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Sprachnr. 44 / Dezember 2009 • 1,80 €
Verein Deutsche Sprache e. V. (VDS)www.vds-ev.deIch spreche gern Deutsch
nachrichten
2 Sprachpreis für Cornelia Funke
3 Im Gespräch: Shinichi Sambe
6 BBC blamiert sich
12 Section Control oder Streckenradar?
16 Schwätzen, schnacken, schmátzen
32 Weihnachten nach Lukas
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Sterben die Dialekte?Viele Menschen sorgen sich um die Zukunft ihres Dialekts, den sie als Muttersprache gelernt haben. Diese Ausgabe der Sprach-nachrichten geht dieser Sorge nach.
Die Dialekte verraten viel über die Geschichte der deutschen Sprache. Sie sind ein Kulturschatz und ein wichtiges Merkmal regionaler Identität. Während im Süden des deutschsprachigen Raumes noch die Mehrheit einen Dialekt spricht, sind es in der nördlichen Hälfte teilweise weniger als 30 Prozent der Bevölkerung. Vor allem jüngere Menschen haben in gro-ßen Teilen Deutschlands nicht mehr die Möglichkeit, den Dialekt weiterzupflegen.
Für den VDS, dessen wichtigstes Ziel es ist, die deutsche Sprache zu fördern, ist auch die Fortentwicklung der Dialekte ein Thema. Heimat- und Mundartvereine gehören deswegen zu den natürlichen Part-nern des VDS.
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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Liebe Sprachfreunde,
was ist nur mit unseren Diplo-maten los? Anlässlich der Eröff-nung der Biennale in Venedig liest der deutsche Botschafter seine Ansprache im deutschen Pavillon vor fast ausschließlich deutsch-sprachigen Zuhörern auf Englisch ab (siehe die Sprachnachrichten vom September 2009, S. 15). Die ansonsten eher bedächtige und durchaus nicht des Hurra-Patri-otismus’ verdächtige Frankfurter Allgemeine Zeitung nannte das „einen grotesken Akt der Servilität“.
Diese „grotesken Akte der Servilität“ scheinen – bzw. schienen lange Zeit – im deut-schen auswärtigen Dienst zum Alltag zu gehören. Unser Ver-einsfreund Franz Stark, ehema-liger Chefreporter des Bayeri-schen Rundfunks, berichtet in den Sprachnachrichten vom März 2009 von einem Gartenfest beim deutschen Botschafter in Dares-salam. Es sind dreißig ausschließ-lich deutsche Gäste da sowie ein
Finne, der ebenfalls gut Deutsch versteht. Aber wegen dieses einen Ausländers zwingt der deutsche Botschafter allen Gästen die eng-lische Sprache auf. Oder nehmen wir die Gedenkfeier zum zehnjäh-rigen Jahrestag der Wiederver-einigung, die der deutsche Club Neuseeland am 1. Oktober 2000 in Auckland ausgerichtet hat. Es waren zwei Festredner vorgese-hen, der deutsche Botschafter und ein neuseeländischer Germanist.
„Zum ersten Mal hat sich ein Bot-
schafter bequemt, zu uns zu kom-men, was sehr zu begrüßen war“, schreibt mir ein anwesendes Ver-einsmitglied, „doch als er seine Ansprache begann, entschuldigte er sich dafür, dass er nicht wusste, dass hier Deutsch gesprochen und er deshalb die Rede auf Englisch halten würde. Das war undiplo-matisch und hat die über hun-dert Teilnehmer sehr verwundert.
Dagegen hielt der Neuseeländer Professor Jim Badi seinen Vortrag in einwandfreiem Deutsch.“
Der deutsche Botschafter hält in einem deutschen Verein seine Ansprache auf Englisch, der neu-seeländische Gast dagegen spricht einwandfreies Deutsch. Kann man sich vorstellen, dass ein französi-scher oder spanischer Botschafter bei einem analogen Anlass Analo-ges tut? Allein schon aus Vorsicht nicht, denn sie würden vermutlich am nächsten Tag entlassen.
In Deutschland dagegen scheinen dergleichen Unter-werfungsrituale für man-che Diplomaten geradezu eine Grundbedingung des
beruflichen Aufstiegs im Auswär-tigen Amt gewesen zu sein (zum Glück nicht für alle, einige renom-mierte deutsche Diplomaten und ein langjähriger Staatsminister im Auswärtigen Amt sind sogar im VDS aktiv). Umso mehr begrü-ßen wir daher den Einzug eines neuen Chefs, der auf die Imper-tinenz eines britischen Reporters, ihn doch bitte sehr auf Englisch
anzusprechen, die einzig rich-tige Antwort gab: In Deutschland spricht man immer noch in aller Regel deutsch. Da kann ich nur sagen: Glückwunsch, Guido, wei-ter so!
Ihr zuversichtlicher 1. Vorsitzender
Walter Krämer
D E R V O R S I T Z E N D E M E I N T
Sprachliche Unsicherheit im Auswärtigen Dienst
Zur neunten Verleihung des Kulturpreises Deutsche Sprache am 31. Oktober kamen über 600 Gäste nach Kassel.
Der Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache wurde der Schriftstelle-rin Cornelia Funke verliehen. Der Kasseler Verein Mensch zuerst e.V. erhielt den Initiativpreis Deut-sche Sprache für seine Bemühun-gen um „Leichte Sprache“. Der Institutionenpreis Deutsche Spra-che ging an die Deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien.
Cornelia Funke erhielt den mit 30.000 Euro dotierten Haupt-preis für ihr schriftstellerisches Werk, mit dem sie zahlreiche junge Leser für Literatur und Bücher begeistert. Nicht nur mit der „Tintenherztrilogie“, sondern auch mit der Reihe um die „Wil-den Hühner“ und vielen anderen Büchern gelingt es ihr, Freude an der Sprache und Leselust zu wecken. Mit dem Preisgeld wird Cornelia Funke gemeinnützige Einrichtungen wie den Mädchen-bus e.V. unterstützen. In ihrer Laudatio hob Eva Kühne-Hör-
mann, die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, her-vor, dass die Werke von Corne-lia Funke faszinierend für Klein und Groß seien und vor allem die jüngere Generation zum Lesen er- munterten.
In einem Gespräch mit Kin-dern gab die Preisträgerin über den Entstehungsprozess ihrer Bücher und ihr Leben als deut-sche Autorin in den USA Auskunft.
Den Initiativpreis Deutsche Sprache bekam der Kasseler Ver-ein Mensch zuerst e.V. Felicitas
Schöck von der Eberhard-Schöck-Stiftung betonte in ihrer Lobrede, dass der Verein um die Verwen-dung der sogenannten Leichten Sprache einen wichtigen Beitrag dazu leiste, Menschen mit Lern-schwierigkeiten besser an einer Gesellschaft teilhaben zu lassen, die sich immer komplizierter aus-drücke.
Den Institutionenpreis Deut-sche Sprache erhielt die Deutsch-sprachige Gemeinschaft (DG) in Belgien, die durch ihren Minister-präsidenten Karl-Heinz Lambertz
vertreten wurde. Die DG wurde dafür ausgezeichnet, dass sie sich für die deutsche Sprache in Belgien einsetzt, die dort neben dem Niederländischen und dem Französischen Amtssprache ist. Mit etwa 75.000 Einwohnern in neun Gemeinden im Osten Bel-giens besäße sie eine kulturelle und in vielen Fällen auch regio-nale Autonomie, die in Europa ein-zigartig sei, hob der Laudator Prof. Dr. Reinhard Bettzuege, deutscher Botschafter in Brüssel, hervor.
Sabine Pretscher
Kinder zum Lesen ermuntertPreisträgerin Cornelia Funke im Gespräch mit Rüchan Öz, Martha und Gustav Schmidt, drei Cornelia-Funke-Experten, sowie Jury-Mit-glied Wolf Peter Klein (dahinter Gebärdendolmet-scherinnen).
Foto: Agentur Schröder
AK TUELL
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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Sprachnachrichten: Herr Sambe, was bringt einen Japaner dazu, sich so intensiv wie Sie mit deutscher Sprache und Kultur zu beschäftigen?Sambe: Der Türöffner war bei mir die klassische Musik. Als Grund-schüler habe ich mir „Die Zau-berflöte“ auf Schallplatte gekauft. Später, als Oberschüler, habe ich dann eher zufällig einen Deutsch-kurs im Fernsehen eingeschaltet; ich kann mich noch sehr gut an die ersten deutschen Schlüsselsätze erinnern: „Wo wohnen Sie?“ – „Ich wohne in Berlin.“
SN: Das ist aber ein seltsamer Anfang für einen Deutschkurs.Sambe: Ja, aber ich hatte geahnt, dass ich irgendwann einmal Deutsch lernen würde, und die Chance kam nun plötzlich. Das war ja auch schon die zweite Woche im Kurs, und der allererste Schlüsselsatz „Guten Tag!“ war schon vorbei. Aber ich bin dabei-geblieben.
Auch mein Vater hat mich unterstützt, er war Autohändler und hatte schon immer gemeint: Deutsch steht für Qualität.
SN: Haben Sie dann aus-schließlich durch den Fern-sehkurs Deutsch gelernt?Sambe: Natürlich nicht! Aber der Fernsehkurs bot mir einen Tür-schlüssel für die neue Welt und hat mir tatsächlich Spaß gemacht. Am nächsten Tag habe ich mir schon das Begleitheft gekauft und später, um die erworbenen Sprachkenntnisse zu vertiefen, noch einen Kurs in einer Privat-schule besucht. Für die Aufnahme an der Universität braucht man in Japan eine Fremdsprache, das war für mich nun Deutsch. Die Vorbe-
reitung auf die Englischprüfung, der sich die meisten Studienbe-werber unterziehen, ist eine Qual. Da herrschen sehr harte Konkur-renzen. Aber bei mir war das ganz anders. Die Beschäftigung mit der Fremdsprache habe ich auch bei der Prüfungsvorbereitung buch-stäblich genossen. Und nach eini-gen Semestern Jura habe ich dann Deutsch als Beruf entdeckt und das Studienfach gewechselt.
Meine Magisterarbeit behan-delt die Bedeutung des Abtö-nungspartikel „doch“ im Mittel-hochdeutschen.
SN: Wie sicher ist Ihr Arbeitsplatz als Germanist in Japan? Oder anders ausgedrückt: Hat Deutsch als Fremd-sprache in Asien eine Zukunft?Sambe: Deutsch hat es heute schwerer als früher. Zu meiner Schulzeit hatte jeder Mittelschü-ler in Japan mindestens einen Roman von Hermann Hesse gele-sen und war sehr begeistert gewe-
sen. Das war damals einer der wesentlichen Gründe, Deutsch zu lernen. Heute ist Hesse als Pflichtlektüre schon aus der Mode gekommen. Es gibt auch viele andere Ablenkungen.
Auch in Japan, das traditionell sehr deutsch-freundlich ist, geht die Zahl der Deutschlernenden zurück. In Korea sieht es ähnlich aus. In China, wo vor knapp zehn Jahren zum Aufstieg in der Gesell-schaft, also aus wirtschaftlichen Gründen, enthusiastisch Deutsch gelernt wurde, ist derzeit Eng-lisch dominant. Deutsch hat in Ostasien ohnehin nicht die Mög-lichkeit, sich als Verkehrsspra-che zu behaupten. Die Ostasiaten haben sicherlich einen anderen Grund dafür, die Sprache zu ler-nen. Viele Deutschlernende inter-essieren sich wenigstens anfangs für Deutsch als Kultursprache.
Die Lernmotivation einer Spra-che zu bewahren oder gar zu stei-gern, die nicht gleich als Kom-munikationsmittel einsetzbar ist, ist nicht einfach, und man sollte dabei den kulturell-historischen Aspekt nicht außer Acht lassen.
SN: Sind die Deutschen daran viel-leicht auch etwas selber schuld?Sambe: In gewisser Weise schon. Viele Schüler und Stu-denten beschweren sich über die mangelnde Praxisrelevanz von Deutschkenntnissen. Wäre
Deutsch zum Beispiel UNO-Spra-che geworden, wie es für Arabisch in den Siebzigerjahren machbar war, sähe das schon anders aus. Viele Schüler und Studenten sind ganz entsetzt, wenn sie nach Deutschland reisen und erleben, dass sie von Deutschen immer wieder nur auf Englisch angespro-chen werden, wenn sie ihre erwor-benen Deutschkenntnisse auspro-bieren wollen. Vor 30 Jahren war das noch kaum der Fall.
Meine eigenen Schock-Erleb-nisse: Die deutsche Botschaft in Tokio lädt fleißige Deutsch ler-nende Studierende zu einem Emp-fang ein, und der Gastgeber adres-siert die versammelten Studenten auf Englisch.
Der Deutscher Akademischer Austausch Dienst stellt Germa-nisten seine Programme auf Eng-lisch vor, obwohl, wenn nötig, ein deutsch-japanischer Dolmetscher zur Verfügung stünde. Einerseits sehe ich auch die Effizienz der Kommunikation und die große Reichweite des Englischen ein. Andererseits geht dann natürlich alle Motivation zum Teufel.
SN: Viele Deutsche sehen das anders, nämlich als Zeichen von Weltoffen-heit. Wie kommt das bei Ihnen an?Sambe: Schlecht. Auf mich wirkt das eher peinlich. In einem Hotel in Dresden hat mich einmal eine Empfangsdame gebeten, ich möge doch bitte mit ihr Englisch reden. Sie lerne nämlich gerade Englisch und wolle ihre Kenntnisse auspro-bieren. Die Weltoffenheit ist sicher-lich für die Außenwelt gedacht, aber innerhalb des deutschspra-chigen Gebietes muss man doch nicht auf Englisch kommunizieren.
SN: Wie könnte man das Interesse für Deutsch als Fremdsprache wie-der stärken?Sambe: Indem in erster Linie die Deutschen selber mehr Deutsch sprechen. Durch das widerwär-tige Denglisch allenthalben wird die Lust auf das Deutschlernen geschädigt. Nicht nur die deut-sche, sondern auch viele andere Sprachgemeinschaften überneh-men heutzutage ohne jegliches Bedenken englische Begriffe. Die Japaner auch. Dies bedeutet aber den Verzicht auf die Suche nach kreativen Möglichkeiten des sprachlichen Schaffens. Außer-dem sollte mehr kultureller Reiz als sogenannte soft power aus dem deutschsprachigen Raum in die weite Welt ausgestrahlt wer-den. Eine der besten Möglichkei-ten sind gute Filme. Warum muss erst Hollywood kommen, um einen publikumswirksamen Film über den 20. Juli 1944 zu drehen?
Die Fragen stellte Holger Klatte.
Shinichi Sambe: Deutsch in Japan
Prof. Shinichi Sambe (hier im Gespräch mit VDS-Geschäftsführer holger Klatte) ist Sprachwissenschaftler und lehrt deutsche Sprache und Fachsprache Deutsch in sozialwissenschaftlichen Bereichen an der Keio-Gijuku-Universität in Tokio. Sambe ist Vorsitzender des Japanischen Deutsch lehrer verbands und wurde im August in Jena in den Vorstand des Internationalen Deutsch lehrerverbands gewählt.
Viele japanische Studenten sind entsetzt, dass sie in Deutschland immer wieder nur auf Englisch angesprochen werden.
IM GESPRÄCh
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Der Japanische Deutschlehrer-verband (JDV) sieht seinen Zweck darin, die Erforschung und Verbreitung der deutschen Sprachlehr- und -lernforschung in Japan zu fördern.
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Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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Von Horst Haider Munske
Diese Frage bewegt viele Menschen. Würde nur noch Hochdeutsch gesprochen
im deutschen Sprachgebiet, dann wäre das eine spürbare Einbuße im menschlichen Miteinander. Im Dialekt sind sich die Menschen näher, sie reden ausdrucksre i -cher, emotionaler, weniger distan-ziert miteinander. Dialekte sind das sichtbarste Merkmal regiona-ler Identität. Auch der Zugereiste kann daran mit Vergnügen teil-haben, wenn er sich etwas einge-hört hat und seinem Gegenüber zu verstehen gibt: Er muss mit ihm nicht in den hochdeutschen Code wechseln.
Zwei Beobachtungen begrün-den die Sorge um das Dialekt-sterben: der Rückgang des Dia-lektgebrauchs im Alltag und der vermeintliche Dialektverfall bei vielen jüngeren Sprechern. Das eine ist Ausdruck eines Sprach-wechsels vom mündlichen Sprach-verkehr zur prestigeträchtigeren Hochsprache. Das andere ist Folge des Kontakts zwischen Dialekt und Standardsprache. Im Munde zweisprachiger Sprecher überneh-men die Dialekte Wörter, Lautun-gen und grammatische Merkmale der Hochsprache und wandeln sich zu regionalen Umgangsspra-chen. Diese haben in vielen Regi-onen Deutschlands die Rolle der Dialekte als mündliche Alltags-sprachen übernommen.
Die Klage über den Untergang der Dialekte ist übrigens so alt wie die über den Sittenverfall bei der Jugend, den Sprachverfall im All-gemeinen, den Verfall der Lesekul-tur, der Umgangsformen usw. Sie ist ein Ausdruck des Missvergnü-gens über den Wandel der Sitten, des Sprachgebrauchs und eben auch der Dialekte. Aber warum sterben die Dialekte? Lässt es sich aufhalten? Gilt das für alle Dialekte? Gibt es eine gegenteilige Entwicklung, aus der einst auch unsere Hochsprache hervorgegan-gen ist, der Ausbau der Dialekte
zu einer überregionalen Schrift-sprache? Diesen Fragen ist eine Vortragsreihe an der Universität Erlangen-Nürnberg nachgegan-gen, in der über den bundesdeut-schen Sprachraum hinaus die Dia-lektverhältnisse in der Schweiz, in
den bairischen Sprachinseln Ober-italiens, in Nordfriesland, im ara-bischen Raum und in Lousiana/USA vergleichend einbezogen wurden (im Internet publiziert unter www.dialektforschung.phil.uni-erlangen.de). Daraus wer-den im Folgenden einige Aspekte zusammengefasst.
Wie sterben die Dialekte?„Sterben“ können Dialekte natür-lich nicht im eigentlichen Sinne wie Menschen, Tiere, Pflanzen. Ihr Untergang ist immer an die Men-schen gebunden, die sie gebrau-chen. Sprachen existieren durch ihre Sprecher. Durch sie werden sie an die nächsten Generationen weitergegeben. Der Spracherwerb der Kinder ist die Voraussetzung für das Weiterleben einer Spra-che. Wenn dieser Weg abgebrochen wird, ist das Weiterleben einer Sprache in ernster Gefahr. Und wenn der letzte Sprecher einer Sprache gestorben ist, dann ist auch der Sprachtod eingetreten. So ging zum Beispiel der ostfrie-sische Dialekt auf der Insel Wan-gerooge endgültig unter, als die letzte Sprecherin im Jahre 1950 verstarb.
Tote Sprachen können natür-lich, wenn sie aufgezeichnet wur-den, wenn literarische Denkmäler überliefert sind, weiterhin gelesen werden, aber dies ist ein künstli-ches Leben, eine Art Wachkoma der Sprachen, sie leben nur noch durch diese Aufzeichnungen, nicht als Gebrauchssprachen, die der Mensch als Kind von den Eltern erlernt und im Gebrauch produk-tiv verändern kann.
Das Sterben der Dialekte – und überhaupt von Sprachen – hat zwei Hauptursachen: äußere, wie Naturkatastrophen, Kriege, Ver-treibung, Genozid, von der die Sprecher betroffen werden. Die andere Ursache liegt im Sprach-
verhalten der Sprecher selbst, in der freiwil-ligen Abwen-dung von ihrer Sprache zuguns-ten einer ande-ren. Dies gilt vor
allem für mehrsprachige Gesell-schaften. In der Konkurrenz von Sprachen gehen manche unter, weil ihnen eine andere von den Sprechern vorgezogen wird.
Ursachen des SterbensBetrachten wir einige Beispiele. In Nordfriesland, auf den Inseln Föhr, Amrum, Sylt und Helgoland, auf den Halligen und dem gegen-überliegenden Festland gibt es zur Zeit etwa 5.000 Muttersprachler der verschiedenen nordfriesischen Dialekte. Trotz lebhafter institu-tioneller Bemühungen in Kinder-gärten, Schulen und Vereinen, die-sen Stand zu halten oder gar zu verbessern, ist der Erhalt dieser kleinen, seit über 1.000 Jahren bestehenden Sprachgemeinschaft stark gefährdet. Die ersten schwe-ren Einbrüche bedeuteten die gewaltigen Sturmfluten („Grote Mandränke“) von 1362 und 1634, durch welche ein ursprünglich weitgehend verbundenes Sied-lungs- und Sprachgebiet durch das Meer auseinandergerissen, zerstückelt und verkleinert wurde. Ähnliches widerfuhr erst in jüngs-ter Zeit den kleinen Sprachge-meinschaften französischer und spanischer Dialekte (Cadien und Isleño) in Louisiana/USA. Die Wir-belstürme Katrina und Rita haben nicht nur in New Orleans verhee-rende Zerstörungen verursacht, durch die Evakuierungen wurden die kleinen Sprachgemeinschaften dieser Region so auseinanderge-rissen, dass Beobachter hier vom sudden language death (übersetzt:
„plötzlichen Sprachtod“) sprechen. Menschenwerk dagegen waren
die zahllosen Vertreibungen oder sogenannte Umsiedlungen des 20. Jahrhunderts, von Kurden, Arme-niern und Griechen, von Wolga-deutschen, Schlesiern, Ostpreu-ßen, Balten, Sudentendeutschen und unzähligen anderen. Auch ihre Dialekte waren davon betrof-fen. Die Überlebenden bewahren ihre Heimatsprachen meist bis an den Tod, aber selten geben sie sie an ihre Kinder und Enkel weiter. Diese sozialisieren sich in neuer Umgebung, auch sprachlich. Ver-heerend betroffen waren die jid-dischen Dialekte vom Genozid der Juden in West-, Mittel-, Süd- und Osteuropa. Doch sei hier auch ein singulärer Fall der Dia-lekt-Erhaltung erwähnt: Bis heute haben sich Reste des Westjiddi-schen im sogenannten Lachoudi-schen im Dorf Schopfloch im bay-erischen Bezirk Mittelfranken erhalten. Obwohl das Jiddische bereits Ende des 19. Jahrhun-derts durch den Sprachwechsel der meisten Sprecher vor dem Untergang stand, hat es sich als Hausierer- und Viehhändlerspra-che in regionalen Nischen erhal-ten. Schopflocher beherrschen noch bis zu 500 jiddische Wörter hebräischer Herkunft, die sie nach altem Brauch auch manchmal als Geheimsprache nutzen.
Zu den äußeren Ursachen des Dialektsterbens müssen wir auch Veränderungen zählen, die gemeinhin als Fortschritt gelten: die Verbesserung der verkehrs-mäßigen Infrastruktur und die Erschließung neuer Erwerbsquel-len durch den Tourismus. Beides hat in Nordfriesland dazu geführt, dass Friesisch als öffentliche Ver-kehrssprache anfangs vom Platt-deutschen, heute vom Hochdeut-schen abgelöst wurde, dass alle Friesischsprecher zwei- oder dreisprachig sind und ihren frie-sischen Dialekt fast nur noch als Haus- und Nachbarschaftsspra-che benutzen. Solche Mehrspra-chigkeit führt in der Regel zu einer Hierarchisierung der Spra-chen. Ähnlich gefährdet sind die Dialekte in zwei altertümlichen bairischen Sprachinseln jenseits der Alpen, die erste Forscher im 19. Jahrhundert bis zu dem Kim-
Sterben die Dialekte
Dialekte sind einzigartige Zeugnisse unserer Lebenskultur, sie sind kulturelle Artefakte des Menschen. Das schützt sie aber nicht vor Wandel oder Untergang.
SN-SCHWERPUNKT
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bern und Teutonen der Völkerwan-derungszeit zurückführen wollten und deshalb Zimbrisch nannten.
Der Erhalt dieser Sprachin-seln über Jahrhunderte ist ihrer Abgeschiedenheit und Unzugäng-lichkeit im Gebirge zu danken. Moderne Infrastruktur erlöst die Bewohner aus solcher Beschau-lichkeit, eröffnet neue Berufsmög-lichkeiten außerhalb der traditio-nellen Landwirtschaft und schafft dauerhafte Kontakte zu den italie-nischen Nachbarn. Stets befinden sich die Mitglieder solcher kleinen Sprachgemeinschaften im Kon-flikt zwischen dem Wunsch, ihre sprachliche Eigenart und Identität zu bewahren und dem natürlichen Bedürfnis der jüngeren Generati-onen, die kommunikative Isolie-rung zu verlassen und sich durch einen Sprachwechsel den Anforde-rungen und Lockungen der heu-tigen Lebens- und Arbeitswelt zu öffnen. Was hier erst vor weni-gen Jahrzehnten begonnen hat, prägt die Dialektentwickung in Deutschland seit der Industriali-sierung im 19. Jahrhundert. Auch wenn die Dialekte auf dem Lande in 150 Jahren erstaunlich stabil geblieben sind, ihr Gebrauch ist rapide zurückgegangen.
Mehrsprachigkeit als ModellDieser Entwicklung haben die Deutschschweizer bis heute wider-standen. Die alemannischen Dia-lekte der Schweiz sind unange-fochten das alleinige Medium aller Bevölkerungsschichten in allen mündlichen Kommunikations-situationen: nicht nur im Haus und auf der Straße, ebenso im Radio, in den Behörden, beim Mili-tär, im Parlament. Dabei bedient sich jeder seines eigenen heimat-lichen Dialekts, wird verstan-den und versteht sein Gegenüber. Nebenbei kann jeder aus solcher Spracherfahrung den anderen lokalisieren, das heißt über den Dialekt seine Herkunft als Berner, Zürcher, Walliser usw. erkennen. Die deutsche Standardsprache dient ausschließlich als Schrift-sprache der Deutschschweizer, wird in der Schule vermittelt, aber allenfalls im Kontakt mit Nicht-
Schweizern (nicht ohne Akzent) benutzt. Sprachwissenschaftler bezeichnen solche stabile Funk-tionsteilung zweier verwandter Sprachen in einer Sprachgemein-schaft als Diglossie (das grie-chische Wort für „Zweisprachig-keit“).
Im Vergleich zum deutschen Nachbarn kennen die Schweizer keine Beschränkung des Dialekts auf bestimmte Gebrauchssphären, zum Beispiel Landwirtschaft, tra-ditionelle Handwerke u.ä. Das führt dazu, dass auch der Wort-schatz der Schriftsprache in den Dialekt aufgenommen wird, aller-dings lautlich integriert. So wird aus hochdeutsch Entwicklung ein schweizerdeutsches Entwicklig, aus Einsatz wird Iisatz, aus mög-licherweise wird möglicherwiis. Mit solchem integrierten Import sind die Dialekte jedem Thema gewachsen und verändern sich – zumindest lexikalisch – rasch. Das widerspricht mancher Erwartung, die Dialekte der Großeltern lie-ßen sich konservieren. Sie blei-ben nur lebendig und werden von den Eltern den Kindern als Mut-tersprache weitergegeben, wenn sie dem Leistungsanspruch heu-tiger mündlicher Kommunikation angepasst werden.
Mit dem Begriff Diglossie lässt sich das Verhältnis von gesproche-ner und geschriebener Sprache in vielen Sprachgemeinschaften gut beschreiben.
Ein klassischer Fall der Arbeitsteilung beider Varietäten besteht in den arabischen Staaten.
Die heutige arabische Hochspra-che, eine konservierte Form des Klassischen Arabisch, wird nir-gends als Muttersprache erwor-ben, erst in den Schulen vermittelt und stellt ein religiös motiviertes Bindeglied aller arabischsprachi-gen Länder dar. Gesprochen und als Muttersprachen erlernt wer-den aber die regionalen arabi-schen Dialekte. Auch hier herrscht eine stabile Diglossie. Doch wäh-rend in der Schweiz die Dialekte als nationale Varietät hohes Pres-tige genießen, gelten die arabi-schen Dialekte nichts im Vergleich zur Schriftsprache. Dies ist eine extreme Form von Fehleinschät-zung der Varietäten gesprochener Sprache, die auch in Deutschland lange vorherrschend war.
Lehren aus dem VergleichWas lehren diese Beispiele und Vergleiche? Dialekte sind wie alle Sprachen einzigartige Zeug-nisse unserer Lebenskultur, sie sind kulturelle Artefakte des Men-schen. Das schützt sie aber nicht vor Wandel oder Untergang. Ihre Lebensbedingungen gleichen den Biotopen der Natur. Deren Wan-del müssen sich Tiere und Pflan-zen anpassen oder sie gehen ein. Wie in der Natur gibt es auch für Sprachen einen gewissen Schutz seitens der Politik. Friesisch und Sorbisch werden als Minderheits-sprachen unterstützt, zum Bei-spiel in den Schulen auf Wyk/ Föhr und in Bautzen/Oberlau-sitz gelehrt. Auch gegenüber den
Dialekten hat sich die Einstel-lung gewandelt. Sie werden zum Beispiel in bayerischen Schulen gepflegt und gefördert, nicht mehr wie einst als Hindernisse beim Erlernen des Hochdeutschen ver-teufelt. Die Schule will keines-wegs der Feind der Dialekte sein, es sind vielmehr – das haben neu-ere Studien gezeigt – viele Eltern, welche ihren Kindern, aus Angst um deren Fortkommen, den eige-nen Dialekt abgewöhnen wollen.
Die Zukunft der deutschen Dialekte liegt weniger in der voll-ständigen Erhaltung der klein-teiligen Vielfalt, sondern in ihrer Kombination mit den neuen Regionalsprachen, den über-regionalen Umgangssprachen, die – besonders in Süddeutsch-land – zunehmend die Hauptrolle der mündlichen Kommunikation übernehmen. Auch die Dialektfor-schung hat sich dieser neuen Situ-ation angepasst. Ihr Thema sind nicht mehr in erster Linie die tra-ditionellen Dialekte älterer Spre-cher auf dem Lande, sondern alle Varietäten gesprochener Sprache außer dem Hochdeutsch der Nach-richtensprecher, das heißt Dia-lekte, Umgangsprachen und die verschiedenen regionalen Akzente hochdeutschen Sprechens. Diese Lebenswirklichkeit des Deutschen sollten wir schätzen und bewah-ren.
Horst Haider Munske ist emeritierter Professor für germanische und deutsche Sprachwissenschaft und Mundartkunde an der Universität Erlangen-Nürnberg
aus?
1991
55 %
17 %
28 %
50 %
23 %
27 %
48 %
25 %
27 %
2008
Antworten auf die Frage „Können Sie die Mundart hier aus der Gegend sprechen?“ – Fazit: Regionale Dialekte, Mundarten werden noch etwa von jedem Zweiten gesprochen, aber tendenziell weniger. Quelle: IfD-Allensbach
1998
Nein, spreche die Mundart nichtJa, ein wenigJa, spreche die Mundart
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Als ich 2002 von England nach Deutschland kam, ohne
Deutsch sprechen zu können, musste ich die wenigen deut-schen Wörter verwenden, die ich in England schon kannte. Das Wort „Urtext“ habe ich in Eng-land verwendet, damals ohne zu wissen, dass es ein deut-sches Wort ist. Ich habe nach dem „Örtext“ gefragt. Ich wollte Klaviernoten kaufen – ein Band von Mozart- oder Beethovenso-naten – und wollte eine Ausgabe mit den originalen Fingersätzen und Ausdruckangaben erstehen.
Es gibt einige deutsche Wör-ter aus dem Musikbereich, die in England nicht übersetzt werden. Während meines Musikstudi-ums habe ich einen Aufsatz über die Zeit des „Empfindsamen Stils“ und des darauf folgenden
„Sturm und Drangs“ geschrieben. Mit dem Wort „Empfindsamkeit“ beschreibt man einen ausdrucks-vollen Musikstil Mitte des acht-zehnten Jahrhunderts, der in Italien nach Deutschland durch die Werke C.P.E. Bachs erschien. Die emotionalen Merkmale die-ser „Empfindsamkeit“ erreichten in den 1760er und 1770er Jahren einen Höhepunkt in der Zeit des
„Sturm und Drangs“. Wenn man sich mit Lie-
dern der Romantik beschäftigt, wie zum Beispiel von Schubert, Schumann und Brahms, spricht man nur vom „Lied“. Dieses Wort wird nicht mit dem Wort „song“ übersetzt, da es ein ganzes aus dem deutschsprachigen Raum stammende Genre beschreibt und nicht nur ein Wort.
Wer sich für Oper interes-siert, kommt um das Genre des
„Singspiels“ nicht herum, da es die Wurzel der deutschen Oper bildet. Im 18. Jahrhundert war das Singspiel eine sehr beliebte Form des Musiktheaters im deutschsprachigen Raum, die von Komponisten wie Johann Adam Hiller (1728–1804) und Carl Ditters von Dittersdorf
(1739–1799) verbreitet wurde. Elemente des Singspiels wie der gesprochene Dialog wurden von Mozart in der „Zauberflöte“ (1791) und Weber im „Freischütz“ (1821) verwendet.
Wagner-Liebhaber wür-den bestimmt auf die Begriffe
„Gesamtkunstwerk“ und „Leit-motiv“ (englisch: „Leitmotif“) stoßen. Wagner glaubte an die Einheit des Theaters und der Musik, im Vergleich zu konventi-oneller Oper, in der das Libretto immer hinter der Musik zurück-steht. Sowohl Wagners Musik als auch der Text, die Inszenierung und die Handlung bilden ein von Wagner sogenanntes „Gesamt-kunstwerk“. Das Leitmotiv ist ein von Wagner entwickeltes musikalisches Thema, das mit einer bestimmten Person, Sache, Emotion oder Idee in der Hand-lung verbunden ist. Es wird meistens vom Orchester zum ersten Mal gespielt, wenn das Subjekt zuerst erscheint, und wird wiederholt, wenn das Sub-jekt wiederkehrt.
Die „Gebrauchsmusik“ von Kurt Weill in seiner Zeit als Opernkomponist in Berlin wird auch in der deutschen Fas-sung gelassen. Weills Philoso-phie war, kein Meisterstück zu komponieren; es war ihm mehr daran gelegen, soziale oder poli-tische Themen der damaligen Zeit ans Licht zu bringen und die gewöhnlichen Menschen und keine intellektuelle Elite zu unterhalten. Mit dem Begriff
„Songspiel“ (auch keine Überset-zung vorhanden) meinte Weill eine Serie verlängerter Lieder, wie eine kleine Oper.
Der Begriff „Sprechgesang“ bleibt auch unübersetzt im eng-lischsprachigen Raum. Er bezieht sich auf eine halb gesprochene, halb gesungene Stimme, die der Wiener Komponist Schönberg in seinem Werk „Pierrot Lunaire“ von 1912 hervorgebracht hat. Susannah Sibbertsen
BBC blamiert sichEs kommt leider nur selten
vor, dass die deutsche Spra-che Schlagzeilen in der Politik macht. Eine Pressekonferenz mit dem Vorsitzenden der FDP und inzwischen Außenminister, Guido Westerwelle, schaffte dies Ende September.
Ein Journalist der britischen Rundfunkanstalt BBC stellte Westerwelle auf Englisch eine Frage zur deutschen Außenpoli-tik und bat darum, auch die Ant-wort in englischer Sprache zu erhalten. Westerwelle verneinte:
„Wir sind hier in Deutschland“, in England sei es „auch üblich, die Fragen in der Landesspra-che zu stellen“.
Es entfaltete sich in den fol-genden Tagen eine Diskussion in deutschen und englischen Medien über die Qualität von Englischkenntnissen bei Poli-tikern, über das Recht bzw. die Pflicht von Staatsvertretern, ihre Landessprache zu pflegen und bei öffentlichen Auftrit-ten zu gebrauchen und letzt-lich über die Fähigkeiten Wes-terwelles, der in jener Woche noch als Kandidat für das Amt des Außenministers gehandelt wurde. Einige Politiker der Grü-nen stellten sich in Werbefilmen den Journalisten aus dem Aus-land in fließendem Englisch vor.
In dem ersten Bericht auf Spiegel-Online über den Sach-verhalt wurde Westerwel-les Auftritt als „über-rumpelt, hilflos, kalt erwischt“ bezeich-net. Der Original-Fernsehmitschnitt von der Pressekon-ferenz lässt jedoch
ganz andere Schlüsse zu. Der FDP-Politiker reagierte gelassen auf die Frage, so als sei er dar-auf vorbereitet gewesen. Aber warum schickt eigentlich die altehrwürdige BBC wenige Tage nach der Bundestagswahl einen Reporter, der kein Wort Deutsch spricht, nach Berlin? Ist sie an gut recherchierten Nachrich-ten und Hintergrundinformati-onen über die neue Regierung in Deutschland nicht mehr interes-siert? Unwahrscheinlich!
Deswegen darf vermutet wer-den, dass es sich bei der Frage des BBC-Journalisten um einen Versuch handelte, den neuen Außenminister zu blamieren. Denn schon länger erzählen sich Journalisten das Gerücht, dass der FDP-Vorsitzende nur mäßig Englisch beherrsche.
Auch dies kann übrigens nicht bestätigt werden. In anderen Interviews, die im Internet zu sehen sind, spricht Westerwelle ordentliches Englisch, gramma-tisch meistens richtig und mit umfangreichem Fachwortschatz. Nur der Aussprache merkt man an, dass seine Muttersprache das Deutsche ist. Aber dies darf man einem Außenminister wohl kaum vorwerfen.
Einen ähnlichen Fall gibt es aus der Kanzlerschaft Gerhard Schröders zu berichten. Bei einer Pressekonferenz in Prag weigerte sich Schröder die Ant-
wort auf eine auf Englisch gestellte Frage zu geben.
Erst als der Journalist die Frage auf Tsche-chisch wiederholte, antwortete Schröder
– auf Deutsch.Guido Westerwelle,
dem der VDS wenige Tage nach der Presse-
konferenz in einem Brief seine Zustimmung für
sein Verhalten versi-cherte, schlug dem BBC-Journalisten in seiner Antwort vor, sich nach der
Pressekonferenz auf einen Tee zu tref-
fen und seine Pläne für die Außenpolitik
dann auf Englisch zu erläutern. Ob dieses Tref-fen bereits stattgefunden hat, ist nicht bekannt.
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Empfi ndsamkeitDeutsche Fremdwörter in der englischen Musiksprache
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Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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Die beiden unterschiedlichen Duden-Ausgaben, die von
1954 bis 1986 in Mannheim und Leipzig herausgegeben wurden, lassen Rückschlüsse auf Unter-schiede im Wortschatz zu. Die nach der Wende in Mode gekom-menen Wörterbücher wie „Trabbi (Trabi), Telespargel und Tränen-pavillon. Das Wörterbuch der
DDR-Sprache“ sorgt jedoch für einen generalisierenden Ein-druck, was Vorurteile schürt. Das Deutsch in der ehemaligen DDR war keine eigene Sprache, denn die Grammatik blieb gleich.
Nicht erst seit bekannten Filmen wie „Sonnenallee“ oder
„Good Bye, Lenin“ stehen Begriffe wie Jahresendfigur mit Flügeln (Weihnachtsengel), rauhfutter-verzehrende Großvieheinheit (Kuh) oder Textilverbundele-ment (Knopf) vor allem für ein unverständliches Wirtschaftssys-tem in der DDR. Dabei wurden die genannten Begriffe vermut-lich nie im Alltag verwendet, son-dern waren entweder satirische Erfindungen oder entstammten der Behördensprache.
In Westdeutschland zitierten viele große Zeitungen „Jahres-endfigur mit Flügeln“ als Beispiel für (angeblich) typischen DDR-
Wortschatz. Übersehen wird dabei, dass es in Westdeutsch-land ähnliche Wortungetüme gibt, die im alltäglichen Sprach-gebrauch nicht vorkommen, etwa raumübergreifendes Großgrün (Baum) oder nicht lebende Ein-friedung (Zaun). Begriffe die-ser Art stammen aus dem Amts-deutsch.
Trotzdem gibt es Wörter, die unabhängig vom Dialekt nur in der DDR existierten. Sie entstan-den zum Beispiel aus Namen von Firmen oder Verfahren, wie Kauf-halle (Supermarkt) oder Dederon (Chemiefaser, Kunstwort aus der Abkürzung DDR). Der Broiler und die Datsche haben es heute in den allgemeinen Sprachge-brauch geschafft. Viele Produkt-namen aus dem Westen waren geschützt, deshalb gab es in der DDR Margon wasser anstatt Sel-terwasser oder Gothaplast an Stelle von Hansaplast.
Besonders viele neue Wort-schöpfungen entstanden im öffentlichen politischen Sprach-gebrauch. Aus ideologischen Gründen hieß die Berliner Mauer Antifaschistischer Schutzwall, ein Spion war ein Kundschafter des Friedens und die SED (Sozia-listische Einheitspartei Deutsch-lands) war die Partei der Arbei-terklasse. Ein weiteres Merkmal für den politischen Sprachge-brauch im Osten sind Floskeln wie die ökonomische Hauptauf-gabe lösen oder konsequent par-teilich. Ebenso häufig waren Attribute wie sozialistisch oder allseitig. Inwieweit die DDR-Bürger diese Wörter tatsächlich im privaten Sprachgebrauch nutzten, lässt sich nicht genau abschätzen. mo
Ostdeutsch = Westdeutsch?
Akzent: [lat. accentus = antönen]wird oft mit Dialekt verwechselt, bezieht sich jedoch nur auf die Aus-sprache, wie Lautstärke, Tonhöhe und Dauer.
Dialekt/Mundart: [griech. dialek-tos = Sprache der Unterhaltung, Umgangssprache; Mundart ist Phi-lipp von Zesens Eindeutschung] Ein Dialekt unterscheidet sich von der Standardsprache durch die ihm eigene Art zu sprechen (oder auch zu schreiben). Das betrifft neben Aussprache und Betonung auch den Wortschatz und grammatische Besonderheiten.
Diglossie: [griech.] ist eine Form von Zweisprachigkeit, die in einer Gemeinschaft existiert, wo zwei ähnliche Varietäten einer ganzen Sprache beherrscht und je nach Anlass gewechselt werden. So wird zum Beispiel bei Behörden die eine Varietät gesprochen, in der Familie die andere.
Sprachgrenze: bezeichnet die geografi sche Trennungslinie, oft auch -bereiche zwischen zwei Sprachgebieten. Dort wird meist eine Übergangsvarietät gespro-chen. Sprachgrenzen sind oft na-türlich, zum Beispiel Gebirge oder Flüsse. Die Eider trennte über Jahr-hunderte den dänischen und nie-derdeutschen Sprachraum.
lautverschiebung: tritt mit Ver-änderungen von Konsonanten und/oder Vokalen auf. In der deutschen Sprache gab es zwei Lautverschiebungen: die erste war etwa um 1200–1000 v. Chr. bis 500–300 v. Chr. Damit diff erenzier-te sich das Germanische von den indogermanischen Sprachfamili-en. Die zweite Lautverschiebung war vom 5. bis 7. Jahrhundert und unterschied das Althochdeutsche von den germanischen Sprachen.
Sprachatlas: beinhaltet geografi-sche Karten, in denen die Dialekte mit ihren Lautformen eingezeich-net sind. Wird zusätzlich der Wort-schatz aufgenommen, handelt es sich um einen Wortatlas. Erfinder ist Georg Wenker (1852–1911), der 1887 den „Sprachatlas der Rhein-provinz“ vorlegte.
S N - S C H W E R P U N K T W Ö R T E R B U C H
Broiler wurde in der DDR 1961 zum Gattungsnamen für Brathähnchen, als dort „Broiler“ aus einer bulgarischen Gefl ügelzüchterei verkauft wurden. Noch heute bestellt man zwischen Anklam und Zittau einen Broiler.
Ist mit den Dominosteinen zum Mauerfalljubiläum am 9. Novemver 2009 in Berlin auch eine sprachliche Mauer gefallen? Fotos: hagen Meischner
Deutschland feierte am 9. November das 20-jährige Jubiläum des Mauerfalls. Die deutsch-deutsche Grenze ist vielerorts zum Grünstreifen geworden. Eine Grenze scheint aber noch zu bestehen: zwischen der Sprache in der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik.
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SCHÖNES DEUTSCH
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G u t S c h e i n
Rumm rumm, rumm wuchtet vor Aschinger auf dem Alex die Dampframme. – Sie ist ein Stock hoch, und die Schienen haut sie wie nichts in den Boden.
Eisige Luft. Februar. Die Menschen gehen in Män-teln. Wer einen Pelz hat, trägt ihn, wer keinen hat, trägt keinen. Die Weiber haben dünne Strümpfe und müssen frieren, aber es sieht hübsch aus. Die Männer haben sich vor der Kälte verkrochen. Wenn es warm ist, stecken sie wieder ihre Nasen raus. Inzwischen süffeln sie doppelte Ration Schnaps, aber was für welchen, man möchte nicht als Lei-che drin schwimmen.
Rumm rumm haut die Dampframme auf dem Alex-anderplatz. Viele Menschen haben Zeit und gucken sich an, wie die Ramme haut. Ein Mann oben zieht
immer eine Kette, dann pafft es oben, und ratz hat die Stange eins auf den Kopf. Da stehen die Män-ner und Frauen und besonders die Jungens und freuen sich, wie das geschmiert geht: ratz kriegt die Stange eins auf den Kopf. Nachher ist sie klein wie eine Fingerspitze, dann kriegt sie aber noch immer eins, da kann sie machen, was sie will. Zuletzt ist sie weg, Donnerwetter, die haben sie fein eingepö-kelt, man zieht befriedigt ab. Alles ist mit Brettern belegt. Die Berolina stand vor Tietz, eine Hand aus-gestreckt, war ein kolossales Weib, die haben sie weggeschleppt. [… ]
Über den Damm, sie legen alles hin, die ganzen Häuser an der Stadtbahn legen sie hin, woher sie das Geld haben, die Stadt Berlin ist reich, und wir bezahlen die Steuern. Neben dem Prälaten ist Platz, da stehen die Wagen mit Bananen. Gebt euren Kin-
In Berlin Alexanderplatz schildert Alf-red Döblin die vergeblichen Bemü-hungen des entlassenen Sträflings Franz Biberkopf, in ein anständiges Leben zurückzufinden. Am Ende steht Biberkopf da, hat bei einem Einbruch einen Arm verloren und muss erken-nen: Er hat Fehler gemacht; er muss sich mit anderen zusammentun. Und er darf nicht alles auf das Schicksal schie-ben, auch wenn das stärker ist als er.
Das Schicksal, das ist auch Berlin. Dieses Berlin und das quirlige Gewim-
mel der Hauptstadt an einer ihrer mar-kantesten Stellen erscheint in dem Textausschnitt: Straßenbahnen, hef-tige Geräusche; Verkehrspolizisten, die die Menschenströme lenken; Bautä-tigkeiten und Kälte. Alles ist Eindruck, Außenseite, kaum geordnete, bro-delnde Wirklichkeit, die den Betrach-ter überfällt. Das Durcheinander wird gedeutet und gedanklich bewältigt mit Hilfe platter Kommentare, nichts-sagender Sprüche und einiger scharf-sichtiger Bemerkungen.
Schönes Deutsch ist das nicht. Keine Gemeinsamkeiten mehr mit Fontane, Keller oder Joseph Roth, die wir hier vorgestellt haben. Eine euro-päische Hauptstadt im ersten Drit-tel des 20. Jahrhundert ist nicht das-selbe wie ein Dorf in der Schweiz oder
eine k. u. k.-Garnison in Galizien. Groß-städte gab es auch zur Zeit Fontanes. Aber dessen Berlin mit Kutschen und baumbestandenen Alleen hat sich gewandelt zur lärmigen Metropole. Da braucht es eine andere Sprache.
Der Leser wird dieses Stück Berlin mit dem, was es heute ist, vergleichen. Er mag sich auch vorstellen, wie der Alex aussähe, hätten die englischen und amerikanischen Bomberge-schwader und die Artillerie der Roten Armee nicht einen Trümmerhaufen aus diesem berühmtesten Platz Ber-lins gemacht.
Alfred Döblin wurde 1878 in Stettin geboren. Er war Nervenarzt und Jude, floh 1933 nach Frankreich und emig-rierte später in die USA. Als Oberst der französischen Armee mit zivilen Auf-
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Alfred Döblin:SprücheRichtigSchreiben kann man nur in der eigenen Sprache.
Lion Feuchtwanger (1884–1958)
PlattAuf Englisch klingt vieles platter als auf Spanisch.
Shakira, kolumbianische Sängerin
Die deutsche SpracheGiftschleuder gegen alles, was verwundet, Rettungsboot, Fallschirm, Lungenmaschine, Sauerstoffgerät, Trostpflaster und Schlupfloch, Tarnkappe und fliegender Teppich, Hauptnahrungsmittel und Droge – und das Eleganteste, was wir je erfunden haben.
Andreas Altmann, Reiseschriftsteller
Gute NachrichtEs gibt wieder gute deutsche Texte, die ohne Anglizismen auskommen. Man denke an Rosenstolz oder Xavier Naidoo.
Peter Kraus, Sänger
Gipfel der BildungAlles in der Muttersprache ausdrücken zu können, bekundet höchste Geistes- und Seelenbildung.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831)
Von Goethe bis KahnVon Goethe über Gutenberg bis Oliver Kahn – es gibt sehr viel, worauf Deutschland stolz sein kann.
Jacques Rogge, Präsident des Internationalen
Olympischen Komitees
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Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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Berlin, Alexanderplatz
dern Bananen. Die Banane ist die sauberste Frucht, da sie durch ihre Schale vor Insekten, Würmern sowie Bazillen geschützt ist. Aus-genommen sind solche Insekten, Würmer und Bazillen, die durch die Schale kommen. Geheimrat Czerny hat mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß selbst Kinder in den ers-ten Lebensjahren. Ich zerschlage alles, du zer-schlägst alles, er zerschlägt alles.
Wind gibt es massenhaft am Alex, an der Ecke von Tietz zieht es lausig. Es gibt Wind, der pus-tet zwischen die Häuser rein und auf die Bau-gruben. Man möchte sich in die Kneipen ver-stecken, aber wer kann das, das bläst durch die Hosentaschen, da merkst du, es geht was vor, es wird nicht gefackelt, man muß lustig sein bei dem Wetter. Frühmorgens kommen die Arbeiter angegondelt, von Reinickendorf, Neukölln, Weißensee. Kalt oder nicht kalt, Wind oder nicht Wind, Kaffeekanne her, pack die Stullen ein, wir müssen schuften, oben sit-zen die Drohnen, die schlafen in ihre Federbet-ten und saugen uns aus.
Aschinger hat ein großes Café und Restaurant. Wer keinen Bauch hat, kann einen kriegen, wer einen hat, kann ihn beliebig vergrößern. Die Natur läßt sich nicht betrügen! Wer glaubt, aus entwertetem Weißmehl hergestellte Brote und Backwaren durch künstliche Zusätze verbes-sern zu können, der täuscht sich und die Ver-braucher. Die Natur hat ihre Lebensgesetze und rächt jeden Mißbrauch. Der erschüt-terte Gesundheitszustand fast aller Kultur-völker der Gegenwart hat seine Ursache im Genuß entwerteter und künstlich verfeiner-ter Nahrung. Feine Wurstwaren auch außer dem Haus, Leberwurst und Blutwurst billig. […]
Da sitzt ein alter Mann mit einer Arztwaage: Kontrollieren Sie Ihr Gewicht, 5 Pfennig. O liebe Brüder und Schwestern, die ihr über den Alex wimmelt, gönnt euch diesen Augen-blick, seht durch die Lücke neben der Arzt-waage auf diesen Schuttplatz, wo einmal Jür-gens florierte, und da steht noch das Kaufhaus Hahn, leergemacht, ausgeräumt und ausge-weidet, daß nur die roten Fetzen noch an den Schaufenstern kleben. Ein Müllhaufen liegt vor uns. Von Erde bist du gekommen, zu Erde sollst du wieder werden, wir haben gebauet ein herr-liches Haus, nun geht hier kein Mensch weder rein noch raus. So ist kaputt Rom, Babylon, Ninive, Hannibal, Cäsar, alles kaputt, oh, denkt daran. Erstens habe ich dazu zu bemerken, daß man diese Städte jetzt wieder ausgräbt, wie die Abbildungen in der letzten Sonntagsaus-gabe zeigen, und zweitens haben diese Städte ihren Zweck erfüllt, und man kann nun wie-der neue Städte bauen. Du jammerst doch nicht über deine alten Hosen, wenn sie morsch und kaputt sind, du kaufst neue, davon lebt die Welt.
Die Schupo beherrscht gewaltig den Platz. Sie steht in mehreren Exemplaren auf dem Platz. Jedes Exemplar wirft Kennerblicke nach zwei Seiten und weiß die Verkehrsregeln auswen-dig. Es hat Wickelgamaschen an den Beinen, ein Gummiknüppel hängt ihm an der rechten Seite, die Arme schwenkt es horizontal von Westen nach Osten, da kann Norden, Süden nicht weiter, und der Osten ergießt sich nach Westen, der Westen nach Osten. Dann schal-tet sich das Exemplar selbsttätig um: Der Nor-den ergießt sich nach Süden, der Süden nach Norden. Scharf ist der Schupo auf Taille gear-beitet. Auf seinen erfolgten Ruck laufen über den Platz in Richtung Königstraße etwa 30 pri-vate Personen […]
Was in ihnen vorgeht, wer kann das ermitteln, ein ungeheures Kapitel. Und wenn man es täte, wem diente es? Neue Bücher? Schon die alten gehen nicht, und im Jahre 27 ist der Buchab-satz gegen 26 um soundsoviel Prozent zurück-gegangen.
Man nehme die Leute einfach als Privatper-sonen, die 20 Pfennig bezahlt haben, mit Aus-nahme der Besitzer von Monatskarten und der Schüler, die nur 10 Pfennig zahlen, und da fah-ren sie nun mit ihrem Gewicht von einem Zent-ner bis zwei Zentner, in ihren Kleidern, mit Taschen, Paketen, Schlüsseln, Hüten, künstli-chen Gebissen, Bruchbändern über den Alex-anderplatz und bewahren die geheimnisvollen langen Zettel auf, auf denen steht: Linie 12 Sie-mensstraße DA, Gotzkowskistraße C, B, Ora-nienburger Tor C, C, Kottbuser Tor A, geheim-nisvolle Zeichen, wer kann es raten, wer kann es nennen und wer bekennen, drei Worte nenn ich dir inhaltschwer, und die Zettel sind vier-mal an bestimmten Stellen gelocht, und auf den Zetteln steht in demselben Deutsch, mit dem die Bibel geschrieben ist und das Bürger-liche Gesetzbuch: Gültig zur Erreichung des Reiseziels auf kürzestem Wege, keine Gewähr für die Anschlußbahn. Sie lesen Zeitungen ver-schiedener Richtungen, bewahren vermittels ihres Ohrlabyrinths das Gleichgewicht, neh-men Sauerstoff auf, dösen sich an, haben Schmerzen, haben keine Schmerzen, denken, denken nicht, sind glücklich, sind unglücklich, sind weder glücklich noch unglücklich.
Alfred Döblin (1878–1957). Berlin Alexanderplatz (1929): Wieder-sehn auf dem Alex, Hundekälte, nächstes Jahr, 1929, wird’s noch kälter.
Regisseur Rainer Werner Fassbinder spaltete mit seiner 13-teiligen Verfilmung des Romans von Alfred Döblin 1980 die Fernsehnation. Die düstere, dunkle Atmosphäre der Serie befremdete viele Zuschauer. Darstel-lerisch gelingt Günter Lamprecht ein beeindruckendes Portrait von Franz Biberkopf. Foto: WDR
gaben kehrt er 1945 nach Deutschland zurück. Er stirbt 1957 in einem Kranken-haus in Emmendingen bei Freiburg.
Berlin Alexanderplatz wurde zwei-mal verfilmt. 1931 mit Emil Jannings als Franz Biberkopf und 1980 von Rainer Werner Fassbinder.
Gerd Schrammen
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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Eine Floskel [von lat. flosculus – das Blümchen] ist eine formelhafte Rede-wendung. In der Antike war sie ein Denkspruch, durch zu häufige Anwen-dung wurde sie zu einem belanglosen Füllsel. Beispiele dafür sind: bitterer Ernst, 110 Prozent geben, unter Druck geraten. Floskeln wirken im Text ober-flächlich, verzichten Sie darauf und ver-wenden griffige direkte Formulierungen:Anstatt Bei Rückfragen stehe ich Ihnen zur Verfügung, Haben Sie noch Fragen? Dann rufen Sie mich unter 0123/456789 an. – Vielen Dank für Ihre Bemühungen, besser: Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe. Ausnahmen sind Floskeln in der münd-lichen Kommunikation, die Gruß- und Höflichkeitsfloskeln: Wie geht es Ihnen? Danke, gut. Arbeitgeber schrei-ben manchmal absichtlich Floskeln in Arbeitszeugnisse, um eine negative Bewertung zu verstecken: Er hat sich stets bemüht […]. mo
Guter Stil: Floskeln
Opel wirbt auf Deutsch
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Gesucht: Beste politische Rede
D ie politische Rede hat die Kraft, Zukunft maßgeblich
zu gestalten, indem sie kreative Gedanken transportiert, Men-schen erreicht und sie zum Nach-denken, zum Weiterdenken und zum Handeln motiviert. Große Reden sind dabei oft von unbe-kannten Schreibern erdacht.
Das Unternehmen Berlin-polis schreibt zum vierten Mal den Nachwuchspreis für die beste politische Rede aus. Teil-nehmen können Redenschrei-ber bis einschließlich 35 Jah-ren, Stichtag ist der 1. Januar 2010. Die Preise für die drei bes-ten Reden sind mit 2.000, 1.000 und 500 Euro dotiert.
Weitere Informationen zum Redner- und Dialogpreis gibt es im Internet auf der Seite http://www.berlinpolis.de/aktuelles.html. hok
Unternehmenssprache
Das Landesarbeitsgericht Köln hat in einem Beschluss vom 9. März die Sprachrechte
der Arbeitnehmer gestärkt. Demnach dürfen Unternehmen nicht ohne weiteres bestimmen, in welcher Sprache sich die Arbeitnehmer am Arbeitsplatz verständigen müssen.
Künftig darf der Betriebsrat mitbestim-men, ob beispielsweise Englisch Unterneh-menssprache wird. mo
Bairische Ansage
U- und S-Bahn in München sollen bairi-scher klingen. Die Münchner S-Bahn-
Gesellschaft hat nun eine neue Stimme mit deutlich hörbarem oberbairischem Akzent ein-gesetzt. Dies hätten sich die Tram-Kunden sehr gewünscht, so eine Sprecherin.
Die Aufnahmen der neuen Tonfärbung erfolgten mit der Änderung der Ansagetexte für die neue Haltestelle „Hirschgartenstraße“. hok
Suche deutsches Wort
Die Ethik-Bank sucht für ihre neue Internet-Seite eine deutsche Bezeichnung für das
Wortungetüm „Ethik-Research“ (deutsch: Suche nach ethischen Grundsätzen). Es gibt bisher kein deutsches Wort, welches den Inhalt trifft.
Die Bank sammelt Vorschläge an das E-Post-fach <[email protected]> bis zum 31.12.2009. Zu gewinnen gibt es ein Wochen-ende in einem Bio-Hotel in Deutschland. hok
Die Rüsselsheimer Adam Opel GmbH hat einen neuen Wer-
bespruch: „Wir leben Autos“, lau-tet die Kernbotschaft, mit der die Automarke künftig auch im Aus-land auftritt. Klingt, als sei man hier beim Deutschen geblieben, auch wenn fraglich ist, ob man neben dem Leben noch etwas ande-res leben kann, außer vielleicht gesund, gefährlich, in freier Wild-bahn oder ähnliches.
Opel-Marken-Chef Alain Vis-ser erklärte, einen Spruch in deutscher Sprache zu machen sei
„mutig“, aber Opel habe deutsche Wurzeln: „Nicht umsonst hat es das nicht ganz einfache Wort ‚Fahr-vergnügen‘ bis in die amerikani-sche Sprache geschafft. Jeder Ame-rikaner weiß, was damit gemeint ist, und jeder bringt damit deut-sche Ingenieurskunst in Verbin-dung.“ hok
DEUTSChE SPRAChE
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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Von Birgit Schönberger
Die Sprache, die wir von Kindesbeinen an lernen, ankert deshalb so tief in
unserem Bewusstsein, weil Emp-findungen wie Lust, Angst, Freude, Trauer, Wut oder Zuneigung mit dem Erlernen untrennbar verbun-den sind. Diese Muttersprache ist ein Teil unserer Persönlichkeit geworden. Für über 60 Prozent der Deutschen ist dies eine regio-nale Form der deutschen Sprache, die sich erheblich von der Stan-dardsprache unterscheiden kann. In der Südhälfte Deutschlands und im Saarland sind es gebiets-weise über 90 Prozent, die den Dialekt als ihre Muttersprache an-geben.
Satzmelodie, Wortwahl und die ganz eigene Aussprache gehö-ren zu unseren unverwechselba-ren Kennzeichen. So schätzen wir schon um des eigenen Selbst-wertgefühls die Muttersprache – ob Dialekt oder Hochsprache – als die höchste. Sie ist nicht nur Aus-druck unseres Selbst, sie ist darü-ber hinaus auch das starke Band zur Gruppe derer, die unsere Spra-che sprechen. Jene, die anders sprechen, werden deswegen oft ausgegrenzt. Ja, manchem Ein-heimischen bereitet es eine diebi-sche Freude, die eigene Mundart als „Geheimsprache“ zu verwen-
den, die den Zugereisten das Ver-stehen unmöglich machen soll.
Es gibt noch einen weiteren Grund für Sticheleien, ja Feind-seligkeiten unter Sprechern ver-schiedener Muttersprachen: Exis-tenzangst. Ist die Sprache der anderen mächtiger, durchset-zungsfähiger oder sitzen deren Vertreter an Schaltstellen des öffentlichen Lebens, dann sehen wir die Lebendigkeit unserer eige-nen Sprache gefährdet, vielleicht bangen wir sogar um ihr Überle-ben. Wer glaubt, mit dem Rücken zur Wand zu stehen, entwickelt Hass und Häme gegenüber dem Ungewohnten, dem Fremden, fürchtet um die Grundlage sei-ner Ausdruckskraft, ja um seine Persönlichkeit selbst.
Nicht umsonst spre-chen wir von der einigen-den Kraft einer gemeinsa-men Sprache. Wir brauchen diesen
„Kitt“ der Menschen mit oder ohne Dialekt und solchen, die hier leben, ohne Deutsch als Muttersprache gelernt zu haben, ein reibungsar-mes Miteinander möglich macht. Ein Großteil der Erstklässler erwirbt Hochdeutsch heute bei-nahe wie eine erste Fremdspra-che, denn zu Hause herrscht Dialekt vor. Im Ruhrgebiet aufge-wachsen erinnere ich mich, dass zu meiner Schulzeit Deutsch-
und Musiklehrer an der sprach-lichen Färbung ihrer Zöglinge feilten. Die Botschaft, die Hoch-sprache stehe über dem Dialekt, wurde zwar nicht wörtlich ausge-sprochen, doch zwischen den Zei-len vermittelt. Dass es sich dabei um eine Binsenweisheit handelt, zeigt die erneute Förderung der Dialekte seit den 1980er Jahren.
Daneben ist aber Hochdeutsch für viele die Muttersprache. Auch sie sind in ihrer Sprache zu Hause, auch sie binden starke Gefühle an diese Form der deutschen Sprache. Einmischungen anderer Sprachen empfinden diese Menschen oft als störend und unschön, wenn sie überhand nehmen, als bedrohlich.
Nach meinen Erfahrungen – vorwiegend in Bayern – sehen Dialektsprecher diese Gefahr nicht. Ihr Hauptfeind in Sachen Sprachverdrängung ist Hoch-deutsch. Gebetsmühlenartig wer-den die gleichen Vorwürfe, die alle klassischen Merkmale von Vor-urteilen aufweisen, wiederholt: Hochdeutsch sei eine Kunstspra-che ohne Leben; in der Hochspra-che lasse sich nicht ausdrücken, was im Dialekt möglich ist; Dia-
lektsprecher seien intelligenter, da sie beim Erlernen der Hoch-sprache eine größere geistige Leis-tung erbringen müssen; es gebe Ausdrücke und Worte in der Hoch-sprache, bei deren Benutzung sich dem Dialektsprecher der Magen umdrehe; wer die Schriftsprache verwende, spreche zu schnell, zu laut, zu viel, zu kantig und sei obendrein unhöflich.
Erklärt beispielsweise ein Bayer sein Wohnzimmer zu einer
„tschüsfreien Zone“, nutzen keine Erläuterungen. Meine Großmut-ter sagte noch „a tschüs“, das sich auf „à Dieu“ (adieu), also
„Gott befohlen“ zurückführen lässt. Damit entspricht es inhalt-lich „pfia God“ und es gäbe kei-nen Grund für einen Bayern, bei jedem „tschüs“ schmerzlich das Gesicht zu verziehen, als gelte es, eine Kröte zu schlucken.
Ist es notwendig, dass wir uns weiterhin auf beiden Seiten das Leben schwermachen, statt auf-einander zuzugehen? In Wahrheit gibt es doch, ob von ihren Spre-chern anerkannt oder nicht, eine Symbiose zwischen Hochsprache und Dialekt. Sie brauchen einan-der. So wie Dialekte der Humus sind, auf dem Phantasie und Lebendigkeit gedeihen, die eine Sprachgruppe zusammenhalten, so ist die Hochsprache zum einen die Klammer für alle, darüber hin-aus aber ein verlässliches, allge-meingültiges Kulturgut. Dabei ist das eine nicht mehr wert als das andere; nebeneinander können wir mit diesem Pfund wuchern.
Das wichtigste Argument für beide Lager, um an einem Strang zu ziehen, ist der Einfluss von außen. Der Englischwahn in Deutschland verschont mittler-weile keinen Bildungszweig mehr und ist in Industrie und Wirtschaft zu einem Knebel für Berufstätige
geworden. Unternehmer, die ihre Mitarbeiter nöti-gen, ihre Ideen in einer ihnen fremden Sprache darzulegen, machen aus gestandenen Fachleuten
stammelnde Kleinkinder. Das ist nicht nur unwürdig, sondern auch geschäftsschädigend.
Wir sitzen alle im selben Boot, ob Dialektsprecher oder Vertre-ter der Hochsprache. Daher soll-ten wir endlich gemeinsam das Ruder ergreifen, statt um den Pos-ten des Steuermanns zu streiten! Übrigens – für alle, die es noch nicht bemerkt haben sollten – es handelt sich um ein Rettungs-boot!
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Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
Wir sitzen alle im selben Boot, ob Dialektsprecher oder Vertreter der Hochsprache.
SN-SCHWERKUNKT
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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Fehlstart für Briefzusteller und Telekom
Seit 2007 hat die Deutsche Bundespost Konkurrenz von
anderen Unternehmen bekom-men, die Briefe oder Pakete zustellen.
Die Konkurrenten der „gel-ben Post“ sind grün (PIN-Mail in Berlin), orange (TNT Nieder-lande) oder auch hellblau (City-Post Hannover). Diese und andere Anbieter (in Deutschland!) haben im Oktober beschlossen, enger zusammenzuarbeiten. Dazu wol-len sie nun die „Mail Alliance“ gründen, um sich besser gegen die Post AG behaupten zu können.
Die Gedankenleistung das neue Firmengebilde „Mail Alli-ance“ zu taufen, ist bemerkens-wert. Wer kommt nur auf so etwas?
Die erste Werbemaßnahme für die teilnehmenden Firmen wird wahrscheinlich sein, den Briefe-schreibern zu erklären, dass sie auch Briefe im Inland verschicken können.
Die Deutsche Telekom und ihr französisches Gegenstück, die France Telekom, teilten derweil in einer Pressemitteilung mit, sie wollten enger mit den Mobilfunk-firmen in Großbritannien zusam-menarbeiten.
Man erwartet nach dem „Roll-Out“ der Markenstrategie einen größeren „Net Present Value“, Ein-sparungen bei „Network Opera-tions“ und höhere Anteile am „Joint Venture nach Closing at equity“. Alles klar?
Das Wirtschaftsmagazin Das Kapital hatte erfahren, dass es selbst Telekom-Vorstand René Obermann zu peinlich war, diesen Sprachmülll vorzustellen. SN
D E N g l I S C H
Flughafen Zürich nicht mehr „Unique“
Der „Unique“-Flughafen heißt wieder so, wie er seit
jeher hieß: „Flughafen Zürich“. Der missglückte Zusatzname
„Unique“, der im April 2000 ein-geführt worden war, ist gestrichen. Einmalig hätte er sein sollen, der Flughafen „Unique“, doch der neu-deutsche Zusatz konnte sich bei den Passagieren nicht durchset-zen, zumal die Nähe von „Unique“ und „Munique“ (München) offen-sichtlich ist.
Bereits nach einem Jahr ent-fernte die Flughafen Zürich AG das Unique-Logo am Tower wie-der. Weil es häufig Verwirrung gestiftet habe, habe man jetzt die Ein-Namen-Strategie gewählt, sagte eine Sprecherin des Flug-hafens. Ab Frühjahr 2010 treten der größte Schweizer Flughafen und dessen Betreiberin nur noch unter dem Markennamen „Flug-hafen Zürich“ auf. Das neue Logo werde ab der Generalversamm-lung im kommenden April schritt-weise eingeführt, teilte die Flug-hafen Zürich AG mit. SN
Section control oder Streckenradar?
Streckenradar ist eine neue Methode, um die Durch-
schnittsgeschwindigkeit im Stra-ßenverkehr zu messen. Künftig sollen Kameras die Geschwin-digkeit der Autofahrer an zwei Punkten einer Straße aufneh-men. Fährt ein Fahrer zu schnell, werden die Daten direkt an die Polizei gesendet. In Großbritan-nien, Österreich und in den Nie-derlanden gibt es diese Methode seit Jahren. Während sich die Verkehrsplaner in Deutschland darüber streiten, die neue Tech-nik Abschnittskontrolle oder Streckenradar zu nennen, tauf-ten die Österreicher sie section control – ein Scheinanglizismus, den es im Englischen nicht gibt. Er trägt nicht zur besseren Ver-ständlichkeit bei, sondern stiftet Verwirrung.
In Großbritannien heißt das Verfahren SPECS (übersetzt: Brille), ein Kurzwort aus „Speed Enforcement Camera System“ (= Geschwindigkeitskontrolle mit-tels Kamera). Section control
heißt übersetzt Abschnittskont-rollsegment, ein Begriff der im Deutschen nicht aussagekräftig ist.
Noch konkurrieren die Begriffe „section control“ und
„Streckenradar“ im deutschspra-
chigen Raum. Der Verein Deut-sche Spache (VDS) setzt sich beim Verkehrsministerium und bei Verkehrszeitschriften dafür ein, dass die Bezeichnung „Stre-ckenradar“ in öffentlichen Mittei-lungen steht. mo
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Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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DENglISCH
So zu lesen auf den Netzseiten des Kölner Domradios. Bei den deutschen Bewerbern für die begehrten Dolmetscherposten bei der EU in Brüssel hapere
es nicht so sehr an den Fremd-sprachen, die Muttersprache wäre das Problem. Die Nach-wuchsdolmetscher verstünden zwar, was in der Fremdsprache gesagt wird, so die Referats-leiterin „Dolmetschen Deut-sche Sprache“, könnten aber unter Stress und Zeitdruck
„bestimmte Dinge nicht in der eigenen Sprache ausdrücken“.
Liebe Leute in Brüssel, wir können Euch auch sagen, wes-halb: Wer 25 Jahre mit fast food, flatrates, chillen und public viewing aufwächst, hat eben große Probleme, Begriffe ande-rer Sprachen in die eigene zu übertragen. wk
Der Fall des Eisernen Vor-hangs hat die Teilung Euro-
pas beendet“ – dauernd zu hören und historisch korrekt. Aber das Bild ist Unsinn. Wenn ein eiser-ner Vorhang „fällt“, trennt er den Raum, und zwar die Bühne von den Zuschauern. Weil das beim Ausbruch eines Bühnen-feuers schneller geht, saust die Metallwand aus der Höhe herab. Zack.
Ist die Gefahr gebannt, wird der eiserne Vorhang zurückge-kurbelt, und die beiden Raum-teile sind wieder vereint. Da hat wohl der bildlich korrekte „Fall“ der Berliner Mauer unseren Richtungssinn genarrt.
Der ist sowieso nicht ganz untrüglich. Im Englischen heißt ein abstürzender, verglühender
Komet „shooting star“. Fernseh-, Blog- und Illustriertentexter mit solider Halbbildung benutzen das Wort „Shootingstar“ hierzu-lande für das genaue Gegenteil, für die „Senkrechtstarter“ unter den Musikern, Filmschauspie-lern, Politikern usw. Viele plap-pern es nach und die Engländer biegen sich vor Lachen.
Wenn in Amerika eine Bilanz-kurve nach unten zeigt, heißt es salopp, aber bildstark: „It’s going south“, nach Süden – nach unten, wie auf der Landkarte. Beflissene Deutschsprecher ver-suchen, die Redensart zu kopie-ren. Nur geht das bei uns nicht so flott, sprachlich. Lassen wir’s lie-ber gleich! Auch wenn die Rich-tung diesmal stimmen würde.
Cornelius Sommer
Rauf oder runter?
Von Dieter Föhr
Eine Sucht geht um in deutsch-sprachigen Landen: der Wort-
klau. Immer ungehemmter drin-gen vor allem englische Vokabeln und Ausdrücke in unsere tägliche Spreche und Schreibe. Medien, Kommerz und Werbung machen es vor. Kaum ein Tag, ohne dass dem Publikum ein neuer, modi-scher Anglizismus serviert würde. Viele etablierte Linguisten und Sprachmächtige begrüßen diese, in ihren Augen „quicklebendige, natürliche“ Entwicklung als Gewinn und Bereicherung.
Tatsächlich handelt es sich dabei um den schleichenden Ver-zicht auf sprachlichen Erstzu-griff, auf die eigene Benennungs- und Deutungshoheit.
Wer ständig nur mit fremden Ver-satzstücken jong-liert, schafft eine typische Kultur aus zweiter Hand. So zeigt sich sicht- und hörbar, an welchem Tropf diese Gesell-schaft hängt. Es gelingt ihr scheinbar nicht, eine immer kom-plexere Erfahrungswelt aus eige-ner Kraft sprachlich abzubilden.
Eine Folge dieser lautlichen und augenfälligen Allgegenwart des Englischen ist die Gewöh-nung daran. Unkritisch überneh-men wir dabei auch angelsäch-sische Sicht- und Denkweisen und beziehen zunehmend Refe-renzen, Vor- und Leitbilder aus dem anglo-amerikanischen Kul-turraum.
Dazu gehört die weit ver-breitete Praxis, die eigenen Leistungen dem Verdikt von Rating-Agenturen – meist angel-sächsischen! – zu unterwer-fen. Diese Langzeit-Wirkung ist womöglich tiefergreifend und nachhaltiger als die irritierende Wort-Verdrängung und Begriffs-Anleihe auf offener Bühne.
Gut beobachten lässt sich diese Bereitschaft zur Fremd-bestimmung in den Medien, bei Programmen und Sendungen aus Kultur und Wissenschaft. Hier
greift man gern und häufig auf angelsächsische Quellen zurück, die am leichtesten zugänglich sind: riesige Datenbanken, Such-maschinen, Publikationen. Mit der Fülle an Fakten freilich über-nimmt man zwangsläufig, jeden-falls zum Teil, auch deren Ord-nung, Gewichtung, Bewertung.
Besonders heikel wird es beim Beurteilen historischer Ereig-nisse und Gestalten. Ein Beispiel aus der Wissenschaftsgeschichte: In einer Sendereihe „Die Macht des Wissens“ sendete 3sat ein Porträt von Nikolaus Koperni-kus. Produziert vom MDR, prä-sentiert von Armin Müller-Stahl. In diesem gut gemachten Film bringt man das Kunststück fer-
tig, Kopernikus als rein polnische Lichtgestalt zu zeichnen, ohne mit einem Wort dessen Herkunft, Umfeld oder Partner zu erwäh-nen. Geschichtsklitterung pur oder politisch korrekter Identi-tätsverzicht?!
Eine ähnliche Tendenz zeich-net sich ab, wenn es um Erfin-dungen von technischen Errun-genschaften geht, wie das Telefon (Alexander Graham Bell), den Rechner (ENIAC) oder das Auto-mobil (Henry Ford). Dabei gera-ten Namen wie Johann Phil-ipp Reis, Konrad Ernst Otto Zuse, Gottlieb Wilhelm Daim-ler – soweit überhaupt noch erwähnt – an den Rand des Ver-gessens. Auch deutsche Journa-listen und Redaktionen beginnen sich anzupassen. Sie folgen dem
„internationalen Strom“ und üben sich in einer paradoxen Art von Selbstbevormundung.
Buchtipp: Deutsch raus? Englisch rein. Texte gegen Anglomanie. Von Dieter Föhr. ISBN 978-3-86805-200-8
Peinliche Selbst-bevormundung
Deutsche Dolmetscher können kein Deutsch …
Foto: Robert Kneschke
Amerika kann es sich nicht leisten, auf seine Automobilindustrie zu verzichten – das Land, in dem das Automobil erfunden wurde. Barack Obama, 2009
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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JUgENDSEITE
Mehr als zwei Jahre lebte der 1983 in Heilbronn geborene
Sänger und Komponist Jonas Birthelmer in Israel. Nachdem er dort seinen Zivildienst absol-vierte wohnte er von 2005 bis 2006 in Tel Aviv, studierte dort an der „RIMON school of jazz and contemporary music“. Seit 2006 lernt er am „International Music College“ in Freiburg.
Sein in deutscher und hebrä-ischer Sprache gesungenes Lied
„Tel Aviv“ ist in den vergangenen Monaten in Israel sehr bekannt geworden. Der Text handelt von der gleichnamigen Stadt, vom Weggehen und vom Sich-weit-weg-fühlen.
Jonas Birthelmer erklärt: „Wenn ich an die Zeit zurück denke, sind das einfach die Bil-der und Gefühle, die in mir hochkommen. Das ist schwer in Worte zu fassen und wenn, dann
in einem Song. Jede Sprache hat ihre ganz eigenen Farben. Ich wollte für dieses Lied beide zusammenbringen und zeigen, wie die Sprache uns Menschen verbindet, denn die ausgedrück-ten Gefühle sind dieselben, wir erleben nur mehr Farben. Das ist alles.“ Mit seinem Lied und dem in Eigenregie produzierte Video-film geriet Birthelmer in Israel an die richtigen Leute. Dubi Lenz, einer der bekanntesten israeli-schen Radiomoderatoren nahm es im August in seine Sendung bei dem bekannten Radiosender
„Galei Zahal“ auf. Jonas Birthelmer machte
schon 2007 mit seiner Band „Was Bleibt“ im süddeutschen Raum auf sich aufmerksam. Die Jonas-Birthelmer-Band ist nun das Soloprojekt des Künstlers. Das Lied „Tel Aviv“ wurde nun für den „Deutschen Songpreis
2009“ des Deutschen Rock- und Popmusikerverband e.V. nomi-niert. Das nächste Ziel ist eine kleine Konzertreise durch Israel mit „Tel Aviv“, aber auch anderen Stücken auf Deutsch und Eng-lisch im Gepäck. Dabei soll die Gruppe mit deutschen und israe-lischen Musikern besetzt werden.
„Wir sind momentan in der Pla-nungsphase. Und natürlich sind wir über jede Unterstützung für das Projekt dankbar, sei es ein-fach nur ein heißer Tipp oder eine logistische Hilfe. In dieser Form hat es das noch nie gegeben und bedeutet für unsere Freundschaft auf der Ebene von Popularmusik und der Begegnung von jungen Künstlern ganz neue Möglichkei-ten“, berichtet Birthelmer.
Mehr Infos unter http://www.myspace.com/jonasbirthelmer oder <[email protected]>.
imh
Auf Deutsch und Hebräisch
Der Thüringer Landgraf Her-mann I. (1155–1217) aus
der Familie der Ludowinger gilt als Förderer deutschsprachi-ger Spruchdichtung. 1206 soll auf seinem Hauptsitz, der Wart-burg bei Eisenach, ein Dichter-wettbewerb stattgefunden haben, auch bekannt als Wartburgkrieg. Dabei traten die Poeten im münd-lichen mittelhochdeutschen Vor-trag gegeneinander an. Die dar-aus entstandene Liedsammlung hatte großen Einfluss auf die mit-telhochdeutsche Lyrik.
Mit der Zeit vergaß man den Dichterwettstreit – für mehrere Jahrhunderte. Er musste erst den Umweg über das in der Zwischen-zeit entdeckte Amerika, genauer: über Chicago, nehmen, um auch in Deutschland wieder bekannt zu werden. 1984 fand in den USA der erste Dichterwettstreit statt, auf Englisch nannte man ihn poe-try slam (übersetzt etwa: Gedichte um die Ohren hauen). Darauf auf-merksam geworden, treffen sich seit 1986 auch in Frankfurt am Main Poeten unter dem Titel
„Jeder darf mal“, seit 1994 mit dem Titel „Poetry Slam“ in Berlin, seit 1996 in München, seit 1997 in Hamburg.
Grundidee des Dichterwett-streits ist es, die Texte nicht nur zu lesen, sondern künstlerisch darzubieten. Die Zuhörer bewer-ten den Vortrag, und ihre Noten fallen umso besser aus, je mehr der Künstler auch körperlich ein Teil seines Textes wird, indem er schreit, flüstert, jault, keucht oder im Staccato Reime verfertigt. Sie sollen den Gedichten Leben ein-hauchen. Inhaltlich und formal gibt es keinerlei Vorgaben. Fast alle literarischen Formen sind zu finden: Von freien und sich über-schlagenden Reimen, bis zur vor-gelesenen Prosa oder Unterarten des Kabaretts. Einzige Bedingung: Die Regie schaltet nach sechs Minuten das Mikrophon aus.
Bemerkenswert ist, dass die Dichter selten über 30 Jahre alt
sind. Der Altersdurchschnitt des Publikums ist meist noch geringer. Der Dichterwettstreit ist deswegen das Beste, was der Literaturszene in Deutschland seit Jahrzehn-ten passiert ist, um die jüngere Generation für Sprache zu be- geistern.
In Deutschland finden zur Zeit um die 70, in Österreich vier und in der Schweiz sieben Wett-bewerbe regelmäßig statt. Die deutschsprachigen Meisterschaf-ten wurden im Oktober in Düs-seldorf ausgetragen. 250 Dichter traten gegeneinander an. Gewon-nen hat der 33-jährige Philipp
„Scharri“ Scharrenberg aus Stutt-gart. Scharrenberg ist einer der Sprachsportler, die ihre Kunst auch zum Beruf machen wollen. Er ist Mitglied der „Lesebühne 7PS – Eurythmie und Marschmu-sik“ und hat zahlreiche Auftritte im Fernsehen und bei Veranstal-tungen. SN
Keuchen und Jaulen
ein Musiker wird mit deutschen texten in israel berühmt
Musiker Jonas Birthelmer: „Ich musste erst 2000 Kilometer in die Ferne fliehen, um anzufangen deutsch zu schreiben.“
Der Dichterwettstreit wird zur beliebten Literaturform bei jungen Leuten.
Oben: Sebastian Rabsahl alias „Se -bastian23“ beim den deutschen Meister-schaften im Oktober in Düsseldorf; links: Gewinner Philipp Scharrenberg.
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Neben Beiträgen zur Entwick-lung des Lexikons und der
Syntax und den Wissenschafts-sprachen Französisch und Pol-nisch standen Vorträge zur Geschichte der Wissenschafts-sprache Deutsch und zu ihrer Lage in verschiedenen Wissen-schaften auf dem Programm. Ver-anstalter waren Prof. Dr. Helmut Glück, Dr. Wieland Eins und Dipl. Germ. Sabine Pretscher.
Christopher Baethge (Köln), Facharzt für Psychiatrie und Psy-chotherapie und Redakteur beim Deutschen Ärzteblatt, berichtete über die Lage der Wissenschafts-sprache Deutsch in der Medizin. Seiner Einschätzung nach sei das Deutsche dort nicht existen-ziell bedroht, da es in der Pra-xis, zum Beispiel beim Patienten-kontakt, unerlässlich sei. Bei den Zeitschriftenbeiträgen, die in der Medizin den Großteil der fach-lichen Publikation ausmachten, steht jedoch eindeutig das Eng-lische im Vordergrund. Henning Hopf (Braunschweig) gab Aus-kunft über die Wissenschaftsspra-che Deutsch in der Chemie. Bis in die 1960er Jahre spielte das Deut-sche dort eine große Rolle. Inzwi-schen sei es fast völlig durch das Englische verdrängt worden, wie man zum Beispiel am „European Journal of Organic (bzw. Inorga-
nic) Chemistry“, dem zentralen europäischen Veröffentlichungsor-gan, sehen könne. Publiziert wird hier ausschließlich auf Englisch.
In den Wirtschaftswissenschaf-ten sei die Stellung des Deutschen dagegen nicht aussichtslos, wie Walter Krämer (Dortmund) mit-teilte. So müssten deutsche Wirt-schaftsforschungsinstitute ihre Ergebnisse in der Sprache des Auftraggebers veröffentlichen. An vielen Wirtschaftsschulen sei die Unterrichtssprache wie-der vom Englischen auf das Deutsche umgestellt worden. Laut Krämer sei die engli-sche Sprache als „Türöffner“ gut dafür geeignet, auslän-dische Studenten an deutsche Universitäten zu holen. Die Stu-dierenden müssten dann aber in den folgenden ein bis zwei Jah-ren Deutsch lernen. Auch in der Philosophie dominiere das Eng-lische laut Pirmin Stekeler-Weit-hofer (Leipzig) seit etwa 1970. Allerdings sei das Interesse an der deutschen Sprache dank der großen deutschsprachigen Philo-sophen des 19. und 20. Jahrhun-derts nicht gänzlich erloschen. Wichtig seien in der Philosophie vor allem „kompetente Sprecher, die Herr ihrer Sprache sind“. Des-wegen sei es ärgerlich, dass phi-losophische Veröffentlichungen
aus Deutschland oft schlecht ins Englische übersetzt werden, da es Schwierigkeiten mache, die philo-sophische Quintessenz in ihrem genauen Sinn zu übertragen.
Urszula Żydek-Bednarczuk (Kattowitz) berichtete über das Polnische als Wissenschaftsspra-che. Demnach entwickelte sich ein wissenschaftlicher Stil im Polnischen schon in der Renais-sance. In letzter Zeit überwiege aber immer mehr die Alltagsspra-
che in wissenschaftlichen Texten, und das Interesse an der Wissen-schaftssprache Polnisch nehme ab. In seinem Bericht zum Fran-zösischen als Wissenschafts-sprache erwähnte Martin Haase (Bamberg) zunächst zwei wich-tige historische Ereignisse: die Gründung der Académie fran-çaise 1634/35 und die Enzyklopä-die von Denis Diderot im 18. Jahr-hundert. 1964 erschien der Artikel
„Parlez-vous franglais“ von René Etiemble, in dem scharfe Kritik an Umgangs-, Zeitungs- und Wer-bungssprache geübt wurde. Haase bezeichnete ihn als „Sputnik-schock der Franzosen“. Daraufhin initiierte der Staat den „Haut Con-seil de la langue française“, der sich seitdem mit entsprechenden Terminologiekommissionen und
-erlassen um neue Wörter im Fran-zösischen kümmert.
Thomas Baier (Würzburg) refe-rierte über „Die Entstehung der lateinischen Wissenschaftsspra-che aus dem Geist der hellenis-tischen Literatur“. Er setzte die Entstehung einer lateinischen Fachsprache durch Cato den Älte-ren um ca. 240 v. Chr. an. Sie sei mit der Entwicklung einer Fach-
terminologie und mit den Stiltu-genden perspicuitas und brevi-tas durch Lukrez und Cicero zu ihrer Entfaltung gekommen. Die Entwicklung der Wissenschafts-sprache Deutsch aus dem Latei-nischen war Gegenstand des Vor-trags „Deutsch statt Latein! Zur Entwicklung der Wissenschafts-sprachen in der frühen Neuzeit“ von Wolf Peter Klein (Würzburg). Er behandelte vor allem die „Vor- und Frühgeschichte“ dieser Ent-
wicklung, die Ende des 17./Anfang des 18. Jahrhun-derts einsetzte und vor allem praktischen Notwen-digkeiten entsprang: Man brauchte deutsche Bezeich-
nungen in der Medizin, der Kräu-terkunde, der Mathematik etc. Roswitha Reinbothe (Duisburg) referierte über die „Geschichte des Deutschen als Wissenschafts-sprache im 20. Jahrhundert“, das nach dem Ersten Weltkrieg durch einen massiven Boykott durch die Siegermächte einen an Bedeu-tung verlor und durch das Eng-lische und Französische ersetzt wurde. Wie sich dieser Domä-nenverlust des Deutschen auf die deutsche Sprache auswirkte, erörterte Peter Eisenberg (Pots-dam) in seinem Beitrag „Deutsch ohne Wissenschaft. Hat der Nicht-gebrauch Folgen für die Spra-che?“ Er unterstrich, dass das Ansehen einer Sprache zunächst innerhalb seiner Sprecherge-meinschaft sinke: „Die Wissen-schaft braucht die ganze Spra-che, nicht nur den ‚guten Stil‘“.
Konrad Ehlich (Berlin) schließ-lich befasste sich mit „Wissen-schaftssprachlichen Struktu-ren“, die von einer allgemeinen Charakteristik über ihre Vor-aussetzungen und lexikalischen Strukturen bis hin zur Wissen-schaftssprachkomparatistik führ-ten. Magdalena Bayreuther
DEUTSCH UND ANDERE SPRACHEN
Deutschsprachige Universität in Rumänien
Die Sprache(n) der Wissenschaft
Klausenburg – Seit kur-zem gibt es auch außerhalb des geschlossenen deutschen Sprachraums eine Hochschule, an der man fast jedes wichtige Studienfach auf Deutsch stu-dieren kann. Es ist die Uni-versität Klausenburg /Cluj-Napoca in Rumänien. Das deutschsprachige Angebot
reicht von Betriebswirtschaft über Ökologie und Journalis-tik bis zu Chemie.
Diese Besonderheit ist der aktiven deutschen Minder-heit in Rumänien zu verdan-ken, die sich für die deutsch-sprachigen Studiengänge an der Universität eingesetzt hat.
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Ein Kolloquium an der Universität Bamberg befasste sich mit dem historischen und gegenwärtigen Status des Deutschen als Wissenschaftssprache.
Die Wissenschaft braucht die ganze Sprache, nicht nur den „guten Stil“.
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Die Franken waren im 5. Jahrhundert in Europa eine Großmacht. Dies ist heute noch
an der Verbreitung ihrer Sprache zu erkennen. Der Merowinger Chlodwig I. einte im 5. Jahr-hundert die Stämme des germanischen Sprach-raums. Das Fränkische umfasste deswegen die heutigen Gebiete Nord-Bayern, Nord-Würt-temberg, Süd-Thüringen, Hessen, Nord-Baden, Rheinland-Pfalz, das nördliche Elsass, Loth-ringen, das Saarland, Luxemburg, das Rhein-land, die deutschsprachigen Gebiete Ostbelgi-ens, große Teile der heutigen Niederlande sowie Flandern.
Viel davon ist nicht geblieben. Heute bezeich-nen sich nur noch die Bewohner in Nordbayern, Südthüringen und die Gegend um Heilbronn in Baden-Württemberg als Franken. In großen Teilen des früheren Sprachgebietes, zum Bei-spiel in Frankreich und Belgien, ging der frän-kische Einfluss gänzlich verloren. Zu den frän-kischen Dialekten gehören heute noch neben den Mundarten der Region Franken das Ripu-arische (Köln und das Rheinland), das Mosel-fränkische (Rheinland-Pfalz und Siegener Land) und das Rheinfränkische (Hessisch, Pfälzisch
und Lothringisch). Bestimmte Ähnlichkeiten in den Sprechweisen erkennt hier jedoch nur der Fachmann wieder. Die Ostfranken gerie-ten unter starken Einfluss des Bairischen, so dass die Sprache der Bewohner des heutigen Frankens viele Merkmale der südlichen Nach-barmundarten hat. An den Grenzen im Norden überschneiden sich fränkische Dialekte mit dem Niederdeutschen. Die 2. Lautverschiebung zum Hochdeutschen, die vom 5. bis 7. Jahrhundert den deutschen Sprachraum in Oberdeutsch und Niederdeutsch trennte, geht vor allem im Wes-ten quer durch das vormals fränkische Gebiet, so dass es in Wiesloch am Oberrhein Pund und Plaum heißt, im wenige Kilometer entfernten Rauenberg Pflaume und Pfund.
Die Merkmale der fränkischen Mundarten im Vergleich zum Standarddeutschen sind so vielfältig, dass beim Versuch, sie alle zu nennen, manches vergessen würde. Bekannt sind der
„rheinische Singsang“, die Verkleinerungsformen -la (Kinderla, Städtla) in Ober- und Mittelfran-ken oder die für hochdeutsche Ohren manch-mal verwirrende Angabe, dass die Tage vor dem Heute in der Rhön Nächde heißen. hok
Von dem in Marbach am Neckar geborenen Friedrich Schiller ist bekannt, dass er manch-
mal unverbesserlich schwäbelte. Besonders wenn er mit Theaterangelegenheiten beschäftigt war, war ihm seine Herkunft anzumerken. „So ischt's recht, main Mädle! So muschtu’s mache!“, lobte er die Schauspielerin Corona Becker bei den Proben zur Uraufführung des Wilhelm Tell in Weimar.
Im Südwesten Deutschlands (Allgäu, Baden-Württemberg), in der Schweiz, in Liechtenstein, im österreichischen Vorarlberg, in Teilen des Elsass und sogar in einigen Ortschaften Oberita-liens spricht man Varianten der deutschen Spra-che, die die Germanistik als das Westoberdeut-sche oder Alemannische bezeichnet. Sie grenzen im Norden an fränkische, im Süden an bairische Dialekte. Der größte Teil der ungefähr elf Millio-nen Sprecher spricht Schwäbisch, Nieder-, Hoch- und Höchstalemannisch. Aber die Unterschiede liegen natürlich im Detail. Lechschwaben spre-chen ein bisschen anders als Württemberger Schwaben, das Badische ist ganz etwas ande-res als das Baseldeutsch oder das Berndeutsche.
Charakteristisch für alle ist die Aussprache der Konsonanten st als scht und von sp als schp, besonders auch im Innenern eines Wortes: Fens-chter‚ (= Fenster), fescht (= fest), Schweschter (= Schwester), Knoschp (= Knospe). Auffällig sind zudem viele Vokale, die im Hochdeutschen als Diphthong oder als Einzellaut gesprochen wer-
den: Wii (Wein), Iis (Eis), Huus (Haus), bruche (Brauch), uf (auf) gegenüber guet (gut), Brueder (Bruder), Liächt (Licht).
Gemeinsam ist allen Varianten des Alemannischen, dass das -n in der Wor-tendung fehlt: höre (= hören), Läbe (= Leben). Verkleinerungsformen hören wir im Alemannischen häufiger als im Hoch-deutschen. So heißt das Häuschen vom Norden bis zum Süden des alemannischen Sprachraums: Häusle – Hüüsle – Hüüsli
– Hiisli.Für das gesamte Gebiet gilt, dass die Ver-
gangenheitsform Präteritum nicht gebräuch-lich ist. Also Formen wie ich kam, ich lief, ich nahm usw. sind abwegig. Für Nicht-Aleman-nen fast exotisch sind Sätze, die eine bestimmte Absicht oder einen Zweck ausdrücken sollen, zum Beispiel: ich gang go Wii hole (= Ich gehe Wein holen).
Auch der alemannische Wortschatz birgt viele Unterschiede und falsche Freunde. Wenn wir im Hochdeutschen etwas heben, wird die-ser Vorgang im Alemannischen durch lupfen ausgedrückt. Wenn im Alemannischen jedoch ein Regal gut hebt, heißt dies dagegen, dass es sicher hält. Die Bühne suchen die Sprecher des Alemannischen nicht im Theater, sondern unter dem Dach eines Hauses. Weitere Beispiele: Anke (= Butter), luëge (= schauen, sehen), keie (= wer-fen, fallen, schlagen). hok
Schwätzen, schnacken, schmàtzen: Wer spricht wie in Deutschland?SN-SChWERPUNK T
Weltsprache Fränkisch
„Heiligs Blechle“ – Sprachmerkmale im Südwesten
Hansesprache Niederdeutsch
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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In Bayern und in Teilen Österreichs müsste es statt „Ich spreche gern Deutsch“ heißen : „I schmàtz
gern Boarisch.“ Denn in Bayern sprechen ungefähr 70 Prozent der Bevölkerung Bairisch, im österrei-chischen Teil des bairischen Sprachraums sind es sogar 80 Prozent. Bayern ist hier übrigens nicht gleichzusetzen mit dem südlichen deutschen Bun-desland, denn dort sind außerdem das Fränkische
und das Schwäbische verbreitet. Die Schreib-weise bairisch (mit i!) meint das Sprachgebiet.
Mit mehr als zwölf Millionen Sprechern bildet das Bairische das größte zusam-menhängende Dialektgebiet im deutschen Sprachraum. Es gliedert sich in das Gebiet des Nordbairischen in der Oberpfalz, des
Mittelbairischen in Nieder- und Oberbayern und des Südbairischen in Österreich – mit Aus-
nahme von Vorarlberg – und Südtirol. Was ist typisch für das Bairische? Zugereisten
fällt an der Aussprache oft die Länge der Vokale auf. Das a kann dunkel (Ståd – Stadt), mittel (Staad – Staat) oder hell (Sàggal – Säckchen) gesprochen werden. Ü und ö sind den Bairisch-
Sprechern unbekannt. An ihrer Stelle sagen die Bayern ohne Lippenrundung iba (= über), Gligg (= Glück) oder meng (= mögen) und kenna (= kön-nen). Viele bairische Diphthonge gibt es dagegen im Hochdeutschen nicht: Im Nordbairischen sagte man Kouh und męid (Kuh, müde), im Mittelbai-rischen heißt es G’fui, Hoiz und Goatn (= Gefühl, Holz, Garten). Auffällig sind die Verkleinerungs-formen auf -l oder -al zum Beispiel Màndl/Màn-dal (= Männchen). Zudem fällt die Bildung des Konjunktivs mit dem Hilfsverb dád (= tut) oder der Endung -ád auf: Er dàd ge/Er gàngad (= Er ginge). Im bairischen Sprachraum erfreut sich das Relativpronomen wo an Stellen im Satz gro-ßer Beliebtheit, an denen es im Hochdeutschen falsch wäre: de wō des gsògt ham – die wo das gesagt haben.
Zum Schluss noch einige Kennwörter des Bairi-schen: In Bayern heißt es nicht Guten Tag!, sondern Griaß God! oder Pfia God! Andere Beispiele sind enk (= euch), Dult (= Jahrmarkt), Bua/Deandl (= Junge/Mädchen) und natürlich schmàtzn.
Elisabeth Wellner
Von Kiel bis Hannover, von Lingen bis Rostock kennt das Niederdeut-
sche 70 Begriffe für das Gänseblüm-chen, wie Blinkbloom, Dusendschökel, Hunnbloom, Marienbloimken, Mar-melbloom oder Steenbloom. Das Gän-seblümchen ist nicht vom Aussterben bedroht, einige niederdeutsche Dia-lekte hingegen schon. Die Europäi-sche Sprachencharta stufte Nieder-deutsch deswegen 1999 als bedroht ein und erklärte, es als regionale Min-derheitensprache zu fördern. Ergeb-nisse: die niedersächsische Verfas-sung gibt es jetzt auf Plattdeutsch und an der Universität Oldenburg ein Schwerpunktstudium Niederdeutsch.
Zum Niederdeutschen werden alle Mundarten gezählt, die es in Norddeutschland gibt. Es gibt etwa zehn Millionen niederdeutsche Spre-cher. In Deutschland lassen sich ihre Sprechweisen geografisch und his-torisch in das West- und Ostnieder-deutsche einteilen, die jeweils weiter untergliedert werden können. Zum Westniederdeutschen gehören Nord-niedersächsisch, West- und Ostfälisch. Zu Ostniederdeutsch Märkisch, Meck-lenburgisch, Vorpommersch, Ostpom-mersch und Nieder preußisch.
Das Niederdeutsche war einst eine bedeutende Schriftsprache, die auch in Urkunden und Gesetzestexten ver-
wendet wurde. Es war die Verkehrs-sprache der Hanse und wurde lange Zeit im gesamten Nord-Ostseeraum gut verstanden. Seit dem 16. Jahr-hundert bildete sich das Hochdeut-sche heraus, so dass Niederdeutsche bis ins 20. Jahrhundert in vielen angestammten Gegenden gar nicht mehr oder nur noch von der ländli-chen Bevölkerung beherrscht wurde.
Das Niederdeutsche hat die zweite germanische Lautverschiebung nicht mitgemacht. Besonders gut ist dies zu erkennen an den Lauten p, t und k, die nicht wie im Hochdeutschen zu pf, ts, ss und ch wurden. Ein Pferd blieb ein Peerd, ein Dorf ein Dorp und ich heißt ik. Deshalb sind viele nieder-deutsche Wörter in west- und nord-germanischen Sprachen ähnlich, zum Beispiel nd. Water (= Wasser), engl. water oder nd. Salt (= Salz), engl. salt, dän., schwed. salt.
Viele ursprünglich niederdeut-sche Wörter benutzen wir heute in der Standardsprache, zum Beispiel Bernstein, Mettwurst, Möwe, Spuk, schmuggeln. Viele andere sind den Deutschsprechenden aus dem Süden aber gänzlich unbekannt: dat Fehn (das Moor), de Deern (das Mädchen), dat Kniv (das Messer), teuben (war-ten) oder snacken (sprechen).
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Schwätzen, schnacken, schmàtzen: Wer spricht wie in Deutschland?
„Pfia God!“ – Das Bairische
Karte: VDS
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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B R I E f E A N D I E R E D A K T I O N
Stark vereinfachtNichts gegen die Kritik am „großen Bolo-gna-Betrug“, die Thomas hering in Nr. 43 der Sprachnachrichten äußert. Was er aber über die 68er und deren angebli-che Mitverantwortung an der „derzeiti-gen geistigen Desorientierung“ schreibt, bewegt sich noch unter dem Niveau, das künftig die Bachelors erwarten lassen. So einfach darf man es sich nicht machen, vor allem als Akademiker nicht, der die Ideale der humboldtschen Universität hochhalten will.
Udo Leuschner, Heidelberg
Einheitlich von Berlin bis San francisco ? Meine volle Zustimmung zu Ihrem Schwerpunktthema. Auch ich habe auf die bekannte, oft genug selbst erfahre-ne Trägheit unserer Systeme vertraut und die Vorzeichen des Unglücks nicht ernst genommen. Die Erklärung, die hans-Jo-achim Meyer gibt, benennt wohl richtig die einzige Kraft, die stark genug war, um jene Trägheit zu überwinden: das Ziel, die Universität und damit die öffentlichen haushalte zu entlasten. Aber ein natio-nales Bildungssystem ist ein Ganzes. Zum deutschen Diplom gehört das deutsche Abitur wie das amerikanische College mit seinem Bachelor zur high School. hat man eigentlich PISA und BOLOGNA ein-mal zusammen gedacht? Oder wenigs-tens die Ergebnisse der vorigen Studien-reform, die ja ebenfalls angelsächsisch orientiert war, aufgearbeitet? Und wie paradox gerade in Deutschland. Das Le-sen und Schreiben muss in Baden-Würt-temberg anders beigebracht werden als in hamburg, aber hochsubjektive Inter-pretationsanalysen zu Goethe sollen von Berlin bis San Francisco einheitlich (wo-möglich englisch) sein, wahrlich eine kri-minelle Verwahrlosung unserer guten Traditionen und Werte.
Utz Reich, Starnberg
Eher die Neoliberalen Die Diagnose vom drohenden Ruin der akademischen Freiheit unter dem Dik-tat des so genannten „Bologna-Prozesses“ teile ich weitgehend. Um so ärgerlicher finde ich es, als Schuldige an dieser ungu-ten Entwicklung (wieder einmal und ge-radezu reflexhaft) die 68er auszumachen und denen völlig unzutreffend und bar jeder historischen Kenntnis nachzureden, die Sowjetunion sei ihr „Paradies“ gewe-sen und nach deren Zusammenbruch be-zögen sie „logischerweise alles heil aus den USA“.
Wer auch nur wenige Stunden damit zugebracht hätte, sich mit der komple-xen Thematik der Studentenbewegung um den SDS und die (zugegebenerma-ßen wenig rühmlichen) Entwicklungen drumherum und in deren Folge ernsthaft zu beschäftigen (und das darf von einem
Autor, der wie ich dem Jahrgang 1967 an-gehört, durchaus erwartet werden), dem dürften solch wohlfeile, wiewohl grund-falsche Phrasen niemals unterlaufen.
Weder auf die SU noch auf die USA waren die 68er jemals besonders gut zu sprechen. Und die treibenden Kräfte bei der Bolognisierung der hochschulen sind ja wohl eher die so genannten „Neolibe-ralen“, die alles gnadenlos auf Effizienz bürsten bzw. controllen wollen – wobei ich es immerhin erfreulich finde, dass ausgerechnet ein BWL-Professor sich in Ihrem Artikel dagegen ausspricht.
Thomas Movtchaniouk, Düsseldorf
SprachlosEs ist sicherlich aller Ehren wert, die zahl-reichen Missstände bei den neuen Bache-lor- und Master-Studiengängen (allem voran den Namen) zu beklagen. Der Ver-such von herrn Prof. hering, dies mit „den so genannten 68ern und ihren schwa-chen Nachfolgern“, die „ursprünglich ver-bissen dem Kommunismus anhingen“ in Verbindung zu bringen, macht mich hin-gegen sprachlos.
Da frage ich mich, ob Prof. hering nicht das größere Armutszeugnis für den Zustand des hochschulwesens abgibt. Solch ein Schrieb beleidigt meine Intelli-genz, ich verzichte ab sofort gerne auf die Lektüre der Sprachnachrichten.
Daniel Haverkamp, Karlsruhe
Unreflektierter UnsinnDa ich dem so genannten „Bologna-Pro-zess“ durchaus kritisch gegenüber stehe, habe ich mit spontanem Interesse den Beitrag „Der große Bologna-Betrug“ ge-lesen. Umso bestürzter musste ich zur Kenntnis nehmen, dass der Artikel nicht nur in der Analyse schwach und in der Bewertung widersprüchlich ist, sondern dass er streckenweise hanebüchenen Un-sinn enthält. Zum Beispiel das hier: „Die derzeitige geistige Desorientierung erklärt sich aus dem höhepunkt der herrschaft der so genannten ‚68er’ und ihrer schwachen Nachfolger.“ Wer ist damit gemeint? Der-zeit verantworten an erster Stelle Frau Merkel und Frau Schavan die europäi-sche Integration in Bildungsangelegen-heiten – beide des 68er-tums vollkom-men unverdächtig. Oder Ist Frau Merkel die „schwache Nachfolgerin“ des 68ers helmut Kohl, der ja die europäische Ei-nigung erklärtermaßen als hohe Priori-tät ansah? Aber es geht ja noch weiter: „Während die ‚68er’ ursprünglich verbissen dem Kom-munismus anhingen“ – was selbst für die späten 60er und frühen 70er eine recht pointierte Zuspitzung ist – „erwarten sie nach dem ruhmlosen Zusammenbruch ihres ‚Paradieses’ Sowjetunion […] logi-scherweise alles heil aus den USA.“ Das ist weder logisch, noch richtig, noch auch
nur einigermaßen plausibel in Zusam-menhang mit Bologna zu bringen.
Wenn derartig unreflektierter Unsinn eines amtierenden Dekans für die aka-demische Vision steht, die gegen Bolog-na verteidigt werden muss, dann gibt es zumindest ein gutes Argument dafür, der Reform viel Erfolg zu wünschen.
Eckart Lilienthal, Bonn
Deutsches Niveau erhalten Als gebürtiger US-Amerikaner kann ich bestätigen, dass die hochschulen in den USA tatsächlich schulartig sind. Es gibt zum Beispiel pflichtige hausaufgaben, und einer meiner Professoren gab sich Mühe, der Vorlesung möglichst viel Un-terhaltungswert zu geben, als wären wir Kinder.
Das darf nicht auch in Deutschland passieren. Ich bin dafür, dass das bisheri-ge hohe Niveau des deutschen Bildungs-wesens erhalten bleibt. Das amerikani-sche System ist ein schlechtes Vorbild.
Stephen Gertsch, München
Anteil der Wirtschaft ausschlaggebendWer den Verein Deutsche Sprache durch die Lektüre der Nr. 43 kennen lernt, mag wohl ins Grübeln kommen. Das geht mir, als längerjährigem Mitglied, genau so.
1. Als Professor an der FernUni hagen bringt es herr hering, Jahrgang 1967, sofort auf den Punkt: „Die derzeiti-ge geistige Desorientierung erklärt sich aus dem höhepunkt der herrschaft der so genannten ‚68er’ und ihrer schwa-chen Nachfolger.“ Nicht nur, dass die frü-her „dem Kommunismus anhingen“, nein, sie erwarten auch (neuerdings) „alles heil aus den USA“. Welch eine Metamorphose! hering hätte gleich noch erwähnen kön-nen, dass die Weltfinanzkrise auch mut-willig von den 68ern angezettelt wurde. Es sind übrigens die gleichen, die herrn hering seine C-4-Professor gaben – eine List der Geschichte im hegelschen Sinne?
Von derlei Phantasien werden die harten Fakten leider völlig überwuchert. Ich meine, dass der Wirtschaft und dem von ihr artikulierten Globalisierungs-druck ein ausschlaggebender Anteil bei der sich abzeichnenden Misere zukommt, allerdings hand in hand mit einer ge-wissen Sorte von hochschullehrern, die sich für die Bedürfnisse der Studieren-den noch nie interessiert haben und die sich jetzt weigern, in ihrer Berufspraxis die notwendigen curricularen und me-thodischen Konsequenzen aus der im-merhin rechtskräftig verfügten Verände-rung des Studienaufbaus zu ziehen und insofern mithelfen, den Karren gegen die Wand zu fahren.
2. herrn Reisers Überzeugung, „ein starkes Zeichen gesetzt“ zu haben,
leidet etwas unter der Randständigkeit seiner Disziplin, aber ich will seine Mo-tive keinesfalls in Zweifel ziehen. Was
mich stutzen lässt, ist der Satz: „Da ich mich um Politik, auch Universitätspolitik, nie gekümmert habe, hörte ich von den konkreten, auch mich betreffenden Plä-nen [...] erstmals Anfang des Jahres 2005“, mithin 6 Jahre nach Bologna, 14 Jahre nach Erlangung der Professur.
Tja, wie war das noch mit der neuer-dings viel gepriesenen humboldtschen Universität? Eingestandenermaßen hat sich herr Reiser des von humboldt gefor-derten „Zusammenwirkens“ aller Glieder der hochschule sehr lange enthalten – oder hat er geglaubt, dass seine Kolle-gen oder sonst wer es schon richten wür-den? Einzelfall oder „kollektives Versagen“ (Krämer)?
3. herrn Meyer ist dafür zu dan-ken, dass er zu Recht darauf aufmerksam macht, dass Bologna keine völkerrecht-liche Verbindlichkeit besitzt, die Deut-schen sich also freiwillig, wie die Lem-minge, in den Abgrund stürzen. Ebenfalls freiwillig eingegangen sind die Verpflich-tungen der 16 Bundesländer untereinan-der.
Meyer schreibt wahrheitsgemäß: „Auf der rechten [sic] Seite des Meinungs-spektrums schwamm man […] schon lan-ge in unkritischer Amerika-Seligkeit. Jetzt schien der Moment gekommen, voll auf die Marktrealität der hereinbrechenden Globalisierung zu setzen.“
herr Meyer hat den Punkt ziemlich genau beschrieben, von dem „die syste-matische Verdrängung der deutschen Sprache aus dem wissenschaftlichen Le-ben dieses Landes“ ausgeht mit all ihren teils unglaublichen Arabesken.
Hans-Joachim Schmidt, Heusweiler
Keine Sprachsünder mehr?Früher brachten die Sprachnachrich-ten immer Anschriften von Sprachsün-dern, mit der Aufforderung, ein kritisches Schreiben dorthin zu schicken. Und wenn dann so ein „Sünder“ ermahnende und belehrende Briefe aus ganz Deutsch-land erhielt, war das sicherlich ein be-achtlicher Denkanstoß.
Leider enthielten die Sprachnachrich-ten im letzten halbjahr solche Aufforde-rungen nicht mehr.
Gibt es denn keine Sprachsünder mehr?
Dr. Paul Wittstock, Emmendingen
WeithergeholtDie Ausführungen im Beitrag „Was, bit-te schön heißt hypo Real Estate?“ (SN 43, S. 32) sind an den haaren herbeige-zogen. Zum einen gibt es im Englischen ein Wort im Kontext, das mit hypo be-ginnt, nämlich hypothecary; zum anderen entstammt das Wörtchen „hypo“ in dem Unternehmensnamen von der hypo- Vereinsbank.
Björn König, Berlin
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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Spracherhalt führt ins kommunikative AbseitsDass Sprache „Wandel“ bedeutet, wurde mir nach gründlicher Lektüre der Sprach-nachrichten nicht deutlich. Stattdessen wurden Personen intensiv gelobt, die sich für den „Spracherhalt“ einsetzten, was ich seltsam finde. Wenn ein junger Mann sich bemüht, so zu sprechen wie sein eigener Großvater und dies in irgendeiner Weise durchsetzen will, ist das meiner Meinung nach eine Allüre, die langfristig ins kom-munikative Abseits, nicht aber zu einer
„besseren“ Sprache führt. Nachdem ich Ihre Zeitung gelesen und ihre Internet- Plattform besucht habe, habe ich mich gegen einen Beitritt zu Ihrem Verein ent-schieden. Bernhard Spring, Halle
fremdsprachenskepsis?Die Sprachnachrichten sind sehr interes-sant und unterhaltsam zu lesen. Über die Anglizismen, die nicht nur im Deutschen, sondern auch etwa im Italienischen über-hand nehmen (zum Beispiel cordless für schnurloses Telefon), sorgen sich auch die Sprachwissenschaftler im englisch-sprachigen Raum selbst, da sie zu Recht eine Pidginisierung und Verwahrlosung der wahren englischen Sprache fürch-ten. Das Probelesen hat mir jedoch aufge-zeigt, dass ich dem Verein nicht beitreten werde, da ich nicht sämtliche Anliegen in aller Konsequenz unterstützen kann und möchte. Zum Beispiel die Skepsis ge-genüber Fremdsprachenausbildung wie im Artikel von Gerd Schrammen (SN 41, S. 17). Ich spreche selbst fünf Fremdspra-chen. * Joachim Barone, Magdeburg
* Anm. d. Red.: Gerd Schrammen spricht deren vier, La-tein und Plattdeutsch nicht mitgezählt.
Very much deppert?Ich bin entsetzt, wie sich unsere Sprache verändert hat. Nehmen Sie an, Sie kom-men in ein Geschäft, wo soeben ein Sale im Gange ist. Ein „Sonderangebot“ wäre ja tabu. Da steht „Der Look und das Fee-ling“. Juckt es da nicht, den Verantwortli-chen anzubrüllen: „How do you geht’s dir, Reklamefritze, are you very much dep-pert?
Theodor Mehlfuhrer, Owen Sound, USA
Enttäuscht von den HerausgebendenSeit einiger Zeit stelle ich mit Unmut fest, dass es in Deutschland immer we-niger Studenten, dafür umso mehr „Stu-dierende“ gibt. Um die Verpflichtung zu umgehen, die mitangesprochenen weib-lichen Mitglieder einer Personengrup-pe mit maskuliner Sammelbezeichnung stets und überall eigens zu erwähnen, bedient man sich gerne dieser unschö-nen Wortschöpfung. Zu meiner großen Enttäuschung musste ich nun feststel-len, dass sich inzwischen selbst der VDS diesem Auswuchs hingegeben hat und gleich drei Mal (SN 43, S.3) die Studenten
durch „Studierende“ ersetzt wurden. Von Verfechtenden der guten Sprache und Bekämpfenden solcher Unsitten hätte ich das nicht erwartet und ich denke, vie-le meiner Mitlesenden sehen das ebenso.
Annette Pieper, Roth
Nur ss für ß fällt auf – Kein Abwarten bei AnglizismenNiemals zuvor hat es in der deutschen Kulturgeschichte einen solchen giganti-schen Betrugsfall gegeben wie den der neuen Rechtschreibung von 1996. Wer ihr folgt, akzeptiert sie. Theodor Ickler hat den Betrug dokumentiert („Falsch ist richtig. Ein Leitfaden durch die Abgrün-de der Schlechtschreibreform“, 2006). Der Autor beweist: Die Reform ist infol-ge der ungeheuren Vielzahl von Wider-sprüchen unlernbar. Und ihre Reformer sind, gelinde gesagt, nichts weiter als Dummschwätzer. Gegenüber dem Auf-wand und der Vorbereitung des Betrugs fällt das Ergebnis der Reform (gottsei-dank!) spärlich aus. Die meisten Deut-schen dürften davon nur die veränderte ß-Schreibung mitbekommen haben.Dass diese Änderung – im Widerspruch zur erklärten Absicht – zu einer Zunahme der Rechtschreibfehler geführt hat, hat wohl schon jeder bemerkt (Strasse, Spass, ausser, gemäss usw.). Früher gab es am Wortende nur eine S-Schreibung (ß), dann zwei (ß, s). nun sind es deren drei (ß, s, ss), die Lautung aber ist immer diesel-be. Überhaupt scheint die überwiegen-de Schreibung vor 1901 manchen Vorteil gehabt zu haben (Loos, Schaar, Schee-re, Waare usw. wie noch heute Moos, Saat, Meer, Waage usw.). Die Erschwer-nis beim Lesen, Sprechen und Verstehen gerade auch für Ausländer hat schon mit der Aufgabe des Binnen-S (langes s, wie f ohne Querstrich) begonnen, das es auch in der Antiqua und bei anderen Spra-chen gab, aber im Deutschen besonders hilfreich ist.
Zu den Anglizismen: Ferdinand Urba-nek stellt in heft 39 (S. 6) die Frage, ob nicht auf die Übertragung von Neolo-gismen wie Blue Jeans, Container, fit usw. verzichtet werden solle. Bei dieser Auf-fassung aber hätte es die von ihm be-grüßten Eindeutschungen des 17. und 18. Jahrhunderts gar nicht gegeben (Bü-cherei, Vollmacht, Zweikampf usw.), bis hin zu „Bahnsteig“, „Bürgersteig“ und
„Geldbeutel“. Was soll dann das Abwarten, ob sich E-Mail oder „E-Post“ durchsetzt? Ohne gezieltes Entgegenwirken steht das Ergebnis von vorneherein fest, dafür sorgt schon die Vorbesetzung des engli-schen Begriffs im Anwendungsgebiet.
Werner Vorderwülbecke, Dortmund
Vorwarnung – vierzig MalDie Aversion gegen das Wort „Vorwar-nung“ (SN 43, S. 17) scheint mir auf der Nichtkenntnis von „Voralarm“ und
„hauptalarm“ aus unseligen Luftwar-nungszeiten im Krieg zu beruhen. Auch ist mir nicht einsichtig, warum auf eine zunächst von weither drohende Gefahr nicht durch Späher vor(her)gewarnt wer-den kann und warum es nur eine Art von Warnung geben soll, sozusagen eine Ge-neralwarnung. Auch übersieht herr Wil-ke, dass „vorwarnen“ laut Grimmschem Wörterbuch ein schon im Mittelhoch-deutschen und später vielfach belegtes Wort ist. In dem Vorspann zum sehr schönen Gottfried-Keller-Zitat lassen Sie leider
„vierzig Mal“ anstelle des reinen Zeit-Ad-verbs „vierzigmal“ stehen. Darüber wun-dere ich mich doch sehr, zumal diese fal-sche Schreibweise (s. auch NRS § 39) in einer Zeitung steht, die die Sprachpfle-ge auf ihre Fahnen geschrieben hat. Drei Jahre, nachdem die Endfassung der NRS in Kraft ist, ist es an der Zeit, dass auch die SN sich endlich daran halten. Übri-gens ist „über vierzig Mal“ auch schlech-tes Deutsch, da es „mehr als vierzigmal“ heißen sollte. Volker Morstadt, Freiburg
UnfugIn Ihren Sprachnachrichten propagieren Sie einen Buchstabier-Wettbewerb engli-scher Art (SN 43, S. 24), dessen Wert für Deutschsprachige ich entschieden in Ab-rede stellen möchte und dies auch be-gründen kann. Das englische spelling beruht auf dem Chaos der englischen Aussprache und der schieren Unmög-lichkeit aus dem gesprochenen Wort auf eine schriftlich korrekte Buchstabenfolge zum Zweck einer Niederschrift zu folgern. Setzt sich allerdings die Tendenz des Zu-stroms englischer Worte in den deut-schen Wortschatz fort, dann steht uns auch dieser Unfug ins haus. Ich hoffe je-doch, dass ich in den Sprachnachrichten einen starken Mitstreiter habe, dies zu verhindern. Erich Sattler, Königsstein
DankDen Artikel „Anpassung als Identitäts-verlust“ von herrn Prof. Walter Krämer (SN 40, S. 12) finde ich – von Thema und
Sprache her – hervorragend und großar-tig. Ich danke Prof. Krämer für sein star-kes Engagement für unsere Sprache.
Herbert Reinhart, Norderstedt
leserbriefe – „wir ham“Die Qualität der Leserbriefe ist querbeet gesehen sehr unterschiedlich, trifft da-bei auch nicht in jedem Fall die beson-ders notwendige Ablehnung oder gar unmissverständliche Zustimmung des Englischen. Wir halten es für sinnvoll und dringend geboten, außer dem Bemühen, unsere klangvolle Sprache nicht durch immer mehr Anglizismen verschandeln zu lassen, auch der Lautreinheit in Rund-funk und Fernsehen bei Nachrichten und Dokumentationen der immer mehr zu-nehmenden lässigen Aussprache Einhalt zu gebieten. Die Worte „wir haben“ oder
„sie haben“ werden von vielen Angestell-ten unabhängig vom Landesteil mit dem maulfaulen: „wir ham“, „sie ham“. Ebenso unmöglich klingt doch „wir bräuchten“ anstatt von „wir brauchten“. Selbst die Politiker und der große Chor der Sportre-porter könnten sich um ein einwandfreies Deutsch bemühen. Horst Schneider, Kiel Interessante AusgabeIn SN 43 (S. 23) wird auf die VDS-Dele-giertenversammlung in Wiesbaden hin-gewiesen, und das Foto zeigt einen Brun-nen, der sich offenbar aber nicht in jener Stadt befindet. Auf derselben Seite ist das Relativpronomen „das“ irrtümlich zu
„dass“ geworden. Eine Klippe der alten wie neuen Rechtschreibung – vielleicht noch eher der neuen, die Sie ja leider nun auch, mehr oder wenig stillschwei-gend, eingeführt haben. Gerade der wür-digende Artikel zu horst haider Munske hätte in der traditionellen Orthographie, die der Geehrte in seinen Büchern selbst verwendet, gehalten sein sollen. Was ich aber eigentlich sagen wollte: Diese Aus-gabe Ihrer Zeitschrift ist durchaus inter-essant, wobei ich hauptsächlich den Bei-trag von helmut Glück und das Interview mit Ulrich Wickert meine.
Gerhard Müller, Oestrich-Winkel
B R I E f E A N D I E R E D A K T I O N
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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Wir Deutschsprachige sind uns oft nicht bewusst, dass
unsere Muttersprache in der Welt eine herausgehobene Stel-lung besitzt. Unter den weltweit rund 6.000 existierenden Spra-chen nimmt das Deutsche mit über 100 Millionen Sprechern den 10. Rang ein. Innerhalb der EU ist das Deutsche sogar mit Abstand die verbreitetste Muttersprache, auch wenn sich dies im offiziellen Sprachgebrauch der europäischen Institutionen leider nicht in die-sem Maße widerspiegelt. Der Sta-tus des Deutschen als Weltsprache ergibt sich auch daraus, dass es unzählige deutschsprachige Ange-bote in den Medien und der Kul-tur gibt.
Es ist daher festzustellen, dass wir Deutschsprachige den Luxus genießen, eine Weltsprache zur Muttersprache zu haben. Die-ses Merkmal trifft nur auf sehr wenige Sprachen zu. 97 Prozent aller Menschen verwenden nur 4 Prozent der weltweit vorkom-menden Sprachen. Anders aus-gedrückt: Rund 96 Prozent aller existierenden Sprachen werden lediglich von einem winzigen Teil der Weltbevölkerung (3 Pro-zent) gesprochen. Allein die 2.000 kleinsten Sprachen der Welt kom-men zusammen auf nicht einmal eine halbe Million Sprecher. Der überwiegende Großteil aller Spra-chen gehört somit zur Gruppe der Klein- und Kleinstsprachen.
Beispiele für solche Kleinspra-chen sind in Europa das in Nie-
dersachsen gesprochene Saterfrie-sische mit rund 2.000 Sprechern oder das Livische in Lettland mit weniger als zehn Sprechern. Für die Sprecher solcher Kleinspra-chen ist vieles von dem, was für uns Deutschsprachige selbstver-ständlich ist, schlicht unmöglich oder unbekannt. Wer Saterfrie-sisch sprechen oder hören will, muss dies in der niedersächsi-schen Gemeinde Saterland tun. Im Radio, Fernsehen und Inter-net ist die Sprache so gut wie nicht vertreten. Es gibt kaum saterfrie-sische Literatur und überhaupt keine Software in dieser Sprache.
Der größte Unterschied zwi-schen den Sprechern einer Welt-sprache und jenen einer Klein-sprache liegt jedoch darin, dass sich erstere keinerlei Sorgen dar-über machen müssen, dass ihre Sprache in Bälde aussterben könnte. Deutsch wird auch noch in 100 Jahren gesprochen werden, Saterfriesisch kämpft schon jetzt jeden Tag um das Überleben. Das Deutsche gehört zu den nur zehn Prozent (!) aller Sprachen, die das Jahr 2100 mit Sicherheit erleben werden. Die übrigen 90 Prozent sind mehr oder minder vom Aus-sterben bedroht. Schon jetzt wer-den 30 Prozent aller Sprachen nicht mehr an die Kinder weiter-gegeben und sind somit dem Tode geweiht. Etwa alle zwei Wochen stirbt daher irgendwo in der Welt eine Sprache.
Da lebende Sprachen stets einem Wandel unterworfen sind,
ist das Sterben einer Sprache an und für sich nichts Ungewöhn-liches. Doch seit dem 16. Jahr-hundert geht die Zahl der exis-tierenden Sprachen überall in der Welt mit einer immer grö-ßeren Geschwindigkeit zurück. Dieses in der Geschichte noch nie da gewesene Massensterben der Sprachen ist vor allem eine Folge des Kolonialismus durch die europäischen Mächte. Darü-ber hinaus haben verschiedenste Faktoren der Neuzeit (Industria-lisierung, Urbanisierung, Globa-lisierung, Ausbreitung der nati-onalstaatlichen Idee, Verfolgung von Minderheiten etc.) das Mas-sensterben der Sprachen noch verstärkt.
Natalie Sangama, die letzte Sprecherin der einst in Peru ver-breiteten indigenen Chamicuro-Sprache, hat die persönliche Dra-matik des Sprachensterbens mit folgenden Worten geschildert: „Ich träume in Chamicuro, aber ich habe niemanden, dem ich meine Träume erzählen kann, denn nie-mand spricht mehr Chamicuro. Manche Dinge kann man nicht auf Spanisch sagen. Es ist einsam, die letzte zu sein.“
Abgesehen von der persönli-chen Tragödie ist das Sterben einer Sprache auch stets ein Ver-lust für die gesamte Menschheit. Die Traditionen, Kenntnisse und Überlieferungen eines Volkes spie-geln sich in dessen Sprache wider, werden durch diese ausgedrückt und an die kommenden Genera-
tionen weitergegeben. Nach einer UNESCO-Erklärung ist die Spra-chenvielfalt daher essentiell für das Erbe der Menschheit.
Doch auch die Weltsprache Deutsch ist in gewisser Weise vom Sprachensterben erfasst, nämlich in jenen Regionen, in denen sie den Rang einer Min-derheitensprache einnimmt. Die diversen politischen, gesellschaft-lichen und kulturellen Assimilati-onskräfte in einem Staat können eine große Gefahr für Minderhei-tensprachen darstellen. Schließ-lich kann der Staat durch gesetz-liche oder administrative Akte in vielfältiger Weise auf die Ent-wicklung und den sozialen Stel-lenwert einer Sprache Ein-fluss nehmen. Die Zukunft einer bedrohten Sprache hängt letzt-lich davon ab, welche rechtlichen Möglichkeiten zu ihrer Erhaltung existieren.
So konnten die Südtiroler dem italienischen Staat nach langem Kampf einen vorbildlichen Min-derheitenschutz abringen. Das Deutsche in Südtirol ist daher langfristig gesichert. Anders sieht es im ehemals deutschen Elsass aus. Da Frankreich vom Dogma der Unteilbarkeit der Republik ausgeht, sind Schutzmaßnahmen für Minderheiten dort undenk-bar. Aus diesem Grund gibt es im Elsass auch keine flächendecken-den zweisprachigen Ortsschilder oder einen Gebrauch des Deut-schen vor Behörden und Gerich-ten. Französisch hat das Deutsche in allen Lebensbereichen inzwi-schen weitgehend verdrängt.
Grundsätzlich verfügen wir Deutschsprachige über eine gesunde Sprache. Dennoch sollten wir nicht vergessen, dass die Spra-chenvielfalt auf diesem Planeten bedroht ist. Wir hatten bloß das Glück in eine Sprache hineingebo-ren zu werden, die über 100 Milli-onen Sprecher zählt. Die Friesen, Liven, Bretonen, Samen, Kaschu-ben und tausende andere Völker haben dieses Glück nicht.
Buchtipp: Andreas Neumann: Sprachen-sterben in Europa. Rechtliche Maßnahmen zur Erhaltung von Minderheitensprachen. Wien: Braumüller Verlag 2009. 248 S., 24,90 Euro. ISBN 978-3-7003-169-0.
S C H W E R P U N K T - B ü C H E R
Können Sprachen sterben?
RuhrdeutschWerner Boschmanns „Lexi-kon der Ruhrgebietssprache“ ist ein witziges Nachschlage-werk für Begriffe im Ruhrge-biet. Boschmann liefert Beispiele zum Sprachgebrauch: „süppeln: schnell trinken; meist Bier; „sich ein süppeln“. Ob alle Wörter in der Alltagssprache vorhanden sind, darf bezweifelt werden. Das Lexikon wäre mit der Ergänzung der Herkunft der Begriffe infor-mativer. So stammt „Mottek“ (Hammer) aus der Bergmanns-sprache, „Massel“ (Glück) kommt aus dem Jiddischen.
Im Anhang werden „Der Froschkönig“ und Auszüge aus Goethes „Faust“ in die Ruhrge-bietssprache übertragen. Zudem erklärt Boschmann grammati-sche Besonderheiten wie die Rhei-nische Verlaufsform („ich über-lege“ heißt im Ruhrgebiet „ich bin am überlegen“). Als Nachschlage-werk für Begriffe und für einen humorvollen Einblick eignet sich das Wörterbuch sehr gut. mo
Werner Boschmann, Lexikon der Ruhrge-bietssprache von Aalskuhle bis Zymtzicke. 7. Auflage, Verlag Henselowsky Bottrop. 120 S. 9,90 Euro. ISBN 3-922750-01-X.
„es ist einsam, die Letzte zu sein“ Von Andreas Neumann
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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Wenn man Menschen in Deutschland fragt „Auf was
in Eurem Land seid Ihr beson-ders stolz?“, so hört man: Autos, Wirtschaftswunder, Grundge-setz. Oder auch noch die D-Mark – Gott hab’ sie selig – und die Bun-desbank. Vielleicht wird aufgrund dieses Buches die Zahl derjenigen zunehmen, die auf diese Frage auch den Deutschen Werkbund nennen.
Der Deutsche Werkbund, „die eigentümlichste Vereinigung der Welt“ (so der Klappentext), hat nicht nur die deutsche Kultur, er hat die Weltkultur geprägt. Er hat das Bauhaus auf den Weg gebracht, er hat in Architektur und Gestaltung, in Fotografie und bildender Kunst als Bahnbre-cher gewirkt, und wenn sich das Ruhrgebiet demnächst als Euro-päische Kulturhauptstadt 2010 feiern lassen darf, so hat es das zu einem guten Teil auch Werkbund-Künstlern zu verdanken (die etwa mitgeholfen haben, die Essener Zeche Zollverein, heute Teil des Weltkulturerbes, vor dem Abriss zu bewahren).
Das alles findet man in die-ser monumentalen Rückschau (angesichts von über 800 Seiten sei diese Beiwort hier einmal erlaubt) von Roland Günter akri-bisch nacherzählt, inklusive der auch (oder gerade) unter Künst-lern nicht seltenen Richtungs-kämpfe, die es auch im Deutschen Werkbund gab. Für jeden kunst-historisch interessierten Sprach-freund ist dieses Buch daher ein Muss. Sein Autor ist seit 2002 der erste Vorsitzende des Werk-bundes Nordrhein-Westfalen, im nächsten Jahr wird er zugleich den Bundesvorsitz übernehmen. Roland Günter weiß daher, wovon er spricht. Seit dem Jahr 2003 ist er auch Mitglied im VDS. wk
Roland Günter: Der Deutsche Werkbund und seine Mitglieder 1907–2007. Ein Beitrag des Deutschen Werkbunds zur Kulturhauptstadt Ruhr im Jahr 2010. Essen, Klartext Verlagsges. 2009. 823 Sei-ten. 49,95 Euro, ISBN 978-3898618618.
100 Jahre Werkbund
Der im Jahr 2001 erstmals vergebene Kulturpreis
Deutsche Sprache ist eine der höchstdotierten Auszeichnun-gen für sprachliche Leistungen im deutschsprachigen Raum. Die Eberhard-Schöck-Stiftung und der VDS holen jedes Jahr aufs Neue herausragende Red-ner zur Preisverleihung nach Kassel, die beweisen, warum es den Kulturpreis Deutsche Spra-che gibt.
Die Ansprachen und Reden der Preisverleihung erscheinen im IFB Verlag Deutsche Spra-
che. Folgende Jahrgänge sind noch zum Preis von je 9,90 Euro lieferbar:
2002Ludmila PutinaLaudatio: Thomas Roth
2004Vicco von Bülow alias LoriotLaudatio: Robert Gernhardt
2005Paul KirchhofLaudatio: Konrad Schily
2006Günter de BruynLaudatio: Wolfgang Thierse
2007Frank SchirrmacherLaudatio: Thomas Anz
2008Marica BodrožićLaudatio: Maike Albath Festrede: Ulrich Wickert
IFB Verlag Deutsche Spra-che GmbH, Schulze-Delitzsch-Straße 40, 33100 Paderborn; <[email protected]>.
Gut gesprochen
Peinliche AugenblickeDie schönsten kommunika-tiven Missverständnisse. ein Buchprojekt des iFB Verlags Deutsche Sprache.
War das peinlich!“ Viele Menschen können sich
an mindestens ein Erlebnis erinnern, dessen Peinlichkeit ihnen noch heute die Schames-röte ins Gesicht schießen lässt. Ein dickes Missverständnis, ein fataler Versprecher, eine üble Fehlübersetzung, eine misslun-gene Liebeserklärung – glück-lich sind die Menschen, denen solches noch nie zugestoßen ist. Peinlich für die Betroffenen, aber unterhaltsam – und lehr-reich – für alle anderen. Schließ-lich muss man nicht jeden Feh-ler selbst ausprobieren.
Wir wollen solche Momente sammeln und ein schönes Buch
daraus machen. Machen Sie mit! Senden Sie uns Ihren pein-lichsten Augenblick.
Bitte beachten Sie folgende Bedingungen:• Das geschilderte Erlebnis
muss wahr sein.• Sie dürfen die Namen der
Beteiligten ändern, jedoch zu Ihrem Namen und Ihrer Rolle müssen Sie stehen, auch wenn es peinlich wird.
• Versuchen Sie, Ihren Text auf zwei, drei Seiten zu beschränken.
• Senden Sie Ihren Beitrag an:iFB Verlag Deutsche Sprache
„Projekt Peinlichkeit“Schulze-Delitzsch-Straße 4033100 Paderborn<[email protected]>.
Wir freuen uns auf viele peinli-che Augenblicke! myg
In einer Besprechung des Büh-nenstückes „Die Räuber“ aus
dem Jahr 1782 urteilt der Ver-fasser, der sich selbst nicht nennt, streng: „Dieses ist schlechterdings die tödliche Seite des ganzen Stücks, wobei der Dichter ganz unter den Mittelmäßigen geblie-ben ist.“ Rezensent und Dichter sind dieselbe Person: Friedrich Schiller, der vor ziemlich genau 250 Jahren geboren wurde, war oft sein härtester Kritiker.In seiner zum Schillerjahr erschienenen Biographie wirft der Germanist und Romanist Hans-Jürgen Schmelzer einen unge-wöhnlichen Blick auf den Dichter. Das Buch liest sich wie ein Roman. Schillers Schulzeit auf der Karls-schule von Herzog Carl Eugen, die Flucht des jungen Dichters aus Stuttgart, seine Geldsorgen, die ihn zeitlebens plagten, seine erste Begegnung mit dem späte-ren Freund Goethe schildert der Verfasser anschaulich und ohne germanistischen Fachwortschatz.Dies bringt den Dichter, der schon zu Lebzeiten als der größte Büh-nenschriftsteller deutscher Spra-che galt, dem Leser nahe. Schiller spricht schwäbisch, er hält sich häufig in Dorfkneipen auf, die er bis zum Morgengrauen nicht ver-lässt, seine schlechte Gesundheit macht ihm sein kurzes Leben lang (er starb 1805) zu schaffen.Besonders hervorzuheben sind an dem Buch die Würdigung des Werkes und die Deutungsansätze aller wichtigen Stücke Schillers. Hier scheint im Verfasser ganz der Deutschlehrer durch, der an seine Kollegen eindringlich appel-liert, dass die Kenntnis der Werke Schillers und der auswendige Vortrag seiner Gedichte jungen Menschen Sicherheit im Sprach-gebrauch und Literaturbegeiste-rung vermittelt. hok
Hans-Jürgen Schmelzer: Der verlorene Sohn des schwäbischen Herodes. Ein neuer Blick auf Friedrich Schillers Leben und Werk. Stuttgart Hohenheim-Verlag 2008. 384 Seiten. 19,90 Euro, ISBN 978-3-89850-174-3.
Lebensnah
BÜChER
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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In zehn Jahren hat er rund 130 Vorträge über die deutsche Sprache gehalten. In Südamerika, am Fuß des Kaukasus, am
Rande der Karpaten, in Paris, Madrid und Ber-lin, an Rhein und Donau, an der Pleiße und an der Pader.
Zur Zeit ist Gerd Schrammen in Deutsch-land unterwegs und liest aus seinem Buch Ich spreche gern Deutsch.
Er trägt die Kapitel mit den großen Argu-menten des VDS vor. In denen der Widerstand steckt gegen die Umgestaltung der deutschen
Sprache zum hässlichen Denglisch und gegen die zunehmende Verdrängung des Deutschen aus wichtigen Lebensbereichen.
Vieles ist bekannt. Aber alles muss wie-der und wieder gesagt werden. Schrammen begründet das in seinem Vorwort mit einem Ausspruch des französischen Schriftstellers André Gide. Und mit einem Zitat von Goethe.
„Man muß das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum immer wieder gepredigt wird“, hat er gesagt.
Den Zuhörern, mal 19 in Marburg, mal 65 in einem Schloss bei Schwerin oder 83 in einer Göttinger Buchhand-lung wird es nicht schaden, wenn sie etwas erfahren, was sie eigentlich wissen.
So kommt der Schuster Wilhelm Voigt aus dem Hauptmann von Köpenick zu Wort: „Da hat der Mensch seine Muttersprache, und wenn er nischt hat, hat er die immer noch“. Ähnlich, aber mit mehr Pathos, bekennt sich der Wissenschaftler und Magier Johann Hein-rich Faust in Goethes berühmtem Werk zur deutschen Sprache. In der Szene „Studierstube“ schickt er sich an, die Bibel „in (sein) geliebtes Deutsch zu übertragen“.
Gerd Schrammen entlarvt die erbärmli-chen – und schlichtweg falschen! – Argumente der Abwiegler, die auf Lehrstühlen sitzen und denen die Liebe zur eigenen Sprache fehlt. Sie haben taube Ohren für die Empörung von zwei Drittel der Deutschen, die Denglisch nicht wol-len. Aber sein Buch enthält auch vielfaches Lob der deutschen Sprache, vom 16. Jahrhun-dert bis heute. Oft kommt es von Ausländern. Schnullerenglisch und Fachunterricht in der Fremdsprache werden entzaubert. Und die Sprachverderber, die es mit ihrer Flucht aus der eigenen Sprache zu nationaler Bekannt-
heit gebracht haben wie die Deutsche Bahn oder die christlichen Kirchen, werden vorge-führt. In kleinen Satiren, die Heiterkeit her-vorrufen.
Gerd Schrammen lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass er diese deutsche Sprache liebt, auch ihre Dialekte. Eine kleine
Geschichte in Platt-deutsch über einen Mann, der den Arzt belehrt, dass er quickle-bendig sei, obwohl die-ser ihn für tot erklärt, ruft Lachstürme hervor. Wenn er Berlinisch oder
Österreichisch spricht, klingt das ziemlich echt. Die Besucher halten eine Stunde durch und
hören aufmerksam zu. Das ist gut für die deut-sche Sprache und den VDS.
In den meist lebhaften Diskussionen über-wiegt die Zustimmung. Törichte Argumente wie die Klischees vom Leben der Sprache, von den Zwängen der Globalisierung oder von der Notwendigkeit ausgedehnter Englischkennt-nisse haben keine Chance.
So unterwegs zu sein ist nicht immer gemütlich. Aber das ist nicht der Rede wert. Bei einem Ehepaar im Westen ist Gerd Schram-men verwöhnter Gast. Oder er übernachtet in einem Schloss mit einer stillen Parklandschaft drumherum, in der alte und seltene Bäume ste-hen, und denkt, er würde gern länger bleiben.
Manchmal ist die Reise gar zu lang, das Hotelzimmer eisig kalt oder die Leselampe schwach und der Text nur mühsam zu erken-nen. Das sind Unbequemlichkeiten, die ein Autor auf sich nimmt, der für sein Buch und den VDS wirbt und der dabei der deutschen Sprache dienen will.
Demnächst liest Gerd Schrammen in Ham-burg, Regensburg, Landshut und Jena. Er freut sich darauf. spn
Gerd Schrammen auf Lesereise
Argumente für Deutsch
BÜChER
Gerd Schrammen: Ich spreche gern Deutsch. Paderborn: IFB Verlag Deutsche Sprache. 3. Aufl. 2010. 281 S., 14,20 Euro. ISBN 978-3-931263-81-2
„Da hat der Mensch seine Muttersprache, und wenn er nischt hat, hat er die immer noch.“
Dieses Buch ist ein Muss für jeden, der sich fragt:
Wie kann eine komplette Kul-turnation wie Deutschland so rückgrat- und hemmungslos zu
einem Bundesstaat der USA verkommen?
Basierend auf seiner lang-jährigen Erfahrung als Sprach-wissenschaftler und Journalist beleuchtet Franz Stark in sel-tener Deutlichkeit, wie die Eli-ten unseres Landes und, ihnen folgend, fast alle Schichten der Bevölkerung aus der deutschen Sprache und Kultur geradezu zu fliehen scheinen, und wer die Drahtzieher dieser beschämen-den Entwicklung und was deren Motive sind.
Das Buch gibt allen Verteidi-gern der deutschen Sprache zahl-reiche Argumente an die Hand, um die in den deutschen Feuille-tons und akademischen Sprach-seminaren vorherrschende Ab-wieglerfront erfolgreich zu widerlegen. wk
Franz Stark: Wie viel Englisch verkraftet die deutsche Sprache? Die Chance zwi-schen Globalisierungserfordernis und Deutschtümelei., IFB Verlag Deutsche Sprache. 108 Seiten, 9,90 Euro, ISBN 978-3-931263-89-8.
Franz Stark ist stellver-tretender Vorsitzender des Wissen-schaftlichen Beirats des VDS. Foto: privat
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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hausmitteilungen aus der Geschäftsstelle
Deutsch ins grundgesetzDie ausgefüllten Listen mit den Unterschriften, mit denen der Forderung, die deutsche Spra-che im Grundgesetz zu verankern, Nachdruck verliehen werden soll, sammeln weiterhin die Mitarbeiter der Geschäftsstelle. Der VDS hatte die Sammlung gemeinsam mit dem Verein für die deutschen Kulturbeziehungen im Ausland (VDA) im Juni 2008 in Berlin begonnen.
Die Listen sollen bei Gelegenheit an eine po-litische Einrichtung in Berlin übergeben werden. Bisher sind 25.000 Unterschriften zusammenge-kommen. Ein Termin für diese Übergabe wird rechtzeitig bekanntgegeben.
faltblatt der Stiftung Deutsche SpracheDieser SN- Ausgabe liegt das Faltblatt „Wie kann man die Stiftung durch ein Testament unterstüt-zen“ bei. Die Stiftung und der VDS unterstützen sich gegenseitig in ihrem Ziel, die deutsche Spra-che zu fördern und weiterzuentwickeln.
Die 2001 gegründete Stiftung ist als gemein-nützig anerkannt. Zuwendungen können als Spenden oder als Zustiftungen gegeben werden.
Das Verschenken und Vererben an die Stiftung ist frei von Schenkungs- bzw. Erbschaftssteuer. Die Steuer entfällt auch, wenn die Erben das Ver-mögen innerhalb von 24 Monaten der Stiftung zuwenden.
Delegiertenversammlung 2010Die Delegiertenversammlung 2010 wird am 11. und 12. Juni im niederbayerischen Landshut stattfi nden. Wegen der für die meisten Teilneh-mer weiten Anreise geben wir den Termin be-reits in dieser Ausgabe bekannt. Die Einladung zur Delegiertenversammlung erfolgt im Früh-jahr 2010. Informationen über ihren Ablauf, zur Anreise und zu Übernachtungsmöglichkeiten erhalten die VDS-Mitglieder in den Sprachnach-richten Ausgabe 45 (I/2010).
Praktikum beim VDSDie VDS-Geschäftsstelle bietet jährlich Studie-renden die Möglichkeit, für vier bis sechs Wo-chen die Arbeit einer großen Kultureinrichtung kennenzulernen. Bewerber sollten ein geistes- oder kulturwissenschaftliches Fach studieren
und erste Erfahrungen im journalistischen Ar-beiten oder in der Kulturvermittlung gemacht haben. Zu den Aufgaben der Praktikanten ge-hören vor allem die Öff entlichkeitsarbeit, die Or-ganisation von Veranstaltungen, Lektoratstätig-keiten, die Mitarbeit an der Vereinszeitung und Recherchen zu Themen, die die deutsche Spra-che betreff en.
Als Bewerbung reicht ein Anschreiben und ein Lebenslauf an die Geschäftsführung. Der Einsatzort des Praktikums ist Dortmund.
VDS-geschäftsstelle: Verein Deutsche Sprache e.V. Postfach 10 41 28 44041 Dortmund
Besucheranschrift: Martin-Schmeißer-Weg 11 44227 Dortmund
Sekretariat: Telefon (0231) 79 48 52-0 Fax: (0231) 794852-1 <[email protected]>
BÜChER/ VEREINSSEITEN
Buchpaket 1
Ich spreche gern DeutschÜber die mißhandelte Muttersprachevon Gerd SchrammenISBN 978-3-931263-81-2, 281 Seiten, 14,20 €
„Mein Rat: Kaufen! Lesen! Verschenken! Verleihen! Sich selbst und anderen Freude machen ist mit die-sem Buch ganz einfach!“
Eva-Maria Kieselbach
Zusätzlich im Paket 1: 1 VDS-Schreibblock1 VDS-Bleistift1 VDS-Radiergummi
Buchpaket 2
Deutsche Sprachkundevon Wilhelm SchmidtISBN 978-3-931263-77-5, 365 Seiten, 19,90 €
„Die Studie ist ohne Frage etwas Besonderes. Die größte Leistung des Autors liegt in seiner Fähigkeit, auch für Nicht-Linguisten auf geradezu spannende, faszinierende und allge-meinverständliche Weise in die linguistische Theo-rie und Terminologie ein-zuführen.“ Estudios Filológicos Alemanes
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Sternstunden der deutschen SpracheHrsg. von Walter Krämer und Reiner PogarellISBN 978-3-931263-27-0, 431 Seiten, geb. Ausgabe
Sternstunden der deutschen Sprache – Das Wissensspiel von Monika EliasISBN 978-3-931263-65-2, 120 Karten
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Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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Die Sprachnachrichten stellen den Wissenschaftlichen Beirat vor, diesmal:
In Mitteldeutschland zur Schule gegangen, in Aschers-leben 1961 das Abitur abge-
legt und die nächsten fünf Jahre Germanistik, Anglistik und Nie-derlandistik an der Alma Mater Lipsiensis studiert: Lutz Götze ist geprägt durch die Sprache Martin Luthers, die Dichtung des Nova-lis und die Musik Johann Sebas-tian Bachs. Vor allem der Refor-mator mit seinem Sendbrief vom Dolmetschen und der Überset-zung des Neuen Testaments hat seinen Lebensweg geprägt.
In Leipzig – die Mauer war gerade gebaut und hatte Deutsch-lands Teilung besiegelt – hörte er noch drei Semester Literaturwis-senschaft bei Hans Mayer, bis auch dieser eminente Forscher dem Druck der SED nicht mehr standzuhalten vermochte und eine Reise nach Hamburg nutzte, um in der Bundesrepublik Deutschland zu bleiben und zu wirken. Zwei Jahre zuvor hatte bereits Ernst Bloch diese Entscheidung getrof-fen.
Nach Mayers Weggang brach am Leipziger Germanistischen Seminar die politische Eiszeit aus: Lutz Götze wandte sich zuneh-mend der relativ unverdächtigen Sprachwissenschaft zu, beendete das Studium 1966 und schaffte es, 1967 als Lektor für deutsche Sprache an das Institut National des Langues in Conakry/West-afrika entsandt zu werden, wo er – halb auf Deutsch, halb auf Französisch – den Studenten die deutsche Sprache vermittelte.
Als der politische Druck auch dort nicht mehr zu ertragen war,
flüchtete Lutz Götze 1968 in die Bundesrepublik und fand Auf-nahme im Münchner Goethe-In-stitut, wo er zunächst Sprachun-terricht erteilte und später in die Wissenschaftliche Arbeitsstelle des Hauses wechselte.
1981 folgte Lutz Götze einem Ruf auf eine neu geschaffene Pro-fessur für Deutsch als Fremd-sprache an der Ruhr-Universität Bochum und bildete Lehrer für Kinder der „Gastarbeiter“ aus – wie es damals hieß. Im Zentrum seiner wissenschaftlichen Veröf-fentlichungen standen in den Fol-gejahren Probleme der Gramma-tik, des Interkulturellen Lernens sowie der Rechtschreibung der deutschen Sprache: Eine Gram-matik der deutschen Sprache – verfasst zusammen mit Ernest W. B. Hess-Lüttich – erschien erst-mals 1989, eine Schüler-Gramma-tik folgte 2001. Beide Grammati-ken werden weltweit benutzt.
1992 wechselte Lutz Götze auf den Lehrstuhl für Deutsch als Fremdsprache an der Universität des Saarlandes. Die Zweisprachig-keit der Region Saarland-Loth-ringen-Luxemburg und die För-derung einer Mehrsprachigkeit in Europa prägten hinfort seine Arbeit.
1996 trat Lutz Götze als Her-ausgeber der Bertelsmann-Recht-schreibung auf, die seither zahl-reiche Neuauflagen erlebt hat. Das Engagement für die Reform der Rechtschreibung der deut-schen Sprache brachte ihm Kri-tik und Gegnerschaften ein; sein Ziel dabei war, die Orthographie des Deutschen von unnützen und
widersprüchlichen Regelungen – Groß- und Kleinschreibung, Wort-trennung am Zeilenende, Getrennt- und Zusammenschreibung – zu befreien und das Regelwerk über-sichtlicher und verständlicher zu gestalten, damit im Deutschunter-richt mehr Zeit der Beschäftigung mit schöner Literatur oder krea-tiven Schreibtechniken gewidmet werden konnte.
Neben seinen Grammatiken und Wörterbüchern ist Götze vor allem durch die Mit-Heraus-gabe des Handbuchs Deutsch als Fremdsprache (zwei Bände, ca. 2000 Seiten) im renommierten Verlag Walter de Gruyter im In- und Ausland bekannt geworden.
Neuere Forschungsgebiete unseres Beiratsmitglieds sind die Wahrnehmung von Zeit und Raum in unterschiedlichen Kul-turen rund um den Globus sowie die Entwicklung einer Kulturkon-trastiven Grammatik, aufbauend auf den Gedanken Wilhelm von
Humboldts, der in jeder natürli-chen Sprache den Ausdruck einer besonderen Weltansicht sah. Die Erforschung des Phänomens der Zeit fand ihren Niederschlag in der Monographie Zeitkulturen (2004); demnächst erscheint ein Werk zu den Zeit-Räumen als Kul-turphänomen.
Sein Engagement für Pflege und Verbreitung unserer Mut-tersprache sowie sein engagier-ter Kampf gegen die Anglizismen im Deutschen führten Götze zum VDS, für den er seit zwei Jahren im Beirat mitarbeitet. Durch seinen jüngst erschienenen Artikel Gutes Deutsch – Schlechtes Deutsch ist er den Mitgliedern bekannt gewor-den. In diesem Sinne versteht er auch sein zukünftiges Wirken: linguistisch begründete norma-tive Kritik an Verfallstendenzen der Gegenwartssprache und Emp-fehlungen für einen guten und gepflegten Gebrauch der deut-schen Sprache. SN
hessischer Verdienstorden für Roland Kaehlbrandt
„Roland Kaehlbrandt gehört (...) zu den profiliertesten Repräsentan-ten des deutschen Stiftungswesens und ist ein herausragender Förde-rer der deutschen Sprache.“ Mit diesen Worten würdigte der Hes-sische Ministerpräsident Roland Koch die Verdienste des Vorsitzen-den des Vorstandes der Stiftung Polytechnische Gesellschaft, Roland Kaehlbrandt, als er ihm den Hessischen Verdienstorden überreichte.
Kaehlbrandt war bis 2006 Geschäftsführer der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung in Frankfurt am Main. Diese erhielt 2002 den Insti-tutionenpreis Deutsche Sprache. Seit 2008 ist Roland Kaehlbrandt Vorstandsvorsitzender der im Oktober 2005 errichteten „Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main“. SN
VEREINSSEITEN
Lutz Götze
Von 1992 bis 2009 Inhaber des Lehrstuhls für Deutsch als Fremdsprache an der Universität des Saarlandes: Beiratsmitglied Lutz Götze. Foto: privat
A n z e i g e
Neues aus dem Tiergarten der deutschen Sprache
Auf humorvolle Weise beweist Bastian Sick zum nunmehr vierten Male, dass man eben nie auslernt!
Bastian Sick Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 4 Das Allerneueste aus dem Irrgarten der deutschen Sprache
KiWi 1134 | ISBN 978-3-462-04164-4 224 Seiten, Taschenbuch Euro 8,95 (D)
Foto
: priv
at
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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Festtag auf der ganzen Welt
Das schönste Schulpartnerschaftsfoto zeichnete der VDS unter der Leitung von Elke und Rolf Massin im Rahmen eines Wettbewerbs in Südfrankreich aus. Als Preise gab es Geldgeschenke für den nächsten Schüleraustausch, CDs mit deutscher Literatur sowie Bücher und Bildbände zur deutschen Landeskunde. Die ersten beiden Plätze teilten sich das Collège Alain Savary in Saint Mathieu de Tréviers, das befreundet ist mit der Luise-Henriette-Oberschule in Berlin und das Collège du Pic Saint Loup in Saint-Clément de Rivière mit seiner Partnerschule, der Gesamtschule Langerwehe (Kreis Düren). Auf dem Bild zeigen die Schüler gekleidet in den deutschen und französischen Nationalfarben ein großes Herz. Der 3. Preis ging an die Schule Frédéric Bazille in Castelnau, die verschwistert ist mit dem Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Eppelheim bei Heidelberg (Rhein-Neckar-Kreis). Rolf Massin unterstrich in seiner Ansprache die Wichtigkeit internationaler Austauschprogramme nicht nur für den Sprach-erwerb sondern auch für die Persönlichkeitsentwicklung. Als Kompliment für die VDS-Arbeit darf die Anwesenheit von Norbert Biscons gewertet werden: Der Deutschinspektor für die Akademie Montpellier lobte das VDS-Engagement in der Region und berichtete, dass die Zahl der Deutschlernenden an den Schulen in Frankreich wieder zunimmt. Fotos: VDS
Besinnlich ging es in der Kreuz-kapelle St. Michael in Mün-
chen zu. In einer von Dr. Gerhard Hölzle organisierten 12-Stunden-Rezitation würdigten 24 Leser die Werke des vor 300 Jahren gestor-benen Wiener Kapuziners Abra-ham a Sancta Clara. Gewidmet wurde die Rezitation dem im Früh-jahr dieses Jahres verstorbenen Gründer des Tags der deutschen Sprache, Heinz-Dieter Dey. Fest-lich war die Stimmung in Dres-den. Regionalleiter Josef Giemsa und seine Mitstreiter hatten in das Forum am Dresdner Altmarkt geladen. Umrahmt von deutschen Volksliedern und Textvorträgen hielt Uta Seewald-Heeg, Profes-sorin für Computerlinguistik an der Hochschule Anhalt, den Fest-vortrag vor den zahlreich erschie-nenen Besuchern.
Neben prämierten Foto- und Gedichtwettbewerben sowie Sprachpreisen für verdiente Sprachfreunde kamen dieses
Jahr auch wieder Sprachhunzer und Schrottwörter zu – wenn auch zweifelhaften – Ehren. Dietmar Kinder, Regionalleiter in Köln, verlieh mit seiner Regionalgruppe den „Sprachtünnes des Jahres“. Unter der Leitung von Irene Lief-länder wählten die Regensburger das Wortungeheuer „Pimp your Pausenbrot“ zum Schrottwort des Jahres. Philipp Honselmann
Im Ausland feierten zahlreiche Sprachfreunde den Tag der deutschen Sprache. In Polen, Russland, Frankreich, Ghana und Kamerun wurden mit Festvorträgen, gemütlichem Beisammensein und Preisverleihungen die partnerschaftlichen Bande gestärkt und an die Gleichwertigkeit aller Sprachen erinnert. Das Bild oben zeigt VDS-Mitglieder an der Pomoren-Universität in Archangelsk, die am 12. September in ein „Deutsches Café“ gingen. Es gab Gebäck und Geschenke.
Der VDS zeigte sich mit einem Stand beim Sprachencafé an der VHS Bremen. Das Sprachencafé war Teil des Festivals der Sprachen, welches die Universität Bremen drei Wochen lang in Bremen feierte.
Nicht nur sprichwörtlich zogen Mitglieder der Region Landshut im Gefolge von Inge Knigge in Landshut den VDS-Karren, sondern auch gut „behütet“. Die Kopfbedeckung trug den Spruch: „Hüte Dich vor Denglisch“.
VEREINSSEITEN
Auch in diesem Jahr haben unsere Mitglieder am Tag der deutschen Sprache an die Schönheit und Ausdruckskraft der deutschen Sprache erinnert und sprachliche Fehlentwicklungen angemahnt. Mit zahlreichen Veranstaltungen würdigten sie die deutsche Muttersprache und riefen die Öffentlich-keit zu einem stärkeren Sprachbewusstsein auf.
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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A U S D E N R E g I O N E N
Region KölnVDS im LandtagDie CDU im Wahlkreis Köln-Mül-heim hat VDS-Mitglied Stephan Krüger als Kandidat für die Land-tagswahl in Nordrhein-Westfalen aufgestellt. Der VDS drückt die Daumen und darf darauf hoffen, dass die deutsche Sprache als Thema künftig in der NRW-Poli-tik eine größere Rolle spielt.
Region RegensburgneusprechDer Rechtsprofes-sor und VDS-Mit-glied Tonio Wal-ter (Foto) hielt am 21. Oktober einen Vortrag in der Regensbur-ger Stadtbücherei.
Thema: „Neologismen – Neusprech oder sprachlicher Fortschritt“.
Walter stellte auch Heinrich von Stephan vor, den General-postmeister des Deutschen Reichs, der 1875 700 Verdeutschungen im Postwesen einführen ließ. Seit-dem heißt „poste restante“ post-lagernd und „Adresse“ wurde zur Anschrift.
Region DortmundLesung mit KlavierTexte von Georg Trakl, Else Las-ker-Schüler, Ingeborg Bachmann, Gottfried Benn u.a. tragen Bet-tina Dörnemann und Jörg Moser in ihrer Reihe „Lyrik des 20. Jahr-hunderts“ vor.
Musikalisch untermalt wird die Lesung mit Musikstücken von Heinz-Martin Lonquich. Herzlich eingeladen sind VDS-Mitglieder
und Interessierte am: 6. Februar 2010, 18 Uhr in die VDS-Geschäfts-stelle Dortmund.
Region Berlin-PotsdamVDS auf der expo-LinguaSchon zum 8. Mal vertrat die Regionalgruppe den VDS auf der Sprachmesse Expo-Lingua in Ber-lin vom 20. bis 22. November. Ins-gesamt 17 Mitglieder lösten einan-der am zwei Quadratmeter großen Stand ab, informierten Interes-sierte und verteilten Informati-onsmaterial.
Zum Programm gehörte auch ein Gastvortrag von Wolfgang Hildebrandt (Bremerhaven) mit dem Titel „Denglisch – Bereiche-rung und Notwendigkeit oder nur Dummdeutsch? Gedanken zum Verschwinden einer Sprache.“
Region LandshutSchönberger ausgezeichnet Der Bayerische Ministerpräsi-dent hat VDS-Vorstandsmitglied und Landshuter Regionalleite-rin Birgit Schönberger für ihren ehrenamtlichen Einsatz für die deutsche Sprache das Ehrenzei-chen verliehen. Das Abzeichen
überreichte am 5. November der Landshuter Oberbürgermeister Hans Rampf. Die gebürtige Dort-munderin ist seit sechs Jahren VDS-Regionalleiterin. Mit Poe-ten-Wettbewerben und als Lese-patin der Stadtbücherei Lands-hut begeistert sie ihr Publikum für Sprache und Literatur. Der gesamte VDS gratuliert!
LesungstermineGerd Schrammen liest aus seinem Buch „ich spreche gern Deutsch“7.12.: Hamburg, VDS-Veranstal-tung, Hotel Ibis Wandsbek, Pap-pelallee 61, 19.00 Uhr
V D S - M i t g l i e d e r e i n m a l a n d e r s
Rolf Stolz
Viele politisch interessierte VDS-Mitglieder kennen Rolf Stolz als Mitglied der Bundes-
programmkommission und Mitbegründer der Partei „Die Grünen“. Im Jahr 1980 wurde er in den geschäftsführenden Bundesvorstand gewählt, 1983 kandidierte er direkt in Köln für den Bundestag. Heute leitet er die VDS-Arbeitsgruppe „Bündnis90/Grüne für gutes Deutsch“.
Geboren wurde Rolf Stolz im Jahre 1949 in Mülheim an der Ruhr, dort, wo ganz in der Nähe die beiden reichsten Deutschen, die Brü-der Albrecht wohnen. Aber mit denen hatte Rolf Stolz, wie die meisten Mülheimer, nicht viel zu tun. Statt dessen schlug sein Herz seit jeher für die Menschen am anderen Ende der deutschen Einkommenspyramide.
Nach dem Abitur am Städtischen Gymna-sium Mülheim im Juni 1967 begann Rolf Stolz ein Studium der Psychologie und der Sozio-logie in Köln, wo er auch einige Jahre später das Diplom in Psychologie erwarb. Schon wäh-rend seiner Studentenzeit war Rolf Stolz poli-tisch engagiert, 1968 sowieso, später dann als Herausgeber von Betriebszeitungen bei Ford
in Köln, u.a. der Deutsch-Türkischen Arbei-tertatsachen, als Mitorganisator eines Streiks bei Ford oder Organisator einer Protestaktion gegen das Franco-Regime in Spanien. 1983 wurde er Mitbegründer und Mitvorsitzen-der der Bundesarbeitsgemeinschaft Ökologie international, 1984 gründete er den überpar-teilichen Initiativkreis „Linke Deutschland-diskussion“ und wurde deren Sprecher. Schon damals zeigte sich das bemerkenswerte Talent von Rolf Stolz, auch mit politisch anders Den-kenden für gemeinsame Ziele zu kooperieren. So organisierte er etwa in den Jahren 1997 und 1999 mit dem CSU-Bundestagsabgeordneten Hartmut Koschyk (der zusammen mit Walter Krämer und dem VDS die Aktion „Deutsch ins Grundgesetz“ begründet hat) zwei Konferen-zen zur Zuwanderungspolitik und engagiert sich seit einigen Jahren im VDS für eine stär-kere Rolle von Deutsch in unserem eigenen Land und international.
Daneben ist Rolf Stolz aber auch als Autor von Kurzgeschichten, Romanen und bisher insgesamt vier Lyrikbänden hervorgetreten. Seine Schriften erschienen in der „Welt“, in der
„Neuen Zürcher Zeitung“ und in vielen anderen nationalen und internationalen Medien und wurden ins Französische, Englische, Rumäni-sche und Dänische übersetzt. Weitere Informa-tionen unter: www.rolfstolz.de SN
Vereinsmeldungen – Berichte, Reportagen und Fotos – aus den Regionen können anderen VDS-Mitgliedern Anregungen für Veranstaltungen geben. Schicken Sie Ihre Beiträge bitte an <[email protected]>. Geben Sie in der Betreffzeile
„SN-Regionalmeldung“ an. Fotos müssen Mindestanforderungen erfüllen: 300 dpi oder mindestens 1.000 kB (≈ 1 MB). Papierbilder verursachen zusätzlichen Kosten- und Zeitaufwand. Wir können sie nur nach vorheriger Absprache verwenden.
Birgit Schönberger ist seit die-sem Jahr VDS-Vorstandsmitglied und erhielt das Ehrenzeichen des Bayerischen Minister-präsidenten. Foto: VDS
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Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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Der auslandsbeauftragte berichtet
Beitrag wird erst 2010 fällig.
Königsberg und das umgebende nördliche Ostpreußen, bis
1945 Teil des Deutschen Reichs, ist heute eine russische Exklave, und russisch wird im heutigen Kaliningrader Gebiet gesprochen und geschrieben. Aber die deut-sche Sprache ist nicht ganz ver-schwunden, was mir bei meinem Besuch im Oktober 2009 deutlich geworden ist.
Ich folgte einer Einladung der russischen Deutschlehrer und
-dozenten, informierte über den VDS und hielt Vorträge im Insti-tut für Lehrerfortbildung, in der Deutsch-Abteilung der Imma-nuel-Kant-Universität und in der Begegnungsstätte „Deutsch-Rus-sisches Haus“.
Deutschunterricht gibt es in praktisch allen Sekundarschu-len des Bezirks, von Königsberg (Kaliningrad) bis Tilsit (Sowetsk), von Insterburg (Tschernjachowsk) bis Pillau (Baltijsk). Die Zahl der Deutschlehrerinnen – es sind nur Frauen – beläuft sich auf knapp 300. Dozentin Elena Gruzkaja, die auch im „Multiplikatorenpro-gramm“ des Goethe-Instituts für die Modernisierung des Deutsch-unterrichts arbeitet, konnte ich als VDS-Regionalleiterin für das Königsberger Gebiet gewinnen.
Die Deutsch-Abteilung der Universität (über 300 Studen-ten) zeigte sich aufgeschlossen für eine Mitarbeit im VDS und beabsichtigt, zusammen mit den Deutschlehrerinnen, den „Tag der deutschen Sprache“ zu feiern. Alle anwesenden Dozenten traten dem VDS bei. Dr. Marina Potjo-mina wurde stellvertretende VDS-Regionalleiterin.
Im Deutsch-Russischen Haus sprach ich vor allem zu Angehö-rigen der deutschen Minderheit. Laut Direktor Andrej Portnjagin (Germanist) gibt es im nördlichen
Ostpreußen etwa 13.000 Deutsche, von denen die meisten außerhalb Königsbergs wohnen. Direktor und Vize-Direktor traten dem VDS bei, ebenso wie die Zuhörer. Für den geplanten „Tag der deutschen Sprache“ stehe das Haus bereit.
Der deutsche Generalkonsul Dr. Aristide Fenster war über-rascht von dem guten Widerhall und erklärte, sich in Zukunft vor allem um die russischen Deutsch-lehrer und -dozenten zu küm-mern und sie regelmäßig einzu-laden. Besonders erfreut war er über die Initiative „Internationale Sprach-Union Deutsch“, in die die Deutsch-Abteilung der Universi-tät, der VDS-Regionalverband und das Deutsch-Russische Haus auf-genommen werden können.
Die Atmosphäre im ehema-ligen Königsberg fand ich ange-nehm. Stadt und Parkanlagen sind in weitaus besserem Zustand als 1994, dem Jahr meines letz-ten Besuchs. Was an Architektur aus deutscher Zeit (Dom, Kant-Grabmal, Stadttore, Bastionen usw.) übrig geblieben ist, wird gut unterhalten bzw. hergerichtet.
Deutsch und die deutsche Ver-gangenheit sind längst nicht mehr tabu, zweisprachige Inschriften sind keine Seltenheit. Manche Autos zeigen unter ihrem Num-mernschild die deutlich lesbare Inschrift „Königsberg“ und nicht Kaliningrad. Und vor Universität bzw. Theater grüßen die Standbil-der von Kant und Schiller.
Manfred Schroeder
VDS-Aus-landsbe-auftragter Manfred Schroeder
Foto: privat
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In und um Königsberg
Sprachgesetz in der SlowakeiAnfang September gab sich die Slo-wakei ein Sprachgesetz, dass die slowakische Sprache vor fremden Einflüssen schützen soll. Öffent-liche Einrichtungen, Medien und Unternehmen müssen künftig mit Geldstrafen von bis zu 5.000 Euro
rechnen, wenn sie englische Wör-ter unübersetzt verwenden.
Die ungarische Minderheit in der Slowakei ist mit dem Gesetz nicht einverstanden, weil sie ihre sprachliche Eigenständigkeit gefährdet sieht. hok
VDS IM AUSLAND
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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Ratszeise zu Jena, 7. August, 18 Uhr: Auf den wespenum-
schwirrten Tischen der Schatten-seite flattern Sprachnachrichten auf. Zwei schwarze Mercedes mit B-Kennzeichen fahren geräusch-los vor, sind dann wieder ver-schwunden. Auf der Bühne wird gesungen, wie viele sind das bloß, glaube Dichter, sogar Schiller zu verstehen. Ob Jena und Musik sich wirklich reimen? Nicht ein-mal die Dichterfürsten hatten für sie eine Ader. Auftritt Frank-Wal-ter Steinmeier, locker, Dialog, dann ergreift er das Wort, lobt sich seine
„PASCH-Initiative“, die weltweite Unterstützung von Schulen mit Deutschschwerpunkt. Sechshun-dert Deutschlehrer jubeln auf. Mischt sich unters Volk, grüßt zurück. Noch ein Bier bitte.
Vom 3. bis 8. August 2009 war es in dem Tag und Nacht schwülen Städtchen zwischen Wald, Hügel und Saale nicht zu übersehen: das Kunterbunt der 3000 ruck-sackumhängten Teilnehmer an der 14. Internationalen Deutsch-lehrer-Tagung Jena/Weimar aus aller Welt. Deutsch bewegt, so das Motto der Tagung. Oder erstickt der Internationale Deutschleh-rerverband an seinem Erfolg? Es gab nie gesehene Probleme mit der Unterbringung; die feierli-che Eröffnung im Großen Saal des Volkshauses bot gerade mal einem Drittel der Teilnehmenden Platz, erreichte allerdings mit seinen horrend kor-rekten Allerweltsbe-grüßungen (vom Typ
„Englisch ein Muss, Deutsch ein Plus”) trotz Uwe Timm kei-neswegs das Niveau der Vorgängertagun-gen; auf dem großen Abendempfang am 3.8. kostete ein 5-Minuten-Bier mindestens dem Folgsamen eine Stunde Warte-schlange. Für die Ausflüge muss-ten die traditionellen stimmungs-fördernden Busse durch Züge, also auch durch lange Anmärsche und Wartezeiten, ersetzt werden. Den Organisatoren, wohlgemerkt, ist das alles kaum ins Stammbuch zu schreiben.
Die Qualität der Vorträge in sage und schreibe 44 Sektionen
ist unmöglich auf einen gemein-samen Nenner zu bringen. Wie gehabt stellen viele Referen-ten ihre oft lokalen Projekte vor, schrecken aber in der Regel vor weiteren sprachpolitischen Kon-sequenzen zurück. Irgendwie kommt man um die Feststellung
eines mindestens westeuropäi-schen Krebsganges des Interesses an der deutschen Sprache, ja der Fremdsprachenkultur schlecht-hin, nicht herum, wobei die Ini-tiative zur Gesundschrumpfung allzu üppiger Sprachenkennt-nisse zugunsten einer sogenann-ten lingua franca (die keineswegs die fränkische, sondern allenfalls frank und frei sein sollte) leider in deutschen Landen beheimatet sein dürfte.
Sollte es denn möglich sein, dass das Interesse am Verein Deut-sche Sprache auf der internationa-len Jenaer Plattform größer sei als in der sogenannten Inlandsgerma-nistik? Zumindestens in der Sek-tion Mehrsprachigkeit. Deutsch im europäischen Kontakt fiel der
Name wiederholt. Auf den Empfängen und in den weißen Bier-zelten im Universi-tätshof war er nicht zu überhören.
Am 8.8.2009 kür-ten die Vertreter der 101 Verbände aus 84
Ländern von Albanien bis Vene-zuela den neuen IDV-Vorstand für die nächsten vier Jahre. IDV-Vorsitzende wird Prof. Dr. Mari-anne Hepp aus Italien, seit 1986 Sprachwissenschaftlerin an der Universität Pisa, die dem dro-henden Domänenverlust der deutschen Sprache entgegenwir-ken zu wollen verspricht und sich als VDS-nah versteht; zweiter Vorsitzender wird Prof. Dr. Shini-chi Sambe aus Japan, Universi-
tät Tokio, der sich für eine neu-artige deutsche Sprachloyalität engagieren möchte. Generalsekre-tärin ist weiterhin Alina Dorota Jarzabek aus Polen. Joanna Van Donzel (Kanada) bleibt Schatz-meisterin; Marco Schaumloeffel aus Brasilien Schriftleiter. Von einer solchen Mannschaft ist zu erwarten, dass sie sich in ihrer Weltumspannendheit und Welt-offenheit den gegenwärtigen Pro-blemen unserer Sprache stellt. Mit der Weltfremdheit hat es sich nun hoffentlich.
Die 15. IDT wird 2013 in Bozen stattfinden. In der Planung befin-det sich außerdem bereits die nächste Deutscholympiade für Deutschschüler in Hamburg vom 19. Juli bis 1. August 2010. Zuge-lassen sind zwei Teilnehmer wie ein Begleiter pro Land.
Ihr Kuli, Fräulein, danke, bin fertig. Noch ein Köstritzer bitte. Diese nie enden wollende Freund-lichkeit im neuen deutschen Osten. Kühles Blondes aus der Gegend, stolze Blume. Du liebes Bisschen, wieso geht’s nie etwas kälter.
V D S I M AU S l A N D
Ex-Außenminister Steinmeier eröffnete das „SprachKulTour-Fest– Deutsch verbindet uns“, welches im Rahmen des Internationalen Deutschlehrerkongresses in Jena stattfand. Auf dem Marktplatz sprach er vor ca. 500 Deutschlehrern aus dem Ausland. Mit dem Fest wollte das Auswärtige Amt den Erfolg der von Bundes-minister Steinmeier ins Leben gerufenen Initiative „Schulen – Partner der Zukunft (PASCh)“ würdigen.
Foto: Markus Kaemmerer
Neue Chefin für DeutschlehrerBericht über die 14. internationale Deutschlehrertagung in Jena und Weimar / Von Roland Duhamel
„Von einer solchen Mannschaft ist zu erwarten, dass sie sich in ihrer Weltumspannendheit und Weltoffenheit den gegenwärtigen Problemen unserer Sprache stellt.“
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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S N - l E S E Z E I C H E N
Von Alexandra Borchardt
Da hat der Mann schon vor Jahren seine Bewerbungs-
unterlagen für den Chefposten im Außenministerium einge-reicht, und dann dieser Patzer:
„Das ist Deutschland hier“, stam-melte FDP-Chef Guido Wester-welle kürzlich, um einem briti-schen Journalisten eine Antwort auf Englisch zu versagen.
Nun ist dies ein Land, in dem es die Nachkriegsgeneration im Ausland als höchstes Kompli-ment betrachtet, nicht als deut-scher Staatsbür-ger identifiziert zu werden. Ein Land, in dem deutsche Mütter mit ihren Babys englisch reden („Soll zweisprachig aufwachsen“) und Studenten, sollten sie in der Ferne einen deutschen Kommilito-nen treffen, mit diesem in der dor-tigen Landessprache parlieren. Da kommt so etwas schlecht an.
Doch Westerwelle bekommt Hilfe. So parierte Louis van Gaal, Trainer des F.C. Bayern und Nie-
derländer, neulich den Vorschlag eines Journalisten, man könne das Interview nun entweder auf Englisch oder Spanisch führen, mit den Worten: „In welchem Land befinden wir uns gerade, was den-ken Sie?“ Und auch im Vorstand des Bayer-Konzerns soll nach dem Rückzug des Schotten Arthur Hig-gins wieder Deutsch gesprochen werden – obwohl ein Niederlän-der, Marijn Dekkers, den Chefpos-ten übernehmen soll.
Wer deutsche Unternehmen besucht, in denen Englisch befoh-len ist, möchte so etwas loben. In
solchen Firmen wird von Bildink zu Bildink (Building) gerannt, und geklagt: „Se probblemm is se implementäischen.“ „So einen schrecklichen Tschäinsch hatten wir noch nie“, wetterte kürzlich eine Mitarbeiterin des Software-Konzerns SAP, in dem Verände-rungen generalstabsmäßig als Change-Prozesse orchestriert
werden. Gerne erhielte man da mal die Mitteilung: „Wegen Qua-litätsproblemen haben wir uns entschieden, unsere Sprachpro-duktion wieder an den Heimat-standort zurückzuholen.“
Nun spricht viel für das Eng-lische als Ausdruck von Interna-tionalität in Management und Belegschaft. Wenn Management und Belegschaft denn miteinan-der sprechen. Und das tun sie noch seltener, ist eine fremde Sprache auf dem Firmengelände Pflicht.
Selbst in der Vorstandssitzung kann es still werden, wenn die
Teilnehmer statt nach den Nuan-cen der Mutter-sprache nach den Floskeln
aus dem Englischkurs greifen müssen.
Wer eine ausländische Unter-nehmenssprache verordnet, sen-det damit Signale. Wer sie nicht kann, kann hier nichts werden, ist eines davon. Und ein ande-res: Diese Firma könnte über-all stehen. Bindung an den Hei-matort? Lieber nicht. Hier kann
jeder arbeiten – und jeder gefeuert werden. Schon bald ist dann ein Heute-hier-morgen-dort-Manager der Chef. Wobei auch der umge-hend beklagen wird, dass es die Mitarbeiter an Loyalität neuer-dings arg fehlen lassen.
Ein Ort jedoch ist mehr als ein paar Hektar Grund, ein Gewerbe-steuerhebesatz und vielleicht ein Markt. Dirk Rossmann, Chef der Drogeriekette gleichen Namens, ist einer, der für Deutsch als Fir-mensprache plädiert. „Indem wir als Deutsche unsere Sprache und unsere Kultur aufgeben, geben wir auch unsere Existenz auf“, ließ er sich einmal zitieren.
Sprachwissenschaftler sagen: Wer die eigene Sprache nicht beherrscht, tut sich auch mit der fremden schwer. Es ließe sich ergänzen: Wer die Mitarbeiter daheim nicht versteht, wie soll er jene im Ausland begreifen? Und wie dann gar seine Kunden? Wer Außenminister werden will, sollte manchmal lieber als Innenminis-ter anfangen.
aus: Süddeutsche Zeitung (19.10.2009)
Sprechen Sie doch deutsch„So einen schrecklichen Tschäinsch hatten wir noch nie“ – Warum es sich Firmen gut überlegen sollten, ob sie sich von der heimatsprache verabschieden
Das berühmte historische Goethe-Theater in Bad Lauchstädt war 2009 wieder Ort des „Festspiels der deutschen Sprache“. Die Veranstalterin – die berühmte Kammersängerin und VDS-Ehrenmitglied Edda Moser – hatte zum vierten Mal Schauspielikonen des deutschsprachigen Raumes dafür gewinnen können, die deutsche Sprache zu würdigen. In diesem Jahr lasen: Gudrun Landgrebe, Sebastian Koch, Axel Milberg, Rena Demirkan und Otto Schenk. Foto: Jörg Moser
Wieder ein Erfolg: 4. Festspiel der deutschen Sprache in Bad Lauchstädt
H D SHAUS DER DEUTSCHEN SPRACHE
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Wer die eigene Sprache nicht beherrscht, tut sich auch mit der fremden schwer.
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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T E R M I N E
Herausgeber: Verein Deutsche Sprache e. V. (VDS)Postfach 10 41 28, 44041 Dortmund telefon 0231/ 79 48-520, Fax 0231/ 79 48-521
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Redaktion: Monika Elias, Dr. holger Klatte (Vereinsnach-richten), Dr. Gerd Schrammen, Prof. Dr. Walter Krämer
gesamtprojektleitung: heiner Schäferhoff (V. i. S. d. P.),Allee 18, 59439 holzwickede; <[email protected]>
gestaltung und Satz: Fa. Druckpunkt hoppe, Schkeuditz<[email protected]>
Druck: Gebr. Lensing Gmbh & Co. KG, Dortmund
Auflage: 50.000 Exemplare
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I M P R E S S U M Die nächste Ausgabe erscheint im März 2010; Redaktionsschluss: 31. Januar 2009.
Von Martin Bucholz
Bedenkend, was ich spreche und schreibe, kommt mir
zuweilen das Bedenkliche meiner Muttersprache in den Sinn und zugleich jene Zeit, als ich noch sprachlich bemuttert wurde: Ich erinnere mich an den kleinen Jun-gen, der beim Erhören und Erler-nen dieser Sprache die Wörter noch beim Wort nahm. Das führte häufig zu Missverständnissen. Ich verhörte mich beim Erhören. Ich verstand das, was ich verstehen sollte, falsch, weil ich es zu richtig, zu genau verstand. So hieß es zum Beispiel von meinem Vater, den ich nie kennengelernt hatte, dass er „im Krieg geblieben“ wäre. Für mich, den sechs- oder siebenjähri-gen Knaben, hörte sich das so an, als ob ein Krieg etwas ganz Tol-les sein müsste, wenn mein Vater da unbedingt hatte bleiben wol-len anstatt wieder nach Hause zu kommen. Die zusätzliche Aus-kunft, dass mein Vater „gefal-len“ wäre, war auch nicht hilf-reich. Schließlich war ich damals schon oft genug hingefallen, so dass mir das kein triftiger Grund dafür schien, dass mein Vater sich nicht mehr blicken ließ.
Von meinem Onkel Friedrich, der ein Glasauge hatte, hieß es, dass er sein Auge „im Feld ver-loren“ habe. Vor meinem geisti-gen Knaben-Auge lief daraufhin sofort ein Kurzfilm ab: Ich sah, wie Onkel Friedrich über ein Feld spaziert und auf einmal stolpert. Beim Hinfallen rollt ihm plötz-lich ein Auge aus dem Kopf. Und er merkt es nicht! Erst später, als ihm die Frage gestellt wurde, die ich selber damals oft zu hören bekam – „Wo hast du nur wieder deine Augen?“ –, merkt er, dass ein Auge weg ist ...
Ich könnte noch etliche solcher kindlichen Zu-genau-Verständ-nisse als Exempel anführen. Was will uns der Autor damit sagen? Sagen will ich: Das Wundersame und zuweilen Wunderliche, ja das Verwunderliche unserer Sprache mit ihren Doppel- und Vieldeutig-keiten kann man als Kind mit nai-vem offenem Ohr sehr viel deutli-cher hören, auch wenn man sich dabei, wie gesagt, ver-hört. Wenn wir die Sprache erst beherrschen (meist eine zweifelhafte Herr-schaft) fällt es schwer, der eige-nen Sprache ab und zu wie einer fremden nachzulauschen, sie als eine verfremdete neu kennenzu-lernen. Ein solches Lernen haben wir verlernt.
Wörter neu zu be-greifen, sie als Be-Griffe zu denken wie Hen-kel an einem Topf, auf dass man diesen Topf besser handhaben kann, also damit man in dieser Wirklichkeit hand-lungsfähig bleibt … das scheint den meisten kindisch. Kindisch ist es fürwahr nicht, kindlich schon. „Wortspie-lerei“, so wird vielleicht mancher nasal vor sich hinrümpfen.
Sicherlich: Es ist ein kindliches Spiel. Und es kann ein erwachse-nes Spiel daraus erwachsen: ein Liebesspiel, ein Lustspiel mit der Sprache.
Unsere Sprache wurde so oft schon vergewaltigt und wird es immer wieder tagaus, nacht-ein. Ich denke: Sie hat ein biss-chen Zärtlichkeit und Liebe ver- dient.
Martin Buchholz, satirischer Autor und Kabarettist, tritt regelmäßig bei den Berli-ner „Wühlmäusen“ auf, zurzeit mit seinem neuen Programm „Geh!Denken!“. Allwöchentlich veröffentlicht er seine Satire-Kolumne unter www.martin-buchholz.de im Internet.
Deutsch – eine Fremd- sprache für Deutsche?
Die Stadt Castrop-Rau-xel beteiligt sich am Programm der Kultur-hauptstadt 2010 mit einer Sammlung von Gedichten: „Castrop-Rauxel … ein Gedicht“. Dazu hat die Stadt im Internet eine Seite eingerichtet, auf der die Teilnehmer ihre eige-nen Verse einstellen können. Geplant ist, eine Zahl von 2010 Gedich-ten zu sammeln und diese ab August in Schaufenstern, Cafés, Hotels, Restaurants, Krankenhäusern und Seniorenzentren in ganz Cast-rop-Rauxel der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Die Stadt lädt Berufs- und Freizeitdichter auf der ganzen Welt dazu ein, Gedichte einzureichen – unter www.gedichte2010.de. Einzige Bedingung: Das Gedicht darf nicht mehr als 16 Textzeilen umfassen.
Castrop-Rauxel tapeziert Gedichte
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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Die Geschichte vom Wirrwarr-Willi
In den SN Nr. 42 haben wir dazu aufgerufen, eine elfte Geschichte im Stil des Struwwelpeters
zu dichten. Uns erreichten viele gute Gedichte, dafür bedanken wir uns. Die Jury (holger Klatte, Monika Elias und Philipp honselmann) wählte „Die Geschichte vom Wirrwarr-Willi“ von Familie Vetter-Gindele auf den ersten Platz.
Sie kann wie heinrich hoffmanns Geschichten aus dem „Struwwelpeter“ als Warnung für Kinder gelten. Es geht um ein Kind, welches Warnungen nicht beachtet und dafür bestraft wird. hier die fachgerechte Interpretation:
Ein Junge namens Willi verwendet denglische Begriffe, was seine Lehrer und Eltern kritisieren. Willi ignoriert die Klagen, worauf ihm in der Nacht
ein Geist die Zunge am Glauben festklebt. Die Gedichtform lehnt sich an hoffmanns Geschichte vom Suppen-Kaspar an: Die vier Strophen sind im freien Knittelvers gedichtet. Ausnahmen sind Str. 1, Z. 5/6, deren Endungen sich nicht reimen („hör“ und „mehr“) und Str. 2, Z. 1/2, die einen orthogra-fisch unreinen Reim haben („Style“ und „geil“). hier stützt die Form den Inhalt. Die Zeilen geben eine wörtliche Rede wieder, die Warnung des Lehrers und Willis Antwort. Somit wird die Aufmerksam-keit des Lesers auf diese Zeilen gezogen, er merkt, dass hier etwas nicht stimmt, und der Inhalt ver-weist auf den fehlerhaften Sprachgebrauch von Willi. Das Versmaß ist nicht durchgängig einge-halten worden: Die ersten beiden Zeilen sind ein
fünfhebiger Jambus (xx´xx´xx´xx´xx´), dann folgt ein vierhebiger Jambus. In der zweiten Strophe ab der dritten Zeile ist das Versmaß gemischt. Erneut betont dies den Inhalt, Willis sprachliches „Misch-masch“ wird beschrieben.
Bemerkenswert sind die hinzugefügten Illustra-tionen von Vetter-Gindele. (Sie haben die Bewer-tung nicht verändert, da sie keine Vorgabe waren). hoffmann hat mit seinen Zeichnungen, die an die Karikaturen des Vormärz angelehnt sind, die Gat-tung des Kinderbilderbuchs begründet. Er schrieb die Geschichten im Struwwelpeter ursprünglich für seinen Sohn Carl Philipp, weil er keine passende Kinderliteratur gefunden hatte.
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Der Willi sprach recht gern und viel,doch w i e er’s tat meist nicht gefiel.Den Lehrer in der Schule drumtrieb Willis schlechtes Reden um:
„Willi,“ rief er, „Willi hör,kennst du die deutsche Sprach’ nicht mehr?“
„Alles cool, das ist mein Style.Hey Mann, und meine Gang findt’s geil.“Er brabbelte und babbelte weder Deutsch noch Englisch,sondern plapper-bla-bla-bla ein Wirrwarr-Mischmach-Denglisch.
Zuhaus´ die Eltern klagten sehr, wie Willi sprach plagte sie schwer.Die Schwester verstand ihn auch nicht immer,er winkte bloß ab und ging in sein Zimmer.
Des Nachts ein Wesen huscht durch die Wand,mit Pinsel und Leimtopf in der Hand.Der Willi schläft mit offnem Mund,der Geist streicht Kleister ihm in den Schlund.Nun klebt für immer am Gaumen die Zunge.Hoff’, ‘s ist nur ein Traum mein Junge!
VEREINSSEITEN
Sprachnachrichten Nr. 44 / Dezember 2009
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Weihnachten nach LukasZu jener Zeit ordnete Kaiser Augustus an, dass alle Menschen in seinem Reich gezählt und für die Steuer erfaßt werden sollten. Diese Zählung war die erste und wurde durchgeführt, als Quirinius Statthalter der Provinz Syrien war. Und alle gingen hin, um sich einschreiben zu lassen, jeder in die Hei-matstadt seiner Vorfahren.
Schwäbisch: S isch bassiert zue dr Ziit, daß ä Gebot vum Kaisa Augustus üsgange isch, daß alli Welt gschätzt wird. Un de Schät-zig war de allaerschti un isch bassiert zue d Ziit, do Quirinius Schtadt-haltr in Syrien war. Un jeda goht, dmit da sich schätze lo ka, in si Schtadt.
Auch Josef machte sich auf den Weg. Aus Galiläa, in der Stadt Nazaret, ging er nach Judäa in die Stadt Davids, nach Betlehem. Denn er stammte aus der Familie von König David. Dorthin ging er um sich einschreiben zu lassen, zusammen mit Maria, seiner Verlobten; die war schwanger. Während sie dort waren, geschah es, daß für Maria die Zeit der Entbindung kam.
Niederdeutsch: Zoe ging auk Jozef oet Galilea oet de stad Nazareth op weg nao ‘t Joedse land, nao de stad van David, Betlehem geheite, omdet hae oet ‘t geslecht van David stamt óm zich te laote regis-trere mèt Maria zien verloofde, die zwanger waas. En toen ze dao ware, kwaam d’n tied van de geboorte.
Und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie, und sie fürchteten sich sehr. Aber der Engel sagte zu ihnen: „Habt keine Angst! Ich habe eine große Freudenbotschaft für euch und für das ganze Volk. Heute ist euch der Retter geboren worden, in der Stadt Davids: Christus der Herr!“
Pfälzisch: Un die Nacht isch zu Dag worre; un die Hirte hän sich arg gfercht. Awwer der Engel hot zu ne gsaat: „Ehr brauchen kää Angscht se hawwe! Horchen mol zu, ich verzehl eich vun äänere große frääd fer alle Leit. Heit is fer eich im David soinere Stadt de Heilond gebore worre, der wu der Herr Chrischtus isch ...
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In unserer Stadt hat sich ein Kiosk etab-
liert, dessen Betrei-ber hungrigen Pas-santen Gebratenes oder Gegrilltes auf die Schnelle anbietet. Der-gleichen nennt man nach den Usancen der deutschen Sprache gewöhnlich Imbiss-Stand oder auch Bratwurst-Bude. Doch eine solche Bezeichnung war dem prestigebewussten Betreiber die-ses ehrbaren Gewerbes ganz offen-sichtlich zu popelig. Sein Etablis-sement hatte eine vornehmere Etikettierung verdient.
Etwas Moderneres, Eindrucks-volleres, Zeitgemäßeres musste her. Und da kam der englische dealer gerade recht. Gibt es doch
auch den car dealer oder den drug dea-ler oder den retail dealer usw. Warum also nicht den „Brat Dealer“?
Kreativ muss man sein; fortschrittlich muss man denken. Allerdings: An ein Problem hat der gute Mann in seiner beflissenen Naivität nicht gedacht – an die unfreiwillige Komik seiner Wortschöpfung. Denn jeder Engländer, der des Weges kommt, liest „Brat“ als eng-lisch brat. Und das ist eine Göre oder ein Rotzjunge. Also handelt der Händler seinem Firmenschild gemäß mit menschlicher Ware, mit frechen jungen Exemplaren der Gattung Homo sapiens. Hartmut Heuermann
Die Verschiedenheit der deutschen Dialekte lässt sich anhand von Übersetzungen bekannter Texte gut darstel-len. Im Folgenden geben wir einen Teil der Weihnachts-geschichte aus dem Lukasevangelium auf Schwäbisch, Niederdeutsch und Pfälzisch wieder.
Die SN-Redaktion wünscht allen Lesern bereits heute ein besinnliches Weihnachtsfest.
Sprachbilder
hier legt ein Pizzabäcker aus Düsseldorf ein überzeugendes Angebot vor. Wer kann da noch widerstehen. Wie aber bezeichnet man im Deutschen eigentlich mehr als eine Pizza? Ein Italiener würde pizze sagen. Die Deutschen fügten den belegten Teigfladen zunächst ein -s an (wie in Autos, Mofas, Kinos). Mit der Zeit bildete sich auch die Mehr-zahlform auf -en, wie sie für viele Substantive im Deutschen regelhaft ist: Türen, Burgen, Farben. Für die Pizza sind beide Formen richtig.
DER STREIfSCHUSS
Handel mit Rotzjungen