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Unterrichten im jüngsten Staat Europas
Drei Monate Praktikum in Kosovo
Daniel Wirth
Vortrag am 25.05.2011. Uni Würzburg.
Im Rahmen des Vorbereitungsseminars für die Kroatienexkursion
Programm:
Völkerverständigung macht Schule
Inhalt
• Landeskunde
• Arbeit in der Schule
• Vergleich Kosovo-Mazedonien
• Der international verwaltete Staat Kosovo
• Flüchtlinge aus Kosovo in Deutschland
• Deutschlandbild der Kosovaren
• Blick in die Zukunft
KOSOVO
LANDESKUNDE Fakten, Daten, Geschichte
Kosovo
Kosovo
• Einwohner: ca. 2,0 Millionen • Fläche: 10.887 km2
• Hauptstadt: Prishtina/Priština • Amtssprachen: Albanisch, Serbisch, Türkisch,
Bosnisch, Romanes • Religion: ca. 80% Islam, ca. 10% Serbisch-
orthodoxe Kirche • Bevölkerungsverteilung:
– unter 18 Jahre 46% – über 65 Jahre 6%
Geschichte 1
• Kosovo einzige Region des ehemaligen Jugoslawiens mit mehrheitlich albanischer Sprachverwendung.
• Trotzdem wird nach dem Zerfall Jugoslawiens Kosovo Serbien zugesprochen.
• Zunächst keine interethnischen Konflikte • Milošević 1989: Amselfeld-Rede. Beginn der
Unterdrückung der albanischen Minderheit • Unabhängigkeitsbestrebungen der Kosovo-Albaner
werden verstärkt vorgetragen und auch paramilitärisch (UÇK) begleitet. Belgrad verstärkt Unterdrückung und beginnt Massaker durchzuführen Binnenflucht.
• Folge: Kosovo-Krieg 1998/99
Geschichte 2
Kosovo-Krieg
• Bereits vor Kriegsbeginn Flüchtlinge nach AL, MK, D, A, CH
• NATO-Luftangriffe gegen Belgrad
• Entsendung der KFOR (Kosovo Force) zur Demilitarisierung, Entwaffnung und Rückführung von Flüchtlingen
• Installation einer UN-Übergangsverwaltung
Geschichte 3
Status Quo • Unabhängiger Staat seit 2008. 72 von 192 UN-
Mitgliedsstaaten erkennen Kosovo an. • Serbien betrachtet Kosovo nach wie vor als Teil des eigenen
Staates. • Eigenständige Regierung, aber starke Einflussnahme durch
UN, EU, USA. • Flüchtlinge sind zum Großteil zurückgekehrt. • Sehr geringe Wirtschaftskraft (kaum Produktion) • Große infrastrukturelle Probleme: Straßen, Wasser, Strom,
Internet • Nordteil des Landes nicht von der Regierung kontrolliert.
DIE ARBEIT IN DER SCHULE Schulsystem, Schulen, Unterricht, Projektarbeit
Schulsystem
• Schulpflicht bis 9. Klasse • Grundschule bis einschließlich 9. Klasse (keine
Differenzierung) • Technische Schule/ Mittelschule bis 11. Klasse • Gymnasium bis 12. Klasse • Kein Berufsschulsystem • Ethnisch getrennter Unterricht in der jeweiligen
Minderheitensprache • Staatliche Schulen kostenfrei, Privatschulen sehr teuer
(auch für deutsche Verhältnisse) • Kein Förderschulsystem • Bei einigen Minderheiten hohe Rate an Schulverweigerern
Die Schulen Staatliche Schule
(Eqrem Cabej-Gymnasium)
• Desolates Schulgebäude
• Zeitweise kein Wasser, Heizung, Strom
• Unterricht in zwei Schichten
• Nicht ausreichend Stühle
• Manche Klassenräume ohne Tafel
• Keine PCs
• Sport, Chemie, Physik, Informatik usw. finden ohne Fachräume statt.
• Keine Lehrbücher (teilweise in Kopie)
• Lehrergehalt 270 EUR/Monat
• Hoher Anteil an Rückkehrern
Privatschule
(Mileniumi i Trete)
• Modernes, helles Schulgebäude
• Eigene Stromversorgung
• Unterricht von 8-17 Uhr
• Einrichtung nach deutschem Standard
• Alle Klassenräume mit Beamer und PC
• Voll ausgestattete IT-Räume
• Fachräume, eigene Sportanlage, Schülerlabor
• Lehrbücher, Arbeitshefte
• Lehrergehalt ca. 400 EUR/Monat
• Kinder von Politikern und Unternehmern
Deutschunterricht 1
Allgemein:
• Deutsch in ganz Kosovo optionale zweite Fremdsprache nach Englisch.
• Einheimische Lehrkräfte mit teilweise geringen Sprachkenntnissen.
Deutschunterricht 2
Ziel „unserer“ Schüler: Erwerb des Deutschen Sprachdiploms (DSD) Grundsätzlich zwei Gruppen von Schülern: • Rückkehrer (Aufenthalt in Deutschland mindestens 5
Jahre oder in der Schule gewesen) • Anfänger (besonders leistungsstarke und motivierte
Schüler) • Sondergruppe Medienlerner (Sprache durch Medien
selbst beigebracht)
Deutschunterricht 3
Arbeitsschwerpunkte Rückkehrer: • Aufsatz • Rechtschreibung • Grammatik Arbeitsschwerpunkte Anfänger: • Hörverständnis • Leseverständnis • Aufsatz • Rechtschreibung • Mündlicher Vortrag • Grammatik
Deutschunterricht – Projektunterricht 1
Aufgabe: Durchführung von Projekten mit Schülern in deutscher Sprache mit dem Ziel der Erweiterung der Sprachkenntnisse.
Möglichst mit Deutschlandbezug mit dem Ziel der Vermittlung eines aktuellen Deutschlandbildes.
Problematik:
• Schüler haben keine Erfahrung in Projektarbeit
• In der Schule keine Infrastruktur, Materialien vorhanden
• Keine Räumlichkeiten vorhanden (Schichtbetrieb)
• Fast alle Schüler ab Klasse 11 arbeiten vor oder nach ihrer Schulschicht, um die Familie zu unterstützen (Call Center)
Deutschunterricht – Projektunterricht 2
Durchführung zweier Projekte
• 10. Klassen: „Mein Traum“ multinationales Kreativschreib- und Fotoprojekt zum Thema Zukunftsträume – kaum Hilfsmittel nötig
– in relativ kurzer Zeit umsetzbar
– sehr motivierend, da multinational
Ergebnis einsehbar unter traumhaben.kjg-neuss.de
• 11. Klassen: Stadtführer Prishtina. Ziel: Schüleraustausch – sehr komplexes Vorgehen
– hoher Materialaufwand (PC, Layoutprogramme, Internet etc.)
– ungeahnt politisch brisantes Projekt
VERGLEICH KOSOVO - MAZEDONIEN
Unterschiedliche Entwicklung zweier ehemals jugoslawischer Staaten
Mazedonien
Vergleich Kosovo-Mazedonien
Kosovo
• 2,0 Mio. EW
• unklarer politischer Status
• Beziehungen mit umliegenden Staaten schlecht (außer Albanien)
• Kaum Produktion, Wirtschaft abhängig von Transferzahlungen
• Infrastrukturprobleme bei Straßen, Wasser, Strom, Internet
• Ethnische Konflikte immer noch alltäglich
• eher geringes touristisches Potential
Mazedonien • ca. 2,0 Mio. EW
• EU-Beitrittskandidat
• Beziehungen mit umliegenden Staaten gut (außer Griechenland)
• Wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den umliegenden Staaten
• Sehr hohe Investition in Infrastruktur
• Ethnische Konflikte geringer ausgeprägt
• Hohes touristisches Potential auch für Mitteleuropäer
DER INTERNATIONAL VERWALTETE STAAT KOSOVO
UNMIK, EULEX, KFOR (Bundeswehr), NGOs
Internationale Verwaltung und Friedenssicherung 1
• UNMIK – Reste der Friedensmission der UN
• EULEX – Rechtsstaatlichkeitsmission der EU – Ausbildung der Polizei
– Ausbildung der Richter und Staatsanwälte
– Durchführung und/oder Überwachung von Zivilprozessen
• OSZE – Koordination der internationalen wirtschaftlichen Hilfsmaßnahmen
• KFOR – Militärische Friedenssicherung und Aufbauhilfe (größter Truppensteller: Deutschland)
• mehrere NGOs
Internationale Verwaltung und Friedenssicherung 2
Einerseits…
• Notwendig, um Frieden zu sichern (Gefahr von terroristischen
Akten einzelner Minderheiten durchaus noch gegeben, insbesondere im Nordteil)
• Notwendig, um Wirtschaft zu erhalten (Internationale
Organisationen bringen Transferzahlungen, schaffen aber auch Konsum und hohe Löhne)
Andererseits…
• Starke Einflussnahme in die (Tages-)Politik
• Menschen fühlen sich zunehmend unterdrückt
FLÜCHTLINGE AUS KOSOVO IN DEUTSCHLAND
Integration, Rückführung, Zukunftsperspektiven
Flüchtlinge aus KS in Deutschland
• D erklärt sich neben A und CH vor und während des Kosovokrieges bereit, Flüchtlinge aus Kosovo aufzunehmen.
• Flüchtlinge bleiben mitunter 5-10 Jahre in Deutschland. Viele kehren aber auch freiwillig zurück.
• Kinder von Flüchtlingen, die in D geboren werden, kennen ihr Heimatland nicht.
• Integrationsgrad der kosovarischen Flüchtlinge teilweise sehr hoch, da keine Zukunft im eigenen Land gesehen wird
• Bei Rückführung wurden den Flüchtlingen vom Staat Kosovo Versprechungen gemacht (z.B. Bauplatz, Kredite), die häufig nicht eingehalten wurden.
frühe Rückführung vs. dauerhaftes Bleiberecht
DEUTSCHLANDBILD DER KOSOVAREN
Zweite Heimat, Land aus dem das Geld kommt, die Befreier, die Unterdrücker
Deutschlandbild der Kosovaren
• Je nach Generation bzw. politischer Einstellung:
Die Befreier oder Die Unterdrücker
• Land der Träume (Medien!)
• Zweite Heimat (viele Familienmitglieder leben in Deutschland)
• Bei Rückkehrern ist häufig die einzig negative Erfahrung, die genannt wird, die Abschiebung
BLICK IN DIE ZUKUNFT Quo vadis?
Fakten für die Zukunft
• Internationale Organisationen ziehen sich immer weiter zurück
• Es fließt immer weniger Geld nach Kosovo
• Der Konflikt mit Serbien hat mittelfristig keine Aussicht auf Beilegung
• Der politische Status bleibt mittelfristig auch weiter unklar
• Investitionen aus dem Ausland werden kaum getätigt werden (mangelnde Infrastruktur)
Mögliche Auswege
• Kooperation mit anderen Staaten (z.B. Albanien, Montenegro, Mazedonien)
• Für innenpolitische Stabilität sorgen
• Eventuell Gebietsabtretung im Norden an Serbien
• Hohe Investitionen in die Infrastruktur
• Bekämpfung der Korruption und Vetternwirtschaft
Februar 2008
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!