unfallmechanismen und verletzungsmuster im fallschirmsport

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REVIEW Unfallmechanismen und Verletzungsmuster im Fallschirmsport Andre Weimann, Mirco Herbort Klinik und Poliklinik fu ¨r Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universita ¨tsklinikum Mu ¨nster, Deutschland Eingegangen/submitted: 05.10.2012; akzeptiert/accepted: 5.02.2013 Historisches Der Fallschirmsport za ¨hlt zu den Sportarten, die sich wachsender Be- liebtheit erfreuen, auch wenn der Fallschirm keine Erfindung der heu- tigen Zeit ist. Schon Leonardo da Vinci fertigte eine Konstruktions- zeichnung eines Fallschirms an und bereits 1617 sprang der Mathemati- ker Fausto Veranzio mit einem stoff- bespannten Holzrahmen von einem Turm [6,14]. Den ersten Sprung mit freiem Fall wagte der Franzose Charles Guille 1819 aus 3000 m Ho ¨he [6]. Wurde der Fallschirm zuna ¨chst als Ret- tungshilfe genutzt, so ist er bis heute zu einem viel genutzten Sportgera ¨t geworden, mit dem der Sportler aus Ho ¨hen zwischen 1500 und 8000 m aus einem Flugzeug abspringt und sich in den freien Fall begibt, um je nach Absprung- ho ¨he zwischen 5 und 65 Sekunden und einer Geschwindigkeit von etwa 200 km/h in die Schirmfahrt u ¨berzugehen. ,,Von je 100 befragten Jugendlichen im Alter von 14 bis 29 Jahren (...) wollen 23 die Sportart ausprobie- ren‘‘. [12]. Damit lag das Fallschirm- springen bei dieser Umfrage im Ma ¨rz 2000 in Deutschland an erster Stelle von allen erfragten so genannten ,,Risiko- und Extremsportarten‘‘. Verzeichnete der Deutsche Fall- schirmsport Verband e.V. (DFV) 1995 noch 235.000 Spru ¨nge in Deutschland, so lag die Anzahl der Fallschirmspru ¨nge in Deutschland laut DFV im Jahre 2010 bei 311.245 Spru ¨ngen. Auch wenn sich der Fallschirmsport zu einer vom Internationalen Olym- pischen Komitee anerkannten Sport- art entwickelt hat, wurde er nie olympische Disziplin, dennoch ist er fester Bestandteil der Worldga- mes. Trotz gestiegener Popularita ¨t gilt dieser Sport vielerorts als ris- kant, mit hohem Verletzungs- und Mortalita ¨tsrisiko. Aktuelles Nicht nur die Sportart hat sich wei- terentwickelt, sondern auch das Ma- terial, mit dem gesprungen wird. Die Zeiten der ersten steuerbaren Rund- kappenfallschirme der 1970er Jahre sind vorbei. Bei den in der heutigen Zeit verwendeten Fallschirmen han- delt es sich in den meisten Fa ¨llen um mit Hilfe von Steuerleinen gut steuerbare Fla ¨chengleiter, welche den einzelnen Sprungdisziplinen an- gepasst werden (Abb. 1 und 2). Re- servefallschirm, Offnungsautomat, Kopfschutz und Ho ¨henmesser geho ¨- ren im modernen Fallschirmsport zur Standardausstattung [6]. Zusammenfassung Der Fallschirmsport hat sich in den letz- ten Jahrzenten zu einer anerkannten und beliebten Sportart entwickelt und ist ein fester Bestandteil der Worldga- mes geworden. Auch das mediale Inte- resse, besonders im Internetzeitalter, hat stark zugenommen. Vielerorts wird dieser Sport jedoch den Risikosportar- ten zugeteilt, er erfreut sich trotzdem zunehmender Beliebtheit. Verschiedene retrospektive Studien weltweit haben sich mit Verletzungen im Fallschirmsport beschaftigt und bie- ten einen großen Variationsrahmen bezuglich der eruierten Verletzungsrate und der Unfallmechanismen. Ziel dieses Beitrages ist es, einen Uberblick uber die aktuelle Fachlitera- tur und die praktischen Konsequenzen (Verletzungsmuster und Hintergrunde) dieser Sportart zu geben. Schlusselworter Fallschirmsport – Unfallmechanismen – Verlet- zungsmuster – freier Fall – Risikosportart A. Weimann, M. Herbort Accident mechanism and injury pattern in skydiving Abstract Skydiving developed throughout the last decades to an accepted and pop- ular sport and became an inherent part of the worldgames. Especially the inter- est of the media in the age of the internet has increased a lot. Even though this sport is kindly know as dangerous and therefore called higher risk sport, an increase in popularity can be seen throughout the population. Many different retrospective studies around the world analyzed the injuries in skydiving and documented a wide range according to injury pattern und accident mechanism. Aim of this manuscript is to illumine the current status in literature and to point out the practical implications (injury pattern and backgrounds) of this sport. Keywords Skydiving – Accident mechanism – Injury pat- tern – Freefall – Higher risk sport Orthopadie Traumatologie Sport Orthop. Traumatol. 29, 49–54 (2013) Elsevier – Urban&Fischer www.elsevier.de/SportOrthoTrauma http://dx.doi.org/10.1016/j.orthtr.2013.02.038 A. Weimann, M. Herbort Unfallmechanismen und Verletzungsmuster im Fallschirmsport 49 REVIEW

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Page 1: Unfallmechanismen und Verletzungsmuster im Fallschirmsport

REVIEW

Unfallmechanismen undVerletzungsmuster imFallschirmsport

Andre Weimann, Mirco HerbortKlinik und Poliklinik fur Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie,Universitatsklinikum Munster, Deutschland

Eingegangen/submitted: 05.10.2012; akzeptiert/accepted: 5.02.2013

Historisches

Der Fallschirmsport zahlt zu denSportarten, die sich wachsender Be-liebtheit erfreuen, auch wenn derFallschirm keine Erfindung der heu-tigen Zeit ist. Schon Leonardo daVinci fertigte eine Konstruktions-zeichnung eines Fallschirms an undbereits 1617 sprang der Mathemati-ker Fausto Veranzio mit einem stoff-bespannten Holzrahmen von einemTurm [6,14].Den ersten Sprung mit freiem Fallwagte der Franzose Charles Guille1819 aus 3000 m Hohe [6]. Wurdeder Fallschirm zunachst als Ret-tungshilfe genutzt, so ist er bisheute zu einem viel genutztenSportgerat geworden, mit dem derSportler aus Hohen zwischen 1500und 8000 m aus einem Flugzeugabspringt und sich in den freienFall begibt, um je nach Absprung-hohe zwischen 5 und 65 Sekundenund einer Geschwindigkeit von etwa200 km/h in die Schirmfahrtuberzugehen.,,Von je 100 befragten Jugendlichenim Alter von 14 bis 29 Jahren (. . .)wollen 23 die Sportart ausprobie-ren‘‘. [12]. Damit lag das Fallschirm-springen bei dieser Umfrage im Marz2000 in Deutschland an erster Stellevon allen erfragten so genannten,,Risiko- und Extremsportarten‘‘.

Verzeichnete der Deutsche Fall-schirmsport Verband e.V. (DFV)1995 noch 235.000 Sprunge inDeutschland, so lag die Anzahl derFallschirmsprunge in Deutschlandlaut DFV im Jahre 2010 bei311.245 Sprungen.Auch wenn sich der Fallschirmsportzu einer vom Internationalen Olym-pischen Komitee anerkannten Sport-art entwickelt hat, wurde er nieolympische Disziplin, dennoch ister fester Bestandteil der Worldga-mes. Trotz gestiegener Popularitatgilt dieser Sport vielerorts als ris-kant, mit hohem Verletzungs- undMortalitatsrisiko.

Aktuelles

Nicht nur die Sportart hat sich wei-terentwickelt, sondern auch das Ma-terial, mit dem gesprungen wird. DieZeiten der ersten steuerbaren Rund-kappenfallschirme der 1970er Jahresind vorbei. Bei den in der heutigenZeit verwendeten Fallschirmen han-delt es sich in den meisten Fallen ummit Hilfe von Steuerleinen gutsteuerbare Flachengleiter, welcheden einzelnen Sprungdisziplinen an-gepasst werden (Abb. 1 und 2). Re-servefallschirm, €Offnungsautomat,Kopfschutz und Hohenmesser geho-ren im modernen Fallschirmsport zurStandardausstattung [6].

Zusammenfassung

Der Fallschirmsport hat sich in den letz-ten Jahrzenten zu einer anerkanntenund beliebten Sportart entwickelt undist ein fester Bestandteil der Worldga-mes geworden. Auch das mediale Inte-resse, besonders im Internetzeitalter,hat stark zugenommen. Vielerorts wirddieser Sport jedoch den Risikosportar-ten zugeteilt, er erfreut sich trotzdemzunehmender Beliebtheit.Verschiedene retrospektive Studienweltweit haben sich mit Verletzungenim Fallschirmsport besch€aftigt und bie-ten einen großen Variationsrahmenbez€uglich der eruierten Verletzungsrateund der Unfallmechanismen.Ziel dieses Beitrages ist es, einen€Uberblick €uber die aktuelle Fachlitera-tur und die praktischen Konsequenzen(Verletzungsmuster und Hintergr€unde)dieser Sportart zu geben.

Schl€usselw€orterFallschirmsport – Unfallmechanismen– Verlet-zungsmuster – freier Fall – Risikosportart

A. Weimann, M. Herbort

Accident mechanism andinjury pattern in skydiving

Abstract

Skydiving developed throughout thelast decades to an accepted and pop-ular sport and became an inherent partof the worldgames. Especially the inter-est of the media in the age of theinternet has increased a lot. Eventhough this sport is kindly know asdangerous and therefore called higherrisk sport, an increase in popularity canbe seen throughout the population.Many different retrospective studiesaround the world analyzed the injuriesin skydiving and documented a widerange according to injury pattern undaccident mechanism.Aim of this manuscript is to illumine thecurrent status in literature and to pointout the practical implications (injurypattern and backgrounds) of this sport.

KeywordsSkydiving– Accident mechanism– Injury pat-tern– Freefall – Higher risk sport

Orthop€adieTraumatologie

Sport Orthop. Traumatol. 29, 49–54 (2013)Elsevier – Urban&Fischer

www.elsevier.de/SportOrthoTraumahttp://dx.doi.org/10.1016/j.orthtr.2013.02.038

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Der Springer ist mit dem Fallschirmuber ein Gurtzeug verbunden, wel-ches ahnlich wie ein Rucksack ge-tragen wird.

Die Große der Schirme wird inSquarefeet angegeben und variiertzwischen ca. 75 und 450, abhangigvon Disziplin, Sprungerfahrung und

Gewicht des Sportlers. Im Falle einerFehloffnung des Hauptschirms kanndieser abgetrennt und der Reserve-fallschirm geoffnet werden. Diese€Offnung kann sowohl manuell alsauch automatisch durch den€Offnungsautomaten erfolgen.

Disziplinen

Inzwischen gibt es eine Vielzahl vonDisziplinen im Fallschirmsport. Diesewerden im Wesentlichen in zweiGruppen analog zum Ablauf einesFallschirmsprunges unterteilt: diePhase des freien Falls und die amgeoffneten Fallschirm, welche sichbis zur Landung erstreckt. Je nachVorliebe des Springers konnen in deneinzelnen Phasen unterschiedlicheDisziplinen ausgeubt werden.Die beliebtesten Disziplinen sind imfreien Fall die Freifallformationen(RW/Relativ-works) und dasFreeflying.Beim RW nimmt eine Gruppe vonmindestens zwei Fallschirmsprin-gern im freien Fall eine stabile(neutrale) Korperhaltung auf demBauch ein und versucht moglichstviele vorher vereinbarte Figuren indieser Freifall-Formation zu bilden(Abb. 3) [6,8]. Unter Wettkampfbe-dingungen, fliegen 4er oder 8erTeams eine Vielzahl von Formatio-nen, die durch einen Videospringeraufgezeichnet und durch Schieds-richter anschließend bewertet wer-den. Der Weltrekord im RW liegt ak-tuell bei einer Großformation von400 Springern und wurde durch eininternationales Team in Thailandaufgestellt.Das Freeflying vereint Elemente un-terschiedlicher Disziplinen. Es wer-den verschiedene Korperhaltungenim freien Fall eingenommen. Diesist nicht an eine bestimmte Lagegebunden, alle Dimensionen konnenausgenutzt werden. Wichtige Kor-perhaltungen sind hier ‘‘Headdown’’

Abbildung 1Aufbau eines Fl€achengleitfallschirms.

Abbildung 2Fallschirmspringer kurz vor der Landung.

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(Kopf zum Boden), ‘‘Sitfly’’ (sitzendePosition) und ‘‘Standup’’ (aufrechteHaltung wie im Stehen). Ein beson-deres Merkmal dieser Disziplin sinddie erreichten Geschwindigkeiten im

freien Fall von zum Teil uber 400 km/h (Abb. 4) [6,8].Auch wahrend der zweiten Phase,der Schirmfahrt, konnen verschie-dene Disziplinen ausgeubt werden.Als klassische Disziplin gilt das Ziel-springen. Hier wird die moglichstpunktgenaue Landung avisiert. Alsaufstrebende Disziplin, die immermehr an Popularitat gewinnt, giltdas ,,Canopy Piloting‘‘ bzw. ,,Swoop-ing‘‘. Bei dieser Disziplin werden

am Schirm kurz vor der Landunghohe Geschwindigkeiten knappuber dem Boden (oft uber einemWassergraben) geflogen (Abb. 5).Ziel ist es, das Steigen des Schirmes,welches sich durch den erhohtenAuftrieb beim Bremsen entwickelt,so lang wie moglich in die waage-rechte Vorwartsfahrt umzusetzen.Durch sog. ‘‘Hookturns’’ (180-270-Grad-Drehungen knapp uber demBoden) wird versucht, eine nochhohere Geschwindigkeit aufzu-bauen (bis zu 180 km/h). Der Be-griff ‘‘Swooping’’ (Herabschießen)stellt den Vergleich mit Greifvogelnim Sturzflug kurz vor Ergreifen derBeute her.

Studienlage

In der internationalen Literatur ha-ben sich viele retrospektive Studien[1–5,11,15–18] mit Verletzungen imFallschirmsport beschaftigt. Die Ver-letzungsrate in diesen Studien reichtvon 0,048% [18] bis 2,0% [17] proabsolvierten Sprung. Die Zahlen desDeutschen Fallschirmsportverbandesaus dem Jahr 2010 zeigen eine Ver-letzungsrate von 0,024% bei311.245 Sprungen. Zum einen bie-ten diese Angaben einen großen Va-riationsrahmen, zum anderen sind

Abbildung 33er RW-Formation im freien Fall.

Abbildung 42er Formation im ,,Freeflying‘‘.

Abbildung 5Landung beim ,,Swooping‘‘ €uber einen Wassergraben.

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retrospektive Studien nur einge-schrankt zur Ermittlung sportspezifi-scher Verletzungsraten geeignet.Einigkeit herrscht in vielen Unter-suchungen daruber, dass die meis-ten Unfalle wahrend der Landepha-se stattfinden und Verletzungender unteren Extremitaten zurFolge haben [4,5,15,17,18]. Diebisherigen Erhebungen sind retro-spektiver Art und dokumentierensomit stattgefundene Verletzun-gen.Die Sportart Fallschirmspringen isteinem Wandel unterworfen, neueDisziplinen kommen hinzu, die ver-meintlich andere Verletzungenund Verletzungsmuster provozie-ren.

Fallschirmsportstudie 2006

Im Rahmen einer Promotionsarbeitan der Universitatsklinik Munster[9] wurde im Kalenderjahr 2006in Zusammenarbeit mit dem DFVeine bundesweite online-gestutzteErhebung prospektiv uber ein ge-samtes Jahr durchgefuhrt. Insge-samt registrierten sich 493 Teil-nehmer, von denen letztendlich369 eingeschlossen werden konn-ten. Die eingeschlossenen Teilneh-mer absolvierten im Untersu-chungszeitraum 45.193 Fallschirm-sprunge. Es wurden nicht nur dieUnfallmechanismen und Verlet-zungsmuster dokumentiert sondernauch Faktoren wie: Ausbildung,Sprungerfahrung, Sprungdisziplin,Alter, Geschlecht und BMIberucksichtigt.Diese Studie stellt die bisher umfas-sendste prospektive Datensammlungdar. Insgesamt wurden 149 Verlet-zungen registriert, von denen 21 alsschwere Verletzungen klassifiziertwurden. Die Gesamtverletzungsrateliegt bei 0,69%, die Verletzungsratefur ,,schwere Verletzungen‘‘ bei0,046%.

Unfallmechanismen undVerletzungsmuster

Die Daten der Studie konnten zei-gen, dass es Unterschiede bezuglichder Verletzungshaufigkeit einzelnerKorperregionen gibt. Die unterenExtremitaten waren in 69,8% betrof-fen, wie es auch schon fur gangigeSportarten wie Leichtathletik, Fuß-ball und andere Ballsportarten be-schrieben wird [7,13].Knie und Sprunggelenk wurden alsdie verletzungsanfalligsten Korper-regionen dokumentiert, gefolgtvon Wirbelsaule, Unterschenkel,Fuß und Schulter. Bei den ,,schwerenVerletzungen‘‘ war das Sprunggelenkam haufigsten betroffen (28,6% allerVerletzten). Die haufigste Ursachefur die Knieverletzungen waren in37,1% Fehleinschatzungen derWind- und Wetterverhaltnisse undselbstverschuldete Landefehler.Sprunggelenkverletzungen waren in36,7% Folge der Bodenbeschaffen-heit und zu 23,3% eigenen Lande-fehlern zuzuschreiben.Prellungen stellten den uberwiegen-den Teil der angegebenen 149Verletzungen dar. Von den 21 Teil-nehmern der Kategorie ‘‘schwere Ver-letzungen’’ gaben 12 einen Kno-chenbruch, neun Springer eineschwere Gelenkverletzung und in

sechs Fallen eine Bandruptur an.Die Dominanz von Frakturen beiden schwer verletzten Athleten be-statigt u. a. die Studie von Westmanund Bjornstig [18].63,1% der Verletzungen ereignetensich wahrend der Landung, in 18,1%traten diese bei der €Offnung desSchirms auf (Abb. 6). Athleten, dieihren Sport regelmaßig und haufigausubten (>300 Sprunge in denletzten 12 Monaten), zeigten einausgepragt niedriges Verletzungsri-siko (0,06%), Gelegenheitsspringeroder Anfanger (<10 Sprunge in denletzten 12 Monaten) ein hohes mit1,65%. Der nahezu lineare Abfall desVerletzungsrisikos im Laufe des Jah-res wurde auf die wachsende Sprung-praxis des Einzelnen im Laufe derSaison zuruckgefuhrt.

Verletzungsrisiko

Thiele et al. beschreiben ein Verlet-zungsrisiko von 1-2% [17] und be-rucksichtigen hierbei nur Verletzun-gen, die als ,,schwer‘‘ klassifiziertwerden. In der Fallschirmsportstudie2006 wurden auch Bagatellverlet-zungen und Uberlastungsschadenin die Auswertung eingeschlossen.Die von Westman und Bjornstig[18] aktuell veroffentlichten Zahlen

Abbildung 6Verletzungsh€aufigkeiten beim Fallschirmspringen.

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beschreiben eine deutlich niedrigereVerletzungshaufigkeit von 0,048%und beziehen sich dabei auf Datendes Schwedischen Fallschirmsport-verbandes (Svenska Fallskarmsfor-bundet) aus den Jahren 1999-2003.Dabei handelt es sich um ,,schwereVerletzungen‘‘, die dem Verband ge-meldet wurden. Todliche und auchBagatellverletzungen bleiben unbe-rucksichtigt. Außerdem ist von einernicht unwesentlichen Dunkelquotevon nicht gemeldeten Verletzungenauszugehen.Vergleichbar sind diese Zahlen mitdenen des Deutschen Fallschirm-sportverbandes, die eine Verlet-zungsinzidenz von 0,025% fur dasJahr 2005 ausweisen. Auch bei denZahlen des Deutschen Fallschirm-sportverbandes handelt es sich aus-schließlich um gemeldete Verletzun-gen meldepflichtiger Unfalle, die als,,schwere‘‘ Verletzungen gefuhrtwerden. Andere Verletzungen wer-den nicht erfasst.

Vergleich mit anderenSportarten

Problematisch ist es ebenso, das Ver-letzungsrisiko im Fallschirmsport mitdem anderer Sportarten zu verglei-chen. Wird bei der Angabe des Ver-letzungsrisikos bei anderen Sportar-ten von Anzahl der Unfalle in 1000Stunden gesprochen [10], ist einederartige Berechnung im Fallschirm-sport nicht zu verwerten. Die Aus-ubung des Sportes bzw. der einzelnenDisziplinen nimmt nur einen Bruch-teil der Zeit ein; meist die Sekundendes Freifalls (ca. 3-60 Sekunden)bzw. die Dauer der Schirmfahrt (ca.1-10 Minuten). Deshalb wird hier vondem Verletzungsrisiko in % bezogenauf Sprunge bzw. von Verletzungs-fallen bezogen auf 10.000 Sprungegesprochen. Diese Beschreibung derVerletzungsinzidenz ist in Studienzum Fallschirmspringen gangig

[1–5,11,15–18]. Diese unterschied-liche Berechnung der Verletzungsin-zidenz lasst keinen klaren Vergleichmit dem Risiko anderer Sportartenzu. Somit ist eine vergleichende Ein-stufung des Risikos als fragwurdig zubezeichnen.

Fazit

Insgesamt liegt das Verletzungsrisi-ko in den vorliegenden Studien nied-riger als erwartet und es sollte uberdie Bezeichnung des Fallschirm-sports als ,,Risikosportart‘‘ im Ver-gleich zu anderen Sportarten (Mo-torsport, Reitsport, Wintersport)diskutiert werden.Festgehalten werden muss, dass essich beim Fallschirmsport um eineSportart handelt, bei der schwereVerletzungen grundsatzlich auftre-ten konnen. Auch wenn die Mortali-tat im Fallschirmsport nicht Bestand-teil der vorliegenden Studien war, sosollte nicht unerwahnt bleiben, dasses immer wieder zu todlichen Unfal-len kommt und kommen kann. Dieseschweren Verletzungen und Todesfal-le stellen in der Regel jedoch meis-tens grobste Regelverstoße im Um-gang mit der Praxis des Sportes unddem verwendeten Material dar undsind daher eigentlich nicht mit demSport in Verbindung zu bringen.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklaren, dass kein In-teressenkonflikt vorliegt.

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Korrespondenzadresse:Dr. med. Andre WeimannUniversitatsklinikum Munster

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