90 Prozent derThüringer Wähler bei der letzten Wahl sehr vielschlauer als der Herr Ramelow nach der Wahl,denn ungefähr 90 Prozent, wie Sie wissen, habendie SPD und ihre Spitzenkandidatin bei der letztenWahl nicht gewählt und die wussten schon, warum.Frau Taubert behauptete doch allen Ernstes in derersten Lesung des Gesetzes, unser Gesetzentwurfstünde im Widerspruch zu § 71 Abs. 4 der Thürin-ger Kommunalordnung. Wenn wir da mal rein-schauen, Frau Taubert, schreibt dieser Paragrafvor, dass Gemeinden keine Bankunternehmengründen dürfen. Das hat also mit unserem Gesetz-entwurf genauso viel zu tun wie die SPD und ihr

6216 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Staatssekretärin Ohler)

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Heilsbringer Martin Schulz mit Glaubwürdigkeit undsozialer Gerechtigkeit, nämlich gar nichts.

(Beifall AfD)

Nochmals, Frau Taubert – Sie sind ins Gesprächvertieft, ich rede etwas langsamer, dass Sie verste-hen und vielleicht mitschreiben können –: Erstensgeht es bei unserem Gesetzentwurf nicht um Ban-ken, sondern um Sparkassen. Dazu schauen Sieeinfach mal in § 71 Abs. 4 Satz 2 der ThüringerKommunalordnung und in das Thüringer Sparkas-sengesetz und Sie werden staunen, was da drin-steht. Und zweitens geht es nicht um die Gründungvon Instituten, Frau Taubert, sondern darum, wasSparkassen zu leisten haben. Es geht also um denöffentlich vorgeschriebenen Leistungskatalog derSparkassen. Und da sagt die AfD ganz klar: Spar-kassen müssen ein flächendeckendes Bargeldan-gebot ebenso zur Verfügung stellen wie Beratungs-leistungen vor Ort.

(Beifall AfD)

Frau Taubert, noch zwei Vorschläge zur Güte: An-gesichts Ihrer wiederholt peinlichen und fachlichfalschen Aussagen als Ministerin von hier vorne,sollten Sie dazu übergehen, sich Ihre Reden vonqualifiziertem Personal schreiben zu lassen, so wiewir. Dieses Personal müsste ja zuhauf in Ihrem Mi-nisterium anzutreffen und auch in der Lage sein, Ih-re Reden vorzubereiten. Und Sie sollten entwederIhr Ministeramt oder Ihr Landtagsmandat, am bes-ten beides, niederlegen, weil Sie offensichtlich undgreifbar sowohl für das eine als auch für das ande-re nicht geeignet sind. Dass Sie keinerlei Interessean der Bargeldversorgung im ländlichen Raum ha-ben, Frau Taubert, liegt wohl daran, dass Sie hiernach Ihrer eigenen Aussage sogar Ihre Autos mitKreditkarte kaufen, was die Menschen draußennicht hinbekommen. Frau Taubert, glauben Sie esmir.

(Beifall AfD)

Versuchen Sie einfach mal oder machen Sie eseinfach mal, reden Sie mal wieder mit den Men-schen auf der Straße.

Meine Damen und Herren, auch Inhaber von Ge-schäften und Gaststätten haben zunehmend einProblem, wenn sie ihr Bargeld nicht in Filialen oderin Automaten einzahlen können. Immer mehr Un-ternehmer sitzen auf dem Bargeld oder müssenweite Strecken zurücklegen und haben Gebührenzu zahlen, wenn sie Bargeld einzahlen wollen. Da-mit gehen erhöhte Geschäftskosten einher und diesind der Attraktivität des ländlichen Raums abträg-lich. Jetzt steht ja außer Frage, dass die Demonta-ge der Sparkassen ein großes Problem des ländli-chen Raums und damit unserer Heimat in Thürin-gen ist. Unser Gesetzentwurf sieht daher nicht al-lein die verpflichtende Bargeldversorgung im ländli-chen Raum vor, vielmehr soll die Strukturpolitik des

Landes mit der Geschäftspolitik der Sparkassenverknüpft werden. Über die Raumplanung des Lan-des – auch das steht in unserem Gesetzentwurf –und die Finanzdienstleistungen vor Ort soll ein en-ger Zusammenhang hergestellt werden. Es ist so-fort ersichtlich, dass eine Förderung des ländlichenRaums wenig Sinn macht, wenn kurz nach derkostspieligen Sanierung des Dorfkerns die Spar-kasse schließt. Es ist daher, meine Damen undHerren, jetzt erforderlich, diesen Gesetzentwurf ein-gehend zu behandeln und sich der Probleme desländlichen Raums anzunehmen. Wir beantragendaher nochmals die Überweisung an den Aus-schuss für Haushalt und Finanzen und begleitendan den Infrastrukturausschuss. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Vizepräsidentin Jung:

Als nächste Rednerin hat das Wort AbgeordneteFloßmann, Fraktion der CDU.

Abgeordnete Floßmann, CDU:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Besu-cher auf der Tribüne und im Netz, werte Kollegin-nen und Kollegen! Werte Kollegen von der AfD-Fraktion, als Oppositionsfraktion, noch dazu alsgrößte, ist unsere Kernaufgabe auch darin zu se-hen, Unzumutbarkeiten der Regierung und der sietragenden Fraktionen aufzuzeigen. Aber egal wel-cher Antrag hier eingebracht wird und welcher Ge-setzentwurf, wir machen unser Abstimmungsverhal-ten von Logik und klarem Denken und von Faktenabhängig und Ihrem Gesetzentwurf können wir des-halb nicht zustimmen.

(Beifall CDU)

Dass das Ergebnis so kommt, liegt aber nicht da-ran, Herr Brandner, wie Sie das immer so schönsagen, dass wir Altparteien wären, sondern es liegtdaran, dass hier von Ihnen nichts Brauchbares ein-gebracht worden ist.

(Beifall CDU; Abg. Gentele, fraktionslos)

Noch einmal für das Protokoll: Wir halten den Rück-zug der Sparkassen gerade aus dem ländlichenRaum auch für ein Problem. Und ich wiederholemich an dieser Stelle auch: Auch wir haben denEindruck, dass Sparkassen vermehrt schließen,dass es vermehrt zu Filialschließungen kommt undauch die Abnahme von Geldautomaten sehen wirmit großer Sorge.

Aber ich würde gern noch einmal schlagwortartignennen, woran es bei Ihrer Vorlage überall hapert.Sie verstoßen erstens gegen die kommunaleSelbstverwaltung, wenn Sie jede Gemeinde ver-pflichten wollen, für Finanzdienstleistungen auf ih-rem Gebiet zu sorgen. Ich erinnere noch einmal andie vielen kleinen Gemeinden, die wir Gott sei Dank

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6217

(Abg. Brandner)

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noch haben, im Moment noch haben: Soll wirklichjede Gemeinde in Thüringen eine Sparkasse vor-halten? Ebenso verstößt Ihr Vorschlag gegen diekommunale Selbstverwaltung, wenn die Aufsichts-behörde Schließungen genehmigen müsste. DasThüringer Finanzministerium, müsste es Schließun-gen genehmigen, würde mithin zur Fachaufsichtwerden. Außerdem wollen Sie, dass die Aufsichts-behörde Teil der zu Beaufsichtigenden wird, wenndiese im Verwaltungsrat sitzen muss; vielleichtschlagen Sie an dieser Stelle noch „in Personal-union“ vor, den entsandten Mitarbeiter im Verwal-tungsrat und der Fachaufsicht. Die Folge, wenn dasso umgesetzt würde, wären immense Kosten zu-sätzlicher Verwaltungsarbeit und höhere Kosten fürden Steuerzahler; den Nutzen können wir hierannicht erkennen.

Und dann greifen Sie ganz direkt in die Geschäfts-politik der Sparkassen ein, wenn Sie vorschreiben,welche Dienstleistungen diese genau vorhaltenmüssen – unabhängig und marktorientiert ist dasnicht. Und schließlich wollen Sie das Girokonto aufGuthabenbasis einführen, das es schon längst gibt.Es ist schon längst geregelt. Sie erweitern einfachden derzeitigen Gesetzesstand auch auf juristischePersonen; das haben Sie im Übrigen nicht begrün-det.

Ich hoffe, Sie verstehen, warum wir der Meinungsind, dass dieser Gesetzentwurf unbrauchbar ist,und eigentlich wissen Sie das ja selber, Herr Brand-ner. Sie haben in Ihrer letzten Rede im Plenumausgemacht, dass die Niedrigzinspolitik der EZB fürdie schwierige Geschäftssituation der Sparkassenverantwortlich ist. Ich frage mich, wenn Sie die Ur-sachen des Problems bereits kennen, warum Siedort nicht aktiv werden. Wir haben als CDU mit un-serem Antrag zur Bargeldfreiheit, der Antrag inDrucksache 6/2001, bereits den Fokus darauf ge-lenkt und Ihr Antrag hat das Problem bisher nichtaufgegriffen. Zur Ehrlichkeit gehört, dass Ihre Vor-schläge dem Bürger teuer zu stehen kommen,denn Ihre Vorschläge würden die Sparkassen Un-summen kosten und diese Kosten müssten logi-scherweise auf den Bürger umgelegt werden oderauf den Kunden umgelegt werden. Ich weiß nicht,ob man sich in einer Gemeinde darüber freut, dasszwar eine Sparkasse besteht, aber die Kontokos-ten, die im Moment 6,50 Euro pro Monat betragen,anhand Ihrer Vorschläge vielleicht dann doppelt sohoch ausfallen. Das hat mit Bürgernähe nichts zutun.

In der Problemanalyse sind wir ganz bei Ihnen: DerRückzug von staatlichen und gesellschaftlichen Ins-titutionen aus dem ländlichen Raum muss gestopptwerden. Aber Ihr Vorschlag ist eben keine Lösung,sondern ist dem eher dienlich – ich habe das be-reits dargelegt –: höhere Kosten und Kundenab-wanderung.

Wir verfolgen auch zukünftig die Entwicklung unse-rer Sparkassen und ich sehe auch weitere Proble-me, beispielsweise wenn ich an die geplante Ge-bietsreform denke. Die realen Auswirkungen einerKreisreform, wie sie Rot-Rot-Grün vorhat, hat wahr-scheinlich noch keiner in den Blick genommen oderaber Rot-Rot-Grün hält damit hinterm Berg, weil derBürger und die Mitarbeiter sich nicht freuen werden,wenn hier bestehende Strukturen aufgelöst werdenund neu sortiert werden müssten, wenn Sparkas-sensitze gestrichen werden, nur weil es eine ande-re Kreisstadt gibt. All das macht die Situation derSparkassen im ländlichen Raum nicht besser. Abermit dem hier eingebrachten Vorschlag der AfD-Fraktion ist weder den Sparkassen geholfen, nochhaben Sie damit den Nutzern einen Dienst erwie-sen, von daher bekommen Sie von uns dafür auchkeine Zustimmung. Vielen Dank.

(Beifall CDU; Beifall Abg. Gentele, fraktions-los)

Vizepräsidentin Jung:

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Abge-ordneter Müller das Wort.

Abgeordneter Müller, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Da-men und Herren, werte Besucher auf den Tribünen– keine mehr da –, wir beraten heute in der zweitenLesung erneut den Antrag der AfD zur Änderungund Überarbeitung des Sparkassengesetzes. Wirhaben bereits in der ersten Beratung deutlich ge-macht, dass wir den Änderungen aus vielerlei Sichtheraus nicht zustimmen können. Auch die erneutenErläuterungen von Herrn Brandner haben uns inkeiner Weise überzeugt, diese Meinung zu ändern,sodass wir aufgrund unserer Bedenken hinsichtlicheines ausufernden regulatorischen Aufwuchses undunnötiger Kostensteigerungen erneut nicht folgenkönnen. Die aufgeführten Neuregelungen werdenzwangsläufig zulasten des Freistaats oder der Kun-den gehen. Sehr geehrte Damen und Herren, auchin der zweiten Lesung werden wir als Bündnis90/Die Grünen dem vorliegenden Antrag nicht zu-stimmen. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Jung:

Es liegen mir jetzt keine weiteren Wortmeldungenvor – Herr Abgeordneter Brandner, Sie haben dasWort.

6218 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Floßmann)

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Abgeordneter Brandner, AfD:

Werte Abgeordnete von den Grünen, es bleibt dochIhr Geheimnis, wieso die Kunden darunter leidensollen, wenn sich das Filialnetz möglicherweisewieder ausweitet, wenn mehr Automaten aufgestelltwerden,

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN: Weil sie es bezahlen!)

wenn Dienstleistungen wieder vor Ort vorgehaltenwerden. Das ist, glaube ich, Ihre Lebensfremdheit,die Sie von hier vorne versuchen zu verbreiten. Fürdie Kunden wird alles viel besser dadurch. Ich weißgar nicht, wie Sie auf so eine Schnapsidee kom-men.

(Zwischenruf Abg. Müller, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN: Tatsächlich?)

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN: Wer bezahlt das dann?)

Wir haben einen öffentlichen Auftrag der Sparkas-sen. Das habe ich das letzte Mal schon versucht Ih-nen näherzubringen, dass wir hier nicht, wie Sie of-fenbar in diesem Punkt plötzlich, die Neoliberalensind, dass reine Gewinnorientierung der Sparkas-sen keine Rolle spielt, sondern die haben einen öf-fentlichen Auftrag und dazu gehört auch die Versor-gung mit Bargeld und Dienstleistungen vor Ort. Dasist ganz einfach. Ich weiß gar nicht, was Sie hierplötzlich für turbokapitalistische Ideen gebären. Dasschockiert mich.

(Beifall AfD)

Frau Floßmann, ich habe mir fünf Punkte aufge-schrieben. Jede Gemeinde soll ihre Sparkasse vor-halten – das fordern wir nicht. Ich weiß nicht, wieSie auf die Idee kommen. Unabhängig und markt-orientiert sollen Sparkassen sein. Ja, das ist einTeil, aber da schließt sich der Kreis zu dem, wasich gerade zu den Grünen gesagt habe. Die Spar-kassen haben auch einen öffentlichen Auftrag. Undda, wo ich als Sparkasse davon profitiere, dass ichöffentliche Unterstützung habe, muss ich auch derÖffentlichkeit etwas zurückgeben, und dazu gehörtauch, dass ich nicht jeden Geldautomaten durch-kalkulieren kann, ob der Gewinn abwirft, sondernich muss einfach dafür sorgen, dass die Leute vorOrt gut versorgt werden.

Der gesetzliche Anspruch auf das Girokonto fehltmir bisher auch. Es gibt da irgendeine Verordnung,wenn ich das richtig gelesen habe, oder irgendeineÜbereinkunft, aber dass in einem Gesetz steht,dass ich als juristische Person ein Girokonto eröff-nen kann, ist mir bisher fremd. Sie können ja gleichnoch mal Aufklärung leisten von hier vorn.

Dass Sie uns vorwerfen, dass wir nicht gegen dieNiedrigzinspolitik der EZB vorgehen, das muss ichmir jetzt noch mal auf der Zunge zergehen lassen.

Da haben Sie recht. Aber da muss ich Sie fragen:Wie sollen wir als AfD das denn tun? Wir arbeitendaran, dass wir das dann ab Anfang nächsten Jah-res tun können, und zwar ganz massiv, auch aktivaus dem Bundestag heraus und vielleicht auch miteiner wie auch immer ausgestatteten Mehrheit.Dann können wir dagegen vorgehen. Aber uns mit10 Prozent hier im Thüringer Landtag diesen Vor-wurf zu machen, also ich muss sagen, das schlägtdem Fass den Boden aus. Sie haben die Niedrig-zinspolitik der EZB mitverzapft, Sie sind dafür ver-antwortlich und kein anderer! Uns jetzt vorzuwer-fen, wir machen nichts dagegen, da zäumen Siedas Pferd – muss ich ganz ehrlich sagen – von hin-ten auf.

(Beifall AfD)

Alles in allem zusammengefasst muss ich sagen,ich habe zugehört – meine Rede finde ich ja sowie-so gut, bevor ich sie gehalten habe, nach dem Hal-ten immer noch viel besser –, aber Sie haben michzumindest nicht vom Gegenteil überzeugt, sodassich Sie nochmals bitte, zumindest der Überweisungan den Ausschuss zuzustimmen, damit wir danndarüber reden können. Denn in der Sache selber,Frau Floßmann, sind wir ja wohl einig, dass etwasgetan werden soll. Und wie sollen wir was tun,wenn wir nicht mal im Ausschuss darüber reden!

(Beifall AfD)

Vizepräsidentin Jung:

Es gibt eine weitere Wortmeldung. Herr Abgeordne-ter Brandner, gestatten Sie eine Zwischenfrageoder Nachfrage der Abgeordneten Floßmann?

Abgeordneter Brandner, AfD:

Ja.

Abgeordnete Floßmann, CDU:

Herr Brandner, erklären Sie mir doch bitte mal denArtikel 1 „Änderung der Thüringer Kommunalord-nung“, wo Sie die Worte einfügen wollen: „die Ver-sorgung mit Finanzdienstleistungen der Sparkas-sen“,

Abgeordneter Brandner, AfD:

Wo haben wir das?

Vizepräsidentin Jung:

Herr Abgeordneter Brandner …

Abgeordneter Brandner, AfD:

Ich sehe es gerade. Hier sollte eingefügt werden,dass die Gemeinden sich darum kümmern. Was istdaran nicht zu verstehen?

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6219

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Abgeordnete Floßmann, CDU:

Also soll doch die Gemeinde dann die Finanz-dienstleistungen vorhalten?

Vizepräsidentin Jung:

Frau Abgeordnete Floßmann, wenn Sie einen Re-debeitrag halten wollen – also ein Zwiegesprächgeht hier bitte nicht.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Sie haben gesagt, wir würden den Gemeinden vor-schreiben, sie müssten eigene Sparkassen grün-den – oder was?

Abgeordnete Floßmann, CDU:

Deshalb sollen Sie mir ja mal diesen Gesetzestexterklären, was Sie in die Thüringer Kommunalord-nung einfügen möchten, dass die Kommunen dieseLeistungen vorhalten müssen.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Ja, dass die Versorgung mit Finanzdienstleistungensichergestellt ist, dass das die Gemeinden machenmüssen, genau wie im öffentlichen Personennah-verkehr beispielsweise, bei der Wasserversorgung,da steht es auch drin.

Abgeordnete Floßmann, CDU:

Danke schön, das reicht.

Vizepräsidentin Jung:

Danke schön. Herr Abgeordneter Pidde, Sie habendas Wort.

Abgeordneter Dr. Pidde, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in derersten Lesung haben wir hier schon darüber ge-sprochen, dass es zwar ein berechtigtes Anliegenist, Finanzdienstleistungen in kleineren Städten undim ländlichen Raum zu sichern, dass aber der Ge-setzentwurf, den die AfD-Fraktion vorgelegt hat, da-zu in keiner Weise geeignet ist. Ich habe in der ers-ten Lesung Punkt für Punkt aufgelistet, warum eraus meiner Sicht handwerklich schlecht gemachtund warum er auch inhaltlich falsch ist. Ich will nurnoch mal exemplarisch das wiederholen, was FrauFloßmann gerade gesagt hat, dass Sie in die kom-munale Selbstverwaltung eingreifen wollen, dassSie in die Sparkassen hineinregieren wollen, dassSie Pflichtaufgaben für die Gemeinde neu einführenwollen, dass Sie die Sparkassenaufsicht in die Ver-waltungsräte integrieren wollen, dass sie ihre Be-schlüsse, die sie mit fassen, nachher selbst kontrol-lieren sollen – also eine ganze Menge Blödsinn. Dabrauchen Sie sich nicht darüber zu wundern, dass

wir das nicht im Ausschuss beraten wollten, son-dern dass wir gesagt haben: Das kann man nur ab-lehnen. So, wie Sie das hier vorschlagen, wollenSie das bestehende Sparkassensystem kaputtma-chen. Das machen wir nicht mit.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Was?)

Meine Damen und Herren, wer ist es denn, der dieDienstleistung in der Fläche garantiert? Wer istdenn da, wenn es darum geht, für den Normalbür-ger und für den kleinen Mann Beratung und Finanz-dienstleistung zur Verfügung zu stellen? Das sinddie Sparkassen und das sind die Volksbanken, dieda sind. Da haben sich die Deutsche Bank und dieCommerzbank – unsere Vorzeigeinstitutionen –schon lange aus der Fläche zurückgezogen. Selbstin kleineren Städten gibt es schon überhaupt keineFilialen mehr, in mittleren vielleicht noch eine kleineFiliale, vielleicht einen Geldautomaten. Ansonstenhaben sie sich zurückgezogen. Sparkassen undVolksbanken sind es, die dafür da sind, die für dieBürger sorgen, die Kredite für die Handwerker, fürdie kleinen Unternehmen bei uns ausreichen, diesich auch – sage ich mal – um das Kleinvieh küm-mern, das auch Mist macht oder bisher Mist ge-macht hat.

Das Zweite, was ich anführen möchte: Als 2007 dieImmobilienblase in den USA geplatzt ist, als in NewYork die Lehman-Bank abgesoffen ist, wer wardenn dann da als Stabilitätsanker in dieser Situa-tion? Es waren die Sparkassen und die Volksban-ken, die hier vor Ort da waren und abgesichert ha-ben,

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

dass die Bürger ihr Geld bekamen, dass Krediteausgereicht wurden und die Wirtschaft nicht nochstärker gelitten hat. Deshalb möchte ich mich ganzbesonders bei den Vorständen und bei den vielenMitarbeitern für ihre ordentliche Arbeit in den Spar-kassen und in den Volks- und Raiffeisenbanken be-danken.

(Beifall SPD)

Ich bin selbst Mitglied im Verwaltungsrat einerKreissparkasse und wir diskutieren ganz genau dieSituation, die sich ergibt. Und die Situation ist ernst,einerseits durch die niedrigen Zinsen, die vorhan-den sind. Das kann man nur bis zu einem gewissenGrade laufen lassen, dann muss man einfach ein-greifen. Wenn die Gewinnmargen bei den getätig-ten Geschäften gegen null gehen, dann muss manauch reagieren. Es hat überhaupt keinen Zweck,dass man den Bestand des jeweiligen Instituts ge-fährdet, sondern man muss dann auch entspre-chend vorgehen und reagieren. Wir schauen uns

6220 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

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jede Maßnahme, jede Personalmaßnahme, jedeZweigstelle, jeden Automaten an, wie viel Geld wirddort abgehoben, wie oft und welche Kosten habenwir damit – für jede einzelne Filiale, für jeden ein-zelnen Automaten. Dann müssen Sie überlegen, obSie den Automaten halten können, wenn dort je-mand im Monat 300 oder 400 Euro abholt. Wenn indem kleinen Ort nur wenige Leute sind, die diesenAutomaten nutzen, dann können Sie den Men-schen auch die 400 Euro nach Hause bringen, le-gen noch 300 drauf, dann kommen Sie genau beiplus/minus null raus. Das ist das System, was Siehier vorschlagen. Manches wird nicht zu machensein unter den gegenwärtigen Bedingungen. Ichmuss auch zu Frau Floßmann sagen: Ihre Analyseist so weit in Ordnung, aber das, was Sie gesagthaben, wie sich die Gebietsreform auf die Sparkas-sen auswirken wird, das ist doch pure Propagandaund hat mit der Realität nichts zu tun.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Darüber werden wir aber bei Gelegenheit nochsprechen.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Das wirdsich noch zeigen!)

(Unruhe CDU)

Vizepräsidentin Jung:

Herr Abgeordneter Pidde, gestatten Sie eine Anfra-ge der Abgeordneten Floßmann?

Abgeordneter Dr. Pidde, SPD:

Ja, bitte.

Abgeordnete Floßmann, CDU:

Im Thüringer Sparkassengesetz ist doch der Sitzder Kreissparkasse an den Kreissitz gekoppelt.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE:Nein!)

Welche Veränderung hat die Änderung der Kreis-grenzen nach dem Thüringer Sparkassengesetz Ih-rer Meinung nach?

Abgeordneter Dr. Pidde, SPD:

Wie mit den Sparkassen verfahren wird, wenn eszur Kreisgebietsreform kommt, das ist der nächsteSchritt, dann werden wir darüber reden. Wir werdenauch miteinander in den Dialog treten, damit wir ei-ne vernünftige Lösung für die Sparkassen haben,aber auf keinen Fall – das sage ich Ihnen – wird esso, dass wir sagen, wir machen größere Kreise undda muss sofort nur noch eine Sparkasse in demgroßen Kreisgebiet sein. Das wird nichts. Da bin ich

ganz anderer Meinung, als Sie das eben vertretenhaben.

Vizepräsidentin Jung:

Herr Abgeordneter Pidde, es gibt den erneutenWunsch nach einer Zwischenfrage der Abgeordne-ten Floßmann. Gestatten Sie das?

Abgeordneter Dr. Pidde, SPD:

Wenn es die letzte Zwischenfrage ist, Frau Floß-mann!

Abgeordnete Floßmann, CDU:

Ja. Ich will mich korrigieren: Also es steht drin, dassTräger der Sparkasse der Kreis oder die kreisfreieStadt ist. Das heißt

(Zwischenruf Abg. Bühl, CDU: Du musst eineFrage stellen!)

– ich muss eine Frage stellen, ja –, stimmen Sie mirzu, dass es bei einer Veränderung der Rechtsper-sönlichkeit dann auch logischerweise zu einer Ver-änderung kommen muss oder einer Änderung desThüringer Sparkassengesetzes?

Abgeordneter Dr. Pidde, SPD:

Dann sage ich jetzt hier mal klipp und klar – FrauFloßmann, Sie haben eine Frage gestellt und jetztmöchten Sie doch sicher auch eine Antwort hö-ren –: Wir werden das so regeln, dass nachhernicht in jedem großen Gebilde nur eine einheitlicheSparkasse vorhanden ist, sondern wir werden diebestehenden Sparkassen entsprechend fortschrei-ben. Aber die Details müssen wir noch mal getrenntdiskutieren.

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Dafreuen sich aber die Verwaltungsräte, hervor-ragend!)

(Unruhe CDU)

Vizepräsidentin Jung:

Meine Damen und Herren, jetzt hat AbgeordneterPidde das Wort.

Abgeordneter Dr. Pidde, SPD:

Jetzt würde ich aber vorschlagen, dass wir den Dia-log ein anderes Mal führen, Herr Fiedler, und dasswir jetzt mal zu dem eigentlichen Sachverhalt kom-men.

Vizepräsidentin Jung:

Herr Abgeordneter Pidde, formal muss ich Sie fra-gen, ob Sie dem Abgeordneten Fiedler eine Zwi-schenfrage erlauben.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6221

(Abg. Dr. Pidde)

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Abgeordneter Dr. Pidde, SPD:

Das möchte ich nicht, weil wir das auch nachher bi-lateral klären können.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ich wolltenur wissen, wer „wir“ ist!)

Wer „wir“ ist? Mit „wir“ meine ich die Regierungs-koalition. Wir werden sehen,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

wir werden mit Ihnen gemeinsam den Dialog füh-ren, wie wir diese Probleme am besten lösen kön-nen.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Das habenwir schon gesehen, Dialog, ja, ja!)

Jetzt habe ich einen weiten Bogen vom Gesetzent-wurf der AfD-Fraktion, den wir auch heute nicht ausden schon genannten Gründen überweisen wer-den, bis zur Zukunft der Sparkassen in neuenKreisgebietsstrukturen geschlagen. Zum Abschlussaber noch einen Satz an Herrn Brandner, auchwenn Sie, Herr Brandner, das vielleicht nichtverstehen werden oder auch nicht darauf eingehenwerden: Eine solche Rede, gespickt mit persönli-chen Beleidigungen, wie wir sie von Ihnen öfter hö-ren, heute gegen die Finanzministerin ist unter allerWürde.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN; Abg. Gentele, fraktionslos)

Man kann ganz unterschiedlicher Meinung sein,aber eins habe ich in meinem Leben gelernt: Ach-tung vor der Leistung anderer ist etwas ganz Wich-tiges! Danke schön.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN; Abg. Gentele, fraktionslos)

Vizepräsidentin Jung:

Als nächste Rednerin hat Abgeordnete Skibbe,Fraktion Die Linke, das Wort.

Abgeordnete Skibbe, DIE LINKE:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abge-ordneten, auch ich möchte mich kurzfassen. In denletzten vier Wochen – das haben meine Vorredne-rinnen und Vorredner bereits gesagt – sind keineneuen Argumente zu Ihrem Gesetzentwurf dazuge-kommen. Ich möchte zu Ihren populistischen Äuße-rungen sagen: Sie haben sich mit Ihren Äußerun-gen disqualifiziert. Ich muss sagen: Vom Heilsbrin-ger Martin Schulz zu sprechen, kann man nur alspopulistisch bezeichnen. Ich sage noch eins dazu:Es ist ein Glück, dass über Eignung und Nichteig-nung nicht Sie entscheiden, sondern ganz andereMenschen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Ich möchte noch einmal sagen, dass wir diesemAntrag natürlich nicht zustimmen und ihn erst rechtnicht an den Ausschuss überweisen, das ist, glaubeich, verschenkte Zeit. Danke.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Jung:

Es gibt eine weitere Wortmeldung. Herr Abgeordne-ter Brandner.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Ich musste noch mal, Herr Pidde hat mich ja sofreundlich aufgefordert.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Hat er nicht!)

Doch, er wollte das quasi. Was ich zu Frau Taubertgesagt habe, das waren keine Beleidigungen, Un-terstellungen, das waren einfach Fakten und nichtsanderes.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Ihre Fakten!)

Abgesehen davon machen wir uns um Frau Tau-bert wenig Gedanken, weil sie so ins Gespräch ver-tieft war mit irgendjemanden; sie hat sowieso nichtzugehört, also hat sie auch nichts mitbekommen.Von daher bin ich da ganz entspannt.

Ihnen von der CDU muss ich noch mal sagen: Jetztregen Sie sich auf über den demokratischen Blockauf der linken Seite, über die deutschen demokra-tischen Ramelow-Fraktionen. Im letzten Plenum ha-ben Sie sich mit denen gemeinsam wie auf einerKleinkunstbühne hier aufgeführt, wie auf einerKleinkunstbühne agiert im Plenum und jetzt sehenSie, anbiedern zahlt sich nicht aus. Die nutzen Sieschamlos aus und Sie springen auf dieses Pferdund machen solche Sachen mit. Das sollten Sievielleicht noch mal kritisch reflektieren, ob das dieangemessene Zusammenarbeit mit den deutschendemokratischen Ramelow-Fraktionen hier im Raumist. Gehen Sie mal kritisch in sich und überlegenSie sich das noch mal!

Herr Pidde, für das Protokoll noch mal: Sie habenin Ihrer Rede hier nichts anderes zu Protokoll gege-ben, als dass für das Sparkassensterben, für denRückzug der Sparkassen aus dem ländlichenRaum die EZB verantwortlich ist, weil sie eine Nied-rigzinspolitik betreibt, die wiederum zurückzuführenist auf die Bazooka von Draghi, der damit händerin-gend versucht, die südlichen Staaten der EU zu ret-ten. Da sehen Sie mal als Deutsche, als Thüringer,die vielleicht jetzt zuhören: Genau das sind die Aus-wirkungen der fatalen Europolitik, die alle Altpar-teien quer durch die Bank verzapft haben.

6222 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

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(Beifall AfD)

Vizepräsidentin Jung:

Es gibt eine weitere Wortmeldung. Das Wort erhältAbgeordneter Kuschel, Fraktion Die Linke.

Abgeordneter Kuschel, DIE LINKE:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren! Zu Recht haben Redner der Regierungs-fraktionen darauf verwiesen, dass dieser Gesetz-entwurf der AfD nicht nur gesetzeswidrig ist, son-dern den Bestand der Sparkassen in jetziger Formgefährdet. Insofern begeben Sie sich hier auf dün-nes Eis und das will ich noch mal erläutern. Ich hat-te darauf schon mal in der ersten Lesung verwie-sen, aber weil es in der heutigen Debatte bisherkeine Rolle gespielt hat, will ich es erneut hier tun.

Das deutsche Sparkassenwesen ist eine Besonder-heit innerhalb der Europäischen Union. Es gibt die-ses Konstrukt von Kreditinstituten in kommunalerTrägerschaft in keinem anderen EU-Land mehr.Auch die österreichischen Sparkassen, die zwardieselbe Farbe, dasselbe Logo tragen, sind inzwi-schen privatisiert. Die Privatbanken haben bei derEuropäischen Union seit mehreren Jahren ein Ver-fahren angestrengt, diese besondere Struktur desdeutschen Banken- und Finanzwesens aufzulösenund infrage zu stellen. Daraufhin gab es vor einigenJahren eine Verständigung zwischen der Euro-päischen Union und der Bundesrepublik, woraufhindie Länder ihre Sparkassengesetze ändern muss-ten. Bis dahin bestand nämlich eine Gewährträger-schaft zwischen den Landkreisen und kreisfreienStädten und den Sparkassen. Diese musste aufge-löst und in nur noch eine Trägerschaft umgewan-delt werden. Was das ist, will ich Ihnen gern nocherläutern.

Das Zweite war: Die bis dahin geltende Anstaltslastmusste aus den Gesetzen gestrichen werden. An-staltslast hieß, dass die Kommunen sozusagen fürdie Sparkassen eingestanden sind. Wir hatten übri-gens mal so einen Fall bei der Sparkasse Jena-Saale-Holzland, wo die beiden Kommunen – derLandkreis Saale-Holzland und die Stadt Jena – fürVerluste der Sparkasse einstehen mussten. Unddem haben wir zugestimmt, diesem Kompromissmit der Europäischen Union. Und nur unter Maßga-be dieses Kompromisses dürfen wir die Sparkas-sen in kommunaler Hand, so wie sie da sind, jetztnoch bestehen lassen. Trägerschaft heißt: Das Ver-hältnis zwischen Träger und Sparkasse muss sogestaltet sein wie zwischen Gesellschafter und Ge-sellschaft – mit einer Gewinnerzielungsabsicht undrelativer Autonomie, Unabhängigkeit der Organe.Insofern sind die Vorstände der Sparkassen nichtder Kommune unterstellt und unterliegen dort auchnicht der Kontrolle und Steuerung, der Rechen-schaftspflicht, sondern dem Verwaltungsrat. Die

Kommune hat nur ein Verhältnis hinsichtlich desVerwaltungsrats, hat also kein Durchgriffsrecht zumBeispiel gegenüber den Vorständen. Das sind allesKonsequenzen aus dieser Verständigung zwischender EU und der Bundesrepublik. Wenn das kommt,was Sie wollen, dass also die Kommune, der Trä-ger, wieder in das laufende Geschäft, in die be-triebswirtschaftlichen Vorgänge der Sparkasseneingreifen und Vorschriften machen kann, wo eineFiliale offen zu halten ist, welche Dienstleistungenanzubringen sind, bieten Sie eine Steilvorlage, dassdie Europäische Union sagen kann: Diese Verein-barung zur Sicherung der Besonderheit der deut-schen Sparkassen wird aufgekündigt. Und dann er-reichen die Privatbanken das, was sie wollen: näm-lich eine Privatisierung der Sparkassen. Und dannkönnen wir uns sicher sein, dass es kein Angebotmehr in der Fläche gibt, keinerlei Möglichkeitenmehr, zumindest über den Verwaltungsrat auf dieGeschäftspolitik der Sparkassen Einfluss zu neh-men. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab,überhaupt weiter darüber zu reden, weil er derartgefährlich ist und das Sparkassenwesen als Gan-zes gefährdet. Wenn Sie das nicht erkennen, dannist das Ihre Sache. Aber ich bin mir bewusst: Sie er-kennen es. Sie wollen nur die Sparkassen offenbarden Privatbanken auf dem goldenen Tablett prä-sentieren, weil Sie offenbar dieses Sparkassenwe-sen als dritte stabilisierende Säule stört. Sie wollennatürlich wieder Ängste und Verunsicherungen beiBürgerinnen und Bürgern schaffen, meine sehr ge-ehrten Damen und Herren. Und deshalb ist es rich-tig, sich mit Ihrem Gesetzentwurf nicht weiter zu be-schäftigen und ihn sogar mit aller Schärfe zurück-zuweisen, weil nur das den Bestand der Sparkas-sen in der jetzigen Struktur sichert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, weil hiervon der CDU noch mal angeregt wurde, eine De-batte zur Gebietsreform zu führen, darf ich nochmal sagen, damit es in der Öffentlichkeit nicht zuVerunsicherungen führt: Die CDU bedient Verunsi-cherungen, indem sie sagt, bei der Gebietsreformhat das auch Auswirkungen auf das Sparkassen-wesen.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Oh, Herr Ku-schel!)

In § 1 Abs. 2 des Thüringer Sparkassengesetzessteht wörtlich formuliert: „Landkreise oder kreisfreieStädte oder von diesen gebildete kommunaleZweckverbände […] können Sparkassen errichten.“Da steht also nicht eine Orientierung am Territorial-prinzip. Es können damit in einem Zuständigkeits-bereich eines Landkreises mehrere Sparkassenbestehen. Es gibt nicht mal einen gesetzlichen Hin-weis darauf, dass nur eine Sparkasse bestehenkann. Wie man so boshaft eine Gesetzesnorm um-interpretieren kann, um Ängste zu schüren, ist mirschleierhaft. Das kann nicht mit Unverstand be-gründet werden, sondern mit politischer Absicht.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6223

(Abg. Brandner)

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Deshalb noch mal für die Öffentlichkeit: Auch daswar ein Grund zu entscheiden, keine Landkreise zuzerschneiden, sondern die Landkreise als Ganzesin eine neue Struktur zu überführen, weil dannnämlich die jetzige Sparkassenstruktur bestehenbleiben kann. Die Sparkassen werden selbst ge-meinsam mit den Trägern in einen verantwortungs-vollen Dialog treten, was geschehen muss. Und ichdarf darauf verweisen: Wir haben jetzt schon meh-rere Zweckverbandssparkassen, weil die Sparkas-sen eben erkannt haben, dass sie orientiert an derreinen Verwaltungsstruktur ihres Trägers offenbarnicht dauerhaft überleben können. Insofern dieSparkasse Mittelthüringen – weil wir hier in dem Zu-ständigkeitsbereich von Weimar, Erfurt, Sömmerdasind –, ohne dass deshalb jemals einer meint, dassder Versorgungsgrad der Sparkassen hier andersist als im Landkreis Sonneberg oder Hildburg-hausen, wo die Sparkassen eben noch an derStruktur des Trägers orientiert sind. Von daher bit-ten wir einfach, auch zu einer Versachlichung bei-zutragen. Ich komme aus dem Ilm-Kreis, ich will Ih-nen sagen: Unsere Sparkasse – da komme ich aufeinen letzten Punkt, was die AfD angesprochen hat– hat jetzt wieder eine Filiale geschlossen, imWohngebiet Arnstadt-West; dort wohnen 4.500 Bür-ger. Die Geschäftsstelle war nicht mehr zu halten.Klar: Die Hauptgeschäftsstelle ist einen Kilometerweiter in der Stadt. Es wird da ein Angebot mit Kon-toauszugautomaten, Geldautomaten, Überwei-sungsautomaten, aber keine mit Personal besetzteGeschäftsstelle mehr geben. Vor wenigen Wochenwurde in der Wolfsberggemeinde in Gräfinau-Angstedt die Filiale der Sparkasse geschlossen –alles vor der Gebietsreform, das hat mit der Ge-bietsreform nichts tun, sondern mit anderem Kun-denverhalten. Übrigens, die Volksbank hat in derStadt Gehren ihre Filiale schließen müssen, undauch nicht, weil sie irgendwie die Leute ärgern will,sondern einfach, weil sie sagt – da komme ich da-zu –: Neben den betriebswirtschaftlichen Heraus-forderungen haben wir einen kulturellen Wandel,nämlich ein völlig anderes Kundenverhalten. NachInformation des Sparkassen- und GiroverbandesHessen-Thüringen haben sich die Umsätze an denBargeldautomaten im letzten Jahr um 15 Prozentreduziert – um 15 Prozent! – und die Tendenz wirdweitergehen, weil eben immer mehr Zahlungsvor-gänge bargeldlos erfolgen. Immer mehr Zahlungs-vorgänge erfolgen bargeldlos! Ich gehe ab und zuja auch einkaufen und ich hole mein Geld immerbei REWE. Wenn ich für mehr als 20 Euro einkau-fe, kann ich dort Geld abheben. Das sind also neueFormen, die es natürlich vor Jahren nicht gab. Übri-gens, man braucht doch nicht mehr so viel Bargeldwie früher. Also von daher werden wir noch gravie-rendere Veränderungen vornehmen. Der Sparkas-sen- und Giroverband Hessen-Thüringen geht da-von aus, dass wir in zehn Jahren nur noch in denzentralen Orten mit Personal besetzte Geschäfts-

stellen haben. Es geht heute auch keiner mehrdurch die Stadt und hat die Idee: Ich brauche einenKredit oder ich habe zu viel Geld auf dem Girokontound brauche eine Geldanlage und gehe deshalbmal ohne Voranmeldung in meine Filiale. Das läuftheute völlig anders. Heute läuft übrigens bei uns inder Sparkasse der Berater zum Kunden. Man mel-det sich an, ob man einen Kredit braucht oder eineGeldanlage, und dann kommt der Berater aus derGeschäftsstelle zum Kunden vor Ort. Also keineEinschränkung eines Leistungsangebots, auchwenn ich nicht mehr überall eine Filiale habe. Alsodas müssen wir mit bedenken. Wir können Men-schen nicht zwingen. Wenn sie ihr Verhalten än-dern, müssen wir die Struktur dementsprechendanpassen. Das ist übrigens bei der Verwaltung hieranalog. Deswegen beschäftigen wir uns ja auch mitFunktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform. Dan-ke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Jung:

Jetzt hat sich die Landesregierung zu Wort gemel-det, Frau Ministerin Taubert. Herr Brandner hat sichnoch mal zu Wort gemeldet. Sie haben noch 30 Se-kunden, Herr Brandner.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Einfach mal die Klappehalten!)

Abgeordneter Brandner, AfD:

Frau Rothe-Beinlich, das wünsche ich mir bei Ihnenauch einmal – einfach mal die Klappe halten, mög-lichst mal eine ganze Sitzung. Da würde ich michfreuen.

Herr Kuschel, § 2 Sparkassengesetz, gucken Sieda mal rein. Wenn Sie uns vorwerfen, dass wir indie Selbstverwaltung eingreifen würden, dannmüssten Sie § 2 abschaffen, da ist schon geregelt:Die Leistungen sind für die Bevölkerung zu erbrin-gen, Geschäfte sind im Interesse der Kunden abzu-wickeln und, liebe neoliberale Grüne, die Gewinner-zielung von Sparkassen ist nicht der Hauptzweckvon Sparkassen. Siehe da! Gucken Sie mal ins Ge-setz, das erhellt. Dass Gesetzesänderungen ge-setzwidrig sind, Herr Kuschel, ergibt sich auch ausder Logik. Denn eine Gesetzesänderung verstößtnun mal vom Gedanken her erst mal gegen beste-hende Gesetze. Deshalb suchen wir hier Mehrhei-ten und sind sicher, die heute auch zu finden. Vie-len Dank.

(Beifall AfD)

6224 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Kuschel)

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Vizepräsidentin Jung:

Jetzt erhält die Ministerin das Wort. Frau Taubert,bitte.

Taubert, Finanzministerin:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen undHerren Abgeordneten! Herr Brandner, es scheintso, zumindest merke ich das seit zwei Jahren, ent-gegen dem Gebaren Ihrer Kolleginnen und Kolle-gen aus der AfD-Fraktion sind Sie derjenige, der of-fensichtlich erst ein Bashing gegen andere hier imRaum braucht, um dann anzufangen, zum Themazu reden. Das mag das Schema der AfD sein, ichweiß es nicht. Vielleicht haben Sie das in besonde-rer Weise verinnerlicht im Gegensatz zu den ande-ren. Aber es hilft ja beim Thema nichts. Ich kanndas ertragen, nicht dass Sie denken – aber Sie sindJurist, ich will darauf hinweisen, und Sie konntendie von Frau Floßmann gestellte Frage nicht beant-worten, weil es gar nicht darum geht bei Ihnen.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN; Abg. Gentele, fraktionslos)

Sie wollen nicht anerkennen, dass Sie im Gesetz-entwurf schreiben: In § 2 Abs. 2 der ThüringerKommunalordnung wollen Sie nach den Worten„des Denkmalschutzes und der Belange von Wirt-schaft und Gewerbe“, hinterher geht es dann weitermit „Bauleitplanung“, „die Versorgung mit Finanz-dienstleistungen der Sparkassen“ mitten reinschrei-ben. Und wenn Sie jetzt wüssten als Jurist, was inder Kommunalordnung in § 2 gemeint ist – es fängtja an mit den Kommunen, der Kommunalordnung,Gemeindeordnung. Wir regeln also in § 2 der Thü-ringer Kommunalordnung das, was die Kommunen,die Gemeinden im eigenen Wirkungskreis anPflichtaufgaben haben. Und da wollen Sie die Fi-nanzdienstleistungen reinschreiben. Das heißt, ent-weder haben Sie Ihren eigenen Gesetzentwurfnicht verstanden, nicht gelesen oder so nicht ge-wollt. Das kann ja alles sein. Dann hätten Sie heuteeinen Änderungsantrag stellen müssen. Aber zu-mindest negieren Sie das, was Sie selbst geschrie-ben haben als das, was Sie wollen. Und das ist na-türlich sehr inkonsistent, sehr inkonsistent. Sie hat-ten ja gesagt …

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: PassenSie mit Ihren Worten auf! Oder meinten Sieinkontinent?)

Ich habe inkonsistent gesagt, nicht inkontinent.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: PassenSie mit Fremdwörtern auf!)

Ja, ich passe da mit Fremdwörtern auf, ich habedeswegen langsam gesprochen.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Odermeinten Sie inkontinent?)

Wenn Sie den Begriff für sich brauchen, ist das IhreSache. Ich brauche ihn nicht.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Ich habe mich an der Stelle ordentlich ausgedrückt.Auch das, was Sie im Weiteren aufgeführt haben,was ich Ihnen falsch gesagt haben soll, bezieht sichauf die gemeindliche Aufgabe. Da steht eben weiterhinten, dass Gemeinden Sparkassen nicht gründendürfen, sondern nur Landkreise und kreisfreie Städ-te.

(Beifall CDU, SPD)

Also wenn Sie das Gesetz nicht verstehen, danngibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie wollengar nicht darüber reden, sondern Sie wollen LeutenAngst machen – das wäre eine Variante. Das kön-nen Sie negieren, da können Sie sagen: Nein, daswollen wir nicht, wir wollen ihnen helfen. Aber mo-mentan erscheint das nicht so. Momentan scheintes, die AfD und Sie besonders als der Vertreterhier, der das vorgetragen hat, wollen den BürgernAngst machen, wollen sagen: Hier, alles schlimm,und die bösen Altparteien sind daran schuld. Allesandere ignorieren Sie. Das heißt, das ist reiner Po-pulismus, Sie haben Ihr Gesetz, die Änderung, dieSie da vorschlagen, selbst nicht verstanden. Ich fin-de, das ist für einen Juristen – oh, là, là!

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Jung:

Es liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen mehrvor. Es ist erneut Ausschussüberweisung an denHaushalts- und Finanzausschuss beantragt wor-den. Wer dem seine Zustimmung gibt, den bitte ichjetzt um das Handzeichen. Das sind die Abgeord-neten der Fraktion der AfD. Gegenstimmen? Dassind alle anderen Abgeordneten des Hauses. Damitist die Ausschussüberweisung abgelehnt.

Es ist Ausschussüberweisung an den Ausschussfür Infrastruktur, Landwirtschaft und Forsten bean-tragt worden. Wer dem zustimmt, den bitte ich umdas Handzeichen. Das sind die Mitglieder der Frak-tion der AfD. Gegenstimmen? Das sind alle ande-ren Mitglieder des Hauses. Jetzt frage ich nochnach Enthaltungen. Das kann ich nicht erkennen.Damit ist die Ausschussüberweisung abgelehnt.

Wir stimmen über den Gesetzentwurf der Fraktionder AfD in Drucksache 6/3297 in zweiter Beratungab,

Abgeordneter Brandner, AfD:

Wir beantragen namentliche Abstimmung, FrauPräsidentin.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6225

Page 50: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 6/75 6. Wahlperiode 22.02 · Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/75 22.02.2017 75. Sitzung Mittwoch, den 22.02.2017 Erfurt, Plenarsaal

Vizepräsidentin Jung:

inzwischen in namentlicher Abstimmung. Ich bittedie Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.

Hatten alle die Gelegenheit, ihre Stimmkarte abzu-geben? Dann schließe ich jetzt die Abstimmungund bitte um Auszählung.

Ich darf Ihnen das Ergebnis bekannt geben: Es sind86 Abgeordnete anwesend, 84 Stimmen wurdenabgegeben, mit Ja stimmten 7, mit Nein 77 (na-mentliche Abstimmung siehe Anlage). Damit ist derGesetzentwurf der AfD abgelehnt.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt und rufe aufden Tagesordnungspunkt 7

Drittes Gesetz zur Änderungdes Thüringer Feier- und Ge-denktagsgesetzes (Gesetz zurEinführung eines Gedenktagesfür die Opfer des islamisti-schen Terrorismus)Gesetzentwurf der Fraktion derAfD- Drucksache 6/3308 -ZWEITE BERATUNG

Ich eröffne die Beratung. Das Wort erhält Abgeord-neter Höcke, Fraktion der AfD.

Abgeordneter Höcke, AfD:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolle-gen Abgeordnete, sehr geehrte Besucher auf derTribüne, es gibt in unserem Hohen Haus – nament-lich auf der Linken – manche, die sich hier für dieGralshüter der Demokratie halten und die ganz ge-nau zu wissen meinen, wer die wahren Demokratensind und wer die falschen Demokraten sind. Dieseselbsternannten Musterdemokraten halten es nichtfür geboten, sich wirklich mit den Positionen ande-rer auseinanderzusetzen. Ein Beispiel für solcheSelbstherrlichkeit war zu bestaunen, als wir uns vorvier Wochen dem Gesetzentwurf der AfD-Fraktionzuwandten, der die Einführung eines Gedenktagsfür die Opfer des islamistischen Terrorismus auf dieTagesordnung setzen wollte. Von Dunkelrot bis zuGrün waren in der Plenardebatte in der HauptsacheSchmähworte, unsachliche Polemiken und abstruseUnterstellungen gegen die AfD zu vernehmen, wäh-rend man dem eigentlichen Thema lieber aus demWege ging.

(Beifall AfD)

Deswegen geht es darum, auch noch mal die Kern-motivation unserer Initiative ins Bewusstsein zu ru-fen. Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Ber-lin am 19. Dezember 2016 stellt den bisherigen Hö-hepunkt der islamistischen Gewalt hierzulande dar.Es war dieser Anschlag, sehr geehrte Kollegen Ab-

geordnete, sowie der zögerliche und ausweichendepolitisch-öffentliche Umgang mit diesem Anschlag,der in der Thüringer AfD-Fraktion zu dem Wunschgeführt hat, es sollte hierzulande einen Gedenktagfür die Opfer des islamistischen Terrors geben.

Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, wir gedenkender Opfer der totalitären Gewalt von links am17. Juni und wir gedenken der Opfer der totalitärenGewalt von rechts am 8. Mai. Deswegen verdienenauch die Opfer des totalitären Islamismus ein An-denken von Staats wegen.

(Beifall AfD)

Frau Präsidentin, ich würde Sie bitten, auf die FrauFinanzministerin einzuwirken, etwas leiser in ihremGespräch fortzufahren.

Vizepräsidentin Jung:

Frau Taubert hat genickt, sie hat Ihrem Wunschentsprochen.

Abgeordneter Höcke, AfD:

Danke schön.

Wir denken, so ein Gedenktag würde auch eindeutliches Zeichen aussenden. Wir geben damitnämlich zu erkennen, dass dieses Gemeinwesennicht gewillt ist, sich einschüchtern zu lassen, unddurchaus imstande ist, seine freiheitliche Lebens-ordnung nach allen gefährlichen Richtungen hin zuverteidigen. Und niemand, der bei Sinnen ist, wirdleugnen, dass der terroristische Islamismus eineBedrohung für unser Land darstellt.

(Beifall AfD)

Indes will man dieser Tatsache gerade auf der poli-tischen Linken nicht so gern ins Auge sehen. Daswurde bei der Plenardebatte vor vier Wochen sehrdeutlich. Frau Kollegin Pelke von der SPD kamnicht über Anwürfe hinaus und warf mit Begriffenwie „bösartig“ und „perfide“ um sich. Herr KollegeDittes von den Linken dagegen machte das, was eram besten kann: Er wich wieder einmal ins Abstrak-te aus. Er meinte doch allen Ernstes, der KollegeDittes, dass man die Anschläge in Frankreich, Bel-gien und sonst wo auf der Welt vergesse, wennman den Berliner Anschlag vom 19. Dezember the-matisiere. Herrn Dittes‘ Geheimnis bleibt allerdings,wie er auf etwas derartig Abwegiges kommt. Sehrgeehrter Herr Kollege Dittes, wir haben hier – dassei noch mal betont – nicht die Probleme der gan-zen Welt im Thüringer Landtag zu verhandeln, son-dern wir haben unsere freiheitliche Ordnung hier inThüringen und in Deutschland zu wahren und zuverteidigen.

(Beifall AfD)

Es geht doch gar nicht darum, was Sie uns direktund indirekt unterstellten, dass wir hier nur deut-

6226 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

Page 51: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 6/75 6. Wahlperiode 22.02 · Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/75 22.02.2017 75. Sitzung Mittwoch, den 22.02.2017 Erfurt, Plenarsaal

schen Opfern gedenken wollen, denn nicht alle Op-fer des Berliner Anschlags waren deutsche Staats-bürger. Es geht um Opfer einer bestimmten gewalt-tätigen Ideologie, die sich Deutschland – und daswird immer deutlicher – als Schlachtfeld ausge-sucht hat. Und, Herr Dittes, Sie tun etwas, was unsauch Frau Pelke unterstellte: Sie spielen nämlichdie einen Opfer gegen die anderen Opfer aus.Denn wie sonst soll man Ihren Hinweis verstehen,dass man am 19. Dezember nicht der Opfer des is-lamistischen Terrorismus gedenken dürfe, weil der19. Dezember schon Gedenktag des Bundesratsfür die vom NS-Regime verfolgten Sinti und Romasei. Dann sind wohl die einen Opfer Opfer ersterKlasse und die anderen halt doch nur Opfer zweiterKlasse – oder wie meinen Sie das, Herr Dittes? Na-türlich ist der 19. Dezember dieser von Ihnen ange-sprochene Gedenktag, aber das hat den BerlinerAttentäter nicht abgehalten, just an diesem 19. De-zember zwölf Menschen in den Tod zu schickenund 50 zum Teil schwer zu verletzen. Da ist esdurchaus sinnvoll, genau an dieses Datum anzu-knüpfen.

(Beifall AfD)

Das Datum hatte auch die Kollegin Walsmann an-gesprochen. Frau Walsmann präsentierte – und ichmöchte das hervorheben, Frau Kollegin – einesachliche und dem Thema angemessene Rede,auch wenn Sie unseren AfD-Entwurf zurückwiesen.Aber das Argument, dass Sie vorbrachten, es gäbeja bereits einen Gedenktag für die Opfer auch desislamistischen Terrorismus und das sei eben derVolkstrauertag, dieses Argument, sehr geehrteFrau Kollegin Walsmann, ist in unseren Augendann doch verfehlt. Ich weiß sehr wohl, dass manin jüngerer Zeit den Volkstrauertag zu einem allge-meinen Gedenktag für diese und jene Opfer zu ma-chen sucht, und an dieser Stelle lässt sich fragen,wer hier eigentlich was instrumentalisiert. Seiner In-tention nach jedenfalls ist der Volkstrauertag ebenkein allgemeiner Opfergedenktag, nein, er ist einstiller Gedenktag für die Opfer der Kriege und derGewaltherrschaft, ein spezifischer Gedenktag alsound das hat seinen guten Sinn und sollte auch sobleiben.

(Beifall AfD)

Die AfD-Fraktion lehnt jedenfalls einhellig die Um-deutung des Volkstrauertages ab und wir finden esbedauerlich, dass die CDU in diesem Fall leider ihrUnterscheidungsvermögen offenbar eingebüßt hat.

Frau Kollegin Rothe-Beinlich warf vor vier Wochenin der Plenardebatte in ihrer unvergleichlichen Art,erwartbar natürlich, mit dem Begriff der Islamopho-bie um sich. Wen verwundert das?! Eine Phobie,sehr geehrte Frau Kollegin, ist bekanntlich ein me-dizinisches Phänomen, eine Krankheit, und ich hal-te es für reichlich unverfroren, Leuten eine Krank-heit anzudichten, die sich kritisch mit dem Islam

auseinandersetzen, und das ist die meist, manmuss es so sagen, linke Masche, Leute, die Kritikäußern, einfach für krank zu erklären. Da brauchtman sich auch nicht weiter mit kritischen Fragen zubeschäftigen. Aber wir wollen weiter kritisch hinter-fragen und wir werden auch weiter kritisch hinterfra-gen. Ja, wir wollen beim Gedenken für die Opferdes islamistischen Terrors auch fragen, wie Islamis-mus und Terrorismus zueinander stehen.

Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, diese Debattemuss geführt werden und sie wird uns aufgezwun-gen werden in den nächsten Monaten und Jahren.Sie wird uns leider aufgezwungen werden, weil dieRealität dieses Land einholen wird. Und auch da-rum geht es, wenn wir einen Gedenktag zu Ehrenund zum Andenken an die Opfer des islamistischenTerrors fordern, es geht nämlich auch darum, ne-ben Trauer und Erinnerung an Prävention zu den-ken. Ein Gedenktag für die Opfer des Islamismusist nämlich dieses präventive Signal, dass islamisti-sche Bestrebungen in Thüringen keinen Platz ha-ben und keinen Platz haben werden.

(Beifall AfD)

Und wir stehen dazu ohne Wenn und Aber, wir ste-hen dafür ein und wir werden das weiter voranbrin-gen mit den Möglichkeiten, die wir haben, dass derOpfer des islamistischen Terrors angemessen öf-fentlich gedacht wird. Die Opfer dieses Terrors unddie Opfer des Berliner Anschlags vom 19. Dezem-ber letzten Jahres werden wahrscheinlich – wirwünschen uns Gegenteiliges, aber es wird wahr-scheinlich nicht so sein – nicht die letzten gewesensein, die dieser Art von Terrorismus entsprechendzum Opfer fallen werden. Diese Opfer sind keineOpfer zweiter Klasse und sie verdienen unserenZuspruch und sie verdienen unsere Anteilnahme.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Vizepräsidentin Jung:

Für die Fraktion der CDU erhält Abgeordnete Wals-mann das Wort.

Abgeordnete Walsmann, CDU:

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen undKollegen Abgeordnete, mit dem vorliegenden Ge-setzentwurf möchte die AfD-Fraktion an den isla-mistischen Terroranschlag auf dem Berliner Breit-scheidplatz am 19. Dezember erinnern und ihnnach wie vor zum Gedenktag erklären. Ich hatte ei-gentlich gehofft, dass Sie infolge der Debatte vorvier Wochen diesen Antrag einfach zurückziehen.Das wäre angemessener gewesen.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Wir habengehofft, dass Sie zustimmen!)

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6227

(Abg. Höcke)

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Der Anschlag vom 19. Dezember auf dem Weih-nachtsmarkt hat uns alle schockiert. Dasszwölf Menschen aus unterschiedlichen Ländern inden Tod gerissen und 55 weitere verletzt wurden,ist kaum in Worte zu fassen. Das hat uns alle be-rührt. Dessen ungeachtet – und dabei bleiben wir –,gibt auch Ihr heutiger Beitrag keine wirkliche Be-gründung für Ihr Anliegen. Wir müssen einen Blickauf die Feiertags- und Gedenktagegesetze desBundes und der Länder richten. Die Feiertags- undGedenktagegesetze des Bundes und der Ländersind durch die christlichen Wurzeln unseres Landesund ebenso einschneidende, ins kollektive Ge-dächtnis eingeprägte Ereignisse unserer Geschich-te bestimmt, zu denen sich eine weitgehende un-umstrittene Lesart durchgesetzt hat. Wir sollten unsdavor hüten, die Tat eines islamistischen Terroris-ten dort einzuordnen. Richtiger ist es, dem islamisti-schen Terror entschlossen zu begegnen, und zwar– das betone ich – mit allen dem Staat zur Verfü-gung stehenden Mitteln.

Wir als CDU-Fraktion werden dem religiösen Terro-rismus jedenfalls nicht via Gedenktag die Tür zuunserer Gesellschaft öffnen. Der Versuch, den An-schlag vom 19. Dezember 2016 unter die eine oderdie andere Überschrift, Gedenk- oder Feiertag, zusubsumieren, schlägt fehlt und er wird auch demschrecklichen Ereignis vom Dezember 2016, demTod vieler unschuldiger Menschen, nicht gerecht.

Sie wollen mit Ihrem Vorschlag ein Deutungsmustererzeugen. Mit Ihrer Begründung wird es auch heutenicht besser. Ich glaube, Ihnen geht es eigentlichauch heute nicht wirklich um die Opfer. Zu IhremAnwurf der vergessenen Trauer um die Opfer kannich nur sagen, da nehme ich Bezug auf den Beitragder Kollegin Pelke, die das letzte Mal in sehr guterund ausführlicher Art und Weise aus der Rede desBundestagspräsidenten, Herrn Lammert, zitiert hat.Das möchte ich aber heute nicht noch einmal wie-derholen. Sie können das im Protokoll gut nachle-sen.

Meine Damen und Herren, es geht, glaube ich, derAfD nicht wirklich um die Opfer. Es gibt keine Opfererster oder zweiter Klasse. Auch dazu habe ich inder letzten Rede ausgeführt. Ich will das auch ganzsachlich tun. Denn dazu könnten wir auch nocheinen Exkurs in die Geschichte machen. Den willich mir aber sparen. Ich will auf Ihren Punkt einge-hen, dass Sie kritisiert haben, dass wir auf denVolkstrauertag abheben. Das tun wir auch weiter-hin. Wir brauchen keinen besonderen Gedenktag,denn wir haben diesen Volkstrauertag als Gedenk-tag – einen Gedenktag, der uns an die Opfer vonKriegen, von Gewaltherrschaften und eben vonTerrorismus erinnert und mahnt, der über Ihre For-derung hinausgeht. Es ist der Tag, der in jedemJahr sowohl als zentrale Feier als auch in den 16Bundesländern jeweils eigen begangen wird. Viel-leicht ist es ja eher die Wahl des Datums und sein

theologischer Aspekt, der Ihnen wesentlich wenigerpasst, denn mit der Wahl eines Datums am Endeeines Kirchenjahres, welches eben theologisch eineZeit im Erkennen von Endlichkeit ist – und ich beto-ne, für Christen sind diese Tage mit der Hoffnungverbunden, dass der Tod nicht das letzte Wort überdas Leben ist –, mit diesem Tag stellt die themati-sche Ausrichtung bewusst den Schrecken vonKrieg, von Gewaltherrschaft und Terrorismus undnicht die Glorifizierung von Gewalttaten in den Vor-dergrund. Unabhängig von politischer Gesinnung,Religionszugehörigkeit oder sozialem Status ent-steht damit ein einheitliches Gedenken an die To-ten, wirklich ein Gedenken an die Menschen, dieOpfer von Gewalt, von Terrorismus, von kriegeri-schen Auseinandersetzungen geworden sind. Undes ergibt wirklich eine Sinnhaftigkeit in Verbindungmit dem Streben nach Frieden und nach mahnen-dem Gedenken. Hier zeigt sich, wer wie mit Geden-ken und mit Trauerkultur umgeht – ich habe es dasletzte Mal gesagt und ich betone es gern heutenoch mal –, und das sieht man auch an der Teil-nehmerschar an diesem Tag, wer wie mit Geden-ken, Mahnen und Trauer umgeht. Danke schön.

(Beifall CDU, SPD)

Vizepräsident Höhn:

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Abgeordne-ten Dittes, Fraktion Die Linke.

Abgeordneter Dittes, DIE LINKE:

Wenn Gedenktage Teil der Prävention wären, dannsäße die AfD-Fraktion seit dem 8. Mai 2016 nichtmehr im Landtag.

(Beifall DIE LINKE)

Leider stellt es sich in der Praxis etwas anders dar.

Meine Damen und Herren, egal welche Tonlage,der Inhalt ist es, der die AfD disqualifiziert, als Dis-kussionspartner bei Debatten über Gedenk- und Er-innerungskultur mitzumischen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, unddas will ich hier auch durchaus sagen, ist sicherlichnicht die 180-Grad-Wende, von der der AfD-Frak-tionsvorsitzende in Dresden fabulierte und für die ervon der Thüringer AfD Beifall erheischte. Er passtsich aber ein in eine politische Strategie der AfD,die zum Ziel hat, eine Gesellschaft permanent zuentzweien, die zum Ziel hat, Menschen aus einerglobalen Gesellschaft hinauszudrängen, und zwaran einer vermeintlichen Trennlinie des Islams. DerGrund dafür ist, dass es der AfD zuwider ist, in ei-ner freien Gesellschaft zu leben, in der Grundrechtewie die Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit nichtnur niedergeschriebene Rechte sind, sondern tat-sächlich gelebte Realität. Der AfD geht es mit die-

6228 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Walsmann)

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sem Gesetzentwurf nicht – und Frau Walsmann hates deutlich gesagt – um die Opfer von Terroran-schlägen, es geht hier um eben diese Strategie unddieser Gesetzentwurf reiht sich ein in eine Reiheanderer Anträge, die diese Fraktion hier in diesemLandtag genau dieser politischen Strategie folgendschon eingebracht hat. Ich will hier nur erinnern andas Gesetz zur Neutralität, das Gesetz zum Schutzdes öffentlichen Raums oder den Antrag zur Ände-rung der Thüringer Bauordnung. Und da die AfDverlangt hat, dass man sich konkret zu ihrem Ge-setzentwurf äußert, will ich das auch gern tun, undzwar sehr genau an dem, was sie uns hier vorge-legt hat und wie sie es begründet hat.

Erstens: Die AfD behauptet in ihrem Gesetzentwurf,Deutschland steht im Fadenkreuz des islamisti-schen Terrors. Das, meine Damen und Herren, be-zeichne ich tatsächlich als Verhöhnung der Opferweltweit terroristischer Anschläge.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Das sind fast 15.000 Menschen im Jahr 2015, vondenen 80 Prozent Muslime waren. Und ich glaube,wenn wir hier davon sprechen, dass wir in diesemLand im Fadenkreuz des Terrorismus stehen, dassdas Menschen in Afghanistan, im Irak, in der Türkeiund in vielen anderen Ländern, auch in Afrika nichtnachvollziehen können, weil sie alltäglich mit einerAngst vor Terroranschlägen umgehen und auch le-ben müssen.

Der Gesetzentwurf behauptet zweitens, es gäbe ei-ne Gleichgültigkeit in der Bundesrepublik Deutsch-land gegenüber den Opfern von Terroranschlägen.Dass dies falsch ist, haben wir gerade mit Hinweisauf die vielfältigen Gedenkveranstaltungen nachdem 19.12. dargestellt. Aber ich will auch einmalganz deutlich erinnern an die vielfachen Gedenk-veranstaltungen und Solidaritätsbekundungen nachden Anschlägen in Paris, nach den Anschlägen aufdie Redaktion von „Charlie Hebdo“, nach dem An-schlag auf das Bataclan-Theater oder auch nachden Anschlägen in Nizza und in Brüssel. Ich willaber auch deutlich sagen, dass uns in dieser Bun-desrepublik etwas mehr Anteilnahme auch zu Ge-sicht steht, wenn wir von Terroranschlägen in derTürkei, in Afghanistan, in Nigeria oder in den USAerfahren.

Drittens behauptet der Gesetzentwurf, es gäbe kei-nen Gedenktag für die Opfer des Terrorismus. Unddies ist ebenso falsch, meine Damen und Herren.Der 11. März ist der Europäische Tag des Geden-kens für die Opfer des Terrorismus; an dem Tag imJahr 2004 fand der Terroranschlag in Madrid statt.Seither erinnert dieser Tag an alle Opfer von Ter-roranschlägen und Terrorismus.

Zusammengefasst, meine Damen und Herren, oh-ne alles zu wiederholen, was ich und meine Kolle-

gen der Fraktionen der Grünen und der SPD in derersten Lesung gesagt haben: Wir lehnen den Ge-setzentwurf ab, weil die AfD nicht das Gedenkender Opfer im Blick hat, sondern Opfer für ihre eige-ne politische Strategie instrumentalisiert und damitneuerlich zur Entwürdigung von Opfern von Terror-anschlägen beitragen will. Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsident Höhn:

Es liegen mir jetzt keine weiteren Wortmeldungenaus den Reihen der Abgeordneten vor. Die Landes-regierung verspürt auch nicht den Wunsch nach ei-nem Redebeitrag, sodass ich die Aussprache zudiesem Tagesordnungspunkt schließe.

Wir stimmen jetzt ab über den Gesetzentwurf derFraktion der AfD in der Drucksache 6/3308 in zwei-ter Beratung. Wer dem seine Zustimmung gebenmöchte, bitte ich um das Handzeichen. Das sinddie Stimmen aus der AfD-Fraktion. Die Gegenstim-men bitte. Die Gegenstimmen kommen aus derCDU-Fraktion, der SPD-Fraktion, Bündnis 90/DieGrünen und Fraktion Die Linke. Der AbgeordneteKrumpe, fraktionslos, wenn ich es richtig gesehenhabe, hat auch dagegen gestimmt. Enthaltungen?Die habe ich nicht gesehen. Damit ist dieser Ge-setzentwurf abgelehnt. Ich schließe diesen Tages-ordnungspunkt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 8

Thüringer Gesetz zu dem Ab-kommen zur dritten Änderungdes Abkommens über dasDeutsche Institut für Bautech-nikGesetzentwurf der Landesregie-rung- Drucksache 6/3388 -ERSTE BERATUNG

Wünscht die Landesregierung das Wort zur Be-gründung? Das wird bejaht. Ich bitte Frau MinisterinKeller ans Pult.

Keller, Ministerin für Infrastruktur und Landwirt-schaft:

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete, sehr geehrte Gäste, dasvon Bund und Ländern getragene Deutsche Institutfür Bautechnik nimmt Aufgaben im Bereich der na-tionalen und internationalen Normung und der Zu-lassung von Bauprodukten und deren Überwa-chung wahr. Das DIBt-Abkommen konkretisiert dieAufgaben und regelt die Zusammenarbeit der amAbkommen Beteiligten einschließlich der Finanzie-rung des Instituts für Bautechnik. Eine Änderung

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6229

(Abg. Dittes)

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des DIBt-Abkommens ist – zur Klarstellung – we-gen geänderter europäischer Verordnungen – alsoEU-Bauproduktenverordnung und nationalerRechtsvorschriften, Bauproduktengesetz, Energie-einsparung – hier erforderlich. Daneben soll dieÜbertragung von Aufgaben durch einzelne Länderfür die anderen Länder kostenneutral ermöglichtwerden. Schließlich soll bei zukünftigem Bedarf dieAnpassung des Aufgabenkatalogs erleichtert wer-den. Das Kabinett hatte den Entwurf des Staatsver-trags am 31.03.2015 zur Kenntnis genommen. DerThüringer Landtag hatte am 11. Juni 2015 Gele-genheit zur Stellungnahme und hat dabei keine Be-denken geäußert. Danach habe ich den Staatsver-trag für den Freistaat unterschrieben. Da mittlerwei-le alle Länder und der Bund das Abkommen zurdritten Änderung des Abkommens über das Deut-sche Institut für Bautechnik unterschrieben haben,wird das erforderliche Zustimmungsgesetz nun demLandtag vorgelegt. Ich bitte um Beratung und Zu-stimmung. Vielen Dank.

Vizepräsident Höhn:

Vielen Dank, Frau Ministerin, für die Ausführungen.Ich eröffne die Beratung. Mir liegen keine Wortmel-dungen vor. Jetzt liegt eine Spontanwortmeldungvon Frau Abgeordneter Becker, SPD-Fraktion, vor.

Abgeordnete Becker, SPD:

Ich wollte nur die Überweisung an den Ausschussfür Infrastruktur, Landwirtschaft und Forsten bean-tragen.

Vizepräsident Höhn:

Sozusagen zur Geschäftsordnung.

Abgeordnete Becker, SPD:

Ja.

Vizepräsident Höhn:

Dann lassen Sie mich bitte erst die Beratung wiederschließen, was ich hiermit mangels Wortmeldungentue. Jetzt zur Geschäftsordnung der Antrag aufÜberweisung an den Ausschuss für Infrastruktur,Landwirtschaft und Forsten: Wer dieser Ausschuss-überweisung zustimmen möchte, den bitte ich umdas Handzeichen. Das sieht ziemlich einstimmigaus, sodass sich alle anderen Abstimmungsfragenerübrigen und der Antrag an den Ausschuss für In-frastruktur, Landwirtschaft und Forsten überwiesenist. Damit kann ich diesen Tagesordnungspunktschließen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 9

Erstes Gesetz zur Änderungdes Thüringer Umweltinforma-tionsgesetzesGesetzentwurf der Landesregie-rung- Drucksache 6/3431 -ERSTE BERATUNG

Auch hier die Frage nach dem Wunsch der Landes-regierung zur Begründung dieses Gesetzentwurfs.Das kann ich jetzt nicht erkennen.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Der Staats-sekretär ist nicht da!)

Bitte?

(Zwischenruf Werner, Ministerin für Arbeit,Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie:Er kommt gerannt!)

Herr Möller, kann es sein, dass Sie für die Landes-regierung den Gesetzentwurf zum Umweltinforma-tionsgesetz begründen möchten?

(Zuruf Möller, Staatssekretär: Ja!)

Dann haben Sie ja noch mal Glück gehabt und Siehaben das Wort.

Möller, Staatssekretär:

Vielen Dank, Herr Präsident. Meine sehr geehrtenDamen und Herren, ich habe offen gestanden nichtmehr damit gerechnet, dass das noch drankommt.

Das Umweltinformationsgesetz ist eine relativ un-spektakuläre Sache, wenn Sie sich das angeschauthaben – zwei Artikel mit einigen Regelungen. Ichwill trotzdem noch mal, um das ein bisschen einzu-ordnen, sagen, wo das Ganze herkommt. WissenSie, wie das war, wenn man vor 30 Jahren zu DDR-Zeiten Informationen erhalten wollte, zum Beispielin Jena, warum die Saale so braunes Wasser hatoder was da im Zeiss-Heizwerk in Jena-Nord ver-brannt wird, oder wenn man wissen wollte, was aufder Schadstoffdeponie in Zimmern bei Dornburg imklüftigen Kalkstein im ehemaligen Kalksteinbruchohne Bodenabdichtung abgelagert wird? Dann hatman nicht nur keine Informationen bekommen, manwurde quasi kriminalisiert, man musste sich recht-fertigen, man wurde an den Pranger gestellt. Jahr-zehntelang hat die Umweltbewegung – und ichglaube, in West und Ost – darum gekämpft, Zugangzu behördlichen Informationen zu erhalten. Erst1994 sind mit dem ersten Umweltinformationsge-setz auf Bundesebene die Wege geebnet worden.2004 ist dann das Bundesumweltinformationsge-setz novelliert worden. Damals wurden dann alleBehörden verpflichtet, Umweltinformationen, die fürihre Aufgaben von Bedeutung sind, tatsächlichauch zu veröffentlichen, also proaktiv den Men-schen zugänglich zu machen. Darüber hinaus wur-de der Umweltinformationsbegriff auf Gesundheit,

6230 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Ministerin Keller)

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auf Sicherheit und auf Tätigkeiten und Maßnah-men, die sich auf die Umwelt auswirken können, er-weitert. Außer den Behörden sind seit 2004 auchandere nicht staatliche Stellen auskunftspflichtig.Die Bürgerinnen und Bürger sollen sich sozusagenzum Anwalt der Umwelt machen können. DurchTransparenz und Öffentlichkeit sollen die Bevölke-rung und die Umweltverbände in die Lage versetztwerden, Vollzugsdefizite und mögliche Gefahrenund Probleme, aber auch neue Aufgaben zu erken-nen.

Mit dem Thüringer Umweltinformationsgesetz vom20. Oktober 2006 sind die zwingenden Vorgabendes von der Bundesregierung gezeichneten Ab-kommens über den Zugang zu Informationen usw.,also die sogenannte Aarhus-Konvention, sowie dieRichtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlamentsund des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zu-gang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationenumgesetzt worden. Erste Erwägung in dieser Richt-linie ist es, das Umweltbewusstsein zu schärfen,einen freien Meinungsaustausch und eine wirksa-mere Teilnahme der Öffentlichkeit an Entschei-dungsverfahren zu Umweltfragen zu ermöglichenund so letztendlich den Umweltschutz zu verbes-sern. Zwischenzeitlich sind zu den Umweltinforma-tionsgesetzen des Bundes und der Länder mehre-re, auch höchstrichterliche Urteile ergangen. DasUmweltinformationsgesetz des Bundes ist bereitsan die europäischen Vorgaben angepasst worden.Das Gleiche soll nun in Thüringen mit dem vorlie-genden Änderungsgesetz erfolgen.

Im Wesentlichen handelt es sich um folgende An-passungen: Erstens wird klargestellt, dass obersteLandesbehörden nur bis zum Abschluss eines Ge-setzgebungsverfahrens von der Informationspflichtausgenommen sind.

Zweitens – im Gegensatz zur bisherigen Regelung– sind oberste Landesbehörden nunmehr nur nochim Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens vonder Informationspflicht ausgenommen, nicht mehrbeim Erlass von Rechtsverordnungen.

Drittens sind auch Gebietskörperschaften des Lan-des, die im Rahmen der Rechtsetzung tätig wer-den, nicht mehr von den Informationspflichten be-freit, da es sich hierbei stets um im Rang unter ei-nem Gesetz stehendes Recht handelt.

Viertens ist der Begriff der Kontrolle einer juristi-schen Person des öffentlichen Rechts durch die öf-fentliche Hand konkretisiert worden.

Mit diesen vier Änderungen werden Informations-rechte wiederum erweitert und gestärkt. Sie sindzwingend, da ansonsten die Einleitung eines Ver-tragsverletzungsverfahrens droht. Im Rahmen derBeteiligung der Verbände wies lediglich der Ge-meinde- und Städtebund Thüringens darauf hin,dass durch das Änderungsgesetz künftig auch die

Rechtsetzung der Gebietskörperschaften in denAnwendungsbereich des Thüringer Umweltinforma-tionsgesetzes fallen würde. Der hierdurch entste-hende erhebliche Kostenaufwand sei kostenmäßigauszugleichen. Dies ist allerdings nicht zutreffend,denn mit der beabsichtigten Änderung werden kei-ne neuen Informationspflichten für die Gebietskör-perschaften geschaffen, sondern es wird lediglichder Zeitpunkt verändert, ab dem die Pflicht zur Her-ausgabe von Informationen besteht. Mehrkostenfallen also an dieser Stelle nicht an. Darüber hinausgab es keine weiteren Einwendungen, sodass ichdavon ausgehe, dass dieses Gesetz den parlamen-tarischen Gang in einem großen Konsens passie-ren kann. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung. VielenDank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsident Höhn:

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ich eröffne dieAussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. AlsErstem erteile ich Herrn Abgeordneten Krumpe dasWort.

Abgeordneter Krumpe, fraktionslos:

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kollegen Abge-ordnete, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf istder Landesregierung ein großer Wurf gelungen –allerdings nicht nach vorn, sondern ganz weit nachhinten. In der 53. Plenarsitzung im Juni 2016 habenmehr als zwei Drittel der Abgeordneten die Landes-regierung gebeten, bis zum März 2017 ein Trans-parenzgesetz vorzulegen, welches das bestehendeThüringer Umweltinformationsgesetz integriert. Esist in höchstem Maße ineffizient, das Thüringer Um-weltinformationsgesetz heute ändern zu wollen undbereits in einem Monat, also jetzt im März, einTransparenzgesetz vorzulegen, welches die heuti-ge Änderung integrieren soll, und die dann ersteinen Monat alte Gesetzesnovelle als eigenständi-ges Gesetz wieder außer Kraft zu setzen.

Meine sehr verehrten Kollegen, ich halte das für ge-setzgeberischen Blödsinn. Ich plädiere deshalb da-für, die knappe Zeit einer Legislatur für die wirklichgroßen Würfe nach vorn zu verwenden, indem dieLandesregierung bis zum kommenden Monat demWillen des Parlaments nachkommt und einen Ent-wurf für das Thüringer Transparenzgesetz vorlegt,welches den Regelungsinhalt des heute hier vorlie-genden Gesetzentwurfs integriert.

Ich halte den Gesetzentwurf auch deshalb für obso-let, da nach wie vor eine institutionelle Schlich-tungs- und Kontrollinstanz wie die des ThüringerLandesbeauftragten für den Datenschutz und dieInformationsfreiheit fehlt. Der Thüringer Beauftragtefür Informationsfreiheit muss zukünftig die Legitima-

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6231

(Staatssekretär Möller)

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tion für Kontrollmöglichkeiten im Zusammenhangmit Umweltinformationen erhalten, nur dann kannder Zugang zu Umweltinformationen auch tatsäch-lich wirksam sichergestellt werden. Vielleicht – aberdas kann ich heute hier nur vermuten – signalisiertdie Änderung des Thüringer Umweltinformationsge-setzes in Form der Beibehaltung eines dediziertenGesetzes für den Zugang zu Umweltinformationenauch den Fakt, dass die Landesregierung in Verzugmit der Ausarbeitung eines Transparenzgesetzesauf Grundlage des Entwurfs unseres Informations-freiheitsbeauftragten ist. Ich werde deshalb mit Ar-gusaugen die kommende Plenareinladung studie-ren, ob dieser Tagesordnungspunkt „Transparenz-gesetz“ draufsteht. Wenn nicht – das versprecheich –, dann werde ich jede Trompete hier in Thürin-gen blasen, um diese Landesregierung tagtäglichdaran zu erinnern, diesen Entwurf für ein Transpa-renzgesetz vorzulegen. Herzlichen Dank.

(Beifall CDU)

Vizepräsident Höhn:

Als Nächstem erteile ich Herrn Abgeordneten Kieß-ling, Fraktion der AfD, das Wort.

Abgeordneter Kießling, AfD:

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Abgeordne-te, liebe Zuschauer! Die mit dem Gesetzentwurfvorgenommenen Änderungen am Thüringer Um-weltinformationsgesetz sind zu begrüßen. Sie wer-den dazu führen, dass die oberste Landesbehördebeim Erlass von Rechtsverordnungen ebenfalls derInformationspflicht unterliegt. Damit wird mehr Öf-fentlichkeit beim Erlass von Rechtsverordnungengeschaffen. So lässt sich das Recht der Bürgerbeim Zugang auf Umweltinformationen stärken,denn im Gegensatz zu einem parlamentarischenGesetzgebungsverfahren finden die exekutivenNormsetzungen meist hinter verschlossenen Türenstatt.

Doch der Gesetzentwurf eröffnet zugleich den Blickauf die Informationspraxis der Landesregierung.Diese Informationspraxis muss in einen größerenZusammenhang eingeordnet werden. Es mag sein,dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf mehr In-formationspflichten nachgekommen werden muss.Allerdings stellt sich die Frage, wie denn das Um-weltministerium und auch andere Ministerien sonstmit ihren Anfragen umgehen. Wir erinnern uns andie peinliche Verweigerung des Infrastrukturminis-teriums gegenüber den Anfragen des Herrn Krum-pe. In diesem Fall handelte es sich um Geodaten.Er wurde zwischen den Ausschüssen hin und hergeschickt und zum Schluss sollte er auch noch –glaube ich – 20.000 Euro für die Informationen be-zahlen. Es war schon mehr als peinlich.

Dass die Landesregierung im Umweltbereich mitverdeckten Karten spielt, zeigt sich auch in anderenBereichen, namentlich bei der Windkraft. So wurdedie Landesregierung im August 2016 gefragt, wieviele Anträge für Windkraftanlagen im LandgebietThüringen vorliegen. Die Antwort lautete: Dazu gibtes keine Statistik. Am 13. Februar 2017 allerdingskonnte man aber der Presse entnehmen, dass lautEnergieministerium 97 neue Windkraftanlagen ge-nehmigt seien. Hört, hört! Da fragt man sich doch,wie öffentlich diese Landesregierung arbeitet. Wirbezweifeln, dass die Landesregierung an dieserGeheimhaltung in Zukunft etwas ändert. Auch dasneue Umweltinformationsgesetz hilft da nicht wei-ter. Man kann deshalb nur appellieren, dass dieLandesregierung in Zukunft mehr Ehrlichkeit an denTag legt.

Man muss einem weiteren Punkt mehr Beachtungschenken und das ist der Punkt der Mitwirkung derBürger. Selbst wenn das neue Umweltinformations-gesetz mehr Informationsrechte gewährt, ändert esnichts an der fehlenden Mitwirkung der Bürger.Auch da liefert die Landesregierung ein schlechtesBeispiel – das ist der Windkrafterlass. HunderteEinwände fanden keine Berücksichtigung und dasInfrastrukturministerium verhöhnte die Bürger desländlichen Raums. Heute hatten wir gehört, hierwurde schwadroniert von Mitbestimmung, von Dia-log, aber was wir erleben, ist ein postfaktischer Dia-log, eher ein Monolog. Hier sagt die AfD als Hei-matpartei klar, dass neben den Informationsrechtenauch Mitwirkungsrechte der Bürger eingeführt wer-den müssen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Vizepräsident Höhn:

Als Nächster hat sich Abgeordneter Dittes, FraktionDie Linke, zu Wort gemeldet.

Abgeordneter Dittes, DIE LINKE:

Meine Damen und Herren, man merkte an den ein-führenden Worten des Staatssekretärs Möller, aberauch am Beitrag des Abgeordneten Krumpe, dassman, wenn man über das Umweltinformationsge-setz redet, möglicherweise nicht exakt am vorlie-genden Gesetzentwurf bleibt, zumindest als Poli-tiker nicht, denn wir sind alle keine Volljuristen odernur die Wenigsten von uns. Auf den ersten Blick istdas Umweltinformationsgesetz, dessen Änderunghier zur Beratung ansteht, ein sehr technisches Ge-setz. Es setzt Rechtsprechung um. Diese Umset-zung ist für den Freistaat Thüringen verpflichtendund man muss maximal in den Ausschussberatun-gen klären, miteinander diskutieren, ob es in derForm der Umsetzung gelungen ist oder ob mögli-cherweise an der einen oder anderen Stelle nochUmformulierungen notwendig sind.

6232 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Krumpe)

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Ich bin dem Staatssekretär auch sehr dankbar,dass er den politischen Einstieg gewählt hat, indemer ein Stück weit an die Geschichte erinnert hat,wie gerade im Umweltinformationsbereich Transpa-renz entstanden ist, weil Menschen natürlich einenAnspruch darauf haben, die Informationen zu erhal-ten, die maßgeblich dafür verantwortlich sind, wieihr Leben beeinflusst wird, und zwar auch auf langeDauer. Und ich glaube, wir müssen den Gedanken,der im Umweltinformationsgesetz tatsächlich ver-wirklicht ist, auf viele andere Verwaltungsbereicheausweiten

(Beifall DIE LINKE)

und – Herr Krumpe hat darauf hingewiesen – des-wegen hat dieser Landtag sich ja auch den Fragender Informationsfreiheit in den übrigen Verwaltungs-bereichen zugewandt und dort entsprechende Be-schlussfassung beantragt und dann auch eine ent-sprechende Beschlussfassung mit der Aufforderungan die Landesregierung hier vollzogen. Herr Krum-pe, ich bin Ihnen dankbar für Ihren Beitrag, weil ichmir natürlich auch gewünscht hätte, dass wir dieseeher technisch-rechtlich verpflichtende Umsetzungim Umweltinformationsgesetz gleichzeitig verbindenmit der Beschlussfassung über ein neues Transpa-renzgesetz, welches tatsächlich entsprechend desAntrags und des Beschlusses des Thüringer Land-tags Informationsfreiheitsgesetz und Umweltinfor-mationsgesetz verbindet. Im Unterschied zu Ihnensehe ich allerdings hier noch keinen gesetzgeberi-schen „Blödsinn“, wie Sie es formuliert haben, son-dern einen Arbeitsauftrag der Landesregierung, ei-ne notwendige Änderung im Bereich des Umweltin-formationsgesetzes dem Landtag zur weiteren Be-ratung zu übertragen, weil diese notwendige rechtli-che Änderung auch in dem Teil eines Transparenz-gesetzes niedergeschrieben werden muss, der dieUmweltinformationen selbst betrifft. Insofern habenwir hier einen wesentlichen Baustein, den wir natür-lich in die nachfolgenden gesetzgeberischen Bera-tungen mit einbeziehen müssen. Und wir sind es,die uns möglicherweise vor dem gesetzgeberischen„Blödsinn“ bewahren können, nicht aber die Lan-desregierung dafür verantwortlich ist, sondern siehat hier verpflichtendermaßen einen Beitrag für dieDiskussion geliefert. Die Art und Weise der Umset-zung, darüber muss das Parlament selbst entschei-den. Und ich wünsche mir natürlich, dass wir dasgemeinsam auch verbinden mit dem Transparenz-gesetz, was wir in naher Zukunft beraten werden.Ich habe gerade noch mal im Internet nachge-schaut, es gibt ja auch einen Web-Countdown, HerrStaatssekretär Götze; noch 37 Tage, 15 Stundenund etwa 40 Minuten, dann ist es so weit. Ich bin jabereit, auch darüber zu diskutieren, wenn genaudiese 37 Tage, 15 Stunden und 40 Minuten nichteingehalten werden im Interesse auch der Qualitäteines Gesetzentwurfs, vielleicht die eine oder ande-re Stunde, vielleicht auch den einen oder anderen

Tag da noch dranzuhängen. Ich glaube, daran wirdes auch bei Ihnen, Herr Krumpe, nicht scheitern.Aber ich freue mich auf diese Diskussion. Und ichglaube, wir sollten diese Gelegenheit nutzen, nochmal darauf zu verweisen, dass wir hier einen Sach-zusammenhang haben werden, dem wir uns stellenmüssen. Herr Krumpe, ich weiß ja nicht, wie SieTrompete spielen, aber ich möchte gerne vermei-den, das kennenzulernen. Und deswegen, weil Siein Bildern gesprochen haben, will ich vielleicht IhrBild auch aufgreifen. Sie haben gesagt, Sie werdenmit Argusaugen auf den weiteren Prozess achten.Wenn ich das jetzt richtig schnell eruieren konnte,war der Riese Argus dafür verantwortlich, ein Schä-ferstündchen zwischen Zeus und Io zu verhindern.Nehmen Sie Zeus für das Informationsfreiheitsge-setz, nehmen Sie Io für das Umweltinformationsge-setz, dann sollten wir uns auf das Schäferstünd-chen freuen und nicht mit Argusaugen darauf wa-chen, dass es nicht zustande kommt, sondern eseigentlich gemeinschaftlich befördern. Ich sehe hierauch die Landesregierung an unserer Seite und da-für möchte ich mich herzlich bedanken.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsident Höhn:

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Weitere Wortmel-dungen sehe ich nicht. Es wäre jetzt hilfreich, wenneine Fraktion einen Antrag auf Ausschussüberwei-sung stellen würde. Ich sehe eine Wortmeldung vonFrau Abgeordneter Becker.

Abgeordnete Becker, SPD:

Wir beantragen die Überweisung an den Innen- undKommunalausschuss und an den Umwelt- und Na-turschutzausschuss und federführend Umwelt.

Vizepräsident Höhn:

Zunächst entscheiden wir über die Ausschussüber-weisung an den Innen- und Kommunalausschuss.Wer dem seine Zustimmung gibt, den bitte ich umdas Handzeichen. Das sind die Stimmen aus derKoalition und der AfD-Fraktion. Gegenstimmen?Gegenstimmen aus der CDU-Fraktion. Enthaltun-gen? Die sehe ich nicht. Damit ist diese Überwei-sung angenommen.

Wer mit der Überweisung an den Ausschuss fürUmwelt, Energie und Naturschutz einverstandenist, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Dassind die Stimmen aus allen Fraktionen, einschließ-lich der fraktionslosen Abgeordneten. Damit ein-stimmig beschlossen.

Nun entscheiden wir über die Federführung. Werdie Federführung bei dem Ausschuss für Umwelt,Energie und Naturschutz festlegen möchte, den bit-te ich um das Handzeichen. Auch das hat die Zu-stimmung von allen Abgeordneten. Vielen Dank.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6233

(Abg. Dittes)

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Damit schließe ich diesen Tagesordnungspunkt. –Herr Blechschmidt hatte sich noch mal gemeldet?

(Zuruf Abg. Blechschmidt, DIE LINKE: Nein!)

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 10

Thüringer Gesetz zur Ausfüh-rung des Therapieunterbrin-gungsgesetzes (ThürThUGAG)Gesetzentwurf der Landesregie-rung- Drucksache 6/3441 -ERSTE BERATUNG

Gibt es den Wunsch nach Begründung dieses Ge-setzentwurfs? Herr Minister Lauinger, Sie habendas Wort.

Lauinger, Minister für Migration, Justiz und Ver-braucherschutz:

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrtenDamen und Herren Abgeordneten, der Ihnen vorlie-gende Gesetzentwurf soll das Therapieunterbrin-gungsgesetz des Bundes im Freistaat Thüringenumsetzen. Das Therapieunterbringungsgesetz desBundes war die Reaktion auf ein Urteil des Euro-päischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausdem Jahr 2009. In diesem Urteil hatte der Gerichts-hof die rückwirkende Aufhebung der Zehn-Jahres-Grenze für die erstmalige Sicherungsverwahrungdurch die Änderung des Strafgesetzbuches im Jahr1998 für unvereinbar mit der Europäischen Men-schenrechtskonvention erklärt.

Vizepräsident Höhn:

Einen kleinen Augenblick, Herr Minister. Ich mussSie mal kurz unterbrechen. Ich bitte doch, wenn wiruns schon gemeinsam dazu entschieden haben,am heutigen Mittwoch länger zu machen, auch umdie entsprechende Aufmerksamkeit von allen Abge-ordneten, auch um diese Zeit. So, Herr Minister,Sie dürfen fortsetzen.

(Zwischenruf Abg. König, DIE LINKE: Michhat vorher keiner gefragt!)

Lauinger, Minister für Migration, Justiz und Ver-braucherschutz:

Das Therapieunterbringungsgesetz des Bundes er-laubt die Unterbringung von verurteilten Straftäternin geschlossenen Einrichtungen, wenn die Verur-teilten deshalb nicht länger in der Sicherungsver-wahrung untergebracht werden dürfen, weil diesgegen das Verbot der rückwirkenden Verschärfungim Recht der Sicherungsverwahrung verstoßenwürde. Voraussetzung für eine Unterbringung nachdem Unterbringungsgesetz ist, dass die betroffenePerson unter einer psychischen Störung leidet, wel-

che dazu führt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeitdas Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per-sönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestim-mung einer anderen Person erheblich beeinträch-tigt werden. Zudem muss die Unterbringung zumSchutz der Allgemeinheit erforderlich sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei derVerabschiedung des Therapieunterbringungsge-setzes im Jahr 2010 ging der Bundesgesetzgebervon circa hundert Personen bundesweit aus, die füreine Unterbringung aufgrund dieses Gesetzes infra-ge kamen. Dabei handelt es sich, wie gesagt, umBetroffene, die vor dem 31. Januar 1998 verurteiltworden waren, und somit um einen abgeschlosse-nen Personenkreis. Danach unterfallen zur Siche-rungsverwahrung Verurteilte nicht dem Anwen-dungsbereich dieses Gesetzes.

Seit der Verabschiedung des Gesetzes ist mittler-weile einige Zeit verstrichen. Die bisherige Erfah-rung hat gezeigt, dass entgegen der ursprünglichenSchätzung das Therapieunterbringungsgesetz bis-her kaum angewandt wurde. Derzeit wird bundes-weit lediglich eine einzige Person aufgrund diesesGesetzes untergebracht. Das Therapieunterbrin-gungsgesetz selbst trifft keine Aussage, wo die Be-troffenen untergebracht werden sollen. Dies sowiedie Modalitäten der Unterbringung müssen von je-dem einzelnen Bundesland eigenständig festgelegtwerden.

Der nunmehr dem Landtag vorgelegte Gesetzent-wurf enthält dazu im Wesentlichen folgende Rege-lungen: Das für Justiz zuständige Ministeriumnimmt die Aufgaben und Befugnisse der unterenVerwaltungsbehörde nach dem Therapieunterbrin-gungsgesetz wahr. Die Therapieunterbringung wirdgrundsätzlich in Einrichtungen der Sicherungsver-wahrung vollzogen. Ausnahmsweise kann sie auchin einer Einrichtung des Maßregelvollzugs erfolgen,wenn dies für die Behandlung der psychischen Stö-rung besser geeignet ist. In diesem Fall hat das fürGesundheit zuständige Ministerium zuvor sein Ein-vernehmen zu erteilen. Vollzugsziel der Unterbrin-gung ist es, die infolge einer psychischen Störungbestehende Gefährlichkeit der Untergebrachten fürdie Allgemeinheit so zu mindern, dass die Anord-nung der Therapieunterbringung möglichst baldaufgehoben werden kann. Die Untergebrachten sol-len befähigt werden, künftig ein Leben in sozialerVerantwortung ohne Straftaten zu führen. Der Voll-zug der Therapieunterbringung ist medizinisch-the-rapeutisch und unter Berücksichtigung der notwen-digen Sicherheitsbelange freiheitsorientiert auszu-richten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die zu er-wartenden Fallzahlen des Gesetzes sind, wie ichIhnen schon gesagt habe, sehr gering. Bisher hates in Thüringen keinen einschlägigen Fall gegeben.Allerdings – und deshalb auch die Einbringung heu-

6234 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Vizepräsident Höhn)

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te – ist unter Umständen mit einem solchen zurechnen. So befindet sich derzeit ein Verurteilteraus Thüringen in Sicherungsverwahrung, dergrundsätzlich für eine anschließende Therapieun-terbringung infrage käme. Bei diesem Sicherungs-verwahrten läuft die Zehn-Jahres-Frist im Februar2018 ab. Schließlich kann auch nicht ausgeschlos-sen werden, dass ein aus der Sicherungsverwah-rung Entlassener eines anderen Bundeslandes sei-nen Wohnsitz nach Thüringen verlegt. In jedem Fallhat daher die Landesregierung Vorsorge zu treffen,um die Umsetzung des Unterbringungsgesetzes imFreistaat Thüringen zu gewährleisten. Ich bitte Siedaher ausdrücklich um Zustimmung zu dem Ge-setzentwurf, der Ihnen vorgelegt wurde, und dankefür Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsident Höhn:

Vielen Dank, Herr Minister. Ich eröffne die Ausspra-che und es hat sich Abgeordneter Brandner für dieAfD-Fraktion zu Wort gemeldet.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Meine Damen und Herren, angesichts der Materie,die dieser durch die Landesregierung eingebrachteGesetzentwurf abhandelt – es geht um freiheitsent-ziehende Maßnahmen, unter Umständen lebens-lang, also über das hinaus, was das Strafrecht vor-sieht, zu vollziehen an bestimmten Straftätern, dieweiter gefährlich sind und vor denen die Allgemein-heit daher zu schützen ist –, verbietet sich jeglichePolemik. Ich hoffe, dass wir das im Justizausschussin der gebotenen Gelassenheit besprechen können.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Das liegt ganz an Ihnen!)

Aber obwohl kein einziger Fall, wie Herr Lauingersagte, bisher in Thüringen so behandelt wurde – ei-ner bahnt sich an –, muss die Frage erlaubt sein,warum die Landesregierung wiederholt einen wich-tigen Gesetzentwurf erst kurz vor knapp einbringtund sich und uns, den Landtag und den Justizaus-schuss, so ohne Veranlassung in Zeitnot bringt.Das Gesetz soll am 01.04.2017 – also in etwasechs Wochen – in Kraft treten. Zur Beratung inden Ausschüssen bleibt also nur noch eine Sitzung,nämlich die im März. Das wird für gründliche Arbeit,die wir im Justizausschuss leisten, nicht ausrei-chen, denn unseres Erachtens muss auch eineMehrzahl von Beteiligten und Betroffenen – nichtBetroffenen im Sinne von denen, die da drinbleibenmüssen, sondern Betroffenenorganisationen – an-gehört, befragt und die Befragungen dann auchausgewertet werden. Das kann unseres Erachtensin der Kürze der Zeit unmöglich geschehen. DasRegelungsproblem bzw. den Auftrag gibt es bereits

seit dem Jahr 2010, also seit ungefähr sieben Jah-ren. Seit 2013, also seit ungefähr vier Jahren, istdas Thüringer Justizministerium dafür zuständig.Seit 2012, also seit ungefähr fünf Jahren, gibt eseinen Grundlagenentwurf des Strafvollzugsaus-schusses der Länder. Zudem hat man das hessi-sche Gesetz zur Therapieunterbringung beispielge-bend herangezogen. Das gibt es übrigens seit un-gefähr vier Jahren, nämlich seit 2013. Jetzt fragenwir uns: Warum in aller Welt braucht die Landesre-gierung bis in das Jahr 2017, um ein eigenes, not-wendiges, seit Jahren absehbares und grund-rechtsbeschränkendes Gesetz auf den Weg zubringen? Vielleicht kümmert man sich im Justizmi-nisterium wirklich in Zukunft um wichtige Dinge,nämlich um solche, wie sie in diesem Gesetz gere-gelt werden sollen, und weniger um Auslandsreisender Ministerkinder, weniger um Rechtskundeunter-richt für Flüchtlinge und auch weniger um die „Refu-gee Law Clinic“ in Jena. Überhaupt, meine Damenund Herren, sollte sich das Justizministerium weni-ger um den Bereich Migration kümmern und zurKenntnis nehmen, dass der Schwerpunkt der minis-teriellen Arbeit auf Justiz liegen muss und soll.

(Beifall AfD)

Zwei Leute hören mir zu und klatschen!

Dann passieren auch weniger unter anderem ter-minliche Pannen so wie diese hier. Weniger würdenauch – das meine ich ernst – die an mich herange-tragenen Beschwerden auch führender Mitarbeiter,Herr Lauinger, aus Ihrem Ministerium, die sich seitIhrem Amtsantritt über die Art und Weise beklagen,wie Sie das Ministerium führen, und die sich da-rüber beklagen, welche aus ihrer Sicht haarsträu-bende Schwerpunktsetzung in Ihrem Ministeriumfür Migration, Justiz und Verbraucherschutz stattfin-det. Mir wurde sinngemäß mitgeteilt, das ehemalsstolze Justizministerium wäre nicht weit davon ent-fernt, verkommen zu sein.

Inhaltlich diskutieren, meine Damen und Herren, imAusschuss müssen wir dann vor allem die Erfah-rungen der vergangenen Jahre, vor allem die Erfah-rungen in Hessen, wo es so ein Gesetz gibt, undauch die Erfahrungen, die Betroffene und Betroffe-nenverbände gemacht haben. Ich freue mich aufdie Auseinandersetzung und die sachliche Debatteim Justizausschuss und – ich weiß nicht, ob esschon beantragt wurde – ich beantrage die Über-weisung an den Ausschuss für Migration, Justizund Verbraucherschutz. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Vizepräsident Höhn:

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Dannschließe ich die Aussprache. Es ist Ausschussüber-weisung an den Ausschuss für Migration, Justizund Verbraucherschutz beantragt. Wer dem zu-

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6235

(Minister Lauinger)

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stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Das istZustimmung aus allen Fraktionen einschließlich derfraktionslosen Abgeordneten. Damit ist diese Aus-schussüberweisung beschlossen. Damit schließeich den Tagesordnungspunkt 10.

Ich habe das unmissverständliche Signal bekom-men, jetzt den Tagesordnungspunkt 11 zum Auf-ruf zu bringen, was ich hiermit tue.

Dreizehntes Gesetz zur Ände-rung des Thüringer Abgeord-netengesetzes (Gesetz zur An-passung der Altersentschädi-gung der Abgeordneten)Gesetzentwurf der Fraktion derAfD- Drucksache 6/3438 -ERSTE BERATUNG

Abgeordneter Brandner, AfD:

Herr Präsident, entschuldigen Sie, dass ich Ihnenins Wort falle, aber der Ältestenrat war übereinge-kommen, nach 18.30 Uhr nichts mehr aufzurufen.Herr Höcke hat sich darauf verlassen. Herr Höckewill unsere Einbringungsrede halten; er ist nicht da.Sie können jetzt nicht plötzlich das außer Kraft set-zen, was im Ältestenrat vereinbart wurde.

Vizepräsident Höhn:

Es gab in der Tat die Vereinbarung des Ältesten-rats. Es ist an mich der Wunsch mehrerer Parla-mentarischer Geschäftsführer herangetragen wor-den. Dann gibt es nur eine Möglichkeit, darüber ab-stimmen zu lassen, ob wir diesen Tagesordnungs-punkt aufrufen, weil der Souverän immer noch dasPlenum ist.

Dann lasse ich darüber abstimmen, ob wir den Ta-gesordnungspunkt 11 jetzt noch zum Aufruf brin-gen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um dasHandzeichen. Das sind die Stimmen aus der CDU-Fraktion, der SPD-Fraktion, Bündnis 90/Die Grü-nen, Die Linke und des Abgeordneten Gentele. Ge-genstimmen? Die Gegenstimmen kommen aus derAfD-Fraktion. Damit ist jetzt eine Mehrheit dafür,diesen Punkt aufzurufen.

Ich wiederhole noch einmal meinen Aufruf des Ta-gesordnungspunkts 11, die erste Beratung desDreizehnten Gesetzes zur Änderung des ThüringerAbgeordnetengesetzes, ein Gesetz zur Anpassungder Altersentschädigung der Abgeordneten, ein Ge-setzentwurf der Fraktion der AfD, in der Drucksa-che 6/3438.

Gibt es seitens der Einreicher den Wunsch nachBegründung des Gesetzentwurfs? Herr Abgeordne-ter Brandner?

Abgeordneter Brandner, AfD:

Ich beantrage die Vertagung dieses Tagesord-nungspunkts und darüber namentliche Abstim-mung.

Vizepräsident Höhn:

Eine namentliche Abstimmung über einen Ge-schäftsordnungsantrag sieht die Geschäftsordnungso nicht vor. Wir haben eben darüber abgestimmt,ob dieser Tagesordnungspunkt zum Aufruf kommt.Es ist beschlossen worden, diesen Tagesordnungs-punkt jetzt aufzurufen. Das habe ich damit getan.Ich habe jetzt die einreichende Fraktion gefragt, obes den Wunsch nach Begründung ihres Gesetzent-wurfs gibt. Die Frage ist bislang noch nicht beant-wortet worden.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE:Nichtantwort heißt Nein!)

Abgeordneter Brandner, AfD:

Weil ich die Vertagung des Tagesordnungspunktsbeantragt habe. Ich suche gerade in der Geschäfts-ordnung, wo der Antrag steht: Auf Antrag einerFraktion kann das beantragt werden. Das beantra-ge ich hiermit.

Vizepräsident Höhn:

Ich kann Ihnen helfen, § 44 Abs. 4 der Geschäfts-ordnung: „Namentliche Abstimmung ist unzulässigüber“ – dann schauen wir mal 1., 2., 3., 4., –„5. Vertagung der Sitzung, 6. Vertagung der Ab-stimmung, 7. Vertagung der Beratung“. Herr Kolle-ge Brandner, meine Feststellung, dass dieser An-trag unzulässig ist, bleibt bestehen und …

Abgeordneter Brandner, AfD:

Herr Präsident, da brauchen Sie jetzt in IhrerStimmlage nicht eine Oktave höher zu rutschen. Ichhabe beantragt, …

Vizepräsident Höhn:

Wie meine Stimmlage ausgestaltet wird, das ent-scheiden Sie nicht.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Ich habe beantragt, über die Vertagung dieses Ta-gesordnungspunkts abzustimmen. Dieser Antragdürfte ohne Zweifel zulässig sein.

Vizepräsident Höhn:

Dieser Antrag ist ohne Zweifel unzulässig. Ein Blickin die Geschäftsordnung könnte Ihnen darüber Auf-schluss geben und ich lasse jetzt keine Diskussiondarüber mehr zu. Die Beratung wird fortgesetzt. Ich

6236 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Vizepräsident Höhn)

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frage noch mal nach dem Wunsch nach Begrün-dung dieses Tagesordnungspunkts.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Herr Präsident, ich möchte Stellung nehmen. Wirbeantragen, den Justizausschuss zur Beantwortungdieser Frage einzuberufen – das ist § 113.

Vizepräsident Höhn:

Herr Kollege Brandner, schauen Sie bitte in die Ge-schäftsordnung § 44.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Nein, wir schauen mal in den § 120, ist das, glaubeich, oder? § 121 Abs. 2.

Vizepräsident Höhn:

Nein, er hat ja namentliche Abstimmung beantragt.

(Zwischenruf Abg. Bühl, CDU: Er wollte na-mentliche Abstimmung!)

Oder habe ich mich da verhört? Namentlich wirddarüber nicht abgestimmt.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Einen nor-malen Geschäftsordnungsantrag hat ergestellt!)

Das kann er. Wenn Sie wünschen, lassen wir imPlenum darüber abstimmen, ob dieser …

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Ich habeeinen Antrag gestellt. Jetzt lassen Sie da-rüber abstimmen!)

Herr Kollege Brandner, Sie haben jetzt nicht dasWort. Sie haben jetzt nicht das Wort! Sie habeneinen Antrag auf namentliche Abstimmung gestellt,von dem ich Ihnen erklärt habe, dass er unzulässigist.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Den habe ich erst gestellt und dann nicht mehr,Herr Präsident.

Vizepräsident Höhn:

Der Antrag auf Abstimmung ist sehr wohl zulässig.Und dann lasse ich jetzt darüber abstimmen, obdieser Punkt …

Abgeordneter Brandner, AfD:

Herr Präsident, ich beantrage namentliche Abstim-mung darüber.

(Heiterkeit DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Höhn:

Herrgott noch mal! Die namentliche Abstimmung –noch einmal, ich versuche es im Guten mit Ihnen,ich versuche es wirklich im Guten – über einen sol-chen Antrag ist unzulässig. Der Antrag an sich istzulässig. Deswegen hat das Plenum die Möglich-keit, jetzt über Ihren Antrag per Handzeichen abzu-stimmen.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Entschuldigen Sie bitte, ich deute jetzt Ihre Ent-scheidung so, als wollten Sie sagen, der Antrag aufnamentliche Abstimmung sei unzulässig. Ja undgegen diese Entscheidung lege ich nach § 121Abs. 2 GO namens der AfD-Fraktion Einspruch einund beantrage, den Justizausschuss einzuberufen.

(Heiterkeit DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Höhn:

Das können Sie gern tun. Dann wird sich jetzt inwenigen Minuten umgehend der Ausschuss für Mi-gration, Justiz und Verbraucherschutz treffen undich unterbreche so lange die Sitzung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir set-zen die Sitzung fort. Auf Antrag der AfD-Fraktionhat der Ausschuss für Migration, Justiz und Ver-braucherschutz des Thüringer Landtags nach § 121der Geschäftsordnung über die Entscheidung desPräsidenten, dass eine namentliche Abstimmungüber die Absetzung eines Tagesordnungspunktsals unzulässig einzustufen ist, zu befinden und die-se mit Mehrheit bestätigt. Entsprechend der Ge-schäftsordnung hat jetzt der Landtag darüber abzu-stimmen, ob diese Auffassung vom Landtag bzw.vom Plenum so geteilt wird. Wer sich dieser Auffas-sung anschließen möchte, den bitte ich um dasHandzeichen. Das sind die Stimmen aus den Frak-tionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, der SPDund der CDU und der Abgeordneten Krumpe undGentele. Die Gegenstimmen bitte. Die Gegenstim-men kommen aus den Reihen der AfD-Fraktion.Damit ist dieser Punkt, zumindest was die Ge-schäftsordnung betrifft, abgehandelt.

Meine Damen und Herren, bevor wir jetzt weiterma-chen – ich sehe Ihre Wortmeldung, Herr Abgeord-neter Brandner –, mache ich Ihnen einen Vor-schlag. Angesichts über 200 wartender Handwerke-rinnen und Handwerker, die jetzt schon da sind,und der noch vorzunehmenden Umbaumaßnahmenhier in diesem Plenarsaal schlage ich Ihnen vor, dieSitzung jetzt zu unterbrechen und die entsprechen-de Geschäftsordnungsdebatte, die ich überhauptnicht an dieser Stelle abwürgen möchte, am morgi-gen Vormittag fortzusetzen. Ich sehe da keinen Wi-derspruch. Dann verfahren wir so. Ich schließe die

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6237

(Vizepräsident Höhn)

Page 62: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 6/75 6. Wahlperiode 22.02 · Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/75 22.02.2017 75. Sitzung Mittwoch, den 22.02.2017 Erfurt, Plenarsaal

Sitzung für den – Entschuldigung, habe ich da jetztein Nein gehört? Die Frau Abgeordnete Hennig-Wellsow hat sich gemeldet.

Abgeordnete Hennig-Wellsow, DIE LINKE:

Dann formuliere ich jetzt hier den Widerspruch.

Vizepräsident Höhn:

Das heißt, dem Vorschlag von mir möchte dieMehrheit des Hauses offenkundig nicht folgen. Dasnehme ich jetzt so wahr. Dann setzen wir den Ta-gesordnungspunkt 11 an der Stelle fort. Ich seheEinverständnis und ich sehe eine Wortmeldung desAbgeordneten Brandner. Zur Geschäftsordnungnehme ich an?

Abgeordneter Brandner, AfD:

Ja, ja. Herr Präsident, ich beantrage nach § 22Abs. 1 Nr. 2 der Geschäftsordnung, die Tagesord-nung zu ändern, und beantrage da, die Tagesord-nungspunkte 12 und 13 vor dem Tagesordnungs-punkt 11 zu behandeln. Dazu beantrage ich die na-mentliche Abstimmung mit dem Hinweis, dass diezulässig ist, weil sich § 44 Abs. 4 Nr. 4 lediglich auf§ 21 der Geschäftsordnung bezieht und nicht auf§ 22.

Vizepräsident Höhn:

Meine Damen und Herren, nach kurzer Rückspra-che teile ich Ihnen mit auf Ihren Antrag, Herr Kolle-ge Brandner: Der Tagesordnungspunkt 11 ist schonzum Aufruf gekommen, er befindet sich quasi in derBehandlung. Deswegen können wir diesen Punktjetzt nicht beliebig hin und her schieben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Darauf mache ich Sie aufmerksam.

Der von Ihnen vorgetragene § 22 Abs. 1 Nr. 2 um-fasst diesen Antrag gar nicht, also ist auch dieserAntrag entsprechend der Geschäftsordnung unzu-lässig, darüber eine namentliche Abstimmungdurchzuführen. Sie haben ja namentliche Abstim-mung beantragt, wenn ich Sie richtig verstandenhabe. Auch diesen Antrag muss ich als unzulässigzurückweisen.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Eine weitere Wortmeldung zur Geschäftsordnungvom Abgeordneten Brandner.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass die Fra-ge, die Sie gerade angesprochen haben, dass der

Tagesordnungspunkt angeblich schon zum Aufrufgekommen wäre …

Vizepräsident Höhn:

Der ist nicht angeblich zum Aufruf gekommen, derist zum Aufruf gekommen.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Diese Auffassung ist aber irrelevant für Ihre Ent-scheidung?

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Nein!)

Vizepräsident Höhn:

Wir befinden uns im Tagesordnungspunkt 11 unddeswegen greift § 22 an dieser Stelle nicht, meineDamen und Herren. Deswegen kann ich Ihren An-trag nicht anders als unzulässig einstufen. Ich neh-me an, jetzt kommt der nächste Geschäftsord-nungsantrag, Herr Brandner.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Herr Präsident, dann muss ich nach § 121 Abs. 2Einspruch für die AfD-Fraktion einlegen, und zwarmit zwei Punkten. Zum einen ist es für die Anwend-barkeit des § 22 der Geschäftsordnung irrelevant,ob ein Tagesordnungspunkt aufgerufen worden istoder nicht. Jedenfalls haben wir noch nicht begon-nen, sodass das Plenum ohne Weiteres die Rei-henfolge der Tagesordnungspunkte ändern könnte.

Zum Zweiten, wie ich schon sagte, bezieht sich§ 44 Abs. 4 Nr. 4 auf § 21 der Geschäftsordnungund nicht auf § 22. Ich bitte also dann dazu, wennSie Ihre Entscheidung nicht revidieren, den Justiz-ausschuss einzuberufen.

Vizepräsident Höhn:

Ich habe meine Entscheidung nicht zu revidieren.Damit ist der Antrag auf Einberufung des Aus-schusses für Migration, Justiz und Verbraucher-schutz gestellt. Ich hatte Ihnen genau aus demGrund, weil ich das erwartet habe, den Vorschlagunterbreitet, die Sitzung jetzt zu unterbrechen. Dashat keine Mehrheit gefunden, also finden wir unsjetzt im Raum F 202 wieder zur nächsten Sitzungdes Justizausschusses in exakt 2 Minuten.

Wir setzen die Sitzung fort, meine Damen und Her-ren. Der Ausschuss für Migration, Justiz und Ver-braucherschutz ist nach Prüfung des Antrags derFraktion der AfD zu der Erkenntnis gelangt, dass ei-ne Veränderung der Reihenfolge der Tagesordnungnach Aufruf des Tagesordnungspunkts nicht mehrmöglich war und deshalb meine Entscheidung aufUnzulässigkeit dieses Antrags bestätigt wird. Da-rüber lasse ich jetzt abstimmen. Wer sich dieserAuffassung anschließt, den bitte ich um sein Hand-

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(Vizepräsident Höhn)

Page 63: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 6/75 6. Wahlperiode 22.02 · Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/75 22.02.2017 75. Sitzung Mittwoch, den 22.02.2017 Erfurt, Plenarsaal

zeichen. Das sind die Stimmen aus den Koalitions-fraktionen, der CDU-Fraktion und der Abgeordne-ten Gentele und Krumpe. Die Gegenstimmen bitte.Die Gegenstimmen aus den Reihen der AfD-Frak-tion.

Dann rufe ich – beinahe hätte ich gesagt – den Ta-gesordnungspunkt 11 wieder auf. Da gibt es aberjetzt noch einen – ich nehme an – Geschäftsord-nungsantrag. Herr Abgeordneter Brandner.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Herr Präsident, ich beantrage nach § 24 Abs. 2Satz 1, wenn schon aufgerufen worden sein sollte,den Tagesordnungspunkt auf morgen früh zu verta-gen, und beantrage dazu die namentliche Abstim-mung.

Vizepräsident Höhn:

Meine sehr geehrten Damen und Herren, offenkun-dig ist der Lerneffekt des Prozederes, das wir jetztschon mehrfach geprobt haben, noch nicht einge-treten. Ich verweise darauf, dass der Antrag aufVertagung der Beratung, den der AbgeordneteBrandner namens seiner Fraktion gestellt hat, sehrwohl zulässig ist, nicht aber die namentliche Ab-stimmung darüber. Also sind wir wieder an der glei-chen Stelle, wie wir schon vor ungefähr einer Stun-de gewesen sind. Wir können das Spiel jetzt fort-setzen, wenn Sie das möchten. Aber ich empfehleIhnen doch, es beim Antrag auf Abstimmung zu be-lassen, dann können wir hier im Plenum darüberabstimmen. Ansonsten müsste ich Ihren Antragwiederum entsprechend § 44 Geschäftsordnung alsunzulässig zurückweisen. Herr AbgeordneterBrandner?

Abgeordneter Brandner, AfD:

Ja, wenn es nach uns gegangen wäre, wären wirum halb sieben fertig gewesen, ich weiß es nicht.Also der Antrag bleibt so stehen.

Vizepräsident Höhn:

Der Antrag auf namentliche Abstimmung bleibt sobestehen?

(Zuruf Abg. Brandner, AfD: Ja!)

Dann muss ich ihn nach § 44 der Geschäftsord-nung als unzulässig zurückweisen. Herr Brandner?

Abgeordneter Brandner, AfD:

Dann lege ich nach § 121 Abs. 2 der Geschäftsord-nung dagegen Einspruch ein und bitte, den Justiz-ausschuss einzuberufen.

(Unruhe im Hause)

Vizepräsident Höhn:

Moment. Einen kleinen Augenblick.

Meine Damen und Herren, ich bitte die Parlamenta-rischen Geschäftsführer der Fraktionen mal zu mirnach vorn zu kommen.

Präsident Carius:

Wir fahren mit der Beratung fort. Es gab einen An-trag von Herrn Brandner, den Ausschuss für Migra-tion, Justiz und Verbraucherschutz einzuberufen.Ich stelle fest, dass dieser Antrag missbräuchlichist, weil wir diese Frage bereits im Ausschuss fürMigration, Justiz und Verbraucherschutz entschie-den haben.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Herr Brandner.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Gegen diese Rechtsauffassung von Ihnen, HerrPräsident, lege ich nach § 121 Abs. 2 Geschäfts-ordnung Einspruch für die AfD-Fraktion ein und be-antrage, den Justizausschuss einzuberufen.

Präsident Carius:

Ich werde diese Entscheidung jetzt nur noch einmalim Landtag abstimmen lassen. Die Einberufung desAusschusses für Migration, Justiz und Verbraucher-schutz durch Sie für diese Frage halte ich fürmissbräuchlich. Wer dem zustimmt, den bitte ichjetzt um sein Handzeichen. Das ist die Mehrheitdes Hauses. Gegenstimmen? Aus der AfD-Frak-tion. Damit ist der Antrag mit Mehrheit abgelehntund wir treten in die Beratung des Tagesordnungs-punkts ein. Bitte schön, Herr Brandner.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Wir haben abgestimmt über die namentliche Ab-stimmung, Herr Präsident. Ich beantrage nach § 24Abs. 2 Satz 1 Geschäftsordnung die Vertagung

(Unruhe DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

des Tagesordnungspunkts 11 auf den morgigenTag und bitte, uns vor der Abstimmung nach § 41Abs. 6 Geschäftsordnung eine Überlegungsfrist von10 Minuten einzuräumen.

Präsident Carius:

Ich glaube, ehrlich gesagt, dass diese Überle-gungsfrist nach über einer Stunde Beratung überdie Vertagung oder Nichtvertagung nicht mehr not-wendig ist.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6239

(Vizepräsident Höhn)

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(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Ich frage aber auch hier das Plenum, ob das dieMehrheit des Hauses so sieht. Wer ist dafür? DieMehrheit des Hauses sieht das so. Herr Brandner,Gegenstimme?

Ich bin im Abstimmungsprozess. Entschuldigung,Sie können gleich …

Abgeordneter Brandner, AfD:

„Vor einer Abstimmung ist […] einzuschalten.“ Dasist eine Ist-Bestimmung und keine Kann-Bestim-mung. Darüber kann nicht abgestimmt werden.

Präsident Carius:

Herr Abgeordneter Brandner, ich mache darauf auf-merksam, dass wir seit über einer Stunde über die-se Frage der Zulässigkeit Ihrer namentlichen Ab-stimmung oder nicht namentlichen Abstimmung de-battieren. Jeder Abgeordnete hat genügend Mög-lichkeit gehabt, sich über diese Frage in Kenntniszu setzen.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Nein, ich unterbreche jetzt die Sitzung nicht mehr,sondern wir fahren fort. Herr Brandner.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Ich muss noch einmal zusammenfassen. Es gehtnicht mehr um eine namentliche Abstimmung. Ichstelle einfach den Antrag nach § 24 Abs. 2 Satz 1Geschäftsordnung, das auf morgen früh zu verta-gen.

Präsident Carius:

Jetzt haben Sie einen Vertagungsantrag gestellt.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Bevor wir darüber abstimmen, bitte ich, eine Über-legungsfrist für uns einzuräumen nach § 41 Abs. 6Geschäftsordnung. Das ist eine Ist-Vorschrift.Wenn Sie sagen, wir hätten eine Stunde Zeit ge-habt bisher, ist das nicht richtig.

(Unruhe DIE LINKE)

Wir konnten uns innerfraktionell nicht verständigen,weil ich permanent unterwegs war und mit anderenLeuten sprechen musste.

(Heiterkeit im Hause)

(Unruhe DIE LINKE)

Präsident Carius:

Herr Brandner, können wir uns auf 5 Minuten ver-ständigen?

Abgeordneter Brandner, AfD:

Wir müssen in Fraktionsräume hochgehen, daswird nicht klappen. Bis zu 30 Minuten, 15 Minutenwäre die Mitte. Ich habe 10 Minuten vorgeschlagen,das war schon sehr defensiv, Herr Präsident.

Präsident Carius:

Können wir uns vielleicht darauf verständigen, daIhre Fraktionsmitglieder auch schon viel darüberberaten haben, dass wir bis 20.00 Uhr auf jedenFall in die Sitzung eintreten? Das sind sieben Minu-ten. Wir treten 20.00 Uhr wieder in die Sitzung einund stimmen dann über die Frage der Vertagungab.

Herr Brandner, kann ich davon ausgehen, dass dieÜberlegungspause der AfD-Fraktion abgeschlossenist?

Abgeordneter Brandner, AfD:

Die ist abgeschlossen und war sehr fruchtbar.

Präsident Carius:

Wunderbar. Dann rufe ich jetzt pünktlich 8.00 Uhrnach der Überlegungspause erneut die Abstim-mungsfrage auf. Es gibt einen einfachen Verta-gungsantrag der AfD-Fraktion. Wer für die Verta-gung dieses Tagesordnungspunkts auf morgenVormittag ist, den bitte ich jetzt um sein Handzei-chen. Das sind die Stimmen der AfD-Fraktion. Ge-genstimmen? Aus allen übrigen Fraktionen plusden beiden fraktionslosen Abgeordneten. Damit istdieser Antrag mit Mehrheit abgelehnt.

Bitte, Frau Muhsal. Wenn Sie bitte zum Saalmikro-fon gehen, können Sie gern Ihre Erklärung abge-ben.

Abgeordnete Muhsal, AfD:

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich habe für die Verta-gung auf morgen gestimmt, weil unzählige Gästedraußen warten, dass wir mit der Veranstaltung be-ginnen können. Wir haben uns im Vorfeld daraufgeeinigt, aufgrund dieser Veranstaltung bis18.30 Uhr zu tagen und danach nichts mehr aufzu-rufen. Das war die Verabredung und ich muss sa-gen, ich finde nicht nur das Vorgehen gegenüberunseren Gästen von der Mehrheit dieses Hausesvollkommen unverschämt. Ich finde, man merkt da-ran auch, dass dieses wichtige Thema offenbar vonden Altparteien umgangen werden soll.

(Zwischenruf Abg. Dr. Lukin, DIE LINKE:Verabredung wurde eingehalten!)

6240 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Präsident Carius)

Page 65: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 6/75 6. Wahlperiode 22.02 · Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/75 22.02.2017 75. Sitzung Mittwoch, den 22.02.2017 Erfurt, Plenarsaal

Deswegen habe ich für die Vertagung gestimmt.Danke schön.

Präsident Carius:

Danke schön. Frau Rothe-Beinlich möchte auch ei-ne Erklärung zum Abstimmungsverhalten geben.

Abgeordnete Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:

Ich möchte mein Abstimmungsverhalten hiermit be-gründen. Seit über einer Stunde sind wir jetzt vonder AfD-Fraktion aufgehalten worden. Wir wollenselbstverständlich zu diesem Antrag beraten. Dasist auch unsere Pflicht. Wir verweigern uns nichtder Arbeit. Und nachdem wir so viel Zeit gebrauchthaben, war es für mich selbstverständlich, diesenAntrag auf Vertagung abzulehnen, damit wir jetztüber diesen Antrag endlich in die Debatte einstei-gen können.

(Beifall DIE LINKE)

Präsident Carius:

Nun hat der Abgeordnete Geibert auch eine Erklä-rung zum Abstimmungsverhalten angekündigt. HerrGeibert, bitte.

Abgeordneter Geibert, CDU:

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen undHerren Kollegen, ich habe mit Nein gestimmt. Dasheißt, ich habe gegen die Vertagung gestimmt, weilich als direkt gewählter demokratischer Abgeordne-ter dieses Haus nicht zum Affentheater verkommenlassen möchte.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN; Abg. Gentele, fraktionslos;Abg. Krumpe, fraktionslos)

Präsident Carius:

Herr Abgeordneter Höcke möchte eine Erklärungzum Abstimmungsverhalten geben.

Abgeordneter Höcke, AfD:

Danke, sehr geehrter Herr Präsident. Herr KollegeGeibert, Sie haben mit Ihrem Verhalten bzw. IhreKollegen haben …

Präsident Carius:

Herr Abgeordneter Höcke, ich möchte darauf hin-weisen: Sie dürfen eine Erklärung zu Ihrem Abstim-mungsverhalten geben.

Abgeordneter Höcke, AfD:

Ich habe für die Vertagung auf morgen gestimmt –selbstverständlich –, weil es guter Brauch und guteparlamentarische Tradition ist, dass eine Tagesord-nung zu Beginn des Plenartages gemeinsam be-schlossen wird – mit Mehrheit natürlich, das wissenwir – und dass es unüblich ist und dass das, waswir heute erlebt haben, tatsächlich eine Nacht-und-Nebel-Aktion der Altparteien ist, hier entsprechendein so wichtiges Thema in einen zeitlichen Randbe-reich zu drängen. Deswegen habe ich gegen bzw.für die Vertagung votiert. Und ich bin enttäuscht –das muss ich sagen – vom parlamentarischenGeist, der hier bei dem Großteil der Abgeordnetengerade zutage tritt. Ich möchte in dem Zusammen-hang abschließend noch mal dem Vizepräsidentendes thüringischen Landtags, Herrn Uwe Höhn, fürseine Kompromissbereitschaft danken.

Präsident Carius:

Danke. Herr Abgeordneter Brandner, auch eine Er-klärung zum Abstimmungsverhalten?

Abgeordneter Brandner, AfD:

Ich habe auch für die Vertagung gestimmt. Es ist jaeigentlich ungewöhnlich, dass man eigene Anträgeeinbringt und dann für die Vertagung stimmt. Aberder Respekt vor hart arbeitenden Handwerkern, diedraußen zu Hunderten warten,

(Unruhe im Hause)

gebietet es. Die sind teilweise stundenlang ange-reist, warten jetzt seit einer Stunde draußen – undwarum?

Präsident Carius:

Entschuldigung, ich bitte hier um etwas mehr Ruhe.Es gibt eine Erklärung zum Abstimmungsverhalten.Das muss niemandem passen, aber wir werden sieuns anhören. Bitte schön, Herr Brandner.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Allein deshalb, weil Sie alle von den Altparteien ge-gen sämtliche parlamentarische Gepflogenheitenverstoßen und eine politische Schweinerei sonder-gleichen begangen haben,

(Heiterkeit CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

indem Sie hinter unserem Rücken irgendwas abge-stimmt haben, was gegen einstimmige Ältestenrats-beschlüsse war, was gegen eine einstimmige An-nahme der Tagesordnung heute Morgen war, allei-ne, um uns auflaufen zu lassen. So etwas geht ausunserer Sicht nicht. Das spricht für Ihr antidemokra-tisches Verhalten.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6241

(Abg. Muhsal)

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(Beifall AfD)

Präsident Carius:

Jetzt möchte ich einfach darum bitten, auf weitereErklärungen zum Abstimmungsverhalten zu ver-zichten, denn sie sind immer weniger Erklärungen,sondern immer mehr Beschimpfungen. Ich gehedaher zum Tagesordnungspunkt „Dreizehntes Ge-setz zur Änderung des Thüringer Abgeordnetenge-setzes“ im Gesetzentwurf der AfD-Fraktion in derDrucksache 6/3438 über. Es gab, wenn ich dasrichtig im Ohr habe, den Wunsch nach Begrün-dung. Herr Höcke, dann haben Sie das Wort, bitte.

Abgeordneter Höcke, AfD:

Danke. Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrteKollegen Abgeordnete, sehr geehrte Besucher aufder Tribüne, wer in Rentnerarmut lebt, der muss aufdie Annehmlichkeiten des Lebens verzichten.Manch einer verliert seine Würde, wenn er auf demAmt Sozialleistungen beantragen muss. Inzwischensieht man immer mehr derer, die ein Leben langgearbeitet haben, in unseren FußgängerzonenLeergut sammeln. Jeder Achte der 50- bis 60-Jähri-gen gilt als arm oder von Armut bedroht. Bei denRentnern ist es sogar fast jeder Sechste. DieseZahlen sind erschreckend und diese Zahlen weisenauf sozialen Sprengstoff hin, der den gesellschaft-lichen Zusammenhalt in unserem Land bedroht.Vor allen Dingen zeigt er aber eins bzw. zeigen die-se Zahlen eins: Sie sind Ausdruck eines vollständi-gen Politikversagens.

(Beifall AfD)

Wer den sozialen Zusammenhalt in Deutschlandstärken will, der muss sich der Rentendiskussionstellen. Ebenso wie die letzten Rentenreformen –ich erinnere an die Rente mit 63 oder die Mütterren-ten – lösen die aktuellen Reformpläne das Finan-zierungsproblem nicht, wie der jetzt schon einge-plante zusätzliche Bundeszuschuss von 2 Milliar-den Euro ab dem Jahr 2025 aufzeigt. Inzwischenwerden Beitragssätze für die gesamte Sozialversi-cherung von 46 Prozent bis zum Jahr 2045 prog-nostiziert und für die private Vorsorge bleibt dannnicht viel übrig. Schon allein deswegen ist der steteAppell an die Privatvorsorge der reinste Hohn. Zu-gleich sinkt das Rentenniveau sukzessive immertiefer und tiefer. Im Jahr 2012 lag es erstmals beiweniger als der Hälfte des durchschnittlichen Ar-beitsentgeltes. Ende der 2020er-Jahre wird es dannunter 45 Prozent fallen. Das sieht im echten Lebendann so aus, dass man mit Renten von 850 Euro,manchmal sogar von 600 Euro das Leben bestrei-ten muss.

Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, es ist eines In-dustrielandes wie Deutschland unwürdig, dass dieStützen der Gesellschaft, die den Wohlstand erar-

beiten, einen Ruhestand in Armut verbringen müs-sen. Solche Beispiele sind zugleich ein Beweis da-für, dass die Floskel des reichen Landes Deutsch-land eine Farce ist. Mit dieser Floskel begründendie in Deutschland Regierungsverantwortung tra-genden Politiker die Verschwendung des deut-schen Steuerzahlergeldes auf der ganzen Welt,während die eigene Bevölkerung mehr und mehr inArmut leben muss. Nur eine vollständige Reformder Finanzierungsgrundlagen kann die Rente wie-der auf einen grünen Zweig bringen. Dafür ist eszuallererst notwendig, dass sich mehr Menschenan der Umlagefinanzierung beteiligen. Und so musses ein Ende haben, dass sich Abgeordnete, sehrgeehrte Kollegen, auf Kosten der Steuerzahler ausder Finanzierung der gesetzlichen Rentenversiche-rung herausnehmen.

(Beifall AfD)

Mit dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf könnenwir gemeinsam mehr Gerechtigkeit im Rentensys-tem schaffen. Wir, die Abgeordneten des ThüringerLandtags, entlasten nicht nur den Landeshaushalt,der – wie Sie wissen – eine historische Höchstver-schuldung aufweist. Wir können gemeinsam gleich-zeitig einen ersten Schritt dazu tun, die Finanzie-rungsgrundlagen zu verbessern. Und wir gemein-sam, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, könnenhier und heute bzw. dann in der zweiten Beratungabschließend, wenn wir über dieses Gesetz unddiesen Gesetzentwurf abstimmen, vielleicht dasWichtigste tun: Wir können den Menschen dortdraußen das Zeichen geben, das Zeichen, dass wirSolidarität nicht nur predigen, sondern Solidaritätauch leben. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksam-keit.

(Beifall AfD)

Präsident Carius:

Damit eröffne ich die Beratung. Als Erste hat Abge-ordnete Tasch für die CDU-Fraktion das Wort.

Abgeordnete Tasch, CDU:

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit demvorliegenden Gesetzentwurf schlägt die AfD vor,die geltenden Regelungen zur Altersversorgung derAbgeordneten zu streichen und stattdessen eineVersorgungsabfindung bzw. eine Nachversicherungeinzuführen. Dieser Gesetzentwurf ist der blankePopulismus, Herr Höcke.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Anstatt sich konstruktiv an einer Novellierung desAbgeordnetengesetzes zu beteiligen, streut die AfDimmer wieder einzelne Veränderungen in das Ple-num. Damit wollen Sie offensichtlich Ihre Statistiketwas aufpeppen, indem Sie hier viele Anträge ma-

6242 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Brandner)

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chen. Dass es Ihnen hier nicht um eine ordentliche,gute Beratung geht, das hat jetzt diese anderthalb-stündige Debatte hier gezeigt; Ihnen geht es nurum Klamauk.

(Beifall CDU)

Sie führen an, die Regelungen seien verfassungs-widrig. Das ist falsch. Die aktuelle Regelung ent-spricht gerade nicht mehr der im Jahr 1998 vomThüringer Verfassungsgerichtshof für nichtig erklär-ten. Die angegriffenen Regelungen wurden korri-giert. Der Sockelbetrag und die Höchstgrenze wur-den reduziert. Bei der Festsetzung der Altersgrenzeverweist das Thüringer Abgeordnetengesetz aktuellauf die Regelungen des Sechsten Sozialgesetzbu-ches. Wie hier mehrfach ausgeführt wurde – wir ha-ben dieses Thema schon öfter gehabt, das Abge-ordnetengesetz zu ändern –, muss das gründlich ineiner Novelle gemacht werden. Diese muss umfas-send sein und muss auch den verfassungsrechtli-chen Vorgaben entsprechen. Wie Sie die Dingeheute Abend angegangen sind, das spottet jederBeschreibung. Vielen Dank.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Präsident Carius:

Danke schön. Als Nächste hat Abgeordnete Rothe-Beinlich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünendas Wort.

Abgeordnete Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrtenDamen und Herren, die AfD hat einen Gesetzent-wurf, ein Dreizehntes Gesetz zur Änderung desThüringer Abgeordnetengesetzes, vorgelegt. Hiergeht es um ein Gesetz zur Anpassung der Alters-entschädigung der Abgeordneten. Ich kann meinerKollegin Tasch aus der CDU-Fraktion nur zustim-men: Es handelt sich hier einmal mehr um blankenPopulismus.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Das ist in der Tat ein Stück weit bedenklich, weil essich hier um ein durchaus wichtiges Thema handeltund wir uns auch einig sind, dass wir uns mit demThema des Abgeordnetenrechts ausführlicher be-fassen wollen. Alle, die sich regelmäßig an der Ar-beit in diesem Hause beteiligen, wissen, dass wirbis zum Ende des letzten Jahres eine Arbeitsgrup-pe hatten – fraktionsübergreifend und unterstütztdurch die Landtagsverwaltung –, die sich zunächsteine Reform der Geschäftsordnung des ThüringerLandtags vorgenommen hatte. Genau in dieser Ar-beitsgruppe haben wir vereinbart, dass es einenzweiten Schritt – eine zweite Arbeitsgruppe – ge-

ben soll, nämlich die, die sich mit einer Reform desAbgeordnetenrechts in Gänze befasst. Das heißt,diese Arbeit steht unmittelbar bevor. Nach dem Wil-len der Koalitionsfraktionen soll diese Arbeitsgrup-pe auch noch im Frühjahr die Arbeit aufnehmen.Wir hoffen natürlich, dass alle, die hier in diesemHause vertreten sind, sich auch tatsächlich einbrin-gen und daran mitwirken.

Was aber macht die AfD? Die AfD macht einmalmehr einen Gesetzentwurf als Schaufensterantrag,indem sie sich hier vorn hinstellt – das haben wir jaeben erlebt –, zunächst anderthalb Stunden die De-batte überhaupt verzögert und dann erzählt, wieviel der arme, einfache Mensch arbeiten muss undwie gut es uns hier geht. Das ist eine Neiddebatte,die aus unserer Sicht einem schadet: dem Parla-mentarismus und natürlich auch dem Ansehen derAbgeordneten.

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist überhauptgar keine Frage, dass man darüber reden muss,wie die soziale Sicherung und die Beteiligung ansozialen Sicherungssystemen auch durch Abgeord-nete von Parlamenten aussehen kann und sollte.Es ist auch kein Geheimnis, wenn ich Ihnen hierausführe, dass wir als Grüne uns schon seit Lan-gem dafür starkmachen – im Bundestag hat es da-zu von unserer Bundestagsfraktion bereits im Jahr2007 einen Gesetzentwurf gegeben, das war da-mals der Entwurf eines Siebenundzwanzigsten Ge-setzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes,Versorgungswerk für Abgeordnete –, dass sich Ab-geordnete selbstverständlich an den sozialen Si-cherungssystemen beteiligen, und zwar in Gänze.Unsere Idee ist hier das Modell einer Bürgerversi-cherung, welches nicht nur die Krankenversiche-rung umfasst, sondern auch die solidarische Ren-tenversicherung. Unser Vorhaben oder unsere Vor-stellung als Grüne wäre, dass sich Abgeordneteselbstverständlich auch in diesem sozialen Systemmit einbringen und entsprechend in die Rentenver-sicherung einzahlen. Das wünschen wir uns im Üb-rigen auch für Selbstständige und viele mehr.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Diese Debatte muss aber in Gänze geführt werden.Es hilft nicht, sich hierhinzustellen und einen Ge-setzesvorschlag zu bringen, der mal eben vier Pa-ragrafen streicht. Es handelt sich um die §§ 13, 14und 15, da geht es um die Regelung des An-spruchs und der Höhe von Altersentschädigungund die Berücksichtigung von Mandatszeiten. Aberes ist nicht nur das, was die AfD macht, sondern –und das finde ich besonders spannend – sie will da-rüber hinaus laut § 17 auch die Möglichkeit im Thü-ringer Abgeordnetengesetz streichen, dass – ich zi-tiere daraus – „überlebende Ehegattinnen beim Todeines Abgeordneten sowie deren Kinder im Todes-fall eines ausgeschiedenen Abgeordneten, welcher

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6243

(Abg. Tasch)

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bis zum Zeitraum des Ablebens noch keinen Antragauf Versorgungsabfindung stellte“, das beantragenkönnen. Das finde ich schon fragwürdig, wie manmit Familien von Menschen umgeht, die sich ent-scheiden, in diesem Land Verantwortung zu über-nehmen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Wenn man jetzt meint, die AfD würde auch einenVorschlag machen, wie sie stattdessen an dieserStelle verfährt – Fehlanzeige! Das Einzige, was sieformuliert, ist, dass für die Zeit der Zugehörigkeit imLandtag die Abgeordneten selbst quasi denHöchstbeitrag zur deutschen Rentenversicherungzahlen sollen. Wie das aber systematisch tatsäch-lich umgestaltet werden soll – diese Antwort bleibtsie schuldig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, all dasführt uns dazu, dass wir diesen Gesetzentwurf lei-der in der Tat nur als Populismus bezeichnen kön-nen. Nichtsdestotrotz setzen wir auf die Arbeits-gruppe, die in Bälde ihre Arbeit aufnehmen wird,und sind gespannt, was es weiterhin für Vorschlägegeben wird. Ich möchte ganz kurz noch auf die ei-genen Versorgungswerke für Nordrhein-Westfalenund Brandenburg verweisen. Nordrhein-Westfalenund Brandenburg haben ein gemeinsames Versor-gungswerk, und zwar seit dem 8. Oktober 2014, or-ganisiert als Körperschaft des öffentlichen Rechtsmit Selbstverwaltung. Die Aufsichtsbehörde ist dortdas Landesfinanzministerium und hier ist an dieStelle der Versorgung analog zur Beamtenversor-gung oder Rentenversicherung eine kapitalgedeck-te Versorgung getreten und die Landtagsmitgliedersind Pflichtmitglieder in diesem Versorgungswerk.Das Versorgungswerk sorgt dann auf Antrag für Al-tersrente, Hinterbliebenenrente, gegebenenfalls Er-stattung von Beiträgen als Versorgungsabfindungbzw. Nachversicherung in der gesetzlichen Renten-versicherung und anstelle der Erstattung der Beiträ-ge wird die Mandatszeit als Antrag auf Dienstzeit imSinne der Besoldungs- und des Versorgungsrechtsvon Beamten, Richtern und Soldaten berücksich-tigt. Die steuerfreien Pauschalen wurden dort ge-strichen und staatliche Alters- und Hinterbliebenen-versorgung abgeschafft. Stattdessen erhalten diedortigen Abgeordneten nunmehr einen steuerpflich-tigen monatlichen Gesamtbeitrag, von dem einPflichtbeitrag zur Altersvorsorge in das für Man-datsträger gegründete Versorgungswerk fließt. InNordrhein-Westfalen sind das 2.114 Euro, für dasVersorgungswerk je Abgeordneten in Brandenburg1.712,29 Euro. Das heißt also, wenn wir uns einesolche Änderung vorstellen, müssen wir uns natür-lich auch über die Gesamtzusammensetzung derDiät, über die Gesamtzusammensetzung der Leis-tungen, die Abgeordnete erhalten, unterhalten. Alldas kann sicherlich nicht mit so einem Schnell-schuss in Form dieses Schaufensterantrags ge-

schehen, sondern das werden wir hoffentlich in Ru-he in einer Arbeitsgruppe beraten und dann für eineFolgelegislatur auf den Weg bringen. Und in die-sem Sinne muss ich Ihnen sagen, wir werden die-sen Gesetzentwurf nicht überweisen und hoffen aufeine gute und inhaltsschwere Debatte in der zugründenden Arbeitsgruppe. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsident Carius:

Danke schön. Als Nächsten habe ich Herrn Abge-ordneten Korschewsky für die Fraktion Die Linke.

Abgeordneter Korschewsky, DIE LINKE:

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen undHerren, angesichts des Theaters, welches hier inletzter Zeit abgezogen worden ist, versuche ich,mich auch sehr knapp zu halten

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Das ist einParlament! Das ist unsere Arbeit!)

und möchte mich Frau Rothe-Beinlich anschließenund würde an der Stelle zu diesen Fragen, die FrauRothe-Beinlich zu den Vorstellungen angesprochenhat, die sich die Fraktion der Grünen vorstellenkann, wie diese Arbeit vonstatten gehen soll, umhier Veränderungen vorzunehmen, einfach sagen,dass auch die Fraktion Die Linke diesen sehr nahe-steht und sicherlich in dieser Arbeitsgruppe sehr in-tensiv mitarbeiten wird.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wun-dert sich keiner in diesem Hause – glaube ich zu-mindest – mehr darüber, dass heute wieder so einAntrag der AfD-Fraktion vorliegt. Da ich auch zuden anderen Anträgen der AfD-Fraktion gespro-chen habe, könnte ich Ihnen mit Datum sagen, wel-che Paragrafen des Abgeordnetengesetzes Sienach und nach aufgerufen haben. Das fing an mitDiätenerhöhung, das fing an mit der Frage der Zu-satzentschädigung für Vizepräsidenten und Aus-schussvorsitzende und geht weiter mit der Frageder Altersversorgung. Zu jeder dieser Reden habenwir Ihnen gesagt, meine sehr geehrten Damen undHerren: Wir wollen Veränderungen, wir wollen aberkeine einzelnen Veränderungen, wir wollen keinepopulistischen, plakativen Gesetzentwürfe. Wir wol-len eine Diskussion führen, wie das Abgeordneten-gesetz insgesamt reformiert wird. Ich glaube, es istan der Zeit und wir werden uns diesem annehmen.Dazu brauchen wir Ihre Anträge nicht, meine sehrgeehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

6244 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Rothe-Beinlich)

Page 69: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 6/75 6. Wahlperiode 22.02 · Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/75 22.02.2017 75. Sitzung Mittwoch, den 22.02.2017 Erfurt, Plenarsaal

Ich will ganz konkret zu einem oder zu zwei Punk-ten des Gesetzentwurfs etwas sagen und das nichteinfach so stehen lassen. Bezweckt wird mit demhier zur Debatte vorliegenden Gesetzentwurf derAfD, dass alle Abgeordneten durch Ausweitung derRegelung zur Nachversicherung nach Ende ihrerMandatszeit rückwirkend in der gesetzlichen Ren-tenversicherung versichert werden. Bisher werdennach den Grundprinzipien des Rentenrechts nursolche Abgeordnete nachversichert, die wegen derKürze ihrer Mandatszeit keine anderweitigen Ver-sorgungsansprüche erworben haben. Das Instru-ment der Nachversicherung ist für den von der AfDbenannten Zweck nicht geeignet. Vielmehr müsstedie auch von der Linken schon angesprochene nor-male Versicherungspflicht in der gesetzlichen Ren-tenversicherung in das Abgeordnetengesetz aufge-nommen werden, weil nur dann die Abgeordnetenaus ihren Bezügen wie andere Versicherte monatli-che Versicherungsbeiträge schon während derMandatszeit einzahlen.

Beim üblichen Nachversicherungsmodell, soweitdies aus dem hier vorliegenden AfD-Entwurf er-sichtlich ist, müssen die Abgeordneten während ih-rer Mandatszeit keine Eigenleistungen erbringen.Der Nachversicherungsbeitrag würde nach Endedes Mandats ohne eine Belastung für den ehemali-gen Abgeordneten vollständig aus dem Landes-haushalt gezahlt werden, meine sehr geehrten Da-men und Herren. Das wäre doch aus meiner Sichterst recht ein Zusatzgeschenk für die betreffendenAbgeordneten an die Rentenversicherung, dasdann geldwerte spätere Rentenansprüche bringt.

Die Erweiterung der bestehenden Regelung in Thü-ringen, indem man festlegt, dass nicht nur Abgeord-nete ohne andere Versorgungsansprüche, sondernalle Abgeordneten nach Ende der Mandatszeit nureine Versorgungsabfindung bekommen, hat prakti-sche Tücken, ist funktionswidrig und damit eben-falls rechtlich problematisch. Die Versorgungsabfin-dung, auf die Sie hier eingehen, ist aber auch im-mer nur eine Lückenfüllung und für eine anderweiti-ge, meist wegen fehlender Erfüllung der Wartezei-ten noch nicht entstandene Altersvorsorge gedacht.Eine Versorgungsabfindung kann aber von ihrerFunktion her üblicherweise gerade kein Vollersatzfür eine Altersvorsorge sein. Der Vorschlag der AfDzur Versorgungsabfindung läuft aber gerade aufeinen solchen funktionswidrigen Vollersatz hinaus,meine sehr geehrten Damen und Herren, und nichtauf eine Einschränkung dessen.

(Beifall DIE LINKE)

Hinzu kommt: Selbst wenn man das Problem mitder Funktion übersehen würde, bleiben Bedenkenund Probleme. Es käme dann zwar mit der Versor-gungsabfindung auch eine rein freiwillige nachgän-gige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversi-cherung infrage, diese Option ist aber für Versicher-

te sehr unvorteilhaft, was das Verhältnis von Bei-tragsnachzahlungen und Rentenentgeltpunkten an-geht, denn sie müssen dann faktisch sowohl denArbeitgeber- als auch den Arbeitnehmeranteil zah-len.

Andere Möglichkeiten wie der Abschluss von Le-bensversicherungen oder privaten Rentenversiche-rungen sind ebenso mehr als unsicher und geradefür ältere Abgeordnete mit Tücken versehen. Einsolches Abfindungsmodell, in einem Geldbetrag inForm einer Versorgungsabfindung, wie Sie es vor-schlagen, als Vollersatz für die Altersvorsorge istnach Ansicht der Fraktion Die Linke abzulehnen. Esist unsicher, wenig praktikabel für die Betroffenenund es bürdet ihnen ja nach der Wahl des Absiche-rungsinstruments alle Risiken des Kapitalmarktsauf, ähnlich wie Versicherten bei der Riesterrente.Da sagen wir, das ist schlicht und ergreifend abzu-lehnen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Aus diesem Grund, meine sehr geehrten Damenund Herren, lehnt die Fraktion Die Linke einen sol-chen rentenversicherungspflichtigen Systembruchin Sachen Nachversicherung und Versorgungsab-findung – hier sage ich ausdrücklich – auf dem in-haltlichen Weg schlicht und ergreifend als Extra-wurst, wie ihn die AfD für Abgeordnete fordert, ab.Wir werden diesen Entwurf natürlich auch nicht andie Ausschüsse überweisen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Lassen Sie mich zum Schluss, meine sehr geehr-ten Damen und Herren, noch eines sagen: HerrHöcke, Sie sprachen von Ehrlichkeit und Sie spra-chen davon, dass hier andere – ich sage mal – Vo-raussetzungen geschaffen werden sollen. FängtEhrlichkeit nicht aber bei der eigenen Person an?Fängt Ehrlichkeit nicht da an, wo nicht nur Abgeord-nete nicht einzahlen in ein gesetzliches Rentensys-tem, sondern ich unterstelle, dass hier schlicht undergreifend auch zum Beispiel für Berufsgruppen wieBeamte, Herr Höcke, oder Rechtsanwälte – das se-he ich alles in einer großen Häufigkeit in Ihrer Frak-tion. Ich glaube nicht – und das unterstelle ich –,dass Sie in die gesetzliche Rentenversicherung ein-zahlen. Das gehört dann auch zur Ehrlichkeit dazu,wenn man das eine will, muss man das andereauch tun.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Danke schön.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6245

(Abg. Korschewsky)

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Präsident Carius:

Danke schön, Herr Abgeordneter Korschewsky. AlsNächster hat Abgeordneter Brandner für die AfD-Fraktion das Wort.

Abgeordneter Brandner, AfD:

Meine Damen und Herren, Herr Korschewsky, ichweiß gar nicht, wo ich anfangen soll, die Sachenhier geradezurücken und Ihnen zu erklären, wiedas richtig läuft. Diäten hätten wir senken wollen –Herr Korschewsky, richtig! Aber Sie als Linke ha-ben das auch 20 Jahre lang gefordert, und seitdemSie da in den fetten Polstern Ihrer Regierungsses-sel sitzen, hört man nichts mehr davon. Das war Ih-re Idee. Die Zusatzvergütung der Vizepräsidentenzu beschneiden – CDU-Antrag, wenn ich mich rich-tig erinnere. Das kam nicht von uns, das kam vonder CDU. Jeder von den Altparteien prockelt hier soein bisschen herum, wenn es ihm gerade gefällt.Nur, wenn wir dann richtige Vorschläge machen,springen Sie alle im Dreieck und tun so, als wennes das Schlimmste wäre. Was wir machen, ist keinPopulismus. Was Sie machen, ist blanker Egois-mus, indem Sie an Ihren Pfründen festhalten wollenzulasten der Leute draußen, die draußen von mor-gens bis abends arbeiten und 40 Jahre in die Ren-tenversicherung einbezahlen.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: Siezahlen doch auch nicht ein!)

Herr Korschewsky, wenn Sie die Nachversicherungauch abschaffen wollen – gern, darüber können wirreden. Überweisen Sie das an den Ausschuss,dann reden wir darüber. Wenn Sie die Beamten-pensionen abschaffen wollen, Herr Korschewsky,können wir auch darüber im Ausschuss reden. Un-sere Idee ist das nicht, aber wenn Sie es wollen,können wir das gern diskutieren. Wir transportierenauch gern nach draußen, „die Linke will Beamten-pensionen abschaffen“. Ich weiß nicht, welcherTeufel Sie hier reitet! Wenn Sie über die Rechtsan-waltsversorgung reden, da kann ich nichts für, diegibt es, die ist gesetzlich vorgeschrieben; ich mussda einzahlen, und ich zahle im Monat über1.000 Euro da ein. Es ist also nicht so, dass manda billig wegkommt. Das müssen Sie auch wissen,bevor Sie so einen Unsinn von diesem Rednerpultaus erzählen.

Frau Tasch und Frau Rothe-Beinlich – Frau Tasch,von Ihnen war ich menschlich richtig enttäuscht.Was Sie an Blasiertheit und Borniertheit von hiervorn bei diesem Thema von sich gegeben haben,ist mit Realitätsferne gar nicht zu beschreiben. Sa-gen Sie doch einfach den Leuten draußen, dassSie weiter privilegiert werden wollen, dass Sie es inOrdnung finden, dass Sie fünf-, sechsmal so hoheRenten bekommen wie normale Bürger draußen,

und dann können wir das Thema hier beenden.Aber Sie tun so, als wären Sie sozial gerecht, undsind in Wahrheit genau das Gegenteil, sozial egoi-stisch, und wollen eben nicht, dass an Ihre Renten-ansprüche herangegangen wird. Schön, dass Siemir zuhören!

(Beifall AfD)

Jetzt sehen Sie sich die Altparteien hier mal an. Ichsehe schon, wie Sie sich wahrscheinlich gleichnach dem parlamentarischen Abend zusammenset-zen, Bastelbögen entwickeln, die Deutsche Renten-versicherung nachbauen und dann morgen um fünfvor neun hier die Plakate hochhalten. Das könnenSie machen, wir lachen alle darüber. Sie haben IhreBastelbögen und Ihre Kleinkunstbühne. Das ma-chen Sie ja öfter mal in unserem Landtag.

Präsident Carius:

Herr Abgeordneter Brandner, es gibt eine Zwi-schenfrage des Abgeordneten Kobelt. Lassen Siediese zu?

Abgeordneter Brandner, AfD:

Nein.

Nennen Sie mir einen Grund, warum ein Abgeord-neter des Thüringer Landtags nach sechs Jahren indiesem Haus einen Rentenanspruch von zurzeit et-wa 1.300 Euro hat, demgegenüber aber in den neu-en Bundesländern, oder nicht mehr ganz so neuenBundesländern, die Durchschnittsrente für Frauenbei etwa 825 Euro liegt und die für Männer bei1.000 Euro, und das am Ende des gesamten Be-rufslebens, also nachdem jahrzehntelang einge-zahlt worden ist. Viele Thüringer würden den An-spruch, den Sie hier nach ein paar Jahren erwer-ben, nicht einmal nach hundert Jahren Einzahlenerwerben. Das ist die Wahrheit und das muss denLeuten draußen gesagt werden. Nennen Sie mireinen Grund, warum das so sein muss. Es gibt kei-nen Grund, deshalb muss das geändert werden. Esist mehr als unverständlich, warum sich die Abge-ordneten auch des Thüringer Landtags die Privilegi-en gönnen, zum einen nicht in die Rentenversiche-rung einzuzahlen und zum anderen ohne jeglichenBeitrag aus Steuergeldern luxuriöse Abgeordneten-renten zu kassieren. Mögen die Abgeordneten auchnicht der Versicherungspflicht unterliegen, so ist eskein Grund, sich aus der Verpflichtung zu solidari-schem Verhalten – gerade von den Linken hörtman das öfter mal – herauszustehlen. Gerade wirAbgeordneten tragen die Verantwortung für die Fi-nanzierungsgrundlagen und die Funktionalität desRentensystems und machen ja auch die gesetzli-chen Vorgaben dazu. Diese machen wir und steh-len uns dann durch die Hintertür heraus. Das kön-nen Sie den Menschen draußen nicht erklären. Ichbin eigentlich ein bisschen traurig darüber, dass die

6246 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

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Handwerker nicht hier oben sitzen und sehen, wasmit ihrem Steuergeld von hier aus getrieben wird.

(Zwischenruf Abg. Dr. Lukin, DIE LINKE: Ja,das sollten sie mal sehen!)

Meine Damen und Herren, Ihre Politik der Altpar-teien führt dazu, dass auf Kosten der Rentner, derBeitrags- und Steuerzahler seit Jahren – Stichwort„versicherungsfremde Leistungen“, ich kommenachher noch dazu – eigennützig Schindluder ge-trieben wird, ohne sich den Konsequenzen für dieeigene Altersversorgung stellen zu müssen. „Kon-sequenzen“ heißt auch: abgesenktes Rentenni-veau. Nun wurden und werden natürlich von denNutznießern dieses Systems – wir haben es ja ge-hört – zahlreiche Scheinargumente angeführt, umdiese unsoziale Schieflage zu kaschieren und zuerklären, warum es Abgeordneten unmöglich seinsoll, an der Rentenversicherung teilzunehmen.Doch keines dieser Argumente ist stichhaltig. ImGegenteil, diese Argumente sind aus meiner Sichtverlogen. Sie müssten also einfach dem Gesetz zu-stimmen und schon zahlen die Abgeordneten regu-lär in die Rentenversicherung. Das ist doch genaudas, womit Sie draußen wahrscheinlich den Bun-destagswahlkampf betreiben werden: soziale Ge-rechtigkeit, alle in die Rentenversicherung, keineAusnahmen. Hier können Sie den ersten Schrittmachen. Sie können zeigen, wie ernst Sie zu neh-men sind. Wenn Sie dagegen stimmen, wissen alleLeute draußen: Sie labern gern, aber Sie handelnnicht.

(Beifall AfD)

Sie von der Altparteienmehrheit in diesem Hausmöchten die Privilegien erhalten und lehnen esdeshalb ab, als Gleiche unter Gleichen behandeltzu werden. Das ist ein klassisches Beispiel für einsolch unsoziales Verhalten, das unterstreicht, wieweit Anspruch und Wirklichkeit bei Ihnen, bei denAltparteien, auseinanderklaffen.

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Ach,was Sie hier erzählen!)

Ein klassisches Beispiel dafür ist auch Frau Sieges-mund, die der Debatte schon mal vorsorglich fern-geblieben ist. Sie kennen ja den RentenskandalSiegesmund. Nachdem sie Ministerin gewordenwar, saß sie allein deshalb noch ein Jährchen län-ger im Parlament, um sich demnächst an den üppigsprudelnden Versorgungströgen laben zu können.Äußerst bemerkenswert auch das Verhalten der sosozialen Linken, die heute und bei der zweiten Le-sung beweisen können oder schon widerlegt ha-ben, was ihnen an sozialer Gerechtigkeit liegt undwie ernst sie das nehmen, oder ob sie das nur alsSchlagwort benutzen und damit draußen – hoffent-lich erfolglos – auf Stimmenfang gehen. Denn wennSie die Macht haben, liebe Linke, etwas zu verän-dern, dann vergessen Sie ganz schnell, was Sie

vorher gesagt haben. Stichwort – Artikel 54 Verfas-sung ist es, glaube ich – „automatische Diätenerhö-hung“ – jahrzehntelang gepredigt. Sobald Sie dieMöglichkeit haben, das zu ändern, hört man nichtsdavon. Sie brechen also sehr schnell Ihre Verspre-chen, sobald Sie merken, dass Sie die umsetzenmüssen. Genau das unterscheidet Sie von uns. Wirwerden – ich bin schon darauf gespannt, wenn wirhier einmal die Mehrheit stellen,

(Heiterkeit DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wenn Sie dann wieder diese Anträge einbringen.Sie werden sich wundern, wir werden den Anträgendann zustimmen. Wir bleiben bei unserem Wort,was wir heute hier gegeben haben, meine Damenund Herren.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Korschewsky, DIE LINKE:Das ist das nächste Kaspertheater!)

Es ist auch noch gar nicht so lange her, dass dieLinken und die Grünen im Bundestag das luxuriöseAbgeordnetendasein und die Abgeordnetenrentenauch angeprangert und widersprochen haben. In-zwischen haben sich alle da bequem eingerichtetund möchten davon nichts mehr hören. Das istpeinlich, meine Damen und Herren. Wir kennen es.„Trennung von Amt und Mandat“ ist auch so einThema von Ihnen übrigens, was wir aufgenommenhatten. Plötzlich war keine Rede mehr davon. Allesvergessen? Ich glaube, wenn die Linke von Reich-tum für alle spricht, meine Damen und Herren,dann meint sie damit alle Abgeordneten, aber nichtdie Menschen draußen. Herr Blechschmidt, könnenSie abends noch in den Spiegel gucken?

(Zwischenruf Abg. Blechschmidt, DIE LINKE:Bitte?)

Können Sie abends noch in den Spiegel gucken,ohne in Tränen auszubrechen? Wahrscheinlichnicht, oder?

(Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: VorLachen!)

Schauen wir mal zur SPD – die haben wir auchnoch. Da hat es der reiche Sankt Martin aus Wür-selen vorgemacht, wie man fast ohne Bildung undfast ohne richtige Arbeit, aber mit viel Mauscheleiund steuerfreien Pauschalen auch aus den Steuer-trögen, die man gern auch mal unredlich er-schleicht, wie wir im Fernsehen gesehen haben,zum mehrfachen Millionär von Steuerzahlers Gna-den werden kann. Der Martin aus Würselen hat esvorgemacht und Sie versuchen es hier im Kleinennachzumachen. Das ist nicht in Ordnung, meineDamen und Herren. Wir von der AfD sagen klippund klar, dass Abgeordnete nicht länger Privilegienauf Kosten der Steuer- und Beitragszahler in An-spruch nehmen dürfen. Dazu stehen wir jetzt in der

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6247

(Abg. Brandner)

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Minderheit und auch demnächst in der Mehrheit.Darauf können Sie sich verlassen.

(Beifall AfD)

(Heiterkeit DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn es nach mir ginge, meine Damen und Her-ren, würden alle – und ich sage: alle – in die Ren-tenversicherung einzahlen. Doch das Sozialversi-cherungsrecht ist Bundesrecht und allein der § 23 –ich weiß nicht, wer das Thema gerade aufgeworfenhatte – des Bundes-Abgeordnetengesetzes eröffnetdem Landesgesetzgeber – also uns – die Möglich-keit, die Abgeordneten in die Sozialversicherungaufzunehmen. Mit einer Änderung des SGB VImüssten die Voraussetzungen geschaffen werden,dass Abgeordnete regulär in die Rentenversiche-rung einzahlen. Herr Korschewsky, deshalb geht IhrVorwurf ins Leere. Es ist Bundesrecht, was geän-dert werden muss, das können wir von hier ausnicht machen, das macht die AfD dann ab Anfangdes nächsten Jahres im Bundestag. Dann wird dasauf den Weg gebracht.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Wenn Sie sich dort so be-nehmen, fliegen Sie sowieso ganz schnellraus!)

Meine Damen und Herren, es gibt neben der durchnichts zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung,was das Ergebnis angeht, auf Kosten der Steuer-und Beitragszahler einen weiteren triftigen Grund,warum die Abgeordneten in die Rentenkasse ein-zahlen müssen. Vielfältig, zum Beispiel mit der Müt-terrente, der Hinterbliebenenrente, der abschlags-freien Rente vor dem Erreichen des gesetzlichenRenteneintrittsalters oder der Höherbewertung derBerufsausbildung, finanziert die Rentenversiche-rung, also die Gemeinschaft der Beitragszahler, so-genannte versicherungsfremde Leistungen – ichhabe es vorhin schon mal angesprochen. HerrMohring, ich weiß gar nicht, warum Sie das so lus-tig finden; es ist eigentlich ein trauriges Thema.Oder waren Sie schon an der Bar draußen, HerrMohring?

(Zwischenruf Abg. Grob, CDU: Ich glaube,Ihnen hört niemand zu!)

Mit diesen versicherungsfremden Leistungen unter-stützt die Rentenversicherung zahlreiche sozialschwache Gruppen. Das ist gesellschaftlich er-wünscht und auch in Ordnung. Für diese zusätzli-chen Rentenansprüche gibt es den Bundeszu-schuss, mit dem gesellschaftlich erwünschte Leis-tungen solidarisch über Steuermittel finanziert wer-den. Allerdings ist dieser Bundeszuschuss regelmä-ßig zu gering, um alle Ansprüche zu finanzieren.2015 fehlten knapp 19 Milliarden Euro dieses Bun-deszuschusses für die Rentenversicherung. Das istübrigens ziemlich genau der Betrag, der im letzten

Jahr für das Flüchtlingsunwesen ausgegeben wur-de – aber das ist ein anderes Thema. Das heißt,politisch erwünschte und der ganzen Gesellschaftförderliche Ausgaben in Höhe von 19 MilliardenEuro werden von den Beitragszahlern der Renten-versicherung allein geschultert. Die Abgeordnetennehmen sich erneut aus dieser Finanzierung aus,lassen also die Beitragszahler für das zahlen, wasdie Abgeordneten beschlossen haben. Mit versi-cherungsfremden Leistungen ist eine Art Schatten-haushalt entstanden, den die Beitragszahler der ge-setzlichen Rentenversicherung allein finanzieren.Auch das ist im höchsten Maße sozial ungerecht.

Meine Damen und Herren, zusammenfassend: Esgibt keinen Grund, warum sich die Abgeordnetenvon der Finanzierung solcher Leistungen ausneh-men und darüber hinaus ohne jeglichen eigenenBeitrag üppige Renten kassieren. Es ist also an derZeit, diese unsoziale Praxis der Abgeordnetenren-ten zu beenden und – hören Sie mir zu! – sozial ge-recht zu werden.

(Beifall AfD)

Da ja noch – auch bei Herrn Korschewsky – einigerErklärungs- und Diskussionsbedarf besteht, bean-trage ich die Überweisung an den federführendenHaushalts- und Finanzausschuss sowie an denAusschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit undan den für Abgeordnetenrecht zuständigen Aus-schuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz.

Ich glaube, ich kann Ihnen eine Wette anbieten,Frau Rothe-Beinlich. Sie haben ja schon wieder soeine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Diese Ar-beitsgruppe wird, was die Abgeordnetenrenten an-geht, zu keinem Ergebnis kommen. Das einzige Er-gebnis, was rauskommt, ist vielleicht ein dritterWasserspender draußen auf dem Flur. Zwei habenSie ja schon durchgesetzt. Ich weiß nicht, welchenWetteinsatz Sie von mir haben wollen, Frau Rothe-Beinlich? Wünschen Sie sich etwas. Ich wette ge-gen Sie, das wird nichts mit Ihrer Arbeitsgruppe.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Mit Typen wie Ihnen wetteich nicht!)

Alles klar, Sie wetten nicht. Da haben Sie eine ein-malige Chance verpasst. Ich wäre aus dem Land-tag gegangen, wenn ich verloren hätte. Aber Siewollen es nicht und Sie schaffen es auch so, michaus dem Landtag rauszubekommen, indem Sie beider Bundestagswahl fleißig AfD wählen,

(Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: Des-wegen wollen Sie ja auch in den Bundestag!)

dann bin ich im Bundestag. Da haben wir auchnoch mal so eine Tür für Sie geöffnet. Die Möglich-keit besteht auch. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

6248 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Brandner)

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(Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: DerLandtag ist Ihnen zu popelig!)

Präsident Carius:

Danke schön. Jetzt rufe ich als Nächste Frau Abge-ordnete Marx für die SPD-Fraktion auf. Ich bitte zu-gleich um etwas mehr Aufmerksamkeit und Ruhe.

Abgeordnete Marx, SPD:

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen,das mit dem Wasserspender draußen war übrigenseine gute Idee und auch eine gemeinsame Idee,weil Wasser sehr wichtig ist, die Flüssigkeitsversor-gung, auch für den Kopf, und dann auch unter an-derem

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

– sehr wichtig – Migräne vorbeugt.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Der Brandner nutzt das zuselten!)

Vielleicht hat dann auch die dauernde Unterbre-chung etwas damit zu tun gehabt, dass Sie nichtzwischendrin zum Rednerpult gehen und das Was-serglas erheben konnten.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Da kriegtman ja einen Wasserkopf!)

Auf Ihr Wohl!

Es ist schon sehr viel gesagt worden. Sie habensich hier wieder so ein Stückchen rausgefitzelt.Herr Brandner hat wieder die übliche Keile-Keile-nach-allen-Seiten-Rede gehalten mit dem Versuchder persönlichen Ansprache von verschiedenen Ab-geordneten, mit feurigem Blick die irgendwie zu ir-gendwelchen emotionalen Gegenreden zu provo-zieren, damit Sie sich darüber freuen und sagen:Oh, denen habe ich es aber wieder gezeigt.

(Heiterkeit DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber zur Sache selber haben Sie ganz, ganz wenigbeigetragen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Das ist hier schon wirklich auch im Einzelnen aus-einandergezogen worden,

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Wahr-scheinlich noch Wasser im Ohr!)

auch vom Kollegen Korschewsky, dass auch gera-de Ihre Ausführungen zur Einbeziehung in die all-gemeine Versicherungspflicht, wie Sie das in § 17geändert haben wollen, überhaupt nicht zielführendsind. Sie schaffen neue Schieflagen, falsche Paral-

lelen. Die Kollegin Rothe-Beinlich hat auf den völli-gen Wegfall der Hinterbliebenenversorgung hinge-wiesen. Das ist eine ganz fatale Angelegenheit.Das verantworten Sie. Aber das hat alles auch garnicht den Anspruch, eine reale Wirklichkeit zu er-halten. Sie wollen nur wieder sagen, dass die Alt-parteien, wir alle, dem Schmarotzertum hier Türund Tor bieten, öffnen oder was weiß ich. Na ja, Siemachen das alles ganz anders und wir erwartendeswegen auch mit Spannung den Ausgang desStrafverfahrens gegen die Kollegin Muhsal.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Jetzt wollen wir hier zur Sache zurückkommen. Siemöchten diese Regelung einfach ersatzlos strei-chen und sie bieten keinen richtigen Ersatz dafüran. Das kann nicht der Sinn sein. Dann sagen Siewieder, wir würden dann nur wieder irgendetwasanfangen und nicht zu Ende bringen. Es ist immerso – und das ist gar nicht anders möglich, das soll-ten Sie als Jurist doch auch eigentlich wissen –,dass Regelungen in der Änderung von Abgeordne-ten- und Versorgungssystemen und Bezügen im-mer erst mit Wirkung auf eine darauffolgende Le-gislaturperiode verabschiedet werden können.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Das habe ich ja gesagt!)

Das ist eigentlich juristisches Einmaleins. Von da-her ist Ihre komische Wette auch wieder eine merk-würdige Art und Weise des Versuchs gewesen, an-dere Leute vorzuführen, aber kein ernsthafter De-battenbeitrag.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Vielleicht redet sonst kei-ner mit ihm!)

Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wiruns der Reform des Abgeordnetenrechts auch zu-wenden wollen. Wir haben lange auch immer offenund öffentlich gesagt, dass wir jetzt erst einmal dieGeschäftsordnung abarbeiten. Es hat etwas längergedauert, als wir veranschlagt hatten. Wir werdenjetzt mit dem Abgeordnetenrecht anfangen. Wirwerden eine Arbeitsgruppe bilden und uns umfas-sende Vorschläge anschauen und natürlich auchdas Versorgungssystem unter die Lupe nehmen.Es ist genannt worden, welche vielfältigen Alternati-ven es gibt, zum Beispiel auch Versorgungssys-teme in Form von Versorgungswerken. Übrigens,Herr Brandner, wenn Ihnen die 1.000 Euro so wehtun beim Anwaltsversorgungswerk: Sie können sichin der Zeit, in der Sie hier Abgeordnetenbezüge be-kommen und andere Versorgungsansprüche erwer-ben, auf Antrag von der Beitragsverpflichtung be-freien lassen. Das werden Sie aber wahrscheinlichdeswegen nicht gemacht haben, weil dieses Son-derversorgungssystem für Anwälte sehr attraktiv ist

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6249

(Abg. Brandner)

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und nämlich auch eine Art steuervergünstigte, privi-legierte Sonderversorgung

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Ach!)

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN: Ach!)

(Beifall DIE LINKE)

für Anwälte im Versorgungswerk ist, und es gibtsehr viele Menschen, die also durchaus eine An-waltszulassung, obwohl sie den Beruf gar nichtausüben, deswegen behalten, um in diesem Ver-sorgungswerk besonders gute Renditen zu erwirt-schaften.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sind die denn auch gesetzlichversichert?)

Also: Es ist jetzt keine soziale Last für Sie, dass Siedort 1.000 Euro einzahlen müssen, sondern es be-günstigt Sie und deswegen machen Sie es sicher-lich auch mit Bedacht weiterhin, obwohl Sie es nichtmüssten. Deswegen müssen wir uns auch alle Be-rufsgruppen, die es sonst noch so in diesem Landegibt, die in Sonderversorgungssystemen sind, an-schauen. Der neben Ihnen sitzende noch beurlaub-te Lehrer, Bernd, äh, Björn Höcke, hat ja ebenfallsauch Pensionsansprüche –

Präsident Carius:

Bitte keine Verballhornung von Namen!

(Zwischenruf Abg. König, DIE LINKE: Bernd!)

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bernd!)

Abgeordnete Marx, SPD:

Entschuldigung, es wird mittlerweile so oft dieserandere Name, den ich hier nicht sagen darf, ge-braucht, da kann man sich wirklich einmal verspre-chen, ich habe es auch noch abgebrochen.

Also – wie gesagt – wir haben alle hier sitzen.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Sie habeneinen sitzen?)

Ja, das können Sie gern tun, Herr Brandner, dasgeht mir – nein, Fasching ist erst morgen.

(Heiterkeit DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Na gut – wir kommen zum Ernst der Angelegenheitzurück. Wir werden in dieser Arbeitsgruppe

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Das istaber ein weiter Weg!)

uns natürlich die verschiedenen Versorgungssys-teme angucken. Wir haben allerdings auch das

Problem, dass die Überleitung in das allgemeine Al-tersversorgungssystem – das hat man in anderenLändern gesehen, die sich damit beschäftigt haben– auch kurzfristig sehr viel Kosten verursacht. Eswird kurzfristig erst einmal wieder sehr viel teurerfür den Steuerzahler, auch wenn langfristig Kostengespart werden und natürlich wegen des Gerechtig-keitsarguments – natürlich kann und darf das alleinnicht entscheidend sein.

Wir haben da eine Fülle von Dingen zu bedenkenund auch die anderen Fragen des Abgeordneten-rechts, die Sie immer gern stückchenweise einbrin-gen, um dann wieder die Ich-kralle-nach-allen-Sei-ten-und-wen-schaffe-ich-heute-zu-provozieren-Re-de zu halten, also dieses Stückchenwerk machenwir nicht mit und das auch heute nicht. Deswegenwerden wir uns in aller Sachlichkeit weiter unseremProgramm und unseren Verabredungen gemäß mitden demokratischen Fraktionen dieses Hauses die-sen Problemen und seriösen Lösungen widmen.Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsident Carius:

Danke schön. Weitere Wortmeldungen sehe ichnicht – doch, Frau Muhsal. Sie haben noch 35 Se-kunden!

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Nicht1:30? Da habe ich falsch geguckt!)

Nein, nein 35 Sekunden! Wir haben bei allen genaugeschaut.

Abgeordnete Muhsal, AfD:

Das ist schade. Herr Brandner hatte mir 1 Minuteund 30 Sekunden versprochen, aber ich fasse michkurz, und zwar zur Debattenkultur. Ich muss schonsagen, Frau Rothe-Beinlich, Sie werfen irgendwiemit den üblichen Leerworten Populismus um sich.Aus der CDU-Fraktion kommt, während HerrBrandner redet: „Na ja, meinen Sie, es hört Ihnenüberhaupt jemand zu?“, und die Linke hat nichtsBesseres zu tun, als die ganze Zeit affektiert undüberheblich zu kichern. Die Problematik wurde hier– glaube ich – sehr eindringlich dargestellt, es istein wichtiges Thema und ich kann Ihnen nur wün-schen, dass Ihre Überheblichkeit in Form einesWahlergebnisses, in Form eines blauen Wundersirgendwann an Sie zurückkommt. Danke schön.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Blechschmidt, DIE LINKE:Sie müssen sich mal beobachten!)

6250 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017

(Abg. Marx)

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Präsident Carius:

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Damitschließe ich die Beratung. Wir kommen zur Abstim-mung über die Ausschussüberweisung des Gesetz-entwurfs. Beantragt worden ist die Überweisung anden Haushalts- und Finanzausschuss. Wer dafürist, den bitte ich um das Handzeichen. Das sind dieStimmen der AfD-Fraktion. Gegenstimmen? Alleübrigen Stimmen des Hauses. Enthaltungen? Gibtes keine. Damit mit Mehrheit abgelehnt.

Wir kommen zur beantragten Überweisung an denAusschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit.Wer dafür ist, den bitte ich jetzt um das Handzei-chen. Das sind die Stimmen der AfD-Fraktion. Ge-genstimmen? Aus den Koalitionsfraktionen, derCDU-Fraktion und vom Abgeordneten Gentele. Da-mit mit übergroßer Mehrheit abgelehnt.

Wir kommen zur beantragten Überweisung an denAusschuss für Migration, Justiz und Verbraucher-

schutz. Wer dafür ist, den bitte ich jetzt um dasHandzeichen. Das sind die Stimmen der AfD-Frak-tion. Gegenstimmen? Aus den Koalitionsfraktionen,der CDU-Fraktion und vom Abgeordneten Gentele.Enthaltungen damit überflüssig und mit übergroßerMehrheit abgelehnt. Damit schließe ich diesen Ta-gesordnungspunkt.

Bevor ich die Sitzung jetzt schließe, darf ich daraufhinweisen, dass der parlamentarische Abend einetwas eingekürztes Programm haben wird und, ichglaube, der gesellige Teil bereits begonnen hat.Einen schönen Abend!

Ende: 20.46 Uhr

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017 6251

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Anlage

Namentliche Abstimmung in der 75. Sitzung am22. Februar 2017 zum Tagesordnungspunkt 6

Thüringer Gesetz zur Sicherstellung vonFinanzdienstleistungen im ländlichen Raumdurch SparkassenGesetzentwurf der Fraktion der AfD- Drucksache 6/3297 -

1. Adams, Dirk(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

nein

2. Becker, Dagmar (SPD) nein3. Berninger, Sabine (DIE LINKE) nein4. Blechschmidt, André (DIE LINKE) nein5. Brandner, Stephan (AfD) ja6. Bühl, Andreas (CDU) nein7. Carius, Christian (CDU) nein8. Dittes, Steffen (DIE LINKE) nein9. Emde, Volker (CDU)

10. Engel, Kati (DIE LINKE) nein11. Fiedler, Wolfgang (CDU) nein12. Floßmann, Kristin (CDU) nein13. Geibert, Jörg (CDU) nein14. Gentele, Siegfried (fraktionslos) nein15. Grob, Manfred (CDU) nein16. Gruhner, Stefan (CDU) nein17. Hande, Ronald (DIE LINKE) nein18. Harzer, Steffen (DIE LINKE) nein19. Hausold, Dieter (DIE LINKE) nein20. Helmerich, Oskar (SPD) nein21. Henfling, Madeleine

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)nein

22. Henke, Jörg (AfD) ja23. Hennig-Wellsow, Susanne

(DIE LINKE)nein

24. Herold, Corinna (AfD) ja25. Herrgott, Christian (CDU) nein26. Hey, Matthias (SPD)27. Heym, Michael (CDU)28. Höcke, Björn (AfD) ja29. Höhn, Uwe (SPD) nein30. Holbe, Gudrun (CDU) nein31. Holzapfel, Elke (CDU) nein32. Huster, Mike (DIE LINKE) nein33. Jung, Margit (DIE LINKE) nein34. Kalich, Ralf (DIE LINKE) nein35. Kellner, Jörg (CDU) nein36. Kießling, Olaf (AfD) ja37. Kobelt, Roberto

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)nein

38. König, Katharina (DIE LINKE) nein39. Korschewsky, Knut (DIE LINKE) nein40. Kowalleck, Maik (CDU) nein41. Kräuter, Rainer (DIE LINKE) nein42. Krumpe, Jens (fraktionslos) nein43. Kubitzki, Jörg (DIE LINKE) nein44. Kummer, Tilo (DIE LINKE) nein45. Kuschel, Frank (DIE LINKE) nein46. Lehmann, Annette (CDU) nein47. Lehmann, Diana (SPD) nein48. Leukefeld, Ina (DIE LINKE) nein

49. Lieberknecht, Christine (CDU) nein50. Liebetrau, Christina (CDU) nein51. Lukasch, Ute (DIE LINKE) nein52. Lukin, Dr. Gudrun (DIE LINKE) nein53. Malsch, Marcus (CDU) nein54. Martin-Gehl, Dr. Iris (DIE LINKE) nein55. Marx, Dorothea (SPD) nein56. Matschie, Christoph (SPD)57. Meißner, Beate (CDU) nein58. Mitteldorf, Katja (DIE LINKE) nein59. Mohring, Mike (CDU) nein60. Möller, Stefan (AfD)61. Mühlbauer, Eleonore (SPD) nein62. Muhsal, Wiebke (AfD) ja63. Müller, Anja (DIE LINKE) nein64. Müller, Olaf

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)nein

65. Pelke, Birgit (SPD) nein66. Pfefferlein, Babett

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)nein

67. Pidde, Dr. Werner (SPD) nein68. Primas, Egon (CDU)69. Reinholz, Jürgen (fraktionslos)70. Rosin, Marion (SPD) nein71. Rothe-Beinlich, Astrid

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)nein

72. Rudy, Thomas (AfD) ja73. Schaft, Christian (DIE LINKE) nein74. Scherer, Manfred (CDU)75. Scheringer-Wright, Dr. Johanna

(DIE LINKE)nein

76. Schulze, Simone (CDU) nein77. Skibbe, Diana (DIE LINKE) nein78. Stange, Karola (DIE LINKE) nein79. Tasch, Christina (CDU) nein80. Taubert, Heike (SPD) nein81. Thamm, Jörg (CDU) nein82. Tischner, Christian (CDU) nein83. Voigt, Prof. Dr. Mario (CDU) nein84. Walk, Raymond (CDU) nein85. Walsmann, Marion (CDU) nein86. Warnecke, Frank (SPD) nein87. Wirkner, Herbert (CDU) nein88. Wolf, Torsten (DIE LINKE) nein89. Worm, Henry (CDU) nein90. Wucherpfennig, Gerold (CDU) nein91. Zippel, Christoph (CDU) nein

6252 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung - 22.02.2017