untersuchungen über den gelierungsvorgang in lösungen von stereoregulären polymethylmethacrylaten

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Die Anyewundte Mukromolrkulurt~ C'hrmir 36 (1974) 133-144 (Nr. 528) Aus dem Physikalisch-Chemischen lnstitut der Technischen Universitat Clausthal Untersuchungen iiber den Gelierungsvorgang in Liisungen von stereoregularen Polymethylmethacrylaten Von Manfred Pyrlik. Werner Borchard. Giinther Rehage und Ernst-Peter Uerpmann (Eingegangen am S. Scptember 1973) ZUSAMMENFASSUNG: Der Gelierungsvorgang in maBig konzentricrten Losungen von iso- und syndiotakti- schen PMMA-Gemischen wurde mit volumctrischen und dynamisch-mechanischen MeU mcthoden untersucht. Die Volumen-Temperaturkurve sowie die Gelierungsisotherme zeigen den fur partiell kristallisierende Systeme zu envartenden Verlauf. Die Analyse des viskoelastischen Verhaltens ergibt, daO das nebenvalenimaBig vernetzte Gel im entsprechenden Temperaturbereich groae Ahnlichkeit mit hauptvalenzmiiBig vernetzten gequollenen Systemen aufweist. Mit sinkender Temperatur wachsen die dynamischen KenngroBcn G' und G" an. auch wcnn bei den vorangehenden hoheren Tcmperaturen das Einstellen konstanter Werte abgewartet wurde. Das bedeutet, daB auch nach der Ausbildung des Netnverks im Gel noch Vernetzungen stattfinden. Dabei deuten verschiedene Beobachtungen darauf hin. daB diese nachtriigliche Vernetzung auf dcn weiteren Einbau von bis dahin unvernetz- tem Polymerisat in das Netmerk zuruckzufuhren ist. Die Struktur und damit die mechanischen Eigenschaften sind weitgehend von den Gelierungsbedingungen abhangig. Es konnte gezeigt werden, daB hierfur cin Keimbil- dungsmechanismus verantwortlich ist. SUMMARY: Gel formation in moderatcly concentrated solutions of mixtures of iso- and syndiotactic PMMA was studied using volumetric and dynamic mechanical techniques. The volume- tcrnperature-curve and the gelation isotherms have the shape typical for partially crystal- line systcms. The analysis of the viscoelastic behaviour shows that the gel crosslinked by physical bonds is very similar to chemically crosslinked swollen systems in an according temperature range. Dynamicstorageand loss moduli increase with dccreasing tcmperature cvcn after waiting for constant values of G' and G" at higher temperatures. This is due to some further crosslinking after the initial network formation. Experimental results let us suppose that additional polymcr molecules being dissolved at this time cause the subsequent crosslinking. The structure and. consequently, the mechanical properties are mainly dependent on the condition of gel formation. This is related to a nucleation mechanism. 133

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Page 1: Untersuchungen über den Gelierungsvorgang in Lösungen von stereoregulären Polymethylmethacrylaten

Die Anyewundte Mukromolrkulurt~ C'hrmir 36 (1974) 133-144 ( N r . 528)

Aus dem Physikalisch-Chemischen lnstitut der Technischen Universitat Clausthal

Untersuchungen iiber den Gelierungsvorgang in Liisungen von stereoregularen Polymethylmethacrylaten

Von Manfred Pyrlik. Werner Borchard. Giinther Rehage und Ernst-Peter Uerpmann

(Eingegangen am S. Scptember 1973)

ZUSAMMENFASSUNG: Der Gelierungsvorgang in maBig konzentricrten Losungen von iso- und syndiotakti-

schen PMMA-Gemischen wurde mit volumctrischen und dynamisch-mechanischen MeU mcthoden untersucht. Die Volumen-Temperaturkurve sowie die Gelierungsisotherme zeigen den fur partiell kristallisierende Systeme zu envartenden Verlauf. Die Analyse des viskoelastischen Verhaltens ergibt, daO das nebenvalenimaBig vernetzte Gel im entsprechenden Temperaturbereich groae Ahnlichkeit mit hauptvalenzmiiBig vernetzten gequollenen Systemen aufweist.

Mit sinkender Temperatur wachsen die dynamischen KenngroBcn G' und G" an. auch wcnn bei den vorangehenden hoheren Tcmperaturen das Einstellen konstanter Werte abgewartet wurde. Das bedeutet, daB auch nach der Ausbildung des Netnverks im Gel noch Vernetzungen stattfinden. Dabei deuten verschiedene Beobachtungen darauf hin. daB diese nachtriigliche Vernetzung auf dcn weiteren Einbau von bis dahin unvernetz- tem Polymerisat in das Netmerk zuruckzufuhren ist.

Die Struktur und damit die mechanischen Eigenschaften sind weitgehend von den Gelierungsbedingungen abhangig. Es konnte gezeigt werden, daB hierfur cin Keimbil- dungsmechanismus verantwortlich ist.

SUMMARY: Gel formation in moderatcly concentrated solutions of mixtures of iso- and syndiotactic

PMMA was studied using volumetric and dynamic mechanical techniques. The volume- tcrnperature-curve and the gelation isotherms have the shape typical for partially crystal- line systcms. The analysis of the viscoelastic behaviour shows that the gel crosslinked by physical bonds is very similar to chemically crosslinked swollen systems in an according temperature range. Dynamicstorageand loss moduli increase with dccreasing tcmperature cvcn after waiting for constant values of G' and G" at higher temperatures. This is due to some further crosslinking after the initial network formation. Experimental results let us suppose that additional polymcr molecules being dissolved at this time cause the subsequent crosslinking.

The structure and. consequently, the mechanical properties are mainly dependent on the condition of gel formation. This is related to a nucleation mechanism.

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M. Pyrlik. W. Borchard, G. Rehage und E.-P. Uerpmann

I . Einlrituny

Mischt man Losungen von iso- und syndiotaktischern Polyrnethylrnethacry- lat (PMMA), so bilden sich - von einer bestimrnten Polyrnerkonzcntration ab und in gewissen Mischungsverhaltnissen der taktischen Kornponenten - Gelc, die durch Temperaturerhohung zurn Schrnelzen und durch anschlieDen- de Ternperaturerniedrigung wider zurn Gelieren gebracht werden konnen '. In Analogie zu anderen hochrnolekularen Systerncn rnit iihnlichen Eigcnschaf- ten' - l o bildet die Polyrnerkornponente im Gel ein dreidirnensionales Netz- werk. Dabei bestehen die Bindungskrafte in den Verknupfungspunkten nicht wie bei den chemisch vernetzten Systernen aus Hauptvalcnzen. sondern aus Nebcnvalcnzen. Rontgenographische Untersuchungen fuhrten zu dern allge- rnein anerkannten SchlulJ. dan die Verknupfungspunkte in nebenvalenmatiig vernetzten Gelen gewohnlich aus kristallinen Bereichen bestehcn. Das Polyrne- re ist also zurn Teil kristallin. wobei der Kristallisationsgrad nicht allzu gron sein darf. darnit sich ein dreidirnensionales Netzwerk ausbilden kann. Auch bci durch Eindarnpfen losungsrnittelfrei gernachten PMMA-Gelcn konnte rontge- nographisch partielle Kristallitat nachgewiesen werden2. I I . z 1 . Da die Gelie- rung lediglich in Mischungcn der beiden stereoregularen Polyrnethylrnethacry- late in niedrigrnolekularcn Losungsmitteln und nicht auch in den Losungen, bestehcnd aus den reinen stereoreguliren Kornponcnten. stattfindet, kann auch bei der Netzwerkbildung durch kristalline Bereiche Stereokornplexbil- dung angenomrnen werden, z. B. nach dern Liquori-Model1 I z . Aus dcr Tatsa- che. daCJ - in vergleichbaren Ternperatur- und Kontentrationsbercichen ~

bci Losungen aus ataktischern PMMA keine Gelierung stattfindet, folgern wir, dal3 eine bestirnrnte rnittlere Mindestsequenzlinge aus stcreoregularen Triadcn vorlicgen mu& urn die fur die Netzwerkbildung notwendige Zahl von festen, also nicht fluktuierenden Verknupfungen bereitzustellen. Dabei bezieht sich der Begriff Jest" auf die jeweilige Untersuchungszcit bzw. -fre- quenz. Die Eigenschaftcn nebenvalenmanig vernetzter Gele sind in besonders starkern Mane von der Vorgeschichte, insbesondcrc von den Gelierungsbedin- gungen, abhangig. Wir intercssierten uns daher zuniichst fur das Verhaltcn des Systems in der Nahe der Gelierungsternperatur. Mit einern Dilatorneter wurde untersucht, ob die Volumen-Ternperatur-Kurven bcim Gelieren rnit den fur partielle Kristallisation bekannten K urvenformen verglichen werden konnen. Die Anderung der rnechanischen Eigenschaften des Systems wiihrend der Gelierung sowic der Einflul3 der Vorgeschichte wurdcn in einern Schwin- gungsviskosirneter untersucht.

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2.1 Prohen

Das isotaktische PMMA. das von dcr Firma Rohm CrmbH freundlicherwcise zur Verfugung pcstcllt worden war , hattc bci einem Molckularpcwicht (viskosimetrisch bc- stimmt in Toluol) von M.=2.3.10’ 93% isotaktische Triadcn (kernresonanzmapnetisch in Dcutcrochloroform bestimmt)*. Das syndiotaktische PMMA wurdc von uns durch anionische Polymcrisation in Ammoniak bei -70 C hcrgcstellt und hattc bci einem Molckularpewicht von M, = 5.10’ 72?6 syndio- und 28% hctcrotaktische Triaden. Als Losungsmittel rand bci allen Lntersuchungen 0-Xylol Vcrwendung. Dic Polymerisatc wurden getrennt aufgclost: die Losungcn wurden dann so gcmischt, daB das Massenver- hiiltnis der beiden Polymcren etwa 4 : 5 iso- zu syndiotaktischcm PMMA bctrup. Dies cntspricht einemTriadenvcrhPltnisvon ctwa 1 : 1 : bei diesem Vcrhiiltnis war das ,Maximum der Stcreokomplcxbildung gefundcn worden I ’, 14. Nach dem Mischen wurde die Losung noch durch Erhitzen Lum Sicdcpunkt bei etwa 145 c‘ homogenisicrt.

2.2 Dilutometer

Die Vessung dcr Volumen-Tcmpcraturkurvc dcs Gels erfolgtc in cinem Quarzglasdila- tomctcr. das in Anlehnung an bcreits beschricbcnc Gerate hcrgcstcllt wurde’ 5 , I h. ’ I .

Als MeBflussigkcit diente Quccksilber. Durch die Verwendung von sehr langcn. tcmperier- ten MeUkapillaren wurdc dic fur die geringcn Volumenandcrungen bei der partiellen Kristallisation erfordcrliche MeBgcnauigkeit erreicht. Die Temperaturkonstanz hctrup - - 0.00 1 ‘C.

2.3 Sch w in yungstl iskosimet er

Das fur die dynamischen Mcssunpen bcnutzte Schwingungsviskosimetcr wurde von Duiser und Den Otter konstruicrt und von uns modifizicrt”.’”. Der Antrich crfolgt durch einen elektronisch geregeltcn Gleichstrommotor uber einen mcchanischen Exzcnter. Die MeUzcllc ist vom Couettc-Typ: der Innenzylinder wird durch einen Torsionsdraht angetrieben. Die McRgroUen Amplitudenverhaltnis und PhasendiNcrcnz werden optisch erfaBt. Siimtlichc Mctallteile der Zcllc bestehen aus INVAR-Stahl (Dilavar hi 36. DEW Krcfeld)**. Finen Ausschnitt aus dcr Schnittzeichnung d r r MeDzellc zcigt Abb. 1. Dcr MeRbercich dcs Gerstes in den briden dynamischen KenngriiBcn Speicher- und Verlust- modul rcicht von 10 bis 10’ dyn.cm ’. Der Frequenzbcrcich erstreckt sich von 3.IO-‘bis 30Hz.

-

Wirdankender Firma Rohm CimbH fur die freundliche Uberlassung mchrcrcr stcrcore-

** Wir dankcn den Dcutschen Edelstahlwerken fur die freundliche Uberlassung des

guliirer Polymerisate.

Materials.

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M . Pyrlik, W. Borchard, G. Rehage und E.-P. Uerpmann

Abb. 1. Ausschnitt aus der Schnittzeichnung der MeDzelle. 1 , 2: Innen- und Auknzylinder, 3, 4: Oberer und unterer Torsionsdraht, 5. 6 : Obere und untere Torsionsdrahthalterungcn,

I I 7 : Einfullvorrichtung, I 8: Flussigkeitsdichtung.

3 . Ergebnisse und Diskussion

3.1 Dilatometrische Messungen

In Abb. 2 ist die Volumen-Temperatur-Kurve einer Losung mit einer Brutto- konzentration von 22,4 Gew.-% stereoregularem PMMA dargestellt. Die Flus- sigkeitsgerade wurde nach Erreichen des Temperaturgleichgewichts abkuhlend, die Gelkurve nach 48stundiger Wartezeit bei tieferen Temperaturen aufheizend gemessen. Die Kurve zeigt den fur binare Systeme mit einer kristallisierenden Komponente erwarteten gabelformigen Verlauf [vgl. z. B. 19].

Abb. 3 zeigt die Temperaturabhangigkeit des Ausdehnungskoeffiienten. Die Kurve hat die fur Urnwandlungen 2. Ordnung charakteristische lambdafor- mige Gestalt, dennoch erscheint es uns wenig sinnvoll, dic Gelierung als einphasige Umwandlung zu betrachten, da echte Kristallisation auftritt. Das

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Abb. 2.

Grlieruny srcreoregulurcr Polvmt,rh I lmc~hacr vlate

L I & $0 100 110 120

Volumcn-Temperaturkurve eincr 1soisynd.-PMMA-Liisung ~ = 2 2 . 4 g . d l - I .

in 0-Xylol.

Abb. 3. Ternpcraturabhangigkeit dcs Ausdehnungskocffizienten (Differentialkurve von Abb. 2).

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M. Pyrlik. W. Borchard, G. Rehage und E.-P. Uerpmann

Diagramm liefert cine Moglichkeit zur exakten Bestimmung des Gelschmelz- punktes. Die dilatometrische Methode 1st den iiblichen mechanischen Messun- gen des Gelschmelzpunktes schon allein wegen der fehlenden Beeinflussung des MeOgutes durch den MeOvorgang uberlegen. Allerdings muO man beruck- sichtigen. daO der Schmelzpunkt bei gelierenden hochmolekularen Systemen keine Stomtonstante ist, sondern von dcr Struktur, bedingt durch die Herstel- lung des Gels und die thermische Vorgeschichte, abhangig ist. Der dilatome- trisch bestimmte Schmelzpunkt von 105 “C liegt in dem Schmelzbereich, der durch die dynamischen Messungen - in Abhangigkeit von der Aufheizgeschwin- digkeit - gefunden wird.

In Abb. 4 1st die relative Volumenanderung (fr , - v,)/(fr= - fro) gegen die Zeit aufgetragen. Dabei sind v,, fro und v, die spezifischen Volumina zum Zeitpunkt t bzw. vor und nach beendeter Gelierung.

Die frL- und fro-Werte wurden bei jeder Temperatur den entsprechenden Geradcn der Abb. 2 entnommen. Wahrend bei einer Temperatur von 96’C die Losung innerhalb der Meheit kaum beobachtbar geliert, fuhrt die bei tieferen Temperaturen eintretende Gelierung zu einer ausgepragten Volumen- verringerung; jedoch wird die Abszisse bei den hoheren Temperaturen trotz langen Wartens nicht erreicht.

0-3[ m i n] Abb. 4. Gclierungsisothermen einer iso/synd.-PMMA-Losung in 0-Xylol.

~ = 2 2 , 4 g . d I - I . 0: 96 C, A: 90 C, a: 86 C, 0: 81 C, A: 78 C.

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Die MeDergebnisse sind nach der Avrarni-Gleichung (hier in der Schreib- weise nach Mandelkern2')

k, t = Konstante, A,% , = Massenbruch des kristallisierten Polymeren nach der Gelierung.

nicht auszuwerten, da sich in der doppeltlogarithrnischen Auftragung keine Geraden ergeben.

Der Grund fur die Abweichung vorn Kristallisationsverhalten hornopolyme- rer Substanzen, z. B. des Polyathylens, ist wahrscheinlich darin zu suchen, daD es sich hier urn eine Kristallisation aus einer Losung handelt. Irn Gegensatz zur Kristallisation aus einer reinen Schrnelze ist bei einer Kristallisation aus einer Losung die treibende Kraft zusitzlich noch von der Konzentration abhangig. Daher ist ein Teil der Voraussetzungen. die bei der Ableitung der oben angefuhrten Avrarni-Gleichung gernacht wurden, nicht erfullt.

3.2 Dynamische Messungen Mechanische Kenngroljen sind ein sehr gut geeignetes Mittel zur Charakteri-

sierung nebenvalenzmaRig vernetzter Gele, da sich gerade die rnechanischen Eigenschaften bei der Gelierung in aulkrordentlich starkern MaDe an- dern 5 , h * l o . 2 2 . Besonders vorteilhaft ist die Verwendung der dynarnischen Men- rnethode, weil durch eine Messung zwei unabhangige MeDgroDen, Speicher- und Verlustrnodul. gewonnen werden; daruber hinaus 1st der EinfluR des Meljvorganges auf das Meljgut relativ gering. Uber Untersuchungen der dyna- rnischen Eigenschaften von Gelen ist noch nicht vie1 berichtet worden

Das von uns venvendete Schwingungsviskosimeter gestattet die Messung von Real- und Irnaginarteil des kornplexen Schubrnoduls sowohl irn flussigen als auch irn gelierten Zustand der Losungen.

Abb. 5 zeigt die Gelierungsisothermen, d. h. die Zeitabhiingigkeit von G' und G" bei konstanter Ternperatur. Die Kurven bei 90 'C wurden nach Abkuh- lung vorn Siedepunkt der Losung, alle anderen stufenweise nach Abkuhlung von der jeweils nachsthoheren Ternperatur erhalten. Die K urven streben bei jeder Ternperatur einern neuen Endwert zu. Die Gelierungsgeschwindigkeit, also die Steigung der Kurven, nimrnt fur jede Ternperatur rnit der Zeit und fur konstante Gelierungszeit rnit Mender Ternpcratur ab.

Die Endwerte von G' und G" bei annahernd waagerechter Tangente (nach 2- bis 2Otagiger Wartezeit) sind in Abb. 6 als Funktion der Temperatur

(vg1.7.22- 2 5 ).

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Abb. 5 . Gelierungsisotherrnen bei verschiedenen Temperaturcn nach stufenweiser Ab- kuhlung;G‘(.),G” (0). Die Tempcraturdngaben gelten fur G’- und G”-Kurven gleicherrnal3en. Schwingungsfrequenz I’ =0,5 Hz. (Die Stufen in der 90 ‘-Kurve beruhen auf eincrn Auswechseln des oberen Torsionsdrahtes.)

dargestellt. Man sieht, daI3 die Gelierung bei einer Ternperatur von etwa 92°C mit einern steilen Anstieg von G’ und G” beginnt; die Anderung des Speichermoduls betragt insgesarnt fast 8 Dekaden. Auffillig sind der hohe Wert des Speichermoduls mit lo6 dyn.cm bei Zirnmertemperatur sowie der niedrigc Verlustanteil an der Deformation von etwa 6%. wie aus der ebenfalls in Abb. 6 enthaltenen KurveG”/G‘ vs. 9[ C] hervorgeht. Die GroI3en- ordnungen beider Werte sind eher fur hauptvalenzrnBI3ig vernetzte Gele chardkteristisch; wir werten diese Tatsache als einen Hinweis darauf, dalj der Aufbau des Netzwerkes irn ncbcnvalenzma0ig vernetzten PM MA-Gel lhnlich dern hauptvalenzmaI3ig vernetzter Gele 1st. Dazu gehSrt insbesondere, daI3 die als Verknupfungspunkte dienenden kristallinen Bereiche klein sein mussen. Es wurdc bereits darauf hingewiesen, daI3 fur die Bildung gurnmielasti- scher Netzwerke durch nebenvalenzmaI3ige Vernetzung der Kristallisations- grad nicht zu hoch sein darf [vgl. auch ’O].

Der Ternperaturverlauf des Spcichermcduls des Gels entspricht nicht dcr Forderung der Theorie der Kautschukelastizitlt. Danach sollte der Schubmo-

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Gelirrung srrrrorvgulurvr Polymeth~lmt.rhuc.ry/urt~

5

4

3

2

1

0

1 M LO 50 60 70 80 90

Abb. 6. Temperaturabhangigkeit dcr konstanten Endwertc von G’ und G” bzw. G”IG‘. 0 : G‘ [dyn.cm-’], 0: G” [dyn.cm-2], 0 : G”/G’.

dul der absoluten Temperatur proportional sein. Auch nach Anwendung entsprechender, fur den vorliegenden Fall geeigneter Korrekturenz6 sollte mit steigender Temperatur ein Anstiegdes Schubmoduls erfolgen. €in ahnliches Verhalten findet man oberhalb der Glastemperatur auch bei hauptvalenzmaflig vernetzten PMMA-Gelen, deren unvernetzte Anteile nicht extrahiert worden waren ”. Offensichtlich findet auch unterhalb der Gelierungstemperatur noch eine weitere nebenvalenzmaflige Vernetzung statt. Bedingt durch die wachsende Unterkuhlung unfer den Gelschmelzpunkt werden bei jeder Temperaturernied- rigung immer neue, bis dahin unvernetzt in Losung innerhalb des Gels befind- liche Makromolekule in das Netzwerk eingebaut. Mit der Erhohung der Zahl der aktiven Netzwerkketten mussen auch die Moduln mit fallender Temperatur ansteigen. Es ist auch denkbar, dafl diese Temperaturabhiingigkeit der Moduln durch die Bildung neucr Kristallite, also die wachsende Zahl von Verknupfungspunkten. mitverursacht wird. Obwohl die Zahl der aktiven Ketten mit der Zahl der Netzpunkte durch die einer direkten Messung nicht

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log G' log G"

Idyn.cm'l

1

0

- 1

- 2 150 200 250 tlninl 0 50 100

Abb. 7. Anfangsphase der Gelierungsisothermen bei nvei Temperaturen. 0 , W : G', 0, 0: G".Q, 0 : G"/G'. Kreise: 9=75'C, Quadrate: 9=8O'C.

zugangliche Funktionalitat der Netzpunkte verknupft ist, sprechen verschiede- ne Grunde fur ein Uberwiegen des ersteren Mechanismus, also fur eine anna- hernde Konstanz der Zahl der Verknupfungspunktc rnit sinkender Tempera- tur 30.

Keirnbildungsmechanisrnen spielen beim vorliegenden System, ebenso wie auch bei anderen Gelierungsvorgangen6~10~z*~z9, eine wichtige Rolle. In Abb. 7 ist zu sehen, daD vor dern Beginn des Anstiegs von G', also vor Ausbildung des eigentlichen Netzwerks rnit seinen elastischen Eigenschaften, eine Erhohung von G", also der Viskositat der Losung, erfolgt. Die Vernetzung wird also von einer TeilchenvergroDerung eingeleitet. Eine plausible Annahme ist, dab nach Erreichen der Gelierungsternperatur, die naturlich tiefer als die kritische Keirnbildungsternperatur liegen rnuO, eine Zusarnmenlagerung von Makrorno- lekulen zu geordneten Einheiten beginnt. die im spateren Netzwerk die Verknupfungspunkte darstellen. Die Zahl der Teilchen, die die kritische KeirngroDe uberschritten haben und stabil sind, nirnrnt rnit der Zeit zu. Die Zahl derjenigen Makromolekule, die in zwei oder meht K e h e eingebaut sind, wird ebenfalls groDer werden, bis der dadurch hervorgerufene elastische Anteil an der Deformation so groD wird, daD er eine rncDbare Erhohung des Speichermoduls bewirkt. Dem entspricht, daO der starke Anstieg in G' erst dann einsetzt, wenn bereits relativ hohe Werte in G" erreicht worden sind.

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Grlierung srerroregiiliirer Polymethplm~~rhacrvlafr

Diese Interpretation wird unterstutzt durch die in Abb. 8 dargestellten Ergebnisse, wonach eine Losung, die vorher nur geringfugig uber den Gel- schmelzpunkt hinaus erhitzt worden war und offenbar noch Keime enthalt, vie1 schneller geliert als eine Losung, die sehr hoch - bis zum Siedepunkt der Losung - erhitzt worden war. Wie wir weiterhin zeigen konnten. spielt die Keimbildung eine grolle Rolle hinsichtlich der Abhangigkeit des Gelzustan- des von der Vorge~chichte~". Die Keime. deren Zahl und GroBe stark tempera-

4

log G' ldyn.cm'

3

2

1

0 0 100 200 300 UO t lminl

Abb. 8. Gelierungsisothcrme bei zwei Temperaturen mit jeweils unterschiedlicher Vor- gcschichte. 0, 0: 9=85"C, A , A: 9=80 C. Vollc Symbole: Losung vor Ge- licrung bis zum Sicdepunkt (bei ca. 14O'C) erhitzt; leere Symbole: Losung vor Gelierung bis 120 ;C erhitzt.

turabhlngig sind, bilden schlielllich im Netzwerk die Verknupfungspunkte. Da einer jeden Gelierungstemperatur bei gegebener Vorgeschichte eine be- stimmte charakteristische Keimzahl und KehgroIjenverteilung zugeordnet werden mull, sind die mechanischen Eigenschaften von zwei Gelen bei gleicher Temperatur, die lediglich bei zwei verschiedenen Temperaturen gelierten, stark unterschiedlich 30.

Beim Aufheizen des Gels ergeben sich - bei den gleichen Temperaturen - andere Werte von G' und G" als beim Abkuhlen. Das Gel wird erst bei Temperaturen von 105 k 5'C flussig; die exakte Schmelztemperatur 1st nicht angebbar, da sie von der Vorbehandlung des Gels und insbesondere von

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der Aufheizgeschwindigkeit abhangt. Je langsamer das Aufheizen erfolgt, desto hoher liegt der Schmelzpunkt, ein Umstand, der auch bei Gelen im wesentlichen auf Um- und Nachkristallisation beruhen durfte.

Der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Fonds der chemischen Industrie danken wir fur die grol3zugige Unterstiitzung dieser Arbeit.

’ Ch. F. Ryan und P. C. Fleischer Jr., J . Phys. Chem. 69 (1965) 3384 ’ P. Doty, H. L. Wagner und S. F. Singer, J. Phys. Chem. 51 (1947) 32

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1970. l l lc 61. 733 J. A. Duiser, Dissertation. Leiden 1965 J. L. den Otter, Dissertation, Leiden 1967 M. Unbehend, Dissertation. TH Aachen 1961

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* Wir danken den Autoren fur die freundliche oberlassung des Manuskripts.

1953

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