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Ursprung und Wandlung der Bestandsübertragungl Von Robert Weber, Berlin A. Kennzeichnung der Bestandsübertragung anhand von § 14 VAG Der Begriff Bestandsübertragung hat sich in Anlehnung an § 14 des Reichsgesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901 2 entwickelt. 3 Diese Vorschrift handelte von der Übertragung des Versicherungsbestandes eines Unternehmens: Jedes Übereinkommen, wodurch der Versicherungsbestand eines Unter- nehmens in seiner Gesamtheit oder in einzelnen Zweigen mit den darauf bezüglichen Reserven und Prämienüberträgen auf ein anderes Unterneh- men übertragen werden soll, bedarf der Genehmigung der für die bethei- ligten Unternehmungen zuständigen Aufsichtsbehörden. Die Genehmi- gung darf nur aus den Gründen des § 7 versagt werden. Die aufsichtsrechtliche Generalklausel des § 7 lautete: Die Erlaubnis zum Geschäftsbetriebe darf nur versagt werden, wenn 1. der Geschäftsplan gesetzlichen Vorschriften zuwider läuft; 2. nach dem Geschäftsplane die Interessen der Versicherten nicht hin- reichend gewahrt sind oder die dauernde Erfüllbarkeit der aus den Versicherungen sich ergebenden Verpflichtungen nicht genügend darge- tan ist; 3. Thatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, dass ein den Gesetzen oder den guten Sitten entsprechender Geschäftsbetrieb nicht stattfinden wird. Die Erlaubnis kann von der Stellung einer Sicherheit abhängig gemacht werden, wobei deren Zweck und die Bedingungen für die Rückgabe festzustellen sind. 1 Der Verfasser dankt Herrn Prof. Dr. Rudolf Gärtner für seine Betreuung der am Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin entstandenen Disser- tation „Die Rechtsstellung des Versicherten bei der Bestandsübertragung ". Bei dem nachfolgenden Text handelt es sich um einen Teil daraus. 2 Reichsgesetzblatt S. 139 (die erste Fassung des Versicherungsaufsichtsgesetzes). 3 Vgl. Bruck, Das Privatversicherungsrecht, Mannheim, Berlin, Leipzig 1930, S. 114 f.; Scharping, F.-K., Die Bestandsübertragung im Versicherungsrecht, Ham- burg 1964, S. 23.

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Page 1: Ursprung und Wandlung der Bestandsübertragung

Ursprung und Wandlung der Bestandsübertragungl

Von Robert Weber, Berlin

A. Kennzeichnung der Bestandsübertragung anhand von § 14 VAG

Der Begriff Bestandsübertragung hat sich in Anlehnung an § 14 desReichsgesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12.Mai 1901 2 entwickelt. 3 Diese Vorschrift handelte von der Übertragung desVersicherungsbestandes eines Unternehmens:

Jedes Übereinkommen, wodurch der Versicherungsbestand eines Unter-nehmens in seiner Gesamtheit oder in einzelnen Zweigen mit den daraufbezüglichen Reserven und Prämienüberträgen auf ein anderes Unterneh-men übertragen werden soll, bedarf der Genehmigung der für die bethei-ligten Unternehmungen zuständigen Aufsichtsbehörden. Die Genehmi-gung darf nur aus den Gründen des § 7 versagt werden.

Die aufsichtsrechtliche Generalklausel des § 7 lautete:

Die Erlaubnis zum Geschäftsbetriebe darf nur versagt werden, wenn

1. der Geschäftsplan gesetzlichen Vorschriften zuwider läuft;

2. nach dem Geschäftsplane die Interessen der Versicherten nicht hin-reichend gewahrt sind oder die dauernde Erfüllbarkeit der aus denVersicherungen sich ergebenden Verpflichtungen nicht genügend darge-tan ist;

3. Thatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, dass einden Gesetzen oder den guten Sitten entsprechender Geschäftsbetriebnicht stattfinden wird.

Die Erlaubnis kann von der Stellung einer Sicherheit abhängig gemachtwerden, wobei deren Zweck und die Bedingungen für die Rückgabefestzustellen sind.

1 Der Verfasser dankt Herrn Prof. Dr. Rudolf Gärtner für seine Betreuung der amFachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin entstandenen Disser-tation „Die Rechtsstellung des Versicherten bei der Bestandsübertragung ". Bei demnachfolgenden Text handelt es sich um einen Teil daraus.

2 Reichsgesetzblatt S. 139 (die erste Fassung des Versicherungsaufsichtsgesetzes).3 Vgl. Bruck, Das Privatversicherungsrecht, Mannheim, Berlin, Leipzig 1930,

S. 114 f.; Scharping, F.-K., Die Bestandsübertragung im Versicherungsrecht, Ham-burg 1964, S. 23.

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430 Robert Weber

„Bestandsübertragung" war zur Zeit der ersten Fassung des Versiche-rungsaufsichtsgesetzes ein noch unbekannter Begriff.

I. Die unterschiedlichen Bezeichnungen

Das Reichsgesetz bezeichnete diese Art von Übereinkommen in denVorschriften zu Verfassung und Verfahren der Aufsichtsbehörden in § 73Nr. 3 als Bestandsveränderung. In der Versicherungspraxis bürgerte sichAnfang dieses Jahrhunderts der Begriff „Abtretung des Portefeuilles" ein. 4

Die Literatur verband damit unterschiedliche Inhalte. Vereinzelt wurdenzu diesem Begriff nur diejenigen Bestandsveränderungen gezählt, bei denendie übertragende Gesellschaft unter Aufrechterhaltung anderer Geschäfts-zweige oder einzelner nicht mit übertragener Versicherungszweige fortbe-stand. 5 Teilweise wurde die Abtretung des Portefeuilles 6 oder „Fusion" 7

als Oberbegriff für sämtliche Arten von Übereinkommen im Sinne des § 14VAG angesehen. Der versicherungsrechtliche Sprachgebrauch war insoweitnicht gefestigt. °

II. Die zentralen Merkmale der Bestandsübertragung nach § 14 VAG

So sehr der Begriff Versicherungsbestand damals eine feststehende Be-deutung hatte, so wenig galt dies für das „Übertragen" i.S.v. § 14 VAG.Unter dem Begriff Versicherungsbestand verstand man die Summe der vomübertragenden Unternehmen eingegangenen und noch laufenden Versiche-rungsverhältnisse. 9 Was aber das „Übertragen" i.S.v. § 14 VAG anbelangte,so bestand eine Eindeutigkeit nur hinsichtlich der rechtlichen Wirkungen,die damit verbunden waren. Gemeint war der Eintritt des übernehmendenUnternehmens in die Rechte und Pflichten aus den bestehenden Versiche-rungsverhältnissen. Entscheidend war die trotz der Übertragung angestreb-te Aufrechterhaltung der Versicherungsverhältnisse.

4 Alexander-Katz, Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen, Ber-lin 1901, § 14 VAG Anm. 1.

5 Alexander-Katz, aaO. (Fn. 4), § 14 VAG Anm. 1.6 Ehrenberg, Die Abtretung des Portefeuilles, ZVersWiss 1904, S. 24 ff. (26 f.).7 Emmighaus, Die Stellung der bei Gesellschaftsfusionen beteiligten Versicherten

nach Deutschem Recht, Leipziger Zeitschrift 1908, S. 24 ff. (26).8 Hagen, Das Versicherungsrecht, Ehrenbergs Handbuch des gesamten Handels-

rechts, Band VIII Abteilung I, Leipzig 1922, S. 221 Fn. 2; KönigelPetersen, § 73 VAGAnm. 7.

9 Etwa: Rehm, Reichsgesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen,3. Auflage München 1911, § 14 VAG Anm. 1.

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1. Die Abgrenzung der Übertragung vom Neuabschluß

Bereits das Aufsichtsamt für Privatversicherung setzte in den Fällen des

§ 14 VAG die Aufrechterhaltung der Versicherungsverhältnisse voraus.Zwar waren zu Beginn dieses Jahrhunderts auch häufiger solche Fälle zuverzeichnen, bei denen den Mitgliedern von Pensions- oder Sterbekassen,

die auf versicherungstechnisch mangelhafter Grundlage standen, von einemleistungsfähigen Versicherungsunternehmen neue für sie günstigere Versi-

cherungsverträge angeboten wurden. 1 ° Diese Neubegründungen von Versi-

cherungsverhältnissen zählte das Aufsichtsamt jedoch ausdrücklich nicht

zu den Übereinkommen i.S.d. § 14 VAG. 11

2. Die Problematik der Übertragungbeim Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit

Ein Teil des Schrifttums sah einen Neuabschluß von Verträgen auch in

der Übertragung des Versicherungsbestandes eines Versicherungsvereinsauf Gegenseitigkeit auf eine Aktiengesellschaft. 12 In dieser Konstellation

dürfe nur von einer Übertragung im wirtschaftlichen Sinne gesprochen

werden. 13 In rechtlicher Hinsicht sei jedoch ein Neuabschluß erforderlich,

denn der Umstand, daß die Mitgliedschaft bei dem VVaG durch die Über-

tragung erlösche und keine Fortsetzung bei der Aktiengesellschaft finde,

bedeute eine erhebliche Änderung des Vertragsinhalts. 14 Derartige Auffas-

sungen, die einen Eintritt der übernehmenden Aktiengesellschaft in die

Rechte und Pflichten des übertragenden VVaG für rechtlich unmöglich

hielten, blieben vereinzelt. 15

Der Fortfall der mitgliedschaftlichen Elemente des Rechtsverhältnisses

zwischen Mitglied und VVaG bei einer Bestandsveränderung schließt einen

Eintritt der übernehmenden Aktiengesellschaft in das ursprüngliche Versi-

cherungsverhältnis nicht aus. Ein solches Versicherungsverhältnis ist recht-

lich zwar so eng mit dem Mitgliedschaftsverhältnis verknüpft, daß oft

10 Veröffentlichungen des kaiserlichen Aufsichtsamtes für Privatversicherung(VerAfP), 1903 S. 95.

11 VerAfP 1904, S. 73 f.12 Kirchmann, Fusion von Versicherungsunternehmungen nach dem geltenden

deutschen Rechte, Bamberg 1911, S. 113; Wörner, Der Versicherungsverein aufGegenseitigkeit, Leipzig-Reudnitz 1904, S. 170.

13 Wörner, aaO. (Fn. 12), S. 170.14 Kirchmann, aaO. (Fn. 12), S. 112; Hagen,aaO. (Fn. 8), S. 224.15 OLG Hamburg, 7.12.1905, VerAfP 1906, Anh. S. 43 /44 geht offenbar von einer

solchen rechtlichen Unmöglichkeit aus: Beschließe der VVaG den Fortfall (desmitgliedschaftlichen Elements) der unbegrenzten Nachschußpflicht der Genossen, soverliere die Übernahme durch eine Aktiengesellschaft den Charakter einer „Abtre-tung des Portefeuilles ".

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gesagt wird, Mitgliedschafts- und Versicherungsverhältnis bedingten sichgegenseitig ( „Mitgliedschaftstheorie "). 16 Diese enge Verknüpfung ist abernicht so zu verstehen, daß das Mitgliedschaftsverhältnis die sich aus demVersicherungsverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten unmittelbar be-

einflußt. Vielmehr wird im Mitgliedschaftsverhältnis die rechtliche Grund-

lage für das relativ eigenständige Versicherungsverhältnis gesehen. 17 Fürletzteres gelten die (eigenen) Regeln des Versicherungsrechts, wie z. B.

Kündigungsrechte, Rücktritts- oder Unwirksamkeitsgründe.' 8

Ein nur mittelbarer Einfluß mitgliedschaftlicher Elemente auf Rechteund Pflichten des Versicherungsverhältnisses zeigt sich beispielsweise amGleichbehandlungsgebot gemäß § 21 Abs. 1 VAG. Dieses rein mitglied-

schaftsrechtliche Gebot beeinflußt u. a. die sich aus dem Versicherungsver-hältnis ergebende Beitragspflicht des einzelnen Mitgliedes. 19 So hat sichdie Beitragspflicht ihrer Höhe nach an den Beitragspflichten der anderenMitglieder zu orientieren. Jedoch könnte diese Beitragspflicht für sichgesehen auch in einem mit einer Aktiengesellschaft geschlossenen Versiche-

rungsvertrag ihre rechtliche Grundlage haben.

Aus dieser relativen Eigenständigkeit des Versicherungsverhältnisses ge-

genüber dem Mitgliedschaftsverhältnis ist zu folgern, daß letzteres demEintritt einer Aktiengesellschaft in Rechte und Pflichten aus dem Versiche-

rungsverhältnis grundsätzlich nicht entgegensteht. 2°

Allein wegen Erlöschens des Mitgliedschaftsverhältnisses bei einer Be-standsübertragung vom VVaG auf eine Aktiengesellschaft war, entgegender eingangs dargestellten Auffassung, auch zur Zeit der ersten Fassungdes Versicherungsaufsichtsgesetzes ein Neuabschluß von Verträgen nichterforderlich. 21 Dies wurde auch vom Aufsichtsamt so gesehen, welches

16 Vgl. Motive zum VAG, Neudruck, Berlin 1963, S. 37. Auch das Reichsgericht—vgl. RGZ 3, S. 385/387; 4, S. 394/397; 11, S. 178/182; 49, S. 195/198 — betrachte-te Mitgliedschafts- und Versicherungsverhältnis als ein einheitliches Ganzes. Vgl.Scharping, aaO. (Fn. 3), S. 106 f.; Prölss/Schmidt/Frey, Versicherungsaufsichtsge-setz, 10. Auflage, München 1989, § 20 VAG Anm. 6; Goldberg /Müller, Versiche-rungsaufsichtsgesetz und Bundesaufsichtsgesetz, Berlin, New York 1980, § 20 VAGRn. 9.

17 Goldberg /Müller, aaO. (Fn. 16); Kisch, Das Recht des Versicherungsvereins aufGegenseitigkeit, Berlin 1951, S. 161; vgl. Scharping, aaO. (Fn. 3), S. 112, der trotzenger Verknüpfung von Mitgliedschafts- und schuldrechtlichen Vertragselementeneine klare Trennung zwischen beiden für notwendig hält.

18 Kisch, aaO. (Fn. 17), S. 167.19 Kisch, aaO. (Fn. 17), S. 156.20 Kisch, aaO. (Fn. 17), S. 292, wonach bei der Bestandsübertragung seitens eines

VVaG die Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsverhältnis auf die überneh-mende Gesellschaft übergehen, und zwar an und für sich durch „Übergang" vonRechten und einer „Übernahme” von Verpflichtungen.

21 Dernburg/Kohler, Urheber-, Patent-, Zeichenrecht; Versicherungsrecht undRechtsverfolgung, Halle /Saale 1910, S. 390, sprechen bei einer Fusion des Gegensei-tigkeitsvereins mit einer Aktiengesellschaft von einem Auseinanderfallen der Dop-

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betonte, bei der Übertragung nach § 14 VAG blieben begriffsmäßig diefrüheren Rechtsbeziehungen, abgesehen von der Person des Versicherers,in der Hauptsache erhalten. 22

III. Typische Fälle von Übertragungen vor Inkrafttreten des § 14 VAG

In der Zeit vor Inkrafttreten des § 14 VAG war es kein unbekanntesPhänomen, daß eine Gesellschaft eine andere übernahm und dabei auch indie bereits bestehenden Vertragsverhältnisse einrückte. Bei der Fusion vonAktiengesellschaften und auch bei der Auflösung von Versicherungsverei-nen auf Gegenseitigkeit gab es den Eintritt der aufnehmenden Versiche-rungsgesellschaft in Rechte und Pflichten aus den laufenden Versicherungs-verträgen.

1. Aktienrechtliche Fusion

Wenngleich die Fusion von Versicherungsaktiengesellschaften im vorigenJahrhundert nur selten vorkam, kann sie doch als klassischer Übertra-gungsfall angesehen werden. Fusion war ein feststehender handelsrechtli-cher Begriff, der die Vereinigung mehrerer Aktiengesellschaften bezeichne-te. Dies geschah entweder durch Aufnahme des Vermögens der einenAktiengesellschaft durch die andere oder durch Vereinigung mehrererAktiengesellschaften zu einer neu zu bildenden. 23 In Preußen wurden seit1845 zahlreiche Fusionsverträge zwischen Eisenbahngesellschaften ge-schlossen, die nach Inkrafttreten des ADHGB im Jahr 1861 nach Art. 247dieses Gesetzes abzuwickeln waren. 24 „Fusion" war also schon damals eingeläufiger Begriff. Daher war es nicht ungewöhnlich, daß auch zu denVorentwürfen des § 14 VAG die Bezeichnung „Fusion" von Versicherungs-gesellschaften in Erwägung gezogen wurde. 25

Auch für Versicherungsaktiengesellschaften galten die Fusionsvorschrif-ten des ADHGB. 26 Bekannt geworden ist die Fusion der Schlesischen

pelstellung Mitglied — Versicherungsnehmer. Damit wird die rechtliche Aufrechter-haltung des Versicherungsverhältnisses in diesen Fällen für möglich gehalten.

22 VerAfP 1908, S. 115 f.23 Gareis/Fuchsberger, Das allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch, Berlin 1891,

Ziff. 421; Wiener, Umwandlung und Fusion von Gesellschaften, ZfHR 1882, S. 333 ff.(369).

24 Vgl. die Zusammenstellung bei Wiener, aaO. (Fn. 23), S. 367, Fn. 32 und 33.25 Akten des Reichsministerium des Innern zum Erlaß eines Reichsgesetzes über

das Versicherungswesen Band 5, März 1883 bis Juni 1884; vgl. auch die dortigenBemerkungen zu einzelnen Bestimmungen des Entwurfs, wo es zur Überschrift„Auflösung und Verschmelzung von Versicherungsgesellschaften" u. a. angemerktwurde: „Bei Fusion freilich weiß jeder sofort, worum es sich handelt. ".

26 Lutz (Hrsg.), Protokolle der Kommission zur Berathung eines allgemeinendeutschen Handelsgesetzbuches, I. Theil, Protokoll I-XLV, Würzburg 1858, S. 366.

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Lebens-Versicherungs-Actien- Gesellschaft in Breslau mit der Lebens-Ver-sicherungs-A.G. Nordstern in Berlin im Jahr 1898. 27

Der Eintritt der übernehmenden Versicherungsgesellschaft in die Rechteund Pflichten aus den laufenden Verträgen der aufzulösenden Gesellschaftbasierte auf einem Fusionsvertrag nach Art. 215 Abs. 4, 247 ADHGB.

Die Vorschrift des Art. 247 ADHGB lautete (Auszug):

Bei der Auflösung einer Aktiengesellschaft durch Vereinigung derselbenmit einer anderen Aktiengesellschaft (Art. 215) kommen folgende Be-stimmungen zur Anwendung:

1. Das Vermögen der aufzulösenden Gesellschaft ist solange getrennt zuverwalten, bis die Befriedigung oder Sicherstellung ihrer Gläubigererfolgt ist.

2. Der bisherige Gerichtsstand der Gesellschaft bleibt für die Dauer dergetrennten Vermögensverwaltung bestehen, dagegen wird die Verwal-tung von der anderen Gesellschaft geführt.

Art. 215 Abs. 1 und 4 ADHGB lauteten:

Die Abänderung des Inhalts des Gesellschaftsvertrages kann nicht an-ders als durch Beschluß der Generalversammlung erfolgen.

Dasselbe gilt von dem Falle, wenn die Gesellschaft durch Uebertragungihres Vermögens und ihrer Schulden an eine andere Aktiengesellschaft

gegen Gewährung von Aktien der letzteren aufgelöst werden soll.

Statt einer Auflösung mit anschließender Liquidation der Aktiengesell-schaft war mit Art. 215 Abs. 4, 247 ADHGB also eine Auflösung durchÜbertragung des Vermögens und der Schulden vorgesehen (Fusion). Recht-licher Grund für diesen Übergang war der aus Art. 247 ADHGB zu folgern-de Untergang der Rechtspersönlichkeit der aufzulösenden Aktiengesell-schaft. 28

Der Regelung des Art. 247 Ziff. 1 ADHGB, wonach das Vermögen deraufzulösenden Gesellschaft getrennt zu verwalten war, entnahm man diegesetzliche Anordnung des sofortigen Vermögensübergangs. MaßgeblicherZeitpunkt war die Eintragung der Auflösung der einen und Kapitalerhö-hung der anderen Gesellschaft in das Handelsregister. 29 Mit dem sofortigen

27 Wallmann's Versicherungs-Zeitschrift, 1898, Bd. 2, S. 1956 f.28 RGZ 28, 358/363.29 Wiener, aaO. (Fn. 23), S. 371 ff.; RGZ .9, S. 11/17; vgl. Art. 243, 214 Abs. 2

ADHGB, wonach ein Auflösungsbeschluß — also auch ein Fusionsbeschluß i.S.v.

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Übergang des Vermögens gingen auch die Rechte aus den mit der unterge-gangenen Gesellschaft laufenden Verträgen auf die aufnehmende Gesell-schaft über.

Für einen zu gleicher Zeit erfolgenden Übergang der Schulden, zu denendie Pflichten aus den laufenden Verträgen zählen, argumentierte man mitder speziellen Gerichtsstandsvorschrift des Art. 247 Ziff. 2 ADHGB. Da-nach blieb der Gerichtsstand der bisherigen (aufgelösten) Gesellschaft fürdie Dauer der getrennten Vermögensverwaltung bestehen. Damit sei ausge-schlossen, daß für diese Zeit die Gesellschaft tatsächlich noch bestand,anderenfalls habe diese Bestimmung keinen Sinn. 30 In diesem Übergangwurde schon damals eine Gesamtnachfolge gesehen. 31

Mit Inkrafttreten des Handelsgesetzbuchs (HGB) am 1.1. 1900 in derFassung vom 21.5.1897 31 wurde das ADHGB abgelöst. Die damaligenaktienrechtlichen Fusionsvorschriften der §§ 303 ff. HGB führten zu keinenentscheidenden sachlichen Neuerungen. 33

Sie lauteten auszugsweise wie folgt:

§ 303 Abs. 1 und 2:

Eine Verwertung des Gesellschaftsvermögens durch Veräußerung desVermögens im Ganzen ist nur aufgrund eines Beschlusses der General-versammlung zulässig. Der Beschluß bedarf einer Mehrheit, die minde-

stens drei Vierteile des bei der Beschlußfassung vertretenen Grundkapi-tals umfaßt; der Gesellschaftsvertrag kann noch andere Erfordernisse

aufstellen.

Der Beschluß hat die Auflösung der Gesellschaft zur Folge, sofern diesenicht bereits aufgelöst war.

§ 304 (Auszug):

Wird das Vermögen einer Aktiengesellschaft als Ganzes von dem Reiche,einem Bundesstaat oder einem inländischen Kommunalverband über-nommen, so kann zugleich vereinbart werden, daß die Liquidationunterbleiben soll.

Die in § 303 Abs. 1 vorgesehene Zustimmung der Generalversammlungist auch für eine solche Vereinbarung erforderlich.

Art. 215 Abs. 4 ADHGB — mit Eintragung in das Handelsregister rechtswirksamwurde.

30 Wiener, aaO. (Fn. 23), S. 371; Puchelt, Kommentar zum Allgemeinen DeutschenHandelsgesetzbuch, 3. Auflage Leipzig 1890, Art. 247 ADHGB I.; RGZ 9, S. 11/17.

31 Wiener, aaO. (Fn. 23), S. 372 f.32 Reichsgesetzblatt, Nr. 23.33 Schmidt, K., Universalsukzession kraft Rechtsgeschäfts, AcP 1991 S. 495 ff.

(504).

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Der Vorstand hat den Beschluß der Generalversammlung zugleich mitder Auflösung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregisteranzumelden; (...).

Der Beschluß hat keine Wirkung, bevor die Eintragung bei dem Gericht,in dessen Bezirk sich der Sitz der Gesellschaft befindet, stattgefundenhat.

Mit der Eintragung des Beschlusses gilt der Übergang des Vermögensder Gesellschaft einschließlich der Schulden als erfolgt; (...).

§ 305 Abs. 1:

Wird das Vermögen einer Aktiengesellschaft als Ganzes an eine andereAktiengesellschaft oder an eine Kommanditgesellschaft auf Aktien ge-gen Gewährung von Aktien der übernehmenden Gesellschaft übertra-gen, so bleiben bei der Erhöhung des Grundkapitals der übernehmendenGesellschaft die Vorschriften des § 278 Abs. 1, des § 280 Abs. 2, der§§ 281, 282, des § 283 Abs. 1 sowie des § 284 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3außer Anwendung.

§ 306 Abs. 1 (Auszug):

Ist im Falle des § 305 vereinbart, daß eine Liquidation des Vermögensder aufgelösten Gesellschaft nicht stattfinden soll, so finden die Vor

-schriften des § 304 entsprechende Anwendung; (...).

Auch bei der (liquidationslosen) Fusion nach § 306 Abs. 1 i.V.m. § 304Abs. 5 HGB erfolgte wie nach Art. 247 ADHGB der Vermögensübergangnach einhelliger Auffassung im Wege der Gesamtnachfolge. 34 Uneinigkeitbestand lediglich bezüglich des genauen Zeitpunktes, zu dem sie stattfand,bzw. welcher Eintrag im Handelsregister für den Rechtsübergang maßgeb-lich war. 35

Die neu eingeführte Möglichkeit einer Fusion mit Liquidation nach § 305HGB wurde allgemein kaum praktiziert. 36 In der Versicherungspraxiswurde von ihr kein Gebrauch gemacht. 37

34 RGZ 84, S. 242/245 f.; Müller-Erzbach, Deutsches Handelsrecht, 3. AuflageTübingen 1928, S. 314.; Staub/Pinner, Kommentar zum HGB, Band 2, 14. AuflageBerlin, Leipzig 1933, § 306 HGB Anm. 13.; Bruck, aaO. (Fn. 3), S. 119.

35 Vgl. Müller-Erzbach, aaO. (Fn. 34), S. 314: zum Zeitpunkt der Eintragung desGenehmigungsbeschlusses hinsichtlich des Veräußerungsvertrages; a.A. Staub/Pin-ner, aaO. (Fn. 34), § 306 HGB Anm. 12: erst zum Zeitpunkt der Eintragung derKapitalerhöhung, die die übernehmende Gesellschaft in der Regel beschließen muß.

36 Schenk, Der Einfluß von Bestandsübertragungen und Fusionen von Versiche-rungs-Aktiengesellschaften auf laufende Versicherungsverträge und das Recht zurKündigung durch den Versicherungsnehmer bei Unsicherheit des Versicherers, Dres-den 1932, S. 12; Müller-Erzbach, aaO. (Fn. 34), S. 314.

37 Schenk, aaO. (Fn. 36), S. 12.

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Ursprung und Wandlung der Bestandsübertragung 437

2. Auflösung von VVaG

Soweit ersichtlich, erfolgte die Auflösung von VVaG in Deutschland vorInkrafttreten des VAG am 1. 1.1902 hauptsächlich zum Zweck der Um-wandlung in eine Aktiengesellschaft. 38 Anders als die Fusion von Aktienge-sellschaften unterlag die Umwandlung keinen besonderen gesetzlichenRegelungen. 39 Es handelte sich dabei um die Auflösung einer Gegenseitig-keitsgesellschaft und Gründung einer Aktiengesellschaft, die Versiche-rungsbestand und Vermögen der zu liquidierenden Gegenseitigkeitsgesell-schaft übernahm. 40

Nach damaliger Vorstellung erfolgte im Rahmen einer solchen Umwand-lung der Übergang der Rechte und Pflichten aus den Versicherungsverträ-gen anders als bei der aktienrechtlichen Fusion. Die Rechtsfigur der rechts-geschäftlichen Vertragsübernahme war damals noch unbekannt. 41 Mannahm eine Verbindung von Abtretung (§§ 398 ff. BGB) und Schuldübernah-me (§§ 414 ff. BGB) an 42 und griff damit auf Rechtsfiguren zurück, die nachder Konzeption des BGB die Neuzuordnung einzelner Rechte bzw. Pflichtenregeln sollten. Diese beiden Rechtsfiguren sah man für den Fall des Über-gangs sämtlicher Aktiva und Passiva der Gegenseitigkeitsgesellschaft ineinem Abhängigkeitsverhältnis zusammengefaßt: Wenn und soweit die Ge-genseitigkeitsgesellschaft an den anderen Versicherer abtrete, übernehmedieser die Schuld. 43 Mit dieser rechtlichen Verbindung von Abtretung undSchuldübernahme zwischen den Versicherungsgesellschaften war die Fragenach der Zustimmungsbedürftigkeit der Versicherten i.S.v. § 415 BGBverbunden. 44

IV. Übereinkommen i.S.v. § 14 VAG

Das Übereinkommen i.S.v. § 14 VAG wurde lapidar umschrieben: Eshandele sich um einen im BGB nicht geregelten unbenannten Vertrageigener Art. Zum Vertragsinhalt zählte man die Vereinbarung über denÜbergang der Rechte und Pflichten aus den betreffenden Versicherungsver-trägen. Davon waren die rechtsgeschäftlichen Übertragungsakte Abtretungund Schuldübernahme zu unterscheiden, welche die Erfüllung dieses Ver-

38 VerAfP 1903, S. 95.39 Wiener, aaO. (Fn. 23), S. 334.40 VerAfP 1903, S. 95; Ehrenberg, Gutachten betreffend die Umwandlung einer

Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit in eine Aktiengesellschaft, Juri-stischtechnische Versicherungs- Zeitschrift 1898, S. 399 ff. (399).

41 Vgl. Nörr/Scheying, Sukzessionen, Tübingen 1983, S. 246 f; Pieper, Vertrags-übernahme und Vertragsbeitritt, Köln, Berlin 1963, S. 31 ff.

42 Ehrenberg, aaO. (Fn. 6), S. 27 f.43 Ehrenberg, aaO. (Fn. 6), S. 28.44 Ehrenberg, aaO. (Fn. 6), S. 26 und 37.

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trages bewirkten. 45 Allein aus diesen beiden nach damaliger Vorstellungfür eine rechtsgeschäftliche Vertragsübernahme erforderlichen Rechtsaktenwurde der für den Vertrag wesentliche Inhalt hergeleitet.

1. Die Unbestimmtheit des Merkmals „Übereinkommen"angesichts der Entstehungsgeschichte des § 14 VAG

Mit der weiten Formulierung „jedes Übereinkommen" wurde vorausge-setzt, daß Übertragungen eines Versicherungsbestandes in unterschiedli-chen Formen möglich waren. Insoweit führte § 14 VAG nicht zu einerVereinheitlichung. Das VAG sollte, abgesehen von Regelungen über dieGegenseitigkeitsvereine (§§ 15 ff.), grundsätzlich nur in verwaltungsrecht-licher Hinsicht einheitliche Rechtsgrundlagen schaffen. Damit sollte diekünftige Entfaltung des Versicherungswesens erleichtert werden. Man ver-zichtete aber ausdrücklich darauf, Vorgaben für die Art und Weise derkünftigen Entwicklung aufzustellen. 46 Wenn dies allgemein galt, danninsbesondere auch für das Merkmal "Übereinkommen" i.S.v. § 14 VAG.Zivilrechtlich bedeutsame Vorgaben für bestimmte Rechtsformen der Über

-tragung sind dieser Vorschrift nicht zu entnehmen. Ihr insoweit einerechtsgestaltende Funktion beizumessen, widerspräche auch der Tatsache,daß ihre Entstehung weitgehend unbeeinflußt war von praktischen Erfah-rungen mit der Übertragung von Versicherungsbeständen. Diese wurdenzur Zeit des Vorentwurfs des § 14 VAG im Jahr 1883 in Deutschland nurselten praktiziert. Bis zur endgültigen Fassung vom 12.5.1901 erfuhr derVorentwurf keine wesentliche Änderung. § 36 des ersten (vorläufigen) Ge-setzentwurfs lautete:

Jedes Übereinkommen, wodurch der Versicherungsbestand eines Versi-che rungs- Unternehmens in seiner Gesammtheit oder in einzelnen Zwei-gen mit den darauf bezüglichen Reserven und Prämien- Überträgen voneinem Unternehmer an einen anderen übertragen, oder von einem ande-ren übernommen wird, ist ohne rechtliche Wirkung, solange es nichtvom Reichsversicherungsamt genehmigt ist. 47

Bekannt gewordene Einzelfälle sind die Übertragung des Versicherungs-bestandes seitens der Dresdener Feuer-Versicherungs-Gesellschaft auf dieProvidentia (1870) 48 und seitens der Europäischen Lebens-Versicherungs-und Rentenbank auf die Stuttgarter Lebensversicherungs- und Ersparnis-

45 Ehrenberg, aaO. (Fn. 6), S. 28.; Hagen, aaO. (Fn. 8), S. 225 f.46 Motive zum VAG, aaO. (Fn. 16), S. 24.47 Vgl. die Akten des Reichsministeriums des Innern zum Erlaß eines Reichsgeset-

zes über das Versicherungswesen, Band 5, März 1883 bis Juni 1884.48 Wallmann's Versicherungs-Zeitschrift 1870/1871, S. 1465 f.

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bank (1876). 49 Eine Übertragung erfolgte in diesen Fällen nur, soweit diebetroffenen Versicherten dem zustimmten bzw. die Vertragsübernahmeeiner Rückerstattung ihrer bereits gezahlten Prämiengelder vorzogen.

Erst unmittelbar vor Inkrafttreten des VAG am 1.1. 1902 mehrten sich inDeutschland Fälle der Übertragung von Versicherungsbeständen, die inunterschiedlichen Formen erfolgten. 50 Davon aber blieb die Fassung des§ 14 VAG unbeeinflußt. Die Vorschrift entstand ohne jeden aktuellen Bezugzu Entwicklungen in der Praxis von Versicherungsunternehmen.

2. Die Bedeutung „ Übereinkommen"mit Rücksicht auf § 14 im System des VAG

Die Vorschrift läßt sich als ein geradezu selbstverständlicher Bestandteileiner Gesetzgebung erklären, die das Prinzip der materiellen Staatsaufsichtund daraus folgend eine einheitliche Genehmigungspflicht einführte. Nichtnur die Entstehung von Versicherungsunternehmen, die dem allgemeinenAufsichtsziel einer gedeihlichen und soliden Entwicklung des Versiche-rungswesens widersprach, sollte mit dieser Aufsicht verhindert werden. 51

Mit den sehr allgemein gefaßten Versagungsgründen der Generalklausel desdamaligen § 7 VAG (heute § 8 VAG) erhielt die Aufsichtsbehörde diesbe-züglich einen sehr weiten Beurteilungsspielraum. 52

Ausdrücklich gehörte zum Prinzip der so verstandenen Staatsaufsichtauch die fortlaufende Überwachung der Geschäftsführung der Versiche-rungsunternehmen. So sollte die Aufsichtsbehörde bei veränderten Verhält-nissen insbesondere auf den Erhalt des Bestandes und der Leistungsfähig-keit einer Versicherungsanstalt hinwirken. 53 Gesetzestechnisch war es da-her naheliegend, ebenso wie für die Neuzulassung einer Versicherungsge-sellschaft zum Geschäftsbetrieb auch für Änderungen des Geschäftsplanssowie des Versicherungsbestandes eine Genehmigungspflicht mit Verweisauf die Anforderungen des § 7 VAG aufzustellen. Dementsprechend ver-stand man auch die Genehmigungspflicht von Geschäftsplanänderungen(§ 13 VAG) als unabweisliche Folge des Konzessionssystems selbst. 54 Hin-gegen wird § 14 VAG in diesem Zusammenhang überhaupt nicht erläutert.

49 Wallmann's Versicherungs-Zeitschrift 1877, S. 305.50 Behrend, Neuere Entscheidungen in Privatversicherungs-Sachen, ZVersWiss

1907, S. 321 ff. (321); Ehrenberg, aaO. (Fn. 40), S. 399; Eggenberger, Zur Reform imSterbekassenwesen, ZVersWiss 1901, S. 172 ff. (176 f.).

51 Motive zum VAG, aaO. (Fn. 16), S. 25.

52 Könige /Petersen, Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen,3. Auflage Berlin, Leipzig 1927, § 7 VAG Anm. 1.

53 Motive zum VAG, aaO. (Fn. 16), S. 25.54 Motive zum VAG, aaO. (Fn. 16), S. 36.

29 Zeitschr. f. d. ges. Versicherungsw. 3

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440 Robert Weber

Dadurch, daß jedes Übereinkommen hinsichtlich der Übertragung einesVersicherungsbestandes zugleich eine genehmigungspflichtige Geschäfts

-planänderung zur Folge hatte, 55 wird dem Konzessionsprinzip an sichbereits mit § 13 VAG in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Demnachkönnte § 14 VAG nicht nur Ausfluß des Konzessionsprinzips, sondern vonweitergehender Bedeutung sein. Jedoch erfolgte im Zusammenhang mitdem Übereinkommen i.S.v. § 14 VAG nicht nur die Änderung des Ge-schäftsplans, sondern es erfolgte auch — im Regelfall der Auflösung einerGesellschaft oder zumindest der Übertragung des gesamten Bestandes —die gänzliche Aufhebung desselben. 56 Die gesonderte Erwähnung von Über-einkommen, welche die Übertragung eines Versicherungsbestandes betref-fen, sozusagen als einschneidendste Form der Geschäftsplanänderung, er-scheint deshalb nicht ungewöhnlich.

Die Vorschrift des § 14 VAG ist daher ebenso wie § 13 VAG lediglich alsunmittelbare Folge des im VAG festgelegten Prinzips der materiellenStaatsaufsicht bzw. des Konzessionsprinzips anzusehen, wonach die Ge-schäftsführung der Versicherungsunternehmen umfassend zu kontrollierenwar. Die Stellung des § 14 VAG am Ende des Abschnitts über die Zulassungzum Geschäftsbetrieb, unmittelbar neben der Vorschrift über die Genehmi-gungspflicht von Geschäftsplanänderungen, bestätigt dieses Ergebnis.

Berücksichtigt man zudem, daß es sich um eine rein öffentlich-rechtlicheBestimmung handelte und insbesondere der Genehmigung anfangs keineprivatrechtliche Wirkung beigemessen wurde, 57 so wird deutlich, daß § 14VAG keine Legaldefinition für einen (privatrechtlichen) Bestandsübertra-gungsvertrag aufstellte. Daß diese Auffassung in der Literatur geteiltwurde, läßt sich daraus entnehmen, daß die Mitübertragung der auf den zuübertragenden Versicherungsbestand bezogenen Reserven und Prämien

-überträge — trotz ausdrücklicher Erwähnung in § 14 VAG — nicht alskonstitutives Merkmal für das Übereinkommen i.S.d. Vorschrift angesehenwurde. 58

Das Merkmal „jedes Übereinkommen" weist auf einen Auffangcharakterhin. Es lag in der Absicht des Gesetzgebers, der,keine umfassende Vorstel-lung von den verschiedenen Arten der Übertragungen hatte, jede von einemVersicherungsunternehmen initiierte Bestandsänderung zu erfassen, undzwar ohne Bezugnahme auf versicherungsrechtliche Besonderheiten. Insbe-

55 Rehm, aaO. (Fn. 9), § 14 VAG Anm. 5.56 Rehm, aaO. (Fn. 9), § 14 VAG Anm. 5.57 Motive zum VAG, aaO. (Fn. 16), S. 187.58 Ehrenberg, aaO. (Fn. 6), S. 27; Manes/Hagen, Das Reichsgesetz über die priva-

ten Versicherungsunternehmungen, 2. Auflage Tübingen 1909, § 14 VAG Anm. 1;Rehrn, aaO. (Fn. 9), § 14 VAG Anm. 4; Hagen, aaO. (Fn. 8), S. 223; a.A.: Kisch, aaO.(Fn. 17), S. 288.

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Ursprung und Wandlung der Bestandsübertragung 441

sondere knüpfte man nicht an die sogenannte Abtretung des Portefeuillesan, mit der eine besondere Art der Liquidation ( „Generalliquidation ") einerVersicherungsgesellschaft bezeichnet wurde. 59

Ebensowenig unterschied die unbestimmte Fassung des § 14 VAG da-nach, ob das Übereinkommen rechtsgeschäftlich zu erfüllen war oder obseine Erfüllung in einer gesetzlich angeordneten Gesamtnachfolge lag.

3. Beispiele für die Verschiedenartigkeitder zu § 14 VAG gezählten Übereinkommen

Insbesondere der Fusionsvertrag i.S.d. § 306 HGB, der zu einem Über-gang des Versicherungsbestandes im Wege der Gesamtnachfolge führt, 60

galt als Übereinkommen i.S.v. § 14 VAG. Denn in jedem Fusionsvertragzwischen Aktiengesellschaften sah man einen Bestandsübertragungsvertragals immanenten Bestandteil. 61

Schließlich wurden auch solche Vereinbarungen als Übereinkommeni.S.d. § 14 VAG angesehen, die nicht ausdrücklich auf die Übertragungeines Versicherungsbestandes abzielten, aber verdeckt auf eine solche hin-ausliefen. 62 Dies geschah durch Vereinbarungen über die Übertragung derGeschäftsführung eines Versicherungsunternehmens auf ein anderes, dasden Versicherungsbestand auf eigene Rechnung weiterführen sollte. SolcheVereinbarungen sahen ein Vertretungsverhältnis 63 oder ein Rückversiche-rungsverhältnis 64 vor. Mit derartigen Vereinbarungen war sichergestellt,daß die Versicherten sich nicht auf § 415 BGB berufen und damit dieTransaktion verhindern konnten, weil sich für diese der Vertragspartnernicht änderte. 65 Aber es war naheliegend, daß der neu hinzu kommendeVersicherer diese Versicherten veranlaßte, zu ihm überzutreten. Da man aufdiesem Wege die Entstehung unmittelbarer rechtlicher Beziehungen zwi-schen dem neuen Versicherer und den Versicherten voraussah, gelangteman zu der Einschätzung, auch hier bestehe materiell die Übertragung desVersicherungsbestandes. 66

59 Ehrenberg, Versicherungsrecht I, Leipzig 1893, S. 149 und 384.60 Siehe oben A.III.1.61 Bannier, Bestandsübertragung und Fusion von Versicherungsunternehmungen

unter besonderer Berücksichtigung der Fusion von Versicherungsvereinen auf Ge-genseitigkeit, Rostock 1936, S. 38, Fn. 3; Schenk, aa0. (Fn. 36), S. 15; Kirchmann,aaO. (Fn. 12), S. 9 f.

62 VerAfP 1905, S. 73; Könige /Petersen, aaO. (Fn. 52), § 14 VAG Rn. 7.; Manes/Hagen, aaO. (Fn. 58), § 14 VAG Anm. 4; Hagen, aaO. (Fn. 8), S. 225.

63 Vgl. z. B. den vom OLG Cassel, VerAfP 1907, Nr. 274 entschiedenen Fall, indem der Ubertragung der Verwaltung einzelner Versicherungszweige die Erteilungeiner Generalvollmacht zugrunde lag.

64 OLG Cassel, VerAfP 1907, Nr. 274.65 Kirchmann, aaO. (Fn. 12), S. 48 f.

29*

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442 Robert Weber

So wie die Übertragung eines Versicherungsbestandes ist auch die damitvergleichbare Treuhandschaft im Rahmen eines sogenannten Liquidations-vergleichs 67 in den unterschiedlichsten Rechtsgestaltungen realisierbar. DieTreuhandschaft kann organisiert werden in der Form der Vollübertragungder Vermögensrechte des Schuldners auf den Treuhänder. Sie ist auchmöglich als Ermächtigungstreuhand oder als Vollmachtstreuhand, mit derder Treuhänder qua unwiderruflicher Vollmacht über das Treugut zuverfügen befugt ist. 68

B. Die Herausbildung der Bestandsübertragung als Rechtsinstitut

Die Abtretung des Portefeuilles, schon länger bekannt in Frankreich,entwickelte sich erst Anfang dieses Jahrhunderts auch in Deutschland zueinem besonderen Rechtsinstitut.

I. Die Häufung von Bestandsübertragungen in Deutschland

Bedingt durch das Inkrafttreten des VAG am 1.1.1902, das bezüglich desKapitalbedarfs von Versicherungsunternehmen die Beaufsichtigung ver-schärfte, 69 häuften sich Übertragungen von Versicherungsbeständen. 70 Be-troffen waren Versicherungsunternehmen mit finanziell unzureichendenReserven und zu niedrig angesetzten Prämien. Bisher konnten solche inner-lich bankrotten Gesellschaften existieren, wenn sie den an sie gestelltenZahlungsforderungen mit den einlaufenden Prämien gerecht wurden. 71

Gerichtliche Zahlungsunfähigkeitserklärung und Konkurseröffnung konn-ten dann nicht erfolgen. 72 Mit dem VAG wurde dieser Mißstand beseitigt.Das Erfordernis der dauernden Erfüllbarkeit der sich aus den Versicherun-gen ergebenden Verpflichtungen (§ 7 Nr. 2 VAG) betraf zunächst die Ge-sellschaften mit zu schmaler Kapitaldecke. In den ersten zehn Jahren nach

66 OLG Cassel, VerAfP 1907, Nr. 274.67 Bei einem Liquidationsvergleich werden die Gläubiger des Vergleichs anteilig

aus dem Erlös der Vermögenswerte des Schuldners befriedigt, vgl. Emmerich, DieSanierung I, Mannheim, Berlin, Leipzig 1930, S. 134.

68 Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, 2. Auflage Marburg 1933,S. 383 f.; Coing, Die Treuhand kraft privaten Rechtsgeschäfts, München 1973,S. 82 f.

69 Fuld, Die Einwirkung der Fusion auf bestehende Versicherungen, EhrenzweigsAssekuranz Jahrbuch 1908, S. 4; Ehrenberg, aaO. (Fn. 6), S. 24; v. Knebel Doeberitz,Die Sterbekassen in Preußen vor und nach dem Inkrafttreten des Reichsgesetzesüber die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901, ZVersWiss 1902S. 6 f.

70 Ehrenberg, aaO. (Fn. 6), S. 24.71 v. Knebel Doeberitz, aaO. (Fn. 69), S. 1; Eggenberger, aa0. (Fn. 50), S. 173.72 Bödiker, Die Reichs-Versicherungsgesetzgebung, Leipzig 1898, S. 56.

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Ursprung und Wandlung der Bestandsübertragung 443

Inkrafttreten des VAG übertrugen kleine, finanziell notleidende Versiche-rungsunternehmen, zumeist Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit(häufig sogenannte Sterbekassen), 73 ihren gesamten Versicherungsbestand.

Dabei ging es nicht notwendigerweise um Spargelder der Versicherten, die

zu retten waren. Es kamen beispielsweise Übertragungen seitens Feuer- 74

und Viehversicherungsgesellschaften 75 vor, bei denen aus Sicht der Versi-cherten nur die künftige Gefahrtragung sichergestellt wurde. AufnehmendeGesellschaften waren regelmäßig Aktiengesellschaften, aber auch größereVersicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. 76

Die Vorteile für die den Bestand aufnehmenden Gesellschaften bestandenin der Einsparung von Akquisitionskosten. Für Lebensversicherungsgesell

-schaften war die Übernahme eines Versicherungsbestandes außerdem miteiner erheblichen Einsparung von Verwaltungskosten verbunden. In kei-nem anderen Versicherungszweig waren die Abschlußkosten gegenüber denlaufenden Unkosten so besonders hoch. 77

Keinesfalls ging es dabei nur um rein rechnerische Vorteile. GroßeLebensversicherungsgesellschaften hatten ein nicht geringes Interesse, inder Öffentlichkeit als Volksversicherungsunternehmen allgemein aner-kannt zu werden. Dazu gehörte es, daß sich das Massengeschäft gegenüberder Umlagepraxis der Sterbekassen mit ihren technisch viel zu niedrigenPrämiensätzen als Alternative etablieren mußte, um nicht ebenfalls in denRuf mangelnder Solidität zu geraten. 78

II. Die Abtretung des Portefeuilles als Liquidationsart

Unter Abtretung des Portefeuilles war ursprünglich eine bestimmte Artund Weise der Liquidation des Vermögens einer Versicherungsgesellschaftzu verstehen.

73 Deren Rechtsstellung war vielfach unklar. Nur zum Teil genügte ihre Organisa-tion den Anforderungen, die das VAG an einen Versicherungsverein auf Gegenseitig-keit stellte. Vgl. v. Knebel Doeberitz, aaO. (Fn. 69), S. 2 f.; Manes/Hagen, aaO.(Fn. 58), § 1 VAG Anm. 5.

74 VerAfP 1907, S. 4 f.75 VerAfP 1903, S. 128.

76 Vgl. die Mitteilungen über die Genehmigung von Bestandsveränderungen inVerAfP 1903, S. 88, 127 f.; 1904, S. 17, 162; 1905, S. 14, 97 f., 109; 1907, S. 4 f., 25,138; 1908, S. 27, 102; 1909, S. 263; 1910, S. 7, 28, 178; 1911, S. 5, 6, 217; 1912, S. 6,7, 190.

77 Moldenhauer, Konzentrationsbestrebungen im deutschen privaten Versiche-rungswesen, ZVersWiss 1911, S. 254 ff. (262 ff.).

78 Eggenberger, aaO. (Fn. 50), S. 176.

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444 Robert Weber

1. Die Problematik der Liquidationsverfahren

bei Lebensversicherungsunternehmen

Für Lebensversicherungsunternehmen, die sich mangels ausreichenderfinanzieller Leistungsfähigkeit auflösen mußten, bot sich die Abtretung desPortefeuilles an. Dies diente den Interessen der Versicherten und verkürztedas Liquidationsverfahren.

Grundsätzlich waren die Verträge von der Liquidationsgesellschaft auf-recht zu erhalten. 79 Dies wurde durch das VAG klargestellt, das denBesonderheiten des Lebensversicherungsvertrages Rechnung trug. Erlo-schen die Versicherungsverträge gemäß § 43 Abs. 4 VAG grundsätzlichinfolge des Auflösungsbeschlusses eines Versicherungsvereins auf Gegen-seitigkeit, 80 so galt dies nicht für Lebensversicherungsverträge (Abs. 5 derVorschrift). 81 Denn anders als in der Schadensversicherung konnten dieVersicherten hier — altersbedingt — nur sehr schwer oder gar nichtDeckung bei einem anderen Lebensversicherer erlangen. 82 Da also dieLiquidation grundsätzlich keinen Einfluß auf die Lebensversicherungsver-träge hatte, diese vielmehr regulär weiterzuführen waren, war das Liquida-tionsverfahren regelmäßig bis zum Erlöschen des letzten Versicherungsver-hältnisses fortzusetzen. Ein solches Liquidationsverfahren war also durchdie Abwicklung der — naturgemäß langfristigen — Lebensversicherungs-verträge bestimmt. Besonders lange Liquidationsverfahren, wie sie Endedes vorigen Jahrhunderts vorkamen, wurden als Mißstand empfunden, demdurch ein künftiges reichseinheitliches Aufsichtsgesetz begegnet werdensollte. 83 In der Übertragung des gesamten Versicherungsbestandes gemäߧ 44 VAG 84 sah man nun die Möglichkeit, die Auflösung eines Versiche-rungsvereins auf Gegenseitigkeit zu einem früheren Zeitpunkt herbeizufüh-ren. 85

7 9 RG, JW 1904, S. 100 f.80 Vgl. die damalige Fassung des § 43 Abs. 4 VAG: Die zwischen den Mitgliedern

und dem Vereine bestehenden Versicherungsverhaltnisse erlöschen mit dem in demBeschlusse bestimmten Zeitpunkte, frühestens jedoch mit dem Ablaufe von vierWochen, mit der Wirkung, daß die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Versiche-rungsansprüche geltend gemacht, im Uebrigen aber nur die für künftige Versiche-rungsperioden vorausbezahlten Beiträge, abzüglich der hierfür aufgewandten Kostenzurückgefordert werden können.

81 § 43 Abs. 5 VAG lautete: Auf die Versicherungsverhältnisse aus der Lebensver-sicherung finden die Vorschriften des Abs. 4 keine Anwendung. Diese Versicherungs-verhaltnisse bleiben unberührt, soweit die Satzung nicht ein anderes bestimmt.

82 RG, JW 1904, S. 100 f.; Ehrenberg, aaO. (Fn. 6), S. 24 f.83 Vgl. den Bericht zur Liquidation von Gegenseitigkeits- Gesellschaften, Annalen

des gesamten Versicherungswesens, 27. Jahrgang, 6.2.1896.84 Siehe dazu unten B.II.5.85 Preuß. OVG, VerAfP 1909, Anh. S. 81 f.

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Ursprung und Wandlung der Bestandsübertragung 445

Diese Alternative, wonach eine andere Gesellschaft die laufenden Versi-cherungen der finanziell notleidenden Gesellschaft fortführte, war nichtunbekannt. Es gab für diese „fusionsähnlichen Operationen" 86 zunächstnur keine rechtstechnische Bezeichnung. Später wurde hierfür der Begriff„Abtretung des Portefeuilles" eingeführt.

2. Erste Erörterungen der Abtretungdes Portefeuilles im deutschen Schrifttum

Die Abtretung des Portefeuilles wurde von Ehrenberg unter Verweis aufdie französische Literatur und Rechtsprechung zu dem dort verbreitetenversicherungstechnischen Begriff „cession de portefeuille" 87 als Rechtsin-stitut anerkannt. Die Abtretung des Portefeuilles bezwecke zwar eineÜbertragung, da die übernehmende Gesellschaft sämtliche Ansprüche undVerpflichtungen aus den Versicherungsverträgen erhalten sollte. 88 DieDurchführung einer so gekennzeichneten Abtretung des Portefeuilles er-schien jedoch problematisch: Ausgehend von dem Rechtsgrundsatz, nachwelchem sich niemand einen neuen Schuldner als Vertragspartner gefallenzu lassen braucht, bedurfte die Abtretung des Portefeuilles bzw. die in ihrenthaltene Schuldübernahme der Zustimmung des Gläubigers (der Versi-cherten). Nur soweit der einzelne Versicherte ihr zustimmte, war dieAbtretung des Portefeuilles daher rechtlich zulässig. 89 Wenn aber mitZustimmung zahlreicher Versicherter ein großer Teil der Verträge auf denaufnehmenden Versicherer überging, so geriet der übertragende Versichererin Vermögensverfall. Infolgedessen stand den nicht zustimmenden Versi-cherten das allgemein anerkannte 90 versicherungsrechtliche Rücktritts-recht wegen Unsicherwerdens des Versicherers (der Liquidationsgesell-schaft) zu. 91

3. Die Behandlung der cession de portefeuille in Frankreich

Häufiger als in Deutschland praktizierte man die Abtretung des Porte-feuilles (cession de portefeuille) im vorigen Jahrhundert in Frankreich. 92

86 So die Umschreibung von Hinrichs, Die Lebensversicherung, ihre wirtschaftli-che und rechtliche Natur, ZfHR 1875 S. 339 ff. (447 Fn. 108).

87 Ehrenberg, aaO. (Fn. 59), S. 384, Fn. 7 und 10.88 Ehrenberg, aaO. (Fn. 59), S. 149 und 384.89 So ausdrücklich Ehrenberg, aaO. (Fn. 59), S. 149.90 Ehrenberg, aaO. (Fn. 59), S. 383 ff.; RGZ 5, S. 7/8 f.

91 Ehrenberg, aaO. (Fn. 59), S. 384, der vor Inkrafttreten des VAG und des BGBeinen Fall der Unsicherheit generell dann annahm, wenn dem Versicherten seineigener Versicherer „nach Abtretung zahlreicher Prämienansprüche nicht mehr alsgenügend sicher erscheint ".

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446 Robert Weber

Dort gab es Liquidationsfälle, in denen das Recht des Versicherten zurAuflösung (resiliation) des Versicherungsvertrages anläßlich einer cessionde portefeuille gerichtlich anerkannt wurde. 93 Damit war, soweit die Versi-cherten ihr nicht freiwillig zustimmten, die cession de portefeuille in ihrerDurchführbarkeit gefährdet. Allerdings setzte ein vertragliches Rücktritts-recht des nicht zustimmenden Versicherten voraus, daß sich die Liquida-tionsgesellschaft anläßlich der cession de portefeuille sogleich ihres gesam-ten Vermögens entledigte und deshalb nur fiktiv fortbestand. 94

Der Eintritt dieser zuletzt genannten Rücktrittsvoraussetzung konntejedoch durch entsprechende Rechtsgestaltungen vermieden werden: Sokamen häufiger Vereinbarungen zwischen Liquidationsgesellschaft underwerbender Gesellschaft zustande, wonach erstere ihr Vermögen bis zumErlöschen der letzten Versicherungspolice behalten und erst dann übertra-gen sollte. 95 Die erwerbende Gesellschaft trat dabei als Vertreterin derLiquidationsgesellschaft oder als Liquidatorin auf. 96 Die Liquidationsge-sellschaft existierte in diesen Fällen fort, und zwar nicht nur fiktiv. Auchdiese Fallkonstellationen wurden als cession de portefeuille bezeichnet. 97

Wenn eine Liquidationsgesellschaft im Rahmen der cession de portefeuillezunächst nur den Bestand abtrat und ihr sonstiges Vermögen einstweilenbehielt, so waren ihre Versicherten ebenso an ihre Verträge gebunden wiebei jeder anderen Liquidation. Für sich allein gesehen bildete der Eintritteiner Gesellschaft in Liquidation nämlich keinen Rücktrittsgrund. 98 Ob dieVersicherten im Einzelfall der Schuldübernahme zustimmten oder nicht,war insoweit ohne Belang.

Die cession de portefeuille, die ohne Zustimmung der betroffenen Versi-cherten stattfand, konnte also sowohl das Fortbestehen als auch denUntergang der übertragenden Gesellschaft zur Folge haben. Maßgeblichdafür war insbesondere, ob den zwischen den Gesellschaften getroffenenVereinbarungen die sofortige Übertragung des gesamten Vermögens zuentnehmen war. Entscheidend war der genaue Vertragsinhalt.

92 Vgl. den Lexikonartikel über cession de portefeuille in: Dalloz, JurisprudenceGenerale, Supplement au repertoire, Paris 1887, S. 617 f. Nr. 257; Wiener, aaO.(Fn. 23), S. 354 f.; OLG Colmar, VerAfP 1904 S. 29/30; Pariser Cass., 20.10.1885,Dalloz, Recueil periodique et critique, Jahrgang 1886, 1. Teil, S. 129 f.

93 Vgl. Tribunal de la Seine, 23.12.1880, in: Dalloz, Supplement au repertoire,1887, aaO. (Fn. 92), Anm. 1.

94 Vgl. Tribunal de la Seine, aa0. (Fn. 93).95 OLG Colmar, VerAfP 1904 S. 29/30.96 Wiener, aaO. (Fn. 23), S. 354 f.; Pariser Cass., aaO. (Fn. 92). Derartige Vereinba-

rungen erfolgten später auch in Deutschland, siehe bereits oben A.IV.3.97 Wiener, aaO. (Fn. 23), S. 354 f.; Dalloz, Supplement au repertoire aaO. (Fn. 92),

S. 618 li. Sp. oben.98 Pariser Cass., aaO. (Fn. 92).

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Ursprung und Wandlung der Bestandsübertragung 447

4. Die Abtretung des Portefeuilles aus reichsgerichtlicher Sicht

Mit dem Urteil vom 29.12.1903 99 bot sich dem Reichsgericht die Gelegen-heit, zur Rechtslage vor Inkrafttreten des VAG hinsichtlich der Abtretungdes Portefeuilles Stellung zu nehmen. Die Abtretung des Portefeuilleswurde in dieser Entscheidung unter Bezugnahme auf Ehrenberg 1 °° als einebestimmte Art der Liquidation, bei der das Gesellschaftsvermögen imGanzen veräußert wird, ausdrücklich anerkannt. 10 ' Für Aktiengesellschaf-ten sei diese Liquidationsart in § 303 HGB 102 gesetzlich geregelt.

Bei Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit stellte sich das Rechtspro-blem, inwieweit Individualrechte 103 der einzelnen Mitglieder dieser Liqui-dationsart entgegenstehen. So gelangte etwa die Vorinstanz zur Unverbind-lichkeit des Generalversammlungsbeschlusses, der sich auf die Veräuße-rung des gesamten Vermögens und damit auch notwendigerweise auf eineSchuldübernahme bezog. Wegen der entgegenstehenden Sonderrechte seidie Generalversammlung nicht befugt gewesen, einen Schuldübernahme-vertrag rechtsverbindlich für alle Mitglieder zu genehmigen. 104

Das Reichsgericht hob diese Entscheidung auf; es betonte nicht nur dieallgemeine Zulässigkeit des Vertrages betreffend die Übernahme des Porte-feuilles, die auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit zu stützen sei. 105 Esstellte die Abtretung des Portefeuilles als ein Rechtsgeschäft heraus, dessenBedeutung nicht allein in der Verknüpfung von Abtretungs- und zustim-mungsbedürftigen Schuldübernahmeverträgen liege. Der Anerkennung desRechtsgeschäfts als bestimmte Art der Liquidation maß das Reichsgerichtinsofern eine eigenständige rechtliche Bedeutung bei, als eine bereits imvoraus erteilte Zustimmung des einzelnen Mitglieds zur Schuldübernahmeangenommen wurde, wenn nur die Satzung entsprechende Regelungen überdie Art der Liquidation des Vereinsvermögens enthalte: Dürfe die General-versammlung über die Art und Weise der Liquidation des Vereinsvermö-gens satzungsgemäß frei entscheiden, so könne für alle Vereinsmitgliedereine Schuldübernahme wirksam beschlossen werden. Werde nämlich in derGeneralversammlung die Genehmigung eines Portefeuilleübernahmever-trages mit der erforderlichen Mehrheit der Mitgliederstimmen beschlossen,so sei auch die dagegen stimmende Minderheit an die Durchführung dieser

99 RGZ 56, S. 292 ff.100 Siehe oben, B.II.2.101 RGZ 56, S. 292/295102 Siehe A.II.1.103 Von der Vorinstanz OLG Hamburg, ROLG 8, S.178 f. und dem insoweit

zustimmenden RG — RGZ 56, S. 292/294 — wurden diese Individualrechte sogarals Sonderrechte qualifiziert; zweifelnd: Behrend, aaO. (Fn. 50), S. 322 f.

104 OLG Hamburg ROLG 8, S.178 f.105 RGZ 56, S. 292/294.

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448 Robert Weber

Art der Liquidation voll gebunden. Der Vertrag sei in seiner Gesamtheitanzuerkennen, ohne daß die Mitglieder der in ihm enthaltenen Schuldüber-nahme dann noch wirksam widersprechen könnten.'°6

Mit der Heranziehung der zwischen Mitglied und Gegenseitigkeitsvereinbestehenden körperschaftsrechtlichen Beziehungen etablierte das Reichs-gericht die Abtretung des Portefeuilles als ein versicherungsspezifischesRechtsgeschäft, das einerseits auf die Veräußerung des Vermögens imGanzen gerichtet war, 107 andererseits den betroffenen Mitgliedern Wider-spruchsrechte gegen eine Schuldübernahme abschnitt.

Es besteht insoweit ein Unterschied zur rechtlichen Beurteilung dercession de portefeuille in Frankreich. Dort war die Auslegung des zwischenden Gesellschaften abgeschlossenen Veräußerungsvertrages maßgeblich,insbesondere hinsichtlich der Frage, welches Schicksal das übrige, nichtzum eigentlichen Versicherungsbestand zu zählende Vermögen (Restvermö-gen) der abtretenden Gesellschaft erfährt. 108 Hingegen legte das Reichsge-richt bei seiner rechtlichen Beurteilung das entscheidende Gewicht auf dieSatzungsbestimmung, welche die Art der Liquidation regelte. 109 Warenaber die Mitglieder schon satzungsgemäß an einen Generalversammlungs-beschluß über die Liquidation in der Form der Portefeuilleabtretung ge-bunden, dann war kein Grund ersichtlich, dem Schicksal des sogenanntenRestvermögens der abtretenden Gesellschaft eine besondere rechtliche Be-deutung beizumessen.

Wenn das Reichsgerichtsurteil auch als grundlegend für die Abtretungdes Portefeuilles eingeschätzt wurde, 110 so zog es doch eine Reihe vonFolgeproblemen nach sich. Insbesondere blieb ungeklärt, inwieweit eineandere Beurteilung gerechtfertigt war, wenn eine Satzungsbestimmungbezüglich der Art und Weise der Liquidation des Vereins nicht existierte.Aber auch wenn die Generalversammlung bezüglich der Vermögensverwer-tung im Liquidationsfall satzungsgemäß freie Hand hatte, blieb die rechtli-che Stellung der gegen feste Prämie versicherten Nichtmitglieder ungeklärt.

Ungeachtet dieser Folgeprobleme war die Abtretung des Portefeuilles alsversicherungsspezifisches Rechtsinstitut seit dem Urteil vom 29.12.1903allgemein anerkannt.

106 RGZ 56, S. 292/294 ff.107 In RGZ 56, S. 292 / 295 wird ausdrücklich eine Parallele zu § 303 HGB gezogen,

der sich auf einen Fall der Veräußerung des Vermögens im ganzen bezieht.108 Siehe oben, B.II.3.109 Vgl. dagegen Behrend, aaO. (Fn. 50), S. 323.110 Hagen, aaO. (Fn. 8), S. 230; Schellwien, Die Fusion von Versicherungsgesell-

schaften in rechtlicher Beziehung, ZVersWiss 1911, S. 289; Könige /Petersen, aaO.(Fn. 52), § 14 VAG Anm. 20.

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Ursprung und Wandlung der Bestandsübertragung 449

5. Die mit § 44 VAG geschaffene Ausgangslage

Das VAG stellte mit § 44 Voraussetzungen auf, die ein Versicherungsver-ein auf Gegenseitigkeit für die Übertragung seines Versicherungsbestandesgemäß § 14 einzuhalten hatte. Dazu gehörte die Beschlußfassung des ober-sten Organs, die — soweit die Vereinssatzung nichts anderes vorschrieb"— einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen bedurfte(§ 44 i.V.m. § 43 Abs. 1, 2 S. 1 VAG).

§ 44 VAG in der Fassung vom 12.5.1901 lautete:

Die Vorschriften des § 43 Abs. 1, 2 Satz 1 finden auf Beschlüsse, die einUebereinkommen der im § 14 bezeichneten Art zum Gegenstande haben,entsprechende Anwendung.

§ 43 VAG lautete (Auszug):

Die Auflösung des Vereins kann nur durch das oberste Organ beschlos-

sen werden.

Zu dem Beschlusse bedarf es einer Mehrheit von drei Viertheilen derabgegebenen Stimmen, sofern nicht die Satzung andere Erfordernisse

aufstellt. Mitglieder des obersten Organs, welche gegen die Auflösunggestimmt haben, sind berechtigt, gegen den Auflösungsbeschluss Wider-

spruch zum Protokolle zu erklären (§ 74).

Der Beschluß bedarf der Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Von der

Genehmigung hat die Aufsichtsbehörde dem Registergerichte Mitthei-

lung zu machen.

(...)

a) Die gesetzliche Festlegung der Linie des Reichsgerichts

Wesentlich für die Herausbildung der Bestandsübertragung als eigen-ständige Rechtsfigur ist es, daß die Vorschrift ausdrücklich der vom Reichs-gericht verfolgten Tendenz entsprach, die fragliche Liquidationsart auskörperschaftsrechtlichen Gründen anzuerkennen. "2 § 44 VAG ändertenichts an der Beurteilung der Abtretung des Portefeuilles seitens einesVersicherungsvereins auf Gegenseitigkeit gegenüber dem soeben erörtertenUrteil des Reichsgerichts zur vorgesetzlichen Rechtslage. Die rechtlicheZulässigkeit dieser Art der Liquidation des Vereinsvermögens wurde durchdiese Vorschrift im Einklang mit der Judikatur des Reichsgerichts gesetz-lich festgeschrieben. 113 Gegenüber der bloßen Auflösung des Vereins nach

111 Könige /Petersen, aa0. (Fn. 52), § 44 VAG Anm. 1.112 Siehe oben, B.II.4.113 Schellwien, aaO. (Fn. 110), S. 290.

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450 Robert Weber

§ 43 VAG stellte § 44 VAG sogar geringere rechtliche Anforderungen an dieDurchführung dieser Art der Liquidation: Denjenigen Mitgliedern, die inder Generalversammlung — diese war regelmäßig das oberste Organ desVereins — mit ihrer Stimme gegen einen (Verschmelzungs-)Beschluß i.S.v.§ 44 VAG unterlagen, standen keine weitergehenden Widerspruchsrechtezu. Gegen einen Auflösungsbeschluß des Gegenseitigkeitsvereins nach § 43VAG bestand ein Widerspruchsrecht der dem Beschluß nicht zustimmendenMitglieder gemäß Abs. 2 S. 2 dieser Vorschrift. Diese konnten demnach,wenn sie ihren Widerspruch in der Generalversammlung zu Protokollgegeben hatten, nach § 73 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 74 VAG gegen den Beschluß,bei dem sie mit ihrer Stimme unterlagen, ein Rekursverfahren in Gangsetzen. Nicht so bei Verschmelzungsbeschlüssen. Die nach § 43 Abs. 2 S. 2VAG erweiterten Widerspruchsrechte waren den widersprechenden Mit-gliedern bei Verschmelzungsbeschlüssen verwehrt, da § 44 VAG ausdrück-lich nur Satz 1, nicht aber Satz 2 des § 43 Abs. 2 VAG für anwendbarerklärte. 114

§ 44 VAG entspricht damit dem vom Reichsgericht entwickelten Grund-gedanken, daß einzelne Mitglieder nicht befugt sind, ihren Widerspruch inder Weise dem Gesamtwillen entgegenzusetzen, daß damit die Durchfüh-rung einer bestimmten Liquidationsart des Vereinsvermögens zum Schei-tern gebracht wird. 115

b) Der Regelungsverzicht des Gesetzgebers

Wenn auch die Durchführung der Portefeuilleabtretung in gewisser Wei-se durch das neue Gesetz erleichtert wurde, 116 war vor allem der bewußteRegelungsverzicht des Gesetzgebers charakteristisch: Man verzichtete aus

-drücklich auf eine nähere gesetzliche Ausgestaltung bezüglich der Übertra-gungen des Versicherungsbestandes eines Gegenseitigkeitsvereins. Dies ge-schah mit der Begründung, der Gefahr schädlicher Verschmelzungen werdebereits durch die allgemein erforderliche Genehmigungspflicht (§ 14 VAG)genügend vorgebeugt. 117 So traf § 44 VAG keine Regelung darüber, was mitdem Restvermögen der übertragenden Gesellschaft zu geschehen hatte.Ungeregelt blieb, wie die Stellung der gegen feste Prämie versichertenNichtmitglieder zu beurteilen war. Auch auf die Frage, wie diejenigenMitglieder zu behandeln waren, die mit ihrer Stimme gegen den Übertra-gungsbeschluß unterlagen, lieferte § 44 VAG keine Antwort.

114 Könige /Petersen, aaO. (Fn. 52), § 44 VAG Anm. 1; Bannier, aaO. (Fn. 61),S. 65; Ehrenberg, aaO. (Fn. 6), S. 37; Hagen, aaO. (Fn. 8), S. 228, Fn. 5.

115 Vgl. die Rekursentscheidung des Aufsichtsamtes in: VerAfP 1921, S. 17 ff.116 Siehe soeben unter a).117 Motive zum VAG, aaO. (Fn. 16), S. 45.

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Ursprung und Wandlung der Bestandsübertragung 451

III. Die eigenständige Bedeutung der Gesamtbestandsübertragung

Bereits dem Wortlaut des § 14 VAG war zu entnehmen, daß Teilbestands-übertragungen ebenso wie Gesamtbestandsübertragungen möglich waren.

Dabei ließ sich nicht nur die Teilbestandsübertragung, sondern auch dieGesamtbestandsübertragung begrifflich unterscheiden sowohl von der Fu-sion als auch von der Auflösung eines VVaG. Eine eigenständige rechtlicheBedeutung kam der Gesamtbestandsübertragung jedoch nur in einem be-grenzten Ausmaß zu.

1. Abgrenzung zur Fusion

Der Begriff der Bestandsübertragung wurde von dem handelsrechtlichenBegriff der Fusion (§§ 305 f. HGB a.F.), bei der das Vermögen einer Gesell-schaft als Ganzes übertragen wird, abgegrenzt. Bei der Bestandsübertra-gung gehe es nur darum, daß eine Aktiengesellschaft oder ein Versiche-rungsverein auf Gegenseitigkeit seinen Versicherungsbestand in seiner Ge-samtheit oder in einzelnen Zweigen abtrete. Bei dieser Begriffsbestimmung

wurde auf die Formulierung des § 14 VAG Bezug genommen. 118 Zwar seiin jeder Fusion, d. h. in jeder Übertragung des Vermögens in seiner Gesamt-heit, notwendigerweise auch eine Bestandsübertragung enthalten. Aberumgekehrt gelte nicht, daß eine Übertragung des gesamten Versicherungs-bestandes („Gesamtbestandsübertragung") mit einer Fusion gleichzusetzensei. Das zeige sich beispielsweise dann, wenn eine Kreditbank mit Versiche-rungsabteilung eine Gesamtbestandsübertragung vornehme. In dieser eherentlegenen Fallkonstellation 119 liege keine Fusion vor, da die übertragendeGesellschaft, welche weiterhin ihr Kreditgeschäft betreibt, nicht ihr ganzesVermögen mitübertrage, 120 ebenso wie dies der Fall sei, wenn nur ein Teilder von der Gesellschaft betriebenen Versicherungszweige übertragen wer-de („Teilbestandsübertragung").

Es kann somit festgehalten werden, daß eine Gesamtbestandsübertra-gung anzuerkennen war und noch heute anerkannt wird,'2 ' welche sich vonder Fusion unterscheidet, weil dabei nicht das Vermögen im Ganzen über-tragen wird. Als Alternative zur Fusion kam ihr aber keine besondererechtliche Bedeutung zu.

1 18 Kirchmann, aaO. (Fn. 12), S. 6 ff.; Schenk, aa0. (Fn. 36), S. 13 f.; Bannier, aaO.(Fn. 61), S. 18; Scharping, aaO. (Fn. 3), S. 41 f.

119 Die überaus häufigsten Fälle in der Praxis stellten Gesamtbestandsübertra-gungen eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit dar; sie hatten in der Regeldie Auflösung des Vereins zur Folge, vgl. VerAfP 1906, S. 96.

120 Kirchmann, aaO. (Fn. 12), S. 8 f.121 Goldberg /Müller, aaO. (Fn. 16), § 14 VAG Rn. 6; ausdrücklich auch Scharping,

aaO. (Fn. 3), S. 42.

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452 Robert Weber

2. Abgrenzung zum Auflösungsbeschluß gem. § 43 VAG

Aufgrund eines bestimmten Verständnisses der § 43, 44 VAG wurde derGesamtbestandsübertragung teilweise eine besondere Bedeutung zuge-schrieben: Nur für diejenigen Fälle, bei denen ein Versicherungsbestand mitdazugehörigen Reserven und Prämienüberträgen, aber ohne das restlicheVermögen der Gesellschaft zu übertragen beabsichtigt war, hielt man imHinblick auf § 44 VAG ein nur teilweises Eingreifen der Auflösungsvor-schriften des § 43 VAG für angezeigt. 122

Bei einem Übertragungsbeschluß, der sich auf das Vermögen in seinerGesamtheit bezog, sollten hingegen — über die gesetzliche Verweisunghinaus — die Auflösungsvorschriften des § 43 VAG vollständig beachtetwerden, da ein solcher Übertragungsbeschluß stets einen Auflösungsbe-schluß enthalte. Der Umstand, daß § 44 VAG nur auf § 43 Abs. 1 und 2 S. 1VAG verweise, sei in diesem Zusammenhang unerheblich. 123 Eine vollstän-dige Beachtung der Auflösungsvorschriften des § 43 VAG bedeutete aberdie Einholung einer zur Wirksamkeit des Auflösungsbeschlusses erforderli-chen aufsichtsbehördlichen Genehmigung (§ 43 Abs. 3 VAG). Hiervon wardie Genehmigung i.S.v. § 14 VAG zu unterscheiden, weil sich erstere aufden Auflösungsbeschluß, letztere auf das Übereinkommen zwischen beidenUnternehmen bezog. Die Genehmigung nach § 43 Abs. 3 VAG war auchnicht ausdrücklich an die Versagungsgründe des § 7 VAG gebunden, wenn

-gleich andere als diese allgemein gefaßten Versagungsgründe kaum inBetracht kamen. 124 Diese Genehmigung konnte ein Rekursverfahren nachsich ziehen (§§ 43 Abs. 2 S. 2, 73 Abs. 1 Nr. 4, 74 VAG).

Gegenüber einem solchen Weg, den Versicherungsbestand eines Unter-nehmens zu übertragen, wurde die „reine" Gesamtbestandsübertragungnach § 44 VAG als eine Möglichkeit dargestellt, die die Anwendung derlästigen Vorschriften des § 43 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 VAG, wodurch dieDurchführung der Fusion in die Länge gezogen wurde, ausschloß. Insofernerschien die reine Gesamtbestandsübertragung als eine einfacher zu reali-sierende Alternative. 125

Diese sachliche Trennung zwischen reiner Gesamtbestandsübertragungund Auflösung i.S.d. § 43 VAG war letztlich jedoch nicht zu rechtfertigen.In der Regel zog nämlich eine reine Gesamtbestandsübertragung auch danndie Auflösung des Gegenseitigkeitsvereins nach sich, wenn das Restvermö-gen nicht mit auf die aufnehmende Gesellschaft übertragen werden soll-

122 Rehm, aaO. (FN.9), 44 VAG Anm. 1; Kirchmann, aaO. (Fn. 12), S.78.123 Kirchmann, aaO. (Fn. 12), S.78; Rehm, aaO.(Fn. 9), § 43 VAG Anm. 4.124 Rehm, aaO. (Fn. 9), § 43 VAG Anm. 9.125 Kirchmann, aaO. (Fn. 12), S. 104 f.

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Ursprung und Wandlung der Bestandsübertragung 453

te. 126 Wenn aber beide Fälle zur Vereinsauflösung und damit aus Sicht derMitglieder zum gleichen Resultat führten, gab es keinen Grund für einedifferenzierende rechtliche Beurteilung.

Deshalb war die reine Gesamtbestandsübertragung nicht als eine einfa-cher zu realisierende Alternative anzuerkennen. Mit Recht setzte sich dieAuffassung durch, daß jede Bestandsübertragung eines Versicherungsve-reins auf Gegenseitigkeit, einschließlich derjenigen, die mit der Übertra-gung des gesamten Vermögens verbunden war, lediglich den Vorschriftender §§ 43 Abs. 1, 2 S. 1, 44 VAG unterlag, obwohl sie regelmäßig zu einerAuflösung führte. 127 Das hieß jedoch nicht, daß infolgedessen die Unzuläs-sigkeit einer Gesamtbestandsübertragung ohne gleichzeitige Übertragungdes Vermögens angenommen worden wäre. Vielmehr sprach nichts dagegen,die Verwertung des Vereinsvermögens durch Veräußerung im Ganzen eben-so anzuerkennen wie eine Verwertung des nicht übertragenen Restvermö-gens nach den herkömmlichen, in §§ 47, 48 VAG festgelegten Verteilungs-grundsätzen. 128

C. Rechtsprobleme zur Abtretung des PortefeuillesAnfang dieses Jahrhunderts

Ohne Rücksicht darauf, inwieweit den verschiedenen Arten der Übertra-gung von Versicherungsbeständen jeweils eine eigenständige rechtlicheBedeutung zukam, hob man die Abtretung des Portefeuilles pauschal zueinem versicherungsspezifischen Instrument des allgemeinen Wohles em-por. Denn ausschließlich ging es dabei um das „Aufsaugen" kleiner Betrie-be durch größere, und diese Entwicklung zum Großunternehmen hielt manim Bereich des Versicherungswesens für sozial und sogar ethisch legiti-miert. Man verwies auf die mit ihrer Größe zugleich wachsende Soliditätder Versicherungsunternehmen. 129 Dieser Hintergrund erklärt die bereitsAnfang dieses Jahrhunderts einsetzende rechtspolitische Bestrebung, einenVorrang der Abtretung des Portefeuilles vor Einzelrechten der Versichertenrechtlich zu begründen.

126 Eine seltene Ausnahme von dieser Regel war praktisch nur das soeben genann-te Beispiel mit der Kreditbank, die ihren gesamten Versicherungsbestand übertrug.

127 Ehrenberg, aaO. (Fn. 6), S. 37; Schellwien, aaO. (Fn. 110), S. 289 f.; Könige/Petersen, aaO. (Fn. 52), § 44 VAG Anm. 1; Rekursentscheidung, VerAfP 1921, S. 17/20; RG, 19.6.1931, VerAfP 1931, S. 255/256.

128 RG, 19.6.1931, VerAfP 1931, S. 255/256.129 Ehrenberg, aaO. (Fn. 6), S. 26.

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454 Robert Weber

I. Die Beschneidung von Widerspruchsrechten nach § 415 BGB beim VVaG

Bei der Frage nach Einzelrechten der Versicherten eines VVaG war imHinblick auf § 415 BGB zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern zuunterscheiden.

1. Widerspruchsrechte der Vereinsmitglieder

Die Zulässigkeit der Portefeuilleabtretung eines VVaG wurde nun auch,anders als nach der Entscheidung des Reichsgerichts vom 29.12.1903, 130

ausdrücklich unabhängig von bestimmten satzungsmäßigen Bindungen derMitglieder bejaht. Ein Generalversammlungsbeschluß hinsichtlich derÜbertragung eines Versicherungsbestandes sollte stets für alle Mitgliederverbindlich sein. Dies folgerte man nicht nur aus § 44 VAG, sondern auchaus dem Wesen der Gegenseitigkeit. Man sprach in diesem Zusammenhangvon einem gesellschaftlichen Verwaltungsakt, der alle Mitglieder in gleicherWeise treffe und den einzelnen nötige, seinen Willen dem Willen derMehrheit unterzuordnen. 131

2. Widerspruchsrechte der Nichtmitglieder

Die Beschränkungen der Widerspruchsrechte der Mitglieder konntennicht ohne weiteres auch den versicherten Nichtmitgliedern auferlegt wer-den. Bisweilen wurde jedoch hervorgehoben, daß auch die versichertenNichtmitglieder der Vereinssatzung unterworfen seien: War das Mitgliedan einen Generalversammlungsbeschluß gebunden, dann sei das Nichtmit-glied erst recht gebunden. 132 Dabei wurde jedoch mißachtet, daß die Nicht

-mitglieder ohne Mitwirkungsrechte waren, wenn die Generalversammlungeine Portefeuilleabtretung beschloß. Für diese hatte deshalb, anders als fürdie Mitglieder, grundsätzlich die übliche Liquidation stattzufinden (§§ 47,48 Abs. 3 VAG), sofern sie die übernehmende Gesellschaft als neuenSchuldner nicht akzeptierten. Insoweit waren die Widerspruchsrechte derNichtmitglieder nicht beschränkt. Keineswegs müßte deshalb aber die alteGesellschaft in Liquidation weitergeführt werden. Dies hätte schließlichden eigentlichen Zweck der Abtretung des Portefeuilles, die Verkürzungdes Liquidationsverfahrens, vereitelt. 133 Vielmehr sollte die übernehmendeGesellschaft auch die Abwicklung der Verträge mit den widersprechenden

130 Siehe oben, B.II.4.131 Grundlegend: Ehrenberg, aaO. (Fn. 6), S. 34; Hagen, aaO. (Fn. 8), S. 230;

Schellwien, aaO. (Fn. 110), S. 289; VerAfP 1903, S. 96.132 So Emmighaus, aaO. (Fn. 7), S. 27.133 Ehrenberg. aaO. (Fn. 6), S. 44.

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Ursprung und Wandlung der Bestandsübertragung 455

Nichtmitgliedern durchführen können, entweder durch getrennte Verwal-tung des Vermögens der abtretenden Gesellschaft oder durch Sicherheits-leistung. 134

Auch die Nichtmitglieder mußten die übernehmende Gesellschaft alsoakzeptieren, zumindest als Liquidatorin. Etwas anderes ergab sich nurdann, wenn ihnen ein Vertragsauflösungsrecht wegen Unsicherheit ihresbisherigen Versicherers zustand.

II. Das Kündigungsrecht wegen Unsicherheit des Versicherers

Zum größten Rechtsproblem im Zusammenhang mit der Abtretung desPortefeuilles entwickelte sich die Frage nach dem Kündigungsrecht wegenUnsicherheit des Versicherers.

1. Die Kündigung zum Zweck des Wechsels zu Konkurrenzunternehmen

Zu Vertragsauflösungsrechten der Versicherten im Falle der Übertragungbegann eine intensive Auseinandersetzung. Dabei ging es nicht allein umdie Frage, ob einzelne Kündigungsrechte der Versicherten einer Bestands

-übertragung entgegenstanden und ihre Durchführung in rechtlicher Hin-sicht vereitelten. Es waren vor allem die Agenten der Konkurrenzunterneh-men, die eine Schlüsselrolle spielten. Sie gefährdeten die praktische Durch-führbarkeit jeder Transaktion, sofern dadurch den betroffenen Versicher-ten ein Rücktrittsrecht zustand. Den Agenten bot sich in diesem Fallnämlich die Gelegenheit, die Versicherten mit guten Risiken abzuwerben,etwa mit dem Hinweis, sie brauchten sich nicht an ein bestimmtes Unter-nehmen verkaufen zu lassen, könnten zurücktreten und beim Konkurrenz-unternehmen unterkommen. Tatsächlich soll im Fall der Übertragung einmißliebiges Auseinanderlaufen der Versicherten zu Konkurrenzunterneh-men wiederholt vorgekommen sein. 135 Die Bestandsübertragung durftedaher kein außerordentliches Kündigungsrecht begründen, das alle Versi-cherten hätten wahrnehmen können, um zu Konkurrenzunternehmen zuwechseln.

2. Die neue gesetzliche Ausgangslage

Wegen der mit der Übertragung verbundenen Vermögensentäußerungkam aber ein Vertragsauflösungsrecht der Versicherungsnehmer durchaus

134 Ehrenberg, aaO. (Fn. 6), S. 45.135 Vgl. Ehrenzweig, Zur neuen Rechtsordnung der Bestandsübertragung, Die

Öffentlichrechtliche Versicherung 1931, S. 138 ff. (138 Fn. 3); Pollak, Das Versiche-rungsaufsichtsgesetz, Wien 1979, § 13 VAG Anm. 6.

30 Zeitschr. f. d. ges. Versicherungsw. 3

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456 Robert Weber

in Betracht — und zwar wegen Unsicherwerdens des (regelmäßig sanie-rungsbedürftigen) Versicherungsunternehmens. Damit stellte sich dieschwierige Frage, ob die neu geschaffene Auslegungsregel zur Erfüllungs-übernahme (§§ 415 Abs. 3, 329 BGB) 136 und das seit 1902 existierendeErfordernis einer aufsichtsbehördlichen Genehmigung nach § 14 VAG dieseUnsicherheit gleichsam kompensierten. Mit der Genehmigung des Auf-sichtsamtes sei sichergestellt, daß ein leistungsfähiger Versicherer hinzutre-te. Da dieser nach § 329 BGB verpflichtet sei, die Ansprüche nicht überge-tretener Versicherter zu erfüllen, biete die Übertragung an sich keinenVertragsauflösungsgrund wegen Unsicherheit. 137 Ob der aufsichtsrechtli-chen Bestimmung des § 14 VAG tatsächlich ein so weitgehender rechtlicherEinfluß zu entnehmen war, blieb lange und lebhaft umstritten. 138

3. Die Stellungnahme des Reichsgerichts

Die heftig umstrittene Lion-Yorkshire-Entscheidung des Reichsgerichtsvom 28.1.1905 139 wies keinen Weg zu einer klaren Rechtslage. Das lag nichtetwa daran, daß es sich um eine Fusion englischer Gesellschaften („Lion”und „Yorkshire") handelte, die deutsche Vorschrift des § 14 VAG alsounanwendbar war. Wenn es damit auch an der öffentlich-rechtlichenGewähr für die Solidität des aufnehmenden Versicherers („Yorkshire")fehlte, zweifelte das Reichsgericht nämlich nicht etwa an der Zahlungsfä-higkeit dieser kapitalkräftigen Gesellschaft.

Infolge der Vermögensübertragung der einen Aktiengesellschaft auf dieandere im Wege der Fusion wurde ein „Rücktrittsrecht wegen veränderterUmstände" 140 bejaht. Gemeint war ein Recht des Versicherungsnehmers zurfristlosen Kündigung des Versicherungsvertrages aus wichtigem Grund. Inder Praxis wurde es häufig als Rücktrittsrecht bezeichnet. 141

136 Die Regelung des § 415 Abs. 3 BGB setzte sich durch gegenüber dem Vor-schlag, eine Schuldübernahme als nicht eingetreten anzusehen, sofern der Gläubigereinen Rechtserwerb gegen den Schuldübernehmer zurückweise, vgl. Jakobs / Schu-bert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Recht der Schuldverhältnisse I,Berlin, New York 1978, S. 845 f.

137 Ehrenberg, aaO. (Fn. 6), S. 35 und 43 f.; Hagen, aaO. (Fn. 8), S. 234 ff.; VerAfP1905, S. 73.

138 Ablehnend: Fuld, aaO. (Fn. 69), S. 8 f.; Bruck, aaO. (Fn. 3), S. 125 Fn. 39.139 RGZ 60, S. 56 ff.140 RGZ 60, S. 56/58.141 Bannier, aaO. (Fn. 61), S. 33.

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Ursprung und Wandlung der Bestandsübertragung 457

a) Die Unbeachtlichkeit der Garantieerklärungdes aufnehmenden Versicherers

Das Reichsgericht prüfte bei der Beurteilung der finanziellen Lage desübertragenden Versicherers, ob die Garantieerklärung des aufnehmendenVersicherers der Annahme eines Unsicherwerdens entgegenstehe. Schließ-lich war diese Garantieerklärung nunmehr das allein wesentliche Aktivumder den Bestand übertragenden Gesellschaft. Dieser gegenüber garantierteder neu hinzukommende kapitalkräftige Versicherer, für die Verpflichtun-gen aus den Versicherungsverträgen einzustehen. Da infolgedessen in mate-rieller Hinsicht der Schuldner gewechselt habe, so das Reichsgericht, 142

könne die Garantie nicht berücksichtigt werden. Denn kein Gläubiger seigehalten, einen neuen, wenn auch zahlungskräftigen Schuldner zu akzep-tieren. 143

Mit dieser Argumentation vermied man eine rein formale Sichtweise, wasden Schuldnerwechsel anbelangte. Der Rückgriff auf den Grundsatz, daßzur Schuldübernahme das Zutun der Gegenseite erforderlich ist, konntehierbei aber nicht ohne eine eher formale Rechtsanwendung geschehen: Dieinnere Rechtfertigung dieses Grundsatzes ergibt sich aus einer ökonomi-schen Erwägung. Dem Gläubiger sollen nicht gegen seinen Willen —möglicherweise zahlungsunfähige — Schuldner zugewiesen werden kön-nen. 144 Hier aber handelte es sich offensichtlich um einen besonders zah-lungskräftigen Übernehmer der Schuld.

b) Der Eingriff in das vertragliche Vertrauensverhältnisals Rücktrittsgrund

Den eigentlichen Grund für die Annahme eines Kündigungsrechts suchtedas Gericht in der Eigenart des Versicherungsvertrages. Es verwies auf engerechtliche Bindungen eines Versicherungsnehmers zu seiner Versicherungs-gesellschaft. Der Sache nach sollte nicht etwa ein besonderer versiche-rungsrechtlicher Kündigungsgrund geschaffen werden. Ausgangspunktblieb insoweit die Unsicherheit des Versicherers als geläufiger Kündigungs-grund. 145

142 RGZ 60, S. 56/64.143 RGZ 60, S. 56/62; vgl. auch v. Gierke, Deutsches Privatrecht Dritter Band,

Schuldrecht, München, Leipzig 1917, § 181 S. 220; Dernburg, Lehrbuch des preußi-schen Privatrechts und der Privatrechtsnormen des Reichs, Band 1, 4. Auflage Halle/Saale 1884, § 65, S. 156.

144 Gürgens, Die Singularsukzession in die Schuld, Jherings Jahrbuch Band 8,1902, S. 231; Pieper, aaO. (Fn. 41), S. 192.

145 RGZ 60. S. 56/64.

30*

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458 Robert Weber

Wesentlich für die Zubilligung eines Rücktrittsrechts war der Umstand,daß den Versicherten nicht nur ein neuer Schuldner, sondern auch ein neuerVertragspartner zugewiesen werden sollte. Beim Vertragsabschluß schenkeder Versicherungsnehmer einer ganz bestimmten Gesellschaft sein Vertrau-en. Es sei selbstverständliche Voraussetzung eines wirksamen Versiche-rungsvertrages, daß die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen gera-de dieser Gesellschaft erhalten bleiben. Mit der Vermögensübertragunggehe aber die wirtschaftliche Grundlage des Versicherungsvertrages verlo-ren. Die Gesellschaft sei nur noch formelle Schuldnerin der Versicherten,während eine hinter ihr stehende Gesellschaft für die Verpflichtungeneinstehe. 146 Die Versicherten an derartig veränderte Umstände festzuhal-ten, verstoße gegen Treu und Glauben. 147

4. Die Problematik des Begriffs Unsicherheit

Mit dem Begriff der Unsicherheit als außerordentlichem Kündigungs-grund existierten ausfüllungsbedürftige und naturgemäß wenig präziseVorgaben in rechtlicher Hinsicht. Wenn sogar bei Übertragungen wie demLion-Yorkshire Fall die Unsicherheit bejaht wurde, dann lief das letzlichauf eine fragwürdige Regel hinaus: Die Bestandsübertragung selbst liefertestets den Rücktrittsgrund der Unsicherheit, gleichgültig ob die den Bestanderwerbende Gesellschaft kapitalkräftig war und eine Garantieerklärunggegenüber der übertragenden Gesellschaft abgab.

Für den Bereich der Seeversicherung war in Art. 903 ADHGB (nach dem1.1.1900 in § 898 HGB) gesetzlich normiert, daß ein Rücktrittsrecht wegenUnsicherheit ausgeschlossen sei, wenn zur Erfüllung der Verpflichtungendes Versicherers genügende Sicherheit bestellt werde. 148

Die Kritik im Schrifttum gegen die Sichtweise des Reichsgerichts richtetesich denn auch gegen das formale Abstellen auf den Schuldnerwechsel.Stattdessen sei nur der tatsächliche Fortfall des haftenden Vermögens einFall des Unsicherwerdens des Versicherers. 149

Garantierte jedoch ein kapitalkräftiger Erwerber des Bestandes gegen-über dem Veräußerer die Erfüllbarkeit der Verträge, dann war in der Tatnicht einzusehen, warum hierin dennoch ein Unsicherwerden als außeror-

146 RGZ 60, S. 56/64.147 RGZ 60, S. 56/59 f. und 64.148 Vgl. dazu Gareis /Fuchsbergen, aaO. (Fn. 23), Art. 903 ADHGB Anm. 257;

gegen eine Ausdehnung dieses gesetzlichen Rücktrittsrechts auf andere Versiche-rungszweige für die Zeit nach Inkrafttreten des VAG, vgl. Müller-Erzbach, aaO.(Fn. 34), S. 774 f.

149 Manes/Hagen, aaO. (Fn. 58), § 14 VAG Anm. 4; in dieser Richtung auch dieVorinstanz OLG Colmar, 26.6.1903, VerAfP 1904, S. 29 mit Hinweisen zur französi-schen Praxis, vgl. oben, B.II.3.

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Ursprung und Wandlung der Bestandsübertragung 459

dentlicher Rücktrittsgrund gesehen werden sollte. Schließlich erwuchsendem Versicherungsnehmer als Gläubiger der Versicherungsleistungen ausder Übertragung keinerlei zusätzliche Risiken, was die Realisierung seinerForderungen anbelangte. Insoweit wurde der Grundsatz, wonach sich nie-mand einen anderen Schuldner aufdrängen zu lassen braucht, vom Reichs-gericht durchaus überstrapaziert. 150

III. Der Zusammenbruch der „FAVAG" im Jahr 1929

Die große Rechtsunsicherheit, die mit der Bestandsübertragung verbun-den war, zeigte sich anschaulich an der Teilbestandsübertragung derFrankfurter Allgemeinen Versicherungs-AG ("FAVAG"). 151

1. Die Teilbestandsübertragung auf die Allianz und Stuttgarter Verein

Im Laufe des Jahres 1929 geriet die Gesellschaft in Zahlungsschwierig-keiten. Sie war auf die Dauer nicht mehr in der Lage, ihren Verbindlichkei-ten nachzukommen. Mit ihrem bisher größten Konkurrenzunternehmen,der Aktiengesellschaft „Allianz und Stuttgarter Verein", schloß die FAVAGam 20.8.1929 einen Übernahmevertrag. Danach waren der größte Teil ihresBestandes (Sach- und Kreditversicherungszweige) auf die „Allianz undStuttgarter Verein" zu übertragen — letztere leitete ihrerseits den erworbe-nen Bestand auf eine dafür neu gegründete Konzerntochter „Neue Frank-furter Allgemeine Versicherungsaktiengesellschaft" über. Am 28.8.1929genehmigte das Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung diesen Über

-nahmevertrag nach § 14 VAG. 152

2. Der Vorteil der Teilbestandsübertragunggegenüber einem Vorgehen nach §§ 303 ff. HGB

Schon weil es sich nur um eine Teilbestandsübertragung handelte, be-stand die FAVAG als Rechtspersönlichkeit einstweilen fort. Sie hatte dieAufgabe, die bei ihr noch bestehenden Verpflichtungen abzuwickeln. Denndie verlustreichsten Versicherungszweige wurden nicht mitübertragen.Auch die Verbindlichkeiten aus Absatzfinanzierungen und sonstigen Fi-nanzgarantien verblieben bei der Gesellschaft. Bei diesen Geschäftssparten

150 So die Urteilskritik von Behrend, aaO. (Fn. 50), S. 324 ff.151 Vgl. dazu den Bericht des Aufsichtsamtes in VerAfP 1930, S. 85 ff.; Leister,

Die Stellung der Versicherungsnehmer bei Fusionen und Bestandsübertragung vonVersicherungs-A.-G. — Der besondere Fall der Frankfurter Allgemeinen Versiche-rungs-A.-G., Barby/Elbe 1930, S. 26 ff.; Banntier, aaO. (Fn. 61), S. 25.

152 Vgl. VerAfP 1930, S. 85 ff.

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460 Robert Weber

war anfangs kein zuverlässiger Überblick über das Ausmaß der durch sieentstandenen Verpflichtungen zu gewinnen. Besonders dem Aufsichtsamtwar aber daran gelegen, diesen Unsicherheitsfaktor zunächst auszuklam-mern und in der Öffentlichkeit eine rasche und lautlose Übernahme derzahlreichen Versicherungsverträge zu erreichen. Schließlich waren hieretwa 1 Million Versicherte betroffen. 153 Eine vollständige Übertragung desVermögens bzw. der Verpflichtungen der alten FAVAG im Rahmen eineraktienrechtlichen Fusion i.S.d. §§ 303 ff. HGB hätte die Übernahmever-handlungen in die Länge gezogen und erschwert. Demgegenüber bot sichdie Bestandsübertragung als vereinfachte Alternative an.

3. Das Zustimmungserfordernis der Versicherten zum Gläubigerwechsel

Die Versicherten der alten FAVAG waren keineswegs gehalten, denGläubigerwechsel zur neuen FAVAG ohne Zustimmung zu akzeptieren. DasZustimmungserfordernis bezüglich des Gläubigerwechsels war nicht durchmitgliedschaftliche Bindungen der Versicherten eingeschränkt, 154 da es sichbei der FAVAG nicht um einen VVaG, sondern um eine Aktiengesellschafthandelte. Auch eine das Zustimmungserfordernis ausschließende Gesamt-nachfolge, wie zum Beispiel im Rahmen einer Fusion zweier Aktiengesell-schaften nach § 306 HGB 155, fand nicht statt, da es sich hier lediglich umeine Teilbestandsübertragung handelte.

Bei dieser „reinen" Bestandsübertragung kam also § 415 BGB zum Tra-

gen; insoweit war die Rechtslage eindeutig. Insbesondere galt dies unbeein-

flußt von der aufsichtsbehördlichen Genehmigung, die nicht etwa als pri-

vatrechtsgestaltender Verwaltungsakt anzusehen war; sie hatte nur öffent-lich-rechtliche, aufsichtspolizeiliche Bedeutung. 156

4. Das unklare Rücktrittsrecht der Versichertengegenüber der alten FAVAG

So eindeutig im FAVAG-Fall eine Bindung an den neuen Versichererverneint werden konnte, so unklar war die Rechtslage bezüglich einesRücktrittsrechts der Versicherungsnehmer gegenüber ihrem bisherigen Ver-sicherer. Die Lion-Yorkshire-Entscheidung des Reichsgerichts sprach eherdafür, das Schrifttum argumentierte gegen ein Rücktrittsrecht und verwiesauf die Sicherheit durch die aufsichtsbehördliche Genehmigung oder beriefsich auf Treu und Glauben. 157

153 VerAfP 1930, S. 85 f.154 Vgl. oben, B.II.4.155 Vgl. oben, A.III.1. und A.IV.3.156 RGZ 72, S. 15/19; Motive zum VAG, aaO. (Fn. 16), S. 187.

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5. Die Prozefiflut im Gefolge der Bestandsübertragung

Zahlreiche Versicherungsnehmer, die die Allianz und Stuttgarter Vereinnicht als neuen Gläubiger akzeptierten, suchten ein Vertragsauflösungs-recht gegenüber der alten FAVAG gerichtlich durchzusetzen. Es erging einegroße Anzahl von Urteilen, die ein solches Recht teils bejahten und teilsverneinten. Wegen des geringen Streitwertes der einzelnen Fälle kam es zukeiner Entscheidung des Reichsgerichts. 158

Dieses Nachspiel offenbarte die mit der Rücktrittsfrage verbundene großeRechtsunsicherheit, wodurch die eigentliche Krisenbewältigung im FA-VAG-Fall allerdings nicht behindert wurde. In der Regel bedeutete jedochjede Bestandsübertragung auch eine gewisse Gefahr für die Gesamtheit derbetroffenen Versicherten in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Beeinträchtigungder wirtschaftlichen Einheit eines Versicherungsbestandes durch massen-haften Rücktritt vieler Versicherter schien geradezu bedrohlich — jeden-falls für diejenigen Versicherten, denen zum Übertragungszeitpunkt uner-ledigte Schadensersatzansprüche gegen die sanierungsbedürftige Gesell-schaft zustanden. 159 Im FAVAG-Fall waren immerhin etwa 20.000 Versi-cherte in dieser Weise betroffen.' 6° Die Bestandsübertragung erwies sichhier insgesamt als flexibles Sanierungsmittel, das im Hinblick auf denErhalt von Versicherungsverträgen gleich welcher Art besonders geeignetwar. 161

IV. Die wesentliche Neuregelung des § 14 VAG im Jahr 1931

Die Vorfälle im Zusammenhang mit der FAVAG drängten nun auch denGesetzgeber dazu, entgegenstehende Einzelrechte der Versicherungsnehmerbei einer Bestandsübertragung auszuschließen.

1. Der Übergang der Verträge durch einheitlichen Akt

Mit der Novelle vom 30.3.1931 wurde § 14 VAG ergänzt. 162 Der neue § 14Abs. 1 S. 3 VAG lautete:

157 Kisch, Einfluß der Bestandsübertragung auf den Versicherungsvertrag, JRPV1929, S. 341 ff.; Petersen, Die Wirkungen eines Zahlungsverbotes nach dem Versi-cherungsaufsichtsgesetz, ZVersWiss 1930, S. 11 ff. (16 ff.); siehe außerdem oben,C.II.2.

158 Bannier, aa0. (Fn. 61), S. 25; Petersen, Die Änderung der deutschen Versiche-rungs-Staatsaufsicht, ZVersWiss 1931, S. 1 ff. (11).

159 Petersen, aaO. (Fn. 158), S. 11.160 VerAfP 1930, S. 85161 Zur ihrer Bedeutung hinsichtlich der Verkürzung von Liquidationsverfahren

siehe oben, B.II.1.162 Vgl. dazu Schenk, aaO. (Fn. 36), S. 20 f.

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462 Robert Weber

Die Rechte und Pflichten der übertragenden Versicherungsunterneh-mung aus den Versicherungsverträgen gehen mit der Bestandsübertra-gung auf die übernehmende Versicherungsunternehmung über.

Bei diesem Zusatz handelte es sich der Struktur nach um eine Regelungähnlich § 571 BGB, der den Übergang der gesamten Parteistellung (miet-vertragliche Rechtsstellung) als Folge eines anderen Rechtsgeschäfts(Grundstücksveräußerung) anordnet. Nach diesem Vorbild verband § 14Abs. 1 S. 3 VAG mit der Bestandsübertragung einen Parteiwechsel bezüg-lich der Versicherungsverträge. 163

2. Der Fortfall des Zustimmungserfordernissesseitens der Versicherungsnehmer

Daß Bestandsübertragungen fortan ohne jede Zustimmung der Versicher-ten möglich sein sollten, stellte die Gesetzesänderung nicht ausdrücklichklar. Gleichwohl war mit der Vorschrift nun nach nahezu einhelligerAuffassung eine derartige Bedeutung verbunden. 164 Der Gesetzgeber habeden Sanierungszweck, der mit Bestandsübertragungen in der Vergangen-heit verfolgt wurde, im Auge gehabt. Da es gerade als Sanierungsmittel füralle Beteiligten wirtschaftlich vorteilhaft war, sei das Institut der Bestands

-übertragung in seinen Wirkungen verstärkt worden. 165 Diese Bezugnahmeauf den äußeren Anlaß der üblichen Bestandsübertragungen konnte abernicht als innerer Grund für einen Ausschluß des § 415 BGB gelten. Bereitszu damaliger Zeit wurde oft darauf hingewiesen, daß die Bestandsübertra-gung keineswegs allein im Fall der wirtschaftlichen Notlage einer Gesell-schaft praktiziert werden dürfe. Sie könne auch aus rein versicherungstech-nischen und organisatorischen Gründen erfolgen, z. B. zum Zweck derMinderung von Unkosten oder zur Verstärkung der Leistungsfähigkeit. 166

Damit konnte, abgesehen von der Umwandlung eines VVaG in eine Aktien-gesellschaft, nur der Fall gemeint sein, daß der Versicherer den Geschäfts-betrieb eines Versicherungszweiges einstellte, so daß der Bestand mit demAuslaufen der einzelnen Versicherungsverträge immer kleiner wurde. Zueinem Zeitpunkt, zu dem dieser Bestand für eine Versicherung noch eineausgleichsfähige Größe hatte, bot sich dann die Bestandsübertragung an,

163 Vgl. Nowak, Die Übertragung des Versicherungsbestandes auf eine neu ge-gründete Aktiengesellschaft — Sachübernahme oder Nachgründung? —, FestschriftPrölss, München 1967, S. 251 ff. (259 f.).

164 Bannier, aa0. (Fn. 61), S. 25 f.; Scharping, aaO. (Fn. 3), S. 88 f., m. w. N. inFn. 305.

165 Kisch, aaO. (Fn. 17), S. 286 f.166 So ausdrücklich: Schenk, aaO. (Fn. 36), S. 26.

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um zu vermeiden, daß der alte Versicherer die eingegangenen Verpflichtun-gen zum Schaden der Versicherten schließlich nicht mehr erfüllen konn-te. 167

Ging es also bei ausnahmslos jeder Bestandsübertragung stets um denSchutz der Gesamtheit der Versicherten, dann gibt es keine Anhaltspunktedafür, daß mit der Gesetzesänderung die zivilrechtliche Position der Versi-cherungsnehmer insgesamt geschwächt werden sollte.

167 Vgl. v. Puskäs, Die privatrechtsgestaltende Wirkung von § 14 VAG, VersR1980. S. 205 ff. (206).