us-amerikanische außenpolitik im iran-konflikt · grundzüge der iran-politik von seiten der usa...
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BachelorarbeitzudemThema
US-amerikanischeAußenpolitikimIran-KonfliktEineRekonstruktionregierungsamtlicherDeutungsmusterundDispositivezwischen1999und2012
vonAndreasWeiß
zurErlangungdesakademischenGradesBachelorofArts(B.A.)
imStudiengangSozialwissenschaften
anderUniversitätAugsburg
Philosophisch-SozialwissenschaftlicheFakultät
LehrstuhlfürPolitikwissenschaftmitSchwerpunktFriedens-undKonfliktforschung
Erstgutachter:Dr.UlrichRoosZweitgutachter:Dr.AndreasBock
Augsburg,den26.6.2012
I
AbstractDas iranische Atomprogramm beschäftigt seit mehreren Jahrzehnten Akteure in der
Weltpolitik. In dieser von Unsicherheit und Wahrnehmungsdifferenzen geprägten
ProblemstellungzeigtsichdeutlichdieanhaltendeRelevanzvonNuklearsprengköpfen
als strategisches Instrument auf der Weltbühne. Mit einer sozialkonstruktivistischen
PerspektiveentstandindieserArbeiteineDiskursanalyse,inwelcherdieSichtweiseder
Vereinigten Staaten auf den Atomkonflikt mit dem Iran für die zurückliegenden
dreizehn Jahre rekonstruiert wurde. Dabei wurden mit Anwendung der Grounded
Theory die zentralen Deutungsmuster der amerikanischen Regierung interpretativ
erschlossen,indemoffizielleundöffentlicheSprechakteeinemmethodischgesicherten,
rekonstruktionslogischen Deutungsprozess unterzogen wurden. Auch die
ObjektivierungendesDiskurseswarenGegenstandderBetrachtung.
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Inhaltsverzeichnis
1Einleitung........................................................................................................................................11.1DieCausaIraninderWeltpolitik....................................................................................................................11.2FragestellungundErkenntnisinteresse.......................................................................................................2
2Forschungsstand..........................................................................................................................42.1GrundzügeUS-amerikanischerAußenpolitikimIran-Konflikt.........................................................42.2DasiranischeAtomprogrammalsweltpolitischeProblemstellung..............................................102.3ZwischenfazitzumForschungsstand..........................................................................................................15
3TheorieundMethode..............................................................................................................163.1DieWissenssoziologischeDiskursanalyse................................................................................................163.1.1DersozialkonstruktivistischeAnalyserahmen.....................................................................................183.1.2DeutungsmusterundDispositive...............................................................................................................21
3.2GroundedTheoryalsrekonstruktionslogischeMethode...................................................................223.2.1DieTriadederanalytischenOperation...................................................................................................243.2.2VomUmgangmitGütekriterien.................................................................................................................28
3.3ZwischenfazitzumtheoretischenundmethodischenRahmen.......................................................31
4Analyse.........................................................................................................................................324.1ErläuterungdesForschungsdesigns............................................................................................................324.2US-amerikanischeDeutungsmusterzwischenKontinuitätundWandel...................................364.2.1SicherheitserosionenaufregionalerundglobalerEbene...............................................................374.2.2InternationaleKooperationinderKonfliktbearbeitung................................................................434.2.3Strategie-undHandlungsmuster..............................................................................................................474.2.4DasiranischeRegimeunddieRollederZivilbevölkerung..............................................................53
4.3Dispositivstrukturen..........................................................................................................................................58
5Fazit...............................................................................................................................................655.1ZusammenfassungundBeantwortungderFragestellung.................................................................655.2ReflektionundSchlusswort.............................................................................................................................67
Quellenverzeichnis......................................................................................................................69I.Literatur.......................................................................................................................................................................69II.Datenmaterial..........................................................................................................................................................74
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“Everyman,womanandchildlivesunderanuclearswordofDamocles,hangingbytheslenderestofthreads,
capableofbeingcutatanymomentbyaccident,ormiscalculation,orbymadness.Theweaponsofwarmustbeabolishedbeforetheyabolishus.”
JohnF.Kennedy1961
“Ifmendefinesituationsasreal,theyarerealintheirconsequences.”Thomas,W.I/Thomas,D.S.1928
1.1DieCausaIraninderWeltpolitik„Let there be no doubt: America is determined to prevent Iran from getting a nuclear
weapon,andIwilltakenooptionsoffthetabletoachievethatgoal.“ (Obama2012a).Es
sindAussagenwiediese,welchezueinerdeutlichproblembehaftetenEinschätzungder
weltpolitischenLageumdas iranischeAtomprogramm führen. Zusätzlich verleitet die
internationale Tagespresse mit intensiver Thematisierung des Konflikts zu dem
EindrucksteigenderWahrscheinlichkeiteneinermilitärischenEskalation.
Dabei stehen die iranischen Anlagen zur Energiegewinnung durch Atomkraft im
Zentrum der Diskussion. Teheran war nicht in der Lage, die durch den
Atomwaffensperrvertrag auferlegte Berichterstattung in einem für die internationale
Gemeinschaft befriedigendem Maß zu erfüllen. Hierbei entstand großes Misstrauen
gegenüber dem ohnehin schon kritisch betrachtetem Regime, welches den Verdacht
einerverdecktenEntwicklungvonNuklearsprengköpfenweckte.Seitensderiranischen
Führungwirddies abgestritten, jedochbesteht für dieKritiker desProgrammswenig
ZweifelandenVorwürfen.DieExistenzvonmöglichenMotivendesIran,einnukleares
Arsenal zu generieren, verschafft diesen Annahmen weitere Fahrt. Eine potentielle
Bewaffnung des Iranmit Nuklearwaffen führt zu einer Bedrohungswahrnehmung auf
globalerEbene,welchesichschließlichfürvieleStaateninHandlungsbedarfübersetzt.
SoistnichtnurdieEntschlossenheitderVereinigtenStaatenausdemobenangeführten
Zitat zu entnehmen, auch Europa zielt aktuell mit einem Ölembargo auf den
Atomdiskurs ab. Die Elemente der Ungewissheit über die nukleartechnische
AusrichtungdesIransowiedererheblichenperspektivischenDifferenzenzwischenden
Parteien prägen diesenKonflikt auf eine einzigartigeArt undWeise. DenUSA kommt
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hierbei einewichtige Position zu.Deren Perspektive auf denKonflikt soll Gegenstand
dieserArbeitsein.
1.2FragestellungundErkenntnisinteresseDie latente Sicherheitsbedrohung der Vereinigten Staaten sowie deren Verbündeter
durchpotentielle iranischeAtomwaffen liefertdieGrundlage füreinenDiskursseitens
amerikanischer regierungsamtlicher Entscheidungsträger. Die Überzeugungen derUS-
Regierung, die in Form von Sprechakten der außenpolitischen Amtsinhaber an die
Öffentlichkeit treten, zeigen zunächst ein offensichtliches diskursives Leitmotiv in
Gestalt der Solidarität zu Israel. Der Staat ist durch die geographische Nähe und
anhaltende Rivalität mit dem Iran einer Bedrohung ausgesetzt, sollte Teheran
entsprechende Technologien besitzen. In Bezug auf die Entwicklung iranischer
Atomtechnologie beziehen die USA historisch konsistent eine solidarische Stellung zu
Israel und begründen unter anderem damit bilaterale Maßnahmen wie z.B.
wirtschaftlicheSanktionengegendasiranischeWirtschafts-undFinanzsystem.
Trotz oder gerade wegen dieses offensichtlichen Leitmotivs bleibt jedoch die Frage
unbeantwortet, welche Deutungsmuster bzw. Überzeugungen darüber hinaus diesen
Spezialdiskursmaßgeblich bestimmen, und inwiefern sich dieKonstellation dieser im
Lauf der Zeit verändert hat. Es besteht also die Annahme der Existenz von
handlungsleitenden Überzeugungen jenseits der Solidarität zu Israel, welche die
AußenpolitikderUSAinHinsichtaufdiesenSpezialdiskursgestalten.
DieFragestellungdieserArbeitumfasstschließlichdiefolgendenElemente:
a) WelcheDeutungsmusterbzw.ÜberzeugungenlassensichimUS-amerikanischen
regierungsamtlichenDiskursüberdenKonfliktumdasiranischeAtomprogramm
rekonstruieren?
b) InwelcherFormhabensicheinzelneDeutungsmusterüberZeitverändert?
c) InwelcherFormhatsichderDiskursobjektiviert?
Im Forschungsinteresse steht somit die Frage nach der Gesamtheit signifikanter
Deutungsmuster, welche die Außenpolitik der USA bezüglich des iranischen
Atomprogrammsbestimmen, sowiederenschleichendeVeränderung imZeitraumvon
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1999bis2012.NachdemtheoretischenFundamentdieserArbeitsindDiskurse inder
Lage, Realitäten zu erzeugen und zu strukturieren. Daher soll ebenfalls untersucht
werden, in welchem Maße und Verhältnis diskursive Objektivierungen oder
Institutionalisierungenstattgefundenhaben.UnterdemBegriffdes„Dispositivs“wirdso
nachvondemDiskurserzeugtenVergegenständlichungen(z.B.Sanktionen)geforscht.1
Mit Hilfe dieser Fragestellung wird erwartet, die Deutungsmuster amerikanischer
Regierungen im benannten Zeitraum zu identifizieren. In Erweiterung dessen wird
erhofft, unter Umständen auftretende Muster bzw. Trends aufzudecken, die etwaige
PrognosenfürdenweiterenKonfliktverlaufzulassenkönnten.Somitrücktesebensoin
den Rahmen des Möglichen, Aussagen über makroperspektivische Themenkomplexe
wie etwa die Weltordnungsrolle der USA sowie deren unter Umständen auftretende
Varianz oder denUS-amerikanischenUmgangmit staatlicher Souveränität imWandel
derZeittreffenzukönnen.
DieRelevanzeinersolchenAnalyseerschließtsichdurchdiezunehmendeBrisanzdes
Konflikts. Subjektiv lässt sich in der Medienlandschaft wie auch in den
Fachpublikationen eine verstärkte Thematisierung wahrnehmen, in deren Rahmen
zunehmend dieWahrscheinlichkeit einer gewaltsamen Auseinandersetzung diskutiert
wird.Durchdenpolitischen,ökonomischenundnichtzuletztmilitärischenEinflussder
Vereinigten Staaten in einer globalisierten Weltöffentlichkeit begründet sich das
grundlegendesInteresseanderenaußenpolitischerAusrichtungimAllgemeinenundin
HinsichtaufdenhierthematisiertenKonflikt.
Im Zuge der folgenden Seiten sollen die oben postulierten Forschungsfragen einer
wissenschaftlichen Bearbeitung ausgesetzt und letztlich beantwortet werden. Um
diesemZielgerechtzuwerden,verfolgtderAufbauderArbeiteinegewisseSystematik.
Direkt anschließendmöchte ich den gegenwärtigen Stand der Forschung strukturiert
präsentieren. Der empirische Charakter der Arbeitwird darauffolgend imKapitel zur
theoretischen Einbettung und dem methodischen Vorgehen der Analyse deutlich, im
angeschlossenen Hauptteil werden dann die Ergebnisse der methodischen
Durchdringungoffengelegt.ZuletztfolgteineZusammenfassungderAnalyseergebnisse
unddieBeantwortungderFragestellung.1Vgl.hierzudasKapitelzuTheorieundMethodeindieserArbeit.
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2ForschungsstandEine wissenschaftliche Arbeit kann sich nur schwerlich von bereits existierenden
Publikationen losgelöst herausbilden. Daher ergibt es sich, dass dieser Stand der
ForschungvomVerfasserdurchdrungenundschließlichauchoffengelegtwerdenmuss.
IndiesemKapitelsolldiesemUmstandFolgegeleistetwerden.Zunächstsollendaherdie
Grundzüge der Iran-Politik von Seiten der USA über die vergangenen
Regierungsperioden dargelegt werden. Besonderer Fokus liegt dabei auf den
zurückliegendendreizehnJahren.InErweiterungdazuerscheintesalsunabdingbar,das
erweiterteweltpolitische Geschehen um den Iran-Konflikt abzubilden. Die Diskussion
der israelischen bzw. amerikanischen Position sowie der Verweis auf die Rolle des
Atomwaffensperrvertrags sollen schließlich dazu beitragen, den Gegenstand dieser
ArbeitnäherzubringenundaufInterdependenzenhinzuweisen.
2.1GrundzügeUS-amerikanischerAußenpolitikimIran-KonfliktEine Vielzahl politikwissenschaftlicher Publikationen beschäftigt sich mit der
Außenpolitik der Vereinigten Staaten. Hierbei handelt es sich vornehmlich um
umfassende Arbeiten, welche oft das gesamte Spektrum der Außenpolitik abdecken
oderauchdenIran-bzw.Nahost-KonfliktalsseparatesPolitikfeldinsZentrumrücken.
Diese beschränken sich zeitlich meist auf eine, selten mehrere US-amerikanische
Regierungsperioden.DieAnalysen lassen sich aufgrund ihres häufigenBezugs auf das
AmtdesPräsidentenalshöchstenaußenpolitischenSprecherentlangderenAmtszeiten
kategorisieren. Im Zuge des Erkenntnisinteresses dieser Arbeit soll im Folgenden ein
Abriss des Forschungsstandes hinsichtlich der außenpolitischen Ausrichtung der USA
wiedergegeben werden. Dabei wird den Iran-Politiken der durch den gesetzten
Zeitrahmen berührten Regierungen Clinton, Bush und Obama besondere
Aufmerksamkeitentgegengebracht.
Es besteht dennoch die Überzeugung des Verfassers, dass sich eine tiefer gehende
Hinführung für das weitere Verständnis sinnvoll gestaltet. Konfliktlinien zwischen
Washington und Teheran existieren seit dem Entstehen des Iran im Zuge der
Islamischen Revolution, welche 1979 die konstitutionelle Monarchie beendete
(Steinbach2007:4).DurchdenpolitischenUmschwungkameszurAblösungeines im
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Kern dem Westen gegenüber positiv gestimmten Regimes durch eine stark von der
islamischenKulturdurchdrungeneProtestbewegungundschließlichauchderRepublik,
welche die wiederentdeckten Werte gegen die westliche Dominanz zu verteidigen
wusste(Steinbach2007:10;Akbari2004:II).
Im November des Revolutionsjahres 1979 kam es zu einer Geiselnahme in der
amerikanischen Botschaft in Teheran, durch welche diese religiös-ideologischen
Standpunkte gegenüber dem Westen und dessen Einfluss deutlich wurden (Akbari
2004: II). Im weiteren geschichtlichen Verlauf bestimmten weitere, nahezu
unüberwindbar erscheinende Differenzen die Beziehung. Beispiele hierfür bietet die
amerikanische Unterstützung des Irak im Ersten Golfkrieg (Shirley 2004: 75), die
kontinuierlicheSolidaritätderVereinigtenStaatengegenüberdemErzfeindIsrael(Krell
2004: I) und das iranische Atomprogramm (Kibaroglu 2006: 209). Wurde 1957 der
ShahnochmaßgeblichdurchdieUSAbeiderEtablierungnuklearerEnergiegewinnung
unterstützt, so wurde die Wiederbelebung des Atomprogramms doch mit enormen
Misstrauenbeobachtet(Ehsani/Toensing2004:12).DiesesMisstrauenmündeteineine
starkdurchSanktionenbestimmtePolitikseitAnbeginnder90erJahre(Pollack/Takeyh
2005: 28). Die bilateralen Beziehungenwaren damit von Beginn der Republik anmit
Hindernissen versehen. Bis heute existieren keine durch Botschaften
institutionalisiertendiplomatischenVerbindungenzwischendenUSAunddemIran.2
„Seit dem Abbruch diplomatischer Beziehungen vor nunmehr drei Dekaden stellt das strategischzentraleLanddaseinzigeinderfürUS-Interessenals«vital»erachtetenRegiondessog.MiddleEastdar,welchesaußerhalbdesdirektenEinflussesWashingtonsagiert.Aufgrunddessenhattemanaufdie Schwächung des Landes gesetzt, um so den postrevolutionären Iran zumindest in seineSchrankenzuweisen.“(Fathollah-Nejad2009:1).
„DualContainment“:dieClinton-AdministrationDie Iranpolitik unter Bill Clinton, dessen Amtszeit sich von 1993 bis 2001 erstreckte,
zielteaufeinegesteuerteökonomischeSchwächungundIsolierungdesIransowiedem
2Auch wenn keine amerikanische Botschaft im Sinne eines mit amerikanischem Personal besetztenGebäudes in Teheran existiert, so werden auf verschiedenen Ebenen doch Dienstleistungen füramerikanische Staatsbürger oder Iraner mit Reiseziel USA geleistet. Hierfür existiert eine „virtualembassy“ imInternet,welcheaberaufgrundder iranischenInternetzensurnurteilweisezugänglich ist.VitalediplomatischeTätigkeitenwerdendaherüberdieBotschaftderSchweizgeleitet(Katzmann2012:77).
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Irak, namentlich der „Dual Containment Policy“. Shirley sieht in einem derartigen
Vorgehen–ungeachtetdersichanbahnendenBedeutungdes Iraks fürdieVereinigten
Staaten – in erster Linie den Iran und dessen Involvierung im internationalen
Terrorismusanvisiert.
„The DCP [Dual Containment Policy, A.W.], more accurately described as the Iran ContainmentPolicy, calls for collective economic action against the Islamic Republic of Iran. It represents adetermined effort to embargo Iran into ever-worsening poverty unless it alters its destabilizing,oftenterrorist,foreignpolicies.“(Shirley1994:75f)
Der Iran wurde gemeinsammit weiteren Staaten der Region als unberechenbar und
gefährlich eingestuft sowie auf die Liste „besorgniserregender Staaten“ gesetzt. Inder
US-Wahrnehmungwurdedies legitimiertdurchdiekontinuierlicheUnterstützungvon
Terroristen durch die iranische Regierung sowie auch zunehmenden Bedenken
gegenüberdennuklearenAmbitionenTeherans(Hacke2000:Kap.II).Bereitsindiesem
ZeitraumfokussiertdieNichtverbreitungspolitikWashingtonsdiedreiStaaten,welche
späterdie„AchsedesBösen“konstituierensollen:InNordkorea,IrakundIranwurden
dieentsprechendenAtomprogrammemitSorgebeobachtetund imFalleTeheransmit
verschiedenen Mitteln einzudämmen versucht: Mit einer „Technologie-Blockade“
(Müller/Schaper2003:39f)engagiertesichClinton,dienukleartechnischeKooperation
zwischenRusslandbzw.ChinaunddemIranweitestgehendeinzustellen (Haass1997:
120).DiePolitikderdoppeltenEindämmungzeigtelangfristigwenigErfolg,wieHacke
anhandExpertenmeinungendeutlichmacht:
„DazuwirddiePolitikderdoppeltenEindämmungvonFachleutenwieZbigniewBrzezinski,BrentScowcroftundRichardMurphyals ‚ineffective,strategicallyunviable,andcarryingahighfinancialand diplomatic cost’ bezeichnet. Zusätzlich wurde der Iran nicht isoliert, sondern WashingtonsStrategiehatIransAnnäherunganMoskaubegünstigt.“(Hacke2000:Kap.II)
Letztendlich wurden die angestrebten Ziele einer Schwächung und Isolation auf dem
verfolgtenWegnichterreicht.
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„AxisofEvil“:dieBush-DoktrinMitdemAmtsantrittvonGeorgeW.BushunterliefdiegenerelleAußenpolitikderUSA
grundlegendenVeränderungen,welchemaßgeblichdenAnschlägenvom11.September
2001zugeschriebenwerden(Rudolf2005:5).
DendiplomatischenUmgangmitderiranischenNukleartechniküberließBushzueinem
Großteil Frankreich, Großbritannien und Deutschland, die sich in langwierigen
Verhandlungen3demGegenstandannahmen(Frum2008:34).VonamerikanischerSeite
kameszurFortführungderSanktionspolitikvorangegangenerAdministrationensowie
demanhaltendenBestreben, zentraleTechnologien fürdienukleareEntwicklungvom
Iranfernzuhalten(Müller/Schaper2003:59).
DerIranwurdeimZugeder„StateoftheUnion-Address“vomPräsidentenalsMitglied
der „Achse des Bösen“ in einer Reihe mit dem Irak und Nordkorea eingestuft (Bush
2002).ZumdamaligenZeitpunktstandendieUSAiminternationalenKontextmitdieser
Kategorisierung weitestgehend allein (Hirsh 2002: 19; Müller/Schaper 2003: 59f).
HirshsiehthierinbereitsdieVorbereitungeinespräventivenMilitärschlages:
„ThepresidenthasusedtheBushdoctrinetoisolateIraq,Iran,andNorthKoreaasan"axisofevil"-even though almost no one else around the world views them quite that way - and to declareAmerica'srighttopreemptivelyattackanywhere.‚Myjobisn'ttonuance,’Bushoncesaidbywayofexplaininghisbluntunilateralism.‚MyjobistosaywhatIthink.Ithinkmoralclarityisimportant.’“(Hirsch2002:19).
Mit aller Deutlichkeit wird hierbei die sogenannte Bush-Doktrin ausgebreitet, nach
welcherderWeltdieEntscheidungaufgebahrtwurde,klarPositionzubeziehenfüroder
gegenTerrorismus (Hirsh2002:18f).Mit dieserDoktrinübernahmendieVereinigten
Staaten präventives Handeln als Option für die Wahrung ihrer nationalen Sicherheit
(Feinstein/Slaughter2004:141).Hierbeiwirdimmerwiederbetont,dass-wennauch
nurkurzzeitig-dieOptioneinesnuklearen,zumindestjedochmilitärischenErstschlages
gegenAnlagenimIrandiskutiertwurde.DamitwirddieMotivationverbunden,weitere
Proliferation anTerroristen zu verhindern (Desch2007: 108;Gordon2006: 85). Eine
militärische Entladung des Konflikts war zu diesem Punkt von US-Seite bereits
3Unter dem Etikett der Diplomatie sollte hierbei nicht notwendigerweise ein entgegenkommendesVerhaltenEuropasverstandenwerden.Sauer(2007:613f)weistdaraufhin,dassdieGesprächezwischenderEU-3(Großbritannien,FrankreichundDeutschland)unddemIranerstmaligeinenZwangscharakteraufökonomischerEbeneannahmen.
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antizipiert worden, was verschiedene vorbeugende und auch abschreckende
Erweiterungen der exekutiven Infrastruktur in der Region annehmen lassen (Schreer
2005: 15f). Leffler (2004: 23) sieht in einem zu hohen Risiko den Grund für einen
letztendlichenVerzichtaufeinenderartigenPräventivschlag.4
Abseits konkreter militärischer Aktionen sieht Tarock zu dieser Zeit unter den
Entscheidungsträgern der USA die Absicht vorherrschend, durch derartige politische
SignaleeinenRegimewechselherbeizuführen:
“Although the policy of regime change, albeit by another name, has been pursued by previousUSadministrations,ithasneverbeengiventhehighprioritythatitnowenjoys.Washingtonhasinthepast three years beenusing Iran's nuclear energyProgrammeas a pretext for achieving its long-cherishedobjective:toreplacethepresentregimewitha'Washingtonfriendly'one.Tothatend,Iranhasbeenputunderpressureontwofronts:keepingthemilitaryoptiononthetable,andlaunchinganti-Iranpropagandaworld-wide,particularlyintheUSA.”(Tarock2006:662)
Auch Akbari erkennt diesen Punkt und verweist auf den dabei intendierten
innenpolitischenDruckunddieDifferenzierungvonRegimeundVolk:
„Die Regimewechselstrategie ist gegenwärtig ein wichtiger Bestandteil der Iranpolitik der Bush-Administration.Dabei unterscheidet sie zwischender iranischenBevölkerungundder islamischenFührung.SiefordertdieZivilbevölkerungauf,dasRegimezustürzen.“(Akbari2006:26)
DiezweiteAmtszeitbrachteeinenKurswechselmitsich:DieeuropäischenBemühungen
um eine diplomatische Lösung des Iran-Konfliktes wurden nicht länger kritisiert,
sondernweitestgehendunterstützt(Gordon2006:82).Ungeachteteinernunstärkeren
Betonung der Diplomatie im Atomkonflikt befand man sich weiterhin auf
KonfrontationskursmitdemRegime(Kubbig2008:18).DievonBushinstallierte„harte
Linie“ brachte schließlich in keinem der Konfliktpunkte sichtbare Fortschritte
(Rudolf/Lohmann2010:8).
4DieAnalyse vonRogers (2006) zeigt deutlich, dass einemilitärische Intervention ausgehend vondenUSAoder Israel zudiesemZeitpunktweitreichendeund langwierigeKonsequenzengetragenhätte,undschließlich eine Beilegung des Konfliktes auf diesem Weg auch langfristig unwahrscheinlich gewesenwäre.
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NeueundalteHerangehensweisenunterObamaDieEindämmungnuklearerProliferationunddieBeziehungzumIransindwiebereits
während der Bush-Administration Punkte auf der außenpolitischen Agenda der
Regierung Obama, die zentrale Positionen einnehmen (Lal 2008: 16). Der Iran wird
zwarweiterhinalsexistenzielleBedrohungwahrgenommen,imKontrastzudenBush-
JahrenwirdallerdingszunächstmehrWertaufDialoggelegt:Obamasprachsichbereits
während desWahlkampfs 2008 für einen direkteren Austausch zwischen den beiden
Staatenaus(Hlatky/Fortman2008:177).
Während in der Vergangenheit die diplomatische Auseinandersetzung an Europa
ausgelagertwurde,habendieVereinigtenStaatennunmehrerneutdieFührung inden
Verhandlungenübernommen. Es kam inder Folge zu einer „Politikderausgestreckten
Hand“ gegenüber dem Iran,mitwelcher eine Konfliktbeilegung durch Verhandlungen
angestrebtwurde(Rudolf/Lohmann2010:9).DennochwurdeindenfolgendenJahren
weiterhin intensiv mit Sanktionen versucht, eine nuklearpolitische Umkehr zu
erzwingen, ohne dabei diemilitärischeOption auszuschließen (Fathollah-Nejad 2009:
3).DerEindruckeinererstneuenaberlangfristigwenigverändertenIran-Politikdrängt
sichsofürDeschauf:
„Therhetoricofthecurrentandpreviousadministrations’counterterrorismpoliciesisverydifferent,and thesedifferences in languageandpackagingdomatterat some level. (...)But onmanyotherpolicy issues,particularly those related to theconductof theglobalwaron terror, therehasbeenstrikingcontinuity.(...)Whiletheirstancesaredifferentinnuance,(...)bothinpracticehavefocusedthebulkof the counter-proliferation efforts onundemocratic, anti-American regimes suchas IranandNorthKoreaand largely ignoredpro-Americananddemocraticnuclearpowers likePakistan,IndiaandIsrael.“Desch(2010:425f)
Es wird so von einer „engagement“-Politik im Sinne einer offenen Haltung zu Beginn
ObamasAmtszeitgesprochen,welchesichallerdingsab2010anzueinerausderBush-
Administrationbekannten„pressure“-Politikwandelte(Katzmann2012:59f).
WährendeinegewaltsameLösungdesKonfliktsvonSeitenderUSAgegenwärtig–auch
in Kontrast zur vorangegangenen Regierungsperiode – als wenig wahrscheinlich
betrachtet wird, bleiben politische Zwangsmaßnahmen das zentrale strategische
InstrumentWashingtons(Rudolf/Lohmann2010:24).
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2.2DasiranischeAtomprogrammalsweltpolitischeProblemstellungIm Folgenden soll darauf eingegangen werden, warum die Anlagen zur nuklearen
Energiegewinnung im Iran auf internationaler Ebene für einen intensiven Konflikt
sorgen und der Iran dadurch zu einem „Sicherheitsproblem des Westens“ wurde
(Sajjadpur2005:22).BeieinerNäherungandiesesProblemgiltes,mehrereFacettenzu
betrachtenundsichsomitvonderoftvereinfachtenmedialenDarstellungzuentfernen.
Um dies zu erreichen sollen folgend die iranischen Ambitionen hinsichtlich des
Atomsektors im Spannungsfeld mit dem Atomwaffensperrvertrag erörtert werden.
Anschließendwird schlaglichtartig die bedeutsame Rolle Israels bzw. der Vereinigten
Staatendiskutiert.
SpannungsfeldAtomwaffensperrvertragDerAtomwaffensperrvertrag5stellt ein zentrales InstrumentderglobalenRegulierung
von Nukleartechnik, zivil wie militärisch, dar. Mit Ausnahme von Indien, Israel,
NordkoreaundPakistanwurdeervonallenStaatenratifiziert.
DabeistütztsichderNichtverbreitungsvertragmaßgeblichaufdreiKernaspekte,welche
auchals„Säulen“bezeichnetwerden:nukleareNichtverbreitungindenArtikelnI-III,die
AbrüstungbestehendenArsenalsinArtikelVIsowieinternationaleKooperationbeider
zivilenKernenergiegewinnungdurchArtikelIV(Thränert2004:5;NPTArt.I-IV,VI).Mit
diesem Regelwerk war die Absicht verbunden, die Proliferation von Atomwaffen zu
stoppen ohne die Entwicklung von zivilen Anwendungen der Technologie zu
unterbinden.6Der NVV unterschied von Beginn an zwischen den „Haves“ und „Have
Not’s“, d.h. zwischenAtomwaffenstaatenundNichtatomwaffenstaaten.DieVereinigten
Staaten, Russland, Frankreich, Großbritannien und China haben den Status von
Nuklearwaffenstaaten inne, da sie im Vorfeld des Nichtverbreitungsvertrags bereits
5 „Non-Proliferation Treaty“ (NPT) im Englischen übersetzt sich das Vertragswerk sowohl als„Nichtverbreitungsvertrag“ (NVV) sowie als „Atomwaffensperrvertrag“ ins Deutsche. Aus stilistischenGründenwerdenimFolgendendieseBegriffeundAbkürzungensynonymverwendet.6DieweltpolitischeSituationder1970er Jahre,welchedurchdenKaltenKriegunddieNachwehenderKubakriseinihremTonbestimmtwurde,führtevornehmlichindenUSAzuBedenken,dasseineweitereAusbreitungderTechnologiezuSicherheitsbedrohungen führt (Müller2005:3,Nye1985:123)Hierbeisteht das „statistische Argument“ im Vordergrund, welches nahezu eine Kausalität zwischen einerZunahme der Zahl an Atommächten und der destabilisierenden Wirkung auf die globale Sicherheitpostuliert(Bull1975:177f).DieneorealistischePerspektivenachWaltzsiehtjedochineinemAusbreitendernuklearenKapazitäteneinenstabilisierendenFaktor(Waltz1981).
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über die entsprechende Technologie verfügten. Das Prinzip der ersten Säule, der
Nichtverbreitung, verbietet den Transfer von Atomwaffentechnologie von den
NuklearwaffenstaatenzudenübrigenVertragsparteien. ImGegenzugverpflichtensich
die Atommächte mittels der zweiten Säule, die bereits existierenden Sprengköpfe
abzurüsten und sichern den „Have Not’s“ das Recht auf die Entwicklung ziviler
Atomprogramme zu. Letztere unterstehen allerdings der Überwachung durch die
autonomagierendeInternationaleAtomenergie-Organisation(IAEO).
DerIrantrat1970demAtomwaffensperrvertragbei.MitdiesemSchrittwurdebewusst
auf die Entwicklung von Kernwaffen verzichtet um das Recht zu erwerben, zivile
Kernenergie zu nutzen (Thränert 2005: 10).Mit internationaler Kooperation aus den
USA, Europa, Russland und Chinawurden im Iran Anlagen für die Energiegewinnung
errichtet.DasProgrammwurdeimZugederIslamischenRevolutionvon1979gestoppt,
Mitteder80erJahrevonderneuenRegierungwiederbelebt(Thränert2003:7).Inden
kommendenJahrenverfolgteTeheraninAntizipationschwindenderÖlreservenweiter
das Ziel nuklearer Unabhängigkeit, was auch die Beherrschung des Brennstoff-
kreislaufeseinschließt.(Kile2005:2-4).
DasiranischeAtomprogrammgerietjedochspätestens2002verstärktindieöffentliche
Diskussion, als der IAEO nicht gemeldete Anlagen gefunden wurden (Kile 2005: 4).
Durch Nachforschungen stellten sich weitere Unstimmigkeiten heraus, die auf eine
mangelhafte Kooperation des Irans mit der Atomenergiebehörde schließen lassen:
Experimentelle Labors wurden in den Berichten an die IAEO nicht erwähnt, die
Dokumentation von Uran-Importen war lückenhaft und Inspektoren hatten keinen
uneingeschränktenZugangzuiranischenAnlagen(Thränert2005:11).
InderFolgewurdedie internationaleKritikander iranischenHaltunggegenüberden
bestehendenReglementierungen desNVV laut. Der Vorwurf gegenüber dem Iran, das
zivile Atomprogramm zur Entwicklungmilitärischer Technologie zu nutzen,wird von
diesem vehement bestritten – jedoch unternimmt Teheran auch nichts, um sich zu
entlasten(Thränert2010b:16).Anlagenwerdensomituneinsichtigeralszuvor,unddie
alszivilklassifizierteForschungwirdkontinuierlichbetrieben(Thränert2010b:16).Die
ForderungendesWestensandenIran,vonderErschließungdesBrennstoffkreislaufes
Abstand zunehmen,werdenmitVerweis aufdasdurchdenNVVverbriefteRecht auf
zivilesNutzenvonKerntechnologiezurückgewiesen.VonSeitenderVereinigtenStaaten
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beruftman sich aufArtikel II desNVV,nachwelchemdie geheimgehaltenenAnlagen
bereits eine Vertragsverletzung darstellen würden und somit das Recht verwirkt sei
(Kibaroglu 2006: 209f). Der Atomwaffensperrvertrag bildet hierbei sowohl für die
Gegner als auch die Befürworter des iranischenAtomprogrammsdie völkerrechtliche
Argumentationsbasis.7
DieRolleIsraelsimKonfliktmitdemIranVerbunden mit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 und dem Entstehen der
Islamischen Republik Iran konstatiert die Forschung eine massive Veränderung der
Iranisch-Israelischen Beziehung. Zu Zeiten des Shah bestand eine partnerschaftliche
HaltungderbeidenStaaten,diemitderaltenRegierungjedochabgelegtwurde(Howard
2004:50;Beck/Shabafrouz2007:3).DiezentralenAkteurehinterderRevolutionsahen
inderbisherigfreundschaftlichenBeziehungeinFehlverhalten,welchessichschließlich
zueineranti-IsraelischenundantisemitischenGrundpositiondesIransverfestigteund
eine feindliche Gesinnung etablierte (Howard 2004: 47f). In der Folge wird von
iranischer Seite Israel das Existenzrecht abgesprochen und das Land nicht als
rechtmäßiganerkannt(Beck/Shabafrouz2007:1;Howard2004:48).
Der Grund für eine derartige Verfeindung wird darin gesehen, dass für den Iran die
israelischeExistenzeinesowohlmilitärische8alsauchideologischeBedrohungdarstellt
(Shirley1994:88;Takeyh2003:22).InderFolgewirddemIranimregionalenKontext
eine Oppositionsrolle zugeschrieben, welche sich in Form einer Verteidigung der
arabischen Welt gegen den Israelisch-amerikanischen Einfluss kenntlich macht
(Beck/Shabafrouz 2007: 3).Mitwiederholten anti-israelischenÄußerungen und einer
deutlichenAblehnungdespalästinensisch-israelischenFriedensprozessesunterstreicht
die außenpolitische Ausrichtung des Irans diese Haltung (Shirley 1994: 76; Takeyh
2003:27).
7DesWeiteren siehtThränert (2010a:105)den iranischenAtomkonflikt alsBewährungsprobe fürdenAtomwaffensperrvertrag, da dieser – sollte der Iran Nuklearsprengköpfe herstellen können –mit demEntsteheneinerweiteren,inoffiziellenAtommachtseineLegitimationverlierenwürde.Bock(2009)gehthierbeinocheinenSchrittweiterundsiehtindenVerfehlungenderNuklearwaffenstaaten,ihrArsenalzureduzieren sowie in der Toleranz gegenüber vier inoffizieller Atommächte (Israel, Indien, Pakistan,Nordkorea) bereits den Grundgedanken des NVV derartig verletzt, dass dieser keine Gültigkeit mehrbesäße.SomitbestündeauchfürdenIrandastheoretischeRechtaufnukleareAmbitionenjeglicherArt.8Die militärische Stärke Israels beruht letztendlich nicht nur auf konventioneller militärischer Stärke,sonderninderRolleIsraelsals„heimliche“Atommacht(Shirley1994:77;Beck/Shabafrouz2007:5).
2Forschungsstand
13
Die israelische Position konstituiert sich durch eine ähnliche Wahrnehmung von
Bedrohung. Terroristische Aktivitäten im Einzugsgebiet Israels konnten auf iranische
Beteiligung bzw. Finanzierung zurückgeführt werden, was letztlich die
Konfliktbereitschaftdes Irans für Israelbestätigt(Takeyh2003:22;Howard2004:43,
Schiff2006:23).Hinzutritt,dassdienuklearenAmbitionendesIransalseinederartig
existenzielleundrealeGefahrgesehenwerden,dassbereitseineZweitschlagskapazität
eingerichtet wurde (Schiff 2006: 31). Mit einer Zuspitzung des Konfliktes um das
iranischeAtomprogrammtretenzunehmendauchpräventiveMaßnahmenseitensIsrael
indieDiskussion. JedochbestehenhierbeigroßeHürden inHinsichtaufdie folgenden
Konsequenzen (Müller 2010: 9). Hierbei entsteht ein Sicherheitsdilemma, denn die
israelische Diskussion um defensive oder gar präventive Maßnahmen resultieren
letztlichineinergrößerenBedrohungswahrnehmungimIran(Bock2012:3).9
DieSchlüsselpositionderVereinigtenStaatenTraditionell sind die Vereinigten Staaten ein enger Verbündeter Israels, was nicht
zuletztaufähnlicheInteressenimNahenOstenzurückgeführtwird(Howard2004:19).
DerschwelendeKonfliktzwischendemIranundIsraelwirddemnachmaßgeblichauch
von der amerikanischenHaltung beeinflusst. Die amerikanische Solidarität gegenüber
demStaatIsraellässtsichdurchden
„(...) sicherheitspolitischenNutzenfürbeideSeitenerklären;diePartnerschaftruhtauchaufeinersehrgünstigenRepräsentationderisraelischenInteressenimpolitischenSystemderUSA.(...)Israelkanndurchgehendauf hohe Sympathiewerte in denUSA rechnen, und zwarnicht nur,weil es dieerste Demokratie im Nahen Osten ist, sondern vor allem auchwegen des Holocaust. UnabhängigdavonspiegelnsichinderisraelischenVorgeschichteundinderzionistischenProgrammatikeinigezentraleAspektedesamerikanischenSelbstverständnisses.“(Krell2004:I).
Nach Migdalovitz besteht auch in historischer Hinsicht zwischen Israel und den
Vereinigten Staaten eine enge Freundschaft, die seit der Staatsgründung auf
demokratischen,kulturellenundreligiösenWertensowieSicherheitsinteressenbasiert
(Migdalovitz2008:23f).
9 Die Motive, welche den Iran dazu veranlassen könnten, tatsächlich ein Atomwaffenprogrammeinzuleiten, umfassen auch die Bedrohung, welche der Staat von Israel oder den USA ausgehendwahrnimmt(Bock2012:3).
2Forschungsstand
14
Doch auch abseits der Tatsache, dass die USA einen konstanten und solidarischen
Bündnispartner für Israel bilden und sich somit allein dadurch dem Iran gegenüber
antagonistischpositionieren, istWashingtoneinebedeutendeRollezuzuschreiben.Die
iranischeRegierungwirdseitderIslamischenRevolutionvonUS-Seitenichtalslegitim
anerkannt, was sich in der bis heute nicht institutionalisierten Diplomatie deutlich
macht (Katzmann 2012: 57). Verbunden mit einschlägiger Rhetorik von der
Bezeichnung als „Schurkenstaat“ (Albright 1999c) und als Teil der „Achse des Bösen“
(Bush2002)führtdiesfürBockzueinerstarkenBedeutungsbeimessungimIran:
„Iran fürchtet bis heute, die USA konnten versuchen, einen Systemwechsel herbeizuführen. DieWahrnehmungvonIntentionenmussdabeimitdentatsächlichenIntentionennichtsgemeinhaben–das hat die Kuba-Krise bewiesen. Ob die USA also wirklich auf einen Systemwechsel in Teheranhingearbeitethaben(oderesvielleichtsogarnochimmertun), istdarumnichtwichtig.Wichtigistlediglich,dassdiePolitikderUSAgegenüberIrandiesenEindruckerweckthat(undesnochimmertut).“(Bock2012:6).
Teheran vermutet in den US-Interessen demnach die Absicht des Regimewechsels
(Akbari2006:24f).DieseWahrnehmunglässtdenIrannachMittelnundWegensuchen,
dem entgegenzuwirken. Hierbei findet sich mit Nordkorea ein geeignetes Vorbild:
PjöngjangerhieltmitderAtombombeauchdenerhofftenSchutzvorUS-Eingriffen,nach
welcherderIrangegenwärtigstrebt(Bock2012:6).
Akbari(2004)siehtdieIran-PolitikderUSAseitdem11.September2001vornehmlich
auf Druckmittel beschränkt. Im Kanon der internationalen Abstrafung des
Atomprogramms sind es gerade die amerikanischen Sanktionen, welche mit hoher
Bandbreite agieren und die iranische Wirtschaft besonders schwächen (Vgl. Kubbig
2007:15).DochauchaufmilitärischerEbenelässtsichausiranischerPerspektiveDruck
aus den USA wahrnehmen. Die amerikanischen Aktivitäten im Irak-Krieg 2003
hinterließeneindichtesNetzvonUS-MilitärbasenrundumdenIran(Akbari2006:25f).
Grund hierfür liefern nach Rudolf/Lohmann die US-Interessen in der Region: Eine
gesicherte Energieversorgung, Israels Unversehrtheit sowie „dieEindämmungdervom
islamischenFundamentalismusausgehendenGefahren“(Rudolf/Lohmann2010:5).
HierbeistellendieUSAdurchihrePräsenzinKuwait,Katar,BahreinundSaudi-Arabien
eine Regionalmacht dar. Nach Schreer besitzen diese Basen auch eine
Abschreckungsfunktion gegenüber dem Iran (Schreer 2005: 15f). Die potentiell
2Forschungsstand
15
vorhandene Schlagkraft verstärkt die Bedrohung, welche das iranische Regime
wahrnimmt.
2.3ZwischenfazitzumForschungsstandDie Essenz des dargelegten Forschungsstandes zur US-amerikanischen Iran-Politik
offenbart Tendenzen und Muster. Es besteht mit dem Regimewechsel von 1979 ein
klarer Bruch, der auf eine Nichtakzeptanz der gegenwärtigen iranischen Führung
zurückzuführen ist und welcher sich auch im Umgang mit iranischer Nukleartechnik
widerspiegelt. Anfänglich gefördert wird das Atomprogramm nun konsequent
sanktioniert.DieformaleDiplomatiekannalsnichtexistentbezeichnetwerden,dadas
Regime keine Anerkennung von US-amerikanischer Seite erfährt. In der Folge wird
unterClintonwieauchunterBusheinedrastische,aufZwangausgelegteundstrafende
Politik verfolgt, welche sich immer wieder durch Verbindungen zum Terrorismus
rechtfertigt und als Leitmotiv die Hoffnung auf einen Regimewechsel im Iran
wahrnehmen lässt. Dabei bildet eine beinahe stattgefundene militärische Eskalation
unter Bush den vorläufigen Höhepunkt der Auseinandersetzung. Ein Wiederaufleben
desDialogskonnteinderLiteratursowohlinderauslaufendenBush-Regierungalsauch
verstärkt unter Obama identifiziert werden, welcher jedoch weiterhin von
ökonomischenStrafmaßnahmenbegleitetwird.
ImkonkretenKonfliktspieltderAtomwaffensperrvertrageinetragendeRolle,dadessen
Reglementierungen die Konfliktlinien bewirken. Die USA und Israel stellen dabei die
zentraleOppositiondesIrandar.
3TheorieundMethode
16
3TheorieundMethodeDas Grundgerüst jeglicher Forschung setzt sich zusammen aus den theoretischen
Vorannahmen und der Wahl einer auf den Forschungsgegenstand zugeschnittenen
Methode. Im Falle dieser Arbeit bilden jedoch die Theorie und die Methode bzw.
Methodologie zu einem gewissen Grade Überschneidungen, sodass eine gemeinsame
Ausführung dieser beiden Elemente schlüssig wirkt. Die eingangs vorgestellte
FragestellungdieserArbeitspiegeltdentheoretischensowiemethodologischenRahmen
der in diesemRahmenbetriebenen Forschungwieder; insofern erscheint es auchmit
Hinblick auf deren Nachvollziehbarkeit gerechtfertigt, extensiv darzulegen was die
Grundannahmen und Werkzeuge des Verfassers konstituierten ehe die konkreten
Arbeitsschritte erläutert werden. Im Folgenden werden unter dem Etikett der
Wissenssoziologischen Diskursanalyse einige Grundlagen dieser Außenpolitikanalyse
dargelegt. Anschließend möchte ich auf die von mir in diesem Kontext verwendete
Grounded Theory und deren Konzepte eingehen. Letztlich möchte ich auch die
DiskussionumdieGütekriterienqualitativerSozialforschung thematisierenunddamit
denAnspruchdieserArbeitkenntlichmachen.
3.1DieWissenssoziologischeDiskursanalyseIm Verlauf der vergangenen Jahrzehnte wendete sich die politikwissenschaftliche
ForschunginsbesondereinderDisziplinderInternationalenBeziehungenvermehrtvon
den Theorieannahmen des Realismus und Neorealismus hin zu konstruktivistischen
Problemstellungen (Dunn/Mauer 2006: 1). Die Grundannahme einer sozial
konstruierten Umwelt ersetzt somit immer häufiger das Axiom der systemischen
„Fremdsteuerung“ (Dunn/Mauer 2006: 1). Diesem konstruktivistischen Trend folgend
existiert zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Vielzahl an Diskursanalysen im Feld der
InternationalenBeziehungen:
„Die wachsende Konjunktur diskursanalytischer Analysen in der Sicherheitspolitik ist erstens zuerklären durch dieweitverbreitete Unzufriedenheit über den Erklärungsgehalt gängiger Theoriender internationalenBeziehungenundzweitensalsZeichenderZeit zuverstehen, inderzahlreicheDisziplinendiekulturalistischeWendezumParadigmadeshomosociologicusvollzogenhaben.Diesspiegelt ein Grundbedürfnis der politikwissenschaftlichen Forschung wider: Zum einen soll dasHandeln des einzelnen Individuums aufgrund dessen sozialerWesensart verstandenwerden; zumanderen geht es darum, aus dem Handeln Rückschlüsse auf politische Prozesse zu ziehen. Dabei
3TheorieundMethode
17
gewährt die Diskursanalyse dem Forschenden großen Spielraum, soweit es um spezifischeForschungsfragenundTheorieperspektivengeht.“(Dunn/Mauer2006:25).
AuchdievorliegendeArbeithatsichdemInstrumentariumderDiskursanalysebedient.
Genauer steht hierbei das Forschungskonzept der „Wissenssoziologischen
Diskursanalyse“ (WDA) von Reiner Keller als zentraler Ausgangspunkt jeglicher
Erkundungen (Keller 2007, 2011). Hierbei stützt sich dieWDA auf zwei theoretische
Fundamente: dem theoretischenVerständnis vonDiskurs nachMichel Foucault sowie
derWissenstheorievonPeterBergerundThomasLuckmann.Aufbauendaufdiese im
Sozialkonstruktivismus zu verortenden theoretischen Konzepte geht es der WDA
schließlichdarum,
“(..),ProzessedersozialenKonstruktion,Objektivation,KommunikationundLegitimationvonSinn-,d.h. Deutungs- und Handlungsstrukturen auf der Ebene von Institutionen, Organisationen bzw.sozialen (kollektiven) Akteuren zu rekonstruieren und die gesellschaftliche Wirkungen dieserProzessezuanalysieren.“(Keller2011:59).
DieMotivationfürdieInstallationeinerWissenssoziologischenDiskursanalysebesteht
fürKellerinderMöglichkeit,dieDiskursforschunganbestehendequalitativeMethoden
anzuschließen (Keller 2011: 60). Hierbei richtet Keller auch Empfehlungen an die
Anwender der WDA hinsichtlich der Methodenwahl und deren Adaption an den
Forschungsgegenstand.
AusdieserForschungskonzeptionergibtsichdemnachzumeinen
- der sozialkonstruktivistische Rahmen der Analyse, vertreten durch Foucaults
Diskursverständnis und der Wissenstheorie nach Berger/Luckmann, zum
anderen
- dierekonstruktionslogischeAnalysemethodederGroundedTheorynachAnselm
Strauss.
Im Folgenden soll nun zunächst auf die Diskurstheorie Foucaults und demWerk von
Berger/Luckmann eingegangen werden, um schließlich den Keller’schen Gedanken
weiter zu konkretisieren und auch im Lichte der hier verwendeten Fragestellung zu
betrachten.
3TheorieundMethode
18
3.1.1DersozialkonstruktivistischeAnalyserahmenDer französische Philosoph Michel Foucault entwickelte seinen Diskursbegriff über
mehrere seinerWerke hinweg. Seine Konzeption umfasst alles andere als eine klare,
eindeutigeDefinitionvonDiskursundauchkonkreteEmpfehlungenzummethodischen
Arbeitensuchtmanvergebens.DennochbildenseineIdeeneinewichtigeGrundlagein
Hinsicht auf die Formulierung einer Diskurstheorie im Kontext der
WissenssoziologischenDiskursanalyse.
Foucault bemühte sich um den Begriff des Diskurses, um schließlich das diskursive
Entstehen von „Wissen“ zu analysieren (Keller 2007: 2). „Wissen“ beinhaltet für
Foucault die „Menge von einer diskursiven Praxis regelmäßig gebildeten und für die
Konstitution einer Wissenschaft unerläßlichen Elementen“ (Foucault 1988: 259). In
seinem Werk „Die Archäologie des Wissens“ von 1988 kam schließlich sein
Diskursbegriff prominent zu tragen, da hier schließlich die Annahme postuliert wird,
dass sich die Inhalte des Sprachgebrauchs durch die diskursive Praxis in Wissen
übersetzen(vgl.Keller2007:2).10
„DerBegriff des ‚Diskurs’ bezeichnet – so Foucault – eineMenge von an unterschiedlichen Stellenerscheinenden,verstreutenAussagen,dienachein-unddemselbenMusteroderRegelsystemgebildetworden sind, deswegen ein- und demselben Diskurs zugerechnet werden können und ihreGegenständekonstituieren.“(Keller2011:46).
KellerbringthierdenFoucault’schenGedankenaufdenPunktindemerdenDiskursper
sealsein„Regelsystem“auffasst,welchessichaus„verstreutenAussagen“konstituiert.An
dieser Stelle lässt sich ein konkreter Bezug herstellen: DerDiskurs,welcher in dieser
Arbeit analysiert wird, setzt sich demnach ebenso zusammen aus mehr oder minder
verstreutenAussagen.DiesebildenjedocheinklaresMuster:Siewurdenzwischen1999
und 2012 von Amtsinhabern der US-amerikanischen Regierung getätigt, wurden auf
verschiedeneWeiseüberöffentlicheKanälekommuniziertundnehmenBezugaufden
10AusdiesemUmstandherausergab sichauchdieBedeutungdesBegriffs fürTheorienabweichendenVerhaltens, da durch die gesellschaftliche Konstituierung von Wissen Formationssysteme gebildetwerden,welche„richtiges“von„falschem“Verhaltenunterscheidet(Bevc2007:303).AuchdasKonzept„hegemonialerDiskurse“,d.h.Diskurse,„diepartikulareInteressenzugesellschaftlichakzeptiertenmachen“(Brand2003:145),hathierinseinenUrsprung.
3TheorieundMethode
19
Konflikt um das iranische Atomprogramm. Sie bilden somit ein- und denselben
Diskurs11,welcherzumGegenstandweitererBetrachtungenwerdenkann.
EinDiskurszeichnetsichdarüberhinausmitgewissenEigenschaftenaus,denndieihn
konstituierenden
„’Aussagen’sindnichteinfachSätze,sonderntatsächlichsichereignende‚seriöseSprechakte’,dieimDiskursermöglichtwerdenunddannauchWirkungen(Machteffekte)erzielen.“(Diaz-Bone2006:9).
Diskurse sind somit in der Lage, Realität zu erzeugen und zu strukturieren. Diese
Wirkungwird erzeugt, indem Gesagtes alsWissen im Foucault’schen Sinne etabliert
wird.
Konkret an einem Beispiel angewandt bedeutet dies, dass in der Weltpolitik eine
Sicherheitsgefährdung nicht von einer realen Bedrohung stammen muss; allein die
ThematisierungeinersolchendurcheinenmachtvollenDiskursreichtaus,umsieüber
diediskursivePraxisrealwerdenzulassen.EineAnalysedesDiskurseslässtdaherden
Einblick in die Zusammensetzung der Machtverhältnisse zu, wobei die existierenden
HerrschaftsverhältnisseaufdenDiskurs inordnender, strukturierenderWeisewirken.
Machtstrukturensindalso sowohlGrundlagealsauchProdukteinesDiskurses (Keller
2007:4).DieVerwendungdesFoucault’schenDiskursverständnisses liefertschließlich
dieLegitimationunddenSinneinerAnalysevonSprechakten imKontrastzuanderen
sozialen Handlungen. Die Rückkoppelung von Aussagen an deren konstituierende
EffekteaufdiegesellschaftlicheRealitätunterstreichtderenBedeutung.
NebenderFoucault’schenAuffassungdesDiskursbegriffsstelltdieWissenstheorienach
Peter Berger und Thomas Luckmann einen weiteren theoretischen Hintergrund der
Keller’schenDiskursanalysedar.DieAutorenschufenmitdieserWissenssoziologischen
Theorie ein zentrales Werk des Sozialkonstruktivismus. Ausgehend von der
FragestellungnachderKonstitutioneines intersubjektivgeteiltenundunhinterfragten
11Der US-regierungsamtliche Diskurs ist freilich nicht auf den vom Verfasser gesetzten Zeitrahmenbeschränkt;ersteAussagenlassensichweitfrüherfindenundgegenwärtigwerdenkontinuierlichweiteregetätigt.
3TheorieundMethode
20
Wissensbestands12entwickeln Berger und Luckmann die These einer gesellschaftlich
konstruierten Wirklichkeit (Abels 2001: 85). Hierbei steht das „Alltagswissen“ einer
jeweiligenGesellschaftimVordergrund,denn„dieses‚Wissen’ebenbildetdieBedeutungs-
und Sinnstruktur, ohne die es keinemenschliche Gesellschaft gäbe.“ (Berger/Luckmann
1966:16,zit.nachAbels2001:86).
Einfach formuliert begibt man sich hierbei auf die Suche nach dem Mechanismus,
welcher gewisse Tatsachen für jedesMitglied einer Gesellschaft zurWirklichkeit, zur
unhinterfragtenRoutinewerdenlässt.DerVerweisvonBerger/Luckmann,dassesohne
diesesWissenkeineGesellschaftgebenkönne,führtaufdenSinndieserRoutinezurück.
Im Alltag existieren eine Vielzahl von Problemstellungen, die aber zum Großteil
wiederkehrend auftretenund an einer anderen Stelle bereits gelöstwurden.MitHilfe
des „Wissens“ könnendieseProblemeohne einen erneuten Lösungsprozess bewältigt
werden,indemaufvorhandeneRoutinenzurückgegriffenwird.MüsstejedesHindernis
ohne den Bestand an Alltagswissen gelöst werden, käme es zu erheblichen
Einschränkungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. DieWirklichkeit, sowie sie
vom Einzelnen wahrgenommen wird, ist somit sozial konstruiert; d.h. es werden
RoutinenvonIndividuenentwickelt, intersubjektivausgetauschtundlegitimiert(Abels
2001:96).
Die KonzeptionvonBerger/Luckmannbildet somit einegewisseÜberschneidungmit
derbereitsdargelegtenFoucault’schenDiskurstheorie,denn:
„BeideTraditionengehenvonderAnnahmeaus,dasalles,waswirwahrnehmen,erfahren,spüren,über sozial konstruiertes, typisiertes, in unterschiedlichen Graden als legitim anerkanntes undobjektiviertesWissen(Bedeutungen,Deutungs-undHandlungsschemata)vermitteltwird.[...]UnserWeltwissen ist nicht auf ein angeborenes, kognitives Kategoriensystem rückführbar, sondern aufgesellschaftlich hergestellte symbolische Systeme oder Ordnungen, die in und durch Diskurseproduziertwerden.“(Keller2011:59).
Im Kontext dieser Arbeit führt diese theoretische Perspektive zu der Annahme, dass
auch in einem regierungsamtlichen Diskurs Wissen im Sinne von Deutungsschemata
12Berger/Luckmanndefinieren„Wirklichkeit“(„reality“)alsdieBeschaffenheitvonPhänomen,welcheunabhängig vom menschlichen Einfluss und Willen existieren. „Wissen“ („knowledge“) bezeichnet dieGewissheit, dass diese Phänomene existieren und bestimmte Eigenschaften aufweisen (Vgl. Berger /Luckmann1967:1).
3TheorieundMethode
21
bzw.Überzeugungenvorhanden ist,welches sozial konstituiertwurdeunddurcheine
diskursanalytischeRekonstruktionzugänglichist.
3.1.2DeutungsmusterundDispositiveDie WDA bietet in Anlehnung an die wissenssoziologische Tradition verschiedene
Konzepte der Analyse an. So wird etwa zwischen Deutungsmustern, Klassifikationen,
PhänomenstrukturenundnarrativenStrukturenunterschieden(Keller2007:10).Diese
„in Diskursen spezifisch prozessierte[n] Strukturierungselemente bilden [...] das
diskurstypischeInterpretationsrepertoire“(Keller2007:10).BereitsinderFragestellung
wurde reflektiert, dass Gegenstand der Rekonstruktion die Deutungsmuster der US-
amerikanischen Regierung bilden. Im Rahmen dieser Arbeit soll ein Deutungsmuster
verstandenwerdenals
„ein Ergebnis der ‚sozialen Konstruktion von Wirklichkeit’, d.h. ein historisch-interaktiventstandenes,mehroderwenigerkomplexesInterpretationsmusterfürweltlichePhänomene,indemInterpretamentemitHandlungsorientierungen,Regelnu.a.verbundenwerden.“(Keller2007:12).
AlsDeutungs-oderauch Interpretationsmustergeltenalsonachdemhierdargelegten
Verständnis die Rezeption eines weltlichen Phänomens, anhand welcher schließlich
auch Handlungen orientiert werden. Im Verlauf dieser Arbeit wird nicht zuletzt aus
stilistischen Gründen der Begriff des Deutungsmuster auch synonym zu
„Überzeugungen“verwendet,wasjedochnachAnsichtdesVerfasserskeinebegriffliche
Unschärfe darstellt: Überzeugung im Sinne einer „festen, unerschütterlichen durch
ErfahrunggewonnenenMeinungoderGlauben“ (Duden 2012) verweist auf den selben
Sachverhalt und bewegt sich semantisch gleichzeitig auch nah am Vokabular der
GroundedTheory.
In Erweiterung zu der Diskursanalyse sollen auch Dispositive, d.h. vereinfacht gesagt
Vergegenständlichungen, Objektivierungen und Materialisierungen des Diskurses
untersuchtwerden:
„EinDispositiv istder institutionelleUnterbau,dasGesamtdermateriellen,handlungspraktischen,personellen, kognitiven und normativen Infrastruktur der Produktion eines Diskurses und derUmsetzungseinerangebotenen‚Problemlösung’ineinemspezifischenPraxisfeld.Dazuzählenbspw.
3TheorieundMethode
22
die rechtliche Fixierung von Zuständigkeiten, formalisierte Vorgehensweisen, spezifische (etwasakrale)Objekte,Technologien,Sanktionsinstanzen,Ausbildungsgängeu.a.“(Keller2007:27f).
Der Dispositivbegriff geht zurück auf die Arbeiten von Foucault, welcher damit
insbesonderedieInteraktionvonDiskursenundPraktikenhervorhob(Keller2011:73).
DasÖffnenderAnalyse für diese erweiterte Perspektive auf denDiskurs schließt ein,
dass abseits von transkribierten Sprechakten auchMaterialität zumGegenstand einer
Auseinandersetzung wird. Die „Vergegenständlichungen“ (Jäger 2001, zit. nach Keller
2007: 25) des erforschten Diskurses stellen sich beispielsweise durchwirtschaftliche
oder finanzielle Sanktionen, bilaterale diplomatische Beziehungen, Gipfeltreffen oder
institutionelle Veränderungen der amerikanischen Verwaltungsstruktur mit
Diskursbezugdar.
Dabei sind Dispositive „[...]einerseitsGrundlagenundBestandteileder (Re-)Produktion
eines Diskurses, andererseits die Mittel und Wege, durch die ein Diskurs in der Welt
interveniert“ (Keller 2007: 28). Deutlich wird dies am Beispiel des politischen
InstrumentesderSanktion:DurcheineninternationalenDiskursangestoßenwirdderen
Einsatzerstdiskutiert,schließlichöffentlichinstalliertundanschließendmitBezugauf
den Diskurs begründet oder gerechtfertigt. Somit bildet dieser Vorgang aber für sich
genommenbereitswiederdieGrundlagefüreineReproduktiondesDiskurses.
FoucaultmachtinseinenArbeitenaufdenUmstandaufmerksam,dassdie„Möglichkeit
[...] relativ unabhängiger und eigendynamischer Entwicklungen vonDiskurs und Praxis“
besteht (Keller 2011: 73). Insofern fordert Keller eine getrennte Betrachtung, da ein
Zusammenhang von Diskurs und Dispositiv nur schwer mit Gewissheit rekonstruiert
werdenkann (Keller2011:73).DiesemHinweis folgendwerdenDispositive indieser
ArbeitgetrenntvonderDiskursanalysebetrachtetundineinemgesondertemAbschnitt
dargelegt.
3.2GroundedTheoryalsrekonstruktionslogischeMethodeWie bereits kurz erwähnt dient die Wissenssoziologische Diskursanalyse nach Keller
auch dem Zwecke eines Anschlusses der Diskursforschung an qualitative Methoden
(Keller2011:60). IndiesemSinneverweistKeller aufdieVerwendungderGrounded
Theory nach Anselm Strauss, um deren interpretative Vorgehensweise für die
Diskursanalyse zu nutzen (Keller 2007: 18). Im Folgenden soll demnach die Frage
3TheorieundMethode
23
beantwortet werden, auf welche Art und Weise der US-amerikanische
regierungsamtliche Diskurs hinsichtlich des Iran-Konflikts auf Deutungsmuster
untersucht wurde. Die Grounded Theory nach Anselm Strauss beschreibt ein
methodisches Vorgehen13 , welches keinen festen Regeln folgt sondern vielmehr
„allgemeine Leitlinien und Faustregeln für eine effektive Datenanalyse“ (Strauss 2004:
429)installiert:
„Methodologisch gesehen ist die Analyse qualitativer Daten nach der Grounded Theory auf dieEntwicklung einer Theorie gerichtet, ohne an spezielle Datentypen, Forschungsrichtungen, odertheoretischeInteressengebundenzusein.IndiesemSinneistdieGroundedTheorykeinespezifischeMethode oder Technik. Sie ist vielmehr als Stil zu verstehen, nach dem man Daten qualitativanalysiertundderaufeineReihevoncharakteristischenMerkmalenhinweist:Hierzugehörenu.a.das Theoretical Sampling und gewisse methodologische Leitlinien, wie etwa das kontinuierlicheVergleichenunddieAnwendungeinesKodierparadigmas,umdieEntwicklungundVerdichtungvonKonzeptensicherzustellen“(Strauss2004:434).
Diese charakteristischen Merkmale (Theoretical Sampling, Kodierparadigma,
EntwicklungvonKonzepten)bildendenRahmendereigentlichenForschungsarbeit.
Mit der Anwendung der Grounded Theory wird maßgeblich das Ziel verfolgt, neue
TheorienzueinemGegenstandzuentwickeln(Franke/Roos2010:293).Insofernsteht
derForschungkeinebestehendeHypothesevoran,diegetestetwerdensoll–vielmehr
sollen Antworten auf bislang ungeklärte und unbekannte Fragen gefunden werden.
Hierbei wird von den Anwendern dieser Methode eine offene Forschungshaltung
abverlangt, da zunächst auch unwahrscheinliche Lesarten zugelassenwerdenmüssen
(Franke/Roos2010:295).DasVorwissendesausführendenForschersbildetdabeieine
wichtige Komponente, da fundierte Hintergrundkenntnisse notwendigerweise zu
gehaltvollerenInterpretationsansätzenführen(Roos2010:84f).14
13Strauss (2004: 434) greift der Begriff der „Methode“ für die Grounded Theory aufgrund der hohenAnpassungsfähigkeit an unterschiedliche Forschungsrichtungen eigentlich zu weit. Dennoch soll imRahmen dieser Arbeit die qualitative Analysearbeit nach Strauss’ Leitlinien als „Methode“ bezeichnetwerden.14DiesstehtimKontrastzudenKonzeptionenderGroundedTheoryvonBarneyGlaser,welchersichfüreinAusblendenjeglichenVorwissenausspricht(Franke/Roos2010:295).
3TheorieundMethode
24
3.2.1DieTriadederanalytischenOperationDie interpretativeAnalyse nach diesemoben beschriebenenVorbild umfasstmehrere
systematischeArbeitsschritte:dieDatenerhebung,dasKodiereninVerbindungmitdem
Verfassen von Memos und schließlich die Hypothesengenese. In den folgenden
AbschnittenwerdendiesepraktischenHandlungenerläutert.
VomSprechaktzumDatenkorpus:TheoreticalSamplingZu Beginn des empirischen Forschungsprozess muss geklärt werden, nach welchen
Kriterien Daten erhoben werden und sich der Datenkorpus konstituiert. Das
Erkenntnisinteresse lenkt dabei typischerweise auch die Eingrenzung des
Analysematerials. Für die in dieser Arbeit thematisierte Außenpolitik der Vereinigten
Staaten ergibt es sich beispielsweise von selbst, dass Aussagen des deutschen
Außenministers nicht in den Arbeitsprozess einfließen. Erhoben wurden schließlich
Aussagen regierungsamtlicher Vertreter der USA zwischen 1999 und 2012, welche
BezugaufdenIran-Konfliktnehmen,offiziellpubliziertwurdenundalsAdressatendie
Weltöffentlichkeitansprechen.
Die Grounded Theory erlaubt das Arbeiten mit einer Vielzahl an Datenformaten, die
nicht zwangsweise textförmig sein müssen. Auch muss einer Anwendung dieses
methodischenVorgehensjenachWahlderspezifischenDatennichtnotwendigerweise
einErhebungsprozessvorausgehen:
„Während einiges an Datenmaterial vom Forscher selbst erzeugt werden muss – z.B. durchInterviews,Beobachtungsprotokolle,Videoaufzeichnungen- ,existierteinGroßteildavonschonanöffentlichenoderprivatenStellen;derkundigeWissenschaftlerkanndieseDatenbenutzen,wennersie entdeckt und sich Zugang verschaffen kann – oder einfach das Glück hat, sie aufzuspüren.“(Strauss2004:432).
IndiesemFallhattenachStraussderForscherdas„Glück“,Datenaufgespürtzuhaben:
DieVereinigtenStaatenvonAmerikaführeneineVielzahlumfangreicherundöffentlich
zugänglicherOnline-Datenbanken,sodasseineErhebungimSinnedesTranskribierens
von Reden, Interviews oder Presseerklärungen obsolet wurde. Die Gesamtheit der
textförmig vorliegenden Aussagen ist dabei jedoch durch einen enormen Umfang
charakterisiert,sodassweitereSelektionsmechanismennotwendigwurden.
3TheorieundMethode
25
AndieserStelletrittdasKonzeptdes„TheoreticalSampling“vonStraussindenProzess
ein(Strauss1991:70).NachdemeinigeDokumentemehroderwenigerwillkürlich15in
dieAnalyse eingebracht und erste zentraleKategorien konstruiertwurden erfolgt die
„Feinsteuerung der Datenauswahl“ (Roos 2010: 84). Dabei bildet das Theoretical
Sampling das Verfahren, „bei dem sich der Forscher auf einer analytischen Basis
entscheidet, welche Daten als nächstes zu erheben sind und wo er diese finden kann“
(Strauss 1991: 70). Insofernwird der Anspruch an eine statistische Repräsentativität
der Datengrundlage nicht erhoben, sondern die fortschreitende Entwicklung einer
TheoriealsKriteriumderDatenauswahlangeführt(Strauss1991:70).AufdieseWeise
konnten schrittweise, gezielt, theoriegeleitet und auf Basis des Kontextwissens Daten
fürdieAnalyseselektiertwerden(Strauss2004:46).
KodierenundMemosDas Kodieren des Datenmaterials entspricht dem fundamentalen analytischen
Forschungsprozess (Corbin/Strauss 1990: 12). Hierbeiwird zwischen drei Vorgängen
unterschieden: dem offenen Kodieren, dem axialen Kodieren und dem selektiven
Kodieren(Corbin/Strauss1990:12).
Das offene Kodieren beginnt mit dem vom Kontext losgelösten Betrachten einer
Textsequenz.16Dieserwirdein„Konzept“zugewiesen,welchesalsabstrakte,deskriptive
Kategorie oder Code verstanden werden kann (Corbin/Strauss 1990: 12). Auf diese
Weise soll der „Sinn jeder einzelnen Sequenz des Materials“ (Roos 2010: 103)
erschöpfend rekonstruiert werden. Gleichzeitig findet ein permanenter Vergleich mit
bereitskodiertenSequenzenstatt,sodassmehrereKategoriensichanschließendihrem
Zusammenhang und Ausprägungen entsprechend anordnen und erneut geschlossen
kategorisierenlassen(Corbin/Strauss1990:13).
DasaxialeKodierenfindetparallelzumoffenenKodierenstattundergänztdieses(Roos
2010:28).HierbeiwerdenweitereDimensionenderAnalysegebildet,diebestehenden
Konzepte verdichtet und imVerhältnis zueinander betrachtet (Strauss 1991: 63).Der
UnterschiedzumoffenenKodierenbestehtdarin,dassnichtausschließlichneue„Codes“15Die anfängliche Auswahl der Daten für die Analyse erfolgte weniger willkürlich als nach demZufallsprinzip;eineErläuterunghierzufindetsichimKapitel4.1zurereignisspezifischenDatenselektion.16 Sequenzen können von unterschiedlichen Umfang sein. Hierbei kann ein oder mehreresinnzusammenhängendeSätzealsSequenzbezeichnetwerden.
3TheorieundMethode
26
für die Sequenzen gesetzt werden müssen, sondern der Bezug zu den bereits
vorhandenen Kategorien hergestellt werden kann (Roos 2010: 106). Nach einer
anfänglichenPhase, inwelchernuroffenesKodierenmöglich ist, findetschließlichdas
offene und axiale Kodieren gleichzeitig statt, da die offene Haltung zwar noch neue
Konzepteentwickelt,gleichzeitigaberauchaxialderBezugmitdenbestehendenCodes
hergestelltwird(Roos2010:106).
Beim Generieren von Konzepten oder Kategorien orientiert sich der Forscher an
Hilfsfragen,welcheaufdenGegenstandzugeschnittensindunddasErkenntnisinteresse
wiederspiegeln(Strauss1991:66).IndieserkonkretenAnwendungsindHilfsfragendes
offenenundaxialenKodierensbeispielsweise:
- WelcheDeutungsmusterlassensichausdieserSequenzrekonstruieren?
- Liegt hier ein bereits kodiertesDeutungsmuster vor? Lässt sich diese Sequenz
mehralseinerKategorie/Konzeptzuweisen?
- Welchen Eindruck hinterlässt die Sequenz beim Forscher, inwiefern existieren
ZusammenhängeoderInterdependenzen?
- Treten in dieser Sequenz neue Dimensionen einer bereits existierenden
Kategorieauf(Vgl.Roos2010:102)?
Schließlichwirdselektivkodiert,indemDatengesuchtundverarbeitetwerden,dieauf
die durch offenes und axialesKodieren gebildeten SchlusselkategorienBezugnehmen
und so bereits identifizierte Faktoren spezifisch erweitert werden können
(Corbin/Strauss 1990: 12f). Eine für die Entwicklung einer gehaltvollen Theorie
vielversprechendeKategoriekannsogezieltmitSequenzenausgebautwerden.Ineinem
sich bis zumEnde der Analysewiederholenden Prozesswerden immerwiederDaten
selektiert,kodiertundanalysiert.DieAnalysederDatengiltalsabgeschlossen,wenndie
fortlaufende Einbindung neuer Daten zu keinen abweichenden Erkenntnissen mehr
führt(Corbin/Strauss1990:6f).
Zu den einzelnen Sequenzen werden zusätzlich Memos erstellt. Diese Notizen bilden
schließlich den Freiraum zum Festhalten von Auslegungen und Überlegungen sowie
demVerweisenaufZusammenhängezwischenKategorienundeinzelnenCodes:
3TheorieundMethode
27
„DaseinzelneMemodientalsOrtderKonkretisierung,PräzisierungaberauchderProtokollierungdes forschungsleitenden dreigliedrigen Forschungsprozesses von Abduktion, Induktion undDeduktion“(Roos2010:105).
Derartig getätigte Memos können sowohl im Umfang als auch in Hinsicht auf deren
Informationsgehalt stark variieren, da letztlich jeder Eindruck festgehalten werden
kann.InErweiterungzumErstellenvonMemoskommenebensoauchMeta-Memoszum
Einsatz. Der Forscher kann hierbei auf in der Vergangenheit verfasste Notizen
zurückgreifenunderneuteÜberlegungenerstellen,aufZusammenhängehinweisenund
innereGedankengängeaufzeichnen.Strauss’VorstellungdesidealenForschungsablaufs
spiegeltsichinder„TriadederanalytischenOperation“(Strauss2004:449)wieder.
Abb.1:Kodierparadigma(entnommenausStrauss2004:449)
Abb. 1 zeigt diese Abfolge von Forschungsphasen. Strauss unterscheidet hierbei
zwischenderDatenerhebung,demKodierensowiedemVerfassenvonMemosalsdrei
zentraleProzesseeinerAnwendungderGroundedTheory.Bezeichnend isthierbeidie
permanenteAbfolgederPhasen:NachderErhebungersterDatenwerdendiesekodiert
und mit Memos versehen. Der interpretative Prozess liefert schließlich den
Ausgangspunkt für das Erheben weiterer Daten oder die erneute Kodierung „alten
Materials“ aufgrund durch die Analyse angestoßener Denkprozesse (Strauss 2004:
449f).
3TheorieundMethode
28
HypothesengeneseDie Verwendung der Grounded Theory zielt schließlich daraufhin ab, eine Theorie zu
generieren. Diese sollte nach Strauss relevante und problematische Verhaltensmuster
erklärenundwird erzielt durchdie in derKodierung generierten Schlüsselkategorien
(Strauss1991:65f).ImVerlaufeinerwieobenbeschriebenen,umfassendenKodierung
entstehteineVielzahlabstrakterKonzeptebzw.Kategorien.Unterdiesenzeichnensich
bereitswährendderAnalysebesondersgehaltvolleKomplexeab,welcheinVerbindung
mit Kriterien wie Zentralität (im Sinne einer Bezugnahme auf übrige Kategorien),
Häufigkeit und theoretischen Implikationen Schlüsselkategorien entstehen lassen
(Strauss 1991: 67f). Dabei steigt mit dem Umfang der Analyse die Gewissheit, mit
welcher eine Schlüsselkategorie bestimmt werden kann. Ob im Nachgang einer
Untersuchung eine oder gar eine großeMenge an Schlüsselkategorien Eingang in die
abschließende Publikation findet, hängt von der Komplexität des Gegenstandes ab
(Franke/Roos2010:300).InVerbindungmitdenforschungsbegleitendenMemoskann
durch den Rückbezug auf eben diese Schlüsselkonzepte eine mehr oder weniger
komplexe Theorie formuliert werden. Die rekonstruktionslogische Hypothesengenese
beachtet hierbei – im Kontrast zu subsumtionslogischen Verfahren – die Anwendung
von Induktion, Deduktion und Abduktion als wissenschaftliche Schlussverfahren
gleichermaßen (Franke/Roos 2010: 294). Abduktion entspricht dem Prozess der
Entwicklung einer neuen, erklärenden Hypothese, welcher durch den hypothesen-
generierendenAnsatzderGroundedTheorysystematischvollzogenwird(Franke/Roos
2010:294):
„DerUnterschiedzwischenRekonstruktionundSubsumtionstelltsichdabeiwenigeralseineFrageder Logik dar, sondern ergibt sich stattdessen aus den verschiedenen Haltungen zumFallibilitätsprinzip. Aus pragmatistischer Sicht gelten generell sämtliche Hypothesen undÜberzeugungenalsfallibel,dasheißtsiewerdenalsstetswiderlegbargedacht.“(Franke/Roos2010:294).
3.2.2VomUmgangmitGütekriterienIm Zusammenhang mit der in einer Forschungsarbeit verwendeten Vorgehensweise
ergibtsichzwangsweisedieFragenachdemAnspruchaufderenGültigkeit.Insoferngilt
es,Kriterienzupostulieren,umeinenmöglichenVorwurfwillkürlicherVerfahrensweise
zuentkräften.InderquantitativenSozialforschungfindentraditionsgemäßdieKriterien
3TheorieundMethode
29
Reliabilität, Validität und Objektivität Anwendung (Diekmann 2007: 247f). In der
qualitativen Forschung lässt sich in Hinsicht auf Gütekriterien jedoch keine derartige
Übereinstimmung finden. InesSteinkeverweistaufdrei inderqualitativenForschung
existierende Positionen: Erstens die Übernahme der quantitativen Kriterien in die
qualitativeForschung;ZweitensdiePostulierungeigenerKriterienandenAnspruchder
Arbeit; Drittens schließlich die gänzliche Ablehnung von Gütekriterien (Steinke 2009:
319-321). Steinke fährt fort, sowohlden rigorosenVerzichtaufGütekriterienals auch
die Verwendung quantitativer Kriterien zurückzuweisen.17Diese Position wird vom
Verfasser geteilt; In der Folge ergibt sich ein Katalog von Kernkriterien, welcher
schließlich auf die jeweilige Fragestellung, Untersuchungsgegenstand und Methode
angepasstwird(Steinke2009:323).IndiesemSinnesollen
- IntersubjektiveNachvollziehbarkeit,
- EmpirischeVerankerungsowie
- Repräsentativität
alsGütekriteriendieserqualitativenForschungdienen.
Das Reliabilitätskriterium im Kontext quantitativer Sozialforschung bezeichnet die
WiederholbarkeiteinerUntersuchunguntergleichenBedingungen, sodassunabhängig
von der durchführenden Person gleiche Ergebnisse auftreten (Vgl. Roos 2010: 92).
Diesem Anspruch kann qualitative Forschung niemals gerecht werden, da zwei
Personen, die unabhängig mit den selben Werkzeugen forschen, aufgrund ihres
unterschiedlichen biographischen Hintergrunds, Kenntnis des Gegenstands und
veränderter Umwelt mit großer Wahrscheinlichkeit abweichende Ergebnisse
produzieren werden. Aus diesem Grund wird hierbei der Anspruch an eine
intersubjektive Nachvollziehbarkeit installiert (Steinke 2009: 324). Auch Keller sieht
dieseForderungalsVoraussetzungdeswissenschaftlichenVorgehens:
17SteinkeweistquantitativeKriterienzurück,da„derenGrundannahmenkaummitqualitativerForschungvereinbar sind“, denn diese können „aufgrund der vergleichsweise geringen Formalisierbarkeit undStandardisierbarkeit qualitativer Forschung nicht unmittelbar auf diese übertragen werden“. GleichwohlsprichtSteinkesichfürdieVerwendungvonKriterienaus,daeinVerzicht„dieGefahrderBeliebigkeitundWillkürqualitativerForschung“birgt(Steinke2009:321f).
3TheorieundMethode
30
„DieinDiskursenprozessiertenDeutungenderWeltlassensichnurdeutenderschließen.DamitdiesesozialwissenschaftlicheAlltagspraxis der Interpretation zu einemwissenschaftlichenUnternehmenwird, sind methodische Vorkehrungen notwendig, die den Interpretationsprozess reflektierendbegleiten–wobeikeineswegs‚endgültigeWahrheit’dieLeitideederAnalysedarstellt,sonderneherdie Vorstellung von nachvollziehbaren ‚guten Gründen’ für soziohistorisch situierteAuslegungsarbeit.“(Keller2007:9).
UmdiesesKriteriumzuerfüllenwurdeaufzweiAspektegeachtet:
- Die Dokumentation des Forschungsprozesses, welche ein Offenlegen des
Vorverständnisses,derErhebungs-undAuswertungsmethode,derverwendeten
DatenundderInformationsquellenbeinhaltetsowie
- die Anwendung kodifizierter Verfahren, in diesem Fall der Grounded Theory,
mittelswelcher Interpretationsvorgänge in Form von schriftlichenMemos und
Metamemosnachvollziehbargemachtwerden(Vgl.Steinke2009:324-326).
DieKodierschemata imAnhangstellen inVerbindungmitdemKapitelzuTheorieund
Methode dieserArbeit die zentralenMittel einer intersubjektivenNachvollziehbarkeit
derForschungdar.
Mit dem Kriterium der empirischen Verankerung wird darauf abgezielt, jegliche am
EndedieserArbeitstehendeHypothese inDatenbegründenzukönnen(Steinke2009:
328).EinErfüllendiesesKriteriumsergibtsichdurchdieWahlderMethodenahezuvon
selbst,dasichmitderGroundedTheoryalskodifizierendesVerfahren jeglicheGenese
von Hypothesen in empirischen Daten begründet. Strauss verweist im Kontext
qualitativer Sozialforschung auf diesen Umstand und sieht darin eine Stärke der
Grounded Theory: „WenneineTheorienicht inDatenbegründetist,wirdsiespekulativ
undfolglichineffektiv“(Strauss2004:429).
Mit der empirischen Verankerung eng verbunden zielt das Kriterium der
RepräsentativitätaufdieZusammenstellungderbeiderAnalyseverwendetenDatenab.
Anders als in der quantitativen Forschung wird hierbei nicht durch eine große Zahl
zufällig ausgewählter Dateneinheiten auf die „Gesamtheit“ geschlossen; schließlich ist
eineÜbertragungsolcherVorgängeaufdiequalitativeForschungwenigzielführend.Es
ist jedochzueinemgroßenTeildas „theoretical sampling“,welchesals „Feinsteuerung
der Datenauswahl“ (Roos 2010: 84) der Idee eines repräsentativen Datenkorpus
entgegengesetzt zu sein scheint. Dem aber steht die Annahme voran, dass in jedem
untersuchten Dokument die allgemeinen, grundlegenden Überzeugungen vorhanden
sind und somit „pars pro toto“ analysiert und rekonstruiert werden können (Roos
3TheorieundMethode
31
2010:82).AuchStraussverteidigtdieWissenschaftlichkeitdesTheoreticalSamplingin
HinsichtaufRepräsentativitätundtheoretischerKonsistenz:
„It is by theoretical sampling that representativeness and consistency are achieved. In groundedtheory, representativeness of concepts, not of persons, is crucial. The aim is ultimately to build atheoreticalexplanationbyspecifyingphenomenaintermsofconditionsthatgiverisetothem,howthey are expressed through action/interaction, the consequences that result from them, andvariationsofthesequalifiers.Theaimisnottogeneralizefindingstoabroaderpopulationperse.”(Strauss1990:9).
3.3ZwischenfazitzumtheoretischenundmethodischenRahmenZusammenfassendbildetdasFoucault’scheDiskursverständnisunddieWissenstheorie
von Peter Berger und Thomas Luckmann das theoretische Fundament. Durch diesen
sozialkonstruktivistischenHintergrunderfolgteineAnalysederdiskursivproduzierten
RealitätdurcheinenmethodischgesichertenInterpretationsprozess.
Mittels der Wissenssoziologischen Diskursanalyse sollen die dem Diskurs zugrunde
liegendenDeutungsstrukturenderamerikanischenRegierungrekonstruiertwerden.Mit
RückgriffaufdieGroundedTheorynachAnselmStraussalsMethodeunterliegendamit
Textdokumente einer rekonstruktionslogischen Analyse. Darüber hinaus soll die
Struktur von Dispositiven im Sinne von „Vergegenständlichungen“ des Diskurses
Gegenstand von Erkundungen sein. Die Kriterien in Hinsicht auf den
GültigkeitsanspruchdieserArbeitbesteheninderintersubjektivenNachvollziehbarkeit,
empirischenVerankerungundRepräsentativität.
4Analyse
32
4AnalyseIn diesem Abschnitt werden nun die Ergebnisse der Analyse dargelegt. Hierfür soll
zunächstdasimVorhineinentwickelteundangewandteForschungsdesignalskonkrete
PraxisundHilfskonstruktionderobenbeschriebenenMethodeinangebrachtemUmfang
dargestelltwerden.
Im Anschluss daran wird entlang der eingangs formulierten Fragestellung eine
Darlegung der Befunde vorgenommen. Hierbei werden die Gesamtheit der
identifiziertenDeutungsmuster,dieausdemDiskursrekonstruiertwerdenkonnten, in
ihrer von Wandel und Kontinuität geprägten Konstellation präsentiert. Schließlich
werdendieausgemachtenDispositivstrukturendiskutiert.
4.1ErläuterungdesForschungsdesignsZunächsterscheinteshilfreichzuverdeutlichen,wasuntereinemForschungsdesignim
SinnedieserAuseinandersetzungzuverstehen ist.GenerellmeintdieFragenachdem
ForschungsdesigndieArtundWeise, aufwelche sichdasErkenntnisinteresseunddie
Fragestellung einer wissenschaftlichen Arbeit in die konkrete empirische Praxis
umsetzt.Man sucht somit eineAntwortdarauf,welcheVorgehensweiseeine sinnvolle
und strukturierte Untersuchung des Gegenstandes in Hinsicht auf eine letztendliche
Beantwortung der Fragestellung ermöglicht (Vgl. Flick 2007).Während in Anbetracht
derartiger Überlegungen dieWahl derMethode sowie des theoretischen Fundaments
keinegeringeRollespielt,erscheintdemVerfassereineerneuteThematisierungdieser
Aspekte jedoch als redundant.18Eine Lektüre des Kapitel 3 vorausgesetzt soll im
Folgenden vielmehr transparent gemacht werden, mit welchen Hilfsmitteln,
Vorüberlegungen und Ressourcen die Analyse von statten ging und letztendlich
Auskunftgegebenwerden,inwieferneineEinhaltungderGütekriteriengesichertwurde.
InsofernwirdindenfolgendenAusführungenderBegriffdes„Forschungsdesign“nicht
auf die ganzheitlicheAuslegung undPlanung dieserArbeit bezogen, sondern imKern
nach Strauss’scher Empfehlung die konkrete Adaption der Grounded Theory an den18Hierbei kann auf eine erneute Bezugnahme auf die Theorie und Methode nicht verzichtet werden;vielmehr sind es die Vorüberlegungen bezüglich der Wahl von Theorie und Methode, die keineErwähnungfindensollen.
4Analyse
33
Gegenstand dargelegt und begründet (Corbin/Strauss 1990: 6). Hierbei musste allen
voranaufgrunddesgesetztenZeitrahmensmitHilfsmittelngearbeitetwerden,umdie
gegebeneBearbeitungszeitsinnvollzunutzen.
Drei-Phasen-ModellBei der Betrachtung amerikanischer Außenpolitik im Iran-Konflikt und der eingangs
dargelegten Fragestellung wird deutlich, dass eine hierauf gerichtete Erkundung
gewissen Einschränkungen unterliegen muss, um mit den gegebenen Ressourcen
sinnvoll bearbeitetwerden zu können. Im bilateralenKonflikt zwischen denUSA und
der IslamischenRepublik Iran könntedieAnalyse schließlich auchmit demSturzdes
Shah im Jahre 1979 oder gar noch früher beginnen, was jedoch einen enorm
umfangreichenundzudemschwerzugänglichenDatenkorpuszurFolgehätte.
Als sinnvolle Begrenzung des Diskursraumes erschien somit ein Zeitrahmen vom 1.
Januar 1999 bis zum 1. Juni 2012. Der ausgewählte Zeitraum ergibt sich aus einer
Vielzahl von Faktoren: Der Anfangspunkt der Analyse liegt im Jahr 1999 mit der
hauptsächlichen Absicht, die Zeit vor und nach dem 11. September 2001 als
einschneidendesaußenpolitischesEreigniseinzubeziehensowieummitEingliederung
der Regierung Clinton drei Administrationsperioden abzuzeichnen. Mit dieser
Rahmensetzung werden auch drei Überprüfungskonferenzen des Atomwaffen-
sperrvertragsundsomitzentralenuklearpolitischeEreignisseabgedeckt.Aufgrundder
aktuellenRelevanzsollenmöglichstzeitnaheDokumenteindieAnalyseeinfließen,was
denEndpunktmitdemAbschlussderAnalyseimJuni2012begründet.Innerhalbdieser
Rahmensetzung ist intendiert, den Diskurs an drei ausgewählten Zeiträumen, u.a.
orientiert an amerikanischen Regierungsperioden, zu analysieren. Der zu
untersuchendeDiskurs soll folglich in drei Phasen gegliedertwerden, namentlich der
RegierungsperiodenvonWilliam J. „Bill“ Clinton,GeorgeW.BushundBarackObama.
Schlaglichtartig kann auf dieseWeise die Zusammensetzung der Deutungsmuster der
amerikanischenRegierungzudengewähltenZeitpunktenbestimmtwerden.
DiesezwölfJahreermöglichenes,eineVielzahlanunterschiedlichenÜberzeugungenzu
rekonstruieren während Veränderungen bzw. Schwankungen in der Diskursstruktur
überZeitnochimmermessbarsind.
4Analyse
34
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
DiskursderamerikanischenRegierunghinsichtlichdesIran-Konflikts
PhaseI PhaseII PhaseIIIRegierungClinton
RegierungBush
RegierungObama
ZusammensetzungDeutungsmusterundDispositiveI
ZusammensetzungDeutungsmusterundDispositiveII
ZusammensetzungDeutungsmusterundDispositiveIII
Abb.2:Drei-Phasen-Modell(eigeneDarstellung).
AufdieseWeisedurchläuftderDiskursderamerikanischenRegierunghinsichtlichdes
Iran-Konflikts drei Administrationsphasen. Die Vorteile an einer phasenweisen
BetrachtungdesDiskursessindzweierlei:
ErstensgestaltetsichdieAnalysederDateneinerPhaseeinfacher,daderDatenkorpus
entsprechendübersichtlicherist.Zweitens,undungleichwichtiger,wirdaufdieseWeise
der Vergleich zwischen Phasen enorm erleichtert. Die Ergebnisse bzw. die
Überzeugungen lassen sich wortwörtlich nebeneinander betrachten, was eine
letztendliche Aussage über Veränderungen bzw. Kontinuitäten massiv vereinfacht.
GleichzeitigkönnenaberauchAussagenüberdiskursiveSchwankungeninnerhalbeiner
Phasegetroffenwerden;istesschließlichderGesamtdiskurswelcherimFokusjeglicher
Aussagen steht. DiesesDrei-Phasen-Modell kann somit als einHilfsmittel der Analyse
gesehenwerden, da es die Beantwortung der Fragestellung erleichtert. Das konkrete
Vorgehen beinhaltete die nach Phasen getrennte Rekonstruktion von Überzeugungen
undDeutungsmusterninseparatenKodierschemata.19
DatenerhebungGrundlage der Analyse bilden öffentlich zugängliche Äußerungen der US-
amerikanischenRegierungmitBezugaufdenIran-Konflikt.Daten,diediesesKriterium
erfüllen, zeigen sich relativ vielfältig. Reden, Interviews, schriftliche Stellungnahmen,
Presseerklärungen und –Konferenzen haben schließlich Eingang in die Analyse
gefunden.DieseKommunikationsarten lagenbereits transkribiert textförmigvor.Eine
19Die Anhänge B), C) und D) stellen die Kodierschemata der einzelnen Phasen dar. Sie enthalten dieSequenzen, deren Quelle, die Kategorien und Subkategorien sowie Memos und Metamemos (vgl.Methoden-Kapitel).
4Analyse
35
ErhebungimeigentlichenSinneentsprachinderForschungspraxisdemAuffindeneines
relevantenDatensatzes sowiedessendigitaleSicherung.DasAußenministeriumsowie
das Weiße Haus betreiben seit den 90er Jahren Internetauftritte, welcher unter
anderem zur Dokumentation jeglicher öffentlicher Kommunikation dienen. Diese
Online-Präsenzenwerdenperiodisch, demStandderTechnik folgend aktualisiert und
ersetzt, jedoch bestehen für die vergangenen und in dieser Arbeit thematisierten
RegierungsperiodendigitaleArchive.AufdieseWeisekonnteeffizienteinegroßeMenge
anDatengesichertwerden.
EreignisspezifischeDatenselektionIn Erweiterung des Drei-Phasen-Modells wurde zur systematischen Analyse ein
weiteresHilfsmittelherangezogen.Wiebereits imMethoden-Kapitelerwähntverweist
Strauss bei der Auswahl von Daten im Rahmen der Grounded Theory auf ein
sogenanntes „Theoretical Sampling“ (Corbin/Strauss 1990: 8f). Der Gedanke hinter
diesem Konzept verweist auf den Modus der Selektion von Daten, die einem
Analyseprozess unterzogen werden sollen. Abweichend von den Herangehensweisen
quantitativerForschungwirdhierbeidasKriteriumeinerstatistischenRepräsentativität
des Datenkorpus nicht verfolgt. Einfach gefasst bedeutet dies, dass darauf verzichtet
wird aus jedem Jahr, jeder Phase und jedem Monat eine gleiche Zahl an Daten mit
gleichem Umfang zu erheben und zu analysieren. Mittels der ereignisspezifischen
Datenselektion wird ermöglicht, in Zusammenhang mit fundierten Hintergrund-
kenntnissen theoriegeleitet Entscheidungen hinsichtlich der Zusammensetzung des
Datenkorpuszutreffen.DieseVorgehensweiseversprichtfolgendeVorteile:DaderIran-
Konflikt nicht zu jedem Zeitpunkt mit gleicher Intensität von Seiten der politischen
Entscheidungsträger thematisiert wurde, kommt es teilweise zu enormen Ungleich-
gewichten in der Verteilung der Datenmenge. Als Beispiel ist hier das Jahr 2006 zu
nennen,inwelchemdieäußerenUmstände(G8-Gipfel;Irak-Krieg)füreinbedeutsames
Anschwellen der Zahl an Statements, Reden und Interviews gesorgt haben. Hierbei
konnte schließlich eine Entscheidung für eine gewisse Zahl bedeutsamer Daten mit
besonderer Aussagekraft getroffen werden. In Erweiterung dessen kommt manchen
AussagenimVerhältniszuanderenungleichmehrRelevanzzu:eineThematisierungdes
Konflikts in der „State of theUnionAddress“ von Seiten des Präsidenten findet somit
eherEingang indieAnalysealseineRandnotizdesPressesprechersbeim„DailyPress
4Analyse
36
Briefing“.SolcheFaktorendemKriteriumderstatistischenRepräsentativitätzuopfern
würde den Gedanken einer qualitativen Analyse verfehlen. Es bleibt jedoch zu
erwähnen,dassdennochaufeinegewisse„Normalverteilung“desDatenkorpusgeachtet
wurde.Diesbedeutet,grobgesagt,dassDatenaus jedemderzwölf Jahreerhobenund
analysiert sowie Aussagen der wichtigsten außenpolitischen Sprecher der jeweiligen
Regierungeneinbezogenwurden.
Umdie SelektionderDaten schließlich systematischundnachvollziehbar zugestalten
war es notwendig, einenÜberblick über denKonfliktverlauf desDiskursabschnitts zu
generieren.Hierfürwurde imnotwendigenDetail eine Zusammenfassung derAbfolge
zentraler Ereignisse erstellt, welche die Grundlage der ereignisspezifischen
Datenselektionbot.20AufdieseWeisekönnenAussagenschnell ineinenzeitlichenund
geschichtlichen Kontext gebracht werden, was auch die Interpretation maßgeblich
vereinfacht.
4.2US-amerikanischeDeutungsmusterzwischenKontinuitätundWandelIndiesemAbschnittwirddasZielverfolgt,dieerstenbeidenElementederFragestellung
zubehandeln.Eswirddemnachversucht,
- die Gesamtheit der US-amerikanischen Deutungsmuster über den Konflikt um
dasiranischeAtomprogrammsowie
- potentielleVeränderungendieserDeutungsmusterüberZeit
zurekonstruierenundinFormvonHypothesenzupräsentieren.
Die Entscheidung, an Stelle einer getrennten Bearbeitung diese Fragestellungen
gemeinsam abzuhandeln, beruht auf ersten Erkenntnissen durch die Analyse. Die
Aspekte der Kontinuität bzw. des Wandels haben sich bereits früh als dominant
erwiesen, sodass durch eine getrennte Abhandlung ein großes Maß an Redundanz
erzeugenwürde.Darausergibtessich,dass folgenddieGesamtheitder identifizierten
DeutungsmusterüberdiePhasenhinwegbeschriebenundparallelderunterUmständen
auftretendeWandelbzw.Kontinuitätaufgezeigtwird.UmdennocheineSystematikzu
gewährleisten wurden die Hypothesen hinsichtlich der Deutungsmuster anhand von
20AnhangA.stelltdenÜberblicküberdenKonfliktverlaufdar.DasDokumentwurdevonAnbeginnderAnalyse schrittweise erweitert und enthält auch Notizen zum Prozess der Datenerhebung undDatenanalyse.
4Analyse
37
Themenkomplexen strukturiert. Im Folgenden sollen auf diese Weise die
wahrgenommenen Sicherheitserosionen auf regionaler sowie globaler Ebene, die
Strategie-undHandlungsmusterderUSA,dieRollederinternationalenGemeinschaftim
KonfliktsowiedieBedeutungderZivilbevölkerungdiskutiertwerden.
DurchdieAnwendungderGroundedTheorykonnteeinegroßeZahlanKategorienaus
demDatenmaterialrekonstruiertwerden.Etwa40dieserabstraktenKonzepteausallen
drei Phasen wurden schließlich als Schlüsselkategorien identifiziert und trugen zur
Hypothesengenese bei. Auf den folgenden Seiten soll die empirischeVerankerung der
Deutungsmuster mit besonders beispielhaften Aussagen von US-Offiziellen illustriert
sowiedurchNennungderCode-BezeichnungindenFußnotennachvollziehbargemacht
werden.
4.2.1SicherheitserosionenaufregionalerundglobalerEbeneDerersteThemenkomplex,welcherindieserFormdiskutiertwerdensoll,beziehtsich
auf dieWahrnehmung von Sicherheit in denDeutungsmustern derUS-Regierung. All
dem steht die Überzeugung der Vereinigten Staaten voran, dass der Iran die
Entwicklung seiner nuklearen Kapazitäten vorantreibt um in den Besitz nuklearer
Sprengköpfe zu gelangen. Die Bestrebungen Teherans, den Brennstoffkreislauf zu
beherrschen,stellenausUS-PerspektivenichtdenseitensdesIranoftzitiertenVersuch
einer Unabhängigkeit von ausländischer Hilfestellungen dar, sondern sind Teil der
iranischenPläne,zumAtomwaffenstaataufzusteigen.Hierbeilässtsichstarkabstrahiert
dasEmpfindeneinerErosionregionalerundinternationalerSicherheitattestieren,das
durchdieiranischenAtompläneausgelöstwird.EsexistierenjedochwichtigeVarianzen
undAbstufungenunterdenDeutungsmusternundAdministrationsphasen.
RegionaleBedrohungundamerikanischeSolidaritätBereits inderHinführungzurFragestellungwurdeeinoffensichtliches21LeitmotivUS-
amerikanischerIran-Politikoffengelegt.DiewahrgenommeneBedrohungIsraelsdurch
21Dieses Leitmotiv gewinnt seinen „offensichtlichen“ Charakter durch die Vielzahl wissenschaftlichersowie medialer Publikationen, welche die gegenwärtige geopolitische Situation Israels mit dertraditionellen Solidarität der USA als Motivation US-amerikanischen Engagements im Konflikt sehen(Howard2004,Krell2004).
4Analyse
38
denIranunddessenpotentiellesnuklearesArsenalresultiertineinersolidarischenund
schützendenStellungderUSA,welchesichauchindieserAnalysedurchdengesamten
untersuchtenZeitraumhinwegkontinuierlichrekonstruierenließ.22
Die Sprechakte der Administration Clinton, Bush und Obama wiesen alle die
Überzeugungauf,dassausderIslamischenRepublikIraneineGefahrfürdasisraelische
Volkausgeht.23Dabei stehteinepotentielle iranischeAtombombeals zentralerGrund,
eineBedrohungernst zunehmen– inkonventioneller,nichtnuklearerHinsichtbleibt
das iranischeMilitärvorallem in technologischenAspekten Israelunterlegen (Central
Intelligence Agency 2012). Jede der behandelten Regierungen verwies in diesem
KontextaufdiedrastischenÄußerungeniranischerOffizieller,welcheineinemharschen
Ton Israel angriffen und dem Staat das Existenzrecht absprachen. In Verbindungmit
demFortschrittiranischerRaketentechnologie,welcheinderTheorieeinenSprengkopf
bis nach Israel transportieren könnte, misst man dieser Rhetorik in den Vereinigten
StaatenvielBedeutungbei(Migdalovitz2008:13).DieserUmstandlässtsichdurchdie
AnalysefürdiezurückliegendendreizehnJahrebestätigen.
Was die Analyse dieser offensichtlichen Lesart hinzufügen kann ist die Erweiterung
dieses Denkens auf die den Amerikanern freundlich gesinnten Staaten in der Region.
Phasenübergreifend konnte ein Deutungsmuster attestiertwerden, nachwelchem die
VereinigtenStaatennebenIsraelauchdieweiterenPartnerimMittlerenOstenbedroht
sehen.SaudiArabien,Afghanistan,derheutigeIrak,dasprärevolutionäreÄgyptenund
die Türkei sowie der Libanon sind nach denÜberzeugungen derUSA potentiell einer
Bedrohung ausgesetzt. Die atomaren Ambitionen des Iran sorgen hierbei für einen
destabilisierenden Effekt in der Region. Es kann gemutmaßt werden, dass die
Vereinigten Staaten das Szenario eines nuklear bewaffneten Irans mit einem darauf
folgendenWettrüstenimMittlerenOsteninVerbindungbringen.
22Die methodische Herangehensweise beabsichtigt wie bereits dargelegt keineswegs die Verifizierungoder Falsifizierung von Hypothesen, sondern vielmehr deren Genese. In diesem Punkt offenbart sichjedocheinSonderfall, dadieDeutungsmustermitBezugaufdieSolidarität zu Israel alsAusgangspunktjeglicherErkundungendienten.Eswarsomitabzusehen,dassDeutungsmustervordiesemHintergrundausderAnalysehervorgehenwürden.23I-K01c-2,I-K02a-1/II-K01b,II-K01b-1/III-K02b,III-K02b-1.
4Analyse
39
“Well, Iamverypleasedbythe levelofcooperationthattheSaudisareoffering.They fullyseethethreat.TheyunderstandhowdestabilizingitwouldbeifIranweretobecomeanuclearpower.“(Clinton,HillaryR.2010a)
Ausgehend von dieser Position wäre allein schon die Unsicherheit über das
AtomprogrammTeherans,spätestensjedochdieGewissheitübereineiranischeBombe
eine denkbare Motivation für Entscheidungsträger der Region, Waffengleichheit
herzustellen.DerAtomwaffensperrvertragbesäße indiesemSzenariowenigPotential,
diesen hypothetischen Vorgängen nuklearer Aufrüstung Einhalt zu bieten (Thränert
2010a:2).
Anhand der gegebenen Daten lässt sich eine weitere „offensichtliche“ Hypothese
verifizieren. Ausgehend von den Anzeichen einer Bedrohung Israels durch das
potentielle iranische Atomwaffenprogramm sind die Vereinigten Staaten davon
überzeugt,dasseinesolidarischePositionzudembefreundetenStaatbezogenwerden
muss.KonkretverweistdiessowohlaufmilitärischenBeistandalsauchaufpräventive
Maßnahmen. Die Analyse deutete in diesem Aspekt jedoch auch auf graduelle
UnterschiedezwischendenerfasstenRegierungsperiodenhin.
In dem behandelten Zeitabschnitt der Clinton-Ära konnte die Überzeugung der USA
destilliert werden, dass (unter anderem) zum Schutze Israels Anstrengungen
unternommen werden müssen, ein potentielles Atomwaffenprogramm des Iran zu
stoppen.Mit demgeht einher, dass zu dieser Phase dieVereinigten Staaten zwar von
einem Streben Teherans nach der Bombe ausgingen, aber die Technologie in dem
islamischen Staat noch relativ weit von diesem Ziel entfernt eingeschätzt wurde.
Insofern war die Clinton-Administration von der Notwendigkeit überzeugt, das
iranischeAtomprogrammzuverlangsamenoderzuverhindern:
“Iran'sWMDandmissileprogramsconstituteaseriousthreattotheregionandtoU.S.morebroadly.ImpedingthoseprogramshasthereforebeenatoppriorityofU.S.policy.“(Einhorn,RobertJ.2000b,AssistantSecretaryofStateforNonproliferation)
Die Dual-Containment Politik bzw. der Iran Nonproliferation Act bildeten hierbei die
EckpfeilerderpräventivenMaßnahmen(Shirley1994:75f).Diese Instrumentesollten
mittels Handelseinschränkungen sowie der Unterbindung ausländischer Beihilfe den
Iranderartschwächen,sodasseinFesthaltenandennuklearenAmbitionenverworfen
werden müsste. Es bleibt festzuhalten, dass die Clinton-Administration zum Schutze
4Analyse
40
Israels eine Einstellung des iranischen Atomwaffenprogramm als eine hohe Priorität
wahrnahm, aber zum Erreichen dieses Ziels nicht zu allen Mitteln bereit war.
Insbesondere die militärische Option lässt sich aus den offiziellen Sprechakten nicht
erkennen.
Die Bush-Administration jedoch veränderte diese Haltung. Hier zeigteman ein hohes
Maß an Solidarität zum israelischen Staat, welche sich auch in eine enorme
Handlungsbereitschaft übersetzte. In beiden Amtszeiten wurde in diesem
Zusammenhang eine nahezu bedingungslose, auf alle Optionen ausgebreitete
BereitwilligkeitzurUnterstützungbekundet.NebeneinschneidendenSanktionenwurde
immerwiederbekundet,diegesamteBandbreitedesHandlungsspielraumszuerwägen
–wasletztlicheindeutlichesBekenntniszueinermilitärischenOptiondarstellt.
Mirazi:“SoapreemptivestrikeagainstIranisnotonthetable?”Armitage:“Whatwegenerallysayissomethingdifferent.Nomatterthesituationwhetherit'sIranoranythingelse,wedon't takeanyoptionsoff the table.Butoureffortswith Iranare,atpresent,limitedtodiplomatefforts.(Armitage,RichardL.2003,DeputySecretaryofState)
DieausgesprocheneEntschlossenheiteinersolchenHaltunghat ihrenUrsprunginden
Nachwirkungen der Anschläge des 11. September, was sich insbesondere in der zu
diesem Zeitpunkt starken Verbindung der US-Außenpolitik zu der Bekämpfung von
Terroristen wiederfindet. Eine Vertiefung dieser Thematik soll jedoch separat
Erwähnung finden. Die Überzeugungen der Bush-Administration umfassen verdichtet
einuneingeschränktesBekenntniszurRollederUSAalsSchutzmachtIsraelsunddamit
dasVerhinderneinesnuklearbewaffneten Iran,wieauchdieEinsatzbereitschaftaller,
auchmilitärischerMittel.
Unter Barack Obama lässt sich eine ähnlich starke Hingabewahrnehmen, welche die
SicherheitIsraelsfokussiert.
“Look, no country is more concerned about a nuclear Iran than Israel, and rightly so. And noPresidentsinceHarryTrumanhasdonemoreforIsrael’ssecuritythanBarackObama.”(Biden,Joe2012)
Die Überzeugungen hinsichtlich der Art und Weise, wie dieser Schutz gewährleistet
werdensoll,orientiertensichimGegensatzzurvorangegangenRegierungimerstenJahr
der Administration stark an einer verhandlungsbasierten, nahezu schlichtenden
Herangehensweise. Es lässt sich spekulieren, dass aufgrund der Erfolglosigkeit dieses
4Analyse
41
Vorgehens ein Strategiewechsel ereignete, denn innerhalb dieser Regierungsperiode
findeteinWandelderDeutungsmusterstatt.DieAnalyse lieferteGrundzurAnnahme,
dassdie gegenwärtigenAmtsinhaberauchvorderAnwendungmilitärischerOptionen
nichtHaltmachenwürden,umdieUnversehrtheitIsraelszugewährleisten.Esistsomit
einDeutungsmusterderObama-Administration,zumSchutzeIsraelsdenIranamErhalt
von Atomwaffen zu hindern – anfangs auf ausschließlich diplomatischem Weg,
mittlerweile aber kann der Einsatz militärischer Mittel in besonderen Bedrohungs-
situationennichtmehrausgeschlossenwerden.
VerbindungenzuminternationalenTerrorismusÜber den gesamten analysierten Zeitraum konnte eine besondere Kontinuität des
Deutungsmusters festgestelltwerden, dassdieVerbindungdes Iran zu terroristischen
GruppierungeneineGefahr fürdie internationaleGemeinschaftdarstellt.24Dabei steht
in der Wahrnehmung der Vereinigten Staaten die direkte Finanzierung von
Organisationen wie der Hamas oder Hisbollah seitens Teheran als unbestrittene
Tatsache.DieseÜberzeugungunterliegt in ihrer Intensität jedochauchSchwankungen
zwischendeneinzelnenRegierungsperioden.UnterClintonsinddieVerbindungendes
Iran zu nichtstaatlichenMilitärgruppierungen außer Frage, stellen aber imKanonmit
der Opposition des Iran zu einer Lösung im Nahostkonflikt und den vermuteten
nuklearenAmbitionen„nur“einederVerfehlungendesIrandar.DieTerrorfinanzierung
bildet dabei mehr oder weniger losgelöst vom Atomprogramm einen von mehreren
Kritikpunkten.
DiesePositionwirdabgelöstvonderBush-Regierung,welchedieNäheder iranischen
Führung zur Hisbollah direkt in einen Zusammenhang mit der vermuteten
Atomwaffenentwicklungbrachte:
“We cannot let Iran, a leading sponsor of international terrorism, acquire the most destructiveweapons and themeans to deliver them toEurope,most of central Asia and theMiddleEast - orfurther.”(Bolton,JohnR.2003a,UnderSecretaryforArmsControlandInternationalSecurity)
24I-K01c-1/II-K01a,II-K02a,II-K02a-1,II-K02a-3/III-K02a,III-K03a-5a.
4Analyse
42
Maßgeblich beeinflusst durch die Anschläge des 11. September war die gesamte
außenpolitische Haltung der USA durch besondere Sensibilität für jegliche mit
internationalem Terrorismus verbundene Vorgänge charakterisiert (Rudolf 2005: 5).
Die für die Vereinigten Staaten parallel stattgefundene Erhärtung des Verdachts, der
Iran entwickele Atomwaffen, etabliert ein starkes Deutungsmuster. Die USA unter
George W. Bush waren davon überzeugt, dass ein nuklear bewaffneter Iran
gleichbedeutend ist mit einer globalen Gefahrensituation, da die Proliferation von
Atomwaffen an nichtstaatliche, aggressive und anti-westlich positionierte Akteure als
wahrscheinlich erachtetwurde.Eswird indieserPhase somitdasunverrückbareZiel
installiert, den Iran von einer Entwicklung der Atombombe abzuhalten, denn die
ProliferationderTechnologieanTeheranbildeteineindirekteBedrohungvonglobaler
Dimension.
“Stateslikethese,andtheirterroristallies,constituteanaxisofevil,armingtothreatenthepeaceoftheworld.Byseekingweaponsofmassdestruction,theseregimesposeagraveandgrowingdanger.Theycouldprovidethesearmstoterrorists,givingthemthemeanstomatchtheirhatred.Theycouldattack our allies or attempt to blackmail the United States. In any of these cases, the price ofindifferencewouldbecatastrophic.”(Bush,GeorgeW.2002)
Dabei bildet der Terrorismus letztendlich die Brücke, über welche die nukleare
BedrohungauchfürdasTerritoriumderUSArealwird.DieVereinigtenStaatensindsich
bewusst, dass der Iran einerseits nicht über die Interkontinentalraketen verfügt, um
Sprengköpfe über den halben Globus zu transportieren, und andererseits diesen
aufgrund der bekannten Zweitschlagskapazität der USA selbstzerstörerischen Aktmit
großerWahrscheinlichkeit nicht durchführen würde. Das Deutungsmuster, dass über
nichtstaatlicheAkteureaufunkonventionellenWegendurchTerrororganisationeneine
„schmutzigeBombe“ dieGrenzenderVereinigten Staaten erreichen könnte, zeigt sich
dagegen deutlich. Auch die Verhinderung einer Lösung des Nahostkonflikts durch
direkte oder indirekte, über nichtstaatliche Akteure ausgeübte Wirkung mit
nukleartechnologischemHintergrundrückthierindenRahmendesMöglichen.
Diese Überzeugungen hinsichtlich der Möglichkeit einer Proliferation an Terroristen
findensich,wennauchmitweitauswenigerIntensität,ebensoinderRegierungObama
wieder.
4Analyse
43
“Wereducedourrelianceonnuclearweapons,achievedmajorarmscontrolagreementswithRussia,and brought the world together to secure nuclear materials from getting into the hands ofterrorists.“(Biden,Joe2012)
DieUnterstützungvonterroristischenGruppierungenbleibtrhetorischengverbunden
mitdemAtomprogrammdesIran,jedochnichtineinemderBush-Äranahekommenden
Stärke. Zwar bleibt die Finanzierungmilitanter nichtstaatlicher Akteure ein zentrales
Kriterium, anhand welchem die Absichten des Irans gemessen werden – eine
unmittelbare Bedrohungswahrnehmung dieser Größenordnung ließ sich allerdings
nichterkennen.
DiesbildetindiesemKontextmiteinederstärkstenDifferenzenzwischenderFührung
Bush und Obama bzw. Clinton. Ab 2002 konnte eine direkte und langfristige
Gefahrensituation als Überzeugung der Regierung rekonstruiert werden, in welcher
direkte Aggressionsakte gegen die Vereinigten Staaten antizipiert wurden. Diese
übertrugensichgleichzeitig indieÜberzeugung,dasseinepräventiveHandlungsweise
notwendigsei(vgl.Bush-Doktrin,Feinstein/Slaughter2004:141).
“We'llbedeliberate,yettimeisnotonourside.Iwillnotwaitonevents,whiledangersgather.Iwillnotstandby,asperildrawscloserandcloser.”(Bush,GeorgeW.2002)
Während die Obama-Administration sich großer Vorsicht und Handlungs-
entschlossenheitgegenübereinerBedrohungglobalerDimensionnichtentzieht, findet
diesdochineinemweitausgeringerenMaßestatt.
4.2.2InternationaleKooperationinderKonfliktbearbeitungDie gegenwärtige Situation im Iran-Konflikt zeigt, dass sich die internationale
Gemeinschaft nahezu geschlossen gegen den Iran stemmt. Dabei hat sich diese
transnationaleProblembearbeitungerst indenvergangenen Jahrenentwickelt,und in
den Vereinigten Staaten zu vielschichtigen Deutungsmustern geführt. Betrachtet man
den Iran, Israel und in Erweiterung hierzu die Vereinigten Staaten als „Kernparteien“
des Konfliktes um das iranische Atomprogramm, so wird die Beteiligung weiterer
Staaten erklärungsbedürftig. Man mag argumentieren, dass die Vorwürfe einer
4Analyse
44
Vertragsverletzung des Non-Proliferation Treaty bereits internationale Beteiligung
provozierte;diesdecktallerdingsnichtdieKomplexitätderUS-Perspektiveab.
TransnationaleHandlungsgemeinschaftIn derDiskursstruktur konnte einWandel hinsichtlich derÜberzeugungen gegenüber
internationaler Kooperation25 festgestellt werden. Die globale Dimension einer
potentiellen Bedrohung war unter Clinton den politischen Entscheidungsträgern
bewusst,jedochübertrugdiesesichnichtineinReaktionsbedürfnisglobalerDimension
wie sie heute existiert. Es herrschte das Deutungsmuster, dass die internationale
GemeinschaftdasnötigeMaßanVerantwortungübernehmenunddieKooperationmit
demIraneinstellenmuss.DieAnlagenimIranbenötigtennachderRevolutionintensive
ausländische Hilfestellung, die von westlichen, russischen und chinesischen Firmen
geleistetwurde(Thranert2003:7).
“This issue remains at the top of the agendawithRussia, aswell aswith other countrieswhosecompaniesmaybeprovidingsuchassistancetoIran.”(Clinton,WilliamJ.2000)
Die Überzeugung, dass zur Einschränkung derMöglichkeit eines nuklear bewaffneten
IrandieseUnterstützunggestopptwerdenmüsste, istdeutlichzuerkennen.DerApell
richtet sich hierbei vor allen Dingen an Moskau, deren Engagement als gefährlich
betrachtetwird.Auchdie„Überreste“desKaltenKrieges,d.h.nukleareAnlagenaufden
Territorien der ehemaligen Sowjetunion, sind aufgrund mangelhafter
SicherheitsverhältnissenachAnsichtderVereinigtenStaatenpotentiellinderLage,das
vermutete iranische Atomprogramm voranzutreiben und somit mit Handlungsbedarf
verbunden. Die internationale Handlungsorientierung, welche hier in der US-
Perspektivegefordertwird,siehtalseinzigegeschlosseneAktioneinAbstellenjeglicher
Hilfeleistung. Diese Überzeugung wurde in den Bush-Jahren übernommen und mit
großerEntschlossenheitweitergeführt:
“Wewillwork closelywithour coalition todeny terrorists and their state sponsors thematerials,technology,andexpertisetomakeanddeliverweaponsofmassdestruction.“(Bush,GeorgeW.2002).
25I-K01b-3/II-K03a,/III-K03a-7.
4Analyse
45
Es besteht weiterhin das Deutungsmuster, dass der internationale Konsens über die
VerwerflichkeitderiranischenAmbitionenbereitsDruckaufdasRegimeerzeugt,sowie
ein Stopp ausländischer Kooperation mit dem Iran ein bedeutendes Instrument der
Konfliktbearbeitungdarstellt.WiebereitsunterClintonbildetdierussischeKooperation
mit den als zivil deklarierten Atomanlagen des Iran eine als zentral betrachtete
Herausforderung der amerikanischen Führung, da dieser Hilfeleistung weiterhin
Gefahrenpotential zugeschrieben wird. In Erweiterung dazu tritt die Überzeugung,
durch diesen internationalen Schulterschluss eine politische Isolation des Iran zu
erreichenundhiermiteinEinlenkenTeheranserreichenzukönnen.
Der bereits angekündigte Wandel der Deutungsmuster in diesem Themenkomplex
manifestiert sichdarin, dassdieHandlungsoptionender internationalenGemeinschaft
ausSichtWashingtonsneueDimensionenannehmenkönnen.DieStaatengemeinschaft
bildet sich nach der Perspektive der USA zu einem vereinten Gegner des iranischen
Atomprogrammsausundübersteigt indiesemSinnedasMaßanbloßemKonsensder
Clinton-Administration. Vielmehr offenbart sich das Deutungsmuster, dass die
internationaleGemeinschaftinderLageundinderPflichtsei,weitereKonsequenzenzu
verhängenwennderIrannichtdengestelltenForderungennachkommensollte.Konkret
handelt es sich hierbei um Resolutionen des Sicherheitsrates und transnational
koordinierteStrafmaßnahmen.
“On this issue, though, let there be nomisunderstanding in Tehran. The international communitystands united: Iran must not be permitted to develop the capacity to build or deliver a nuclearweapon.[…]We[Europa,Russland,USA,A.W.]sharethegoalofdenyingIrananuclearweaponandrecognize that there must be consequences should Tehran fail to adhere to its internationalcommitments.[…]Onthispoint,thebarforIranmustbesethigh:itshistoryofdeceptionoftheIAEAandtheworldhasunderminedtheinternationalcommunity'strust.”(Burns,NicholasR.2005,UnderSecretaryforPoliticalAffairs)
DieObama-AdministrationbautihreDeutungsmusteraufdenindenvorangegangenen
JahrenetabliertenÜberzeugungengegenüberinternationalerHandlungsorientierungen
auf.InsbesonderederKonsensderStaatengemeinschaftspielteineerheblicheRolle,ist
es schließlich ein starkes Deutungsmuster, dass eine international geteilte
AufmerksamkeitundHandlungsbereitschaftzurpolitischenIsolationdesIranführt.Der
daraus resultierende Druck, so die vorherrschende Überzeugung, soll Teheran zur
EinhaltungdernuklearenReglementierungenzwingen.DieEinschätzungderpositiven
4Analyse
46
und effizienten Wirkweise einer globalen und vereinten Gegnerschaft hat seit der
AmtsübernahmeObamasanIntensitätgewonnen.
“Inthefaceofthisintransigence,theworldhasspokenwithonevoice–attheIAEA,attheUN,andincapitals–making itclearthat Iranianactions jeopardize internationalpeaceandstability,andwillonlyfurtherisolatetheIranianregime.”(Obama,Barack2011c)
DieVerantwortungfürdievonderStaatengemeinschaftexkludiertePositionTeherans
liegt nach Sicht der Vereinigten Staaten allein beim iranischen Regime, welches sich
durchdiemangelhafteKooperationsbereitschaftselbstindieseLagegebrachthat.
FührungsrollederVereinigtenStaatenImZusammenhangmiteinerinternationalenAufmerksamkeitgegenüberdeniranischen
NuklearambitionenoffenbartsichdieKontinuitäteinesweiterenDeutungsmusters.Das
anhaltende Engagement der Vereinigten Staaten, diewahrgenommeneBedrohung auf
einerglobalenEbenezuetablieren,führtzuderÜberzeugungeinerzentralenPositionin
derKonfliktbearbeitung.InsofernbestehtinderFührungderUSAdasDeutungsmuster,
die Speerspitze einer transnationalen Opposition zu bilden und in der
Problembearbeitung eine Führungsrolle zu besitzen.26Diese Überzeugung findet sich
überdengesamtenDiskursverteiltwiederundbildetdahereinüberalleuntersuchten
AdministrationsperiodenbeständigesDeutungsmustermitwenigVarianz.
Die Clinton-Administration, unter welcher die internationale Gemeinschaft zur
Einstellung jeglicher Kooperation mit Teherans Atomprogramm aufgefordert und
KonsenshinsichtlichdessenRisikenhergestelltwurde,betrachtetihreBestrebungenals
besonders effektvoll. Hierbei lässt sich das Deutungsmuster identifizieren, dass ohne
das Wirken Washingtons keine Front gegenüber dem Iran hätte etabliert werden
können. Gleichzeitig, so die Überzeugung, muss die anhaltende transnationale
AufmerksamkeitdenUSAzugutegehaltenwerden.
“[T]he United States has played the leading role in developing and maintaining a broadinternationalconsensusagainstassistingIran'sforeignprocurementefforts.(Einhorn,RobertJ.2000b,AssistantSecretaryofStateforNonproliferation)
26I-K04c/II-K03b-1/III-K03a-7d.
4Analyse
47
DieRegierung unterGeorgeW.Bush veränderte an dieserHaltung nur die Intensität,
mit welcher diese in die Welt getragen wurde. Das Deutungsmuster wird demnach
verstärkt, sodass die Überzeugung, das US-amerikanische Engagement bilde letztlich
denAusschlagfürdenstattfindendenDiskurs,deutlichwird.
“(...)[O]ur resolveon thecontinuing threatposedby Iran'snuclearweaponsprogramhasbroughtthisissuetotheattentionoftheworld.”(Bolton,JohnR.2004,UnderSecretaryforArmsControlandInternationalSecurity)
Die Kategorisierung des Iran als Teil der Achse des Bösen (Bush 2002) wurde auf
internationaler Ebene anfangs als eher fragwürdig eingestuft (Hirsh 2002: 19,
Müller/Schaper 2003: 59f). Erst später teiltenweitere Staaten diese Position,was als
nachträgliches Eingeständnis verstanden und von der US-Führung umsomehr betont
wird. Dabei gewinnen Aussagen beinahe einen vorwurfsvollen Charakter gegenüber
dem Rest derWelt.DieWahrnehmung einer Führungsrolle bleibt auch unter Barack
Obama erhalten und zeugt wahrnehmbar von einem selbstbewussten Auftreten der
VereinigtenStaatenaufderWeltbühne.
“Throughthepowerofourdiplomacy,aworldthatwasoncedividedabouthowtodealwithIran’snuclearprogramnowstandsasone.“(Obama,Barack2012a)
Dieses Deutungsmuster weist eine deutlich erkennbare Kontinuität auf, welche
ungeachtet von Umweltveränderungen und Regierungswechseln angehalten hat. Das
souveräne, selbstsichere Auftreten in Verbindungmit der vorhandenen Resonanz der
Staatengemeinschaft führt zu einer Verstärkung der ohnehin bestehenden
EinflusswahrnehmungderVereinigtenStaateninderinternationalenPolitik.
4.2.3Strategie-undHandlungsmusterDie Analyse der Sprechakte offenbart auf deutliche Weise, mit welchen Mitteln die
VereinigtenStaatenihrZieleinesatomwaffenfreienIranverfolgen.Hierbeiäußernsich
Deutungsmuster, die sich auf die wahrgenommene Effizienz bestimmter Instrumente
oderdieBewertungverschiedenerstrategischenVorgehensweisenbeziehen.
Die Deutungsmuster, welche sich auf die strategische Ausrichtung der USA berufen,
variierensowohlzwischenalsauchinnerhalbdenuntersuchtenPhasenineinemgroßen
4Analyse
48
Maße.27DiepolitischeSpitzederUSAwährendderPräsidentschaftClintons etablierte
zwaraufeinerinstitutionellenEbenetiefgreifendeSanktionenfürdenIrakunddenIran,
äußerte sich in den Sprechakten allerdings dazu inkongruent und sprach sich für
gegenseitiges Vertrauen aus. Die Überzeugung, den Iran mittels einer
entgegenkommenden und gutwilligen Haltung an den Verhandlungstisch bringen zu
können,offenbartsichhierdeutlich.GleichzeitigbestehtdasDeutungsmuster,durchdie
RedebereitschaftinTeheraneineähnlicheHaltungprovozierenzukönnen.
DieUS-FührungunterBushließzunächstdasDeutungsmustererkennen,dassmitallen
MittelnDruck aufgebautwerdenmuss umden Iran von seinen atomarenAmbitionen
abzuhalten.HierbeivertretendieUSAdieÜberzeugung,dassdurcheinOffenhaltenaller
politischer Instrumente – unter welchen sowohl die Diplomatie wie auch
Zwangsmaßnahmen und militärische Optionen verstanden werden – Teheran zur
BefolgungderForderungengedrängtwird.InderRealitätmachtendieUSAinderersten
Amtszeit des Präsidenten Bush Jr. von diplomatischen Lösungsansätzen wenig
Gebrauch, sondern überließen die Verhandlungen den europäischen Partnern (Frum
2008: 34). Zu Beginn der zweiten Amtszeit wechselt dieses Deutungsmuster. Die
VereinigtenStaatentretensoineineneue„diplomatischePhase“,welchesichdurchdie
Überzeugung einer möglichen verhandlungsbasierten Konfliktlösung charakterisiert.
ZeitgleichmitdemVerhängenersterResolutionendesSicherheitsrateswandeltsichdie
DiplomatiezumprimärenInstrumentderVereinigtenStaaten,dieimKontraststehtzu
einervonwenigdirekterKommunikationundmassivenZwangsmaßnahmengeprägten
erstenAmtszeit.
“Until fourteenmonths ago, the United States had been very far removed from the internationaldiplomacyconcerningIran.AfterPresidentBush'striptoNATOandtoGermanyinFebruaryof2005,afterhisdiscussionswiththeFrenchandGermanandBritishleadership,hebecameconvincedthatwe had to put our diplomatic weight behind these negotiations, not that we would be directlyinvolved,notthatwewouldbeatthetable,butthatwewouldtrytohelp,asbestwecould,GermanyandtheUnitedKingdomandFrancetonegotiateeffectivelywiththeIraniangovernment.”(Burns,NicholasR.2006,UnderSecretaryforPoliticalAffairs)
Burns(2006)verweisthierbeialsGrundfürdenPolitikwechselaufdiesichentwickelte
Überzeugung hinsichtlich der Effizienz diplomatischer Bemühungen seitens der
europäischenGesprächspartner.
27I-K02a-2/II-K02d-2,II-K02d-3/III-K04a-1,III-K04a-2,III-K04a-3.
4Analyse
49
Zu Beginn der Obama-Administration zeichnet sich auffällig das Deutungsmuster ab,
dasseinDialogmitdemIranprimärzurKonfliktlösungangewandtwerdenmüsste.Die
Überzeugung, dass eine generelle Gesprächsbereitschaft der USA in Teheran zu
Verhandlungsbereitschaft hinsichtlich des Atomprogrammes hervorruft, zeigt sich
deutlich. Diese „Politik der ausgestreckten Hand“ (Rudolf/Lohmann 2010: 9) bleibt
jedochnichtohnedenVerweisaufdieunverrückbarePositionderUSA,denIranunter
keinenUmständenindenBesitzeinerAtomwaffegelangenzulassen.
“WehavemadeitclearthatwewilldoourparttoengagetheIraniangovernmentonthebasisofmutualinterestsandmutualrespect,butourpatienceisnotunlimited.”(Obama,Barack2009d)
AuchunterObamafandschonbaldeinerneuterWandelderDeutungsmusterstatt.Die
Dialogbereitschaft wich dabei einer „zweispurigen Strategie“, wobei der beibehaltene
Wille zu direkten Verhandlungen durch eine verstärkte und intensive Druckpolitik
ergänztwird.
„Lettherebenodoubt:AmericaisdeterminedtopreventIranfromgettinganuclearweapon,andIwilltakenooptionsoffthetabletoachievethatgoal.“(Obama,Barack2012a)
Eszeigtsichnundie„neue“Überzeugung,nachwelchereineDruckpolitikdasgeeignete
Instrument zur Konfliktbearbeitung bildet. Letztlich besteht das Deutungsmuster,
mittelsZwangeinEinlenkeninTeheranzustimulieren.Die Rekonstruktion deutete in diesem Aspekt auf enorme phasenübergreifende
Schwankungen hin. Verdichtet und abstrahiert konnten sich ständig abwechselnde
Perioden von Dialogbereitschaft und Druckausübung identifiziert werden, die
schließlichselbstinnerhalbderRegierungsperiodenalternieren.
IranunterZugzwang:DasNarrativbinärerHandlungsoptionenVerbundenmitdenbreit gefasstenStrategiender jeweiligenAdministrationenkonnte
einbesondersauffälligesDeutungsmuster identifiziertwerden,welchessichallerdings
nurindenAdministrationenBushundObamadeutlichzeigt.ZwarlassensichersteZüge
bereitsunterClintonerkennen,diebestechendeKontinuitätprägtsichabererstdurch
diefolgendenRegierungsperioden.
4Analyse
50
EshandeltsichhierbeiumdieÜberzeugung,dassdiePositionierungderUSAbzw.der
Staatengemeinschaft dem Iran nur zwei Handlungsoptionen ermöglicht. 28 Diese
binärenWahlmöglichkeitendesIranbestehenzumeineninderEinhaltungseinerdurch
den Atomwaffensperrvertrag institutionalisierten Verpflichtungen oder in der
Nichtbeachtung der internationalen Forderungen, die an Teheran herangetragen
werden.SowohldieBush-AdministrationalsauchdieUS-FührungunterObamavertritt
diesesrhetorischeMittelgegenüberdemIran.DiesesNarrativeinerWahl,vorwelcher
Teheran in der US-Wahrnehmung steht, wird jeweils mit notwendigen und nahezu
kausalenFolgenversehen.
“AndintermsofIran,wemadeitcleartotheIraniansthatiftheywouldhonorpreviousobligationsandverifiably stopenrichmentofnuclearmaterials,wewould sitata table.Andso there'sawayforwardforbothcountries.Thechoiceistheirs.”(Bush,GeorgeW.2006)
Hierbeiwird das Deutungsmuster offenbart, dass im Falle eines Einlenkens Teherans
eineRückkehrzunormalisierten,entspanntenBeziehungenmöglichist.Dieswirdinder
Wahrnehmung der USA durch eine Vielzahl an weiteren positiven Entwicklungen
begleitet.SolltemanvonderBeherrschungdesBrennstoffkreislaufesAbstandnehmen,
könne sich das Land wieder global mehr integrieren und auf diese Weise bessere
Perspektiven für die Zukunft gewinnen. Allerdings besteht auch die Option, dass
Teheran den Forderungen der internationalen Gemeinschaft nicht nachkommt; für
diesen Fall besteht nachÜberzeugung der Vereinigten Staaten nur derWeg in tiefere
IsolationunddendamitverbundenenNachteilenfürdenIran.
„Sanctions and pressures, however, are not ends in themselves. They are the building blocks ofleverageforanegotiatedsolution,towhichweandourpartnersremaincommitted.ThechoiceforIran’s leaders isclear,andtheyhavetodecidewhethertheyaccepttheirobligationsor increasingisolationandthecoststhatcomewithit,andwewillseehowIrandecides.“(Clinton,HillaryR.2010d)
Aus dieser Auffassung einer binären Handlungsoption lässt sich ein weiteres
Deutungsmusterableiten.EsistinsofernseitderAmtsübernahmevonGeorgeW.Bush
eineÜberzeugungderUSA,dassmandemIrannichtweiterentgegenkommenkann.Es
liegt daher in der Hand des Iran, die weitere Zukunft des Landes in der globalen28I-K02a-2/II-K02b-2/III-K03a-6,K03a-6b.
4Analyse
51
Dimension zu bestimmen. Die Forderungen der USA stehen demnach unverrückbar
während Teheran aus Sicht Washingtons den weiteren Vorgang für sich bestimmen
kann.Hier offenbart sich eineweitere Kontinuität,welche jede der drei untersuchten
Regierungsperiodengezeigthat.Beständighält sichdieÜberzeugung,dassder Iran in
der „Bringschuld“ steht, seine friedlichen Absichten zu demonstrieren. 29 Das
Deutungsmuster, dass Teheran hier den Unglauben der internationalen Gemeinschaft
entkräften muss, zeugt von der Sonderstellung, den das iranische Atomprogramm
darstellt–dieseForderungwirdschließlichnurdemIrangestelltundkeinemanderen
Staat,dertheoretischeinenukleareWaffenkapazitäterreichenkönnte.
WirkweisevonZwangsmaßnahmenÜber den gesamten untersuchten Diskurszeitraum hinweg wurde von Seiten der
VereinigtenStaatengegendenIrangerichteteZwangsmaßnahmeninstalliert.Mitdiesen
sind Überzeugungen und Deutungsmuster verbunden, die sich einerseits auf deren
Effektivität,andererseitsaufdenmitdiesenverbundenenSinnbeziehen.Hierbeibesteht
eine Kontinuität in der Überzeugung, dass eine Implementierung verschiedenartiger
Sanktionsoptionen den Iran zur nuklearpolitischen Umkehr bringen kann. Allerdings
bestehenzwischendenanalysiertenRegierungsperiodenleichteSchwankungen.30
Die Clinton-Administration übersetze ihr Bedürfnis eines Politikwechsels im Iran in
Sanktionen,welchealszentralenAnsatzpunktdieinternationalenundinsbesonderedie
russischen Hilfestellungen fokussierten, um letztendlich die Versorgung des
Atomprogramms zu unterbinden. Dabei besteht die Überzeugung, dass zur Sicherung
regionalerStabilität–unddamitauchzumSchutzeIsraels–einederartigeAbstrafung
denpositivenEffekteinerVerlangsamungdesnukleartechnischenFortschrittsmitsich
bringt.
“WehavesubstantiallyconstrainedthetypesandquantitiesofconventionalmilitaryequipmentIranisabletoobtain.AndwehaveslowedIran'sacquisitionofWMD(weaponsofmassdestruction)anddelivery systems. […]. Iran has lacked the technical wherewithal to succeed in producing nuclearweapons.KeytoconstrainingIran'snuclearambitionistodenyitforeigntechnology.”(Barker,JohnP./DeThomas,JosephM.2000,DeputyAssistantSecretariesofState)
29I-K02a-1/II-K02b-3,II-K02b-4/III-K03a-4.30I-K01b-3/II-K02d-1/III-K03a-3.
4Analyse
52
Der hier erzeugte politische Druck deutet auf das Deutungsmuster, dass eine
nukleartechnologische Isolierung des Iran bereits eine effiziente Vorgehensweise
darstellt,undinderFolgeweitreichendereSanktionenvorerstnichtnotwendigseien.
DieUS-FührungunterGeorgeW.BushverfolgtedieseStrategieweiterundübernahm
somitauchdasgrundlegendeDeutungsmuster.EsbestandweiterhindieÜberzeugung,
dass ein Abschneiden des Iran vom internationalen Wissensbestand den zentralen
Ausgangspunkt fürdieDruckausübungbildet.DamitwardieÜberzeugungverbunden,
ersteKonsequenzenfürdenIranzudemonstrierenunddasbestehendeAtomprogramm
signifikant zu bremsen. Abweichend von der vorangegangenen Administration
charakterisiert sich diese Handlungsweise durch eine auffallende Rigorosität, was
wiederumdieBush-Doktrinerkennenlässt:
“Ourperspectiveonsanctionsisclearandsimple.Companiesaroundtheworldhaveachoice:tradeinWMDmaterialswithproliferators,ortradewiththeUnitedStates,butnotboth.Wherenationalcontrols fail, and when companies make the wrong choice, there will be consequences. U.S. lawrequiresitandwearecommittedtoenforcingtheselawstotheirfullestextent.”(Bolton,JohnR.2003a,UnderSecretaryforArmsControlandInternationalSecurity)
Hinzu tritt auchdieÜberzeugung,dass insbesonderedie indieserPhaseeingeleiteten
fünfUN-ResolutioneneinbesonderseffektivesZwangsmitteldarstellen.Hierzeigtsich
schließlich auch das Deutungsmuster, dass der internationale Druck den Iran in
enormerWeiselähmtundsomitPotentialbesitzt,eineUmkehrinderNuklearpolitikzu
forcieren.
Die Obama-Administration führte hierbei abweichende Deutungsmuster und damit
verbundeneHandlungsorientierungenein.Noch immerbestehtdieÜberzeugung,dass
eine Verlangsamung des Atomprogramms durch Zwangsmaßnahmen erreichtwerden
kann.Allerdingsstehennunnichtmehrdie internationalenZuliefererallein imFokus;
die Sanktionenweiten sich auf nahezu die gesamte ökonomische Dimension aus. Mit
einschneidendenundlähmendenAbstrafungendespetrochemischenSektorssowiedem
gesamten iranischen Banksystemwird die Überzeugung verbunden, die Finanzierung
der potentiellen Nuklearwaffenentwicklung zu gefährden. Die durch US- sowie
internationale Sanktionen ausgelösten Profitverluste der Öl-Industrie und die
Beschneidung internationaler Bankgeschäfte soll dem Atomprogramm die Mittel
entziehen. Auf diese Weise zeigt sich das Deutungsmuster, dass die bloße
4Analyse
53
Sanktionierung von ausländischer Hilfe nicht mehr länger zielführend ist und somit
ausgeweitetwerdenmusste.
„In short,with these sanctions – along with others –we are striking at the heart of the Iraniangovernment’s ability to fund and develop its nuclear program. We’re showing the Iraniangovernment that its actions have consequences. And if it persists, the pressure will continue tomount,anditsisolationwillcontinuetodeepen.Thereshouldbenodoubt—-theUnitedStatesandtheinternationalcommunityaredeterminedtopreventIranfromacquiringnuclearweapons.“(Obama,Barack2010a)
Es konnte ebenso rekonstruiert werden, dass von Seiten der Vereinigten Staatenmit
dieserHandlungeineNebenfolgebeabsichtigtwird.DerzunehmendeHandlungsdruck
aufden IransollGesprächs-undVerhandlungsbereitschaftprovozieren.DerStrategie-
undÜberzeugungswandel deutet letztendlich auf dasDeutungsmuster, dass einerseits
demIraninihrerIntensitätsteigendeKonsequenzenentgegengehaltenwerdenmüssen
umdenDialogzusichern,undandererseitsaufdieSichtweiseeineserhöhtenBedarfs
vonZwangsmaßnahmenzurEinschränkungdernuklearenAmbitionenTeherans.
4.2.4DasiranischeRegimeunddieRollederZivilbevölkerungDieoffiziellenSprechaktederUS-amerikanischenRegierungbeziehensichhäufigaufdie
innenpolitische Situation in der Islamischen Republik Iran. Hierbei weisen die
Deutungsmuster auf eine strikte Trennung der Beurteilung hin, da in einem
zunehmendenMaßediepolitischeFührung losgelöstvom iranischenVolkbegutachtet
wird.DieseBetrachtungsweiseführtschließlichzustarkabweichendenÜberzeugungen
bezüglichderRegierungbzw.derZivilbevölkerung.
UnrechtmäßigkeitderiranischenFührungSeit der Islamischen Revolution 1979 besteht zwischen dem Iran und den USA keine
durch Botschaften institutionalisierte Diplomatie. Die Vereinigten Staaten betrachten
dienachdemSturzdesShahinstallierteiranischeFührung–nichtzuletztauchaufgrund
der Geiselnahme in der US-Botschaft – nicht als rechtmäßigen Vertreter (Katzmann
2012: 57). Dieser Zustand basiert auf Überzeugungen gegenüber den politischen
Entscheidungsträgern im Iran, welche sich im Grunde seit über dreißig Jahren nicht
4Analyse
54
veränderthaben.DennochkonntedieRekonstruktionteilswichtigeNuanceninderUS-
HaltungzuriranischenRegierungidentifizieren.31
Eine Analyse offizieller Äußerungen der Regierung Clinton bestätigt die Vermutung
eines fortdauernden Deutungsmusters für den benannten Diskursabschnitt. Die
Vereinigten Staaten sind zu diesem Zeitpunkt davon überzeugt, dass die politische
FührungimIranzuUnrechtdieMachtinnehatsowievondieserauffragwürdigeWeise
Gebrauchmacht.IndieserHinsichtgerateneinerseitsfehlendedemokratischeElemente
sowie andererseits mangelnde sozio-ökonomische und kulturelle Entfaltungs-
möglichkeitendesiranischenVolkesindieKritik.
“Despitethetrendtowardsdemocracy,controloverthemilitary,judiciary,courtsandpoliceremainsinunelectedhands(...).”(Albright,MadeleineK.2000a)
Das Deutungsmuster fokussiert in der perspektivischen Betrachtung des Iran sowohl
Demokratie-alsauchMenschenrechtsaspekte.Gleichzeitiglässtsicheineoptimistische
Haltung wahrnehmen, durch welche eine Hoffnung auf bessere innenpolitische
Verhältnissekenntlichgemachtwird.
DieRegierungBushlegtedagegenwenigOptimismusandenTag,dasDeutungsmuster
eines illegitimen, destruktivenundkorruptenRegimes gewinnt dagegen an Fahrt.Die
VereinigtenStaatensindzudieserZeitdavonüberzeugt,dasssichdiepolitischeSpitze
desIranausdenwortwörtlichen„Schurken“konstituiert,diesichauchinderRhetorik
derUSAwiederfinden.InRelationzudenuntersuchtenAussagenderClinton-Äraweist
dieseÜberzeugungnunungleichmehrIntensitätaufundverschärftsichgleichzeitigim
Ton.
“Today,Iranisruledbymenwhosuppresslibertyathomeandspreadterroracrosstheworld.Poweris in the hands of an unelected few who have retained power through an electoral process thatignoresthebasicrequirementsofdemocracy.“(Bush,GeorgeW.2005)
IneinemdeutlichenundextensivenMaßewirdandemiranischenSystemKritikgeübt.
Ähnlich wie in der vorangegangenen Regierungsperiode wird dabei sowohl die
generelle demokratische Prägung wie auch die Nichtbeachtung von Rechten der
31I-K03f-2/II-K02c-1/III-K01d.
4Analyse
55
iranischen Bürger bemängelt, allerdings mit besonderer Emphasis auf dem Aspekt
fehlenderdemokratischerElemente.
Die Obama-Administration weicht hiervon ab. Während das grundlegende
Deutungsmuster eines unrechtmäßig gelenkten und ungerecht agierenden Iran
fortbesteht wird der Diskurs diesbezüglich nahezu ausschließlich von bürger- und
menschenrechtlichenAspektengeprägt.
„If the Iranian government seeks the respect of the international community, it must respect thedignityofitsownpeopleandgovernthroughconsent,notcoercion.“(Obama,Barack2009b)
Im Gegensatz zu vorangeschrittenen Administrationen nehmen diese Bedenken
gegenüber einer Unterdrückung des iranischen Volkes die Gesamtheit des
Deutungsmustersein.
Die dargelegten Überzeugungen hinsichtlich der iranischen Regierung stehen für die
USAineinemdeutlichenBezugzumAtomkonflikt.DieWahrnehmungeinerpolitischen
Elite,diesichausnichtgewählten,konservativenHardlinernmitwenigRespektfürdas
eigene Volk zusammensetzt, rechtfertigt schließlich die Diagnose eines destruktiven
KursesdesIran:Diesevoninnenausgelöste,abernichtdurchdasVolklegitimiertesture
HaltunggegenüberdemAtomprogrammresultiertausdemWirkenwenigerMächtiger
und bildet den Kern des Problems. Die Vereinigten Staaten verfolgen demnach die
Überzeugung, dass die Dauer des Konfliktes durch die Beständigkeit der iranischen
Führung bestimmt wird, da dieser nur wenig Kompromissbereitschaft zugerechnet
wird. Insofern kann spekuliert werden, dass ein Regimewechsel aus amerikanischer
Sicht eine Beilegung des Konflikts beschleunigen sowie bilaterale Diplomatie wieder
auflebenlassenkönnte.
ZivilbevölkerungmitdemokratischenInteressenImGegensatzzurSichtaufdieRegierungdesIranbetrachtendieVereinigtenStaatendie
Zivilbevölkerung ineinemdeutlichpositiveremLicht:EsbestehtdieÜberzeugungder
USA, dass sich die Interessen der iranischen Zivilbevölkerung nicht mit denen der
ungeliebten Regierung decken. 32 Die Analyse brachte hierbei ein beständiges
32I-K03f-1/II-K02c-2/III-K01b,III-K01c-2.
4Analyse
56
Deutungsmusterhervor,welchesinallendreiPhasenpräsentist.Dennochfandensich
feineUnterschiedezwischendenuntersuchtenAdministrationen.
Die politische Führung der USAwährend der Clinton-Präsidentschaft wies die starke
Überzeugung auf, dass eine wahre Demokratisierungswelle über das iranische Volk
rolle.HierbeibestehtdasDeutungsmuster,dassdieZivilbevölkerungvoninnenheraus
ein Verlangen nachmehr Rechtstaatlichkeit und Partizipation entwickelt und folglich
auf konstruktive Art und Weise Systemkritik äußert. Ebenso wird ein globalisiertes
Bewusstsein diagnostiziert, was einem auf der Weltbühne isolierten Iran vehement
entgegensteht.
„(...) [T]he Iranian people have demonstrated a powerful desire for greater participation in theirgovernance, freedom from undue interference by the state in their private affairs, and greateropennessandcontactwiththeoutsideworld.“(Indyk,MartinS.1999,AssistantSecretaryforNearEastAsianAffairs)
DieUS-Führungzeigtsichdabei jedochnichtausschließlicheuphorisch,sondernweist
auf bestehende Hindernisse wie den Generationenkonflikt und eine noch immer
autoritäreHaltungdesRegimeshin.
DerRegierungswechsel in denVereinigten Staaten fügte diesbezüglichneueElemente
hinzu.Die Stigmatisierungdes Iran imZugederEtablierung einer „axis of evil“ (Bush
2002) resultierte gleichzeitig in einer Rechtfertigung vor der iranischen
Zivilbevölkerung, um jegliche negative Rhetorik und Handlungen auf die Regierung
bezogen verstanden zu wissen. Das Deutungsmuster der vom iranischen Regime
geplagten Bürger äußerte sich auch in der Handlungsweise, diese von der Regierung
getrennt anzusprechen und beizustehen. Die Bush-Administration sah eine aktive
Bedrohung der Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten iranischer Bürger durch deren
FührungundsichertediesbezüglichUnterstützungzu.
“AmericabelievesintheindependenceandterritorialintegrityofIran.AmericabelievesintherightoftheIranianpeopletomaketheirowndecisionsanddeterminetheirownfuture.Americabelievesthatfreedomisthebirthrightanddeepdesireofeveryhumansoul.AndtotheIranianpeople,Isay:Asyoustandforyourownliberty,thepeopleofAmericastandwithyou.”(Bush,GeorgeW.2005)
Erkennbarwird auch einApell an diejenigen im Iran,welche nichtmit demKurs der
offizielleniranischenEntscheidungsträgerübereinstimmen.Diesen„Vernünftigen“wird
letztendlich nahe gelegt, sich kritisch gegenüber dem System zu äußern. Das
4Analyse
57
Deutungsmuster hierbei wird gebildet von der Überzeugung, dass eine geeinte
systemkritische Bevölkerung die außenpolitische Ausrichtung des Iran zum Besseren
ändern kannund auch sollte.DasBedürfnis derUSAnach einemdemWesten positiv
gestimmten Iranüberträgt sich hierbei auf das iranischeVolk,welchemman zu einer
besserenPerspektiveimwestlichenSinneverhelfenmöchte.Letztendlichdeutetdasauf
dieHoffnungeinespolitischenUmsturzesvoninnenheraushin,umdenKonfliktbesser
bearbeitenzukönnen.Indikatorhierfür istauchdas intensiveEngagementder„Public
Diplomacy“33, welche bereits im Irak zum Einsatz kam und unter Bush auch im Iran
angewandtwurde(Bussemer2003:21).KonkretwerdenhiervorOrtgezielteVersuche
einer„Aufklärung“deriranischenBürgervorgenommen,diedurchausauchals(Gegen-)
Propagandaaufgefasstwerdenkönnen:
„WhileskepticismabouttheIranianregime'sreactiontointernationalincentivesisalmostalwaysasafebet,weareworkingwithourP5+1partnersinanintensepublicdiplomacycampaigntoexplainwhat we're offering directly to the Iranian people, as well as to others in the internationalcommunity,likeleadingmembersoftheNonalignedMovement,whomightalsohelpdrivehometheadvantages of cooperation.Wewant the Iranian people to see clearly how serious we are aboutreconciliationandhelpingthemtodeveloptheirfullpotential-butalsowho'sresponsibleforIran'sisolation.”(Burns,NicholasR.2008,UnderSecretaryforPoliticalAffairs)
DerartigesEngagementlöstvielschichtigeInterpretationsansätzeaus.Einerseitslässtes
zu,dieÜberzeugungderUSAhinsichtlichderNotwendigkeiteinerWahrungiranischer
Souveränität zu evaluieren.Angesichts einer ohnehin als unrechtmäßig begutachteten
politischenFührungdrängtsichderVerdachtauf,dassdieSouveränitätnachinnenfür
die Vereinigten Staaten kein unüberwindbares Hindernis darstellte. Andererseits
bestärkt es den Iran in seiner Wahrnehmung, einen von außen angestoßenen
Umsturzversuchzuerwartenunddementgegenkommenzumüssen(Bock2012:6).Als
würden diese Interpretationsansätze antizipiert, wird von der Regierung Obama im
KontextderAusschreitungenundProtestewährendderWahlen imIran2009 jegliche
BeteiligungzurückgewiesenundeinePolitikderNichteinmischungdeklariert.
33„StrategischeEinflusskommunikationwirdunterdemTitel„PublicDiplomacy“geplantunddurchgeführt.Darunter lässt sich eineMischung aus Auslandspropaganda, politischemMarketing und Kulturdiplomatieverstehen.“(Bussemer2003:21).
4Analyse
58
“Firstofall, let'sunderstandthatthisnotionthatsomehowthesehundredsof thousandsofpeoplewhoarepouringintothestreetsinIranaresomehowrespondingtotheWestortheUnitedStates,that'sanolddistractionthat I thinkhasbeentrottedoutperiodically.Andthat's justnotgoingtofly.”(Obama,Barack2009a)
DennochbleibtdieUnterstützungderBevölkerunginihremStrebennachmehrRechten
als Überzeugung erhalten. Die iranische Bevölkerung ist aus Sicht der Vereinigten
StaateninderLage,diegewünschtenÄnderungenselbstzufordernunddurchzusetzen.
DieamerikanischenDeutungsmusterhinsichtlichderZivilbevölkerungstehendabei in
einem andauernden Bezug zur Debatte um die nuklearen Ambitionen des Iran.
Vorangehend wurde die Abneigung der USA gegenüber der iranischen Führung
verdeutlicht.Diegegenpolige,deutlichpositiveEinschätzungderZivilbevölkerungpocht
letztlichaufdasDeutungsmuster,dasseinAbweichendesIranvonderEntwicklungder
Atomwaffe durch innenpolitischen Druck erreicht werden kann. Vor diesem
HintergrundstehendieBemühungenhoch imKurs,diekritischenStimmen im Iran in
dieglobaleÖffentlichkeitzurückenundzuunterstützen.Eskannsospekuliertwerden,
dass ein von innen heraus stattfindender Systemwechsel die Alternative zu einer
diplomatischenodermilitärischenKonfliktlösungbildet.DiestockendenVerhandlungen
auf internationaler Ebene sowie die wenig erfolgsversprechende Militäroption
unterstreichtdieseLesart(Vgl.Akbari2006,Bock2012).
4.3DispositivstrukturenDas dritte Element der Fragestellung zielt auf die Art undWeise derObjektivierung,
welchederDiskursdurchlaufenhat.Essolldaherrekonstruiertwerden,inwieferneine
Vergegenständlichung des Diskurses – im Sinne greifbarer Veränderungen seiner
Umwelt–stattgefundenhat.
WährendimvorangegangenenAbschnittdieRekonstruktionderDeutungsmusternach
den Leitlinien der Grounded Theory verfolgt wurde betritt man nun mit der
Dispositivforschung in methodischer Hinsicht unerschlossenes Terrain. Dispositive
stellen zwar elementare Bestandteile des Diskurses dar, doch deren Rekonstruktion
kannletztlichnichtmitdenInstrumentenderDiskursanalyseerfolgen.Eswurdebereits
darauf hingewiesen, dass nach Foucault die „Möglichkeit [...] relativunabhängigerund
eigendynamischer Entwicklungen von Diskurs und Praxis“ besteht (Keller 2011: 73).
InsofernbleibtesdemForschendenüberlassen,einenZusammenhangzwischenDiskurs
4Analyse
59
undDispositivhervorzuhebensowiedieVerbindungnachzuweisen.ImFolgendenwird
somit das Ziel verfolgt, intersubjektiv verständlich auf bestehende Dispositive
aufmerksam zu machen sowie diese empirisch zu begründen. Die weiteren
Ausführungen strukturieren sich anhand drei Dimensionen, nach welchen die
Dispositive dieses Diskurses kategorisiert werden können: dem Wirtschafts- und
Finanzsektor, der internationalen Diplomatie sowie der Struktur staatlicher
Institutionen.34
ÖkonomischeDispositiveDie ökonomische Dimension eines Dispositivs erschließt sich vornehmlich durch den
gesellschaftlichenWirkungsbereich,inwelchemessichbewegt.BereitsimKapitelzum
theoretischenundmethodischenRahmenwurdedietransnationalinstallierteSanktion
als Beispiel angeführt. Diese Form der Zwangsmaßnahme greift nahezu immer in
ökonomische Strukturen wie den Handel oder den Finanzsektor ein und verbindet
damitdirektdasZielnegativerwirtschaftlicherFolgen,
„dieentwederTeilederBevölkerungoderbestimmtebetroffeneGruppierungendazubewegen,aufdie herrschenden Eliten Druck auszuüben, damit diese ihrerseits ihr Verhalten im Sinne dersanktionierendenStaatenändern.“(Kubbig2007:3).
Mit dieser gegebenenMotivation hinsichtlich Zwangsmaßnahmen qualifiziert sich das
politische Instrument der Sanktion deutlich als Dispositiv mit vornehmlich
ökonomischer Prägung. Konkret auf den Iran-Konflikt angewandt liefert der Diskurs
über das iranische Atomprogramm den grundlegenden Anstoß für die Anwendung
derartiger Maßnahmen, da hiermit als potentiell gefährlich eingestuftes Verhalten in
eine andere Richtung gelenkt werden soll. Hierbei materialisieren sich die
Überzeugungen eines gefährlichen Iran und der damit verbundenen
Handlungsnotwendigkeit in Form einer rechtlichen Regulierung, die sich durch ihre
BefolgungineineBegrenzungverschiedensterHandlungsspielräumeübersetzt.Bereits
34Da jegliche Diskursobjektivierung, wie sie in diesem Rahmen beschrieben wird, sich auf derweltpolitischen Ebene abspielt, sind im Grunde alle Dispositive durch die grundsätzliche Beteiligungstaatlicher Instanzen und transnationaler Interaktionen diplomatisch bzw. institutionell konnotiert.Dennoch scheint eine Unterscheidung hilfreich, indem der hauptsächliche Rahmen zur Differenzierungherangezogenwird.
4Analyse
60
imvorangegangenenKapitelwurdedaraufverwiesen,dassdieVereinigtenStaatenzur
Durchsetzung der Nichtverbreitung von Atomwaffen wirtschaftliche Sanktionen als
effizienteMittelbegreifen.DerBezugzumDiskursoffenbartsichdabeinachweisbarin
der begleitenden Erklärung bzw. der Bezeichnung.35Dieses Dispositiv weist eine
enormeKontinuitätauf. JedeAdministrationdieTeildes indieserArbeitbetrachteten
Diskursabschnitts ist installierte Sanktionen, wenn auch in unterschiedlichem Maße.
DabeikanneinegenerelleZunahmeder„Härte“attestiertwerden:
“ThisAdministration imposed sanctions 34 times last year, andhas already imposed12 sanctionsthisyear,withadozenmoreinprogressonwhichwewillsoonbeconsultingCongress.ComparethatwiththeaveragenumberofsanctionspassedperyearduringthelastAdministration-8-andyouwillseethatthisAdministrationisveryseriousaboutusingsanctionsasanonproliferationtool.”(Bolton,JohnR.2003a,UnderSecretaryforArmsControlandInternationalSecurity)
“Andtoday,we’retakinganotherstep-astepthatdemonstratesthebroadandbipartisansupportforholdingIranaccountable.I’mpleasedtosignintolawthetoughestsanctionsagainstIraneverpassed by the United States Congress - the Comprehensive Iran Sanctions, Accountability, andDivestmentAct.”(Barack,Obama2010a)
Maßnahmen,welche in dieser Form verabschiedetwerden, unterlaufen zudem einem
wiederkehrenden Prozess in welchem periodische Verlängerungen dieser
Zwangsausübung formalisiert und begründet werden müssen. Ein weiteres
ökonomischesDispositiv,welchessichvonderSanktionabgrenzenlässt,bildetder„Iran
FreedomandSupportAct“(IFSA),welcher2006unterderAdministrationvonGeorgeW.
Bush installiertwurde. Neben sanktionierendenMaßnahmen tritt in demGesetz eine
neue Komponente auf, namentlich unter „Assistance to support democracy for Iran“
geführt(IFSA2006).Hierbeiwirdgebilligt,dassdieVereinigtenStaatenfinanzielleHilfe
für Individuen im Iran leisten können, welche sich für einen demokratischeren,
atomwaffenfreien Staat einsetzen und sich gegen Terrorismus aussprechen.36Eswird
demnach gezielt die Opposition mit US-Geldern handlungsfähiger gemacht und die
Regierung durch Sanktionen geschwächt. Der real stattfindende, durch Sprechakte
angestoßeneProzessfinanziellerUmschichtungenundEinschränkungenkannalseines
35ProminenteBeispiele sindder „IranNonproliferationAct“ unterClinton im Jahr2000, oderder „IranSanctions,AccountabilityandDivestmentAct“unterObama2010.IndieserHinsichtwurdeeinegroßeZahlweitererSanktionspaketeverabschiedet.36Vgl.hierauchdie„PublicDiplomacy“inKapitel4.2.4.
4Analyse
61
der dominantesten Dispositive betrachtetwerden, da es sich sehr beständig hält und
schließlichnichtaufdieVereinigtenStaatenbeschränktist–mandenkenurandasÖl-
EmbargoderEuropäischenUnion,welchesimJulidiesenJahresinKrafttritt.37
DiplomatischeDispositiveDispositive der diplomatischen Sphäre zeigen sich äußerst vielfältig und lassen sich
zudem gut zum Diskurs über das iranische Atomprogramm in Bezug setzen. Die
bilateralen Zerwürfnisse zwischen Washington und Teheran führten seit der
Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft 1979 zu der Aufhebung der jeweiligen
VertretungenunddamitzueinerNichtexistenzformalerzwischenstaatlicherDiplomatie
seit 1980 (Katzmann 2012: 57). Hierbei stellt die Abwesenheit einer ansonsten
selbstverständlichen Institution bereits ein Dispositiv dar, da seitens der Vereinigten
StaatendieWiederaufnahmevonDiplomatie imtraditionellenSinnedieVorbedingung
einer Befolgung internationaler Forderungen hinsichtlich des iranischen
Atomprogrammeinschließt(Katzmann2012:58f).
DochauchabseitsformalisierterBeziehungenoffenbarensichDispositive.InFormvon
Gipfeltreffen manifestiert sich der Diskurs in real stattfindenden, internationalen
Gesprächen,welchedenKonfliktbzw.denDiskursalsUrsprunghabenundgleichzeitig
insichneueAusgangspunktefürdenweiteren,regierungsamtlichenDiskursgenerieren:
“Today,inGeneva,theUnitedStates-alongwithourfellowpermanentmembersoftheUNSecurityCouncil-namely,Russia,China,FranceandtheUnitedKingdom,aswellasGermany-heldtalkswiththeIslamicRepublicofIran.Thesemeetingscameafterseveralmonthsofintensediplomaticeffort.Upontakingoffice,ImadeitclearthattheUnitedStateswaspreparedtojoinourP5-plus-1partnersasafullparticipantintalkswithIran.IextendedtheofferofmeaningfulengagementtotheIraniangovernment. I committed the United States to a comprehensive effort to strengthen the NuclearNon-ProliferationTreaty,sothatallnationshavetherighttopeacefulnuclearpower-providedthattheyliveuptotheirinternationalobligations.”(Obama,Barack2009d)
DasGipfeltreffenderpermanentenMitgliederdes Sicherheitsrates sowiedem Iran im
Jahr2009stehthierfürbeispielhaftund fußtaufamerikanischenDeutungsmusternzu
37Spiegel Online, 21.1.2012: „EU beschließt hartes Öl-Embargo gegen Iran“, zuletzt abgerufen am16.6.2012 unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/sanktionen-eu-beschliesst-hartes-oelembargo-gegen-iran-a-810732.html.
4Analyse
62
dieserZeit:derÜberzeugungeinerEffizienzdiplomatischerundverhandlungsbasierter
ProblembearbeitungsowieinternationalerBeteiligung.
AuchinkleinerenMaßstäbenlässtsichdasZusammentreffenvonRegierungsvertretern
als Dispositiv dieses Diskurses identifizieren. Die Deutungsmuster der Vereinigten
Staaten bezüglich Israel objektivieren sich ebenfalls in bilateralen und
öffentlichkeitswirksam inszenierten Gesprächen, in welchen der Iran-Konflikt
thematisiertwird.
And finally, the Prime Minister and I shared our concerns about the Iranian regime's nuclearweapons ambitions. The United States and the international community havemade our commonpositionclear:We'redeterminedthattheIranianregimemustnotgainnuclearweapons.(Bush,GeorgeW.2006)
Darüberhinaus konnte einweiteresDispositiv rekonstruiertwerden,welches sich im
diplomatischenRahmenverortenlässt.DieAuseinandersetzungmitdemDatenmaterial
offenbarte eine Tradition hoher regierungsamtlicher Vertreter in den Vereinigten
Staaten, das traditionelle iranische Neujahrsfest „Nowruz“ in Ansprachen, Interviews
oder Presseerklärungen zu thematisieren. Hierbei werden Grüße und Wünsche an
diejenigen ausgesprochen, welche das Fest begehen, sowie stellenweise auch die
innenpolitische Lage im Iran reflektiert. Diskursbezüge finden sich hierbei in der oft
geübten Kritik an der Regierung, hauptsächlich jedoch anhand der parallelen
EntwicklungzumKursderUSA imKonflikt.Diese traditionell geäußertenBotschaften
richtensichnachgegenwärtigemStandderRechercheseit2001primärandieiranische
Zivilbevölkerung und durchliefen verschiedene, mit den sich wandelnden
Deutungsmustern vergleichbare Veränderungen. Die wachsende Rolle der iranischen
Zivilbevölkerung für die amerikanische Perspektive, die im vorangegangenen Kapitel
aufgezeigtwurde,verdeutlichtdies.
ZumeinenwurdedieThematisierungdes „Nowruz“-BrauchsseitensderUS-Regierung
unterClintonnicht,währendBushundObamaaberkontinuierlichvorgenommen.Eine
verstärkteHinwendungzurZivilbevölkerungimRahmendesIran-Konflikts fandunter
diesenbeidenRegierungsperiodenebensostatt.ZumanderenwirddieÜbertragungder
Grußworteineinemimmeröffentlicheren,medialinszeniertenundmehrzugänglichem
Wege gestaltet. So äußerte sich Bush teils nur mit zwei Sätzen in einem Interview,
währendunterObamastetigmehrWertdaraufgelegtewurde,dieseAnspracheandas
iranischeVolkzutragen.ImMärzdiesenJahresgeschahdiesmitVideobotschaften,die
4Analyse
63
mitpersischemUntertitelundTranskripten imInternetveröffentlichtwurdenundauf
dieseWeiseauchschnellvoniranischenMedienpubliziertwerdenkonnten.38Diestetig
wachsende Kontaktaufnahme in einem sich zuspitzenden Konflikt spricht für eine
deutlicheHandlungmitDiskursbezug,mitwelcherdiejeweiligenDeutungsmusterindie
Praxisübersetztwerden.
InstitutionelleDispositiveDie vielfältigen Institutionen der Vereinigten Staaten bieten eine weitere Basis für
DispositivediesesDiskurses.Dabeistehenkonkretdie internenVeränderungendieser
EinrichtungenimFokus,solltesicheinDiskursbezugfeststellenlassen.Allerdingsmuss
hierbei ein weit gefasstes Institutionsverständnis angewandt werden, um die
identifiziertenObjektivierungenhierunterzuordnen.Betroffensindschließlichalleals
staatlichverstandeneEinrichtungenderVereinigtenStaateninnerhalbsowieaußerhalb
derLandesgrenzen.
Die vielleicht beispielhafteste, diskursbezogene und objektivierteWandlung innerhalb
derUS-amerikanischenVerwaltungsstrukturunternahmCondoleezzaRiceimJahr2005.
ZuBeginnderzweitenAmtszeitvonPräsidentGeorgeW.BushübernahmsievonColin
PowelldashöchsteAmtimAußenministerium.
“AndwhenSecretaryRicearrivedattheStateDepartmentalittleoverayearago,shewasfocusedon the question of Iran, and she lookedaroundand said, "Well,where aremy troops?What'smyapparatus in this department?"And it turned out that therewere exactly twopeople focusing onIran full time a year ago today in theDepartment of State. Secretary Rice said, "We've got to dosomethingaboutthat."Andsowehavenow[created]anIrandeskthatisadesktoitsown,thatisfundamentallyandsolelyresponsibleforfollowingeventsinthatcountryandbeingintelligentandsophisticatedininterpretingeventsinthatcountry.”(Burns,NicholasR.2006,UnderSecretaryforPoliticalAffairs)
DieseAnekdoteweistschließlicheindeutlichesDispositivhin.MitdemIran-Konfliktals
grundlegendeundhandlungsleitendeMotivationstockteRicedasPersonalauf,welches
sichwiederummitdemIranunddessenWechselwirkungmitdenUSAbeschäftigt.Diese
institutionelle Umschichtung von Personal und letztlich auch Geldern spiegelt die
steigendeBedeutungwieder,welcheder islamischenRepublikzugeordnetwurde.Das
38TheWhiteHouseBlog, 20.3.2012: „OnNowruz,PresidentObamaSpeakstotheIranianPeople“, zuletztabgerufen am 19.6.12 unter http://www.whitehouse.gov/blog/2012/03/20/nowruz-president-obama-speaks-iranian-people.
4Analyse
64
voranstehende Zitat verweist hierbei auf eine einzelne Personalaufstockung, es kann
jedochgemutmaßtwerdendassdiesbereitsanmehrerenStellenundauchzuanderen
Zeitpunktenähnlichablief.InsofernistesnichtzwingendalsDispositivderBush-Ärazu
werten.JedochistdiesbezüglichdieDatengrundlagesehrdünnundderDiskursbezugan
anderenStellenbestenfallsmäßig.
Währenddie Präsenz derVereinigten Staaten imNahenundMittlerenOsten in Form
von Militärbasen rund um den Iran ein besonders augenscheinliches Dispositiv
darzustellenscheint,inwelchemsichdieBedrohungswahrnehmungineinemilitärische
Bereitschaftzuübersetzenanmutet,mussdiesrelativiertwerden.DiegenerelleExistenz
vonUS-Stützpunkten verweist auf eine enormeVielzahl von Interessen undGründen,
unterwelchensichmitBestimmtheitderIranunddessenAtomprogrammwiederfinden
lässt.JedochbrauchendieseBasendeneindeutigenDiskursbezug,umhieralsDispositiv
gelten zu können. Schreer (2005) verweist in seinen Ausführungen hinsichtlich der
Neustrukturierung US-amerikanischer Auslandsstützpunkte während der Regierung
BushaufdenIranalseinemöglicheMotivationfürpermanenteStützpunkte:
„Präsident Bush hat den Irak als zentrale Front im Krieg gegen den Terror im Mittleren Ostenbezeichnet.EinemilitärischePräsenzzurVerteidigungdieser„Front“dürftedabeiimKalkülderUS-Regierung eine nicht ungewichtige (sic!) Rolle spielen. So könnten Einrichtungen im Norden undWestendesIrakgenutztwerden,umetwadiebrüchigeGrenzezuSyrienundIranzusichern.AuchdieMöglichkeiteinermilitärischenEskalationmitdemIransprichtfürdieErrichtungpermanenterStützpunkte.“(Schreer2005:15)
Während jede direkt gegen den Iran gerichtetemilitärischeHandlung39potentiell ein
Dispositivdarstellenwürde,kanndiebloßeExistenzbzw.Durchführungnochnichtmit
GewissheitdiesesEtikettfürsichbeanspruchen.
39Der Stuxnet-Virus, welcher 2010 Anlagen im Iran befiel und die Urananreicherung temporärverlangsamte, qualifiziert sich theoretisch als Intervention. Die gegenwärtigen Vermutungen einesgezieltenEinsatzesmitBeteiligungderamerikanischenRegierungwürdendamitStuxnetzueinemenormgewichtigenDispositiv des Atomdiskurses heben. Auch derDrohneneinsatz im iranischenGrenzgebietwürde sich als Dispositiv qualifizieren, sollte sich der Bezug zum Atomdiskurs z.B. im Sinne einesAufklärungsflugeshinsichtlichversteckternuklearerAnlageneindeutigfeststellenlassen.
5Fazit
65
5FazitMit diesem letzten Kapitel sollen die Ergebnisse der Analyse zusammengefasst und
somit die Fragestellung beantwortet werden. In knapper Form werden somit die
zentralenDeutungsmusterundDispositivewiedergegebenundbewertet.Abschließend
werden imSchlusswortdie ImplikationendieserArbeitdiskutiert sowieaufderBasis
derInterpretationenversucht,PrognosenhinsichtlichdesfortwährendenKonflikteszu
bilden.
5.1ZusammenfassungundBeantwortungderFragestellungMit dem Foucault’schen Diskursverständnis und der Wissenstheorie nach
Berger/Luckmann als theoretische Fundierung entstand in dieser Arbeit eine
Diskursanalyse, in welcher die Perspektive der Vereinigten Staaten auf den
AtomkonfliktmitdemIranfürdiezurückliegendendreizehnJahrerekonstruiertwurde.
DabeiwurdenmitAnwendungderGroundedTheorydiezentralenDeutungsmusterder
amerikanischen Regierung interpretativ erschlossen, indem offizielle und öffentliche
Sprechakte einemmethodisch gesicherten, rekonstruktionslogischenDeutungsprozess
unterzogen wurden. Des Weiteren waren die Materialisierungen des Diskurses
GegenstandderBetrachtung.
Die nun folgende zusammengefasste Darstellung der Analyse beinhaltet zwangsweise
diegleichzeitigeBeantwortungderFragestellung:
a) WelcheDeutungsmusterbzw.ÜberzeugungenlassensichimUS-amerikanischen
regierungsamtlichenDiskursüberdenKonfliktumdasiranischeAtomprogramm
rekonstruieren?
b) InwelcherFormhabensicheinzelneDeutungsmusterüberZeitverändert?
c) InwelcherFormhatsichderDiskursobjektiviert?
IneinemerstenSchrittsolldabeidieGesamtheitderrekonstruiertenDeutungsmuster
dargestellt werden. Zeitgleich dazu lässt sich illustrieren, ob die diskutierten
Überzeugungen einem Wandel unterlagen oder sich beständig im Diskurs gehalten
haben. Hiermitwerden die ersten beiden Elemente der Fragestellung beantwortet. In
5Fazit
66
einemzweitenSchrittwerdendieidentifiziertenDispositivekonziseoffengelegt,womit
auchderdritteBestandteilderFragestellungabgedecktwird.
Die im Zuge des interpretativen Prozesses offenbarten Deutungsmuster erfuhren
entweder erhebliche Veränderungen,wiesen nur geringfügigWandel auf oder hielten
sichdurchallePhasenkontinuierlich.Für letzteresbeispielhaft stehtdieÜberzeugung
derVereinigtenStaaten,inderinternationalenProblembearbeitungdesIran-Konfliktes
eine zentrale Position einzunehmen. Die Wahrnehmung, als essenzieller Akteur zu
gelten, konnte für die vergangenen dreizehn Jahre als unverändert attestiert werden.
Auch das Deutungsmuster eines durch die atomaren Ambitionen auf verschiedenen
Ebenen bedrohten Nahen und Mittleren Osten hielt sich ohne gewichtige Nuancen
konstant. Die Mehrheit der im Diskurs identifizierten Überzeugungen verwiesen
dagegen auf beständige Deutungsmuster, die zwischen und während den
RegierungsperiodenSchwankungenunterlagen.ZudiesengehörtedasVerständnisder
USAalsSchutzmachtIsraelszuagieren,verschiedeneDeutungsmusterhinsichtlichder
VerbindungendesIranzumTerrorismussowieÜberzeugungenhinsichtlichbilateraler
und internationaler Zwangsmaßnahmen zur Konfliktbearbeitung. Auch gab es leichte
Abweichungen in der Perspektive auf die Regierung des Iran sowie dessen
Zivilbevölkerung.EbensokonntenauchDeutungsmusterrekonstruiertwerden,welche
über Zeit große Diskrepanzen entwickelten. Es kam im Laufe des untersuchten
ZeitraumeszudeutlichenAbweichungenderamerikanischenPositionierunginHinsicht
auf die Konfliktbeteiligung der Internationalen Gemeinschaft, der strategischen
HerangehensweiseunddenHandlungsoptionendesIran.
Eine Untersuchung des Konflikts auf dessen Objektivierungen lieferte ebenfalls
Ergebnisse.Hierbeikonntenökonomische,diplomatischeundinstitutionelleDispositive
identifiziert werden.40 Vergegenständlichungen des Diskurses auf wirtschaftlicher
EbenestellensichdurchdieZwangsmaßnahmen,SanktionenundEmbargosgegendas
iranische Wirtschaft- und Finanzsystems dar. Auch die mehr oder weniger direkte
finanzielle Unterstützung der regierungskritischen Opposition im Iran seitens der
VereinigtenStaatenfälltindiesesFeld.DesWeiterenfandensichinderdiplomatischen
Sphäre Materialisierungen des Diskurses in Form nicht existenter Botschaften,
40Zur Problematik einer eindeutigenKategorisierung vonDispositiven aus globalpolitischenDiskursensieheKapitel4.3,Fn.34.
5Fazit
67
GipfeltreffenundeinerwachsendenZuwendungzumiranischenVolk.Dieinstitutionelle
Dimension wird gebildet von Umwälzungen in der Verwaltungsstruktur sowie zu
gewissenTeilendurchdiemilitärischePräsenzderUSAinderRegion.
5.2ReflektionundSchlusswortZurückblickend lassensichdieErgebnissedieserAnalyse ineinengenerellenEinklang
mit dem Stand der Forschung bringen. Einige der Befunde können so auch in der
Literatur wiederentdeckt werden. Jedoch konnte die interpretative Vorgehensweise
auchneueDimensionenderThematikerschließenundaufAspektehinweisen,welche
bislang von den Fachpublikationen unerschlossen scheinen - so sind die
Deutungsmuster bezüglich der iranischenHandlungsoptionenbislang kaumvertreten.
Auch bereits beschriebene Motive wurden in ihrer Ausprägung detaillierter und
empirischfundiertausdenDatengeneriert,alsdiesesichinderLiteraturwiederfinden.
DieBetrachtungderErgebnissealsGanzeslässtverschiedeneAnnahmeninHinsichtauf
den Konflikt zu. Die voranstehenden Ausführungen wiesen auf, dass die Vereinigten
Staaten in dem Versuch, die Unstimmigkeiten des iranischen Atomprogramms zu
bearbeiten, bereits eineweite Palette an Instrumenten heranzogen. Die Einbeziehung
der Staatengemeinschaft, derwahrnehmbareWunschnach einemRegimewechsel von
innen heraus, diplomatische Annäherungsversuche, Isolationsstrategien und strenge
Sanktionierungen waren dennoch nicht in der Lage, Eingeständnisse aus Teheran zu
generieren.Nun stellt sichdie Frage,welcheHandlungsoptionen fürdienaheZukunft
noch offen sind bzw. in Betracht gezogen werden. Die zurückliegend inkonsistente
Positionierung der USA gegenüber dem Iran, die zwischen Dialogbereitschaft und
Druckpolitik zu pendeln scheint, macht jegliche Prognose problematisch. Abseits der
offiziellen Kanäle scheint eine Vorgehensweise mit deutlich pragmatischen Zügen an
Fahrt zu gewinnen, wie die neuesten Spekulationen über amerikanisch-israelische
Sabotageversuche verdeutlichen.41Die Wahrscheinlichkeit einer präventiven, alleinig
vonSeitenderVereinigtenStaatenausgeführtenInterventionmitmilitärischenMitteln
41SpiegelOnline,1.6.2012:„ObamasCyber-AngriffaufIransAtomanlagen“,zuletztabgerufenam14.6.12.unter http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/usa-und-israel-sollen-stuxnet-virus-gegen-iran-entwickelt-haben-a-836401.html.
5Fazit
68
kann jedoch zumindest unter Barack Obama als eher gering eingestuft werden. Der
generelleUmgangderVereinigtenStaatenmitdemschwelendenKonfliktverweistauf
die Wahrnehmung einer zentralen Position in der Weltordnung. Die Auffassung, als
zentraler Akteur in der Problembearbeitung zu agieren, verdeutlicht an einem
gewichtigenBeispieldie SelbsteinschätzungderUSA.HierbeiwirdderEindruckeines
Bedürfnisses nach anhaltender Einflussnahme und Interessensicherung generiert,
welches mit Bestimmtheit auf der Weltbühne zum Vorschein kommt, jedoch immer
wiederdurchstrategischeNeuausrichtungeninseinenMittelnangepasstwird.
DerregionaleKonfliktzwischendemIranundIsraelwirdallerWahrscheinlichkeitnach
auch ohne atomare Sprengköpfe auf Teherans Staatsgebiet nicht entschärft werden.
LetztendlichdrehtessichhiernichtnurumantagonistischePositionierungeninBezug
auf den Stand derWaffentechnologie im Iran, sondern um tiefgreifende ideologische
Zerwürfnisse. Selbst der unwahrscheinliche Fall einer freiwilligen, dauerhaften und
vollständigen Einstellung des iranischen Atomsektors würde hier wenig verändern,
sofern die grundsätzliche Ausrichtung der Regierung weiterhin israelfeindlich bliebe.
Diese festgefahrenen Positionen verweisen auf die Schlüsselposition, welche die USA
einnehmenkönnten.DieWahrnehmungTeherans,sichgegenexterneBedrohungender
staatlichen Souveränität schützen zu müssen, sollte durch eine grundlegende
VeränderungderRhetorikgegenüberdemIranGegenstandeinerBearbeitungsein.Die
Versicherung eines Nichteingriffs wäre hierbei ein Ansatzpunkt (Bock 2012: 8). Die
scheinbar bedingungslose Solidarität zu Israel steht dabei festen Garantien an die
Sicherheit des Iran entgegen.Darüber hinaus lieferte die voranstehendeArbeit einige
Beispiele, anhandwelcherdieEinstellungderUSAgegenüberderWahrung iranischer
Souveränitätbestenfallsalsmäßigbezeichnetwerdenkann.
EidesstattlicheErklärung
69
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